m, lieÏ ich ihn nicht mehr
aus dem Auge.
Des Nachts horchte ich an den Verschlagbrettern seines Ladens, denn
jede Minute konnte die Entscheidung fallen. -
Ich glaube, durch Mauern hindurch wìrde ich das ersehnte schnalzende
GerÔusch gehært haben, wenn er den Stæpsel aus der Giftflasche gezogen
hÔtte.
Es fehlte vielleicht nur eine Stunde, und mein Lebenswerk war
vollbracht.
Da griff ein Unberufener ein und ermordete ihn. Mit einer Feile.
Lassen Sie sich das NÔhere von Wenzel erzÔhlen, mir wird es zu bitter,
alles das niederschreiben zu mìssen.
Nennen Sie es Aberglaube, - aber, wie ich sah, daÏ Blut vergossen
worden war - die Dinge im Laden waren befleckt davon, - kam es mir vor, als
sei mir seine Seele entwischt.
Etwas in mir, - ein feiner, untrìglicher Instinkt - sagt mir, daÏ es
nicht dasselbe ist, ob ein Mensch von fremder Hand stirbt oder von eigener:
- daÏ Wassertrum sein Blut mit sich in die Erde hÔtte nehmen mìssen, dann
erst wÔre meine Mission erfìllt gewesen. - Jetzt, wo es anders gekommen ist,
fìhle ich mich als AusgestoÏener, als ein Werkzeug, das nicht wìrdig
befunden wurde in der Hand des Todesengels.
Aber ich will mich nicht auflehnen. Mein HaÏ ist von der Art, die ìbers
Grab hinaus geht, und noch habe ich ja mein eigenes Blut, das ich vergieÏen
kann, wie ich will, damit es dem seinigen nachgehe im Reich der Schatten auf
Schritt und Tritt. - - -
Jeden Tag, seit sie Wassertrum verscharrt haben, sitze ich drauÏen bei
ihm auf dem Friedhof und horche in meine Brust hinein, was ich tun soll.
Ich glaube, ich weiÏ es bereits, aber ich will noch warten, bis das
innere Wort, das zu mir spricht, klar wird wie eine Quelle. - Wir Menschen
sind unrein, und oft bedarf es langen Fastens und Wachens, bis wir das
Flìstern unserer Seele verstehen. - - -
In der verflossenen Woche wurde mir offiziell vom Gericht mitgeteilt,
daÏ mich Wassertrum zum Universalerben eingesetzt hat.
DaÏ ich fìr mich keinen Kreuzer davon anrìhre, brauche ich Ihnen wohl
nicht zu versichern, Herr Pernath. - Ich werde mich hìten, ›ihm‹ - fìr
›drìben‹ eine Handhabe zu geben.
Die HÔuser, die er besessen hat, lasse ich versteigern, die
GegenstÔnde, die er berìhrt hat, werden verbrannt, und was an Geld und
Geldeswert sich dann ergibt, fÔllt nach meinem Tode zu einem Drittel Ihnen
zu. -
Ich sehe im Geiste, wie Sie aufspringen und protestieren, aber ich kann
Sie beruhigen. Was Sie bekommen, ist Ihr rechtmÔÏiges Eigentum mit Zinsen
und Zinseszinsen. Schon lange wuÏte ich, daÏ Wassertrum vor Jahren Ihren
Vater und seine Familie um alles gebracht hat, - erst jetzt bin ich in der
Lage, es aktenmÔÏig nachweisen zu kænnen.
Ein zweites Drittel wird unter die zwælf Mitglieder des "Bataillons"
verteilt, die den Dr. Hulbert noch persænlich gekannt haben. Ich will, daÏ
jeder von ihnen reich wird und Zutritt bekommt zur Prager - "guten
Gesellschaft".
Das letzte Drittel gehært zu gleichen Teilen den nÔchsten sieben
Raubmærdern des Landes, die mangels zureichender Beweise freigesprochen
werden mìssen.
Ich bin das dem æffentlichen ´rgernis schuldig.
So. Das wÔre wohl alles.
Und jetzt, mein lieber, lieber Freund, leben Sie wohl und gedenken Sie
zuweilen
Ihres
aufrichtigen und dankbaren
Innocenz Charousek."
Tief erschìttert legte ich den Brief aus der Hand. Ich konnte mich
nicht freuen ìber die Nachricht von meiner bevorstehenden Enthaftung.
Charousek! Armer Mensch! Wie ein Bruder kìmmerte er sich um mein
Schicksal. BloÏ, weil ich ihm einst 100 fl geschenkt hatte. Wenn ich ihm nur
einmal noch die Hand drìcken kænnte!
Ich fìhlte: ja, er hatte recht; der Tag wìrde nie kommen.
Ich sah ihn vor mir: seine flackernden Augen, die schwindsìchtigen
Schultern, die hohe, noble Stirn.
Vielleicht, daÏ alles ganz anders gekommen wÔre, wenn eine hilfreiche
Hand rechtzeitig in dies verdorrte Leben eingegriffen hÔtte.
Noch einmal las ich den Brief durch.
Wieviel Methode in Charouseks Irrsinn lag! Ob er ìberhaupt irrsinnig
war?
Ich schÔmte mich beinahe, diesen Gedanken auch nur einen Augenblick
geduldet zu haben.
Sagten seine Anspielungen nicht genug? Er war ein Mensch wie Hillel,
wie Mirjam, wie ich selbst; ein Mensch, ìber den die eigene Seele Gewalt
gewonnen hatte, - den sie durch die wilden Schluchten und Klìfte des Lebens
emporfìhrte in die Firnenwelt eines unbetreten Landes.
Er, der doch ein ganzes Leben auf Mord gesonnen, stand er nicht reiner
da, als irgendeiner von denen, die naserìmpfend umhergehen und angelernte
Gebote eines unbekannten, mythischen Propheten zu befolgen vorgeben?
Er hielt das Gebot, das ihm ein ìbermÔchtiger Trieb diktierte, ohne an
eine "Belohnung" hier oder jenseits auch nur zu denken.
Was er getan hatte, war es etwas anderes als fræmmste Pflichterfìllung
in des Wortes verborgenster Bedeutung?
"Feig, hinterlistig, mordgierig, krank, eine problematische - eine
Verbrechernatur" - ich hærte færmlich, wie das Urteil der Menge ìber ihn
lauten muÏte, wenn sie mit ihren blinden Stallaternen in seine Seele
hineinzuleuchten kÔme, - dieser geifernden Menge, die nie und nimmer
begreifen wird, daÏ die giftige Herbstzeitlose tausendfach schæner und edler
ist als der nìtzliche Schnittlauch. - - -
Wieder ging das TìrschloÏ drauÏen, und ich hærte, daÏ man einen
Menschen hereinschob.
Ich drehte mich nicht einmal um, so sehr war ich erfìllt von dem
Eindruck des Briefes.
Kein Wort ìber Angelina, nichts von Hillel stand darin.
Freilich: Charousek muÏte in græÏter Eile geschrieben haben, die
Schrift verriet es mir.
Ob mir wohl noch ein Brief von ihm heimlich ìberbracht werden wìrde?
Ich hoffte heimlich auf den morgigen Tag, auf den gemeinsamen Rundgang
der Gefangenen im Hof. - Da war es noch am leichtesten, daÏ mir irgendeiner
vom "Bataillon" etwas zusteckte.
Eine leise Stimme schreckte mich aus meinen Grìbeleien:
"Wìrden Sie gestatten, mein Herr, daÏ ich mich Ihnen vorstelle? Mein
Name ist Laponder. Amadeus Laponder".
Ich drehte mich um.
Ein kleiner, schmÔchtiger, noch ziemlich junger Mann in gewÔhlter
Kleidung, nur ohne Hut, wie alle Untersuchungsgefangenen, verbeugte sich
korrekt vor mir.
Er war glattrasiert wie ein Schauspieler, und seine groÏen, hellgrìn
glÔnzenden, mandelfærmigen Augen hatten das Eigentìmliche an sich, daÏ, so
geradeaus sie auch auf mich gerichtet waren, sie mich doch nicht zu sehen
schienen. - Es lag so etwas wie - Geistesabwesenheit darin.
Ich murmelte meinen Namen und verbeugte mich ebenfalls und wollte mich
wieder umdrehen, konnte aber lange den Blick von dem Menschen nicht wenden,
so fremdartig wirkte er auf mich mit dem pagodenhaften LÔcheln, das die
aufwÔrts gezogenen Mundwinkel der feingeschwungenen Lippen bestÔndig seinem
Gesicht aufdrìckten.
Er sah fast aus wie eine chinesische Buddhastatue aus Rosenquarz, mit
seiner faltenlosen, durchsichtigen Haut, der mÔdchenhaft schmalen Nase und
den zarten Nìstern.
"Amadeus Laponder, Amadeus Laponder", wiederholte ich vor mich hin.
"Was er wohl begangen haben mag?"
Mond
"Waren Sie schon beim Verhær", fragte ich nach einer Weile.
"Ich komme soeben von dort. - Hoffentlich werde ich Sie hier nicht
lange inkommodieren mìssen", antwortete Herr Laponder liebenswìrdig.
"Armer Teufel," dachte ich mir, "er ahnt nicht, was einem
Untersuchungsgefangenen bevorsteht."
Ich wollte ihn langsam vorbereiten:
"Man gewæhnt sich allmÔhlich an das Stillsitzen, wenn einmal die
ersten, schlimmsten Tage vorìber sind." - - -
Er machte ein verbindliches Gesicht.
Pause.
"Hat das Verhær lange gedauert, Herr Laponder?"
Er lÔchelte zerstreut:
"Nein. Ich wurde bloÏ gefragt, ob ich gestÔndig sei, und muÏte das
Protokoll unterschreiben."
"Sie haben unterschrieben, daÏ Sie gestÔndig sind?" fuhr es mir heraus.
"Allerdings."
Er sagte es, als ob es sich von selbst verstìnde.
Es kann nichts Schlimmes sein, legte ich mir zurecht, weil er so gar
keine Aufregung zeigt. Wahrscheinlich eine Herausforderung zum Duell oder
etwas ´hnliches.
"Ich bin leider schon so lange hier, daÏ es mir wie ein Menschenleben
vorkommt"; - ich seufzte unwillkìrlich, und er machte sofort eine
teilnehmende Miene. "Ich wìnsche Ihnen, daÏ Sie das nicht mitzumachen
brauchen, Herr Laponder. Nach allem, was ich sehe, werden Sie bald auf
freiem FuÏ sein."
"Wie man's nimmt", antwortete er ruhig, aber es klang wie ein
versteckter Doppelsinn.
"Sie glauben nicht?", fragte ich lÔchelnd. Er schìttelte den Kopf.
"Wie soll ich das verstehen? - Was haben Sie denn gar so Schreckliches
begangen? Verzeihen Sie, Herr Laponder, es ist nicht Neugierde von mir, -
lediglich Teilnahme, daÏ ich frage."
Er zægerte einen Augenblick, dann sagte er, ohne mit der Wimper zu
zucken:
"Lustmord."
Mir war, als hÔtte er mich mit einem Stock ìber den Kopf geschlagen.
Vor Abscheu und Grausen konnte ich keinen Ton herausbringen.
Er schien es zu bemerken und blickte diskret zur Seite, aber nicht das
leiseste Minenspiel in seinem automatenhaft lÔchelnden Gesicht verriet, daÏ
er ìber mein plætzlich verÔndertes Benehmen verletzt gewesen wÔre.
Wir wechselten kein Wort weiter und blickten stumm aneinander vorbei. -
- -
Als ich mich nach Einbruch der Dunkelheit niederlegte, folgte er
sogleich meinem Beispiel, entkleidete sich, hÔngte sorgsam seine Kleider an
den Wandnagel, streckte sich aus und schien, nach seinen ruhigen, tiefen
Atemzìgen zu schlieÏen, unmittelbar darauf fest eingeschlafen zu sein.
Die ganze Nacht konnte ich nicht zur Ruhe kommen.
Das bestÔndige Gefìhl, ein solches Scheusal in meiner nÔchsten NÔhe zu
haben und dieselbe Luft mit ihm atmen zu mìssen, war mir so grÔÏlich und
aufregend, daÏ die Eindrìcke des Tages, Charouseks Brief und all das erlebte
Neue tief in den Hintergrund traten.
Ich hatte mich so gelegt, daÏ ich den Mærder bestÔndig im Auge behielt,
denn ich wìrde es nicht haben ertragen kænnen, ihn hinter mir zu wissen.
Die Zelle war vom Schimmer des Mondes matt durchdÔmmert, und ich konnte
sehen, daÏ Laponder regungslos, fast starr, dalag.
Seine Zìge hatten etwas Leichenhaftes bekommen, und der halbgeæffnete
Mund erhæhte diesen Eindruck.
Viele Stunden hindurch Ônderte er nicht ein einziges Mal seine Lage.
Erst spÔt nach Mitternacht, als ein dìnner Mondstrahl auf sein Gesicht
fiel, kam eine leise Unruhe ìber ihn und er bewegte unaufhærlich die Lippen,
wie jemand, der im Schlaf spricht. Es schien immer dasselbe Wort zu sein, -
ein zweisilbiger Satz vielleicht, - so wie:
"LaÏ mich. LaÏ mich, LaÏ mich."
Die nÔchsten paar Tage vergingen, ohne daÏ ich Notiz von ihm genommen
hÔtte, und auch er brach niemals das Schweigen.
Sein Benehmen blieb nach wie vor gleich liebenswìrdig. Sooft ich auf
und ab gehen wollte, sah er es mir sofort an und zog hæflich, wenn er auf
der Pritsche saÏ, die FìÏe zurìck, um mir nicht im Wege zu sein.
Ich fing an, mir Vorwìrfe wegen meiner Schroffheit zu machen, konnte
aber den Abscheu vor ihm beim besten Willen nicht loswerden.
So sehr ich gehofft hatte, mich an seine NÔhe gewæhnen zu kænnen, - es
ging nicht.
Selbst in den NÔchten hielt es mich wach. Kaum eine Viertelstunde
verbrachte ich im Schlaf.
Abend fìr Abend wiederholte sich haargenau derselbe Vorgang: Er wartete
respektvoll, bis ich mich ausstreckte, zog dann seine Kleider aus, legte sie
pedantisch in Falten, hÔngte sie auf, und so weiter und so weiter.
Eines Nachts - es mochte um die zweite Stunde sein - stand ich
schlaftrunken vor Mìdigkeit wieder auf dem Wandbrett, starrte in den
Vollmond, dessen Strahlen sich wie glitzerndes Æl auf dem kupfernen Gesicht
der Turmuhr spiegelten, und dachte voll Trauer an Mirjam.
Da hærte ich plætzlich leise ihre Stimme hinter mir.
Sofort war ich wach, ìberwach, - fuhr herum und horchte.
Eine Minute verging.
Schon glaubte ich, ich hÔtte mich getÔuscht, da kam es wieder. Ich
konnte die Worte nicht genau verstehen, aber es klang wie:
"Frag' mich. Frag' mich."
Es war bestimmt Mirjams Stimme.
Schlotternd vor Aufregung stieg ich, so leise ich konnte, herab und
trat an das Bett Laponders.
Das Mondlicht schien voll auf sein Gesicht, und ich konnte deutlich
unterscheiden, daÏ er die Lider offen hatte, doch nur das WeiÏe der AugÔpfel
war sichtbar.
An der Starre der Wangenmuskeln sah ich, daÏ er im Tiefschlaf lag.
Nur die Lippen bewegten sich wieder wie neulich. Und allmÔhlich
verstand ich die Worte, die hinter seinen ZÔhnen hervordrangen:
"Frag' mich. Frag' mich."
Die Stimme war der von Mirjam tÔuschend Ôhnlich.
"Mirjam? Mirjam?" rief ich unwillkìrlich, dÔmpfte aber sofort den Ton,
um den SchlÔfer nicht zu erwecken.
Ich wartete, bis sein Gesicht wieder starr geworden war, dann
wiederholte ich leise:
"Mirjam? Mirjam?"
Sein Mund formte ein kaum vernehmbares, aber doch deutliches:
"Ja."
Ich legte mein Ohr dicht an seine Lippen. Nach einer Weile hærte ich
Mirjams Stimme flìstern - so unverkennbar ihre Stimme, daÏ mir KÔlteschauer
ìber die Haut liefen.
Ich trank die Worte so gierig, daÏ ich nur den Sinn begriff. Sie sprach
von Liebe zu mir und von dem unsagbaren Glìck, daÏ wir uns endlich gefunden
hÔtten - und uns nie wieder trennen wìrden - hastig - ohne Pause, wie
jemand, der fìrchtet, unterbrochen zu werden und jede Sekunde ausnìtzen
will.
Dann wurde die Stimme stockend - erlosch zeitweilig ganz.
"Mirjam?" fragte ich, bebend vor Angst und mit eingezogenem Atem,
"Mirjam, bist du gestorben?"
Lange keine Antwort.
Dann fast unverstÔndlich:
"Nein. - Ich lebe. - Ich schlafe."
Nichts mehr.
Ich lauschte und lauschte.
Vergebens.
Nichts mehr.
Vor Ergriffenheit und Zittern muÏte ich mich auf die Kante der Pritsche
stìtzen, um nicht vornìber auf Laponder zu fallen.
Die TÔuschung war so vollstÔndig gewesen, daÏ ich Mirjam momentelang
tatsÔchlich vor mir liegen zu sehen glaubte und alle meine Kraft
zusammennehmen muÏte, um nicht einen KuÏ auf die Lippen des Mærders zu
drìcken.
"Henoch! Henoch!" - hærte ich ihn plætzlich lallen, dann immer klarer
und artikulierter: "Henoch! Henoch!"
Sofort erkannte ich Hillel.
"Bist du es, Hillel?"
Keine Antwort.
Ich erinnerte mich, gelesen zu haben, daÏ man Schlafenden, um sie zum
Reden zu bringen, die Fragen nicht ins Ohr stellen dìrfe, sondern gegen das
Nervengeflecht in der Magengrube richten mìsse.
Ich tat es:
"Hillel?"
"Ja, ich hære dich!"
"Ist Mirjam gesund? WeiÏt du alles?" fragte ich schnell.
"Ja. Ich weiÏ alles. WuÏte es lÔngst. - Sei ohne Sorge, Henoch, und
fìrchte dich nicht!"
"Kannst du mir verzeihen, Hillel?"
"Ich sage dir doch: sei ohne Sorge."
"Werden wir uns bald wiedersehen?" - Ich fìrchtete, die Antwort nicht
mehr verstehen zu kænnen; schon der letzte Satz war nur noch gehaucht
worden.
"Ich hoffe es. Ich will warten - auf dich - wenn ich kann - dann muÏ
ich - Land -"
"Wohin? In welches Land?" - ich fiel beinahe auf Laponder - "In welches
Land? In welches Land?"
"- Land - Gad - sìdlich - PalÔstina -"
Die Stimme erstarb.
Hundert Fragen schæssen mir in der Verwirrung durch den Kopf: Warum
nennt er mich Henoch? Zwakh, Jaromir, die Uhr, Vrieslander, Angelina,
Charousek.
"Leben Sie wohl und gedenken Sie meiner zuweilen", kam es plætzlich
wieder laut und deutlich von den Lippen des Mærders. Diesmal in Charouseks
Tonfall, aber Ôhnlich so, als hÔtte ich selbst es gesagt.
Ich erinnerte mich: es war wærtlich der SchluÏsatz aus Charouseks
Brief. -
Das Gesicht Laponders lag bereits im Dunkel. Das Mondlicht fiel auf die
Kopfenden des Strohsacks. In einer Viertelstunde muÏte es aus der Zelle
verschwunden sein.
Ich stellte Frage auf Frage, bekam aber keine Antwort mehr:
Der Mærder lag unbeweglich da wie eine Leiche und hatte die Lider
geschlossen.
Ich machte mir die heftigsten Vorwìrfe, alle die Tage ìber in Laponder
nur den Verbrecher und niemals den Menschen gesehen zu haben. -
Nach dem, was ich soeben erlebt, war er offenbar ein Somnambuler - ein
Geschæpf, das unter dem EinfluÏ des Vollmonds stand.
Vielleicht hatte er den Lustmord in einer Art DÔmmerzustand begangen.
Bestimmt sogar. -
Jetzt, wo der Morgen graute, war die Starrheit aus seinen Zìgen
gewichen und hatte dem Ausdruck seligen Friedens Platz gemacht.
So ruhig kann ein Mensch doch nicht schlummern, der einen Mord auf dem
Gewissen hat, sagte ich mir.
Ich konnte den Moment, wo er aufwachen wìrde, kaum erwarten.
Ob er wohl wìÏte, was geschehen war?
Endlich schlug er die Augen auf, begegnete meinem Blick und sah zur
Seite.
Sofort trat ich zu ihm und ergriff seine Hand: "Verzeihen Sie mir, Herr
Laponder, daÏ ich bisher so unfreundlich zu Ihnen gewesen bin. Es war das
Ungewohnte, das -"
"Seien Sie ìberzeugt, mein Herr, ich begreife vollkommen," unterbrach
er mich lebhaft, "daÏ es ein scheuÏliches Gefìhl sein muÏ, mit einem
Lustmærder beisammen zu sein."
"Reden Sie nicht mehr davon", bat ich. "Es ist mir heute nacht so
mancherlei durch den Kopf gegangen, und ich werde den Gedanken nicht los,
Sie kænnten vielleicht - - -" ich suchte nach Worten.
"Sie halten mich fìr krank", half er mir heraus.
Ich bejahte: "Ich glaube es aus gewissen Anzeichen schlieÏen zu dìrfen.
Ich - ich - darf ich Ihnen eine direkte Frage stellen, Herr Laponder?"
"Ich bitte darum."
"Es klingt etwas merkwìrdig, - aber - wìrden Sie mir sagen, was Sie
heute getrÔumt haben?"
Er schìttelte lÔchelnd den Kopf: "Ich trÔume nie."
"Aber Sie haben aus dem Schlaf gesprochen."
Er blickte ìberrascht auf. Dachte eine Weile nach. Dann sagte er
bestimmt:
"Das kann nur geschehen sein, wenn Sie mich etwas gefragt haben." - Ich
gab es zu. "Denn wie gesagt, ich trÔume nie. Ich - ich wandere", setzte er
nach einer Pause halblaut hinzu.
"Sie wandern? Wie soll ich das verstehen?"
Er schien nicht recht mit der Sprache heraus zu wollen, und ich hielt
es fìr angezeigt, ihm die Grìnde zu nennen, die mich bewogen hatten, in ihn
zu dringen, und erzÔhlte ihm in Umrissen, was nachts geschehen war.
"Sie kænnen sich fest darauf verlassen," sagte er ernst, als ich zu
Ende war, "daÏ alles auf Richtigkeit beruht, was ich im Schlaf gesprochen
habe. Wenn ich vorhin bemerkte, daÏ ich nicht trÔume, sondern ›wandere‹, so
meine ich damit, daÏ mein Traumleben anders beschaffen ist als das - sagen
wir: normaler Menschen. Nennen Sie es, wenn Sie wollen, ein Austreten aus
dem Kærper. - - So war ich z. B. heute nacht in einem hæchst sonderbaren
Zimmer, zu dem der Eingang von unten herauf durch eine Falltìr fìhrte."
"Wie sah es aus?" fragte ich rasch. "War es unbewohnt? Leer?"
"Nein; es standen Mæbel darin; aber nicht viele. Und ein Bett, in dem
ein junges MÔdchen schlief - oder wie scheintot lag, - und ein Mann saÏ
neben ihr und hielt seine Hand ìber ihre Stirn." - Laponder schilderte die
Gesichter der beiden. Kein Zweifel, es waren Hillel und Mirjam.
Ich wagte vor Spannung kaum zu atmen.
"Bitte, erzÔhlen Sie weiter. War sonst noch jemand im Zimmer?"
"Sonst noch jemand? Warten Sie - - - nein: sonst war niemand mehr im
Zimmer. Ein siebenflammiger Leuchter brannte auf dem Tisch. - Dann ging ich
eine Wendeltreppe hinunter."
"Sie war zerbrochen?" fiel ich ein.
"Zerbrochen? Nein, nein; sie war ganz in Ordnung. Und von ihr zweigte
seitlich eine Kammer ab, darin saÏ ein Mann mit silbernen Schnallen an den
Schuhen und von fremdartigem Typus, wie ich noch nie einen Menschen gesehen
habe: von gelber Gesichtsfarbe und mit schrÔgstehenden Augen; - er war
vornìber gebeugt und schien auf etwas zu warten. Auf einen Auftrag
vielleicht."
"Ein Buch - ein altes groÏes Buch haben Sie nirgends gesehen?",
forschte ich.
Er rieb sich die Stirn:
"Ein Buch sagen Sie? - Ja. Sehr richtig: ein Buch lag auf dem Boden. Es
war aufgeschlagen, ganz aus Pergament, und mit einem groÏen, goldenen ›A‹
fing die Seite an."
"Mit einem ›I‹, meinen Sie wohl?"
"Nein, mit einem ›A‹."
"Wissen Sie das bestimmt? War es nicht ein ›I‹?"
"Nein, es war bestimmt ein ›A‹."
Ich schìttelte den Kopf und fing an zu zweifeln. Offenbar hatte
Laponder im Halbschlaf in meinem Vorstellungsinhalt gelesen und alles wirr
durcheinander gebracht: Hillel, Mirjam, den Golem, das Buch Ibbur und den
unterirdischen Gang.
"Haben Sie die Gabe zu ›wandern‹, wie Sie es nennen, schon lang?",
fragte ich.
"Seit meinem 21. Jahr - - -", er stockte, schien nicht gern davon zu
reden; da nahm seine Miene plætzlich den Ausdruck grenzenlosen Erstaunens
an, und er starrte auf meine Brust, als ob er dort etwas sÔhe.
Ohne auf meine Verwunderung zu achten, ergriff er hastig meine Hand und
bat - fast flehentlich:
"Um Himmels willen, sagen Sie mir alles. Es ist heute der letzte Tag,
den ich bei Ihnen verbringen darf. Vielleicht schon in einer Stunde werde
ich abgeholt, um mein Todesurteil anzuhæren - -."
Ich unterbrÔche ihn entsetzt:
"Dann mìssen Sie mich mitnehmen als Zeugen! Ich werde beschwæren, daÏ
Sie krank sind. - Sie sind mondsìchtig. Es darf nicht sein, daÏ man Sie
hinrichtet, ohne Ihren Geisteszustand untersucht zu haben. So nehmen Sie
doch Vernunft an!"
Er wehrte nervæs ab: "Das ist doch so nebensÔchlich, - bitte, sagen Sie
mir alles!"
"Aber was soll ich Ihnen denn sagen? - Reden wir doch lieber von Ihnen
und - -"
"Sie mìssen, ich weiÏ das jetzt, gewisse, seltsame Dinge erlebt haben,
die mich nah angehen, - nÔher als Sie ahnen kænnen; - - ich bitte Sie, sagen
Sie mir alles!", flehte er.
Ich konnte es nicht fassen, daÏ ihn mein Leben mehr interessierte als
seine eigenen, doch wahrhaftig genìgend dringenden Angelegenheiten; um ihn
aber zu beruhigen, erzÔhlte ich ihm alles, was mir an Unbegreiflichem
geschehen war.
Bei jedem græÏeren Abschnitt nickte er zufrieden, wie jemand, der eine
Sache bis zum Grund durchschaut.
Als ich zu der Stelle kam, wo die Erscheinung ohne Kopf vor mir
gestanden und mir die schwarzroten Kærner hingehalten hatte, konnte er es
kaum erwarten, den SchluÏ zu erfahren.
"Also, aus der Hand geschlagen haben Sie sie ihm", murmelte er sinnend.
"Ich hÔtte nie gedacht, daÏ es einen dritten ›Weg‹ geben kænnte.
"Es war das kein dritter Weg", sagte ich, "es war derselbe, wie wenn
ich die Kærner abgelehnt hÔtte."
Er lÔchelte.
"Glauben Sie nicht, Herr Laponder?"
"Wenn Sie sie abgelehnt hÔtten, wÔren Sie wohl auch den ›Weg des
Lebens‹ gegangen, aber die Kærner, die magische KrÔfte bedeuten, wÔren nicht
zurìckgeblieben. - So sind sie auf den Boden gerollt, wie Sie sagen. Das
heiÏt: sie sind hiergeblieben und werden von Ihren Vorfahren so lange
gehìtet, bis die Zeit des Keimens da ist. Dann werden die KrÔfte, die in
Ihnen jetzt noch schlummern, lebendig werden."
Ich verstand nicht: "Von meinen Vorfahren werden die Kærner behìtet?"
"Sie mìssen es teilweise symbolisch auffassen, was Sie erlebt haben",
erklÔrte Laponder. "Der Kreis der blÔulich strahlenden Menschen, der Sie
umstand, war die Kette der ererbten ›Iche‹, die jeder von einer Mutter
Geborene mit sich herumschleppt. Die Seele ist nichts ›Einzelnes‹, - sie
soll es erst werden, und das nennt man dann: ›Unsterblichkeit‹; Ihre Seele
ist noch zusammengesetzt aus vielen ›Ichen‹ - so, wie ein Ameisenstaat aus
vielen Ameisen; Sie tragen die seelischen Reste vieler tausend Vorfahren in
sich: - die HÔupter Ihres Geschlechtes. Bei allen Wesen ist es so. Wie
kænnte denn ein Huhn, das aus einem Ei kìnstlich erbrìtet wurde, sich
sogleich die richtige Nahrung suchen, wenn nicht die Erfahrung von
Jahrmillionen in ihm stÔke? - Das Vorhandensein des ›Instinkts‹ verrÔt die
Gegenwart der Vorfahren im Leib und in der Seele. - Aber, verzeihen Sie, ich
wollte Sie nicht unterbrechen."
Ich erzÔhlte zu Ende. Alles. Auch das, was Mirjam ìber den
"Hermaphroditen" gesagt hatte.
Als ich innehielt und aufblickte, bemerkte ich, daÏ Laponder weiÏ
geworden war wie der Kalk an der Wand und TrÔnen ìber seine Wangen liefen.
Rasch stand ich auf, tat, als sÔhe ich es nicht, und ging in der Zelle
auf und nieder, um abzuwarten, bis er sich beruhigt haben wìrde.
Dann setzte ich mich ihm gegenìber und bot meine ganze Beredsamkeit
auf, ihn zu ìberzeugen, wie dringend nætig es wÔre, den Richtern gegenìber
auf seinen krankhaften Geisteszustand hinzuweisen.
"Wenn Sie wenigstens den Mord nicht eingestanden hÔtten!", schloÏ ich.
"Aber ich muÏte doch! Man hat mich auf mein Gewissen gefragt", sagte er
naiv.
"Halten Sie denn eine Lìge fìr schlimmer als - als einen Lustmord?",
fragte ich verblìfft.
"Im allgemeinen vielleicht nicht, in meinem Fall gewiÏ. - Sehen Sie:
als ich vom Untersuchungsrichter gefragt wurde, ob ich gestìnde, hatte ich
die Kraft, die Wahrheit zu sagen. Es stand also in meiner Wahl, zu lìgen
oder nicht zu lìgen. - Als ich den Lustmord beging - - bitte, ersparen Sie
mir die Details: es war so grÔÏlich, daÏ ich die Erinnerung nicht wieder
aufleben lassen mæchte - - als ich den Lustmord beging, da hatte ich keine
Wahl. Wenn ich auch bei vollkommen klarem BewuÏtsein handelte, so hatte ich
dennoch keine Wahl: irgend etwas, dessen Vorhandensein in mir ich nie geahnt
hatte, wachte auf und war stÔrker als ich. Glauben Sie, wenn ich die Wahl
gehabt haben wìrde, ich hÔtte gemordet? - Nie habe ich getætet - nicht
einmal das kleinste Tier, - und jetzt wÔre ich es schon gar nicht mehr
imstande.
Nehmen Sie an, es wÔre Menschengesetz: zu morden, und auf die
Unterlassung stìnde der Tod - Ôhnlich, wie es im Krieg der Fall ist, -
augenblicklich hÔtte ich mir den Tod verdient. - Weil mir keine Wahl bliebe.
Ich kænnte ganz einfach nicht morden. Damals, als ich den Lustmord beging,
lag die Sache umgekehrt."
"Um so mehr, wo Sie sich jetzt quasi als ein anderer fìhlen, mìssen Sie
alles aufbieten, dem Richterspruch zu entgehen!", wandte ich ein.
Laponder machte eine abwehrende Handbewegung: "Sie irren! Die Richter
haben von ihrem Standpunkt aus ganz recht. Sollen sie einen Menschen wie
mich vielleicht frei umherlaufen lassen? Damit morgen oder ìbermorgen wieder
das Unheil losbricht?"
"Nein; aber in einer Heilanstalt fìr Geisteskranke sollte man Sie
internieren. Das ist es doch, was ich sage!"
"Wenn ich irrsinnig wÔre, hÔtten Sie recht", erwiderte Laponder
gleichmìtig. "Aber ich bin nicht irrsinnig. Ich bin etwas ganz anderes, -
etwas, was dem Irrsinn sehr Ôhnlich sieht, aber gerade das Gegenteil ist.
Bitte, hæren Sie zu. Sie werden mich sogleich verstehen. - - - Was Sie mir
vorhin von dem Phantom ohne Kopf - ein Symbol natìrlich: dieses Phantom; den
Schlìssel kænnen Sie leicht finden, wenn Sie darìber nachdenken - erzÔhlten,
ist mir einst genauso passiert. Nur habe ich die Kærner angenommen. Ich gehe
also den ›Weg des Todes‹! - Fìr mich ist das Heiligste, das ich denken kann:
meine Schritte vom Geistigen in mir lenken zu lassen. Blind, vertrauensvoll,
wohin der Weg auch fìhren mag: ob zum Galgen oder zum Thron, ob zur Armut
oder zum Reichtum. Niemals habe ich gezægert, wenn die Wahl in meine Hand
gelegt war.
Darum habe ich auch nicht gelogen, als die Wahl in meiner Hand lag.
Kennen Sie die Worte des Propheten Micha:
"Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist,
und was der Herr von dir fordert,"?
Wìrde ich gelogen haben, hÔtte ich eine Ursache geschaffen, weil ich
die Wahl hatte; - - als ich den Mord beging, schuf ich keine Ursache; nur
die Wirkung einer in mir schlummernden, lÔngst gelegten Ursache, ìber die
ich keine Gewalt mehr besaÏ, wurde frei.
Also sind meine HÔnde rein.
Dadurch, daÏ das Geistige in mir mich zum Mærder werden lieÏ, hat es
eine Hinrichtung an mir vollzogen; dadurch, daÏ mich die Menschen an den
Galgen knìpfen, wird mein Schicksal losgelæst von dem ihrigen: - ich komme
zur Freiheit."
Er ist ein Heiliger, fìhlte ich, und das Haar strÔubte sich mir vor
Schauder ìber meine eigene Kleinheit.
"Sie haben mir erzÔhlt, daÏ Sie durch den hypnotischen Eingriff eines
Arztes in Ihr BewuÏtsein lange die Erinnerung an Ihre Jugendzeit vergessen
hatten", fuhr er fort. "Es ist das das Kennzeichen - das Stigma - aller
derer, die von der ›Schlange des geistigen Reiches‹ gebissen sind. Es
scheint fast, als mìÏten in uns zwei Leben aufeinandergepfropft werden, wie
ein Edelreis auf den wilden Baum, ehe das Wunder der Erweckung geschehen
kann; - was sonst durch den Tod getrennt wird, geschieht hier durch
Erlæschen der Erinnerung - manchmal nur durch eine plætzliche innere Umkehr.
Bei mir war es so, daÏ ich scheinbar ohne ÔuÏere Ursache in meinem 21.
Jahr eines Morgens wie verÔndert erwachte. Was mir bis dahin lieb gewesen,
erschien mir mit einemmal gleichgìltig: Das Leben kam mir dumm vor wie eine
Indianergeschichte und verlor an Wirklichkeit; die TrÔume wurden zu
GewiÏheit - zu apodiktischer, beweiskrÔftiger GewiÏheit, verstehen Sie wohl:
zu beweiskrÔftiger, realer GewiÏheit, und das Leben des Tages wurde zum
Traum.
Alle Menschen kænnten das, wenn sie den Schlìssel hÔtten. Und der
Schlìssel liegt einzig und allein darin, daÏ man sich seiner ›Ichgestalt‹,
sozusagen seiner Haut, im Schlaf bewuÏt wird, - die schmale Ritze findet,
durch die sich das BewuÏtsein zwÔngt zwischen Wachsein und Tiefschlaf.
Darum sagte ich vorhin: ›ich wandere‹ und nicht: ›ich trÔume‹.
Das Ringen nach der Unsterblichkeit ist ein Kampf um das Zepter gegen
die uns innewohnenden KlÔnge und Gespenster; und das Warten auf das
Kænigwerden des eigenen ›Ichs‹ ist das Warten auf den Messias.
Der schemenhafte Habal Garmin, den Sie gesehen haben, der ›Hauch der
Knochen‹ der Kabbala, das war der Kænig. Wenn er gekrænt sein wird, dann -
reiÏt der Strick entzwei, mit dem Sie durch die ÔuÏeren Sinne und den
Schornstein des Verstandes an die Welt gebunden sind.
Wieso es kommen konnte, daÏ ich trotz meinem Losgetrenntsein vom Leben
ìber Nacht zum Lustmærder werden konnte, fragen Sie mich? Der Mensch ist wie
ein Glasrohr, durch das bunte Kugeln laufen: bei fast allen im Leben nur die
eine. Ist die Kugel rot, heiÏt der Mensch: ›schlecht‹. Ist sie gelb, dann
ist der Mensch: ›gut‹. Laufen zwei hintereinander - eine rote und eine
gelbe, dann hat ›man‹ einen ›ungefestigten‹ Charakter. Wir von der ›Schlange
Gebissenen‹, machen in einem Leben durch, was sonst an der ganzen Rasse in
einem Weltenalter geschieht: die farbigen Kugeln rasen hintereinander her
durch das Glasrohr, und wenn sie zu Ende sind - - dann sind wir Propheten, -
sind die Spiegel Gottes geworden."
Laponder schwieg.
Lange konnte ich kein Wort sprechen. Seine Rede hatte mich fast
betÔubt.
"Weshalb fragten Sie mich vorhin so Ôngstlich nach meinen Erlebnissen,
wo Sie doch so viel, viel hæher stehen als ich?", fing ich endlich wieder
an.
"Sie irren," sagte Laponder, "ich stehe weit unter Ihnen. - Ich fragte
Sie, weil ich fìhlte, daÏ Sie den Schlìssel besitzen, der mir noch fehlte."
"Ich? Einen Schlìssel. O Gott!"
"Jawohl Sie! Und Sie haben ihn mir gegeben. - Ich glaube nicht, daÏ es
einen glìcklicheren Menschen auf Erden gibt, als ich es heute bin."
DrauÏen entstand ein GerÔusch; die Riegel wurden zurìckgeschoben, -
Laponder achtete kaum darauf:
"Das mit dem Hermaphroditen war der Schlìssel. Jetzt habe ich die
GewiÏheit. Schon deshalb bin ich froh, daÏ man mich holen kommt, denn bald
bin ich am Ziel."
Vor TrÔnen konnte ich Laponders Gesicht nicht mehr unterscheiden, ich
hærte nur das LÔcheln in seiner Stimme.
"Und jetzt: Leben Sie wohl, Herr Pernath, und denken Sie: das, was man
morgen aufhenkt, sind nur meine Kleider; Sie haben mir das Schænste
eræffnet, - das Letzte, was ich noch nicht wuÏte. Jetzt geht's zur Hochzeit
- - -," er stand auf und folgte dem GefangenwÔrter - "es hÔngt mit dem
Lustmord eng zusammen", waren die letzten Worte, die ich hærte und nur
dunkel begriff.
Sooft seit jener Nacht der Vollmond am Himmel stand, glaubte ich immer
wieder Laponders schlafendes Gesicht auf der grauen Leinwand des Bettes
liegen zu sehen.
In den nÔchsten Tagen, nachdem er weggefìhrt worden war, hatte ich ein
HÔmmern und Zimmern aus dem Hinrichtungshof heraufdræhnen hæren, das
manchmal bis zum Morgengrauen dauerte.
Ich erriet, was es bedeutete, und hielt mir stundenlang die Ohren zu
vor Verzweiflung.
Monat um Monat verfloÏ. Ich sah, wie der Sommer zerrann, am Krankwerden
des kìmmerlichen Laubs im Hof; roch es an dem pelzigen Hauch, der aus den
Mauern drang.
Wenn mein Blick bei den RundgÔngen auf den sterbenden Baum fiel und das
eingewachsene Glasbild der Heiligen in seiner Rinde, zog ich unwillkìrlich
jedesmal den Vergleich, wie tief sich auch Laponders Gesicht in mich
eingegraben hatte. BestÔndig trug ich es in mir herum, dieses Buddhagesicht
mit der faltenlosen Haut und dem seltsamen, immerwÔhrenden LÔcheln.
Ein einziges Mal noch - im September - hatte mich der
Untersuchungsrichter holen lassen und miÏtrauisch gefragt, wie ich es
begrìnden kænne, daÏ ich bei dem Bankschalter gesagt, ich mìsse dringend
verreisen, und warum ich in den Stunden vor meiner Verhaftung so unruhig
gewesen wÔre und meine sÔmtlichen Edelsteine zu mir gesteckt hÔtte.
Auf meine Antwort, ich sei mit der Absicht umgegangen, mir das Leben zu
nehmen, hatte es wieder hinter dem Schreibtisch hæhnisch gemeckert. -
Bis dahin war ich allein in meiner Zelle gewesen und konnte meinen
Gedanken, meiner Trauer um Charousek, der, wie ich fìhlte, lÔngst tot sein
muÏte, und Laponder und meiner Sehnsucht nach Mirjam nachhÔngen.
Dann kamen wieder neue Gefangene: diebische Kommis mit verlebten
Gesichtern, dickwanstige Bankkassierer, - "Waisenkinder", wie der schwarze
Vãssatka sie genannt haben wìrde, - und verpesteten mir die Luft und die
Stimmung.
Eines Tages gab einer von ihnen voll Entrìstung zum besten, daÏ vor
geraumer Zeit ein Lustmord in der Stadt geschehen sei. Zum Glìck hÔtte man
den TÔter sogleich erwischt und kurzen ProzeÏ mit ihm gemacht.
"Laponder hat er geheiÏen, der Schuft, der gottserbÔrmliche", schrie
ein Kerl mit einer Raubtierschnauze, der wegen KindsmiÏhandlung zu - 14
Tagen GefÔngnis verurteilt worden war, dazwischen. "Auf frischer Tat
habn's'n g'faÏt. Die Lampen is umg'fallen bei dem Krawall und's Zimmer is
ausbrennt. Die Leich' von dem MÔdel is dabei so verkohlt, daÏ mer bis zum
heutigen Tage noch næt hat rausbringen kænnen, wer sie eigentlich war.
Schwarze Haar hat's g'habt und a schmal's G'sicht, dæs is alls, was mer
weiÏ. Und der Laponder hat net ums Verrecken rausg'rìckt mit ihrem Namen. -
Wann's nach mir gangen wÔr, i hÔtt ihm d'Haut ab'zogen und Pfeffer drauf
g'streut. - Dæs san halt die feinen Herren! Mærder san's, alle z'samm. - - -
- Als ob's net anderne Mittel g'nua gebet, wann aner a MÔdel los sein wìll",
setzte er mit zynischem LÔcheln hinzu.
Die Wut kochte in mir, und am liebsten hÔtte ich den Halunken zu Boden
geschlagen.
Nacht fìr Nacht schnarchte er in dem Bett, auf dem Laponder gelegen.
Ich atmete auf, als er endlich freigelassen wurde.
Aber selbst da war ich ihn noch nicht los: seine Rede hatte sich wie
ein Pfeil mit Widerhaken in mich eingebohrt.
Fast bestÔndig, hauptsÔchlich in der Dunkelheit, nagte jetzt in mir der
grausige Verdacht, Mirjam kænnte das Opfer Laponders gewesen sein.
Je mehr ich dagegen ankÔmpfte, desto tiefer verstrickte ich mich in dem
Gedanken, bis er beinahe zur fixen Idee wurde.
Manchmal, besonders wenn der Mond grell durchs Gitter schien, wurde es
besser: ich konnte mir die Stunden, die ich mit Laponder verlebt, dann
lebendig machen, und das tiefe Gefìhl fìr ihn verscheuchte mir die Qual, -
aber nur zu oft kamen die grÔÏlichen Minuten wieder, wo ich Mirjam ermordet
und verkohlt im Geiste vor mir sah und glaubte, vor Angst den Verstand
verlieren zu mìssen.
Die schwachen Anhaltspunkte, die ich fìr meinen Verdacht hatte,
verdichteten sich in solchen Zeiten zu einem geschlossenen Ganzen, - zu
einem GemÔlde voll unbeschreiblich entsetzenerregender Einzelheiten.
Anfang November gegen 10 Uhr abends, es war bereits stockfinster und
die Verzweiflung in mir hatte einen derartigen Hæhepunkt erreicht, daÏ ich
mich, um nicht laut aufzuschreien, in meinen Strohsack verbiÏ wie ein
verdurstendes Tier, æffnete plætzlich der GefangenwÔrter die Zelle und
forderte mich auf, mit ihm zum Untersuchungsrichter zu kommen. Ich fìhlte
mich so schwach, daÏ ich mehr taumelte als ging.
Die Hoffnung, jemals dieses schreckliche Haus verlassen zu dìrfen, war
lÔngst in mir gestorben.
Ich machte mich darauf gefaÏt, wieder eine kalte Frage gestellt zu
bekommen, das stereotype Gemecker hinter dem Schreibtisch zu hæren und dann
zurìck in die Finsternis zu mìssen.
Der Herr Baron Leisetreter war bereits nach Hause gegangen und nur ein
alter, buckliger Schreiber mit Spinnenfingern stand im Zimmer.
Dumpf wartete ich, was mit mir geschehen wìrde.
Es fiel mir auf, daÏ der GefangenwÔrter mit hereingekommen war und mir
gutmìtig zublinzelte, aber ich war viel zu niedergeschlagen, als daÏ ich mir
ìber die Bedeutung alles dessen hÔtte klarwerden kænnen.
"Die Untersuchung hat ergeben", fing der Schreiber an, meckerte, stieg
auf einen Sessel und kramte erst lange auf dem Bìcherbord nach
Schriftstìcken, ehe er fortfuhr: "hat ergeben, daÏ der in Frage kommende
Karl Zottmann vor seinem Tode anlÔÏlich einer heimlichen Zusammenkunft mit
der unverehelichten ehemaligen Prostituierten Rosina Metzeles, die damaliger
Zeit den Spitznamen ›die rote Rosina‹ fìhrte, dann spÔter von einem
taubstummen, nunmehr unter polizeilicher Aufsicht stehenden
Silhubettenschneider namens Jaromir KwÑÏnitschka aus dem Weinsalon ›Kautsky‹
losgekauft wurde und seit einigen Monaten mit Seiner Durchlaucht dem Fìrsten
Ferri AthenstÔdt im gemeinsamen, wilden Konkubinate als Maiteresse lebt, von
hinterlistiger Hand in ein unterirdisches, aufgelassenes Kellergewælbe des
Hauses Nummer conscriptionis 21873, gebrochen durch ræmisch III, der
HahnpaÏgasse, laufende Numero sieben, gelockt, dortselbst eingeschlossen und
sich selbst, beziehungsweise dem Tode durch Verhungern oder Erfrieren
ìberlassen wurde. - - Der obenerwÔhnte Zottmann nÔmlich", erklÔrte der
Schreiber mit einem Blick ìber die Brille hinweg und blÔtterte ein paarmal
um.
"Die Untersuchung hat weiters ergeben, daÏ der obenerwÔhnte Karl
Zottmann allem Anscheine nach - nach eingetretenem Ableben - seiner
sÔmtlichen bei ihm getragenen Habseligkeiten, insbesondere seiner sub
faszikel ræmisch P gebrochen durch ›BÔh‹ beigeschlossenen doppelmanteligen
Taschenuhr" - der Schreiber hob die Uhr an der Kette in die Hæhe - "beraubt
wurde. Der eidesstattlichen Aussage des Silhubettenschnitzers Jaromir
KwÑÏnitschka, verwaisten Sohnes des vor 17 Jahren verstorbenen
HostienbÔckers gleichen Namens: die Uhr im Bette seines inzwischen flìchtig
gegangenen Bruders Loisa gefunden und