nen
vereinzelt  groЯe,  graue,  verschlieЯbare   Kisten  in  den  Fensternischen
standen.
     Eiserne Tьren mit Riegelstangen und kleinen, vergitterten Ausschnitten,
ьber jedem eine  Gasflamme,  zogen  sich in  ununterbrochener Reihe die Wand
entlang.
     Ein  hьnenhafter, soldatisch  aussehender Gefangenwдrter  -  das  erste
ehrliche Gesicht  seit  Stunden - sperrte eine der Tьren auf, schob  mich in
eine dunkle, schrankartige, pestilenzialisch stinkende  Цffnung  und  schloЯ
hinter mir ab.
     Ich stand in vollkommener Finsternis und tappte mich zurecht.
     Mein Knie stieЯ an einen Blechkьbel.
     Endlich erwischte ich - der Raum war so eng, daЯ ich mich kaum umdrehen
konnte - eine Klinke, und stand in - einer Zelle.
     Je zwei und zwei Pritschen mit Strohsдcken an den Mauern.
     Der Durchgang dazwischen nur einen Schritt breit.
     Ein  Quadratmeter Gitterfenster hoch  oben  in der  Querwand  lieЯ  den
matten Schein des Nachthimmels herein.
     Unertrдgliche Hitze, vom Geruch alter Kleider verpestete  Luft erfьllte
den Raum.
     Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewцhnt hatten, sah ich, daЯ auf
drei  der  Pritschen  -  die   vierte  war   leer  -  Menschen   in   grauen
Strдflingskleidern  saЯen; die  Arme auf die Knie gestьtzt und die Gesichter
in den Hдnden vergraben.
     Keiner sprach ein Wort.
     Ich setzte mich auf das leere Bett und wartete. Wartete. Wartete.
     Eine Stunde.
     Zwei - drei Stunden!
     Wenn ich drauЯen einen Schritt zu hцren glaubte, fuhr ich auf:
     Jetzt,  jetzt kam  man mich  holen,  um  mich  dem Untersuchungsrichter
vorzufьhren.
     Jedesmal war es eine  Tдuschung gewesen. Immer wieder verloren sich die
Schritte auf dem Gang.
     Ich riЯ mir den Kragen auf - glaubte, ersticken zu mьssen.
     Ich hцrte, wie ein Gefangener nach dem andern sich дchzend ausstreckte.
     "Kann man denn das Fenster  da oben  nicht aufmachen?", fragte ich voll
Verzweiflung laut  in  die Dunkelheit hinein. Ich  erschrak fast  vor meiner
eigenen Stimme.
     "Es geht net", antwortete es mьrrisch von einem der Strohsдcke herьber.
     Ich tastete trotzdem mit der Hand an der Schmalwand entlang:  ein Brett
in  Brusthцhe  lief quer  hin  -  - - zwei  Wasserkrьge  -  -  -  Stьcke von
Brotrinden.
     Mьhsam kletterte ich hinauf, hielt mich  an den Gitterstдben und preЯte
das Gesicht an die Fensterritzen, um wenigstens etwas frische Luft zu atmen.
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     So stand ich,  bis  mir die  Knie zitterten. Eintцniger,  schwarzgrauer
Nachtnebel vor meinen Augen.
     Die kalten Eisenstдbe schwitzten.
     Es muЯte bald Mitternacht sein.
     Hinter mir  hцrte ich schnarchen. Nur einer  schien  nicht  schlafen zu
kцnnen: er warf sich hin und her auf dem Stroh und stцhnte manchmal halblaut
auf.
     Wollte denn der Morgen nicht endlich kommen?! Da! Es schlug wieder.
     Ich zдhlte mit bebenden Lippen:
     Eins, zwei, drei! - Gott sei Dank, nur noch wenige Stunden,  dann muЯte
die Dдmmerung kommen. Es schlug weiter:
     Vier? fьnf? - Der SchweiЯ trat mir  auf die Stirn. - Sechs!! - Sieben -
- - es war <i>elf</i> Uhr.
     Erst eine Stunde war vergangen, seit ich das letzte  Mal hatte schlagen
hцren.
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     Allmдhlich legten sich meine Gedanken zurecht:
     Wassertrum hat mir  die Uhr  des vermiЯten Zottmann zugespielt, um mich
in Verdacht zu bringen, einen Mord begangen zu haben. - Er muЯte also selbst
der  Mцrder sein; wie hдtte er sonst  in den Besitz  der Uhr  kommen kцnnen?
Wьrde er  die Leiche irgendwo gefunden und dann erst beraubt haben, hдtte er
sich bestimmt die  tausend Gulden Belohnung  geholt, die  fьr die Entdeckung
des VermiЯten цffentlich ausgesetzt waren. - Das konnte aber nicht sein: die
Plakate klebten  noch immer an den StraЯenecken, wie ich deutlich auf meinem
Weg ins Gefдngnis gesehen hatte. - - -
     DaЯ der Trцdler mich angezeigt haben muЯte, war klar.
     Ebenso:  daЯ  er  mit  dem  Polizeirat, wenigstens was Angelina betraf,
unter einer Decke steckte. Wozu sonst das Verhцr wegen Savioli?
     Andererseits ging daraus hervor,  daЯ  Wassertrum Angelinas Briefe <i>noch
nicht</i> in Hдnden hatte.
     Ich grьbelte nach - - -
     Mit einem Schlag stand  alles mit  entsetzlicher Deutlichkeit  vor mir,
als wдre ich selbst dabei gewesen.
     Ja; nur so konnte es sein: Wassertrum hatte meine eiserne  Kassette, in
der  er Beweise  vermutete, heimlich an sich  genommen,  als er  gerade  mit
seinen  Polizeikomplizen meine Wohnung  durchstцberte,  - konnte  sie  nicht
sogleich цffnen, da ich den Schlьssel bei mir trug, und war - - - vielleicht
gerade jetzt daran, sie in seiner Hцhle aufzubrechen.
     In  wahnsinniger  Verzweiflung  rьttelte  ich an den Gitterstдben,  sah
Wassertrum im Geiste vor mir, wie er in Angelinas Briefen wьhlte -
     Wenn   ich  nur  Charousek  benachrichtigen  kцnnte,  daЯ   er  Savioli
wenigstens rechtzeitig warnen ging!
     Einen Augenblick klammerte ich mich  an die  Hoffnung, meine Verhaftung
mьsse bereits wie ein Lauffeuer in der Judenstadt bekannt geworden sein, und
ich  vertraute auf Charousek wie  auf  einen  rettenden Engel.  Gegen  seine
infernalische Schlauheit kam der Trцdler nicht auf; "Ich werde ihn  genau in
der  Stunde  an der  Gurgel haben, in der er  Dr. Savioli an den Hals will",
hatte Charousek schon einmal gesagt.
     In der nдchsten Minute wieder verwarf  ich alles, und eine  wilde Angst
packte mich: Wie, wenn Charousek zu spдt kam?
     Dann war Angelina verloren. - - -
     Ich  biЯ mir die  Lippen blutig und zerkrallte mir die  Brust aus Reue,
daЯ ich die Briefe damals nicht sofort verbrannt hatte; -  - - ich schwor es
mir zu, Wassertrum noch in derselben Stunde aus der Welt zu schaffen, wo ich
wieder auf freiem FuЯ sein wьrde.
     Ob ich von eigener Hand starb oder am Galgen - was lag mir daran!
     DaЯ  der Untersuchungsrichter meinen Worten glauben wьrde, wenn ich ihm
die Geschichte mit der Uhr  plausibel machte, ihm von Wassertrums  Drohungen
erzдhlte, - keinen Augenblick zweifelte ich daran.
     Bestimmt morgen  schon muЯte ich frei sein; zumindest wьrde das Gericht
auch Wassertrum wegen Mordverdachts verhaften lassen.
     Ich zдhlte die Stunden und betete, daЯ  sie rascher  vergehen  mцchten;
starrte hinaus in den schwдrzlichen Dunst.
     Nach  unsдglich  langer  Zeit fing es endlich an, heller zu werden, und
zuerst  wie ein dunkler Fleck, dann immer deutlicher, tauchte ein kupfernes,
riesiges Gesicht  aus  dem Nebel: das Zifferblatt einer  alten Turmuhr. Doch
die <i>Zeiger fehlten;</i> - neuerliche Qual.
     Dann schlug es fьnf.
     Ich hцrte, wie  die Gefangenen erwachten und  gдhnend eine Unterhaltung
in bцhmischer Sprache fьhrten.
     Eine Stimme kam  mir  bekannt  vor; ich  drehte mich um, stieg von  dem
Brett  herunter  und  -  sah  den blatternarbigen  Loisa auf  der  Pritsche,
gegenьber der meinigen, sitzen und mich verwundert anstarren.
     Die  beiden  anderen  waren  Gesellen  mit  verwegenen  Gesichtern  und
musterten mich geringschдtzig.
     "Defraudant? Was?", fragte der eine halblaut seinen Kameraden und stieЯ
ihn mit dem Ellenbogen an.
     Der  Gefragte  brummte  irgend  etwas  verдchtlich,  kramte  in  seinem
Strohsack, holte ein schwarzes Papier hervor und legte es auf den Boden.
     Dann schьttete er aus dem Krug ein  wenig Wasser darauf, kniete nieder,
bespiegelte sich darin  und  kдmmte  sich  mit den Fingern das Haar  in  die
Stirn.
     Hierauf  trocknete  er  das  Papier  mit  zдrtlicher  Sorgfalt  ab  und
versteckte es wieder unter der Pritsche.
     "Pan  Pernath,  Pan   Pernath",  murmelte  Loisa  dabei  bestдndig  mit
aufgerissenen Augen vor sich hin, wie jemand, der ein Gespenst sieht.
     "Die  Herrschaften  kennen  einand,  wie  ich   bemerkц",   sagte   der
Ungekдmmte,   dem   dies  auffiel,   in  dem   geschraubten  Dialekt   eines
tschechischen  Wieners  und machte  mir  spцttisch  eine  halbe  Verbeugung:
"Erlaubens mich vorzustellen: Vуssatka ist mein Name. Der schwarze Vуssatka.
- Brandstiftung", setzte er eine Oktave tiefer stolz hinzu.
     Der Frisierte spuckte  zwischen den  Zдhnen durch,  blickte  mich  eine
Weile verдchtlich an, deutete sich dann auf die Brust und sagte lakonisch:
     "Einbruch."
     Ich schwieg.
     "No, und zweng wos fьr einen Verdachtц sin Sie hier, Herr Graf?" fragte
der Wiener nach einer Pause.
     Ich ьberlegte einen Moment, dann sagte ich ruhig: "Wegen Raubmord".
     Die beiden  fuhren verblьfft  auf, der  spцttische  Ausdruck  auf ihren
Gesichtern machte einer Miene grenzenloser Hochachtung Platz, und sie riefen
fast wie aus einem Munde:
     "Rдschpдkt, Rдschpдkt."
     Als sie sahen, daЯ ich keine Notiz  von ihnen nahm,  zogen sie sich  in
die Ecke zurьck und unterhielten sich flьsternd miteinander.
     Nur einmal stand  der Frisierte  auf, kam zu mir, prьfte schweigend die
Muskeln meines  Oberarms und  ging  dann  kopfschьttelnd  zu  seinem  Freund
zurьck.
     "Sie sind doch auch unter  dem Verdacht hier, den  Zottmann ermordet zu
haben?" fragte ich Loisa unauffдllig.
     Er nickte. "Ja, schon lang."
     Wieder vergingen einige Stunden.
     Ich schloЯ die Augen und stellte mich schlafend.
     "Herr  Pernath. Herr Pernath!" hцrte  ich  plцtzlich ganz  leise Loisas
Stimme.
     "Ja?" - - - Ich tat, als erwachte ich.
     "Herr  Pernath?, bitte entschuldigen Sie,  - bitte - bitte, wissen  Sie
nicht, was  die  Rosina macht?  -  Ist sie zu  Hause?", stotterte  der  arme
Bursche. Er tat  mir unendlich leid, wie er mit seinen entzьndeten  Augen an
meinen Lippen hing und vor Aufregung die Hдnde verkrampfte.
     "Es geht ihr gut. Sie - sie ist jetzt Kellnerin beim - - alten Ungelt",
log ich.
     Ich sah, wie er erleichtert aufatmete.
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     Zwei Strдflinge hatten auf einem Brett Blechtцpfe mit heiЯem Wurstabsud
stumm hereingebracht  und drei davon in  die Zelle  gestellt,  dann knallten
nach einigen Stunden abermals  die  Riegel und der Aufseher fьhrte  mich zum
Untersuchungsrichter.
     Mir schlotterten die  Knie  vor  Erwartung,  wie wir  treppauf, treppab
schritten.
     "Glauben Sie, ist es mцglich, daЯ ich  heute noch freigelassen werde?",
fragte ich den Aufseher beklommen.
     Ich sah, wie er mitleidig ein Lдcheln unterdrьckte. "Hm. Heute noch? Hm
- - Gott, - mцglich ist ja alles." -
     Mir wurde eiskalt.
     Wieder las ich eine Porzellantafel an einer Tьr und einen Namen:
        KARL FREIHERR VON LEISETRETER
        Untersuchungsrichter
     Wieder  ein  schmuckloses  Zimmer und zwei  Schreibpulte mit meterhohen
Aufsдtzen.
     Ein  alter,  groЯer  Mann mit  weiЯem,  geteiltem  Vollbart,  schwarzem
Gehrock, roten, wulstigen Lippen, knarrenden Stiefeln.
     "Sie sind Herr Pernath?"
     "Jawohl."
     "Gemmenschneider?"
     "Jawohl."
     "Zelle Nr. 70?"
     "Jawohl."
     "Des Mordes an Zottmann verdдchtig?"
     "Ich bitte, Herr Untersuchungsrichter - -"
     "<i>Des Mordes an Zottmann verdдchtig?</i>"
     "Wahrscheinlich. Wenigstens vermute ich es. Aber - -"
     "Gestдndig?"
     "Was  soll  ich denn gestehen, Herr Untersuchungsrichter, ich  bin doch
unschuldig!"
     "<i>Gestдndig?</i>"
     "Nein."
     "Dann  verhдnge ich Untersuchungshaft ьber Sie. -  Fьhren Sie den  Mann
hinaus, Gefangenwдrter."
     "Bitte, so hцren Sie mich doch an, Herr Untersuchungsrichter, - ich muЯ
unbedingt heute noch zu Hause sein. Ich habe wichtige Dinge zu veranlassen -
-"
     Hinter dem zweiten Schreibtisch meckerte jemand.
     Der Herr Baron schmunzelte. -
     "Fьhren Sie den Mann hinaus, Gefangenwдrter."
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     Tag um Tag schlich dahin, Woche um Woche, und immer noch saЯ ich in der
Zelle.
     Um zwцlf Uhr  durften wir tдglich hinunter in den  Gefдngnishof und mit
anderen Untersuchungsgefangenen und Strдflingen zu zweit 40 Minuten im Kreis
herumgehen auf der nassen Erde.
     Miteinander zu reden, war verboten.
     In der Mitte des Platzes stand ein  kahler, sterbender Baum, in  dessen
Rinde ein ovales Glasbild der Muttergottes eingewachsen war.
     An  den  Mauern  wuchsen kьmmerliche Ligusterstauden, die  Blдtter fast
schwarz vom fallenden RuЯ.
     Ringsum die  Gitter  der  Zellen, aus  denen  zuweilen  ein  kittgraues
Gesicht mit blutleeren Lippen herunterschaute.
     Dann ging's  wieder hinauf in die gewohnten  Grьfte zu Brot, Wasser und
Wurstabsud und sonntags zu faulenden Linsen.
     Erst einmal war ich wieder vernommen worden:
     Ob  ich  Zeugen  hдtte,  daЯ mir  "Herr"  Wassertrum angeblich  die Uhr
geschenkt habe?
     "Ja: Herrn Schemajah Hillel  - - das heiЯt - nein" (ich erinnerte mich,
er  war nicht dabei gewesen) - - "aber Herr Charousek" - (nein, auch er  war
ja nicht dabei).
     "Kurz: also niemand war dabei?"
     "Nein, niemand war dabei, Herr Untersuchungsrichter."
     Wieder das Gemecker hinter dem Schreibtisch und wieder das:
     "Fьhren Sie den Mann hinaus, Gefangenwдrter!" - - -
     Meine Besorgnis um Angelina war einer dumpfen Resignation gewichen: Der
Zeitpunkt, wo ich um sie zittern  muЯte,  war vorьber. Entweder  Wassertrums
Racheplan war lдngst geglьckt, oder Charousek hatte eingegriffen, sagte  ich
mir.
     Aber die Sorge um Mirjam trieb mich jetzt fast zum Wahnsinn.
     Ich stellte mir vor,  wie sie Stunde um Stunde darauf wartete, daЯ sich
das  Wunder  erneuere,  -  wie  sie frьh am  Morgen,  wenn  der Bдcker  kam,
hinauslief  und  mit  bebenden  Hдnden  das  Brot  untersuchte,  -  wie  sie
vielleicht um meinetwillen vor Angst verging.
     Oft  in  der Nacht peitschte es mich aus dem Schlaf, und ich  stieg auf
das  Wandbrett und starrte empor zu  dem  kupfernen  Gesicht der Turmuhr und
verzehrte  mich in dem Wunsch, meine Gedanken mцchten zu Hillel  dringen und
ihm ins Ohr  schreien, er solle Mirjam  helfen  und sie erlцsen von der Qual
des Hoffens auf ein Wunder.
     Dann wieder warf ich mich auf das Stroh und hielt den Atem an, bis  mir
die Brust fast  zersprang, -  um das  Bild meines  Doppelgдngers vor mich zu
zwingen, damit ich ihn zu ihr schicken kцnnte als einen Trost.
     Und  einmal  war  er  auch  erschienen  neben  meinem  Lager  mit   den
Buchstaben: Chabrat Zereh  Aur  Bocher in Spiegelschrift auf der Brust,  und
ich wollte aufschreien vor Jubel, daЯ jetzt alles wieder gut wьrde,  aber er
war in den Boden versunken, noch ehe ich ihm den Befehl geben konnte, Mirjam
zu erscheinen. - - -
     DaЯ ich so gar keine Nachricht bekam von meinen Freunden!
     Ob  es denn verboten sei,  einem Briefe zu  schicken? fragte ich  meine
Zellengenossen.
     Sie wuЯten es nicht.
     Sie hдtten noch nie welche bekommen - allerdings wдre  auch niemand da,
der ihnen schreiben kцnnte, sagten sie.
     Der Gefangenwдrter versprach mir, sich gelegentlich zu erkundigen.
     Meine  Nдgel  waren  rissig  geworden   vom  AbbeiЯen   und  mein  Haar
verwildert, denn Schere, Kamm und Bьrste gab es nicht.
     Auch kein Wasser zum Waschen.
     Fast ununterbrochen kдmpfte  ich mit Brechreiz, denn der Wurstabsud war
mit  Soda gewьrzt  statt  mit Salz.  - -  Eine  Gefдngnisvorschrift, um  dem
"Ьberhandnehmen des Geschlechtstriebs vorzubeugen."
     Die Zeit verging in grauer, furchtbarer Eintцnigkeit.
     Drehte sich wie im Kreis wie ein Rad der Qual.
     Da gab es die gewissen  Momente, die jeder von uns kannte, wo plцtzlich
einer oder der andere aufsprang und stundenlang auf und nieder lief  wie ein
wildes Tier, um sich dann wieder gebrochen auf die Pritsche fallen zu lassen
und stumpfsinnig weiter zu warten - zu warten - zu warten.
     Wenn der Abend kam, zogen die Wanzen in Scharen gleich Ameisen ьber die
Wдnde  und  ich  fragte mich  erstaunt, warum denn der  Kerl  in  Sдbel  und
Unterhosen mich  so gewissenhaft ausgeforscht  habe, ob ich kein  Ungeziefer
hдtte.
     Fьrchtete  man  vielleicht  im Landesgericht,  es  kцnne  eine Kreuzung
<i>fremder</i> Insektenrassen entstehen?
     Mittwoch  vormittags  kam  gewцhnlich  ein   Schweinskopf   herein  mit
Schlapphut  und zuckenden Hosenbeinen: der Gefдngnisarzt Dr. Rosenblatt, und
ьberzeugte sich, daЯ alle vor Gesundheit strotzten.
     Und wenn einer sich beschwerte, gleichgьltig worьber, so verschrieb  er
- Zinksalbe zum Einreiben der Brust.
     Einmal  kam auch der  Landgerichtsprдsident  mit - ein hochgewachsener,
parfьmierter Halunke der "guten Gesellschaft",  dem die gemeinsten Laster im
Gesicht geschrieben standen,  und sah nach, ob - alles  in  Ordnung sei: "ob
sich noch immer kaner derhenkt hobe", wie sich der Frisierte ausdrьckte.
     Ich war auf ihn zugetreten, um ihm  eine Bitte vorzutragen, da hatte er
einen  Satz  hinter  den  Gefangenwдrter  gemacht  und  mir  einen  Revolver
vorgehalten. - "Was ich denn wolle", schrie er mich an.
     Ob Briefe fьr  mich  da  seien, fragte ich hцflich. Statt  der  Antwort
bekam  ich einen StoЯ  vor die  Brust vom  Herrn Dr.  Rosenblatt, der gleich
darauf das Weite suchte. Auch der Herr Prдsident zog  sich zurьck und hцhnte
durch den Tьrausschnitt:  - ich solle  lieber den Mord gestehen. Eher bekдme
ich in diesem Leben keine Briefe.
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     Ich hatte mich lдngst an  die  schlechte Luft und die Hitze gewцhnt und
frцstelte bestдndig. Selbst, wenn die Sonne schien.
     Zwei  der  Gefangenen hatten schon  einige Male  gewechselt,  aber  ich
achtete  nicht  darauf.  Diese  Woche  waren  es  ein  Taschendieb  und  ein
Wegelagerer,  das  nдchste  Mal  ein  Falschmьnzer  oder   ein  Hehler,  die
hereingefьhrt wurden.
     Was ich gestern erlebte, war heute vergessen.
     Gegen  das  Wьhlen  der   Sorge  um   Mirjam  verblaЯten  alle  дuЯeren
Begebenheiten.
     Nur <i>ein</i> Ereignis  hatte sich mir tiefer eingeprдgt - es  verfolgte mich
zuweilen als Zerrbild bis in den Traum:
     Ich hatte  auf  dem Wandbrett gestanden,  um hinauf in  den  Himmel  zu
starren,  da fьhlte  ich plцtzlich,  daЯ mich ein spitzer Gegenstand  in die
Hьfte  stach, und  als  ich nachsah,  bemerkte ich, daЯ es die Feile gewesen
war, die sich  mir durch die  Tasche zwischen Rock und Futter gebohrt hatte.
Sie  muЯte schon  lange dort gesteckt haben, sonst hдtte sie der Mann in der
Flurstube gewiЯ bemerkt.
     Ich zog sie heraus und warf sie achtlos auf meinen Strohsack.
     Als  ich dann  herunterstieg, war  sie verschwunden, und ich  zweifelte
keinen Augenblick, daЯ nur Loisa sie genommen haben konnte.
     Einige Tage  spдter  holte man ihn aus  der  Zelle,  um ihn einen Stock
tiefer unterzubringen.
     Es  dьrfe nicht  sein, daЯ zwei  Untersuchungsgefangene, die  desselben
Verbrechens beschuldigt wдren, wie er und ich,  in der gleichen Zelle sдЯen,
hatte der Gefangenwдrter gesagt.
     Aus ganzem Herzen wьnschte ich, es mцchte dem armen Burschen  gelingen,
sich mit Hilfe der Feile zu befreien.
        Mai
     Auf meine Frage, welches Datum denn wдre - die Sonne schien so warm wie
im  Hochsommer  und der mьde Baum im Hof trieb ein paar Knospen - hatte  der
Gefangenwдrter zuerst  geschwiegen, dann aber mir  zugeflьstert, es  sei der
15. Mai. Eigentlich  dьrfe er es nicht sagen,  denn es sei verboten, mit den
Gefangenen  zu sprechen, - insbesondere solche,  die  noch  nicht  gestanden
hдtten, mьЯten hinsichtlich der Zeit im unklaren gehalten werden.
     Drei volle Monate war ich  also schon im Gefдngnis und noch immer keine
Nachricht aus der Welt da drauЯen!
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     Wenn  es  Abend wurde,  drangen leise Klдnge eines  Klaviers durch  das
Gitterfenster, das jetzt an warmen Tagen offen war.
     Die  Tochter  des  BeschlieЯers  unten spiele,  hatte mir ein Strдfling
gesagt.
     Tag und Nacht trдumte ich von Mirjam.
     Wie es ihr wohl ging?!
     Zuzeiten hatte ich das trцstliche  Gefьhl, als seien meine  Gedanken zu
ihr gedrungen  und  stьnden an ihrem Bette, wдhrend sie  schlief, und legten
ihr lindernd die Hand auf die Stirne.
     Dann wieder, in Momenten der  Hoffnungslosigkeit,  wenn einer nach  dem
andern meiner Zellengenossen  zum Verhцr gefuhrt  wurde, - nur  ich nicht, -
drosselte mich eine dumpfe Furcht, sie sei vielleicht schon lange tot.
     Da stellte ich dann Fragen an  das Schicksal,  ob sie  noch  lebe  oder
nicht, krank sei oder gesund, und  die Anzahl einer Handvoll  Halme, die ich
aus dem Strohsack riЯ, sollte mir Antwort geben.
     Und fast jedesmal "ging  es  schlecht aus",  und ich  wьhlte in  meinem
Innern  nach einem Blick in die Zukunft; - suchte  meine Seele, die  mir das
Geheimnis verbarg, zu ьberlisten durch die scheinbar abseits liegende Frage,
ob wohl fьr mich dereinst noch ein Tag kommen wьrde,  wo ich heiter sein und
wieder lachen kцnnte.
     Immer  bejahte das  Orakel in solchen  Fдllen, und  dann  war ich  eine
Stunde lang glьcklich und froh.
     Wie eine Pflanze heimlich wдchst und sproЯt, war allmдhlich in mir eine
unbegreifliche, tiefe  Liebe zu Mirjam erwacht, und ich faЯte es  nicht, daЯ
ich so  oft hatte bei  ihr  sitzen und mit ihr reden kцnnen, ohne mir damals
schon klar darьber geworden zu sein.
     Der zitternde Wunsch, daЯ auch sie mit gleichen Gefьhlen an mich denken
mцchte,  steigerte  sich in  solchen  Augenblicken  oft  bis zur Ahnung  der
GewiЯheit,  und  wenn  ich  dann auf dem Gange  drauЯen einen Schritt hцrte,
fьrchtete ich mich  beinahe  davor, man kцnnte mich holen und freilassen und
mein  Traum  wьrde  in  der groben  Wirklichkeit  der  AuЯenwelt  in  nichts
zerrinnen.
     Mein Ohr war  in  der langen Zeit der Haft so scharf  geworden, daЯ ich
auch das leiseste Gerдusch vernahm.
     Jedesmal  bei  Anbruch  der  Nacht  hцrte ich in  der Ferne einen Wagen
fahren und zergrьbelte mir den Kopf, wer wohl dann sitzen mцchte.
     Es lag etwas seltsam Fremdartiges in dem Gedanken,  daЯ es Menschen gab
da drauЯen, die  tun und lassen durften, was sie wollten, -  die  sich  frei
bewegen  konnten  und  da und  dort  hingehen,  und  es  dennoch  nicht  als
unbeschreiblichen Jubel empfanden.
     DaЯ  auch ich jemals wieder so  glьcklich werden wьrde, im Sonnenschein
durch die StraЯen wandern zu kцnnen; - - ich war nicht mehr imstande, es mir
vorzustellen.
     Der Tag, an dem ich Angelina in den Armen gehalten,  schien  mir  einem
lдngstverflossenen Dasein anzugehцren; - ich dachte daran  zurьck mit  jener
leisen Wehmut, wie sie einen beschleicht, wenn  man ein  Buch aufschlдgt und
findet  dann welke Blumen, die einst  die Geliebte der Jugendjahre  getragen
hat.
     Ob wohl  der alte Zwakh  noch immer Abend fьr Abend mit Vrieslander und
Prokop  beim  "Ungelt" saЯ  und  der vertrockneten Eulalia  das  Hirn konfus
machte?
     Nein, es  war  doch Mai: - die Zeit, wo er mit seinem Marionettenkasten
durch  die Provinznester zog und  auf grьnen Wiesen vor den Toren den Ritter
Blaubart spielte.
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     Ich  saЯ  allein  in  der Zelle. -  Vуssatka,  der  Brandstifter,  mein
einziger  Gefдhrte  seit   einer  Woche,  war  vor  ein  paar   Stunden  zum
Untersuchungsrichter geholt worden.
     Merkwьrdig lange dauerte diesmal sein Verhцr.
     Da.   Die   eiserne  Vorlegestange  klirrte   an  der   Tьr.  Und   mit
freudestrahlender Miene stьrmte Vуssatka herein, warf ein Bьndel Kleider auf
die Pritsche und begann, sich mit Windeseile umzukleiden.
     Den  Strдflingsanzug warf er Stьck  fьr  Stьck  mit einem Fluch auf den
Boden.
     "Nix hamms mer beweisen kцnna, dц Hallodri. - Brandstiftung! - Ja doder
-" er zog mit dem Zeigefinger an seinem unteren Augenlid. "Auf den schwarzen
Vуssatka sans jung. -  Der Wind war's, hab i g'sagt.  Und bi fest blimm. Den
kennens iazt eispirrn, wanns'n derwischen  - den Herrn von Wind. - No servus
heit abend!  - Do werd aufdraht. Beim  Loisitschek." - Er breitete die  Arme
aus und  tanzte einen "G'strampften". - "Nur einmahl  im Lebцhn blie-het der
Mai." Er stьlpte sich mit einem Krach einen steifen Deckel mit einer kleinen
blaugesprenkelten NuЯhдherfeder darauf ьber den Schдdel. - "Ja, richtig, das
wird Ihna intrissirn, Herr Graf: wissens was Neies?  Eana Freund, der Loisa,
is ausbrochen! - Grad hab i's erfahrehn oben bei die Hallodri. Schon vurigen
Monat -  gegen  Uldimoh  hat  er das Weide gesucht  und  ist  lдngst ieber -
pbhuit" - er  schlug sich mit den Fingern auf den  Handrьcken - "ieber  alle
Bergцh." -
     "Aha, die Feile", dachte ich mir und lдchelte.
     "Alsdann  haltens   Ihna  jetzt  auch  bald   dazu,  Herr  Graf,"   der
Brandstifter streckte mir kameradschaftlich die Hand hin, "daЯ Sie mцglichst
bei Zeitцhn freikommen. -  Und wenn Sie  mal kein Geld  nicht habehn, fragen
Sie  sich  nur beim  Loisitschek nach  dem schwarzen Vуssatka. - Kennte mich
jedes  Mдdel  durten.  So!  -  Alsdann  Servus,  Herr  Graf.  War   mir  ein
Vergniegen."
     Er  stand noch in der  Tьre,  da schob  der  Wдrter schon  einen  neuen
Untersuchungsgefangenen in die Zelle.
     Auf  den  ersten   Blick  erkannte  ich  in  ihm  den  Schlot  mit  der
Soldatenmьtze, der einmal  neben  mir  bei  Regenwetter in dem Torbogen  der
HahnpaЯgasse  gestanden hatte. Eine  freudige Ьberraschung! Vielleicht wuЯte
er zufдllig etwas ьber Hillel und Zwakh und alle die andern?
     Ich wollte  sofort  anfangen, ihn auszufragen, aber zu  meinem  grцЯten
Erstaunen  legte  er mit geheimnisvoller Miene  den Finger an  den Mund  und
bedeutete mir, ich solle schweigen.
     Erst   als  die  Tьr  von  auЯen   abgesperrt   und  der   Schritt  des
Gefangenwдrters auf dem Gange verhallt war, kam Leben in ihn.
     Mir schlug das Herz vor Aufregung.
     Was sollte das bedeuten?
     Kannte er mich denn, und was wollte er?
     Das erste, was der Schlot tat, war, daЯ er sich niedersetzte und seinen
linken Stiefel auszog.
     Dann zerrte er mit den Zдhnen einen Stцpsel aus dem Absatz, entnahm dem
entstandenen Hohlraum  ein kleines gebogenes Eisenblech, riЯ die anscheinend
nur locker befestigte Schuhsohle ab und reichte mir beides mit stolzer Miene
hin. -
     Alles in  Windeseile und  ohne auf meine  erregten  Fragen auch  nur im
geringsten zu achten.
     "So! Einen schцnen GruЯ vom Herrn Charousek."
     Ich war so verblьfft, daЯ ich kein Wort herausbringen konnte. -
     "Brauchens'  bloЯ Eisenblechl nдhmen und Sohlen ausanand brechen in der
Nacht.  Oder wann  sunst niemand siecht. -  Ise  nдmlich  hohl  inewдndig" -
erklдrte der Schlot mit ьberlegener Miene,  "und finden  Sie sich drinn eine
Brieffel von Herrn Charousek."
     Im ЬbermaЯ meines Entzьckens fiel ich  dem Schlot um den Hals, und  die
Trдnen stьrzten mir aus den Augen.
     Er wehrte mich voll Milde ab und sagte vorwurfsvoll:
     "Missen sich mehr zusammennдhmen, Herr von Pernath! Mir habens me nicht
eine Minutten zum Zeitverlieren. Es  kann sich soffort herauskommen, daЯ ich
in  der falschen  Zellen bin. Der Franzl und  ich habens me unt beim Pordjцh
die Nummern mitsamm vertauscht." -
     Ich muЯte wohl ein sehr  dummes Gesicht gemacht  haben, denn der Schlot
fuhr fort:
     "Wann Sie das  auch  nicht verstдhn,  macht  nix. Kurz:  ich bin  hier,
Pasta!"
     "Sagen Sie doch," fiel ich ihm ins Wort, "sagen Sie doch, Herr - - Herr
- - -"
     "Wenzel," - half mir der Schlot aus, "ich heiЯe der schцne Wenzel."
     "Sagen Sie mir  doch,  Wenzel, was  macht der Archivar  Hillel, und wie
geht es seiner Tochter?"
     "Dazu ist jetz  keine Zeit  nicht", unterbrach  mich der  schцne Wenzel
ungeduldig. "Ich kann ich doch im nдxen Augenblick herausgeschmissen werden.
- Also: ich bin ich hier, weil ich einen Raubanfall extra eingestanden hab -
-"
     "Was, Sie haben bloЯ meinetwegen, und um zu mir kommen zu kцnnen, einen
Raubanfall begangen, Wenzel?" fragte ich erschьttert.
     Der Schlot schьttelte verдchtlich den  Kopf:  "Wenn ich  wirklich einen
Raub  anf all  <i>begangen</i>  hдtt, mecht ich  ihm  doch  nicht  <i>eingestдhen.</i> Was
glauben Sie von mir!?"
     Ich verstand allmдhlich: - der brave Kerl hatte eine List gebraucht, um
mir den Brief Charouseks ins Gefдngnis zu schmuggeln.
     "So; zuverderscht" - er machte ein дuЯerst wichtiges Gesicht - "muЯ ich
Ihnen Unterricht in der Ebilebsie gдben."
     "Worin?"
     "In der Ebilebsie! - Gдbm S' amal  scharf Obacht und merkens Ihna alles
genau! - Alsdann schaugens hдr: Zuerscht macht me Speichel  in der Goschen;"
- er blies die Backen auf und bewegte sie hin und her, wie  jemand, der sich
den Mund ausspьlt -  "dann kriegt  me Schaum vorm Maul, sengen S' so": -  er
machte auch dies. Mit widerwдrtiger  Natьrlichkeit. "Nachhe  drehte  ma  die
Daumen  in  die Faust.  - Nachhe  kugelt  me  die Augen raus" - er  schielte
entsetzlich  - "und dann - das ise sich bisl schwдr  - stoЯt me so  halbeten
Schrei aus. Segen S',  so: Bц - bц - bц, und gleichzeitig fallt me sich um."
Er  lieЯ sich der Lдnge  nach  zu Boden fallen, daЯ  das  Haus zitterte, und
sagte beim Aufstehen:
     "Das  ise  sich  die natierliche  Ebilebsie, wie's uns der  Dr. Hulbert
gottsдlig beim ›Bataljohn‹ gelernt hat."
     "Ja, ja,  es ist  tдuschend дhnlich," gab ich zu, "aber wozu dient  das
alles?"
     "Weil  Sie sich zuerscht aus  der  Zellen  rausmissen!",  erklдrte  der
schцne  Wenzel.  "Der Dr. Rosenblatt is doch ein Mordsochs! Wenn einer schon
gar  kan Kopf  mehr  hat, sagt  der Rosenblatt immer noch: der Mann ise sich
pumperlgesund! - Nur vor die Ebilebsie hat e' an Viechsrдschpдkt.  Wann aner
daas gut  kann: gleich ise drieben  in der Krankenzelle. - - Und da ise sich
das Ausbrechen  dann ein Kinderspielzeug;" -  er wurde tief  geheimnisvoll -
"den  Fenstergitter  in  der  Krankenzelle ise  nдmlich durchgesдgt  und nur
schwach  mit  Dreck  zusammengepappt.  - Es ise sich das ein  Geheimnis  vom
Bataljohn!  - Sie  brauchen dann  bloЯ ein paar Nдchte scharf aufpassen und,
wenn Sie eine Seilschlingen vom Dach herunter bis vors Fenster kommen segen,
heben Sie  leise  den Gitter aus, damit niemand nicht aufwacht, steckens die
Schultern in die Schlinge, und mir  ziegen Ihnen hinauf aufs Dach und lassen
Ihnen auf der andern Seiten hinunter auf die StraЯen. - Pasta."
     "Weshalb  soll  ich  denn aus dem  Gefдngnis  ausbrechen?"  wandte  ich
schьchtern ein, "ich bin doch unschuldig."
     "Das ise doch kein  Grund, um nicht auszubrechen!", widerlegte mich der
schцne Wenzel und machte vor Erstaunen kreisrunde Augen.
     Ich muЯte  meine ganze Beredsamkeit aufbieten,  um ihm  den  verwegenen
Plan, der, wie er sagte,  das Resultat eines  "Bataillons" beschlusses  war,
auszureden.
     DaЯ ich  "die Gabe Gottes" von der Hand wies und  lieber warten wollte,
bis ich von selbst freikommen wьrde, war ihm unbegreiflich.
     "Jedenfalls  danke  ich  Ihnen  und  Ihren  braven  Kameraden  auf  das
allerherzlichste,"  sagte ich gerьhrt und drьckte  ihm  die Hand. "Wenn  die
schwere Zeit  fьr  mich vorьber  ist, wird es mein erstes  sein,  mich Ihnen
allen erkenntlich zu zeigen."
     "Ise gar nicht nдtig", lehnte Wenzel freundlich ab.  "Wann Sie ein paar
Glas  ›Pils‹  zahlen,  nдhmen  wir  sich dankbar  an,  abe  sunst  nix.  Pan
Charousek, was ise jetz Schatzmistr vom Bataljohn hat  e' uns schon erzдhlt,
was Sie fьr ein heimlicher Wohltдter  sin. Soll ich ihm was ausrichten, wenn
ich in paar Tдg wieder herauskomm?"
     "Ja, bitte," fiel  ich rasch ein, "sagen Sie ihm, er mцchte  zu  Hillel
gehen und ihm mitteilen, ich hдtte  soviel Angst wegen der Gesundheit seiner
Tochter Mirjam. Herr Hillel solle sie nicht aus den  Augen  lassen. - Werden
Sie sich den Namen merken?: <i>Hillel!</i>"
     "Hirrдl?"
     "Nein: Hillel."
     "Hillдr?"
     "Nein: Hill-el."
     Wenzel  zerbrach  sich  fast die  Zunge  an  dem  fьr  einen  Tschechen
unmцglichen  Namen,  aber  schlieЯlich  bewдltigte  er ihn doch unter wilden
Grimassen.
     "Und dann noch eins: Herr Charousek  mцge - ich lasse ihn herzlich drum
bitten - sich auch, soweit es in seiner Macht steht, der "vornehmen  Dame" -
er weiЯ schon, wer darunter zu verstehen ist - annehmen."
     "Sie meinen  sich  wahrscheinlich  die  adlige Flietschen,  die was  da
Gspusi  ghabt hat mit dem Niemetz - dem Dr. Sapoli? - No, die hat  sich doch
scheiden lassen und ise mit dem Kind und dem Sapoli fьrt."
     "Wissen Sie das bestimmt?"
     Ich fьhlte  meine Stimme  zittern. So sehr ich mich um Angelinas willen
freute, - es krampfte mir doch das Herz zusammen.
     Wieviel Sorge hatte  ich  ihretwegen getragen und  jetzt  - - - war ich
vergessen.
     Vielleicht glaubte sie, ich sei wirklich ein Raubmцrder.
     Ein bitterer Geschmack stieg mir in die Kehle.
     Der  Schlot schien  mit  dem  Feingefьhl,  das  verwahrlosten  Menschen
seltsamerweise eigen ist bei allen Dingen, die sich um Liebe drehen, erraten
zu  haben,  wie  mir zumute  war, denn er  blickte scheu weg und  antwortete
nicht.
     "Wissen Sie vielleicht auch, wie es Herrn Hillels Tochter, dem Frдulein
Mirjam geht? Kennen Sie sie?", fragte ich gepreЯt.
     "Mirjam? Mirjam?" - Wenzel legte sein Gesicht in nachdenkliche Falten -
"Mirjam? - Gдht sich die цfters in der Nacht zum Loisitschek?"
     Ich muЯte unwillkьrlich lдcheln. "Nein. Ganz bestimmt nicht."
     "Dann kenn ich sie nicht", sagte Wenzel trocken.
     Wir schwiegen eine Weile.
     Vielleicht steht in dem Briefchen etwas ьber sie, hoffte ich.
     "DaЯ  den Wassertrum  der Deiwel  g'holt  hat",  fing  Wenzel plцtzlich
wieder an, "wдrden Sie sich wohl schon gehдrt haben?"
     Ich fuhr entsetzt auf.
     "No ja." - Wenzel deutete auf seine Kehle. - "Murxi, murxi! Ich sag ich
Ihnдn; es war Ihnдn  schaislich. Wie sie den  Laden aufgebrochen haben, weil
er sich  paar Tдg nicht hat segen lassen, war  ich  natierlich  der  erschte
drin;  - wie denn nicht! - Und da hat e' durten g'sдssen, der Wassertrum, in
einem  dreckigen Lдhnsessel,  die  Brust voller  Blut und die Augen  wie aus
Glas. -  -  - Wissen S',  ich bin ich  ein handfeste Kerl, aber mir hat sich
alles gedrдht,  sag ich Ihnдn, und ich hab' gemeint, ich  hau ich ohnmдchtig
hi-iin. Furt' a  furt' hab' ich  mir vorsagen missen:  Wenzel,  hab' ich mir
vorg'sagt, Wenzel, reg'  dich nicht auf, es is doch bloЯ ein toter Jud. - Er
hat  eine  Feile  in der Kehle stecken  gehabt und im Laden  war  sich alles
umedum geschmissen. - Ein Raubmord natierlich."
     "Die  Feile! Die  Feile!"  Ich fьhlte, wie mir der  Atem kalt wurde vor
Grausen. Die Feile! So hatte sie also doch ihren Weg gefunden!
     "Ich weiЯ ich auch, wer's war", fuhr Wenzel  nach  einer Pause halblaut
fort. "Niemand anders, sag  ich Ihnдn,  als der blattersteppige Loiso. - Ich
hab'  ich  nдmlich sein Taschenmesser auf dem  Boden  im Laden entdeckt  und
rasch eing'stдckt,  damit sich die Polizei nicht  draufkommt.  - Er ise sich
durch  einen unterirdischen Gang in den Laden - - -" er brach mit einem Ruck
seine Rede  ab und horchte ein paar Sekunden lang  angestrengt, dann warf er
sich auf die Pritsche und fing an, fьrchterlich zu schnarchen.
     Gleich  darauf klirrte das  VorhдngeschloЯ und der Gefдngniswдrter  kam
herein und musterte mich argwцhnisch.
     Ich machte ein teilnahmsloses Gesicht und Wenzel war kaum zu erwecken.
     Erst  nach  vielen  Pьffen richtete er sich  gдhnend auf und  taumelte,
gefolgt von dem Wдrter, schlaftrunken hinaus.
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     Fiebernd vor Spannung faltete ich Charouseks Brief auseinander und las:
     Den 12. Mai.
     "Mein lieber armer Freund und Wohltдter!"
     Woche um Woche habe ich gewartet, daЯ  Sie endlich freikommen wьrden, -
immer   vergebens,   -   habe   alle   mцglichen   Schritte   versucht,   um
Entlastungsmaterial fьr Sie zu sammeln, aber ich fand keins.
     Ich bat den Untersuchungsrichter,  das Verfahren zu beschleunigen, aber
jedesmal  hieЯ es, er kцnne nichts tun - es sei Sache der Staatsanwaltschaft
und nicht die seinige.
     Amtsschimmel!
     <i>Eben erst, vor  einer Stunde,</i> gelang mir jedoch etwas, von  dem ich mir
den  <i>besten</i> Erfolg erhoffe:  ich habe erfahren, daЯ  Jaromir  dem Wassertrum
eine goldene Taschenuhr, die er nach der damaligen Verhaftung seines Bruders
Loisa in dessen Bett gefunden hatte, verkauft hat.
     Beim ›Loisitschek‹, wo, wie  Sie wissen, die Detektivs verkehren,  geht
das Gerьcht,  man hдtte die Uhr  des angeblich ermordeten  Zottmann - dessen
Leiche ьbrigens noch immer nicht entdeckt ist - als <i>corpus delicti</i> bei <i>Ihnen</i>
gefunden. Das ьbrige reimte ich mir zusammen: Wassertrum <i>et cetera</i>!
     Ich habe mir Jaromir sofort vorgenommen,  ihm 1000 fl gegeben -  -" Ich
lieЯ den Brief sinken, und die Freudentrдnen traten mir in  die  Augen:  nur
Angelina konnte Charousek die Summe gegeben haben. Weder Zwakh, noch Prokop,
noch Vrieslander besaЯen  so viel  Geld.  Sie hatte  mich  also  doch  nicht
vergessen! - Ich las weiter:
     "- 1000 fl gegeben und ihm weitere 2000 fl versprochen, wenn er mit mir
sofort zur Polizei  ginge und eingestьnde,  die Uhr  seinem  Bruder zu Hause
entwendet und verkauft zu haben.
     Das alles  kann  aber erst  geschehen, wenn dieser  Brief durch  Wenzel
bereits an Sie unterwegs ist. Die Zeit reicht nicht aus.
     Aber seien Sie versichert: es  <i>wird</i>  geschehen.  <i>Heute</i> noch.  Ich bьrge
Ihnen dafьr.
     Ich zweifle keinen Augenblick, daЯ Loisa den Mord begangen  hat und die
Uhr die Zottmanns ist.
     Sollte sie es wider Erwarten nicht sein,  - nun, dann weiЯ Jaromir, was
er  zu tun  hat:  -  <i>Jedenfalls  wird er  sie als die  bei  Ihnen  gefundene
agnoszieren.</i>
     Also  harren Sie aus und verzweifeln Sie  nicht!  Der  Tag, wo Sie frei
sein werden, steht vielleicht bald bevor.
     Ob trotzdem ein Tag kommen wird, wo wir uns wiedersehen?
     Ich weiЯ es nicht.
     Fast mцchte ich sagen: <i>ich glaube es nicht, denn mit  mir  geht's rasch
zu  Ende, und  ich muЯ auf  der  Hut sein, daЯ mich die letzte Stunde  nicht
ьberrascht</i>.
     Aber eins halten Sie fest: wir <i>werden</i> uns wiedersehen.
     Wenn auch nicht in <i>diesem</i> Leben und nicht wie die Toten <i>in jenem</i> Leben,
aber an dem Tag, wo die Zeit zerbricht, - wo, wie es in der Bibel steht, der
HERR <i>die</i> ausspeien wird aus seinem Munde, die lau waren und weder  kalt noch
warm. - - -
     Wundern Sie  sich nicht, daЯ ich so  rede! Ich habe  nie mit Ihnen ьber
diese Dinge gesprochen und, als Sie einmal das Wort ›Kabbala‹ berьhrten, bin
ich Ihnen ausgewichen, aber - ich weiЯ, was ich weiЯ.
     Vielleicht verstehen Sie, was ich meine,  und wenn nicht, so  streichen
Sie, ich bitte Sie darum, das, was ich gesagt habe, aus Ihrem  Gedдchtnis. -
- Einmal, in meinen Delirien, glaubte ich  - ein  Zeichen auf Ihrer Brust zu
sehen. - Mag sein, daЯ ich wach getrдumt habe.
     Nehmen Sie  an, wenn Sie mich wirklich nicht verstehen sollten, daЯ ich
gewisse Erkenntnisse gehabt habe - innerlich! - fast schon von  Kindheit an,
die  mich einen seltsamen Weg gefьhrt haben; - Erkenntnisse, die  sich nicht
decken mit dem,  was die Medizin lehrt oder Gott sei  Dank  noch nicht weiЯ;
hoffentlich auch nie erfahren wird.
     Aber ich habe mich nicht dumm machen lassen von der Wissenschaft, deren
hцchstes Ziel es ist, einen - ›Wartesaal‹ auszustaffieren, den man am besten
niederrisse.
     Doch genug davon.
     Ich will Ihnen erzдhlen, was sich inzwischen zugetragen hat:
     Ende  April  war  Wassertrum  so  weit, daЯ meine Suggestion anfing  zu
wirken.
     Ich sah es daran, daЯ er auf der Gasse bestдndig gestikulierte und laut
mit sich selbst sprach.
     So etwas ist ein sicheres Zeichen, daЯ die Gedanken eines Menschen sich
zum Sturm rotten, um ьber ihren Herrn herzufallen.
     Dann kaufte er sich ein Taschenbuch und machte sich Notizen.
     Er schrieb!
     Er schrieb! DaЯ ich nicht lache! Er <i>schrieb.</i>
     Und dann ging er zu einem Notar. Unten vor dem Hause wuЯte  ich, was er
oben machte: - er machte sein Testament.
     DaЯ er mich zum Erben einsetzte, habe ich mir allerdings nicht gedacht.
Ich  hдtte wahrscheinlich den  Veitstanz  bekommen vor Vergnьgen, wenn's mir
eingefallen wдre.
     Er setzte mich zum Erben ein, weil ich der einzige auf der Erde bin, an
dem er  noch etwas gutmachen kцnnte,  wie er glaubte. Das  Gewissen hat  ihn
ьberlistet.
     Vielleicht war's auch die Hoffnung, ich wьrde ihn segnen, wenn ich mich
nach seinem Tode  durch seine Huld plцtzlich als Millionдr sдhe, und dadurch
den Fluch wettmachen, den er in Ihrem Zimmer aus meinem Mund hat mit anhцren
mьssen.
     Dreifach hat demnach meine Suggestion gewirkt.
     Rasend witzig,  daЯ er heimlich  also doch an eine Wiedervergeltung  im
Jenseits geglaubt  hat, wдhrend  er sich's  das  ganze  Leben  lang mьhselig
ausreden wollte.
     Aber  so ist's  bei allen den Ganzgescheiten; man sieht es schon an der
wahnwitzigen Wut, in die sie geraten, wenn man's ihnen ins Gesicht sagt. Sie
fьhlen sich ertappt.
     Von dem Moment an, wo Wassertrum vom Notar ka