Johann Wolfgang Goethe. Egmont Ein Trauerspiel in fæ¼nf Aufzæ¼gen -------------------------------------------------------------------------------- Personen: Margarete von Parma, Tochter Karls des Fæ¼nften, Regentin der Niederlande Graf Egmont, Prinz von Gaure Wilhelm von Oranien Herzog von Alba Ferdinand, sein natæ¼rlicher Sohn Machiavell, im Dienste der Regentin Richard, Egmonts Geheimschreiber Silva und Gomez, unter Alba dienend Klæ¤rchen, Egmonts Geliebte Ihre Mutter Brackenburg, ein Bæ¼rgerssohn Soest, Kræ¤mer, Bæ¼rger von Bræ¼ssel Jetter, Schneider, Bæ¼rger von Bræ¼ssel Zimmermann und Seifensieder, Bæ¼rger von Bræ¼ssel Buyck, Soldat unter Egmont Ruysum, Invalide und taub Vansen, ein Schreiber Volk, Gefolge, Wachen usw. -------------------------------------------------------------------------------- Erster Aufzug ArmbrustschieæŸen Soldaten und Bæ¼rger mit Armbræ¼sten Jetter, Bæ¼rger von Bræ¼ssel, Schneider, tritt vor und spannt die Armbrust. Soest, Bæ¼rger von Bræ¼ssel, Kræ¤mer. Soest. Nun schieæŸt nur hin, daæŸ es alle wird! Ihr nehmt mir's doch nicht! Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht geschossen. Und so wæ¤r' ich fæ¼r dies Jahr Meister. Jetter. Meister und Kæ¶nig dazu. Wer miæŸgæ¶nnt's Euch? Ihr sollt dafæ¼r auch die Zeche doppelt bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit bezahlen, wie's 'recht ist. (Buyck, ein Hollæ¤nder, Soldat unter Egmont.) Buyck. Jetter, den SchuæŸ handl' ich Euch ab, teile den Gewinst, traktiere die Herren: ich bin so schon lange hier und fæ¼r viele Hæ¶flichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hæ¤ttet. - Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei. Doch, Buyck, nur immerhin. Buyck (schieæŸt). Nun, Pritschmeister, Reverenz! - Eins! Zwei! Drei! Vier! Soest. Vier Ringe? Es sei! Alle. Vivat, Herr Kæ¶nig, hoch! und abermal hoch! Buyck. Danke, ihr Herren. Wæ¤re Meister zu viel! Danke fæ¼r die Ehre. Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken. (Ruysum, ein Frieslæ¤nder, Invalide und taub.) Ruysum. DaæŸ ich euch sage! Soest. Wie ist's, Alter? Ruysum. DaæŸ ich euch sage! - Er schieæŸt wie sein Herr, er schieæŸt wie Egmont. Buyck. Gegen ihn bin ich nur ein armer Schlucker. Mit der Bæ¼chse trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glæ¼ck oder gute Laune hat; nein! wie er anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe ich von ihm. Das wæ¤re auch ein Kerl, der bei ihm diente und nichts von ihm lernte. - Nicht zu vergessen, meine Herren! Ein Kæ¶nig næ¤hrt seine Leute; und so, auf des Kæ¶nigs Rechnung, Wein her! Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, daæŸ jeder - Buyck. Ich bin fremd und Kæ¶nig, und achte eure Gesetze und Herkommen nicht. Jetter. Du bist ja æ¤rger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher lassen mæ¼ssen. Ruysum. Was? Soest (laut). Er will uns gastieren; er will nicht haben, daæŸ wir zusammenlegen und der Kæ¶nig nur das Doppelte zahlt. Ruysum. LaæŸt ihn! doch ohne Præ¤judiz! Das ist auch seines Herrn Art, splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht. (Sie bringen Wein.) Alle. Ihro Majestæ¤t Wohl! Hoch! Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure Majestæ¤t. Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll. Soest. Wohl! Denn unserer spanischen Majestæ¤t Gesundheit trinkt nicht leicht ein Niederlæ¤nder von Herzen. Ruysum. Wer? Soest (laut). Philipps des Zweiten, Kæ¶nigs in Spanien. Ruysum. Unser allergnæ¤digster Kæ¶nig und Herr! Gott geb' ihm langes Leben. Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fæ¼nften, nicht lieber? Ruysum. Gott træ¶st' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand æ¼ber den ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch begegnete, so græ¼æŸt' er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart, wuæŸt' er mit so guter Manier - ja, versteht mich - Er ging aus, ritt aus, wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir doch alle geweint, wie er seinem Sohn das Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich - der ist schon anders, der ist majestæ¤tischer. Jetter. Er lieæŸ sich nicht sehen, da er hier war, als in Prunk und kæ¶niglichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute. Soest. Es ist kein Herr fæ¼r uns Niederlæ¤nder. Unsre Fæ¼rsten mæ¼ssen froh und frei sein wie wir, leben und leben lassen. Wir wollen nicht verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind. Jetter. Der Kæ¶nig, denk ich, wæ¤re wohl ein gnæ¤diger Herr, wenn er nur bessere Ratgeber hæ¤tte. Soest. Nein, nein! Er hat kein Gemæ¼t gegen uns Niederlæ¤nder, sein Herz ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie kæ¶nnen wir ihn wiederlieben? Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold? Warum træ¼gen wir ihn alle auf den Hæ¤nden? Weil man ihm ansieht, daæŸ er uns wohlwill; weil ihm die Fræ¶hlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung aus den Augen sieht; weil er nichts besitzt, das er dem Dæ¼rftigen nicht mitteilte, auch dem, der's nicht bedarf. LaæŸt den Grafen Egmont leben! Buyck, an Euch ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus. Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch! Ruysum. æœberwinder bei St. Quintin. Buyck. Dem Helden von Gravelingen! Alle. Hoch! Ruysum. St. Quintin war meine letzte Schlacht. ich konnte kaum mehr fort, kaum die schwere Bæ¼chse mehr schleppen. Hab ich doch den Franzosen noch eins auf den Pelz gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen StreifschuæŸ ans rechte Bein. Buyck. Gravelingen! Freunde! da ging's frisch! Den Sieg haben wir allein. Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz Flandern? Aber ich mein, wir trafen sie! Ihre alten, handfesten Kerle hielten lange wider, und wir dræ¤ngten und schossen und hieben, daæŸ sie die Mæ¤uler verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe niedergeschossen, und wir stritten lange hinæ¼ber heræ¼ber, Mann fæ¼r Mann, Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See hin. Auf einmal kam's, wie vom Himmel herunter, von der Mæ¼ndung des Flusses, bav, bau! immer mit Kanonen in die Franzosen drein. Es waren Englæ¤nder, die unter dem Admiral Malin von ungefæ¤hr von Dæ¼nkirchen her vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht; sie konnten nur mit den kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter uns - Es tat doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's! Rick! rack! heræ¼ber, hinæ¼ber! Alles totgeschlagen, alles ins Wasser gesprengt. Und die Kerle ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was wir Hollæ¤nder waren, gerad hintendrein. Uns, die wir beidlebig sind, ward erst wohl im Wasser wie den Fræ¶schen; und immer die Feinde im FluæŸ zusammengehauen, weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach, schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot. MuæŸte doch die welsche Majestæ¤t gleich das Pfæ¶tchen reichen und Friede machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem groæŸen Egmont schuldig. Alle. Hoch! dem groæŸen Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal hoch! Jetter. Hæ¤tte man uns den statt der Margrete von Parma zum Regenten gesetzt! Soest. Nicht so! Wahr bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnæ¤d'ge Frau! Alle. Sie lebe! Soest. Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause. Die Regentin lebe! Jetter. Klug ist sie, und mæ¤æŸig in allem, was sie tut; hielte sie's nur nicht so steif und fest mit den Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld, daæŸ wir die vierzehn neuen Bischofsmæ¼tzen im Lande haben. Wozu die nur sollen? Nicht wahr, daæŸ man Fremde in die guten Stellen einschieben kann, wo sonst æ„bte aus den Kapiteln gewæ¤hlt wurden? Und wir sollen glauben, es sei um der Religion willen. Ja, es hat sich. An drei Bischæ¶fen hatten wir genug: da ging's ehrlich und ordentlich zu. Nun muæŸ doch auch jeder tun, als ob er næ¶tig wæ¤re; und da setzt's allen Augenblick VerdruæŸ und Hæ¤ndel. Und je mehr ihr das Ding ræ¼ttelt und schæ¼ttelt, desto træ¼ber wird's. (Sie trinken.) Soest. Das war nun des Kæ¶nigs Wille; sie kann nichts davon- noch dazutun. Jetter. Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind wahrlich gar schæ¶n in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum? Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiæŸ. Ich hab ihrer doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen. Buyck. Ich wollte sie fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir wollen. Das macht, daæŸ Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so etwas nicht. - In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer Belieben hat. (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger als ein geistlich Lied? Nicht wahr, Vater? Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung. Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre Art; und gefæ¤hrlich ist's doch immer, da læ¤æŸt man's lieber sein. Die Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann ist schon unglæ¼cklich geworden. Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich nicht tun darf, was ich mæ¶chte, kæ¶nnen sie mich doch denken und singen lassen, was ich will. Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen. Und der Adel muæŸ auch beizeiten suchen, ihr die Flæ¼gel zu beschneiden. Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfæ¤llt, in mein Haus zu stæ¼rmen, und ich sitz an meiner Arbeit und summe just einen franzæ¶sischen Psalm und denke nichts dabei, weder Gutes noch Bæ¶ses; ich summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und werde eingesteckt. Oder ich gehe æ¼ber Land und bleibe bei einem Haufen Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhæ¶rt, einem von denen, die aus Deutschland gekommen sind: auf der Stelle heiæŸ ich ein Rebell und komme in Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hæ¶ren? Soest. Wackre Leute. Neulich hæ¶rt' ich einen auf dem Felde vor tausend und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Gekæ¶ch, als wenn unsre auf der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken erwæ¼rgen. Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hæ¤tten bei der Nase herumgefæ¼hrt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr Erleuchtung haben kæ¶nnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel. Jetter. Da mag doch auch was dran sein. Ich sagt's immer selbst und græ¼belte so æ¼ber die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen. Buyck. Es læ¤uft ihnen auch alles Volk nach. Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hæ¶ren kann und was Neues. Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen nach seiner Weise. Buyck. Frisch, ihr Herren! æœber dem Schwæ¤tzen vergeæŸt ihr den Wein und Oranien. Jetter. Den nicht zu vergessen. Das ist ein rechter Wall: wenn man nur an ihn denkt, meint man gleich, man kæ¶nne sich hinter ihn verstecken und der Teufel bræ¤chte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch! Alle. Hoch! hoch! Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit. Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg! Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg! Jetter. Krieg! Krieg! WiæŸt ihr auch, was ihr ruft? DaæŸ es euch leicht vom Munde geht, ist wohl natæ¼rlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hæ¶ren; und nichts zu hæ¶ren, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer, wie sie æ¼ber einen Hæ¼gel kamen und bei einer Mæ¼hle hielten, wieviel da geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich dræ¤ngen, und einer gewinnt, der andere verliert, ohne daæŸ man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bæ¼rger ermordet werden, und wie's den armen Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not und Angst, man denkt jeden Augenblick: Ñ»Da kommen sie! Es geht uns auch so.Ñ« Soest. Drum muæŸ auch ein Bæ¼rger immer in Waffen geæ¼bt sein. Jetter. Ja, es æ¼bt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hæ¶r ich noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe. Buyck. Das sollt' ich æ¼belnehmen. Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem. Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf? Jetter. Vexier' Er sich. Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir. Jetter. Halt dein Maul. Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der Kæ¼che, dem Keller, der Stube - dem Bette. (Sie lachen.) Jetter. Du bist ein Tropf. Buyck. Friede, ihr Herren! MuæŸ der Soldat Friede rufen? - Nun da ihr von uns nichts hæ¶ren wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine bæ¼rgerliche Gesundheit. Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe! Soest. Ordnung und Freiheit! Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden. (Sie stoæŸen an und wiederholen fræ¶hlich die Worte, doch so, daæŸ jeder ein anders ausruft und es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und fæ¤llt endlich auch mit ein.) Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit! Palast der Regentin Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente. Regentin. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten. Sagt Machiavellen, er soll zu mir kommen. (Alle gehen ab.) Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten læ¤æŸt mir keine Ruhe! Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder, diese Sorgen vor mir. Nun wird der Kæ¶nig sagen, dies sei'n die Folgen meiner Gæ¼te, meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden Augenblick, das Ræ¤tlichste, das Beste getan zu haben. Sollte ich fræ¼her mit dem Sturme des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschæ¼tten. Ja, was ich mir selbst sage, was ich wohl weiæŸ, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? Der æœbermut der fremden Lehrer hat sich tæ¤glich erhæ¶ht; sie haben unser Heiligtum gelæ¤stert, die stumpfen Sinne des Pæ¶bels zerræ¼ttet und den Schwindelgeist unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufræ¼hrer gemischt, und schreckliche Taten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist, und die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und einzeln, damit mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der Kæ¶nig nicht denke, man wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein Mittel, weder strenges noch gelindes, dem æœbel zu steuern. O was sind wir GroæŸen auf der Woge der Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und nieder, hin und her. (Machiavell tritt auf.) Regentin. Sind die Briefe an den Kæ¶nig aufgesetzt? Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben kæ¶nnen. Regentin. Habt Ihr den Bericht ausfæ¼hrlich genug gemacht? Machiavell. Ausfæ¼hrlich und umstæ¤ndlich, wie es der Kæ¶nig liebt. Ich erzæ¤hle, wie zuerst um St. Omer die bilderstæ¼rmerische Wut sich zeigt. Wie eine rasende Menge, mit Stæ¤ben, Beilen, Hæ¤mmern, Leitern, Stricken versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und Klæ¶ster anfallen, die Andæ¤chtigen verjagen, die verschlossenen Pforten aufbrechen, alles umkehren, die Altæ¤re niederreiæŸen, die Statuen der Heiligen zerschlagen, alle Gemæ¤lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes, Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerreiæŸen, zertreten. Wie sich der Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore eræ¶ffnen. Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verwæ¼sten, die Bibliothek des Bischofs verbrennen. Wie eine groæŸe Menge Volks, von gleichem Unsinn ergriffen, sich æ¼ber Menin, Comines, Werwicq, Lille verbreitet, nirgend Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die ungeheure Verschwæ¶rung sich erklæ¤rt und ausgefæ¼hrt ist. Regentin. Ach, wie ergreift mich aufs neue der Schmerz bei deiner Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das æœbel werde nur græ¶æŸer und græ¶æŸer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell! Machiavell. Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so æ¤hnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt Ihr doch selten meinem Rat folgen mæ¶gen. Ihr sagtet oft im Scherze: Ñ»Du siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein: wer handelt, muæŸ fæ¼rs Næ¤chste sorgen.Ñ« Und doch, habe ich diese Geschichte nicht vorauserzæ¤hlt? Hab ich nicht alles vorausgesehen? Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es æ¤ndern zu kæ¶nnen. Machiavell. Ein Wort fæ¼r tausend: Ihr unterdræ¼ckt die neue Lehre nicht. LaæŸt sie gelten, sondert sie von den Rechtglæ¤ubigen, gebt ihnen Kirchen, faæŸt sie in die bæ¼rgerliche Ordnung, schræ¤nkt sie ein; und so habt Ihr die Aufræ¼hrer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel sind vergeblich, und Ihr verheert das Land. Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden kæ¶nne? WeiæŸt du nicht, wie er mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste empfiehlt? daæŸ er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht hergestellt wissen will? Hæ¤lt er nicht selbst in den Provinzen Spione, die wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung hinæ¼berneigt? Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen genannt, der sich in unsrer Næ¤he heimlich der Ketzerei schuldig machte? Befiehlt er nicht Strenge und Schæ¤rfe? Und ich soll gelind sein? ich soll Vorschlæ¤ge tun, daæŸ er nachsehe, daæŸ er dulde? Wæ¼rde ich nicht alles Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren? Machiavell. Ich weiæŸ wohl; der Kæ¶nig befiehlt, er læ¤æŸt Euch seine Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wiederherstellen, durch ein Mittel, das die Gemæ¼ter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr tut. Die græ¶æŸten Kaufleute sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten. Was hilft es, auf seinen Gedanken beharren, wenn sich um uns alles æ¤ndert? Mæ¶chte doch ein guter Geist Philippen eingeben, daæŸ es einem Kæ¶nige anstæ¤ndiger ist, Bæ¼rger zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben. Regentin. Solch ein Wort nie wieder. Ich weiæŸ wohl, daæŸ Politik selten Treu und Glauben halten kann, daæŸ sie Offenheit, Gutherzigkeit, Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschlieæŸt. In weltlichen Geschæ¤ften ist das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott spielen wie unter einander? Sollen wir gleichgæ¼ltig gegen unsre bewæ¤hrte Lehre sein, fæ¼r die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? Die sollten wir hingeben an hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen? Machiavell. Denkt nur deswegen nicht æ¼bler von mir. Regentin. Ich kenne dich und deine Treue und weiæŸ, daæŸ einer ein ehrlicher und verstæ¤ndiger Mann sein kann, wenn er gleich den næ¤chsten besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat. Es sind noch andere, Machiavell, Mæ¤nner, die ich schæ¤tzen und tadeln muæŸ. Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir? Regentin. Ich kann es gestehen, daæŸ mir Egmont heute einen recht innerlichen tiefen VerdruæŸ erregte. Machiavell. Durch welches Betragen? Regentin. Durch sein gewæ¶hnliches, durch Gleichgæ¼ltigkeit und Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen und ihm begleitet, aus der Kirche ging. Ich hielt meinen Schmerz nicht an, ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. Ñ»Seht, was in Eurer Provinz entsteht! Das duldet Ihr, Graf, von dem der Kæ¶nig sich alles versprach?Ñ« Machiavell. Und was antwortete er? Regentin. Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache wæ¤re, versetzte er: Ñ»Wæ¤ren nur erst die Niederlæ¤nder æ¼ber ihre Verfassung beruhigt! Das æ¼brige wæ¼rde sich leicht geben.Ñ« Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederlæ¤nder sieht, daæŸ es mehr um seine Besitztæ¼mer als um sein Wohl, um seiner Seele Heil zu tun ist? Haben die neuen Bischæ¶fe mehr Seelen gerettet, als fette Pfræ¼nden geschmaust, und sind es nicht meist Fremde? Noch werden alle Statthalterschaften mit Niederlæ¤ndern besetzt; lassen sich es die Spanier nicht zu deutlich merken, daæŸ sie die græ¶æŸte, unwiderstehlichste Begierde nach diesen Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber nach seiner Art von den Seinigen regieret werden als von Fremden, die erst im Lande sich wieder Besitztæ¼mer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden MaæŸstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen? Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner. Machiavell. Mit dem Herzen gewiæŸ nicht; und wollte, ich kæ¶nnte mit dem Verstande ganz auf der unsrigen sein. Regentin. Wenn du so willst, so tæ¤t' es not, ich træ¤te ihnen meine Regentschaft ab; denn Egmont und Oranien machten sich groæŸe Hoffnung, diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden. Machiavell. Ein gefæ¤hrliches Paar. Regentin. Soll ich aufrichtig reden: ich fæ¼rchte Oranien, und ich fæ¼rchte fæ¼r Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen in die Ferne, er ist heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und in tiefster Ehrfurcht, mit græ¶æŸter Vorsicht tut er, was ihm beliebt. Machiavell. Recht im Gegenteil geht Egmont einen freien Schritt, als wenn die Welt ihm gehæ¶rte. Regentin. Er træ¤gt das Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestæ¤t nicht æ¼ber ihm schwebte. Machiavell. Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die Herzen hæ¤ngen an ihm. Regentin. Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand Rechenschaft von ihm zu fordern hæ¤tte. Noch træ¤gt er den Namen Egmont. Graf Egmont freut ihn sich nennen zu hæ¶ren; als wollte er nicht vergessen, daæŸ seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt er sich nicht Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt? Warum tut er das? Will er erloschne Rechte wieder geltend machen? Machiavell. Ich halte ihn fæ¼r einen treuen Diener des Kæ¶nigs. Regentin. Wenn er wollte, wie verdient kæ¶nnte er sich um die Regierung machen; anstatt daæŸ er uns schon, ohne sich zu nutzen, unsæ¤glichen VerdruæŸ gemacht hat. Seine Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben den Adel mehr verbunden und verknæ¼pft als die gefæ¤hrlichsten heimlichen Zusammenkæ¼nfte. Mit seinen Gesundheiten haben die Gæ¤ste einen dauernden Rausch, einen nie sich verziehenden Schwindel geschæ¶pft. Wie oft setzt er durch seine Scherzreden die Gemæ¼ter des Volks in Bewegung, und wie stutzte der Pæ¶bel æ¼ber die neuen Livreen, æ¼ber die tæ¶richten Abzeichen der Bedienten! Machiavell. Ich bin æ¼berzeugt, es war ohne Absicht. Regentin. Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und næ¼tzt sich nicht. Er nimmt das Ernstliche scherzhaft; und wir, um nicht mæ¼æŸig und nachlæ¤ssig zu scheinen, mæ¼ssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So hetzt eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich erst recht. Er ist gefæ¤hrlicher als ein entschiednes Haupt einer Verschwæ¶rung; und ich mæ¼æŸte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, daæŸ er mich nicht empfindlich, sehr empfindlich macht. Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln. Regentin. Sein Gewissen hat einen gefæ¤lligen Spiegel. Sein Betragen ist oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der væ¶lligen æœberzeugung lebe, er sei Herr und wolle es uns nur aus Gefæ¤lligkeit nicht fæ¼hlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen; es werde sich schon geben. Machiavell. Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glæ¼ckliches Blut, das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefæ¤hrlich aus. Ihr schadet nur ihm und Euch. Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche nur von den unvermeidlichen Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederlæ¤ndischer Adel und sein Golden Vlies vor der Brust stæ¤rken sein Vertrauen, seine Kæ¼hnheit. Beides kann ihn vor einem schnellen, willkæ¼rlichen Unmut des Kæ¶nigs schæ¼tzen. Untersuch es genau; an dem ganzen Unglæ¼ck, das Flandern trifft, ist er doch nur allein schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn, hat's so genau nicht genommen und vielleicht sich heimlich gefreut, daæŸ wir etwas zu schaffen hatten. LaæŸ mich nur; was ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser Gelegenheit davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschieæŸen; ich weiæŸ, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich. Machiavell. Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien auch? Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die Last der Verantwortung nahe genug zuwæ¤lzen; sie sollen sich mit mir dem æœbel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklæ¤ren. Eile, daæŸ die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift. Dann sende schnell den bewæ¤hrten Vaska nach Madrid; er ist unermæ¼det und treu; daæŸ mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daæŸ der Ruf ihn nicht æ¼bereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht. Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden. Bæ¼rgerhaus Klare. Klarens Mutter. Brackenburg. Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg? Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, Klæ¤rchen. Klare. Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen Liebesdienst? Brackenburg. Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich kann Euern Augen nicht ausweichen. Klare. Grillen! kommt und haltet! Mutter (im Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert so hæ¼bsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen. Brackenburg. Sonst. Klare. Wir wollen singen. Brackenburg. Was Ihr wollt. Klare. Nur hæ¼bsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen, mein Leibstæ¼ck. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.) Die Trommel geræ¼hret! Das Pfeifchen gespielt! Mein Liebster gewaffnet Dem Haufen befiehlt, Die Lanze hoch fæ¼hret, Die Leute regieret. Wie klopft mir das Herze! Wie wallt mir das Blut! O hæ¤tt' ich ein Wæ¤mslein Und Hosen und Hut! Ich folgt' ihm zum Tor 'naus Mit mutigem Schritt, Ging' durch die Provinzen, Ging' æ¼berall mit. Die Feinde schon weichen, Wir schieæŸen darein. Welch Glæ¼ck sondergleichen, Ein Mannsbild zu sein! (Brackenburg hat unter dem Singen Klæ¤rchen oft angesehen; zuletzt bleibt ihm die Stimme stocken, die Træ¤nen kommen ihm in die Augen, er læ¤æŸt den Strang fallen und geht ans Fenster. Klæ¤rchen singt das Lied allein aus, die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlæ¼ssig wieder um und setzt sich.) Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich hæ¶re marschieren. Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin. Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten? (Sie steht auf und geht an das Fenster zu Brackenburg.) Das ist nicht die tæ¤gliche Wache, das sind weit mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hæ¶rt einmal, was es gibt. Es muæŸ etwas Besonderes sein. Geht, guter Brackenburg, tut mir den Gefallen. Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend die Hand; sie gibt ihm die ihrige.) Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg. Klare. Ich bin neugierig; und auch, verdenkt mir's nicht, seine Gegenwart tut mir weh. Ich weiæŸ immer nicht, wie ich mich gegen ihn betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen, daæŸ er es so lebendig fæ¼hlt. - Kann ich's doch nicht æ¤ndern! Mutter. Es ist ein so treuer Bursche. Klare. Ich kann's auch nicht lassen, ich muæŸ ihm freundlich begegnen. Meine Hand dræ¼ckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so liebevoll anfaæŸt. Ich mache mir Vorwæ¼rfe, daæŸ ich ihn betriege, daæŸ ich in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung næ¤hre. Ich bin æ¼bel dran. WeiæŸ Gott, ich betrieg ihn nicht. Ich will nicht, daæŸ er hoffen soll, und ich kann ihn doch nicht verzweifeln lassen. Mutter. Das ist nicht gut. Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich hæ¤tte ihn heiraten kæ¶nnen und glaube, ich war nie in ihn verliebt. Mutter. Glæ¼cklich wæ¤rst du immer mit ihm gewesen. Klare. Wæ¤re versorgt und hæ¤tte ein ruhiges Leben. Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt. Klare. Ich bin in einer wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie es gegangen ist, weiæŸ ich's wohl und weiæŸ es nicht. Und dann darf ich Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja wæ¤re mir weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an, und ich in seinem Arm sollte nicht das glæ¼cklichste Geschæ¶pf von der Welt sein? Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden? Klare. Ach, ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist das eine Frage? Mutter. Man hat nichts als Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das ausgehen wird! Immer Sorge und Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich unglæ¼cklich gemacht! mich unglæ¼cklich gemacht. Klare (gelassen). Ihr lieæŸet es doch im Anfange. Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut. Klare. Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr mich da? Tratet Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, læ¤chelte, nickte, mich græ¼æŸte: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in Eurer Tochter geehrt? Mutter. Mache mir noch Vorwæ¼rfe. Klare (geræ¼hrt). Wenn er nun æ¶fter die StraæŸe kam, und wir wohl fæ¼hlten, daæŸ er um meinetwillen den Weg machte, bemerktet Ihr's nicht selbst mit heimlicher Freude? Rieft Ihr mich ab, wenn ich hinter den Scheiben stand und ihn erwartete? Mutter. Dachte ich, daæŸ es so weit kommen sollte? Klare (mit stockender Stimme und zuræ¼ckgehaltenen Træ¤nen). Und wie er uns abends, in den Mantel eingehæ¼llt, bei der Lampe æ¼berraschte, wer war geschæ¤ftig, ihn zu empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und staunend sitzen blieb? Mutter. Und konnte ich fæ¼rchten, daæŸ diese unglæ¼ckliche Liebe das kluge Klæ¤rchen so bald hinreiæŸen wæ¼rde? Ich muæŸ es nun tragen, daæŸ meine Tochter - Klare (mit ausbrechenden Træ¤nen). Mutter! Ihr wollt's nun! Ihr habt Eure Freude, mich zu æ¤ngstigen. Mutter (weinend). Weine noch gar! Mache mich noch elender durch deine Betræ¼bnis. Ist mir's nicht Kummer genug, daæŸ meine einzige Tochter ein verworfenes Geschæ¶pf ist? Klare (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte verworfen? - Welche Fæ¼rstin neidete nicht das arme Klæ¤rchen um den Platz an seinem Herzen! O Mutter - meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe Mutter, seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt. Mutter. Man muæŸ ihm hold sein! das ist wahr. Er ist immer so freundlich, frei und offen. Klare. Es ist keine falsche Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch der groæŸe Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbæ¤rge! wie er um mich besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster. Mutter. Kommt er wohl heute? Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Tæ¼r rauscht? - Ob ich schon weiæŸ, daæŸ er vor Nacht nicht kommt, vermut ich ihn doch jeden Augenblick, von morgens an, wenn ich aufstehe. Wæ¤r' ich nur ein Bube und kæ¶nnte immer mit ihm gehen, zu Hofe und æ¼berall hin! Kæ¶nnt' ihm die Fahne nachtragen in der Schlacht! - Mutter. Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du dich nicht ein wenig besser an? Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe! - Gestern, denkt, gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn. Wenigstens war sein Name in den Liedern! das æ¼brige konnte ich nicht verstehn. Das Herz schlug mir bis an den Hals - Ich hæ¤tte sie gern zuræ¼ckgerufen, wenn ich mich nicht geschæ¤mt hæ¤tte. Mutter. Nimm dich in acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du verræ¤tst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie du den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei riefst: Ñ»Graf Egmont!Ñ« - Ich ward feuerrot. Klare. Hæ¤tt' ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei Gravelingen, und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche unten in der Beschreibung C. Steht da: Ñ»Graf Egmont, dem das Pferd unter dem Leibe totgeschossen wird.Ñ« Mich æ¼berlief's - und hernach muæŸt' ich lachen æ¼ber den holzgeschnitzten Egmont, der so groæŸ war als der Turm von Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was ich mir als Mæ¤dchen fæ¼r ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn sie von ihm erzæ¤hlten, und von allen Grafen und Fæ¼rsten - und wie mir's jetzt ist! (Brackenburg kommt.) Klare. Wie steht's? Brackenburg. Man weiæŸ nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er mæ¶chte sich hieher verbreiten. Das SchloæŸ ist stark besetzt, die Bæ¼rger sind zahlreich an den Toren, das Volk summt in den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten Vater. (Als wollt' er gehen.) Klare. Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder so eine Historie. Mutter. Lebt wohl. Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand! Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter und Tochter ab.) Brackenburg (allein). Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder fortzugehn; und da sie es dafæ¼r aufnimmt und mich gehen læ¤æŸt, mæ¶cht' ich rasend werden. - Unglæ¼cklicher! und dich ræ¼hrt deines Vaterlandes Geschick nicht? der wachsende Tumult nicht? - und gleich ist dir Landsmann oder Spanier, und wer regiert und wer recht hat? - War ich doch ein andrer Junge als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: Ñ»Brutus' Rede fæ¼r die Freiheit, zur æœbung der RedekunstÑ«, da war doch immer Fritz der Erste, und der Rektor sagte: Ñ»Wenn's nur ordentlicher wæ¤re, nur nicht alles so æ¼bereinander gestolpert.Ñ« - Damals kocht' es und trieb! - Jetzt schlepp ich mich an den Augen des Mæ¤dchens so hin. Kann ich sie doch nicht lassen! Kann sie mich doch nicht lieben! - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht læ¤nger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr sagte? daæŸ sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlæ¤æŸt, da sie mich zæ¼chtig immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es ist eine Læ¼ge, eine schæ¤ndliche verleumderische Læ¼ge! Klæ¤rchen ist so unschuldig, als ich unglæ¼cklich bin. - Sie hat mich verworfen, hat mich von ihrem Herzen gestoæŸen - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht. - - Schon wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich sterbe unter dem Getæ¼mmel nur ab! Ich duld es nicht! - Wenn die Trompete klingt, ein SchuæŸ fæ¤llt, mir fæ¤hrt's durch Mark und Bein! Ach, es reizt mich nicht! es fordert mich nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu wagen. - Elender, schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal. Neulich stæ¼rzt' ich mich ins Wasser, ich sank - aber die geæ¤ngstete Natur war stæ¤rker; ich fæ¼hlte, daæŸ ich schwimmen konnte, und rettete mich wider Wille. - - Kæ¶nnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu lieben schien! - Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das Glæ¼ck? Warum haben mir diese Hoffnungen allen GenuæŸ des Lebens aufgezehrt, indem sie mir ein Paradies von weitem zeigten? - Und jener erste KuæŸ! Jener einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie war immer gut und freundlich gegen mich gewesen - da schien sie sich zu erweichen - sie sah mich an - alle Sinnen gingen mir um, und ich fæ¼hlte ihre Lippen auf den meinigen. - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst du? (Er zieht ein Flæ¤schchen aus der Tasche.) Ich will dich nicht umsonst aus meines Bruders Doktorkæ¤stchen gestohlen haben, heilsames Gift! Du sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese TodesschweiæŸe auf einmal verschlingen und læ¶sen. Zweiter Aufzug Platz in Bræ¼ssel Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen. Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der Zunft sagt' ich, es wæ¼rde schwere Hæ¤ndel geben. Jetter. Ist's denn wahr, daæŸ sie die Kirchen in Flandern geplæ¼ndert haben? Zimmermeister. Ganz und gar zugrunde gerichtet haben sie Kirchen und Kapellen. Nichts als die vier nackten Wæ¤nde haben sie stehen lassen. Lauter Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hæ¤tten eher, in der Ordnung und standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heiæŸt es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern. Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran? hæ¤ngt doch der Hals gar nah damit zusammen. Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu læ¤rmen anfæ¤ngt, unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum Vorwande, worauf wir uns auch berufen mæ¼ssen, und bringen das Land in Unglæ¼ck. (Soest tritt dazu.) Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr, daæŸ die Bilderstæ¼rmer gerade hierher ihren Lauf nehmen? Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anræ¼hren. Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich aus. Die Regentin, so eine wackre kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie auæŸer Fassung. Es muæŸ sehr arg sein, daæŸ sie sich so geradezu hinter ihre Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus der Stadt flæ¼chten. Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschæ¼tzt uns, und wir wollen ihr mehr verschaffen als ihre Stutzbæ¤rte. Und wenn sie uns unsere Rechte und Freiheiten aufrechterhæ¤lt, so wollen wir sie auf den Hæ¤nden tragen. (Seifensieder tritt dazu.) Seifensieder. Garstige Hæ¤ndel! æœble Hæ¤ndel! Es wird unruhig und geht schief aus! - Hæ¼tet euch, daæŸ ihr stille bleibt, daæŸ man euch nicht auch fæ¼r Aufwiegler hæ¤lt. Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland. Seifensieder. Ich weiæŸ, da sind viele, die es heimlich mit den Calvinisten halten, die auf die Bischæ¶fe læ¤stern, die den Kæ¶nig