Герман Гессе. Сиддхартха (На немецком языке)
Hermann Hesse. Siddhartha
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Герман Гессе. Сиддхартха. На немецком языке. 1922
Печатный источник: Hermann Hesse. Siddhartha, Frankfurt am Main, 1976
OCR, Spellcheck: Илья Франк, http://frank.deutschesprache.ru
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SIDDHARTHA
Eine indische Dichtung
von Hermann Hesse
Romain Rolland dem verehrten Freunde gewidmet
Im Schatten des Hauses, in der Sonne des Flussufers bei den Booten, im
Schatten des Salwaldes, im Schatten des Feigenbaumes wuchs Siddhartha auf,
der schXne Sohn des Brahmanen, der junge Falke, zusammen mit seinem Freunde,
dem Brahmanensohn. Sonne brXunte seine lichten Schultern am Flussufer, beim
Bade, bei den heiligen Waschungen, bei den heiligen Opfern. Schatten floss
in seine schwarzen Augen im Mangohain, bei den Knabenspielen, beim Gesang
der Mutter, bei den heiligen Opfern, bei den Lehren seines Vaters, des
Gelehrten, beim GesprXch der Weisen. Lange schon nahm Siddhartha am GesprXch
der Weisen teil, Xbte sich mit Govinda im Redekampf, Xbte sich mit Govinda
in der Kunst der Betrachtung, im Dienst der Versenkung. Schon verstand er,
lautlos das Om zu sprechen, das Wort der Worte, es lautlos in sich hinein zu
sprechen mit dem Einhauch, es lautlos aus sich heraus zu sprechen mit dem
Aushauch, mit gesammelter Seele, die Stirn umgeben vom Glanz des
klardenkenden Geistes. Schon verstand er, im Innern seines Wesens Atman zu
wissen, unzerstXrbar, eins mit dem Weltall.
Freude sprang in seines Vaters Herzen Xber den Sohn, den Gelehrigen,
den Wissensdurstigen, einen groXen Weisen und Priester sah er in ihm
heranwachsen, einen FXrsten unter den Brahmanen.
Wonne sprang in seiner Mutter Brust, wenn sie ihn sah, wenn sie ihn
schreiten, wenn sie ihn niedersitzen und aufstehen sah, Siddhartha, den
Starken, den SchXnen, den auf schlanken Beinen Schreitenden, den mit
vollkommenem Anstand sie BegrXenden.
Liebe rXhrte sich in den Herzen der jungen BrahmanentXchter, wenn
Siddhartha durch die Gassen der Stadt ging, mit der leuchtenden Stirn, mit
dem KXnigsauge, mit den schmalen HXften.
Mehr als sie alle aber liebte ihn Govinda, sein Freund, der
Brahmanensohn. Er liebte Siddharthas Auge und holde Stimme, er liebte seinen
Gang und den vollkommenen Anstand seiner Bewegungen, er liebte alles, was
Siddhartha tat und sagte, und am meisten liebte er seinen Geist, seine
hohen, feurigen Gedanken, seinen glXhenden Willen, seine hohe Berufung.
Govinda wusste: dieser wird kein gemeiner Brahmane werden, kein fauler
Opferbeamter, kein habgieriger HXndler mit ZaubersprXchen, kein eitler,
leerer Redner, kein bXser, hinterlistiger Priester, und auch kein gutes,
dummes Schaf in der Herde der Vielen. Nein, und auch er, Govinda, wollte
kein solcher werden, kein Brahmane, wie es zehntausend gibt. Er wollte
Siddhartha folgen, dem Geliebten, dem Herrlichen. Und wenn Siddhartha
einstmals ein Gott wXrde, wenn er einstmals eingehen wXrde zu den
Strahlenden, dann wollte Govinda ihm folgen, als sein Freund, als sein
Begleiter, als sein Diener, als sein SpeertrXger, sein Schatten.
So liebten den Siddhartha alle. Allen schuf er Freude, allen war er zur
Lust.
Er aber, Siddhartha, schuf sich nicht Freude, er war sich nicht zur
Lust. Wandelnd auf den rosigen Wegen des Feigengartens, sitzend im
blXulichen Schatten des Hains der Betrachtung, waschend seine Glieder im
tXglichen SXhnebad, opfernd im tiefschattigen Mangowald, von vollkommenem
Anstand der GebXrden, von allen geliebt, aller Freude, trug er doch keine
Freude im Herzen. TrXume kamen ihm und rastlose Gedanken aus dem Wasser des
Flusses geflossen, aus den Sternen der Nacht gefunkelt, aus den Strahlen der
Sonne geschmolzen, TrXume kamen ihm und Ruhelosigkeit der Seele, aus den
Opfern geraucht, aus den Versen der Rig-Veda gehaucht, aus den Lehren der
alten Brahmanen getrXufelt.
Siddhartha hatte begonnen, Unzufriedenheit in sich zu nXhren, Er hatte
begonnen zu fXhlen, dass die Liebe seines Vaters, und die Liebe seiner
Mutter, und auch die Liebe seines Freundes, Govindas, nicht immer und fXr
alle Zeit ihn beglXcken, ihn stillen, ihn sXttigen, ihm genXgen werde. Er
hatte begonnen zu ahnen, dass sein ehrwXrdiger Vater und seine anderen
Lehrer, dass die weisen Brahmanen ihm von ihrer Weisheit das meiste und
beste schon mitgeteilt, dass sie ihre FXlle schon in sein wartendes GefX
gegossen hXtten, und das GefX war nicht voll, der Geist war nicht begnXgt,
die Seele war nicht ruhig, das Herz nicht gestillt. Die Waschungen waren
gut, aber sie waren Wasser, sie wuschen nicht SXnde ab, sie heilten nicht
Geistesdurst, sie lXsten nicht Herzensangst. Vortrefflich waren die Opfer
und die Anrufung der GXtter aber war dies alles? Gaben die Opfer GlXck? Und
wie war das mit den GXttern? War es wirklich Prajapati, der die Welt
erschaffen hat? War es nicht der Atman, Er, der Einzige, der Alleine? Waren
nicht die GXtter Gestaltungen, erschaffen wie ich und du, der Zeit untertan,
vergXnglich? War es also gut, war es richtig, war es ein sinnvolles und
hXchstes Tun, den GXttern zu opfern? Wem anders war zu opfern, wem anders
war Verehrung darzubringen als Ihm, dem Einzigen, dem Atman? Und wo war
Atman zu finden, wo wohnte Er, wo schlug Sein ewiges Herz, wo anders als im
eigenen Ich, im Innersten, im UnzerstXrbaren, das ein jeder in sich trug?
Aber wo, wo war dies Ich, dies Innerste, dies Letzte? Es war nicht Fleisch
und Bein, es war nicht Denken noch Bewusstsein, so lehrten die Weisesten.
Wo, wo also war es? Dorthin zu dringen, zum Ich, zu mir, zum Atman, gab es
einen andern Weg, den zu suchen sich lohnte? Ach, und niemand zeigte diesen
Weg, niemand wusste ihn, nicht der Vater, nicht die Lehrer und Weisen, nicht
die heiligen OpfergesXnge! Alles wussten sie, die Brahmanen und ihre
heiligen BXcher, alles wussten sie, um alles hatten sie sich gekXmmert und
um mehr als alles, die Erschaffung der Welt, das Entstehen der Rede, der
Speise, des Einatmens, des Ausatmens, die Ordnungen der Sinne, die Taten der
GXtter unendlich vieles wussten sie X aber war es wertvoll, dies alles zu
wissen, wenn man das Eine und Einzige nicht wusste, das Wichtigste, das
allein Wichtige? Gewiss, viele Verse der heiligen BXcher, zumal in den
Upanishaden des Samaveda, sprachen von diesem Innersten und Letzten,
herrliche Verse. "Deine Seele ist die ganze Welt", stand da geschrieben, und
geschrieben stand, dass der Mensch im Schlafe, im Tiefschlaf, zu seinem
Innersten eingehe und im Atman wohne. Wunderbare Weisheit stand in diesen
Versen, alles Wissen der Weisesten stand hier in magischen Worten gesammelt,
rein wie von Bienen gesammelter Honig. Nein, nicht gering zu achten war das
Ungeheure an Erkenntnis, das hier von unzXhlbaren Geschlechterfolgen weiser
Brahmanen gesammelt und bewahrt lag. X Aber wo waren die Brahmanen, wo die
Priester, wo die Weisen oder BXer, denen es gelungen war, dieses tiefste
Wissen nicht bloX zu wissen, sondern zu leben? Wo war der Kundige, der das
Daheimsein im Atman aus dem Schlafe herXberzauberte ins Wachsein, in das
Leben, in Schritt und Tritt, in Wort und Tat? Viele ehrwXrdige Brahmanen
kannte Siddhartha, seinen Vater vor allen, den Reinen, den Gelehrten, den
hXchst EhrwXrdigen. Zu bewundern war sein Vater, still und edel war sein
Gehaben, rein sein Leben, weise sein Wort, feine und adlige Gedanken wohnten
in seiner Stirn X aber auch er, der so viel Wissende, lebte er denn in
Seligkeit, hatte er Frieden, war er nicht auch nur ein Suchender, ein
DXrstender? Musste er nicht immer und immer wieder an heiligen Quellen, ein
Durstender, trinken, am Opfer, an den BXchern, an der Wechselrede der
Brahmanen? Warum musste er, der Untadelige, jeden Tag SXnde abwaschen, jeden
Tag sich um Reinigung mXhen, jeden Tag von neuem? War denn nicht Atman in
ihm, floss denn nicht in seinem eigenen Herzen der Urquell? Ihn musste man
finden, den Urquell im eigenen Ich, ihn musste man zu eigen haben! Alles
andre war Suchen, war Umweg, war Verirrung.
So waren Siddharthas Gedanken, dies war sein Durst, dies sein Leiden.
Oft sprach er aus einem Chandogya-Upanishad sich die Worte vor:
"FXrwahr, der Name des Brahman ist Satyam X wahrlich, wer solches weiX, der
geht tXglich ein in die himmlische Welt." Oft schien sie nahe, die
himmlische Welt, aber niemals hatte er sie ganz erreicht, nie den letzten
Durst gelXscht. Und von allen Weisen und Weisesten, die er kannte und deren
Belehrung er genoss, von ihnen allen war keiner, der sie ganz erreicht
hatte, die himmlische Welt, der ihn ganz gelXscht hatte, den,ewigen Durst.
"Govinda," sprach Siddhartha zu seinem Freunde, "Govinda, Lieber, komm
mit mir unter den Banyanenbaum, wir wollen der Versenkung pflegen."
Sie gingen zum Banyanenbaum, sie setzten sich nieder, hier Siddhartha,
zwanzig Schritte weiter Govinda. Indem er sich niedersetzte, bereit, das Om
zu sprechen, wiederholte Siddhartha murmelnd den Vers:
Om ist Bogen, der Pfeil ist Seele,
Das Brahman ist des Pfeiles Ziel,
Das soll man unentwegt treffen.
Als die gewohnte Zeit der VersenkungsXbung hingegangen war, erhob sich
Govinda. Der Abend war gekommen, Zeit war es, die Waschung der Abendstunde
vorzunehmen. Er rief Siddharthas Namen. Siddhartha gab nicht Antwort.
Siddhartha saX versunken, seine Augen standen starr auf ein sehr fernes Ziel
gerichtet, seine Zungenspitze stand ein wenig zwischen den ZXhnen hervor, er
schien nicht zu atmen. So saX er, in Versenkung gehXllt, Om denkend, seine
Seele als Pfeil nach dem Brahman ausgesandt.
Einst waren Samanas durch Siddharthas Stadt gezogen, pilgernde Asketen,
drei dXrre, erloschene MXnner, nicht alt noch jung, mit staubigen und
blutigen Schultern, nahezu nackt von der Sonne versengt, von Einsamkeit
umgeben, fremd und feind der Welt, Fremdlinge und hagere Schakale im Reich
der Menschen. Hinter ihnen her wehte heiX ein Duft von stiller Leidenschaft,
von zerstXrendem Dienst, von mitleidloser Entselbstung.
Am Abend, nach der Stunde der Betrachtung, sprach Siddhartha zu
Govinda: "Morgen in der FrXhe, mein Freund, wird Siddhartha zu den Samanas
gehen. Er wird ein Samana werden."
Govinda erbleichte, da er die Worte hXrte und im unbewegten Gesicht
seines Freundes den Entschluss las, unablenkbar wie der vom Bogen
losgeschnellte Pfeil. Alsbald und beim ersten Blick erkannte Govinda: Nun
beginnt es, nun geht Siddhartha seinen Weg, nun beginnt sein Schicksal zu
sprossen, und mit seinem das meine. Und er wurde bleich wie eine trockene
Bananenschale.
"O Siddhartha," rief er, "wird das dein Vater dir erlauben?"
Siddhartha blickte herXber wie ein Erwachender. Pfeilschnell las er in
Govindas, Seele, las die Angst, las die Ergebung.
"O Govinda," sprach er leise, "wir wollen nicht Worte verschwenden.
Morgen mit Tagesanbruch werde ich das Leben der Samanas beginnen. Rede nicht
mehr davon."
Siddhartha trat in die Kammer, wo sein Vater auf einer Matte aus Bast
saX, und trat hinter seinen Vater und blieb da stehen, bis sein Vater
fXhlte, dass einer hinter ihm stehe. Sprach der Brahmane: "Bist du es,
Siddhartha? So sage, was zu sagen du gekommen bist."
Sprach Siddhartha: "Mit deiner Erlaubnis, mein Vater. Ich bin gekommen,
dir zu sagen, dass mich verlangt, morgen dein Haus zu verlassen und zu den
Asketen zu gehen. Ein Samana zu werden ist mein Verlangen. MXge mein Vater
dem nicht entgegen sein."
Der Brahmane schwieg, und schwieg so lange, dass im kleinen Fenster die
Sterne wanderten und ihre Figur verXnderten, ehe das Schweigen in der Kammer
ein Ende fand. Stumm und regungslos stand mit gekreuzten Armen der Sohn,
stumm und regungslos saX auf der Matte der Vater, und die Sterne zogen am
Himmel. Da sprach der Vater: "Nicht ziemt es dem Brahmanen, heftige und
zornige Worte zu reden. Aber Unwille bewegt mein Herz. Nicht mXchte ich
diese Bitte zum zweiten Male aus deinem Munde hXren."
Langsam erhob sich der Brahmane, Siddhartha stand stumm mit gekreuzten
Armen.
"Worauf wartest du?" fragte der Vater.
Sprach Siddhartha: "Du weiXt es."
Unwillig ging der Vater aus der Kammer, unwillig suchte er sein Lager
auf und legte sich nieder.
Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der
Brahmane auf, tat Schritte hin und her, trat aus dem Hause. Durch das kleine
Fenster der Kammer blickte er hinein, da sah er Siddhartha stehen, mit
gekreuzten Armen, unverrXckt. Bleich schimmerte sein helles Obergewand.
Unruhe im Herzen, kehrte der Vater zu seinem Lager zurXck.
Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der
Brahmane von neuem auf, tat Schritte hin und her, trat vor das Haus, sah den
Mond aufgegangen. Durch das Fenster der Kammer blickte er hinein, da stand
Siddhartha, unverrXckt, mit gekreuzten Armen, an seinen bloXen Schienbeinen
spiegelte das Mondlicht. Besorgnis im Herzen, suchte der Vater sein Lager
auf.
Und er kam wieder nach einer Stunde, und kam wieder nach zweien
Stunden, blickte durchs kleine Fenster, sah Siddhartha stehen, im Mond, im
Sternenschein, in der Finsternis. Und kam wieder von Stunde zu Stunde,
schweigend, blickte in die Kammer, sah den unverrXckt Stehenden, fXllte sein
Herz mit Zorn, fXllte sein Herz mit Unruhe, fXllte sein Herz mit Zagen,
fXllte es mit Leid.
Und in der letzten Nachtstunde, ehe der Tag begann, kehrte er wieder,
trat in die Kammer, sah den JXngling stehen, der ihm groX und wie fremd
erschien.
"Siddhartha," sprach er, "worauf wartest du?"
"Du weiXt es."
"Wirst du immer so stehen und warten, bis es Tag wird, Mittag wird,
Abend wird?"
"Ich werde stehen und warten."
"Du wirst mXde werden, Siddhartha."
"Ich werde mXde werden."
"Du wirst einschlafen, Siddhartha."
"Ich werde nicht einschlafen."
"Du wirst sterben, Siddhartha."
"Ich werde sterben."
"Und willst lieber sterben, als deinem Vater gehorchen?"
"Siddhartha hat immer seinem Vater gehorcht."
"So willst du dein Vorhaben aufgeben?"
"Siddhartha wird tun, was sein Vater ihm sagen wird."
Der erste Schein des Tages fiel in die Kammer. Der Brahmane sah, dass
Siddhartha in den Knien leise zitterte. In Siddharthas Gesicht sah er kein
Zittern, fernhin blickten die Augen. Da erkannte der Vater, dass Siddhartha
schon jetzt nicht mehr bei ihm und in der Heimat weile, dass er ihn schon
jetzt verlassen habe.
Der Vater berXhrte Siddharthas Schulter.
"Du wirst," sprach er, "in den Wald gehen und ein Samana sein. Hast du
Seligkeit gefunden im Walde, so komm und lehre mich Seligkeit. Findest du
EnttXuschung, dann kehre wieder und lass uns wieder gemeinsam den GXttern
opfern. Nun gehe und kXsse deine Mutter, sage ihr, wohin du gehst. FXr mich
aber ist es Zeit, an den Fluss zu gehen und die erste Waschung vorzunehmen."
Er nahm die Hand von der Schulter seines Sohnes und ging hinaus.
Siddhartha schwankte zur Seite, als er zu gehen versuchte. Er bezwang seine
Glieder, verneigte sich vor seinem Vater und ging zur Mutter, um zu tun, wie
der Vater gesagt hatte.
Als er im ersten Tageslicht langsam auf erstarrten Beinen die noch
stille Stadt verlieX, erhob sich bei der letzten HXtte ein Schatten, der
dort gekauert war, und schloss sich an den Pilgernden an X Govinda.
"Du bist gekommen", sagte Siddhartha und lXchelte.
"Ich bin gekommen," sagte Govinda.
Am Abend dieses Tages holten sie die Asketen ein, die dXrren Samanas,
und boten ihnen Begleitschaft und Gehorsam an. Sie wurden angenommen.
Siddhartha schenkte sein Gewand einem armen Brahmanen auf der StraXe.
Er trug nur noch die Schambinde und den erdfarbenen ungenXhten Xberwurf. Er
aX nur einmal am Tage, und niemals Gekochtes. Er fastete fXnfzehn Tage. Er
fastete acht und zwanzig Tage. Das Fleisch schwand ihm von Schenkeln und
Wangen. HeiXe TrXume flackerten aus seinen vergrXerten Augen, an seinen
dorrenden Fingern wuchsen lang die NXgel und am Kinn der trockne, struppige
Bart. Eisig wurde sein Blick, wenn er Weibern begegnete; sein Mund zuckte
Verachtung, wenn er durch eine Stadt mit schXn gekleideten Menschen ging. Er
sah HXndler handeln, FXrsten zur Jagd gehen, Leidtragende ihre Toten
beweinen, Huren sich anbieten, Xrzte sich um Kranke mXhen, Priester den Tag
fXr die Aussaat bestimmen, Liebende lieben, MXtter ihre Kinder stillen X und
alles war nicht den Blick seines Auges wert, alles log, alles stank, alles
stank nach LXge, alles tXuschte Sinn und GlXck und SchXnheit vor, und alles
war uneingestandene Verwesung. Bitter schmeckte die Welt. Qual war das
Leben.
Ein Ziel stand vor Siddhartha, ein einziges: leer werden, leer von
Durst, leer von Wunsch, leer von Traum, leer von Freude und Leid. Von sich
selbst wegsterben, nicht mehr Ich sein, entleerten Herzens Ruhe zu finden,
im entselbsteten Denken dem Wunder offen zu stehen, das war sein Ziel. Wenn
alles Ich Xberwunden und gestorben war, wenn jede Sucht und jeder Trieb im
Herzen schwieg, dann musste das Letzte erwachen, das Innerste im Wesen, das
nicht mehr Ich ist, das groXe Geheimnis.
Schweigend stand Siddhartha im senkrechten Sonnenbrand, glXhend vor
Schmerz, glXhend vor Durst, und stand, bis er nicht Schmerz noch Durst mehr
fXhlte. Schweigend stand er in der Regenzeit, aus seinem Haare troff das
Wasser Xber frierende Schultern, Xber frierende HXften und Beine, und der
BXer stand, bis Schultern und Beine nicht mehr froren, bis sie schwiegen,
bis sie still waren. Schweigend kauerte er im Dorngerank, aus der brennenden
Haut tropfte das Blut, aus SchwXren der Eiter, und Siddhartha verweilte
starr, verweilte regungslos, bis kein Blut mehr floss, bis nichts mehr
stach, bis nichts mehr brannte.
Siddhartha saX aufrecht und lernte den Atem sparen, lernte mit wenig
Atem auskommen, lernte den Atem abzustellen. Er lernte, mit dem Atem
beginnend, seinen Herzschlag beruhigen, lernte die SchlXge seines Herzens
vermindern, bis es wenige und fast keine mehr waren.
Vom Xltesten der Samanas belehrt, Xbte Siddhartha Entselbstung, Xbte
Versenkung, nach neuen Samanaregeln. Ein Reiher flog Xberm Bambuswald X und
Siddhartha nahm den Reiher in seine Seele auf, flog Xber Wald und Gebirg,
war Reiher, fraX Fische, hungerte Reiherhunger, sprach ReihergekrXchz, starb
Reihertod. Ein toter Schakal lag am Sandufer, und Siddharthas Seele
schlXpfte in den Leichnam hinein, war toter Schakal, lag am Strande, blXhte
sich, stank, verweste, ward von HyXnen zerstXckt, ward von Geiern enthXutet,
ward Gerippe, ward Staub, wehte ins Gefild. Und Siddharthas Seele kehrte
zurXck, war gestorben, war verwest, war zerstXubt, hatte den trXben Rausch
des Kreislaufs geschmeckt, harrte in neuem Durst wie ein JXger auf die
LXcke, wo dem Kreislauf zu entrinnen wXre, wo das Ende der Ursachen, wo
leidlose Ewigkeit begXnne. Er tXtete seine Sinne, er tXtete seine
Erinnerung, er schlXpfte aus seinem Ich in tausend fremde Gestaltungen, war
Tier, war Aas, war Stein, war Holz, war Wasser, und fand sich jedesmal
erwachend wieder, Sonne schien oder Mond, war wieder Ich, schwang im
Kreislauf, fXhlte Durst, Xberwand den Durst, fXhlte neuen Durst.
Vieles lernte Siddhartha bei den Samanas, viele Wege vom Ich hinweg
lernte er gehen. Er ging den Weg der Entselbstung durch den Schmerz, durch
das freiwillige Erleiden und Xberwinden des Schmerzes, des Hungers, des
Dursts, der MXdigkeit. Er ging den Weg der Entselbstung durch Meditation,
durch das Leerdenken des Sinnes von allen Vorstellungen. Diese und andere
Wege lernte er gehen, tausendmal verlieX er sein Ich, stundenlang und
tagelang verharrte er im Nicht-Ich. Aber ob auch die Wege vom Ich
hinwegfXhrten, ihr Ende fXhrte doch immer zum Ich zurXck. Ob Siddhartha
tausendmal dem Ich entfloh, im Nichts verweilte, im Tier, im Stein
verweilte, unvermeidlich war die RXckkehr, unentrinnbar die Stunde, da er
sich wiederfand, im Sonnenschein oder im Mondschein, im Schatten oder im
Regen, und wieder Ich und Siddhartha war, und wieder die Qual des
auferlegten Kreislaufes empfand.
Neben ihm lebte Govinda, sein Schatten, ging dieselben Wege, unterzog
sich denselben BemXhungen. Selten sprachen sie anderes miteinander, als der
Dienst und die Xbungen erforderten. Zuweilen gingen sie zu zweien durch die
DXrfer, um Nahrung fXr sich und ihre Lehrer zu betteln.
"Wie denkst du, Govinda," sprach einst auf diesem Bettelgang
Siddhartha, "wie denkst du, sind wir weiter gekommen? Haben wir Ziele
erreicht?"
Antwortete Govinda: "Wir haben gelernt, und wir lernen weiter. Du wirst
ein groXer Samana sein, Siddhartha. Schnell hast du jede Xbung gelernt, oft
haben die alten Samanas dich bewundert. Du wirst einst ein Heiliger sein, o
Siddhartha."
Sprach Siddhartha: "Mir will es nicht so erscheinen, mein Freund. Was
ich bis zu diesem Tage bei den Samanas gelernt habe, das, o Govinda, hXtte
ich schneller und einfacher lernen kXnnen. In jeder Kneipe eines
Hurenviertels, mein Freund, unter den Fuhrleuten und WXrfelspielern hXtte
ich es lernen kXnnen."
Sprach Govinda: "Siddhartha macht sich einen Scherz mit mir. Wie
hXttest du Versenkung, wie hXttest du Anhalten des Atems, wie hXttest du
Unempfindsamkeit gegen Hunger und Schmerz dort bei jenen Elenden lernen
sollen?"
Und Siddhartha sagte leise, als sprXche er zu sich selber: "Was ist
Versenkung? Was ist Verlassen des KXrpers? Was ist Fasten? Was ist
Anhaltendes Atems? Es ist Flucht vor dem Ich, es ist ein kurzes Entrinnen
aus der Qual des Ichseins, es ist eine kurze BetXubung gegen den Schmerz und
die Unsinnigkeit des Lebens. Dieselbe Flucht, dieselbe kurze BetXubung
findet der Ochsentreiber in der Herberge, wenn er einige Schalen Reiswein
trinkt oder gegorene Kokosmilch. Dann fXhlt er sein Selbst nicht mehr, dann
fXhlt er die Schmerzen des Lebens nicht mehr, dann findet er kurze
BetXubung. Er findet, Xber seiner Schale mit Reiswein eingeschlummert,
dasselbe, was Siddhartha und Govinda finden, wenn sie in langen Xbungen aus
ihrem KXrper entweichen, im Nicht-Ich verweilen. So ist es, o Govinda."
Sprach Govinda: "So sagst du, o Freund, und weiXt doch, dass Siddhartha
kein Ochsentreiber ist und ein Samana kein Trunkenbold. Wohl findet der
Trinker BetXubung, wohl findet er kurze Flucht und Rast, aber er kehrt
zurXck aus dem Wahn und, findet alles beim alten, ist nicht weiser geworden,
hat nicht Erkenntnis gesammelt, X ist nicht um Stufen hXher gestiegen."
Und Siddhartha sprach mit LXcheln: "Ich weiX es nicht, ich bin nie ein
Trinker gewesen. Aber dass ich, Siddhartha, in meinen Xbungen und
Versenkungen nur kurze BetXubung finde und ebenso weit von der Weisheit, von
der ErlXsung entfernt bin wie als Kind im Mutterleibe, das weiX ich, o
Govinda, das weiX ich."
Und wieder ein anderes Mal, da Siddhartha mit Govinda den Wald verlieX,
um im Dorfe etwas Nahrung fXr ihre BrXder und Lehrer zu betteln, begann
Siddhartha zu sprechen und sagte: "Wie nun, o Govinda, sind wir wohl auf dem
rechten Wege? NXhern wir uns wohl der Erkenntnis? NXhern wir uns wohl der
ErlXsung? Oder gehen wir nicht vielleicht im Kreise X wir, die wir doch dem
Kreislauf zu entrinnen dachten?"
Sprach Govinda: "Viel haben wir gelernt, Siddhartha, viel bleibt noch
zu lernen. Wir gehen nicht im Kreise, wir gehen nach oben, der Kreis ist
eine Spirale, manche Stufe sind wir schon gestiegen."
Antwortete Siddhartha: "Wie alt wohl, meinst du, ist unser Xltester
Samana, unser ehrwXrdiger Lehrer?"
Sprach Govinda: "Vielleicht sechzig Jahre mag unser Xltester zXhlen."
Und Siddhartha: "Sechzig Jahre ist er alt geworden und hat Nirwana
nicht erreicht. Er wird siebzig werden und achtzig, und du und ich, wir
werden ebenso alt werden und werden uns Xben, und werden fasten, und werden
meditieren. Aber Nirwana werden wir nicht erreichen, er nicht, wir nicht. O
Govinda, ich glaube, von allen Samanas, die es gibt, wird vielleicht nicht
einer, nicht einer Nirwana erreichen. Wir finden TrXstungen, wir finden
BetXubungen, wir lernen Kunstfertigkeiten, mit denen wir uns tXuschen. Das
Wesentliche aber, den Weg der Wege finden wir nicht."
"MXgest du doch," sprach Govinda, "nicht so erschreckende Worte
aussprechen, Siddhartha! Wie sollte denn unter so vielen gelehrten MXnnern,
unter so viel Brahmanen, unter so vielen strengen und ehrwXrdigen Samanas,
unter so viel suchenden, so viel innig beflissenen, so viel heiligen MXnnern
keiner den Weg der Wege finden?"
Siddhartha aber sagte mit einer Stimme, welche so viel Trauer wie Spott
enthielt, mit einer leisen, einer etwas traurigen, einer etwas spXttischen
Stimme: "Bald, Govinda, wird dein Freund diesen Pfad der Samanas verlassen,
den er so lang mit dir gegangen ist. Ich leide Durst, o Govinda, und auf
diesem langen Samanawege ist mein Durst um nichts kleiner geworden. Immer
habe ich nach Erkenntnis gedXrstet, immer bin ich voll von Fragen gewesen.
Ich habe die Brahmanen befragt, Jahr um Jahr, und habe die heiligen Vedas
befragt, Jahr um Jahr, und habe die frommen Samanas befragt, Jahr um Jahr.
Vielleicht, o Govinda, wXre es ebenso gut, wXre es ebenso klug und ebenso
heilsam gewesen, wenn ich den Nashornvogel oder den Schimpansen befragt
hXtte. Lange Zeit habe ich gebraucht und bin noch nicht damit zu Ende, um
dies zu lernen, o Govinda: dass man nichts lernen kann! Es gibt, so glaube
ich, in der Tat jenes Ding nicht, das wir `Lernen' nennen. Es gibt, o mein
Freund, nur ein Wissen, das ist Xberall, das ist Atman, das ist in mir und
in dir und in jedem Wesen. Und so beginne ich zu glauben: dies Wissen hat
keinen Xrgeren Feind als das Wissenwollen, als das Lernen."
Da blieb Govinda auf dem Wege stehen, erhob die HXnde und sprach:
"MXgest du, Siddhartha, deinen Freund doch nicht mit solchen Reden
beXngstigen! Wahrlich, Angst erwecken deine Worte in meinem Herzen. Und
denke doch nur: wo bliebe die Heiligkeit der Gebete, wo bliebe die
EhrwXrdigkeit des Brahmanenstandes, wo die Heiligkeit der Samanas, wenn es
so wXre wie du sagst, wenn es kein Lernen gXbe?! Was, o Siddhartha, was
wXrde dann aus alledem werden, was auf Erden heilig, was wertvoll, was
ehrwXrdig ist?!"
Und Govinda murmelte einen Vers vor sich hin, einen Vers aus einer
Upanishad:
"Wer nachsinnend, gelXuterten Geistes, in Atman sich versenkt,
Unaussprechlich durch Worte ist seines Herzens Seligkeit."
Siddhartha aber schwieg. Er dachte der Worte, welche Govinda zu ihm
gesagt hatte, und dachte die Worte bis an ihr Ende.
Ja, dachte er, gesenkten Hauptes stehend, was bliebe noch Xbrig von
allem, was uns heilig schien? Was bleibt? Was bewXhrt sich? Und er
schXttelte den Kopf.
Einstmals, als die beiden JXnglinge gegen drei Jahre bei den Samanas
gelebt und ihre Xbungen geteilt hatten, da erreichte sie auf mancherlei
Wegen und Umwegen eine Kunde, ein GerXcht, eine Sage: Einer sei erschienen,
Gotama genannt, der Erhabene, der Buddha, der habe in sich das Leid der Welt
Xberwunden und das Rad der Wiedergeburten zum Stehen gebracht. Lehrend ziehe
er, von JXngern umgeben, durch das Land, besitzlos, heimatlos, weiblos, im
gelben Mantel eines Asketen, aber mit heiterer Stirn, ein Seliger, und
Brahmanen und FXrsten beugten sich vor ihm und wXrden seine SchXler.
Diese Sage, dies GerXcht, dies MXrchen klang auf, duftete empor, hier
und dort, in den StXdten sprachen die Brahmanen davon, im Wald die Samanas,
immer wieder drang der Name Gotamas, des Buddha, zu den Ohren der JXnglinge,
im Guten und im BXsen, in Lobpreisung und in SchmXhung.
Wie wenn in einem Lande die Pest herrscht, und es erhebt sich die
Kunde, da und dort sei ein Mann, ein Weiser, ein Kundiger, dessen Wort und
Anhauch genXge, um jeden von der Seuche Befallenen zu heilen, und wie dann
diese Kunde das Land durchlXuft und jedermann davon spricht, viele glauben,
viele zweifeln, viele aber sich alsbald auf den Weg machen, um den Weisen,
den Helfer aufzusuchen, so durchlief das Land jene Sage, jene duftende Sage
von Gotama, dem Buddha, dem Weisen aus dem Geschlecht der Sakya. Ihm war, so
sprachen die GlXubigen, hXchste Erkenntnis zu eigen, er erinnerte sich
seiner vormaligen Leben, er hatte Nirwana erreicht und kehrte nie mehr in
den Kreislauf zurXck, tauchte nie mehr in den trXben Strom der Gestaltungen
unter. Vieles Herrliche und Unglaubliche wurde von ihm berichtet, er hatte
Wunder getan, hatte den Teufel Xberwunden, hatte mit den GXttern gesprochen.
Seine Feinde und UnglXubigen aber sagten, dieser Gotama sei ein eitler
VerfXhrer, er bringe seine Tage in Wohlleben hin, verachte die Opfer, sei
ohne Gelehrsamkeit und kenne weder Xbung noch Kasteiung.
SX klang die Sage von Buddha, Zauber duftete aus diesen Berichten.
Krank war ja die Welt, schwer zu ertragen war das Leben X und siehe,
hier schien eine Quelle zu springen, hier schien ein Botenruf zu tXnen,
trostvoll, mild, edler Versprechungen voll. Xberall, wohin das GerXcht vom
Buddha erscholl, Xberall in den LXndern Indiens horchten die JXnglinge auf,
fXhlten Sehnsucht, fXhlten Hoffnung, und unter den BrahmanensXhnen der
StXdte und DXrfer war jeder Pilger und Fremdling willkommen, wenn er Kunde
von ihm, dem Erhabenen, dem Sakyamuni, brachte.
Auch zu den Samanas im Walde, auch zu Siddhartha, auch zu Govinda war
die Sage gedrungen, langsam, in Tropfen, jeder Tropfen schwer von Hoffnung,
jeder Tropfen schwer von Zweifel. Sie sprachen wenig davon, denn der Xlteste
der Samanas war kein Freund dieser Sage. Er hatte vernommen, dass jener
angebliche Buddha vormals Asket gewesen und im Walde gelebt, sich dann aber
zu Wohlleben und Weltlust zurXckgewendet habe, und er hielt nichts von
diesem Gotama.
"O Siddhartha", sprach einst Govinda zu seinem Freunde. "Heute war ich
im Dorf, und ein Brahmane lud mich ein, in sein Haus zu treten, und in
seinem Hause war ein Brahmanensohn aus Magadha, dieser hat mit seinen
eigenen Augen den Buddha gesehen und hat ihn lehren hXren. Wahrlich, da
schmerzte mich der Atem in der Brust, und ich dachte bei mir: MXchte doch
auch ich, mXchten doch auch wir beide, Siddhartha und ich, die Stunde
erleben, da wir die Lehre aus dem Munde jenes Vollendeten vernehmen! Sprich,
Freund, wollen wir nicht auch dorthin gehen und die Lehre aus dem Munde des
Buddha anhXren?"
Sprach Siddhartha: "Immer, o Govinda, hatte ich gedacht, Govinda wXrde
bei den Samanas bleiben, immer hatte ich geglaubt, es wXre sein Ziel,
sechzig und siebzig Jahre alt zu worden und immer weiter die KXnste und
Xbungen zu treiben, welche den Samana zieren. Aber sieh, ich hatte Govinda
zu wenig gekannt, wenig wusste ich von seinem Herzen. Nun also willst du,
Teuerster, einen neuen Pfad einschlagen und dorthin gehen, wo der Buddha
seine Lehre verkXndet."
Sprach Govinda: "Dir beliebt es zu spotten. MXgest du immerhin spotten,
Siddhartha! Ist aber nicht auch in dir ein Verlangen, eine Lust erwacht,
diese Lehre zu hXren? Und hast du nicht einst zu mir gesagt, nicht lange
mehr werdest du den Weg der Samanas gehen?"
Da lachte Siddhartha, auf seine Weise, wobei der Ton seiner Stimme
einen Schatten von Trauer und einen Schatten von Spott annahm, und sagte:
"Wohl, Govinda, wohl hast du gesprochen, richtig hast du dich erinnert.
MXgest du doch auch des andern dich erinnern, das du von mir gehXrt hast,
dass ich nXmlich misstrauisch und mXde gegen Lehre und Lernen geworden bin,
und dass mein Glaube klein ist an Worte, die von Lehrern zu uns kommen. Aber
wohlan, Lieber, ich bin bereit, jene Lehre zu hXren X obschon ich im Herzen
glaube, dass wir die beste Frucht jener Lehre schon gekostet haben.
Sprach Govinda: "Deine Bereitschaft erfreut mein Herz. Aber sage, wie
sollte das mXglich sein? Wie sollte die Lehre des Gotama, noch ehe wir sie
vernommen, uns schon ihre beste Frucht erschlossen haben?"
Sprach Siddhartha: "Lass diese Frucht uns genieXen und das weitere
abwarten, o Govinda! Diese Frucht aber, die wir schon jetzt dem Gotama
verdanken, besteht darin, dass er uns von den Samanas hinwegruft! Ob er uns
noch anderes und Besseres zu geben hat, o Freund, darauf lass uns ruhigen
Herzens warten."
An diesem selben Tage gab Siddhartha dem Xltesten der Samanas seinen
Entschluss zu wissen, dass er ihn verlassen wollte. Er gab ihn dem Xltesten
zu wissen mit der HXflichkeit und Bescheidenheit, welche dem JXngeren und
SchXler ziemt. Der Samana aber geriet in Zorn, dass die beiden JXnglinge ihn
verlassen wollten, und redete laut und brauchte grobe Schimpfworte.
Govinda erschrak und kam in Verlegenheit, Siddhartha aber neigte den
Mund zu Govindas Ohr und flXsterte ihm zu: "Nun will ich dem Alten zeigen,
dass ich etwas bei ihm gelernt habe."
Indem er sich nahe vor dem Samana aufstellte, mit gesammelter Seele,
fing er den Blick des Alten mit seinen Blicken ein, bannte ihn, machte ihn
stumm, machte ihn willenlos, unterwarf ihn seinem Willen, befahl ihm,
lautlos zu tun, was er von ihm verlangte. Der alte Mann wurde stumm, sein
Auge wurde starr, sein Wille gelXhmt, seine Arme hingen herab, machtlos war
er Siddharthas Bezauberung erlegen. Siddharthas Gedanken aber bemXchtigten
sich des Samana, er musste vollfXhren, was sie befahlen. Und so verneigte
sich der Alte mehrmals, vollzog segnende GebXrden, sprach stammelnd einen
frommen Reisewunsch. Und die JXnglinge erwiderten dankend die Verneigungen,
erwiderten den Wunsch, zogen grXend von dannen.
Unterwegs sagte Govinda: "O Siddhartha, du hast bei den Samanas mehr
gelernt, als ich wusste. Es ist schwer, es ist sehr schwer, einen alten
Samana zu bezaubern. Wahrlich, wXrest du dort geblieben, du hXttest bald
gelernt, auf dem Wasser zu gehen."
"Ich begehre nicht, auf dem Wasser zu gehen", sagte Siddhartha. "MXgen
alte Samanas mit solchen KXnsten sich zufrieden geben!"
In der Stadt Savathi kannte jedes Kind den Namen des Erhabenen Buddha,
und jedes Haus war gerXstet, den JXngern Gotamas, den schweigend Bittenden,
die Almosenschale zu fXllen. Nahe bei der Stadt lag Gotamas liebster
Aufenthalt, der Hain Jetavana, welchen der reiche Kaufherr Anathapindika,
ein ergebener Verehrer des Erhabenen, ihm und den Seinen zum Geschenk
gemacht hatte.
Nach dieser Gegend hatten alle ErzXhlungen und Antworten hingewiesen,
welche den beiden jungen Asketen auf der Suche nach Gotamas Aufenthalt
zuteil wurden. Und da sie in Savathi ankamen, ward ihnen gleich im ersten
Hause, vor dessen TXr sie bittend stehen blieben, Speise angeboten, und sie
nahmen Speise an, und Siddhartha fragte die Frau, welche ihnen die Speise
reichte:
"Gerne, du MildtXtige, gerne mXchten wir erfahren, wo der Buddha weilt,
der EhrwXrdigste, denn wir sind zwei Samanas aus dem Walde, und sind
gekommen, um ihn, den Vollendeten, zu sehen und die Lehre aus seinem Munde
zu vernehmen."
Sprach die Frau: "Am richtigen Orte wahrlich seid ihr hier abgestiegen,
ihr Samanas aus dem Walde. Wisset, in Jetavana, im Garten Anathapindikas,
weilt der Erhabene. Dort mXget ihr, Pilger, die Nacht verbringen, denn genug
Raum ist daselbst fXr die UnzXhligen, die herbeistrXmen, um aus seinem Munde
die Lehre zu hXren."
Da freute sich Govinda, und voll Freude rief er: "Wohl denn, so ist
unser Ziel erreicht und unser Weg zu Ende! Aber sage uns, du Mutter der
Pilgernden, kennst du ihn, den Buddha, hast du ihn mit deinen Augen
gesehen?"
Sprach die Frau: "Viele Male habe ich ihn gesehen, den Erhabenen. An
vielen Tagen habe ich ihn gesehen, wie er durch die Gassen geht, schweigend,
im gelben Mantel, wie er schweigend an den HaustXren seine Almosenschale
darreicht, wie er die gefXllte Schale von dannen trXgt."
EntzXckt lauschte Govinda und wollte noch vieles fragen und hXren. Aber
Siddhartha mahnte zum Weitergehen. Sie sagten Dank und gingen und brauchten
kaum nach dem Wege zu fragen, denn nicht wenige Pilger und auch MXnche aus
Gotamas Gemeinschaft waren nach dem Jetavana unterwegs. Und da sie in der
Nacht dort anlangten, war daselbst ein bestXndiges Ankommen, Rufen und Reden
von solchen, welche Herberge heischten und bekamen. Die beiden Samanas, des
Lebens im Walde gewohnt, fanden schnell und gerXuschlos einen Unterschlupf
und ruhten da bis zum Morgen.
Beim Aufgang der Sonne sahen sie mit Erstaunen, welch groXe Schar,
GlXubige und Neugierige, hier genXchtigt hatte. In allen Wegen des
herrlichen Haines wandelten MXnche im gelben Gewand, unter den BXumen saXen
sie hier und dort, in Betrachtung versenkt X oder im geistlichen GesprXch,
wie eine Stadt waren die schattigen GXrten zu sehen, voll von Menschen,
wimmelnd wie Bienen. Die Mehrzahl der MXnche zog mit der AImosenschale aus,
um in der Stadt Nahrung fXr die Mittagsmahlzeit, die einzige des Tages, zu
sammeln. Auch der Buddha selbst, der Erleuchtete, pflegte am Morgen den
Bettelgang zu tun.
Siddhartha sah ihn, und er erkannte ihn alsbald, als hXtte ihm ein Gott
ihn gezeigt. Er sah ihn, einen schlichten Mann in gelber Kutte, die
Almosenschale in der Hand tragend, still dahin gehen.
"Sieh hier!" sagte Siddhartha leise zu Govinda. "Dieser hier ist der
Buddha."
Aufmerksam blickte Govinda den MXnch in der gelben Kutte an, der sich
in nichts von den Hunderten der MXnche zu unterscheiden schien. Und bald
erkannte auch Govinda: Dieser ist es. Und sie folgten ihm nach und
betrachteten ihn.
Der Buddha ging seines Weges bescheiden und in Gedanken versunken, sein
stilles Gesicht war weder frXhlich noch traurig, es schien leise nach innen
zu lXcheln. Mit einem verborgenen LXcheln, still, ruhig, einem gesunden
Kinde nicht unXhnlich, wandelte der Buddha, trug das Gewand und setzte den
FuX gleich wie alle seine MXnche, nach genauer Vorschrift. Aber sein Gesicht
und sein Schritt, sein still gesenkter Blick, seine still herabhXngende
Hand, und noch jeder Finger an seiner still herabhXngenden Hand sprach
Friede, sprach Vollkommenheit, suchte nicht, ahmte nicht nach, atmete sanft
in einer unverwelklichen Ruhe, in einem unverwelklichen Licht, einem
unantastbaren Frieden.
So wandelte Gotama, der Stadt entgegen, um Almosen zu sammeln, und die
beiden Samanas erkannten ihn einzig an der Vollkommenheit seiner Ruhe, an
der Stille seiner Gestalt, in welcher kein Suchen, kein Wollen, kein
Nachahmen, kein BemXhen zu erkennen war, nur Licht und Frieden. "Heute
werden wir die Lehre aus seinem Munde vernehmen," sagte Govinda.
Siddhartha gab nicht Antwort. Er war wenig neugierig auf die Lehre, er
glaubte nicht, dass sie ihn Neues lehren werde, hatte er doch, ebenso wie
Govinda, wieder und wieder den Inhalt dieser Buddhalehre vernommen, wenn
schon aus Berichten von zweiter und dritter Hand. Aber er blickte aufmerksam
auf Gotamas Haupt, auf seine Schultern, auf seine FXe, auf seine still
herabhXngende Hand, und ihm schien, jedes Glied an jedem Finger dieser Hand
war Lehre, sprach, atmete, duftete, glXnzte Wahrheit. Dieser Mann, dieser
Buddha, war wahrhaftig bis in die GebXrde seines letzten Fingers. Dieser
Mann war heilig. Nie hatte Siddhartha einen Menschen so verehrt, nie hatte
er einen Menschen so geliebt wie diesen.
Die beiden folgten dem Buddha bis zur Stadt und kehrten schweigend
zurXck, denn sie selbst gedachten diesen Tag sich der Speise zu enthalten.
Sie sahen Gotama wiederkehren, sahen ihn im Kreise seiner JXnger die
Mahlzeit einnehmen X was er aX, hXtte keinen Vogel satt gemacht -- und sahen
ihn sich zurXckziehen in den Schatten der MangobXume.
Am Abend aber, als die Hitze sich legte und alles im Lager lebendig
ward und sich versammelte, hXrten sie den Buddha lehren. Sie hXrten seine
Stimme, und auch sie war vollkommen, war von vollkommener Ruhe, war voll von
Frieden. Gotama lehrte die Lehre vom Leiden, von der Herkunft des Leidens,
vom Weg zur Aufhebung des Leidens. Ruhig floss und klar seine stille Rede.
Leiden war das Leben, voll Leid war die Welt, aber ErlXsung vom Leid war
gefunden: ErlXsung fand, wer den Weg des Buddha ging. Mit sanfter, doch
fester Stimme sprach der Erhabene, lehrte die vier HauptsXtze, lehrte den
achtfachen Pfad, geduldig ging er den gewohnten Weg der Lehre, der
Beispiele, der Wiederholungen, hell und still schwebte seine Stimme Xber den
HXrenden, wie ein Licht, wie ein Sternhimmel.
Als der Buddha X es war schon Nacht geworden X seine Rede schloss,
traten manche Pilger hervor und baten um Aufnahme in die Gemeinschaft,
nahmen ihre Zuflucht zur Lehre. Und Gotama nahm sie auf, indem er sprach:
"Wohl habt ihr die Lehre vernommen, wohl ist sie verkXndigt. Tretet denn
herzu und wandelt in Heiligkeit, allem Leid ein Ende zu bereiten."
Siehe, da trat auch Govinda hervor, der SchXchterne, und sprach: "Auch
ich nehme meine Zuflucht zum Erhabenen und zu seiner Lehre," und bat um
Aufnahme in die JXngerschaft, und ward aufgenommen.
Gleich darauf, da sich der Buddha zur Nachtruhe zurXckgezogen hatte,
wendete sich Govinda zu Siddhartha und sprach eifrig: "Siddhartha, nicht
steht es mir zu, dir einen Vorwurf zu machen. Beide haben wir den Erhabenen
gehXrt, beide haben wir die Lehre vernommen. Govinda hat die Lehre gehXrt,
er hat seine Zuflucht zu ihr genommen. Du aber, Verehrter, willst denn nicht
auch du den Pfad der ErlXsung gehen? Willst du zXgern, willst du noch
warten?"
Siddhartha erwachte wie aus einem Schlafe, als er Govindas Worte
vernahm. Lange blickte er in Govindas Gesicht. Dann sprach er leise, mit
einer Stimme ohne Spott: "Govinda, mein Freund, nun hast du den Schritt
getan, nun hast du den Weg erwXhlt. Immer, o Govinda, bist du mein Freund
gewesen, immer bist du einen Schritt hinter mir gegangen. Oft habe ich
gedacht: Wird Govinda nicht auch einmal einen Schritt allein tun, ohne mich,
aus der eigenen Seele? Siehe, nun bist du ein Mann geworden und wXhlst
selber deinen Weg. MXgest du ihn zu Ende gehen, o mein Freund! MXgest du
ErlXsung finden!"
Govinda, welcher noch nicht vXllig verstand, wiederholte mit einem Ton
von Ungeduld seine Frage: "Sprich doch, ich bitte dich, mein Lieber! Sage
mir, wie es ja nicht anders sein kann, dass auch du, mein gelehrter Freund,
deine Zuflucht zum erhabenen Buddha nehmen wirst!"
Siddhartha legte seine Hand auf die Schulter Govindas: "Du hast meinen
Segenswunsch XberhXrt, o Govinda. Ich wiederhole ihn: MXgest du diesen Weg
zu Ende gehen! MXgest du ErlXsung finden!"
In diesem Augenblick erkannte Govinda, dass sein Freund ihn verlassen
habe, und er begann zu weinen.
"Siddhartha!" rief er klagend.
Siddhartha sprach freundlich zu ihm: "Vergiss nicht, Govinda, dass du
nun zu den Samanas des Buddha gehXrst! Abgesagt hast du Heimat und Eltern,
abgesagt Herkunft und Eigentum, abgesagt deinem eigenen Willen, abgesagt der
Freundschaft. So will es die Lehre, so will es der Erhabene. So hast du
selbst es gewollt. Morgen, o Govinda, werde ich dich verlassen."
Lange noch wandelten die Freunde im GehXlz, lange lagen sie und fanden
nicht den Schlaf. Und immer von neuem drang Govinda in seinen Freund, er
mXge ihm sagen, warum er nicht seine Zuflucht zu Gotamas Lehre nehmen wolle,
welchen Fehler denn er in dieser Lehre finde. Siddhartha aber wies ihn
jedesmal zurXck und sagte: "Gib dich zufrieden, Govinda! Sehr gut ist des
Erhabenen Lehre, wie sollte ich einen Fehler an ihr finden?"
Am frXhesten Morgen ging ein Nachfolger Buddhas, einer seiner Xltesten
MXnche, durch den Garten und rief alle jene zu sich, welche als Neulinge
ihre Zuflucht zur Lehre genommen hatten, um ihnen das gelbe Gewand anzulegen
und sie in den ersten Lehren und Pflichten ihres Standes zu unterweisen. Da
riss Govinda sich los, umarmte noch einmal den Freund seiner Jugend und
schloss sich dem Zuge der Novizen an.
Siddhartha aber wandelte in Gedanken durch den Hain.
Da begegnete ihm Gotama, der Erhabene, und als er ihn mit Ehrfurcht
begrXte und der Blick des Buddha so voll GXte und Stille war, fasste der
JXngling Mut und bat den EhrwXrdigen um Erlaubnis, zu ihm zu sprechen.
Schweigend nickte der Erhabene GewXhrung.
Sprach Siddhartha: "Gestern, o Erhabener, war es mir vergXnnt, deine
wundersame Lehre zu hXren. Zusammen mit meinem Freunde kam ich aus der Ferne
her, um die Lehre zu hXren. Und nun wird mein Freund bei den Deinen bleiben,
zu dir hat er seine Zuflucht genommen. Ich aber trete meine Pilgerschaft
aufs neue an."
"Wie es dir beliebt", sprach der EhrwXrdige hXflich.
"Allzu kXhn ist meine Rede," fuhr Siddhartha fort, "aber ich mXchte den
Erhabenen nicht verlassen, ohne ihm meine Gedanken in Aufrichtigkeit
mitgeteilt zu haben. Will mir der EhrwXrdige noch einen Augenblick GehXr
schenken?"
Schweigend nickte der Buddha GewXhrung.
Sprach Siddhartha: "Eines, o EhrwXrdigster, habe ich an deiner Lehre
vor allem bewundert. Alles in deiner Lehre ist vollkommen klar, ist
bewiesen; als eine vollkommene, als eine nie und nirgends unterbrochene
Kette zeigst du die Welt als eine ewige Kette, gefXgt aus Ursachen und
Wirkungen. Niemals ist dies so klar gesehen, nie so unwiderleglich
dargestellt worden; hXher wahrlich muss jedem Brahmanen das Herz im Leibe
schlagen, wenn er, durch deine Lehre hindurch, die Welt erblickt als
vollkommenen Zusammenhang, lXckenlos, klar wie ein Kristall, nicht vom
Zufall abhXngig, nicht von GXttern abhXngig. Ob sie gut oder bXse, ob das
Leben in ihr Leid oder Freude sei, mXge dahingestellt bleiben, es mag
vielleicht sein, dass dies nicht wesentlich ist X aber die Einheit der Welt,
der Zusammenhang alles Geschehens, das Umschlossensein alles GroXen und
Kleinen vom selben Strome, vom selben Gesetz der Ursachen, des Werdens und
des Sterbens, dies leuchtet hell aus deiner erhabenen Lehre, o Vollendeter.
Nun aber ist, deiner selben Lehre nach, diese Einheit und Folgerichtigkeit
aller Dinge dennoch an einer Stelle unterbrochen, durch eine kleine LXcke
strXmt in diese Welt der Einheit etwas Fremdes, etwas Neues, etwas, das
vorher nicht war, und das nicht gezeigt und nicht bewiesen werden kann: das
ist deine Lehre von der Xberwindung der Welt, von der ErlXsung. Mit dieser
kleinen LXcke, mit dieser kleinen Durchbrechung aber ist das ganze ewige und
einheitliche Weltgesetz wieder zerbrochen und aufgehoben. MXgest du mir
verzeihen, wenn ich diesen Einwand ausspreche."
Still hatte Gotama ihm zugehXrt, unbewegt. Mit seiner gXtigen, mit
seiner hXflichen und klaren Stimme sprach er nun, der Vollendete: "Du hast
die Lehre gehXrt, o Brahmanensohn, und wohl dir, dass du Xber sie so tief
nachgedacht hast. Du hast eine LXcke in ihr gefunden, einen Fehler. MXgest
du weiter darXber nachdenken. Lass dich aber warnen, du Wissbegieriger, vor
dem Dickicht der Meinungen und vor dem Streit um Worte. Es ist an Meinungen
nichts gelegen, sie mXgen schXn oder hXlich, klug oder tXricht sein, jeder
kann ihnen anhXngen oder sie verwerfen. Die Lehre aber, die du von mir
gehXrt hast, ist nicht eine Meinung, und ihr Ziel ist nicht, die Welt fXr
Wissbegierige zu erklXren. Ihr Ziel ist ein anderes; ihr Ziel ist ErlXsung
vom Leiden. Diese ist es, welche Gotama lehrt, nichts anderes."
"MXgest du mir, o Erhabener, nicht zXrnen", sagte der JXngling. "Nicht
um Streit mit dir zu suchen, Streit um Worte, habe ich so zu dir gesprochen.
Du hast wahrlich recht, wenig ist an Meinungen gelegen. Aber lass mich dies
eine noch sagen: Nicht einen Augenblick habe ich an dir gezweifelt. Ich habe
nicht einen Augenblick gezweifelt, dass du Buddha bist, dass du das Ziel
erreicht hast, das hXchste, nach welchem so viel tausend Brahmanen und
BrahmanensXhne unterwegs sind. Du hast die ErlXsung,vom Tode gefunden. Sie
ist dir geworden aus deinem eigenen Suchen, auf deinem eigenen Wege, durch
Gedanken, durch Versenkung, durch Erkenntnis, durch Erleuchtung. Nicht ist
sie dir geworden durch Lehre! Und X so ist mein Gedanke, o Erhabener X
keinem wird ErlXsung zu teil durch Lehre! Keinem, o EhrwXrdiger, wirst du in
Worten und durch Lehre mitteilen und sagen kXnnen, was dir geschehen ist in
der Stunde deiner Erleuchtung! Vieles enthXlt die Lehre des erleuchteten
Buddha, viele lehrt sie, rechtschaffen zu leben, BXses zu meiden. Eines aber
enthXlt die so klare, die so ehrwXrdige Lehre nicht: sie enthXlt nicht das
Geheimnis dessen, was der Erhabene selbst erlebt hat, er allein unter den
Hunderttausenden. Dies ist es, was ich gedacht und erkannt habe, als ich die
Lehre hXrte. Dies ist es, weswegen ich meine Wanderschaft fortsetze X nicht
um eine andere, eine bessere Lehre zu suchen, denn ich weiX, es gibt keine,
sondern um alle Lehren und alle Lehrer zu verlassen und allein mein Ziel zu
erreichen oder zu sterben. Oftmals aber werde ich dieses Tages denken, o
Erhabener, und dieser Stunde, da meine Augen einen Heiligen sahen."
Die Augen des Buddha blickten still zu Boden, still in vollkommenem
Gleichmut strahlte sein unerforschliches Gesicht.
"MXgen deine Gedanken," sprach der EhrwXrdige langsam, "keine IrrtXmer
sein! MXgest du ans Ziel kommen! Aber sage mir: Hast du die Schar meiner
Samanas gesehen, meiner vielen BrXder, welche ihre Zuflucht zur Lehre
genommen haben? Und glaubst du, fremder Samana, glaubst du, dass es diesen
allen besser wXre, die Lehre zu verlassen und in das Leben der Welt und der
LXste zurXckzukehren?"
"Fern ist ein solcher Gedanke von mir", rief Siddhartha. "MXgen sie
alle bei der Lehre bleiben, mXgen sie ihr Ziel erreichen! Nicht steht mir
zu, Xber eines andern Leben zu urteilen. Einzig fXr mich, fXr mich allein
muss ich urteilen, muss ich wXhlen, muss ich ablehnen. ErlXsung vom Ich
suchen wir Samanas, o Erhabener. WXre ich nun einer deiner JXnger, o
EhrwXrdiger, so fXrchte ich, es mXchte mir geschehen, dass nur scheinbar,
nur trXgerisch mein Ich zur Ruhe kXme und erlXst wXrde, dass es aber in
Wahrheit weiterlebte und groX wXrde, denn ich hXtte dann die Lehre, hXtte
meine Nachfolge, hXtte meine Liebe zu dir, hXtte die Gemeinschaft der MXnche
zu meinem Ich gemacht!"
Mit halbem LXcheln, mit einer unerschXtterten Helle und Freundlichkeit
sah Gotama dem Fremdling ins Auge und verabschiedete ihn mit einer kaum
sichtbaren GebXrde.
"Klug bist du, o Samana", sprach der EhrwXrdige. "Klug weiXt du zu
reden, mein Freund. HXte dich vor allzu groXer Klugheit!"
Hinweg wandelte der Buddha, und sein Blick und halbes LXcheln blieb fXr
immer in Siddharthas GedXchtnis eingegraben.
So habe ich noch keinen Menschen blicken und lXcheln, sitzen und
schreiten sehen, dachte er, so wahrlich wXnsche auch ich blicken und
lXcheln, sitzen und schreiten zu kXnnen, so frei, so ehrwXrdig, so
verborgen, so offen, so kindlich und geheimnisvoll. So wahrlich blickt und
schreitet nur der Mensch, der ins Innerste seines Selbst gedrungen ist.
Wohl, auch ich werde ins Innerste meines Selbst zu dringen suchen.
Einen Menschen sah ich, dachte Siddhartha, einen einzigen, vor dem ich
meine Augen niederschlagen musste. Vor keinem andern mehr will ich meine
Augen niederschlagen, vor keinem mehr. Keine Lehre mehr wird mich verlocken,
da dieses Menschen Lehre mich nicht verlockt hat.
Beraubt hat mich der Buddha, dachte Siddhartha, beraubt hat er mich,
und mehr noch hat er mich beschenkt. Beraubt hat er mich meines Freundes,
dessen, der an mich glaubte und der nun an ihn glaubt, der mein Schatten war
und nun Gotamas Schatten ist. Geschenkt aber hat er mir Siddhartha, mich
selbst.
Als Siddhartha den Hain verlieX, in welchem der Buddha, der Vollendete,
zurXckblieb, in welchem Govinda zurXckblieb, da fXhlte er, dass in diesem
Hain auch sein bisheriges Leben hinter ihm zurXckblieb und sich von ihm
trennte. Dieser Empfindung, die ihn ganz erfXllte, sann er im langsamen
Dahingehen nach. Tief sann er nach, wie durch ein tiefes Wasser lieX er sich
bis auf den Boden dieser Empfindung hinab, bis dahin, wo die Ursachen ruhen,
denn Ursachen erkennen, so schien ihm, das eben ist Denken, und dadurch
allein werden Empfindungen zu Erkenntnissen und gehen nicht verloren,
sondern werden wesenhaft und beginnen auszustrahlen, was in ihnen ist.
Im langsamen Dahingehen dachte Siddhartha nach. Er stellte fest, dass
er kein JXngling mehr, sondern ein Mann geworden sei. Er stellte fest, dass
eines ihn verlassen hatte, wie die Schlange von ihrer alten Haut verlassen
wird, dass eines nicht mehr in ihm vorhanden war, das durch seine ganze
Jugend ihn begleitet und zu ihm gehXrt hatte: der Wunsch, Lehrer zu haben
und Lehren zu hXren. Den letzten Lehrer, der an seinem Wege ihm erschienen
war, auch ihn, den hXchsten und weisesten Lehrer, den Heiligsten, Buddha,
hatte er verlassen, hatte sich von ihm trennen mXssen, hatte seine Lehre
nicht annehmen kXnnen.
Langsamer ging der Denkende dahin und fragte sich selbst: "Was nun ist
es aber, das du aus Lehren und von Lehrern hattest lernen wollen, und was
sie, die dich viel gelehrt haben, dich doch nicht lehren konnten?" Und er
fand: "Das Ich war es, dessen Sinn und Wesen ich lernen wollte. Das Ich war
es, von dem ich loskommen, das ich Xberwinden wollte. Ich konnte es aber
nicht Xberwinden, konnte es nur tXuschen, konnte nur vor ihm fliehen, mich
nur vor ihm verstecken. Wahrlich, kein Ding in der Welt hat so viel meine
Gedanken beschXftigt wie dieses mein Ich, dies RXtsel, dass ich lebe, dass
ich einer und von allen andern getrennt und abgesondert bin, dass ich
Siddhartha bin! Und Xber kein Ding in der Welt weiX ich weniger als Xber
mich, Xber Siddhartha!"
Der im langsamen Dahingehen Denkende blieb stehen, von diesem Gedanken
erfasst, und alsbald sprang aus diesem Gedanken ein anderer hervor, ein
neuer Gedanke, der lautete: "Dass ich nichts von mir weiX, dass Siddhartha
mir so fremd und unbekannt geblieben ist, das kommt aus einer Ursache, einer
einzigen: Ich hatte Angst vor mir, ich war auf der Flucht vor mir! Atman
suchte ich, Brahman suchte ich, ich war gewillt, mein Ich zu zerstXcken und
auseinander zu schXlen, um in seinem unbekannten Innersten den Kern aller
Schalen zu finden, den Atman, das Leben, das GXttliche, das Letzte. Ich
selbst aber ging mir dabei verloren."
Siddhartha schlug die Augen auf und sah um sich, ein LXcheln erfXllte
sein Gesicht, und ein tiefes GefXhl von Erwachen aus langen TrXumen
durchstrXmte ihn bis in die Zehen. Und alsbald lief er wieder, lief rasch,
wie ein Mann, welcher weiX, was er zu tun hat.
"Oh", dachte er aufatmend mit tiefem Atemzug, "nun will ich mir den
Siddhartha nicht mehr entschlXpfen lassen! Nicht mehr will ich mein Denken
und mein Leben beginnen mit Atman und mit dem Leid der Welt. Ich will mich
nicht mehr tXten und zerstXcken, um hinter den TrXmmern ein Geheimnis zu
finden. Nicht Yoga-Veda mehr soll mich lehren, noch Atharva-Veda, noch die
Asketen, noch irgendwelche Lehre. Bei mir selbst will ich lernen, will ich
SchXler sein, will ich mich kennen lernen, das Geheimnis Siddhartha."
Er blickte um sich, als sXhe er zum ersten Male die Welt. SchXn war die
Welt, bunt war die Welt, seltsam und rXtselhaft war die Welt! Hier war Blau,
hier war Gelb, hier war GrXn, Himmel floss und Fluss, Wald starrte und
Gebirg, alles schXn, alles rXtselvoll und magisch, und inmitten er,
Siddhartha, der Erwachende, auf dem Wege zu sich selbst. All dieses, all
dies Gelb und Blau, Fluss und Wald, ging zum erstenmal durchs Auge in
Siddhartha ein, war nicht mehr Zauber Maras, war nicht mehr der Schleier der
Maya, war nicht mehr sinnlose und zufXllige Vielfalt der Erscheinungswelt,
verXchtlich dem tief denkenden Brahmanen, der die Vielfalt verschmXht, der
die Einheit sucht. Blau war Blau, Fluss war Fluss, und wenn auch im Blau und
Fluss in Siddhartha das Eine und GXttliche verborgen lebte, so war es doch
eben des GXttlichen Art und Sinn, hier Gelb, hier Blau, dort Himmel, dort
Wald und hier Siddhartha zu sein. Sinn und Wesen war nicht irgendwo hinter
den Dingen, sie waren in ihnen, in allem.
"Wie bin ich taub und stumpf gewesen!" dachte der rasch dahin
Wandelnde. "Wenn einer eine Schrift liest, deren Sinn er suchen will, so
verachtet er nicht die Zeichen und Buchstaben und nennt sie TXuschung,
Zufall und wertlose Schale, sondern er liest sie, er studiert und liebt sie,
Buchstabe um Buchstabe. Ich aber, der ich das Buch der Welt und das Buch
meines eigenen Wesens lesen wollte, ich habe, einem im voraus vermuteten
Sinn zuliebe, die Zeichen und Buchstaben verachtet, ich nannte die Welt der
Erscheinungen TXuschung, nannte mein Auge und meine Zunge zufXllige und
wertlose Erscheinungen. Nein, dies ist vorXber, ich bin erwacht, ich bin in
der Tat erwacht und heute erst geboren."
Indem Siddhartha diesen Gedanken dachte, blieb er abermals stehen,
plXtzlich, als lXge eine Schlange vor ihm auf dem Weg.
Denn plXtzlich war auch dies ihm klar geworden: Er, der in der Tat wie
ein Erwachter oder Neugeborener war, er musste sein Leben neu und vXllig von
vorn beginnen. Als er an diesem selben Morgen den Hain Jetavana, den Hain
jenes Erhabenen, verlassen hatte, schon erwachend, schon auf dem Wege zu
sich selbst, da war es seine Absicht gewesen und war ihm natXrlich und
selbstverstXndlich erschienen, dass er, nach den Jahren seines Asketentums,
in seine Heimat und zu seinem Vater zurXckkehre. Jetzt aber, erst in diesem
Augenblick, da er stehen blieb, als lXge eine Schlange auf seinem Wege,
erwachte er auch zu dieser Einsicht: "Ich bin ja nicht mehr, der ich war,
ich bin nicht mehr Asket, ich bin nicht mehr Priester, ich bin nicht mehr
Brahmane. Was denn soll ich zu Hause und bei meinem Vater tun? Studieren?
Opfern? Die Versenkung pflegen? Dies alles ist ja vorXber, dies alles liegt
nicht mehr an meinem Wege."
Regungslos blieb Siddhartha stehen, und einen Augenblick und Atemzug
lang fror sein Herz, er fXhlte es in der Brust innen frieren wie ein kleines
Tier, einen Vogel oder einen Hasen, als er sah, wie allein er sei. Jahrelang
war er heimatlos gewesen und hatte es nicht gefXhlt. Nun fXhlte er es. Immer
noch, auch in der fernsten Versenkung, war er seines Vaters Sohn gewesen,
war Brahmane gewesen, hohen Standes, ein Geistiger. Jetzt war er nur noch
Siddhartha, der Erwachte, sonst nichts mehr. Tief sog er den Atem ein, und
einen Augenblick fror er und schauderte. Niemand war so allein wie er. Kein
Adliger, der nicht zu den Adligen, kein Handwerker, der nicht zu den
Handwerkern gehXrte und Zuflucht bei ihnen fand, ihr Leben teilte, ihre
Sprache sprach. Kein Brahmane, der nicht zu den Brahmanen zXhlte und mit
ihnen lebte, kein Asket, der nicht im Stande der Samanas seine Zuflucht
fand, und auch der verlorenste Einsiedler im Walde war nicht einer und
allein, auch ihn umgab ZugehXrigkeit, auch er gehXrte einem Stande an, der
ihm Heimat war. Govinda war MXnch geworden, und tausend MXnche waren seine
BrXder, trugen sein Kleid, glaubten seinen Glauben, sprachen seine Sprache.
Er aber, Siddhartha, wo war er zugehXrig? Wessen Leben wXrde er teilen?
Wessen Sprache wXrde er sprechen?
Aus diesem Augenblick, wo die Welt rings von ihm wegschmolz, wo er
allein stand wie ein Stern am Himmel, aus diesem Augenblick einer KXlte und
Verzagtheit tauchte Siddhartha empor, mehr Ich als zuvor, fester geballt. Er
fXhlte: Dies war der letzte Schauder des Erwachens gewesen, der letzte
Krampf der Geburt. Und alsbald schritt er wieder aus, begann rasch und
ungeduldig zu gehen, nicht mehr nach Hause, nicht mehr zum Vater, nicht mehr
zurXck.
ZWEITER TEILXWilhelm Gundert
meinem Vetter in Japan gewidmet
Siddhartha lernte Neues auf jedem Schritt seines Weges, denn die Welt
war verwandelt, und sein Herz war bezaubert. Er sah die Sonne Xberm
Waldgebirge aufgehen und Xberm fernen Palmenstrande untergehen. Er sah
nachts am Himmel die Sterne geordnet, und den Sichelmond wie ein Boot im
Blauen schwimmend. Er sah BXume, Sterne, Tiere, Wolken, Regenbogen, Felsen,
KrXuter, Blumen, Bach und Fluss, Taublitz im morgendIichen GestrXuch, ferne
hohe Berge blau und bleich, VXgel sangen und Bienen, Wind wehte silbern im
Reisfelde. Dies alles, tausendfalt und bunt, war immer dagewesen, immer
hatten Sonne und Mond geschienen, immer FlXsse gerauscht und Bienen gesummt,
aber es war in den frXheren Zeiten fXr Siddhartha dies alles nichts gewesen
als ein flXchtiger und trXgerischer Schleier vor seinem Auge, mit Misstrauen
betrachtet, dazu bestimmt, vom Gedanken durchdrungen und vernichtet zu
werden, da es nicht Wesen war, da das Wesen jenseits der Sichtbarkeit lag.
Nun aber weilte sein befreites Auge diesseits, es sah und erkannte die
Sichtbarkeit, suchte Heimat in dieser Welt, suchte nicht das Wesen, zielte
in kein Jenseits. SchXn war die Welt, wenn man sie so betrachtete, so ohne
Suchen, so einfach, so kinderhaft. SchXn war Mond und Gestirn, schXn war
Bach und Ufer, Wald und Fels, Ziege und GoldkXfer, Blume und Schmetterling.
SchXn und lieblich war es, so durch die Welt zu gehen, so kindlich, so
erwacht, so dem Nahen aufgetan, so ohne Misstrauen. Anders brannte die Sonne
aufs Haupt, anders kXhlte der Waldschatten, anders schmeckte Bach und
Zisterne, anders KXrbis und Banane. Kurz waren die Tage, kurz die NXchte,
jede Stunde floh schnell hinweg wie ein Segel auf dem Meere, unterm Segel
ein Schiff voll von SchXtzen, voll von Freuden. Siddhartha sah ein Affenvolk
im hohen WaldgewXlbe wandern, hoch im GeXst, und hXrte seinen wilden,
gierigen Gesang. Siddhartha sah einen Schafbock ein Schaf verfolgen und
begatten. Er sah in einem Schilfsee den Hecht im Abendhunger jagen, vor ihm
her schnellten angstvoll, flatternd und blitzend die jungen Fische in
Scharen aus dem Wasser, Kraft und Leidenschaft duftete dringlich aus den
hastigen Wasserwirbeln, die der ungestXm Jagende zog.
All dieses war immer gewesen, und er hatte es nicht gesehen; er war
nicht dabei gewesen. Jetzt war er dabei, er gehXrte dazu. Durch sein Auge
lief Licht und Schatten, durch sein Herz lief Stern und Mond.
Siddhartha erinnerte sich unterwegs auch alles dessen, was er im Garten
Jetavana erlebt hatte, der Lehre, die er dort gehXrt, des gXttlichen Buddha,
des Abschiedes von Govinda, des GesprXches mit dem Erhabenen. Seiner eigenen
Worte, die er zum Erhabenen gesprochen hatte, erinnerte er sich wieder,
jedes Wortes, und mit Erstaunen wurde er dessen inne, dass er da Dinge
gesagt hatte, die er damals noch gar nicht eigentlich wusste. Was er zu
Gotama gesagt hatte: sein, des Buddha, Schatz und Geheimnis sei nicht die
Lehre, sondern das Unaussprechliche und nicht Lehrbare, das er einst zur
Stunde seiner Erleuchtung erlebt habe X dies war es ja eben, was zu erleben
er jetzt auszog, was zu erleben er jetzt begann. Sich selbst musste er jetzt
erleben. Wohl hatte er schon lange gewusst, dass sein Selbst Atman sei, vom
selben ewigen Wesen wie Brahman. Aber nie hatte er dies Selbst wirklich
gefunden, weil er es mit dem Netz des Gedankens hatte fangen wollen. War
auch gewiss der KXrper nicht das Selbst, und nicht das Spiel der Sinne, so
war es doch auch das Denken nicht, nicht der Verstand, nicht die erlernte
Weisheit, nicht die erlernte Kunst, SchlXsse zu ziehen und aus schon
Gedachtem neue Gedanken zu spinnen. Nein, auch diese Gedankenwelt war noch
diesseits, und es fXhrte zu keinem Ziele, wenn man das zufXllige Ich der
Sinne tXtete, dafXr aber das zufXllige Ich der Gedanken und Gelehrsamkeiten
mXstete. Beide, die Gedanken wie die Sinne, waren hXbsche Dinge, hinter
beiden lag der letzte Sinn verborgen, beide galt es zu hXren, mit beiden zu
spielen, beide weder zu verachten noch zu XberschXtzen, aus beiden die
geheimen Stimmen des Innersten zu erlauschen. Nach nichts wollte er
trachten, als wonach die Stimme ihm zu trachten befXhle, bei nichts
verweilen, als wo die Stimme es riete. Warum war Gotama einst, in der Stunde
der Stunden, unter dem Bo-Baume niedergesessen, wo die Erleuchtung ihn traf?
Er hatte eine Stimme gehXrt, eine Stimme im eigenen Herzen, die ihm befahl,
unter diesem Baume Rast zu suchen, und er hatte nicht Kasteiung, Opfer, Bad
oder Gebet, nicht Essen noch Trinken, nicht Schlaf noch Traum vorgezogen, er
hatte der Stimme gehorcht. So zu gehorchen, nicht XuXerm Befehl, nur der
Stimme, so bereit zu sein, das war gut, das war notwendig, nichts anderes
war notwendig.
In der Nacht, da er in der strohernen HXtte eines FXhrmanns am Flusse
schlief, hatte Siddhartha einen Traum: Govinda stand vor ihm, in einem
gelben Asketengewand. Traurig sah Govinda aus, traurig fragte er: Warum hast
du mich verlassen? Da umarmte er Govinda, schlang seine Arme um ihn, und
indem er ihn an seine Brust zog und kXsste, war es nicht Govinda mehr,
sondern ein Weib, und aus des Weibes Gewand quoll eine volle Brust, an der
lag Siddhartha und trank, sX und stark schmeckte die Milch dieser Brust.
Sie schmeckte nach Weib und Mann, nach Sonne und Wald, nach Tier und Blume,
nach jeder Frucht, nach jeder Lust. Sie machte trunken und bewusstlos. X Als
Siddhartha erwachte, schimmerte der bleiche Fluss durch die TXr der HXtte,
und im Walde klang tief und wohllaut ein dunkler Eulenruf.
Als der Tag begann, bat Siddhartha seinen Gastgeber, den FXhrmann, ihn
Xber den Fluss zu setzen. Der FXhrmann setzte ihn auf seinem Bambusfloss
Xber den Fluss, rXtlich schimmerte im Morgenschein das breite Wasser.
"Das ist ein schXner Fluss," sagte er zu seinem Begleiter.
"Ja," sagte der FXhrmann, "ein sehr schXner Fluss, ich liebe ihn Xber
alles. Oft habe ich ihm zugehXrt, oft in seine Augen gesehen, und immer habe
ich von ihm gelernt. Man kann viel von einem Flusse lernen."
"Ich danke dir, mein WohltXter," sprach Siddhartha, da er ans andere
Ufer stieg. "Kein Gastgeschenk habe ich dir zu geben, Lieber, und keinen
Lohn zu geben. Ein Heimatloser bin ich, ein Brahmanensohn und Samana."
"Ich sah es wohl," sprach der FXhrmann, "und ich habe keinen Lohn vor
dir erwartet, und kein Gastgeschenk. Du wirst mir das Geschenk ein anderes
Mal geben."
"Glaubst du?" sagte Siddhartha lustig.
"Gewiss. Auch das habe ich vom Flusse gelernt: alles kommt wieder! Auch
du, Samana, wirst wieder kommen. Nun lebe wohl! MXge deine Freundschaft mein
Lohn sein. MXgest du meiner gedenken, wenn du den GXttern opferst."
LXchelnd schieden sie voneinander. LXchelnd freute sich Siddhartha Xber
die Freundschaft und Freundlichkeit des FXhrmanns. "Wie Govinda ist er,"
dachte er lXchelnd, "alle, die ich auf meinem Wege antreffe, sind wie
Govinda. Alle sind dankbar, obwohl sie selbst Anspruch auf Dank hXtten. Alle
sind unterwXrfig, alle mXgen gern Freund sein, gern gehorchen, wenig denken.
Kinder sind die Menschen."
Um die Mittagszeit kam er durch ein Dorf. Vor den LehmhXtten wXlzten
sich Kinder auf der Gasse, spielten mit KXrbiskernen und Muscheln, schrien
und balgten sich, flohen aber alle scheu vor dem fremden Samana. Am Ende des
Dorfes fXhrte der Weg durch einen Bach, und am Rande des Baches kniete ein
junges Weib und wusch Kleider. Als Siddhartha sie grXte, hob sie den Kopf,
und blickte mit LXcheln zu ihm auf, dass er das WeiXe in ihrem Auge blitzen
sah. Er rief einen Segensspruch hinXber, wie er unter Reisenden Xblich ist,
und fragte, wie weit der Weg bis zur groXen Stadt noch sei. Da stand sie auf
und trat zu ihm her, schXn schimmerte ihr feuchter Mund im jungen Gesicht.
Sie tauschte Scherzreden mit ihm, fragte, ob er schon gegessen habe, und ob
es wahr sei, dass die Samanas nachts allein im Walde schliefen und keine
Frauen bei sich haben dXrfen. Dabei setzte sie ihren linken FuX auf seinen
rechten und machte eine Bewegung, wie die Frau sie macht, wenn sie den Mann
zu jener Art des Liebesgenusses auffordert, welchen die LehrbXcher "das
Baumbesteigen" nennen. Siddhartha fXhlte sein Blut erwarmen, und da sein
Traum ihm in diesem Augenblick wieder einfiel, bXckte er sich ein wenig zu
dem Weibe herab und kXsste mit den Lippen die braune Spitze ihrer Brust.
Aufschauend sah er ihr Gesicht voll Verlangen lXcheln und die verkleinerten
Augen in Sehnsucht flehen.
Auch Siddhartha fXhlte Sehnsucht und den Quell des Geschlechts sich
bewegen; da er aber noch nie ein Weib berXhrt hatte, zXgerte er einen
Augenblick, wXhrend seine HXnde schon bereit waren, nach ihr zu greifen. Und
in diesem Augenblick hXrte er, erschauernd, die Stimme seines Innern, und
die Stimme sagte Nein. Da wich vom lXchelnden Gesicht der jungen Frau aller
Zauber, er sah nichts mehr als den feuchten Blick eines brXnstigen
Tierweibchens. Freundlich streichelte er ihre Wange, wandte sich von ihr und
verschwand vor der EnttXuschten leichtfXig in das BambusgehXlze.
An diesem Tage erreichte er vor Abend eine groXe Stadt, und freute
sich, denn er begehrte nach Menschen. Lange hatte er in den WXldern gelebt,
und die stroherne HXtte des FXhrmanns, in welcher er diese Nacht geschlafen
hatte, war seit langer Zeit das erste Dach, das er Xber sich gehabt hatte.
Vor der Stadt, bei einem schXnen umzXunten Haine, begegnete dem
Wandernden ein kleiner Tross von Dienern und Dienerinnen, mit KXrben
beladen. Inmitten in einer geschmXckten SXnfte, von Vieren getragen, saX auf
roten Kissen unter einem bunten Sonnendach eine Frau, die Herrin. Siddhartha
blieb beim Eingang des Lusthaines stehen und sah dem Aufzuge zu, sah die
Diener, die MXgde, die KXrbe, sah die SXnfte, und sah in der SXnfte die
Dame. Unter hochgetXrmten schwarzen Haaren sah er ein sehr helles, sehr
zartes, sehr kluges Gesicht, hellroten Mund wie eine frisch aufgebrochene
Feige, Augenbrauen gepflegt und gemalt in hohen Bogen, dunkle Augen klug und
wachsam, lichten hohen Hals aus grXn und goldenem Oberkleide steigend,
ruhende helle HXnde lang und schmal mit breiten Goldreifen Xber den
Gelenken.
Siddhartha sah, wie schXn sie war, und sein Herz lachte. Tief verneigte
er sich, als die SXnfte nahe kam, und sich wieder aufrichtend blickte er in
das helle holde Gesicht, las einen Augenblick in den klugen hochXberwXlbten
Augen, atmete einen Hauch von Duft, den er nicht kannte. LXchelnd nickte die
schXne Frau, einen Augenblick, und verschwand im Hain, und hinter ihr die
Diener.
So betrete ich diese Stadt, dachte Siddhartha, unter einem holden
Zeichen. Es zog ihn, sogleich in den Hain zu treten, doch bedachte er sich,
und nun erst ward ihm bewusst, wie ihn die Diener und MXgde am Eingang
betrachtet hatten, wie verXchtlich, wie misstrauisch, wie abweisend.
Noch bin ich ein Samana, dachte er, noch immer, ein Asket und Bettler.
Nicht so werde ich bleiben dXrfen, nicht so in den Hain treten. Und er
lachte.
Den nXchsten Menschen, der des Weges kam, fragte er nach dem Hain und
nach dem Namen dieser Frau, und erfuhr, dass dies der Hain der Kamala war,
der berXhmten Kurtisane, und dass sie auXer dem Haine ein Haus in der Stadt
besaX.
Dann betrat er die Stadt. Er hatte nun ein Ziel.
Sein Ziel verfolgend, lieX er sich von der Stadt einschlXrfen, trieb im
Strom der Gassen, stand auf PlXtzen still, ruhte auf Steintreppen am Flusse
aus. Gegen den Abend befreundete er sich mit einem Barbiergehilfen, den er
im Schatten eines GewXlbes hatte arbeiten sehen, den er betend in einem
Tempel Vishnus wiederfand, dem er von den Geschichten Vishnu's und der
Lakschmi erzXhlte. Bei den Booten am Flusse schlief er die Nacht, und frXh
am Morgen, ehe die ersten Kunden in seinen Laden kamen, lieX er sich von dem
Barbiergehilfen den Bart rasieren und das Haar beschneiden, das Haar kXmmen
und mit feinem le salben. Dann ging er im Flusse baden.
Als am SpXtnachmittag die schXne Kamala in der SXnfte sich ihrem Haine
nXherte, stand am Eingang Siddhartha, verbeugte sich und empfing den GruX
der Kurtisane. Demjenigen Diener aber, der zuletzt im Zuge ging, winkte er
und bat ihn, der Herrin zu melden, dass ein junger Brahmane mit ihr zu
sprechen begehre. Nach einer Weile kam der Diener zurXck, forderte den
Wartenden auf, ihm zu folgen, fXhrte den ihm Folgenden schweigend in einen
Pavillon, wo Kamala auf einem Ruhebette lag, und lieX ihn bei ihr allein.
"Bist du nicht gestern schon da drauXen gestanden und hast mich
begrXt?" fragte Kamala.
"Wohl habe ich gestern schon dich gesehen und begrXt."
"Aber trugst du nicht gestern einen Bart, und lange Haare, und Staub in
den Haaren?"
"Wohl hast du beobachtet, alles hast du gesehen. Du hast Siddhartha
gesehen, den Brahmanensohn, welcher seine Heimat verlassen hat, um ein
Samana zu werden, und drei Jahre lang ein Samana gewesen ist. Nun aber habe
ich jenen Pfad verlassen, und kam in diese Stadt, und die erste, die mir
noch vor dem Betreten der Stadt begegnete, warst du. Dies zu sagen, bin ich
zu dir gekommen, o Kamala! Du bist die erste Frau, zu welcher Siddhartha
anders als mit niedergeschlagenen Augen redet. Nie mehr will ich meine Augen
niederschlagen, wenn eine schXne Frau mir begegnet."
Kamala lXchelte und spielte mit ihrem FXcher aus Pfauenfedern. Und
fragte: "Und nur um mir dies zu sagen, ist Siddhartha zu mir gekommen?"
"Um dir dies zu sagen, und um dir zu danken, dass du so schXn bist. Und
wenn es dir nicht missfXllt, Kamala, mXchte ich dich bitten, meine Freundin
und Lehrerin zu sein, denn ich weiX noch nichts von der Kunst, in welcher du
Meisterin bist."
Da lachte Kamala laut.
"Nie ist mir das geschehen, Freund, dass ein Samana aus dem Walde zu
mir kam und von mir lernen wollte! Nie ist mir das geschehen, dass ein
Samana mit langen Haaren und in einem alten zerrissenen Schamtuche zu mir
kam! Viele JXnglinge kommen zu mir, und auch BrahmanensXhne sind darunter,
aber sie kommen in schXnen Kleidern, sie kommen in feinen Schuhen, sie haben
Wohlgeruch im Haar und Geld in den Beuteln. So, du Samana, sind die
JXnglinge beschaffen, welche zu mir kommen."
Sprach Siddhartha: "Schon fange ich an, von dir zu lernen. Auch gestern
schon habe ich gelernt. Schon habe ich den Bart abgelegt, habe das Haar
gekXmmt, habe Xl im Haare. Weniges ist, das mir noch fehlt, du
Vortreffliche: feine Kleider, feine Schuhe, Geld im Beutel. Wisse,
Schwereres hat Siddhartha sich vorgenommen, als solche Kleinigkeiten sind,
und hat es erreicht. Wie sollte ich nicht erreichen, was ich gestern mir
vorgenommen habe: dein Freund zu sein und die Freuden der Liebe von dir zu
lernen! Du wirst mich gelehrig sehen, Kamala, Schwereres habe ich gelernt,
als was du mich lehren sollst. Und nun also: Siddhartha genXgt dir nicht, so
wie er ist, mit Xl im Haar, aber ohne Kleider, ohne Schuhe, ohne Geld?"
Lachend rief Kamala: "Nein, Werter, er genXgt noch nicht. Kleider muss
er haben, hXbsche Kleider, und Schuhe, hXbsche Schuhe, und viel Geld im
Beutel, und Geschenke fXr Kamala. WeiXt du es nun, Samana aus dem Walde?
Hast du es dir gemerkt?"
"Wohl habe ich es mir gemerkt," rief Siddhartha. "Wie sollte ich mir
nicht merken, was aus einem solchen Munde kommt! Dein Mund ist wie eine
frisch aufgebrochene Feige, Kamala. Auch mein Mund ist rot und frisch, er
wird zu deinem passen, du wirst sehen. X Aber sage, schXne Kamala, hast du
gar keine Furcht vor dem Samana aus dem Walde, der gekommen ist, um Liebe zu
lernen?"
"Warum sollte ich denn Furcht vor einem Samana haben, einem dummen
Samana aus dem Walde, der von den Schakalen kommt und noch gar nicht weiX,
was Frauen sind?"
"Oh, er ist stark, der Samana, und er fXrchtet nichts. Er kXnnte dich
zwingen, schXnes MXdchen. Er kXnnte dich rauben. Er kXnnte dir weh tun."
"Nein, Samana, das fXrchte ich nicht. Hat je ein Samana oder ein
Brahmane gefXrchtet, einer kXnnte kommen und ihn packen und ihm seine
Gelehrsamkeit, und seine FrXmmigkeit, und seinen Tiefsinn rauben? Nein, denn
die gehXren ihm zu eigen und er gibt davon nur, was er geben will und wem er
geben will. So ist es, genau ebenso ist es auch mit Kamala, und mit den
Freuden der Liebe. SchXn und rot ist Kamalas Mund, aber versuche, ihn gegen
Kamalas Willen zu kXssen, und nicht einen Tropfen SXigkeit wirst du von ihm
haben, der so viel SXes zu geben versteht! Du bist gelehrig, Siddhartha, so
lerne auch dies: Liebe kann man erbetteln, erkaufen, geschenkt bekommen, auf
der Gasse finden, aber rauben kann man sie nicht. Da hast du dir einen
falschen Weg ausgedacht. Nein, schade wXre es, wenn ein hXbscher JXngling
wie du es so falsch angreifen wollte."
Siddhartha verneigte sich lXchelnd. "Schade wXre es, Kamala, wie, sehr
hast du Recht! Xberaus schade wXre es. Nein, von deinem Munde soll mir kein
Tropfen SXigkeit verloren gehen, noch dir von dem meinen! Es bleibt also
dabei: Siddhartha wird wiederkommen, wenn er hat, was ihm noch fehlt:
Kleider, Schuhe, Geld. Aber sprich, holde Kamala, kannst du mir nicht noch
einen kleinen Rat geben?"
"Einen Rat? Warum nicht? Wer wollte nicht gerne einem armen,
unwissenden Samana, der von den Schakalen aus dem Walde kommt, einen Rat
geben?"
"Liebe Kamala, so rate mir wohin soll ich gehen, dass ich am raschesten
jene drei Dinge finde?"
"Freund, das mXchten viele wissen. Du musst tun, was du gelernt hast,
und dir dafXr Geld geben lassen, und Kleider, und Schuhe. Anders kommt ein
Armer nicht zu Geld. Was kannst du denn?"
"Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten."
"Nichts sonst?"
"Nichts. Doch, ich kann auch dichten. Willst du mir fXr ein Gedicht
einen Kuss geben?"
"Das will ich tun, wenn dein Gedicht mir gefXllt. Wie heiXt es denn?"
Siddhartha sprach, nachdem er sich einen Augenblick besonnen hatte,
diese Verse:
In ihren schattigen Hain trat die schXne Kamala,
An Haines Eingang stand der braune Samana.
Tief, da er die LotusblXte erblickte,
Beugte sich jener, lXchelnd dankte Kamala.
Lieblicher, dachte der JXngling, als GXttern zu opfern,
Lieblicher ist es zu opfern der schXnen Kamala.
Laut klatschte Kamala in die HXnde, dass die goldenen Armringe klangen.
"SchXn sind deine Verse, brauner Samana, und wahrlich, ich verliere
nichts, wenn ich dir einen Kuss fXr sie gebe."
Sie zog ihn mit den Augen zu sich, er beugte sein Gesicht auf ihres,
und legte seinen Mund auf den Mund, der wie eine frisch aufgebrochene Feige
war. Lange kXsste ihn Kamala, und mit tiefem Erstaunen fXhlte Siddhartha,
wie sie ihn lehrte, wie sie weise war, wie sie ihn beherrschte, ihn
zurXckwies, ihn lockte, und wie hinter diesem ersten eine lange, eine
wohlgeordnete, wohlerprobte Reihe von KXssen stand, jeder vom andern
verschieden, die ihn noch erwarteten. Tief atmend blieb er stehen, und war
in diesem Augenblick wie ein Kind erstaunt Xber die FXlle des Wissens und
Lernenswerten, die sich vor seinen Augen erschloss.
"Sehr schXn sind deine Verse," rief Kamala, "wenn ich reich wXre, gXbe
ich dir GoldstXcke dafXr. Aber schwer wird es dir werden, mit Versen so viel
Geld zu erwerben, wie du brauchst. Denn du brauchst viel Geld, wenn du
Kamalas Freund sein willst."
"Wie kannst du kXssen, Kamala!" stammelte Siddhartha.
"Ja, das kann ich schon, darum fehlt es mir auch nicht an Kleidern,
Schuhen, ArmbXndern und allen schXnen Dingen. Aber was wird aus dir werden?
Kannst du nichts als denken, fasten, dichten?"
"Ich kann auch die Opferlieder," sagte Siddhartha, "aber ich will sie
nicht mehr singen. Ich kann auch ZaubersprXche, aber ich will sie nicht mehr
sprechen. Ich habe die Schriften gelesen X"
"Halt," unterbrach ihn Kamala. "Du kannst lesen? Und schreiben?"
"Gewiss kann ich das. Manche kXnnen das."
"Die meisten kXnnen es nicht. Auch ich kann es nicht. Es ist sehr gut,
dass du lesen und schreiben kannst, sehr gut. Auch die ZaubersprXche wirst
du noch brauchen kXnnen."
In diesem Augenblick kam eine Dienerin gelaufen und flXsterte der
Herrin eine Nachricht ins Ohr.
"Ich bekomme Besuch," rief Kamala. "Eile und verschwinde, Siddhartha,
niemand darf dich hier sehen, das merke dir! Morgen sehe ich dich wieder."
Der Magd aber befahl sie, dem frommen Brahmanen ein weiXes Obergewand
zu geben. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, sah sich Siddhartha von der Magd
hinweggezogen, auf Umwegen in ein Gartenhaus gebracht, mit einem Oberkleid
beschenkt, ins GebXsch gefXhrt und dringlich ermahnt, sich alsbald ungesehen
aus dem Hain zu verlieren.
Zufrieden tat er, wie ihm geheiXen war. Des Waldes gewohnt, brachte er
sich lautlos aus dem Hain und Xber die Hecke. Zufrieden kehrte er in die
Stadt zurXck, das zusammengerollte Kleid unterm Arme tragend. In einer
Herberge, wo Reisende einkehrten, stellte er sich an die TXr, bat schweigend
um Essen, nahm schweigend ein StXck Reiskuchen an. Vielleicht schon morgen,
dachte er, werde ich niemand mehr um Essen bitten.
Stolz flammte plXtzlich in ihm auf. Er war kein Samana mehr, nicht mehr
stand es ihm an, zu betteln. Er gab den Reiskuchen einem Hunde und blieb
ohne Speise.
"Einfach ist das Leben, das man in der Welt hier fXhrt," dachte
Siddhartha. "Es hat keine Schwierigkeiten. Schwer war alles, mXhsam und am
Ende hoffnungslos, als ich noch Samana war. Nun ist alles leicht, leicht wie
der Unterricht im KXssen, den mir Kamala gibt. Ich brauche Kleider und Geld,
sonst nichts, das sind kleine nahe Ziele, sie stXren einem nicht den
Schlaf."
LXngst hatte er das Stadthaus Kamalas erkundet, dort fand er sich am
andern Tage ein.
"Es geht gut," rief sie ihm entgegen. "Du wirst bei Kamaswami erwartet,
er ist der reichste Kaufmann dieser Stadt. Wenn du ihm gefXllst, wird er
dich in Dienst nehmen. Sei klug, brauner Samana. Ich habe ihm durch andre
von dir erzXhlen lassen. Sei freundlich gegen ihn, er ist sehr mXchtig. Aber
sei nicht zu bescheiden! Ich will nicht, dass du sein Diener wirst, du
sollst seinesgleichen werden, sonst bin ich nicht mit dir zufrieden.
Kamaswami fXngt an, alt und bequem zu werden. GefXllst du ihm, so wird er
dir viel anvertrauen."
Siddhartha dankte ihr und lachte, und da sie erfuhr, er habe gestern
und heute nichts gegessen, lieX sie Brot und FrXchte bringen und bewirtete
ihn.
"Du hast GlXck gehabt," sagte sie beim Abschied, "eine TXr um die andre
tut sich dir auf. Wie kommt das wohl? Hast du einen Zauber?"
Siddhartha sagte: "Gestern erzXhlte ich dir, ich verstXnde zu denken,
zu warten und zu fasten, du aber fandest, das sei zu nichts nXtze. Es ist
aber zu vielem nXtze, Kamala, du wirst es sehen. Du wirst sehen, dass die
dummen Samanas im Walde viel HXbsches lernen und kXnnen, das ihr nicht
kXnnt. Vorgestern war ich noch ein struppiger Bettler, gestern habe ich
schon Kamala gekXsst, und bald werde ich ein Kaufmann sein und Geld haben
und all diese Dinge, auf die du Wert legst."
"Nun ja," gab sie zu. "Aber wie stXnde es mit dir ohne mich? Was wXrest
du, wenn Kamala dir nicht hXlfe?"
"Liebe Kamala," sagte Siddhartha und richtete sich hoch auf, "als ich
zu dir in deinen Hain kam, tat ich den ersten Schritt. Es war mein Vorsatz,
bei dieser schXnsten Frau die Liebe zu lernen. Von jenem Augenblick an, da
ich den Vorsatz fasste, wusste ich auch, dass ich ihn ausfXhren werde. Ich
wusste, dass du mir helfen wXrdest, bei deinem ersten Blick am Eingang des
Haines wusste ich es schon."
"Wenn ich aber nicht gewollt hXtte?"
"Du hast gewollt. Sieh, Kamala: Wenn du einen Stein ins Wasser wirfst,
so eilt er auf dem schnellsten Wege zum Grunde des Wassers. So ist es, wenn
Siddhartha ein Ziel, einen Vorsatz hat. Siddhartha tut nichts, er wartet, er
denkt, er fastet, aber er geht durch die Dinge der Welt hindurch wie der
Stein durchs Wasser, ohne etwas zu tun, ohne sich zu rXhren; er wird
gezogen, er lXsst sich fallen. Sein Ziel zieht ihn an sich, denn er lXsst
nichts in seine Seele ein, was dem Ziel widerstreben kXnnte. Das ist es, was
Siddhartha bei den Samanas gelernt hat. Es ist das, was die Toren Zauber
nennen und wovon sie meinen, es werde durch die DXmonen bewirkt. Nichts wird
von DXmonen bewirkt, es gibt keine DXmonen. Jeder kann zaubern, jeder kann
seine Ziele erreichen, wenn er denken kann, wenn er warten kann, wenn er
fasten kann."
Kamala hXrte ihm zu. Sie liebte seine Stimme, sie liebte den Blick
seiner Augen.
"Vielleicht ist es so," sagte sie leise, "wie du sprichst, Freund.
Vielleicht ist es aber auch so, dass Siddhartha ein hXbscher Mann ist, dass
sein Blick den Frauen gefXllt, dass darum das GlXck ihm entgegenkommt."
Mit einem Kuss nahm Siddhartha Abschied. "MXge es so sein, meine
Lehrerin. MXge immer mein Blick dir gefallen, mXge immer von dir mir GlXck
entgegenkommen!"
Siddhartha ging zum Kaufmann Kamaswami, in ein reiches Haus ward er
gewiesen, Diener fXhrten ihn zwischen kostbaren Teppichen in ein Gemach, wo
er den Hausherrn erwartete.
Kamaswami trat ein, ein rascher, geschmeidiger Mann mit stark
ergrauendem Haar, mit sehr klugen, vorsichtigen Augen, mit einem
begehrlichen Mund. Freundlich begrXten sich Herr und Gast.
"Man hat mir gesagt," begann der Kaufmann, "dass du ein Brahmane bist,
ein Gelehrter, dass du aber Dienste bei einem Kaufmann suchst. Bist du denn
in Not geraten, Brahmane, dass du Dienste suchst?"
"Nein," sagte Siddhartha, "ich bin nicht in Not geraten und bin nie in
Not gewesen. Wisse, dass ich von den Samanas komme, bei welchen ich lange
Zeit gelebt habe."
"Wenn du von den Samanas kommst, wie solltest du da nicht in Not sein?
Sind nicht die Samanas vXllig besitzlos?"
"Besitzlos bin ich," sagte Siddhartha, "wenn es das ist, was du meinst.
Gewiss bin ich besitzlos. Doch bin ich es freiwillig, bin also nicht in
Not."
"Wovon aber willst du leben, wenn du besitzlos bist?"
"Ich habe daran noch nie gedacht, Herr. Ich bin mehr als drei Jahre
besitzlos gewesen, und habe niemals daran gedacht, wovon ich leben solle."
"So hast du vom Besitz anderer gelebt."
"Vermutlich ist es so. Auch der Kaufmann lebt ja von der Habe anderer."
"Wohl gesprochen. Doch nimmt er von den andern du nicht umsonst; er
gibt ihnen seine Waren dafXr."
"So scheint es sich in der Tat zu verhalten. Jeder nimmt, jeder gibt,
so ist das Leben."
"Aber erlaube: wenn du besitzlos bist, was willst du da geben?"
"Jeder gibt, was er hat. Der Krieger gibt Kraft, der Kaufmann gibt
Ware, der Lehrer Lehre, der Bauer Reis, der Fischer Fische."
"Sehr wohl. Und was ist es nun, was du zu geben hast? Was ist es, das
du gelernt hast, das du kannst?"
"Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten."
"Das ist alles?"
"Ich glaube, es ist alles!"
"Und wozu nXtzt es? Zum Beispiel das Fasten X wozu ist es gut?"
"Es ist sehr gut, Herr. Wenn ein Mensch nichts zu essen hat, so ist
Fasten das AllerklXgste, was er tun kann. Wenn, zum Beispiel, Siddhartha
nicht fasten gelernt hXtte, so mXsste er heute noch irgendeinen Dienst
annehmen, sei es bei dir oder wo immer, denn der Hunger wXrde ihn dazu
zwingen. So aber kann Siddhartha ruhig warten, er kennt keine Ungeduld, er
kennt keine Notlage, lange kann er sich vom Hunger belagern lassen und kann
dazu lachen. Dazu, Herr, ist Fasten gut."
"Du hast Recht, Samana. Warte einen Augenblick."
Kamaswami ging hinaus und kehrte mit einer Rolle wieder, die er seinem
Gaste hinreichte, indem er fragte: "Kannst du dies lesen?"
Siddhartha betrachtete die Rolle, in welcher ein Kaufvertrag
niedergeschrieben war, und begann ihren Inhalt vorzulesen.
"Vortrefflich", sagte Kamaswami. "Und willst du mir etwas auf dieses
Blatt schreiben?"
Er gab ihm ein Blatt und einen Griffel, und Siddhartha schrieb und gab
das Blatt zurXck.
Kamaswami las: "Schreiben ist gut, Denken ist besser. Klugheit ist gut,
Geduld ist besser."
"VorzXglich verstehst du zu schreiben," lobte der Kaufmann. "Manches
werden wir noch miteinander zu sprechen haben. FXr heute bitte ich dich, sei
mein Gast und nimm in diesem Hause Wohnung."
Siddhartha dankte und nahm an, und wohnte nun im Hause des HXndlers.
Kleider wurden ihm gebracht, und Schuhe, und ein Diener bereitete ihm
tXglich das Bad. Zweimal am Tage wurde eine reichliche Mahlzeit aufgetragen,
Siddhartha aber aX nur einmal am Tage, und aX weder Fleisch noch trank er
Wein. Kamaswami erzXhlte ihm von seinem Handel, zeigte ihm Waren und
Magazine, zeigte ihm Berechnungen. Vieles Neue lernte Siddhartha kennen, er
hXrte viel und sprach wenig. Und der Worte Kamalas eingedenk, ordnete er
sich niemals dem Kaufmanne unter, zwang ihn, dass er ihn als seinesgleichen,
ja als mehr denn seinesgleichen behandle. Kamaswami betrieb seine GeschXfte
mit Sorglichkeit und oft mit Leidenschaft, Siddhartha aber betrachtete dies
alles wie ein Spiel, dessen Regeln genau zu lernen er bemXht war, dessen
Inhalt aber sein Herz nicht berXhrte.
Nicht lange war er in Kamaswamis Hause, da nahm er schon an seines
Hausherrn Handel teil. TXglich aber zu der Stunde, die sie ihm nannte,
besuchte er die schXne Kamala, in hXbschen Kleidern, in feinen Schuhen, und
bald brachte er ihr auch Geschenke mit. Vieles lehrte ihn ihr roter, kluger
Mund. Vieles lehrte ihn ihre zarte, geschmeidige Hand. Ihm, der in der Liebe
noch ein Knabe war und dazu neigte, sich blindlings und unersXttlich in die
Lust zu stXrzen wie ins Bodenlose, lehrte sie von Grund auf die Lehre, dass
man Lust nicht nehmen kann, ohne Lust zu geben, und dass jede GebXrde, jedes
Streicheln, jede BerXhrung, jeder Anblick, jede kleinste Stelle des KXrpers
ihr Geheimnis hat, das zu wecken dem Wissenden GlXck bereitet. Sie lehrte
ihn, dass Liebende nach einer Liebesfeier nicht voneinander gehen dXrfen,
ohne eins das andere zu bewundern, ohne ebenso besiegt zu sein, wie gesiegt
zu haben, so dass bei keinem von beiden XbersXttigung und Xde entstehe und
das bXse GefXhl, missbraucht zu haben oder missbraucht worden zu sein.
Wunderbare Stunden brachte er bei der schXnen und klugen KXnstlerin zu,
wurde ihr SchXler, ihr Liebhaber, ihr Freund. Hier bei Kamala lag der Wert
und Sinn seines jetzigen Lebens, nicht im Handel des Kamaswami.
Der Kaufmann Xbertrug ihm das Schreiben wichtiger Briefe und VertrXge,
und gewXhnte sich daran, alle wichtigen Angelegenheiten mit ihm zu beraten.
Er sah bald, dass Siddhartha von Reis und Wolle, von Schiffahrt und Handel
wenig verstand, dass aber seine Hand eine glXckliche war, und dass
Siddhartha ihn, den Kaufmann, Xbertraf an Ruhe und Gleichmut, und in der
Kunst des ZuhXrenkXnnens und Eindringens in fremde Menschen. "Dieser
Brahmane," sagte er zu einem Freunde, "ist kein richtiger Kaufmann und wird
nie einer werden, nie ist seine Seele mit Leidenschaft bei den GeschXften.
Aber er hat das Geheimnis jener Menschen, zu welchen der Erfolg von selber
kommt, sei das nun ein angeborener guter Stern, sei es Zauber, sei es etwas,
das er bei den Samanas gelernt hat. Immer scheint er mit den GeschXften nur
zu spielen, nie gehen sie ganz in ihn ein, nie beherrschen sie ihn, nie
fXrchtet er Misserfolg, nie bekXmmert ihn ein Verlust."
Der Freund riet dem HXndler: "Gib ihm von den GeschXften, die er fXr
dich treibt, einen Drittel vom Gewinn, lass ihn aber auch denselben Anteil
des Verlustes treffen, wenn Verlust entsteht. So wird er eifriger werden."
Kamaswami folgte dem Rat. Siddhartha aber kXmmerte sich wenig darum.
Traf ihn Gewinn, so nahm er ihn gleichmXtig hin; traf ihn Verlust, so lachte
er und sagte: "Ei sieh, dies ist also schlecht gegangen!"
Es schien in der Tat, als seien die GeschXfte ihm gleichgXltig. Einmal
reiste er in ein Dorf, um dort eine groXe Reisernte aufzukaufen.
Als er ankam, war aber der Reis schon an einen andern HXndler verkauft.
Dennoch blieb Siddhartha manche Tage in jenem Dorf, bewirtete die Bauern,
schenkte ihren Kindern KupfermXnzen, feierte eine Hochzeit mit und kam
Xberaus zufrieden von der Reise zurXck. Kamaswami machte ihm VorwXrfe, dass
er nicht sogleich umgekehrt sei, dass er Zeit und Geld vergeudet habe.
Siddhartha antwortete: "Lass das Schelten, lieber Freund! Noch nie ist mit
Schelten etwas erreicht worden. Ist Verlust entstanden, so lass mich den
Verlust tragen. Ich bin sehr zufrieden mit dieser Reise. Ich habe vielerlei
Menschen kennen gelernt, ein Brahmane ist mein Freund geworden, Kinder sind
auf meinen Knien geritten, Bauern haben mir ihre Felder gezeigt, niemand hat
mich fXr einen HXndler gehalten."
"Sehr hXbsch ist dies alles," rief Kamaswami unwillig, "aber
tatsXchlich bist du doch ein HXndler, sollte ich meinen! Oder bist du denn
nur zu deinem VergnXgen gereist?"
"Gewiss," lachte Siddhartha, "Gewiss bin ich zu meinem VergnXgen
gereist. Wozu denn sonst? Ich habe Menschen und Gegenden kennen gelernt, ich
habe Freundlichkeit und Vertrauen genossen, ich habe Freundschaft gefunden.
Sieh, Lieber, wenn ich Kamaswami gewesen wXre, so wXre ich sofort, als ich
meinen Kauf vereitelt sah, voll Xrger und in Eile wieder zurXckgereist, und
Zeit und Geld wXre in der Tat verloren gewesen. So aber habe ich gute Tage
gehabt, habe gelernt, habe Freude genossen, habe weder mich noch andre durch
Xrger und durch Eilfertigkeit geschXdigt. Und wenn ich jemals wieder dorthin
komme, vielleicht um eine spXtere Ernte zu kaufen, oder zu welchem Zwecke es
sei, so werden freundliche Menschen mich freundlich und heiter empfangen,
und ich werde mich dafXr loben, dass ich damals nicht Eile und Unmut gezeigt
habe. Also lass gut sein, Freund, und schade dir nicht durch Schelten! Wenn
der Tag kommt, an dem du sehen wirst: Schaden bringt mir dieser Siddhartha,
dann sprich ein Wort, und Siddhartha wird seiner Wege gehen. Bis dahin aber
lass uns einer mit dem andern zufrieden sein."
Vergeblich waren auch die Versuche des Kaufmanns, Siddhartha zu
Xberzeugen, dass er sein, Kamaswamis, Brot esse. Siddhartha aX sein eignes
Brot, vielmehr sie beide aXen das Brot anderer, das Brot aller. Niemals
hatte Siddhartha ein Ohr fXr Kamaswamis Sorgen, und Kamaswami machte sich
viele Sorgen. \War ein GeschXft im Gange, welchem Misserfolg drohte, schien
eine Warensendung verloren, schien ein Schuldner nicht zahlen zu kXnnen, nie
konnte Kamaswami seinen Mitarbeiter Xberzeugen, dass es nXtzlich sei, Worte
des Kummers oder des Zornes zu verlieren, Falten auf der Stirn zu haben,
schlecht zu schlafen. Als ihm Kamaswami einstmals vorhielt, er habe alles,
was er verstehe, von ihm gelernt, gab er zur Antwort: "Wolle mich doch nicht
mit solchen SpXen zum Besten haben! Von dir habe ich gelernt, wie viel ein
Korb voll Fische kostet, und wie viel Zins man fXr geliehenes Geld fordern
kann. Das sind deine Wissenschaften. Denken habe ich nicht bei dir gelernt,
teurer Kamaswami, suche lieber du es von mir zu lernen."
In der Tat war seine Seele nicht beim Handel. Die GeschXfte waren gut,
um ihm Geld fXr Kamala einzubringen, und sie brachten weit mehr ein, als er
brauchte. Im Xbrigen war Siddharthas Teilnahme und Neugierde nur bei den
Menschen, deren GeschXfte, Handwerke, Sorgen, Lustbarkeiten und Torheiten
ihm frXher fremd und fern gewesen waren wie der Mond. So leicht es ihm
gelang, mit allen zu sprechen, mit allen zu leben, von allen zu lernen, so
sehr ward ihm dennoch bewusst, dass etwas sei, was ihn von ihnen trenne, und
dies Trennende war sein Samanatum. Er sah die Menschen auf eine kindliche
oder tierhafte Art dahinleben, welche er zugleich liebte und auch
verachtete. Er sah sie sich mXhen, sah sie leiden und grau werden um Dinge,
die ihm dieses Preises ganz unwert schienen, um Geld, um kleine Lust, um
kleine Ehren, er sah sie einander schelten und beleidigen, er sah sie um
Schmerzen wehklagen, Xber die der Samana lXchelt, und unter Entbehrungen
leiden, die ein Samana nicht fXhlt.
Allem stand er offen, was diese Menschen ihm zubrachten. Willkommen war
ihm der HXndler, der ihm Leinwand zum Kauf anbot, willkommen der
Verschuldete, der ein Darlehen suchte, willkommen der Bettler, der ihm eine
Stunde lang die Geschichte seiner Armut erzXhlte, und welcher nicht halb so
arm war als ein jeder Samana. Den reichen auslXndischen HXndler behandelte
er nicht anders als den Diener, der ihn rasierte, und den StraXenverkXufer,
von dem er sich beim Bananenkauf um kleine MXnze betrXgen lieX. Wenn
Kamaswami zu ihm kam, um Xber seine Sorgen zu klagen oder ihm wegen eines
GeschXftes VorwXrfe zu machen, so hXrte er neugierig und heiter zu, wunderte
sich Xber ihn, suchte ihn zu verstehen, lieX ihn ein wenig Recht haben, eben
so viel als ihm unentbehrlich schien, und wandte sich von ihm ab, dem
NXchsten zu, der ihn begehrte. Und es kamen viele zu ihm, viele um mit ihm
zu handeln, viele um ihn zu betrXgen, viele um ihn auszuhorchen, viele um
sein Mitleid anzurufen, viele um seinen Rat zu hXren. Er gab Rat, er
bemitleidete, er schenkte, er lieX sich ein wenig betrXgen, und dieses ganze
Spiel und die Leidenschaft, mit welcher alle Menschen dies Spiel betrieben,
beschXftigte seine Gedanken ebensosehr, wie einst die GXtter und das Brahman
sie beschXftigt hatten.
Zuzeiten spXrte er, tief in der Brust, eine sterbende, leise Stimme,
die mahnte leise, klagte leise, kaum dass er sie vernahm. Alsdann kam ihm
fXr eine Stunde zum Bewusstsein, dass er ein seltsames Leben fXhre, dass er
da lauter Dinge tue, die bloX ein Spiel waren, dass er wohl heiter sei und
zuweilen Freude fXhle, dass aber das eigentliche Leben dennoch an ihm
vorbeiflieXe und ihn nicht berXhre. Wie ein Ballspieler mit seinen BXllen
spielt, so spielte er mit seinen GeschXften, mit den Menschen seiner
Umgebung, sah ihnen zu, fand seinen SpaX an ihnen; mit dem Herzen, mit der
Quelle seines Wesens war er nicht dabei. Die Quelle lief irgendwo, wie fern
von ihm, lief und lief unsichtbar, hatte nichts mehr mit seinem Leben zu
tun. Und einigemal erschrak er ob solchen Gedanken und wXnschte sich, es
mXge doch auch ihm gegeben sein, bei all dem kindlichen Tun des Tages mit
Leidenschaft und mit dem Herzen beteiligt zu sein, wirklich zu leben,
wirklich zu tun, wirklich zu genieXen und zu leben, statt nur so als ein
Zuschauer daneben zu stehen. Immer aber kam er wieder zur schXnen Kamala,
lernte Liebeskunst, Xbte den Kult der Lust, bei welchem mehr als irgendwo
geben und nehmen zu einem wird, plauderte mit ihr, lernte von ihr, gab ihr
Rat, empfing Rat. Sie verstand ihn besser, als Govinda ihn einst verstanden
hatte, sie war ihm Xhnlicher.
Einmal sagte er zu ihr: "Du bist wie ich, du bist anders als die
meisten Menschen. Du bist Kamala, nichts andres, und in dir innen ist eine
Stille und Zuflucht, in welche du zu jeder Stunde eingehen und bei dir
daheim sein kannst, so wie auch ich es kann. Wenige Menschen haben das, und
doch kXnnten alle es haben."
"Nicht alle Menschen sind klug," sagte Kamala.
"Nein," sagte Siddhartha, "nicht daran liegt es. Kamaswami ist ebenso
klug wie ich, und hat doch keine Zuflucht in sich. Andre haben sie, die an
Verstand kleine Kinder sind. Die meisten Menschen, Kamala, sind wie ein
fallendes Blatt, das weht und dreht sich durch die Luft, und schwankt, und
taumelt zu Boden. Andre aber, wenige, sind wie Sterne, die gehen eine feste
Bahn, kein Wind erreicht sie, in sich selber haben sie ihr Gesetz und ihre
Bahn. Unter allen Gelehrten und Samanas, deren ich viele kannte, war einer
von dieser Art, ein Vollkommener, nie kann ich ihn vergessen. Es ist jener
Gotama, der Erhabene, der VerkXndiger jener Lehre. Tausend JXnger hXren
jeden Tag seine Lehre, folgen jede Stunde seiner Vorschrift, aber sie alle
sind fallendes Laub, nicht in sich selbst haben sie Lehre und Gesetz."
Kamala betrachtete ihn mit LXcheln. "Wieder redest du von ihm," sagte
sie, "wieder hast du Samana-Gedanken."
Siddhartha schwieg, und sie spielten das Spiel der Liebe, eines von den
dreiXig oder vierzig verschiedenen Spielen, welche Kamala wusste. Ihr Leib
war biegsam wie der eines Jaguars, und wie der Bogen eines JXgers; wer von
ihr die Liebe gelernt hatte, war vieler LXste, vieler Geheimnisse kundig.
Lange spielte sie mit Siddhartha lockte ihn, wies ihn zurXck, zwang ihn,
umspannte ihn: freute sich seiner Meisterschaft, bis er besiegt war und
erschXpft an ihrer Seite ruhte.
Die HetXre beugte sich Xber ihn, sah lang in sein Gesicht, in seine
mXdgewordenen Augen.
"Du bist der beste Liebende," sagte sie nachdenklich, "den ich gesehen
habe. Du bist stXrker als andre, biegsamer, williger. Gut hast du meine
Kunst gelernt, Siddhartha. Einst, wenn ich Xlter bin, will ich von dir ein
Kind haben. Und dennoch, Lieber, bist du ein Samana geblieben, dennoch
liebst du mich nicht, du liebst keinen Menschen. Ist es nicht so?"
"Es mag wohl so sein", sagte Siddhartha mXde. "Ich bin wie du. Auch du
liebst nicht X wie kXnntest du sonst 'die Liebe als eine Kunst betreiben?
Die Menschen von unserer Art kXnnen vielleicht nicht lieben. Die
Kindermenschen kXnnen es; das ist ihr Geheimnis."
Lange Zeit hatte Siddhartha das Leben der Welt und der LXste gelebt,
ohne ihm doch anzugehXren. Seine Sinne, die er in heiXen Samana-Jahren
ertXtet hatte, waren wieder erwacht, er hatte Reichtum gekostet, hatte
Wollust gekostet, hatte Macht gekostet; dennoch war er lange Zeit im Herzen
noch ein Samana geblieben, dies hatte Kamala, die Kluge, richtig erkannt.
Immer noch war es die Kunst des Denkens, des Wartens, des Fastens, von
welcher sein Leben gelenkt wurde, immer noch waren die Menschen der Welt,
die Kindermenschen, ihm fremd geblieben, wie er ihnen fremd war.
Die Jahre liefen dahin, in Wohlergehen eingehXllt fXhlte Siddhartha ihr
Schwinden kaum. Er war reich geworden, er besaX lXngst ein eigenes Haus und
eigene Dienerschaft, und einen Garten vor der Stadt am Flusse. Die Menschen
hatten ihn gerne, sie kamen zu ihm, wenn sie Geld oder Rat brauchten,
niemand aber stand ihm nahe, auXer Kamala.
Jenes hohe, helle Wachsein, welches er einst, auf der HXhe seiner
Jugend, erlebt hatte, in den Tagen nach Gotamas Predigt, nach der Trennung
von Govinda, jene gespannte Erwartung, jenes stolze Alleinstehen ohne Lehren
und ohne Lehrer, jene geschmeidige Bereitschaft, die gXttliche Stimme im
eigenen Herzen zu hXren, war allmXhlich Erinnerung geworden, war vergXnglich
gewesen; fern und leise rauschte die heilige Quelle, die einst nahe gewesen
war, die einst in ihm selber gerauscht hatte. Vieles zwar, das er von den
Samanas gelernt, das er von Gotama gelernt, das er von seinem Vater, dem
Brahmanen, gelernt hatte, war noch lange Zeit in ihm geblieben: mXiges
Leben, Freude am Denken, Stunden der Versenkung, heimliches Wissen vom
Selbst, vom ewigen Ich, das nicht KXrper noch Bewusstsein ist. Manches davon
war in ihm geblieben, eines ums andre aber war untergesunken und hatte sich
mit Staub bedeckt. Wie die Scheibe des TXpfers, einmal angetrieben, sich
noch lange dreht und nur langsam ermXdet und ausschwingt, so hatte in
Siddharthas Seele das Rad der Askese, das Rad des Denkens, das Rad der
Unterscheidung lange weiter geschwungen, schwang immer noch, aber es schwang
langsam und zXgernd und war dem Stillstand nahe. Langsam, wie Feuchtigkeit
in den absterbenden Baumstrunk dringt, ihn langsam fXllt und faulen macht,
war Welt und TrXgheit in Siddharthas Seele gedrungen, langsam fXllte sie
seine Seele, machte sie schwer, machte sie mXde, schlXferte sie ein. DafXr
waren seine Sinne lebendig geworden, viel hatten sie gelernt, viel erfahren.
Siddhartha hatte gelernt, Handel zu treiben, Macht Xber Menschen
auszuXben, sich mit dem Weibe zu vergnXgen, er hatte gelernt, schXne Kleider
zu tragen, Dienern zu befehlen, sich in wohlriechenden Wassern zu baden. Er
hatte gelernt, zart und sorgfXltig bereitete Speisen zu essen, auch den
Fisch, auch Fleisch und Vogel, GewXrze und SXigkeiten, und den Wein zu
trinken, der trXge und vergessen macht. Er hatte gelernt, mit WXrfeln und
auf dem Schachbrette zu spielen, TXnzerinnen zuzusehen, sich in der SXnfte
tragen zu lassen, auf einem weichen Bett zu schlafen. Aber immer noch hatte
er sich von den andern verschieden und ihnen Xberlegen gefXhlt, immer hatte
er ihnen mit ein wenig Spott zugesehen, mit ein wenig spXttischer
Verachtung, mit eben jener Verachtung, wie sie ein Samana stets fXr
Weltleute fXhlt. Wenn Kamaswami krXnklich war, wenn er Xrgerlich war, wenn
er sich beleidigt fXhlte, wenn er von seinen Kaufmannssorgen geplagt wurde,
immer hatte Siddhartha es mit Spott angesehen. Langsam und unmerklich nur,
mit den dahingehenden Erntezeiten und Regenzeiten, war sein Spott mXder
geworden, war seine Xberlegenheit stiller geworden. Langsam nur, zwischen
seinen wachsenden ReichtXmern, hatte Siddhartha selbst etwas von der Art der
Kindermenschen angenommen, etwas von ihrer Kindlichkeit und von ihrer
Xngstlichkeit. Und doch beneidete er sie, beneidete sie desto mehr, je
Xhnlicher er ihnen wurde. Er beneidete sie um das Eine, was ihm fehlte und
was sie hatten, um die Wichtigkeit, welche sie ihrem Leben beizulegen
vermochten, um die Leidenschaftlichkeit ihrer Freuden und Xngste, um das
bange, aber sXe GlXck ihrer ewigen Verliebtheit. In sich selbst, in Frauen,
in ihre Kinder, in Ehre oder Geld, in PlXne oder Hoffnungen verliebt waren
diese Menschen immerzu. Er aber lernte dies nicht von ihnen, gerade dies
nicht, diese Kinderfreude und Kindertorheit; er lernte von ihnen gerade das
Unangenehme, was er selbst verachtete. Es geschah immer Xfter, dass er am
Morgen nach einem geselligen Abend lange liegen blieb und sich dumpf und
mXde fXhlte. Es geschah, dass er Xrgerlich und ungeduldig wurde, wenn
Kamaswami ihn mit seinen Sorgen lang weilte. Es geschah, dass er allzu laut
lachte, wenn er im WXrfelspiel verlor. Sein Gesicht war noch immer klXger
und geistiger als andre, aber es lachte selten, und nahm einen um den andern
jene ZXge an, die man im Gesicht reicher Leute so hXufig findet, jene ZXge
der Unzufriedenheit, der KrXnklichkeit, des Missmutes, der TrXgheit, der
Lieblosigkeit. Langsam ergriff ihn die Seelenkrankheit der Reichen.
Wie ein Schleier, wie ein dXnner Nebel senkte sich MXdigkeit Xber
Siddhartha, langsam, jeden Tag ein wenig dichter, jeden Monat ein wenig
trXber, jedes Jahr ein wenig schwerer. Wie ein neues Kleid mit der Zeit alt
wird, mit der Zeit seine schXne Farbe verliert, Flecken bekommt, Falten
bekommt, an den SXumen abgestoXen wird und hier und dort blXde, fXdige
Stellen zu zeigen beginnt, so war Siddharthas neues Leben, das er nach
seiner Trennung von Govinda begonnen hatte, alt geworden, so verlor es mit
den hinrinnenden Jahren Farbe und Glanz, so sammelten sich Falten und
Flecken auf ihm, und im Grunde verborgen, hier und dort schon hXlich
hervorblickend, wartete EnttXuschung und Ekel. Siddhartha merkte es nicht.
Er merkte nur, das jene helle und sichere Stimme seines Innern, die einst in
ihm erwacht war und ihn in seinen glXnzenden Zeiten je und je geleitet
hatte, schweigsam geworden war.
Die Welt hatte ihn eingefangen, die Lust, die Begehrlichkeit, die
TrXgheit, und zuletzt auch noch jenes Laster, das er als das tXrichteste
stets am meisten verachtet und gehXhnt hatte: die Habgier. Auch das
Eigentum, der Besitz und Reichtum hatte ihn schlieXlich eingefangen, war ihm
kein Spiel und Tand mehr, war Kette und Last geworden. Auf einem seltsamen
und listigen Wege war Siddhartha in diese letzte und schnXdeste AbhXngigkeit
geraten, durch das WXrfelspiel. Seit der Zeit nXmlich, da er im Herzen
aufgehXrt hatte, ein Samana zu sein, begann Siddhartha das Spiel um Geld und
Kostbarkeiten, das er sonst lXchelnd und lXssig als eine Sitte der
Kindermenschen mitgemacht hatte, mit einer zunehmenden Wut und Leidenschaft
zu treiben. Er war ein gefXrchteter Spieler, wenige wagten es mit ihm, so
hoch und frech waren seine EinsXtze. Er trieb das Spiel aus der Not seines
Herzens, das Verspielen und Verschleudern des elenden Geldes schuf ihm eine
zornige Freude, auf keine andre Weise konnte er seine Verachtung des
Reichtums, des GXtzen der Kaufleute, deutlicher und hXhnischer zeigen. So
spielte er hoch und schonungslos, sich selbst hassend, sich selbst
verhXhnend, strich Tausende ein, warf Tausende weg, verspielte Geld,
verspielte Schmuck, verspielte ein Landhaus, gewann wieder, verspielte
wieder. Jene Angst, jene furchtbare und beklemmende Angst, welche er wXhrend
des WXrfelns, wXhrend des Bangens um hohe EinsXtze empfand, jene Angst
liebte er und suchte sie immer zu erneuern, immer zu steigern, immer hXher
zu kitzeln, denn in diesem GefXhl allein noch fXhlte er etwas wie GlXck,
etwas wie Rausch, etwas wie erhXhtes Leben inmitten seines gesXttigten,
lauen, faden Lebens. Und nach jedem groXen Verluste sann er auf neuen
Reichtum, ging eifriger dem Handel nach, zwang strenger seine Schuldner zum
Zahlen, denn er wollte weiter spielen, er wollte weiter vergeuden, weiter
dem Reichtum seine Verachtung zeigen. Siddhartha verlor die Gelassenheit bei
Verlusten, er verlor die Geduld gegen sXumige Zahler, verlor die
GutmXtigkeit gegen Bettler, verlor die Lust am Verschenken und Wegleihen des
Geldes an Bittende. Er, der zehntausend auf einen Wurf verspielte und dazu
lachte, wurde im Handel strenger und kleinlicher, trXumte nachts zuweilen
von Geld! Und so oft er aus dieser hXlichen Bezauberung erwachte, so oft er
sein Gesicht im Spiegel an der Schlafzimmerwand gealtert und hXlicher
geworden sah, so oft Scham und Ekel ihn Xberfiel, floh er weiter, floh in
neues GlXcksspiel, floh in BetXubungen der Wollust, des Weines, und von da
zurXck in den Trieb des HXufens und Erwerbens. In diesem sinnlosen Kreislauf
lief er sich mXde, lief er sich alt, lief sich krank.
Da mahnte ihn einst ein Traum. Er war die Abendstunden bei Kamala
gewesen, in ihrem schXnen Lustgarten. Sie waren unter den BXumen gesessen,
im GesprXch, und Kamala hatte nachdenkliche Worte gesagt, Worte, hinter
welchen sich eine Trauer und MXdigkeit verbarg. Von Gotama hatte sie ihn
gebeten zu erzXhlen, und konnte nicht genug von ihm hXren, wie rein sein
Auge, wie still und schXn sein Mund, wie gXtig sein LXcheln, wie friedevoll
sein Gang gewesen. Lange hatte er ihr vom erhabenen Buddha erzXhlen mXssen,
und Kamala hatte geseufzt, und hatte gesagt: Einst, vielleicht bald, werde
auch ich diesem Buddha folgen. Ich werde ihm meinen Lustgarten schenken, und
werde meine Zuflucht zu seiner Lehre nehmen." Darauf aber hatte sie ihn
gereizt, und ihn im Liebesspiel mit schmerzlicher Inbrunst an sich
gefesselt, unter Bissen und unter TrXnen, als wolle sie noch einmal aus
dieser eiteln, vergXnglichen Lust den letzten sXen Tropfen pressen. Nie war
es Siddhartha so seltsam klar geworden, wie nahe die Wollust dem Tode
verwandt ist. Dann war er an ihrer Seite gelegen, und Kamalas Antlitz war
ihm nahe gewesen, und unter ihren Augen und neben ihren Mundwinkeln hatte
er, deutlich wie noch niemals, eine bange Schrift gelesen, eine Schrift von
feinen Linien, von leisen Furchen, eine Schrift, die an den Herbst und an
das Alter erinnerte, wie denn auch Siddhartha selbst, der erst in den
Vierzigern stand, schon hier und dort ergraute Haare zwischen seinen
schwarzen bemerkt hatte. MXdigkeit stand auf Kamalas schXnem Gesicht
geschrieben, MXdigkeit vom Gehen eines langen Weges, der kein frohes Ziel
hat, MXdigkeit und beginnende Welke, und verheimlichte, noch nicht gesagte,
vielleicht noch nicht einmal gewusste Bangigkeit: Furcht vor dem Alter,
Furcht vor dem Herbste, Furcht vor dem SterbenmXssen. Seufzend hatte er von
ihr Abschied genommen, die Seele voll Unlust, und voll verheimlichter
Bangigkeit.
Dann hatte Siddhartha die Nacht in seinem Hause mit TXnzerinnen beim
Weine zugebracht, hatte gegen seine Standesgenossen den Xberlegenen
gespielt, welcher er nicht mehr war, hatte viel Wein getrunken und spXt nach
Mitternacht sein Lager aufgesucht, mXde und dennoch erregt, dem Weinen und
der Verzweiflung nahe, und hatte lang vergeblich den Schlaf gesucht, das
Herz voll eines Elendes, das er nicht mehr ertragen zu kXnnen meinte, voll
eines Ekels, von dem er sich durchdrungen fXhlte wie vom lauen, widerlichen
Geschmack des Weines, der allzu sXen, Xden Musik, dem allzu weichen LXcheln
der TXnzerinnen, dem allzu sXen Duft ihrer Haare und BrXste. Mehr aber als
vor allem anderen ekelte ihm vor sich selbst, vor seinen duftenden Haaren,
vor dem Weingeruch seines Mundes, vor der schlaffen MXdigkeit und Unlust
seiner Haut. Wie wenn einer, der allzuviel gegessen oder getrunken hat, es
unter Qualen wieder erbricht und doch der Erleichterung froh ist, so
wXnschte sich der Schlaflose, in einem ungeheuren Schwall von Ekel sich
dieser GenXsse, dieser Gewohnheiten, dieses ganzen sinnlosen Lebens und
seiner selbst zu entledigen. Erst beim Schein des Morgens und dem Erwachen
der ersten GeschXftigkeit auf der StraXe vor seinem Stadthause war er
eingeschlummert, hatte fXr wenige Augenblicke eine halbe BetXubung, eine
Ahnung von Schlaf gefunden. In diesen Augenblicken hatte er einen Traum:
Kamala besaX in einem goldenen KXfig einen kleinen seltenen Singvogel.
Von diesem Vogel trXumte er. Er trXumte: dieser Vogel war stumm geworden,
der sonst stets in der Morgenstunde sang, und da dies ihm auffiel, trat er
vor den KXfig und blickte hinein, da war der kleine Vogel tot und lag steif
am Boden. Er nahm ihn heraus, wog ihn einen Augenblick in der Hand und warf
ihn dann weg, auf die Gasse hinaus, und im gleichen Augenblick erschrak er
furchtbar, und das Herz tat ihm weh, so, als habe er mit diesem toten Vogel
allen Wert und alles Gute von sich geworfen.
Aus diesem Traum auffahrend, fXhlte er sich von tiefer Traurigkeit
umfangen. Wertlos, so schien ihm, wertlos und sinnlos hatte er sein Leben
dahingefXhrt; nichts Lebendiges, nichts irgendwie KXstliches oder
Behaltenswertes war ihm in HXnden geblieben. Allein stand er und leer, wie
ein SchiffbrXchiger am Ufer.
Finster begab sich Siddhartha in einen Lustgarten, der ihm gehXrte,
verschloss die Pforte, setzte sich unter einem Mangobaum nieder, fXhlte den
Tod im Herzen und das Grauen in der Brust, saX und spXrte, wie es in ihm
starb, in ihm welkte, in ihm zu Ende ging. AllmXhlich sammelte er seine
Gedanken, und ging im Geiste nochmals den ganzen Weg seines Lebens, von den
ersten Tagen an, auf welche er sich besinnen konnte. Wann denn hatte er ein
GlXck erlebt, eine wahre Wonne gefXhlt? O ja, mehrere Male hatte er solches
erlebt. In den Knabenjahren hatte er es gekostet, wenn er von den Brahmanen
Lob errungen hatte er es in seinem Herzen gefXhlt: "Ein Weg liegt vor dem
Hersagen der heiligen Verse, im Disput mit den Gelehrten, als Gehilfe beim
Opfer ausgezeichnet hatte. Da hatte er es in seinem Herzen gefXhlt: "Ein Weg
liegt vor dir, zu dem du berufen bist, auf dich warten die GXtter." Und
wieder als JXngling, da ihn das immer hXher emporfliehende Ziel alles
Nachdenkens aus der Schar Gleichstrebender heraus- und hinangerissen hatte,
da er in Schmerzen um den Sinn des Brahman rang, da jedes erreichte Wissen
nur neuen Durst in ihm entfachte, da wieder hatte er, mitten im Durst,
mitten im Schmerze dieses selbe gefXhlt: "Weiter! Weiter! Du bist berufen!"
Diese Stimme hatte er vernommen, als er seine Heimat verlassen und das Leben
des Samana gewXhlt hatte, und wieder, als er von den Samanas hinweg zu jenem
Vollendeten, und auch von ihm hinweg ins Ungewisse gegangen war. Wie lange
hatte er diese Stimme nicht mehr gehXrt, wie lange keine HXhe mehr erreicht,
wie eben und Xde war sein Weg dahingegangen, viele lange Jahre, ohne hohes
Ziel, ohne Durst, ohne Erhebung, mit kleinen LXsten zufrieden und dennoch
nie begnXgt! Alle diese Jahre hatte er, ohne es selbst zu wissen, sich
bemXht und danach gesehnt, ein Mensch wie diese vielen zu werden, wie diese
Kinder, und dabei war sein Leben viel elender und Xrmer gewesen als das
ihre, denn ihre Ziele waren nicht die seinen, noch ihre Sorgen, diese ganze
Welt der Kamaswami-Menschen war ihm ja nur ein Spiel gewesen, ein Tanz, dem
man zusieht, eine KomXdie. Einzig Kamala war ihm lieb, war ihm wertvoll
gewesen X aber war sie es noch? Brauchte er sie noch, oder sie ihn? Spielten
sie nicht ein Spiel ohne Ende? War es notwendig, dafXr zu leben? Nein, es
war nicht notwendig! Dieses Spiel hieX Sansara, ein Spiel fXr Kinder, ein
Spiel, vielleicht hold zu spielen, einmal, zweimal, zehnmal X aber immer und
immer wieder?
Da wusste Siddhartha, dass das Spiel zu Ende war, dass er es nicht mehr
spielen kXnne. Ein Schauder lief ihm Xber den Leib, in seinem Innern, so
fXhlte er, war etwas gestorben.
Jenen ganzen Tag saX er unter dem Mangobaume, seines Vaters gedenkend,
Govindas gedenkend, Gotamas gedenkend. Hatte er diese verlassen mXssen, um
ein Kamaswami zu werden? Er saX noch, als die Nacht angebrochen war. Als er
aufschauend die Sterne erblickte, dachte er: "Hier sitze ich unter meinem
Mangobaume, in meinem Lustgarten." Er lXchelte ein wenig X war es denn
notwendig, war es richtig, war es nicht ein tXrichtes Spiel, dass er einen
Mangobaum, dass er einen Garten besaX?
Auch damit schloss er ab, auch das starb in ihm. Er erhob sich, nahm
Abschied vom Mangobaum, Abschied vom Lustgarten. Da er den Tag ohne Speise
geblieben war, fXhlte er heftigen Hunger, und gedachte an sein Haus in der
Stadt, an sein Gemach und Bett, an den Tisch mit den Speisen. Er lXchelte
mXde, schXttelte sich und nahm Abschied von diesen Dingen.
In derselben Nachtstunde verlieX Siddhartha seinen Garten, verlieX die
Stadt und kam niemals wieder. Lange lieX Kamaswami nach ihm suchen, der ihn
in RXuberhand gefallen glaubte. Kamala lieX nicht nach ihm suchen. Als sie
erfuhr, dass Siddhartha verschwunden sei, wunderte sie sich nicht. Hatte sie
es nicht immer erwartet? War er nicht ein Samana, ein Heimloser, ein Pilger?
Und am meisten hatte sie dies beim letzten Zusammensein gefXhlt, und sie
freute sich mitten im Schmerz des Verlustes, dass sie ihn dieses letzte Mal
noch so innig an ihr Herz gezogen, sich noch einmal so ganz von ihm,
besessen und durchdrungen gefXhlt hatte.
Als sie die erste Nachricht von Siddharthas Verschwinden bekam, trat
sie ans Fenster, wo sie in einem goldenen KXfig einen seltenen Singvogel
gefangen hielt. Sie Xffnete die TXr des KXfigs, nahm den Vogel heraus und
lieX ihn fliegen. Lange sah sie ihm nach, dem fliegenden Vogel. Sie empfing
von diesem Tage an keine Besucher mehr, und hielt ihr Haus verschlossen.
Nach einiger Zeit aber ward sie inne, dass sie von dem letzten Zusammensein
mit Siddhartha schwanger sei.
Siddhartha wanderte im Walde, schon fern von der Stadt, und wusste
nichts als das eine, dass er nicht mehr zurXck konnte, dass dies Leben, wie
er es nun viele Jahre lang gefXhrt, vorXber und dahin und bis zum Ekel
ausgekostet und ausgesogen war. Tot war der Singvogel, von dem er getrXumt.
Tot war der Vogel in seinem Herzen. Tief war er in Sansara verstrickt, Ekel
und Tod hatte er von allen Seiten in sich eingesogen, wie ein Schwamm Wasser
einsaugt, bis er voll ist. Voll war er von Xberdruss, voll von Elend, voll
von Tod, nichts mehr gab es in der Welt, das ihn locken, das ihn freuen, das
ihn trXsten konnte.
Sehnlich wXnschte er, nichts mehr von sich zu wissen, Ruhe zu haben,
tot zu sein. KXme doch ein Blitz und erschlXge ihn! KXme doch ein Tiger und
frXe ihn! GXbe es doch einen Wein, ein Gift, das ihm BetXubung brXchte,
Vergessen und Schlaf, und kein Erwachen mehr! Gab es denn noch irgendeinen
Schmutz, mit dem er sich nicht beschmutzt hatte, eine SXnde und Torheit, die
er nicht begangen, eine SeelenXde, die er nicht auf sich geladen hatte? War
es denn noch mXglich, zu leben? War es mXglich, nochmals und nochmals wieder
Atem zu ziehen, Atem auszustoXen, Hunger zu fXhlen, wieder zu essen, wieder
zu schlafen, wieder beim Weibe zu liegen? War dieser Kreislauf nicht fXr ihn
erschXpft und abgeschlossen?
Siddhartha gelangte an den groXen Fluss im Walde, an denselben Fluss,
Xber welchen ihn einst, als er noch ein junger Mann war und von der Stadt
des Gotama kam, ein FXhrmann gefXhrt hatte. An diesem Flusse machte er Halt,
blieb zXgernd beim Ufer stehen. MXdigkeit und Hunger hatten ihn geschwXcht,
und wozu auch sollte er weitergehen, wohin denn, zu welchem Ziel? Nein, es
gab keine Ziele mehr, es gab nichts mehr als die tiefe, leidvolle Sehnsucht,
diesen ganzen wXsten Traum von sich zu schXtteln, diesen schalen Wein von
sich zu speien, diesem jXmmerlichen und schmachvollen Leben ein Ende zu
machen.
Xber das Flussufer hing ein Baum gebeugt, ein Kokosbaum, an dessen
Stamm lehnte sich Siddhartha mit der Schulter, legte den Arm um den Stamm
und blickte in das grXne Wasser hinab, das unter ihm zog und zog, blickte
hinab und fand sich ganz und gar von dem Wunsche erfXllt, sich loszulassen
und in diesem Wasser unterzugehen. Eine schauerliche Leere spiegelte ihm aus
dem Wasser entgegen, welcher die furchtbare Leere in seiner Seele Antwort
gab. Ja, er war am Ende. Nichts mehr gab es fXr ihn, als sich auszulXschen,
als das misslungene Gebilde seines Lebens zu zerschlagen, es wegzuwerfen,
hohnlachenden GXttern vor die FXe. Dies war das groXe Erbrechen, nach dem
er sich gesehnt hatte: der Tod, das Zerschlagen der Form, die er hasste!
Mochten ihn die Fische fressen, diesen Hund von Siddhartha, diesen
Irrsinnigen, diesen verdorbenen und verfaulten Leib, diese erschlaffte und
missbrauchte Seele! Mochten die Fische und Krokodile ihn fressen, mochten
die DXmonen ihn zerstXcken!
Mit verzerrtem Gesichte starrte er ins Wasser, sah sein Gesicht
gespiegelt und spie danach. In tiefer MXdigkeit lXste er den Arm vom
Baumstamme und drehte sich ein wenig, um sich senkrecht hinabfallen zu
lassen, um endlich unterzugehen. Er sank, mit geschlossenen Augen, dem Tod
entgegen.
Da zuckte aus entlegenen Bezirken seiner Seele, aus Vergangenheiten
seines ermXdeten Lebens her ein Klang. Es war ein Wort, eine Silbe, die er
ohne Gedanken mit lallender Stimme vor sich hinsprach, das alte Anfangswort
und Schlusswort aller brahmanischen Gebete, das heilige "Om", das so viel
bedeutet wie "das Vollkommene" oder "die Vollendung". Und im Augenblick, da
der Klang "Om" Siddharthas Ohr berXhrte, erwachte sein entschlummerter Geist
plXtzlich, und erkannte die Torheit seines Tuns.
Siddhartha erschrak tief. So also stand es um ihn, so verloren war er,
so verirrt und von allem Wissen verlassen, dass er den Tod hatte suchen
kXnnen, dass dieser Wunsch, dieser Kinderwunsch in ihm hatte groX werden
kXnnen: Ruhe zu finden, indem er seinen Leib auslXschte! Was alle Qual
dieser letzten Zeiten, alle ErnXchterung, alle Verzweiflung nicht bewirkt
hatte, das bewirkte dieser Augenblick, da das Om in sein Bewusstsein drang:
dass er sich in seinem Elend und in seiner Irrsal erkannte.
Om! sprach er vor sich hin: Om! Und wusste um Brahman, wusste um die
UnzerstXrbarkeit des Lebens, wusste um alles GXttliche wieder, das er
vergessen hatte.
Doch war dies nur ein Augenblick, ein Blitz. Am FuX des Kokosbaumes
sank Siddhartha nieder, von der ErmXdung hingestreckt, Om murmelnd, legte
sein Haupt auf die Wurzel des Baumes und sank in tiefen Schlaf.
Tief war sein Schlaf und frei von TrXumen, seit langer Zeit hatte er
einen solchen Schlaf nicht mehr gekannt. Als er nach manchen Stunden
erwachte, war ihm, als seien zehn Jahre vergangen, er hXrte das leise
StrXmen des Wassers, wusste nicht, wo er sei und wer ihn hierher gebracht
habe, schlug die Augen auf, sah mit Verwunderung BXume und Himmel Xber sich,
und erinnerte sich, wo er wXre und wie er hierher gekommen sei. Doch
bedurfte er hierzu einer langen Weile, und das Vergangene erschien ihm wie
von einem Schleier Xberzogen, unendlich fern, unendlich weit weg gelegen,
unendlich gleichgXltig. Er wusste nur, dass er sein frXheres Leben (im
ersten Augenblick der Besinnung erschien ihm dies frXhere Leben wie eine
weit zurXckliegende, einstige VerkXrperung, wie eine frXhe Vorgeburt seines
jetzigen Ich) X dass er sein frXheres Leben verlassen habe, dass er voll
Ekel und Elend sogar sein Leben habe wegwerfen wollen, dass er aber an einem
Flusse, unter einem Kokosbaume, zu sich gekommen sei, das heilige Wort Om
auf den Lippen, dann entschlummert sei, und nun erwacht als ein neuer Mensch
in die Welt blicke. Leise sprach er das Wort Om vor sich hin, Xber welchem
er eingeschlafen war, und ihm schien sein ganzer langer Schlaf sei nichts
als ein langes, versunkenes Om-Sprechen gewesen, ein Om-Denken, ein
Untertauchen und vXlliges Eingehen in Om, in das Namenlose, Vollendete.
Was fXr ein wunderbarer Schlaf war dies doch gewesen! Niemals hatte ein
Schlaf ihn so erfrischt, so erneut, so verjXngt! Vielleicht war er wirklich
gestorben, war untergegangen und in einer neuen Gestalt wiedergeboren? Aber
nein, er kannte sich, er kannte seine Hand und seine FXe, kannte den Ort,
an dem er lag, kannte dies Ich in seiner Brust, diesen Siddhartha, den
Eigenwilligen, den Seltsamen, aber dieser Siddhartha war dennoch verwandelt,
war erneut, war merkwXrdig ausgeschlafen, merkwXrdig wach, freudig und
neugierig.
Siddhartha richtete sich empor, da sah er sich gegenXber einen Menschen
sitzen, einen fremden Mann, einen MXnch in gelbem Gewande mit rasiertem
Kopfe, in der Stellung des Nachdenkens. Er betrachtete den Mann, der weder
Haupthaar noch Bart an sich hatte, und nicht lange hatte er ihn betrachtet,
da erkannte er in diesem MXnche Govinda, den Freund seiner Jugend, Govinda,
der seine Zuflucht zum erhabenen Buddha genommen hatte. Govinda war
gealtert, auch er, aber noch immer trug sein Gesicht die alten ZXge, sprach
von Eifer, von Treue, von Suchen, von Xngstlichkeit. Als nun aber Govinda,
seinen Blick fXhlend, das Auge aufschlug und ihn anschaute, sah Siddhartha,
dass Govinda ihn nicht erkenne. Govinda freute sich, ihn wach zu finden,
offenbar hatte er lange hier gesessen und auf sein Erwachen gewartet, obwohl
er ihn nicht kannte.
"Ich habe geschlafen," sagte Siddhartha. "Wie bist denn du hierher
gekommen?"
"Du hast geschlafen," antwortete Govinda. "Es ist nicht gut, an solchen
Orten zu schlafen, wo hXufig Schlangen sind und die Tiere des Waldes ihre
Wege haben. Ich, o Herr, bin ein JXnger des erhabenen Gotama, des Buddha,
des Sakyamuni, und bin mit einer Zahl der Unsrigen diesen Weg gepilgert, da
sah ich dich liegen und schlafen an einem Orte, wo es gefXhrlich ist zu
schlafen. Darum suchte ich dich zu wecken, o Herr, und da ich sah, dass dein
Schlaf sehr tief war, blieb ich hinter den Meinigen zurXck und saX bei dir.
Und dann, so scheint es, bin ich selbst eingeschlafen, der ich deinen Schlaf
bewachen wollte. Schlecht habe ich meinen Dienst versehen, MXdigkeit hat
mich Xbermannt. Aber nun, da du ja wach bist, lass mich gehen, damit ich
meine BrXder einhole."
"Ich danke dir, Samana, dass du meinen Schlaf behXtet hast," sprach
Siddhartha. "Freundlich seid Ihr JXnger des Erhabenen. Nun magst du denn
gehen."
"Ich gehe, Herr. MXge der Herr sich immer wohl befinden."
"Ich danke dir, Samana."
Govinda machte das Zeichen des GruXes und sagte: "Lebe wohl."
"Lebe wohl, Govinda," sagte Siddhartha.
Der MXnch blieb stehen.
"Erlaube, Herr, woher kennst du meinen Namen?"
Da lXchelte Siddhartha.
"Ich kenne dich, o Govinda, aus der HXtte deines Vaters, und aus der
Brahmanenschule, und von den Opfern, und von unsrem Gang zu den Samanas, und
von jener Stunde, da du im Hain Jetavana deine Zuflucht zum Erhabenen
nahmest."
"Du bist Siddharthal" rief Govinda laut. Jetzt erkenne ich dich, und
begreife nicht mehr, wie ich dich nicht sogleich erkennen konnte. Sei
willkommen, Siddhartha, groX ist meine Freude, dich wiederzusehen"
"Auch mich erfreut es, dich wiederzusehen. Du bist der WXchter meines
Schlafes gewesen, nochmals danke ich dir dafXr, obwohl ich keines WXchters
bedurft hXtte. Wohin gehst du, o Freund?"
"Nirgendshin gehe ich. Immer sind wir MXnche unterwegs, solange nicht
Regenzeit ist, immer ziehen wir von Ort zu Ort, leben nach der Regel,
verkXndigen die Lehre, nehmen Almosen, ziehen weiter. Immer ist es so. Du
aber, Siddhartha, wo gehst du hin?"
Sprach Siddhartha: "Auch mit mir steht es so, Freund, wie mit dir. Ich
gehe nirgendhin. Ich bin nur unterwegs. Ich pilgere."
Govinda sprach: "Du sagst, du pilgerst, und ich glaube dir. Doch
verzeih, o Siddhartha, nicht wie ein Pilger siehst du aus. Du trXgst das
Kleid eines Reichen, du trXgst die Schuhe eines Vornehmen, und dein Haar,
das nach wohlriechendem Wasser duftet, ist nicht das Haar eines Pilgers,
nicht das Haar eines Samanas."
"Wohl, Lieber, gut hast du beobachtet, alles sieht dein scharfes Auge.
Doch habe ich nicht zu dir gesagt, dass ich ein Samana sei. Ich sagte: ich
pilgere. Und so ist es: ich pilgere."
"Du pilgerst," sagte Govinda. "Aber wenige pilgern in solchem Kleide,
wenige in solchen Schuhen, wenige mit solchen Haaren. Nie habe ich, der ich
schon viele Jahre pilgere, solch einen Pilger angetroffen."
"Ich glaube es dir, mein Govinda. Aber nun, heute, hast du eben einen
solchen Pilger angetroffen, in solchen Schuhen, mit solchem Gewande.
Erinnere dich, Lieber: VergXnglich ist die Welt der Gestaltungen,
vergXnglich, hXchst vergXnglich sind unsere GewXnder, und die Tracht unserer
Haare, und unsere Haare und KXrper selbst. Ich trage die Kleider eines
Reichen, da hast du recht gesehen. Ich trage sie, denn ich bin ein Reicher
gewesen, und trage das Haar wie die Weltleute und LXstlinge, denn einer von
ihnen bin ich gewesen. "
"Und jetzt, Siddhartha, was bist du jetzt?"
"Ich weiX es nicht, ich weiX es so wenig wie du. Ich bin unterwegs. Ich
war ein Reicher, und bin es nicht mehr; und was ich morgen sein werde, weiX
ich nicht."
"Du hast deinen Reichtum verloren?"
"Ich habe ihn verloren, oder er mich. Er ist mir abhanden gekommen.
Schnell dreht sich das Rad der Gestaltungen, Govinda. Wo ist der Brahmane
Siddhartha? Wo ist der Samana Siddhartha? Wo ist der Reiche Siddhartha?
Schnell wechselt das VergXngliche, Govinda, du weiXt es.
Govinda blickte den Freund seiner Jugend lange an, Zweifel im Auge.
Darauf grXte er ihn, wie man Vornehme grXt, und ging seines Weges.
Mit lXchelndem Gesicht schaute Siddhartha ihm nach, er liebte ihn noch
immer, diesen Treuen, diesen Xngstlichen. Und wie hXtte er, in diesem
Augenblick, in dieser herrlichen Stunde nach seinem wunderbaren Schlafe,
durchdrungen von Om, irgend jemand und irgend etwas nicht lieben sollen!
Eben darin bestand die Verzauberung, welche im Schlafe und durch das Om in
ihm geschehen war, dass er alles liebte, dass er voll froher Liebe war zu
allem, was er sah. Und eben daran, so schien es ihm jetzt, war er vorher so
sehr krank gewesen, dass er nichts und niemand hatte lieben kXnnen.
Mit lXchelndem Gesichte schaute Siddhartha dem hinweggehenden MXnche
nach. Der Schlaf hatte ihn sehr gestXrkt, sehr aber quXlte ihn der Hunger,
denn er hatte nun zwei Tage nichts gegessen, und lange war die Zeit vorXber,
da er hart gegen den Hunger gewesen war. Mit Kummer, und doch auch mit
Lachen, gedachte er jener Zeit. Damals, so erinnerte er sich, hatte er sich
vor Kamala dreier Dinge gerXhmt, hatte drei edle und unXberwindliche KXnste
gekonnt: Fasten X Warten X Denken. Dies war sein Besitz gewesen, seine Macht
und Kraft, sein fester Stab, in den fleiXigen, mXhseligen Jahren seiner
Jugend hatte er diese drei KXnste gelernt, nichts anderes. Und nun hatten
sie ihn verlassen, keine von ihnen war mehr sein, nicht Fasten, nicht
Warten, nicht Denken. Um das Elendeste hatte er sie hingegeben, um das
VergXnglichste, um SinnenIust, um Wohlleben, um Reichtum! Seltsam war es ihm
in der Tat ergangen. Und jetzt, so schien es, jetzt war er wirklich ein
Kindermensch geworden.
Siddhartha dachte Xber seine Lage nach. Schwer fiel ihm das Denken, er
hatte im Grunde keine Lust dazu, doch zwang er sich.
Nun, dachte er, da alle diese vergXnglichsten Dinge mir wieder
entglitten sind, nun stehe ich wieder unter der Sonne, wie ich einst als
kleines Kind gestanden bin, nichts ist mein, nichts kann ich, nichts vermag
ich, nichts habe ich gelernt. Wie ist dies wunderlich! Jetzt, wo ich nicht
mehr jung bin, wo meine Haare schon halb grau sind, wo die KrXfte
nachlassen, jetzt fange ich wieder von vorn und beim Kinde an! Wieder musste
er lXcheln. Ja, seltsam war sein Geschick! Es ging abwXrts mit ihm, und nun
stand er wieder leer und nackt und dumm in der Welt. Aber Kummer darXber
konnte er nicht empfinden, nein, er fXhlte sogar groXen Anreiz zum Lachen,
zum Lachen Xber sich, zum Lachen Xber diese seltsame, tXrichte Welt.
"AbwXrts geht es mit dir!" sagte er zu sich selber, und lachte dazu,
und wie er es sagte, fiel sein Blick auf den Fluss, und auch den Fluss sah
er abwXrts gehen, immer abwXrts wandern, und dabei singen und frXhlich sein.
Das gefiel ihm wohl, freundlich lXchelte er dem Flusse zu. War dies nicht
der Fluss, in welchem er sich hatte ertrXnken wollen, einst, vor hundert
Jahren, oder hatte er das getrXumt?
Wunderlich in der Tat war mein Leben, so dachte er, wunderliche Umwege
hat es genommen. Als Knabe habe ich nur mit GXttern und Opfern zu tun
gehabt. Als JXngling habe ich nur mit Askese, mit Denken und Versenkung zu
tun gehabt, war auf der Suche nach Brahman, verehrte das Ewige im Atman. Als
junger Mann aber zog ich den BXern nach, lebte im Walde, litt Hitze und
Frost, lernte hungern, lehrte meinen Leib absterben. Wunderbar kam mir
alsdann in der Lehre des groXen Buddha Erkenntnis entgegen, ich fXhlte
Wissen um die Einheit der Welt in mir kreisen wie mein eigenes Blut. Aber
auch von Buddha und von dem groXen Wissen musste ich wieder fort. Ich ging
und lernte bei Kamala die Liebeslust, lernte bei Kamaswami den Handel,
hXufte Geld, vertat Geld, lernte meinen Magen lieben, lernte meinen Sinnen
schmeicheln. Viele Jahre musste ich damit hinbringen, den Geist zu
verlieren, das Denken wieder zu verlernen, die Einheit zu vergessen. Ist es
nicht so, als sei ich langsam und auf groXen Umwegen aus einem Mann ein Kind
geworden, aus einem Denker ein Kindermensch? Und doch ist dieser Weg sehr
gut gewesen, und doch ist der Vogel in meiner Brust nicht gestorben. Aber
welch ein Weg war das! Ich habe durch so viel Dummheit, durch so viel
Laster, durch so viel Irrtum, durch so viel Ekel und EnttXuschung und Jammer
hindurchgehen mXssen, bloX um wieder ein Kind zu werden und neu anfangen zu
kXnnen. Aber es war richtig so, mein Herz sagt Ja dazu, meine Augen lachen
dazu. Ich habe Verzweiflung erleben mXssen, ich habe hinabsinken mXssen bis
zum tXrichtesten aller Gedanken, zum Gedanken des Selbstmordes, um Gnade
erleben zu kXnnen, um wieder Om zu vernehmen, um wieder richtig schlafen und
richtig erwachen zu kXnnen. Ich habe ein Tor werden mXssen, um Atman wieder
in mir zu finden. Ich habe sXndigen mXssen, um wieder leben zu kXnnen. Wohin
noch mag mein Weg mich fXhren? NXrrisch ist er, dieser Weg, er geht in
Schleifen, er geht vielleicht im Kreise. Mag er gehen, wie er will, ich will
ihn gehen.
Wunderbar fXhlte er in seiner Brust die Freude wallen.
Woher denn, fragte er sein Herz, woher hast du diese FrXhlichkeit?
Kommt sie wohl aus diesem langen, guten Schlafe her, der mir so sehr
wohlgetan hat? Oder von dem Worte Om, das ich aussprach? Oder davon, dass
ich entronnen bin, dass meine Flucht vollzogen ist, dass ich endlich wieder
frei bin und wie ein Kind unter dem Himmel stehe? O wie gut ist dies
Geflohensein, dies Freigewordensein! Wie rein und schXn ist hier die Luft,
wie gut zu atmen! Dort, von wo ich entlief, dort roch alles nach Salbe, nach
GewXrzen, nach Wein, nach Xberfluss, nach TrXgheit. Wie hasste ich diese
Welt der Reichen, der Schlemmer, der Spieler! Wie habe ich mich selbst
gehasst, dass ich so lang in dieser schrecklichen Welt geblieben bin! Wie
habe ich mich gehasst, habe mich beraubt, vergiftet, gepeinigt, habe mich
alt und bXse gemacht! Nein, nie mehr werde ich, wie ich es einst so gerne
tat, mir einbilden, dass Siddhartha weise sei! Dies aber habe ich gut
gemacht, dies gefXllt mir, dies muss ich loben, dass es nun ein Ende hat mit
jenem Hass gegen mich selber, mit jenem tXrichten und Xden Leben! Ich lobe
dich, Siddharta, nach so viel Jahren der Torheit hast du wieder einmal einen
Einfall gehabt, hast etwas getan, hast den Vogel in deiner Brust singen
hXren und bist ihm gefolgt!
So lobte er sich, hatte Freude an sich, hXrte neugierig seinem Magen
zu, der vor Hunger knurrte. Ein StXck Leid, ein StXck Elend hatte er nun, so
fXhlte er, in diesen letzten Zeiten und Tagen ganz und gar durchgekostet und
ausgespien, bis zur Verzweiflung und bis zum Tode ausgefressen. So war es
gut. Lange noch hXtte er bei Kamaswami bleiben kXnnen, Geld erwerben, Geld
vergeuden, seinen Bauch mXsten und seine Seele verdursten lassen, lange noch
hXtte er in dieser sanften, wohlgepolsterten HXlle wohnen kXnnen, wXre dies
nicht gekommen: der Augenblick der vollkommenen Trostlosigkeit und
Verzweiflung, jener XuXerste Augenblick, da er Xber dem strXmenden Wasser
hing und bereit war, sich zu vernichten. Dass er diese Verzweiflung, diesen
tiefsten Ekel gefXhlt hatte, und dass er ihm nicht erlegen war, dass der
Vogel, die frohe Quelle und Stimme in ihm doch noch lebendig war, darXber
fXhlte er diese Freude, darXber lachte er, darXber strahlte sein Gesicht
unter den ergrauten Haaren.
"Es ist gut," dachte er, "alles selber zu kosten, was man zu wissen
nXtig hat. Dass Weltlust und Reichtum nicht vom Guten sind, habe ich schon
als Kind gelernt. Gewusst habe ich es lange, erlebt habe ich es erst jetzt.
Und nun weiX ich es, weiX es nicht nur mit dem GedXchtnis, sondern mit
meinen Augen, mit meinem Herzen, mit meinem Magen. Wohl mir, dass ich es
weiX!"
Lange sann er nach Xber seine Verwandlung, lauschte dem Vogel, wie er
vor Freude sang. War nicht dieser Vogel in ihm gestorben, hatte er nicht
seinen Tod gefXhlt? Nein, etwas anderes in ihm war gestorben, etwas, das
schon, lange sich nach Sterben gesehnt hatte. War es nicht das, was er einst
in seinen glXhenden BXerjahren hatte abtXten wollen? War es nicht sein Ich,
sein kleines, banges und stolzes Ich, mit dem er so viele Jahre gekXmpft
hatte, das ihn immer wieder besiegt hatte, das nach jeder AbtXtung wieder da
war, Freude verbot, Furcht empfand? War es nicht dies, was heute endlich
seinen Tod gefunden hatte, hier im Walde an diesem lieblichen Flusse? War es
nicht dieses Todes wegen, dass er jetzt wie ein Kind war, so voll Vertrauen,
so ohne Furcht, so voll Freude?
Nun auch ahnte Siddhartha, warum er als Brahmane, als BXer vergeblich
mit diesem Ich gekXmpft hatte. Zu viel Wissen hatte ihn gehindert, zu viel
heilige Verse, zu viel Opferregeln, zu viel Kasteiung, zu viel Tun und
Streben! Voll Hochmut war er gewesen, immer der KlXgste, immer der
Eifrigste, immer allen um einen Schritt voran, immer der Wissende und
Geistige, immer der Priester oder Weise. In dies Priestertum, in diesen
Hochmut, in diese Geistigkeit hinein hatte sein Ich sich verkrochen, dort
saX es fest und wuchs, wXhrend er es mit Fasten und BuXe zu tXten meinte.
Nun sah er es, und sah, dass die heimliche Stimme Recht gehabt hatte, dass
kein Lehrer ihn je hXtte erlXsen kXnnen. Darum hatte er in die Welt gehen
mXssen, sich an Lust und Macht, an Weib und Geld verlieren mXssen, hatte ein
HXndler, ein WXrfelspieler, Trinker und Habgieriger werden mXssen, bis der
Priester und Samana in ihm tot war. Darum hatte er weiter diese hXlichen
Jahre ertragen mXssen, den Ekel ertragen, die Lehre, die Sinnlosigkeit eines
Xden und verlorenen Lebens, bis zum Ende, bis zur bittern Verzweiflung, bis
auch der LXstling Siddhartha, der Habgierige Siddhartha sterben konnte. Er
war gestorben, ein neuer Siddhartha war aus dem Schlaf erwacht. Auch er
wXrde alt werden, auch er wXrde einst sterben mXssen, vergXnglich war
Siddhartha, vergXnglich war jede Gestaltung. Heute aber war er jung, war ein
Kind, der neue Siddhartha, und war voll Freude.
Diese Gedanken dachte er, lauschte lXchelnd auf seinen Magen, hXrte
dankbar einer summenden Biene zu. Heiter blickte er in den strXmenden Fluss,
nie hatte ihm ein Wasser so wohl gefallen wie dieses, nie hatte er Stimme
und Gleichnis des ziehenden Wassers so stark und schXn vernommen. Ihm
schien, es habe der Fluss ihm etwas Besonderes zu sagen, etwas, das er noch
nicht wisse, das noch auf ihn warte. In diesem Fluss hatte sich Siddhartha
ertrXnken wollen, in ihm war der alte, mXde, verzweifelte Siddhartha heute
ertrunken. Der neue Siddhartha aber fXhlte eine tiefe Liebe zu diesem
strXmenden Wasser, und beschloss bei sich, es nicht so bald wieder zu
verlassen.
An diesem Fluss will ich bleiben, dachte Siddhartha, es ist der selbe,
Xber den ich einstmals auf dem Wege zu den Kindermenschen gekommen bin, ein
freundlicher FXhrmann hat mich damals gefXhrt, zu ihm will ich gehen, von
seiner HXtte aus fXhrte mich einst mein Wegin ein neues Leben, das nun alt
geworden und tot ist X mXge auch mein jetziger Weg, mein jetziges neues
Leben dort seinen Ausgang nehmen!
ZXrtlich blickte er in das strXmende Wasser, in das durchsichtige GrXn,
in die kristallenen Linien seiner geheimnisreichen Zeichnung. Lichte Perlen
sah er aus der Tiefe steigen, stille Luftblasen auf dem Spiegel schwimmen,
HimmelsblXue darin abgebildet. Mit tausend Augen blickte der Fluss ihn an,
mit grXnen, mit weiXen, mit kristallnen, mit himmelblauen. Wie liebte er
dies Wasser, wie entzXckte es ihn, wie war er ihm dankbar! Im Herzen hXrte
er die Stimme sprechen, die neu erwachte, und sie sagte ihm: Liebe dies
Wasser! Bleibe bei ihm! Lerne von ihm! O ja, er wollte von ihm lernen, er
wollte ihm zuhXren. Wer dies Wasser und seine Geheimnisse verstXnde, so
schien ihm, der wXrde auch viel anderes verstehen, viele Geheimnisse, alle
Geheimnisse.
Von den Geheimnissen des Flusses aber sah er heute nur eines, das
ergriff seine Seele. Er sah: dies Wasser lief und lief, immerzu lief es, und
war doch immer da, war immer und allezeit dasselbe und doch jeden Augenblick
neu! O wer dies fasste, dies verstXnde! Er verstand und fasste es nicht,
fXhlte nur Ahnung sich regen, ferne Erinnerung, gXttliche Stimmen.
Siddhartha erhob sich, unertrXglich wurde das Treiben des Hungers in
seinem Leibe. Hingenommen wanderte er weiter, den Uferpfad hinan, dem Strom
entgegen, lauschte auf die StrXmung, lauschte auf den knurrenden Hunger in
seinem Leibe.
Als er die FXhre erreichte, lag eben das Boot bereit, und derselbe
FXhrmann, welcher einst den jungen Samana Xber den Fluss gesetzt hatte,
stand im Boot, Siddhartha erkannte ihn wieder, auch er war stark gealtert.
"Willst du mich Xbersetzen?" fragte er.
Der FXhrmann, erstaunt, einen so vornehmen Mann allein und zu FuXe
wandern zu sehen, nahm ihn ins Boot und stieX ab.
"Ein schXnes Leben hast du dir erwXhlt," sprach der Gast. "SchXn muss
es sein, jeden Tag an diesem Wasser zu leben und auf ihm zu fahren."
LXchelnd wiegte sich der Ruderer: "Es ist schXn, Herr, es ist, wie du
sagst. Aber ist nicht jedes Leben, ist nicht jede Arbeit schXn?"
"Es mag wohl sein. Dich aber beneide ich um die Deine."
"Ach, du mXchtest bald die Lust an ihr verlieren. Das ist nichts fXr
Leute in feinen Kleidern."
Siddhartha lachte. "Schon einmal bin ich heute um meiner Kleider willen
betrachtet worden, mit Misstrauen betrachtet. Willst du nicht, FXhrmann,
diese Kleider, die mir lXstig sind, von mir annehmen? Denn du musst wissen,
ich habe kein Geld, dir einen FXhrlohn zu zahlen."
"Der Herr scherzt," lachte der FXhrmann.
"Ich scherze nicht, Freund. Sieh, schon einmal hast du mich in deinem
Boot Xber dies Wasser gefahren, um Gotteslohn. So tue es auch heute, und
nimm meine Kleider dafXr an."
"Und will der Herr ohne Kleider weiterreisen?"
"Ach, am liebsten wollte ich gar nicht weiterreisen. Am liebsten wXre
es mir, FXhrmann, wenn du mir eine alte SchXrze gXbest und behieltest mich
als deinen Gehilfen bei dir, vielmehr als deinen Lehrling, denn erst muss
ich lernen, mit dem Boot umzugehen."
Lange blickte der FXhrmann den Fremden an, suchend.
"Jetzt erkenne ich dich," sagte er endlich. "Einst hast du in meiner
HXtte geschlafen, lange ist es her, wohl mehr als zwanzig Jahre mag das her
sein, und bist von mir Xber den Fluss gebracht worden, und wir nahmen
Abschied voneinander wie gute Freunde. Warst du nicht ein Samana? Deines
Namens kann ich mich nicht mehr entsinnen."
"Ich heiXe Siddhartha, und ich war ein Samana, als du mich zuletzt
gesehen hast."
"So sei willkommen, Siddhartha. Ich heiXe Vasudeva. Du wirst, so hoffe
ich, auch heute mein Gast sein und in meiner HXtte schlafen, und mir
erzXhlen, woher du kommst, und warum deine schXnen Kleider dir so lXstig
sind."
Sie waren in die Mitte des Flusses gelangt, und Vasudeva legte sich
stXrker ins Ruder, um gegen die StrXmung anzukommen. Ruhig arbeitete er, den
Blick auf der Bootspitze, mit krXftigen Armen. Siddhartha saX und und sah
ihm zu, und erinnerte sich, wie schon einstmals, an jenem letzten Tage
seiner Samana-Zeit, Liebe zu diesem Manne sich in seinem Herzen geregt
hatte. Dankbar nahm er Vasudevas Einladung an. Als sie am Ufer anlegten,
half er ihm das Boot an den PflXcken festbinden, darauf bat ihn der
FXhrmann, in die HXtte zu treten, bot ihm Brot und Wasser, und Siddhartha aX
mit Lust, und aX mit Lust auch von den MangofrXchten, die ihm Vasudeva
anbot.
Danach setzten sie sich, es ging gegen Sonnenuntergang, auf einem
Baumstamm am Ufer, und Siddhartha erzXhlte dem FXhrmann seine Herkunft und
sein Leben, wie er es heute, in jener Stunde der Verzweiflung, vor seinen
Augen gesehen hatte. Bis tief in die Nacht wXhrte sein ErzXhlen.
Vasudeva hXrte mit groXer Aufmerksamkeit zu. Alles nahm er lauschend in
sich auf, Herkunft und Kindheit, all das Lernen, all das Suchen, alle
Freude, alle Not. Dies war unter des FXhrmanns Tugenden eine der grXten: er
verstand wie wenige das ZuhXren. Ohne dass er ein Wort gesprochen hXtte,
empfand der Sprechende, wie Vasudeva seine Worte in sich einlieX, still,
offen, wartend, wie er keines verlor, keines mit Ungeduld erwartete, nicht
Lob noch Tadel daneben stellte, nur zuhXrte. Siddhartha empfand, welches
GlXck es ist, einem solchen ZuhXrer sich zu bekennen, in sein Herz das
eigene Leben zu versenken, das eigene Suchen, das eigene Leiden.
Gegen das Ende von Siddharthas ErzXhlung aber, als er von dem Baum am
Flusse sprach, und von seinem tiefen Fall, vom heiligen Om, und wie er nach
seinem Schlummer eine solche Liebe zu dem Flusse gefXhlt hatte, da lauschte
der FXhrmann mit verdoppelter Aufmerksamkeit, ganz und vXllig hingegeben,
mit geschlossnem Auge.
Als aber Siddhartha schwieg, und eine lange Stille gewesen war, da
sagte Vasudeva: "Es ist so, wie ich dachte. Der Fluss hat zu dir gesprochen.
Auch dir ist er Freund, auch zu dir spricht er. Das ist gut, das ist sehr
gut. Bleibe bei mir, Siddhartha, mein Freund. Ich hatte einst eine Frau, ihr
Lager war neben dem meinen, doch ist sie schon lange gestorben, lange habe
ich allein gelebt. Lebe nun du mit mir, es ist Raum und Essen fXr beide
vorhanden."
"Ich danke dir," sagte Siddhartha, "ich danke dir und nehme an. Und
auch dafXr danke ich dir, Vasudeva, dass du mir so gut zugehXrt hast! Selten
sind die Menschen, welche das ZuhXren verstehen, und keinen traf ich, der es
verstand wie du. Auch hierin werde ich von dir lernen."
"Du wirst es lernen," sprach Vasudeva, "aber nicht von mir. Das ZuhXren
hat mich der Fluss gelehrt, von ihm wirst auch du es lernen. Er weiX alles,
der Fluss, alles kann man von ihm lernen. Sieh, auch das hast du, schon vom
Wasser gelernt, dass es gut ist, nach unten zu streben, zu sinken, die Tiefe
zu suchen. Der reiche und vornehme Siddhartha wird ein Ruderknecht, der
gelehrte Brahmane Siddhartha wird ein FXhrmann: auch dies ist dir vom Fluss
gesagt worden. Du wirst auch das andere von ihm lernen."
Sprach Siddhartha, nach einer langen Pause: "Welches andere, Vasudeva?"
Vasudeva erhob sich. "SpXt ist es geworden," sagte er, "lass uns
schlafen gehen. Ich kann dir das andere nicht sagen, o Freund. Du wirst es
lernen, vielleicht auch weiXt du es schon. Sieh, ich bin kein Gelehrter, ich
verstehe nicht zu sprechen, ich verstehe auch nicht zu denken. Ich verstehe
nur zuzuhXren und fromm zu sein, sonst habe ich nichts gelernt. KXnnte ich
es sagen und lehren, so wXre ich vielleicht ein Weiser, so aber bin ich nur
ein FXhrmann, und meine Aufgabe ist es, Menschen Xber diesen Fluss zu
setzen. Viele habe ich Xbergesetzt, Tausende, und ihnen allen ist mein Fluss
nichts anderes gewesen als ein Hindernis auf ihren Reisen. Sie reisten nach
Geld und GeschXften, und zu Hochzeiten, und zu Wallfahrten, und der Fluss
war ihnen im Wege, und der FXhrmann war dazu da, sie schnell Xber das
Hindernis hinweg zubringen. Einige unter den Tausenden aber, einige wenige,
vier oder fXnf, denen hat der Fluss aufgehXrt, ein Hindernis zu sein, sie
haben seine Stimme gehXrt, sie haben ihm zugehXrt, und der Fluss ist ihnen
heilig geworden, wie er es mir geworden ist. Lass uns nun zur Ruhe gehen,
Siddhartha."
Siddhartha blieb bei dem FXhrmann und lernte das Boot bedienen, und
wenn nichts an der FXhre zu tun war, arbeitete er mit Vasudeva im Reisfelde,
sammelte Holz, pflXckte die FrXchte der PisangbXume. Er lernte ein Ruder
zimmern, und lernte das Boot ausbessern, und KXrbe flechten, und war
frXhlich Xber alles, was erlernte, und die Tage und Monate liefen schnell
hinweg. Mehr aber, als Vasudeva ihn lehren konnte, lehrte ihn der Fluss. Von
ihm lernte er unaufhXrlich. Vor allem lernte er von ihm das ZuhXren, das
Lauschen mit stillem Herzen, mit wartender, geXffneter Seele, ohne
Leidenschaft, ohne,Wunsch, ohne Urteil, ohne Meinung.
Freundlich lebte er neben Vasudeva, und zuweilen tauschten sie Worte
miteinander, wenige und lang bedachte Worte. Vasudeva war kein Freund der
Worte, selten gelang es Siddhartha, ihn zum Sprechen zu bewegen.
"Hast du," so fragte er ihn einst, "hast auch du vom Flusse jenes
Geheime gelernt: dass es keine Zeit gibt?"
Vasudevas Gesicht Xberzog sich mit hellem LXcheln.
"Ja, Siddhartha," sprach er. "Es ist doch dieses, was du meinst: dass
der Fluss Xberall zugleich ist, am Ursprung und an der MXndung, am
Wasserfall, an der FXhre, an der Stromschnelle, im Meer, im Gebirge, Xberall
zugleich, und dass es fXr ihn nur Gegenwart gibt, nicht den Schatten
Vergangenheit, nicht den Schatten Zukunft?"
"Dies ist es," sagte Siddhartha. "Und als ich es gelernt hatte, da sah
ich mein Leben an, und es war auch ein Fluss, und es war der Knabe
Siddhartha vom Manne Siddhartha und vom Greis Siddhartha nur durch Schatten
getrennt, nicht durch Wirkliches. Es waren auch Siddharthas frXhere Geburten
keine Vergangenheit, und sein Tod und seine RXckkehr zu Brahma keine
Zukunft. Nichts war, nichts wird sein; alles ist, alles hat Wesen und
Gegenwart."
Siddhartha sprach mit EntzXcken, tief hatte diese Erleuchtung ihn
beglXckt. Oh, war denn nicht alles Leiden Zeit, war nicht alles SichquXlen
und SichfXrchten Zeit, war nicht alles Schwere, alles Feindliche in der Welt
weg und Xberwunden, sobald man die Zeit Xberwunden hatte, sobald man die
Zeit wegdenken konnte? EntzXckt hatte er gesprochen, Vasudeva aber lXchelte
ihn strahlend an und nickte BestXtigung, schweigend nickte er, strich mit
der Hand Xber Siddharthas Schulter, wandte sich zu seiner Arbeit zurXck.
Und wieder einmal, als eben der Fluss in der Regenzeit geschwollen war
und mXchtig rauschte, da sagte Siddhartha: "Nicht wahr, o Freund, der Fluss
hat viele Stimmen, sehr viele Stimmen? Hat er nicht die Stimme eines KXnigs,
und eines Kriegers, und eines Stieres, und eines NachtvogeIs, und einer
GebXrenden, und eines Seufzenden, und noch tausend andere Stimmen?"
"Es ist so," nickte Vasudeva, "alle Stimmen der GeschXpfe sind in
seiner Stimme."
"Und weiXt du," fuhr Siddhartha fort, "welches Wort er spricht, wenn es
dir gelingt, alle seine zehntausend Stimmen zugleich zu hXren?"
GlXcklich lachte Vasudevas Gesicht, er neigte sich gegen Siddhartha und
sprach ihm das heilige Om ins Ohr. Und eben dies war es, was auch Siddhartha
gehXrt hatte.
Und von Mal zu Mal ward sein LXcheln dem des FXhrmanns Xhnlicher, ward
beinahe ebenso strahlend, beinahe ebenso von GlXck durchglXnzt, ebenso aus
tausend kleinen Falten leuchtend, ebenso kindlich, ebenso greisenhaft. Viele
Reisende, wenn sie die beiden FXhrmXnner sahen, hielten sie fXr BrXder. Oft
saXen sie am Abend gemeinsam beim Ufer auf dem Baumstamm, schwiegen und
hXrten beide dem Wasser zu, welches fXr sie kein Wasser war, sondern die
Stimme des Lebens, die Stimme des Seienden, des ewig Werdenden. Und es
geschah zuweilen, dass beide beim AnhXren des Flusses an dieselben Dinge
dachten, an ein GesprXch von vorgestern, an einen ihrer Reisenden, dessen
Gesicht und Schicksal sie beschXftigte, an den Tod, an ihre Kindheit, und
dass sie beide im selben Augenblick, wenn der Fluss ihnen etwas Gutes gesagt
hatte, einander anblickten, beide genau dasselbe denkend, beide beglXckt
Xber dieselbe Antwort auf dieselbe Frage.
Es ging von der FXhre und von den beiden FXhrleuten etwas aus, das
manche von den Reisenden spXrten. Es geschah zuweilen, dass ein Reisender,
nachdem er in das Gesicht eines der FXhrmXnner geblickt hatte, sein Leben zu
erzXhlen begann, Leid erzXhlte, BXses bekannte, Trost und Rat erbat. Es
geschah zuweilen, dass einer um Erlaubnis bat, einen Abend bei ihnen zu
verweilen, um dem Flusse zuzuhXren. Es geschah auch, dass Neugierige kamen,
welchen erzXhlt worden war, an dieser FXhre lebten zwei Weise, oder
Zauberer, oder Heilige. Die Neugierigen stellten viele Fragen, aber sie
bekamen keine Antworten, und sie fanden weder Zauberer noch Weise, sie
fanden nur zwei alte freundliche MXnnlein, welche stumm zu sein und etwas
sonderbar und verblXdet schienen. Und die Neugierigen lachten, und
unterhielten sich darXber, wie tXricht und leichtglXubig doch das Volk
solche leere GerXchte verbreite.
Die Jahre gingen hin und keiner zXhlte sie. Da kamen einst MXnche
gepilgert, AnhXnger des Gotama, des Buddha, welche baten, sie Xber den Fluss
zu setzen, und von ihnen erfuhren die FXhrmXnner, dass sie eiligst zu ihrem
groXen Lehrer zurXck wanderten, denn es habe sich die Nachricht verbreitet,
der Erhabene sei todkrank und werde bald seinen letzten Menschentod sterben,
um zur ErlXsung einzugehen. Nicht lange, so kam eine neue Schar MXnche
gepilgert, und wieder eine, und sowohl die MXnche wie die meisten der
Xbrigen Reisenden und Wanderer sprachen von nichts anderem als von Gotama
und seinem nahen Tode. Und wie zu einem Kriegszug oder zur KrXnung eines
KXnigs von Xberall und allen Seiten her die Menschen strXmen und sich gleich
Ameisen in Scharen sammeln, so strXmten sie, wie von einem Zauber gezogen,
dahin, wo der groXe Buddha seinen Tod erwartete, wo das Ungeheure geschehen
und der groXe Vollendete eines Weltalters zur Herrlichkeit eingehen sollte.
Viel gedachte Siddhartha in dieser Zeit des sterbenden Weisen, des
groXen Lehrers, dessen Stimme VXlker ermahnt und Hunderttausende erweckt
hatte, dessen Stimme auch er einst vernommen, dessen heiliges Antlitz auch
er einst mit Ehrfurcht geschaut hatte. Freundlich gedachte er seiner, sah
seinen Weg der Vollendung vor Augen, und erinnerte sich mit LXcheln der
Worte, welche er einst als junger Mann an ihn, den Erhabenen, gerichtet
hatte. Es waren, so schien ihm, stolze und altkluge Worte gewesen, lXchelnd
erinnerte er sich ihrer. LXngst wusste er sich nicht mehr von Gotama
getrennt, dessen Lehre er doch nicht hatte annehmen kXnnen. Nein, keine
Lehre konnte ein wahrhaft Suchender annehmen, einer, der wahrhaft finden
wollte. Der aber, der gefunden hat, der konnte jede, jede Lehre gutheiXen,
jeden Weg, jedes Ziel, ihn trennte nichts mehr von all den tausend anderen,
welche im Ewigen lebten, welche das GXttliche atmeten.
An einem dieser Tage, da so viele zum sterbenden Buddha pilgerten,
pilgerte zu ihm auch Kamala, einst die schXnste der Kurtisanen. LXngst hatte
sie sich aus ihrem vorigen Leben zurXckgezogen, hatte ihren Garten den
MXnchen Gotamas geschenkt, hatte ihre Zuflucht zur Lehre genommen, gehXrte
zu den Freundinnen und WohltXterinnen der Pilgernden. Zusammen mit dem
Knaben Siddhartha, ihrem Sohne, hatte sie auf die Nachricht vom nahen Tode
Gotamas hin sich auf den Weg gemacht, in einfachem Kleide, zu Fuss. Mit
ihrem SXhnlein war sie am Flusse unterwegs; der Knabe aber war bald ermXdet,
begehrte nach Hause zurXck, begehrte zu rasten, begehrte zu essen, wurde
trotzig und weinerlich.
Kamala musste hXufig mit ihm rasten, er war gewohnt, seinen Willen
gegen sie zu behaupten, sie musste ihn fXttern, musste ihn trXsten, musste
ihn schelten. Er begriff nicht, warum er mit seiner Mutter diese mXhsame und
traurige Pilgerschaft habe antreten mXssen, an einen unbekannten Ort, zu
einem fremden Manne, welcher heilig war und welcher im Sterben lag. Mochte
er sterben, was ging dies den Knaben an?
Die Pilgernden waren nicht mehr ferne von Vasudevas FXhre, als der
kleine Siddhartha abermals seine Mutter zu einer Rast nXtigte. Auch sie
selbst, Kamala, war ermXdet, und wXhrend der Knabe an einer Banane kaute,
kauerte sie sich am Boden nieder, schloss ein wenig die Augen und ruhte.
PlXtzlich aber stieX sie einen klagenden Schrei aus, der Knabe sah sie
erschrocken an und sah ihr Gesicht von Entsetzen gebleicht, und unter ihrem
Kleide hervor entwich eine kleine schwarze Schlange, von welcher Kamala
gebissen war.
Eilig liefen sie nun beide des Weges, um zu Menschen zu kommen, und
kamen bis in die NXhe der FXhre, dort sank Kamala zusammen, und vermochte
nicht weiter zu gehen. Der Knabe aber erhob ein klXgliches Geschrei,
dazwischen kXsste und umhalste er seine Mutter, und auch sie stimmte in
seine lauten Hilferufe ein, bis die TXne Vasudevas Ohr erreichten, der bei
der FXhre stand. Schnell kam er gegangen, nahm die Frau auf die Arme, trug
sie ins Boot, der Knabe lief mit, und bald kamen sie alle in der HXtte an,
wo Siddhartha am Herde stand und eben Feuer machte. Er blickte auf und sah
zuerst das Gesicht des Knaben, das ihn wunderlich erinnerte, an Vergessenes
mahnte. Dann sah er Kamala, die er alsbald erkannte, obwohl sie
besinnungslos im Arm des FXhrmanns lag, und nun wusste er, dass es sein
eigner Sohn sei, dessen Gesicht ihn so sehr gemahnt hatte, und das Herz
bewegte sich in seiner Brust.
Kamalas Wunde wurde gewaschen, war aber schon schwarz und ihr Leib
angeschwollen, ein Heiltrank wurde ihr eingeflXsst. Ihr Bewusstsein kehrte
zurXck, sie lag auf Siddharthas Lager in der HXtte, und Xber sie gebeugt
stand Siddhartha, der sie einst so sehr geliebt hatte. Es schien ihr ein
Traum zu sein, lXchelnd blickte sie in ihres Freundes Gesicht, nur langsam
erkannte sie ihre Lage, erinnerte sich des Bisses, rief Xngstlich nach dem
Knaben.
"Er ist bei dir, sei ohne Sorge," sagte Siddhartha.
Kamala blickte in seine Augen. Sie sprach mit schwerer Zunge, vom Gift
gelXhmt. "Du bist alt geworden, Lieber," sagte sie, "grau bist du geworden.
Aber du gleichst dem jungen Samana, der einst ohne Kleider mit staubigen
FXen zu mir in den Garten kam. Du gleichst ihm viel mehr, als du ihm damals
glichest, da du mich und Kamaswami verlassen hast. In den Augen gleichst du
ihm, Siddhartha. Ach, auch ich bin alt geworden, alt X kanntest du mich denn
noch?"
Siddhartha lXchelte: "Sogleich kannte ich dich, Kamala, Liebe."
Kamala deutete auf ihren Knaben und sagte: "Kanntest du auch ihn? Er
ist dein Sohn."
Ihre Augen wurden irr und fielen zu. Der Knabe weinte, Siddhartha nahm
ihn auf seine Knie, lieX ihn weinen, streichelte sein Haar, und beim Anblick
des Kindergesichtes fiel ein brahmanisches Gebet ihm ein, das er einst
gelernt hatte, als er selbst ein kleiner Knabe war. Langsam, mit singender
Stimme, begann er es zu sprechen, aus der Vergangenheit und Kindheit her
kamen ihm die Worte geflossen. Und unter seinem Singsang wurde der Knabe
ruhig, schluchzte noch hin und wieder auf und schlief ein. Siddhartha legte
ihn auf Vasudevas Lager. Vasudeva stand am Herd und kochte Reis. Siddhartha
warf ihm einen Blick zu, den er lXchelnd erwiderte.
"Sie wird sterben," sagte Siddhartha leise.
Vasudeva nickte, Xber sein freundliches Gesicht lief der Feuerschein
vom Herde.
Nochmals erwachte Kamala zum Bewusstsein. Schmerz verzog ihr Gesicht,
Siddharthas Auge las das Leiden auf ihrem Munde, auf ihren erblassten
Wangen. Stille las er es, aufmerksam, wartend, in ihr Leiden versenkt.
Kamala fXhlte es, ihr Blick suchte sein Auge.
Ihn anblickend, sagte sie: "Nun sehe ich, dass auch deine Augen sich
verXndert haben. Ganz anders sind sie geworden. Woran doch erkenne ich noch,
dass du Siddhartha bist? Du bist es, und bist es nicht."
Siddhartha sprach nicht, still blickten seine Augen in die ihren.
"Du hast es erreicht?" fragte sie. "Du hast Friede gefunden?"
Er lXchelte, und legte seine Hand auf ihre.
"Ich sehe es," sagte sie, "ich sehe es. Auch ich werde Friede finden."
"Du hast ihn gefunden," sprach Siddhartha flXsternd.
Kamala blickte ihm unverwandt in die Augen. Sie dachte daran, dass sie
zu Gotama hatte pilgern wollen, um das Gesicht eines Vollendeten zu sehen,
um seinen Frieden zu atmen, und dass sie statt seiner nun ihn gefunden, und
dass es gut war, ebenso gut, als wenn sie jenen gesehen hXtte. Sie wollte es
ihm sagen, aber die Zunge gehorchte ihrem Willen nicht mehr. Schweigend sah
sie ihn an, und er sah in ihren Augen das Leben erlXschen. Als der letzte
Schmerz ihr Auge erfXllte und brach, als der letzte Schauder Xber ihre
Glieder lief, schloss sein Finger ihre Lider.
Lange saX er und blickte auf ihr entschlafnes Gesicht. Lange
betrachtete er ihren Mund, ihren alten, mXden Mund mit den schmal gewordenen
Lippen, und erinnerte sich, dass er einst, im FrXhling seiner Jahre, diesen
Mund einer frisch aufgebrochenen Feige verglichen hatte. Lange saX er, las
in dem bleichen Gesicht, in den mXden Falten, fXllte sich mit dem Anblick,
sah sein eigenes Gesicht ebenso liegen, ebenso weiX, ebenso erloschen, und
sah zugleich sein Gesicht und das ihre jung, mit den roten Lippen, mit dem
brennenden Auge, und das GefXhl der Gegenwart und Gleichzeitigkeit
durchdrang ihn vXllig, das GefXhl der Ewigkeit. Tief empfand er, tiefer als
jemals, in dieser Stunde die UnzerstXrbarkeit jedes Lebens, die Ewigkeit
jedes Augenblicks.
Da er sich erhob, hatte Vasudeva Reis fXr ihn bereitet. Doch aX
Siddhartha nicht. Im Stall, wo ihre Ziege stand, machten sich die beiden
Alten eine Streu zurecht, und Vasudeva legte sich schlafen. Siddhartha aber
ging hinaus und saX die Nacht vor der HXtte, dem Flusse lauschend, von
Vergangenheit umspXlt, von allen Zeiten seines Lebens zugleich berXhrt und
umfangen. Zuweilen aber erhob er sich, trat an die HXttentXr und lauschte,
ob der Knabe schlafe.
FrXh am Morgen, noch ehe die Sonne sichtbar ward, kam Vasudeva aus dem
Stalle und trat zu seinem Freunde.
"Du hast nicht geschlafen, " sagte er.
"Nein, Vasudeva. Ich saX hier, ich hXrte dem Flusse zu. Viel hat er mir
gesagt, tief hat er mich mit dem heilsamen Gedanken erfXllt, mit dem
Gedanken der Einheit."
"Du hast Leid erfahren, Siddhartha, doch ich sehe, es ist keine
Traurigkeit in dein Herz gekommen."
"Nein, Lieber, wie sollte ich denn traurig sein? Ich, der ich reich und
glXcklich war, bin jetzt noch reicher und glXcklicher geworden. Mein Sohn
ist mir geschenkt worden."
"Willkommen sei dein Sohn auch mir. Nun aber, Siddhartha, lass uns an
die Arbeit gehen, viel ist zu tun. Auf demselben Lager ist Kamala gestorben,
auf welchem einst mein Weib gestorben ist. Auf demselben HXgel auch wollen
wir Kamalas Scheiterhaufen bauen, auf welchem ich einst meines Weibes
Scheiterhaufen gebaut habe."
WXhrend der Knabe noch schlief, bauten sie den Scheiterhaufen.
Scheu und weinend hatte der Knabe der Bestattung seiner Mutter
beigewohnt, finster und scheu hatte er Siddhartha angehXrt, der ihn als
seinen Sohn begrXte und ihn bei sich in Vasudevas HXtte willkommen hieX.
Bleich saX er tagelang am HXgel der Toten, mochte nicht essen, verschloss
seinen Blick, verschloss sein Herz, wehrte und strXubte sich gegen das
Schicksal.
Siddhartha schonte ihn und lieX ihn gewXhren, er ehrte seine Trauer.
Siddhartha verstand, dass sein Sohn ihn nicht kenne, dass er ihn nicht
lieben kXnne wie einen Vater. Langsam sah und verstand er auch, dass der
ElfjXhrige ein verwXhnter Knabe war, ein Mutterkind, und in Gewohnheiten des
Reichtums aufgewachsen, gewohnt an feinere Speisen, an ein weiches Bett,
gewohnt, Dienern zu befehlen. Siddhartha verstand, dass der Trauernde und
VerwXhnte nicht plXtzlich und gutwillig in der Fremde und Armut sich
zufrieden geben kXnne. Er zwang ihn nicht, er tat manche Arbeit fXr ihn,
suchte stets den besten Bissen fXr ihn aus. Langsam hoffte er ihn zu
gewinnen, durch freundliche Geduld.
Reich und glXcklich hatte er sich genannt, als der Knabe zu ihm
gekommen war. Da indessen die Zeit hinfloss, und der Knabe fremd und finster
blieb, da er ein stolzes und trotziges Herz zeigte, keine Arbeit tun wollte,
den Alten keine Ehrfurcht erwies, Vasudevas FruchtbXume beraubte, da begann
Siddhartha zu verstehen, dass mit seinem Sohne nicht GlXck und Friede zu ihm
gekommen war, sondern Leid und Sorge. Aber er liebte ihn, und lieber war ihm
Leid und Sorge der Liebe, als ihm GlXck und Freude ohne den Knaben gewesen
war. Seit der junge Siddhartha in der HXtte war, hatten die Alten sich in
die Arbeit geteilt. Vasudeva hatte das Amt des FXhrmanns wieder allein
Xbernommen, und Siddhartha, um bei dem Sohne zu sein, die Arbeit in HXtte
und Feld.
Lange Zeit, lange Monate wartete Siddhartha darauf, dass sein Sohn ihn
verstehe, dass er seine Liebe annehme, dass er sie vielleicht erwidere.
Lange Monate wartete Vasudeva, zusehend, wartete und schwieg. Eines Tages,
als Siddhartha der Junge seinen Vater wieder sehr mit Trotz und Launen
gequXlt und ihm beide ReisschXsseln zerbrochen hatte, nahm Vasudeva seinen
Freund am Abend beiseite und sprach mit ihm.
"Entschuldige mich," sagte er, "aus freundlichem Herzen rede ich zu
dir. Ich sehe, dass du dich quXlst, ich sehe, dass du Kummer hast. Dein
Sohn, Lieber, macht dir Sorge, und auch mir macht er Sorge. An ein anderes
Leben, an ein anderes Nest ist der junge Vogel gewXhnt. Nicht wie du ist er
dem Reichtum und der Stadt entlaufen aus Ekel und Xberdruss, er hat wider
seinen Willen dies alles dahinten lassen mXssen. Ich fragte den Fluss, o
Freund, vielemale habe ich ihn gefragt. Der Fluss aber lacht, er lacht mich
aus, mich und dich lacht er aus, und schXttelt sich Xber unsre Torheit.
Wasser will zu Wasser, Jugend will zu Jugend, dein Sohn ist nicht an dem
Orte, wo er gedeihen kann. Frage auch du den Fluss, hXre auch du auf ihn!"
BekXmmert blickte Siddhartha ihm in das freundliche Gesicht, in dessen
vielen Runzeln bestXndige Heiterkeit wohnte.
"Kann ich mich denn von ihm trennen?" sagte er leise, beschXmt. "Lass
mir noch Zeit, Lieber! Sieh, ich kXmpfe um ihn, ich werbe um sein Herz, mit
Liebe und mit freundlicher Geduld will ich es fangen. Auch zu ihm soll einst
der Fluss reden, auch er ist berufen."
Vasudevas LXcheln blXhte wXrmer. "O ja, auch er ist berufen, auch er
ist vom ewigen Leben. Aber wissen wir denn, du und ich, wozu er berufen ist,
zu welchem Wege, zu welchen Taten, zu welchen Leiden? Nicht klein wird sein
Leiden sein, stolz und hart ist ja sein Herz, viel mXssen solche leiden,
viel irren, viel Unrecht tun, sich viel SXnde aufladen. Sage mir, mein
Lieber: du erziehst deinen Sohn nicht? Du zwingst ihn nicht? SchlXgst ihn
nicht? Strafst ihn nicht?"
"Nein, Vasudeva, das tue ich alles nicht."
"Ich wusste es. Du zwingst ihn nicht, schlXgst ihn nicht, befiehlst ihm
nicht, weil du weiXt, dass Weich stXrker ist als Hart, Wasser stXrker als
Fels, Liebe stXrker als Gewalt. Sehr gut, ich lobe dich. Aber ist es nicht
ein Irrtum von dir, zu meinen, dass du ihn nicht zwingest, nicht strafest?
Bindest du ihn nicht in Bande mit deiner Liebe? BeschXmst du ihn nicht
tXglich, und machst es ihm noch schwerer, mit deiner GXte und Geduld?
Zwingst du ihn nicht, den hochmXtigen und verwXhnten Knaben, in einer HXtte
bei zwei alten Bananenessern zu leben, welchen schon Reis ein Leckerbissen
ist, deren Gedanken nicht seine sein kXnnen, deren Herz alt und still ist
und anderen Gang hat als das seine? Ist er mit alledem nicht gezwungen,
nicht gestraft?"
Betroffen blickte Siddhartha zur Erde. Leise fragte er: "Was, meinst
du, soll ich tun?"
Sprach Vasudeva: "Bring ihn zur Stadt, bringe ihn in seiner Mutter
Haus, es werden noch Diener dort sein, denen gib ihn. Und wenn keine mehr da
sind, so bringe ihn einem Lehrer, nicht der Lehre wegen, aber dass er zu
anderen Knaben komme, und zu MXdchen, und in die Welt, welche die seine ist.
Hast du daran nie gedacht?"
"Du siehst in mein Herz," sprach Siddhartha traurig. "Oft habe ich
daran gedacht. Aber sieh, wie soll ich ihn, der ohnehin kein sanftes Herz
hat, in diese Welt geben? Wird er nicht Xppig werden, wird er nicht sich an
Lust und Macht verlieren, wird er nicht alle IrrtXmer seines Vaters
wiederholen, wird er nicht vielleicht ganz und gar in Sansara verloren
gehen?"
Hell strahlte des FXhrmanns LXcheln auf; er berXhrte zart Siddharthas
Arm und sagte: "Frage den Fluss darXber, Freund! HXre ihn darXber lachen!
Glaubst du denn wirklich, dass du deine Torheiten begangen habest, um sie
dem Sohn zu ersparen? Und kannst du denn deinen Sohn vor Sansara schXtzen?
Wie denn? Durch Lehre, durch Gebet, durch Ermahnung? Lieber, hast du jene
Geschichte denn ganz vergessen, jene lehrreiche Geschichte vom Brahmanensohn
Siddhartha, die du mir einst hier an dieser Stelle erzXhlt hast? Wer hat den
Samana Siddhartha vor Sansara bewahrt, vor SXnde, vor Habsucht, vor Torheit?
Hat seines Vaters FrXmmigkeit, seiner Lehrer Ermahnung, hat sein eigenes
Wissen, sein eigenes Suchen ihn bewahren kXnnen? Welcher Vater, welcher
Lehrer hat ihn davor schXtzen kXnnen, selbst das Leben zu leben, selbst sich
mit dem Leben zu beschmutzen, selbst Schuld auf sich zu laden, selbst den
bitteren Trank zu trinken, selber seinen Weg zu finden?
Glaubst du denn, Lieber, dieser Weg bleibe irgend jemandem vielleicht
erspart? Vielleicht deinem SXhnchen, weil du es liebst, weil du ihm gern
Leid und Schmerz und EnttXuschung ersparen mXchtest? Aber auch wenn du
zehnmal fXr ihn stXrbest, wXrdest du ihm nicht den kleinsten Teil seines
Schicksals damit abnehmen kXnnen."
Noch niemals hatte Vasudeva so viele Worte gesprochen. Freundlich
dankte ihm Siddhartha, ging bekXmmert in die HXtte, fand lange keinen
Schlaf. Vasudeva hatte ihm nichts gesagt, das er nicht selbst schon gedacht
und gewusst hXtte. Aber es war ein Wissen, das er nicht tun konnte, stXrker
als das Wissen war seine Liebe zu dem Knaben, stXrker seine ZXrtlichkeit,
seine Angst, ihn zu verlieren. Hatte er denn jemals an irgend etwas so sehr
sein Herz verloren, hatte er je irgendeinen Menschen so geliebt, so blind,
so leidend, so erfolglos, und doch so glXcklich?
Siddhartha konnte seines Freundes Rat nicht befolgen, er konnte den
Sohn nicht hergeben. Er lieX sich von dem Knaben befehlen, er lieX sich von
ihm missachten. Er schwieg und wartete, begann tXglich den stummen Kampf der
Freundlichkeit, den lautlosen Krieg der Geduld. Auch Vasudeva schwieg und
wartete, freundlich, wissend, langmXtig. In der Geduld waren sie beide
Meister.
Einst, als des Knaben Gesicht ihn sehr an Kamala erinnerte, musste
Siddhartha plXtzlich eines Wortes gedenken, das Kamala vor Zeiten, in den
Tagen der Jugend, einmal zu ihm gesagt hatte. "Du kannst nicht lieben,"
hatte sie ihm gesagt, und er hatte ihr Recht gegeben und hatte sich mit
einem Stern, die Kindermenschen aber mit fallendem Laub verglichen, und
dennoch hatte er in jenem Wort auch einen Vorwurf gespXrt. In der Tat hatte
er niemals sich an einen anderen Menschen ganz verlieren und hingeben
kXnnen, sich selbst vergessen, Torheiten der Liebe eines anderen wegen
begehen; nie hatte er das gekonnt, und dies war, wie ihm damals schien, der
groXe Unterschied gewesen, der ihn von den Kindermenschen trennte. Nun aber,
seit sein Sohn da war, nun war auch er, Siddhartha, vollends ein
Kindermensch geworden, eines Menschen wegen leidend, einen Menschen liebend,
an eine Liebe verloren, einer Liebe wegen ein Tor geworden. Nun fXhlte auch
er, spXt, einmal im Leben diese stXrkste und seltsamste Leidenschaft, litt
an ihr, litt klXglich, und war doch beseligt, war doch um etwas erneuert, um
etwas reicher.
Wohl spXrte er, dass diese Liebe, diese blinde Liebe zu seinem Sohn
eine Leidenschaft, etwas sehr Menschliches, dass sie Sansara sei, eine trXbe
Quelle, ein dunkles Wasser. Dennoch, so fXhlte er gleichzeitig, war sie
nicht wertlos, war sie notwendig, kam aus seinem eigenen Wesen. Auch diese
Lust wollte gebXt, auch diese Schmerzen wollten gekostet sein, auch diese
Torheiten begangen.
Der Sohn indessen lieX ihn seine Torheiten begehen, lieX ihn werben,
lieX ihn tXglich sich vor seinen Launen demXtigen. Dieser Vater hatte
nichts, was ihn entz ckt, und nichts, was er gef rchtet h tte. Er war ein
guter Mann, dieser Vater, ein guter, g tiger, sanfter Mann, vielleicht ein
sehr frommer Mann, vielleicht ein Heiliger % dies alles waren nicht
Eigenschaften, welche den Knaben gewinnen konnten. Langweilig war ihm dieser
Vater, der ihn da in seiner elenden Hatte gefangen hielt, langweilig war er
ihm, und dass er jede Unart mit LXcheln, jeden Schimpf mit Freundlichkeit,
jede Bosheit mit GXte beantwortete, das eben war die verhassteste List
dieses alten Schleichers. Viel lieber wXre der Knabe von ihm bedroht, von
ihm misshandelt worden.
Es kam ein Tag, an welchem des jungen Siddhartha Sinn zum Ausbruch kam
und sich offen gegen seinen Vater wandte. Der hatte ihm einen Auftrag
erteilt, er hatte ihn Reisig sammeln geheiXen. Der Knabe ging aber nicht aus
der HXtte, er blieb trotzig und wXtend stehen, stampfte den Boden, ballte
die FXuste, und schrie in gewaltigem Ausbruch seinem Vater Hass und
Verachtung ins Gesicht.
"Hole du selber dein Reisig!" rief er schXumend, "ich bin nicht dein
Knecht. Ich weiX ja, dass du mich nicht schlXgst, du wagst es ja nicht; ich
weiX ja, dass du mich mit deiner FrXmmigkeit und deiner Nachsicht bestXndig
strafen und klein machen willst. Du willst, dass ich werden soll wie du,
auch so fromm, auch so sanft, auch so weise! Ich aber, hXre, ich will, dir
zu Leide, lieber ein StraXenrXuber und MXrder werden und zur HXlle fahren,
als so werden wie du! Ich hasse dich, du bist nicht mein Vater, und wenn du
zehnmal meiner Mutter Buhle gewesen bist!"
Zorn und Gram liefen in ihm Xber, schXumten in hundert wXsten und bXsen
Worten dem Vater entgegen. Dann lief der Knabe davon und kam erst spXt am
Abend wieder.
Am andern Morgen aber war er verschwunden. Verschwunden war auch ein
kleiner, aus zweifarbigem Bast geflochtener Korb, in welchem die FXhrleute
jene Kupfer- und SilbermXnzen aufbewahrten, welche sie als FXhrlohn
erhielten. Verschwunden war auch das Boot, Siddhartha sah es am jenseitigen
Ufer liegen. Der Knabe war entlaufen.
"Ich muss ihm folgen," sagte Siddhartha, der seit jenen gestrigen
Schimpfreden des Knaben vor Jammer zitterte. "Ein Kind kann nicht allein
durch den Wald gehen. Er wird umkommen. Wir mXssen ein Floss bauen,
Vasudeva, um Xbers Wasser zu kommen."
"Wir werden ein Floss bauen," sagte Vasudeva, "um unser Boot wieder zu
holen, das der Junge entfXhrt hat. Ihn aber solltest du laufen lassen,
Freund, er ist kein Kind mehr, er weiX sich zu helfen. Er sucht den Weg nach
der Stadt, und er hat Recht, vergiss das nicht. Er tut das, was du selbst zu
tun versXumt hast. Er sorgt fXr sich, er geht seine Bahn. Ach, Siddhartha,
ich sehe dich leiden, aber du leidest Schmerzen, Xber die man lachen mXchte,
Xber die du selbst bald lachen wirst."
Siddhartha antwortete nicht. Er hielt schon das Beil in HXnden, und
begann ein Floss aus Bambus zu machen, und Vasudeva half ihm, die StXmme mit
Grasseilen zuzammen zu binden. Dann fuhren sie hinXber, wurden weit
abgetrieben, zogen das Floss am jenseitigen Ufer flussauf.
"Warum hast du das Beil mitgenommen?" fragte Siddhartha.
Vasudeva sagte: "Es kXnnte sein, dass das Ruder unsres Bootes verloren
gegangen wXre."
Siddhartha aber wusste, was sein Freund dachte. Er dachte, der Knabe
werde das Ruder weggeworfen oder zerbrochen haben, um sich zu rXchen und um
sie an der Verfolgung zu hindern. Und wirklich war kein Ruder mehr im Boote.
Vasudeva wies auf den Boden des Bootes, und sah den Freund mit LXcheln an,
als wollte er sagen; "Siehst du nicht, was dein Sohn dir sagen will? Siehst
du nicht, dass er nicht verfolgt sein will?" Doch sagte er dies nicht mit
Worten. Er machte sich daran, ein neues Ruder zu zimmern. Siddhartha aber
nahm Abschied, um nach dem Entflohenen zu suchen. Vasudeva hinderte ihn
nicht.
Als Siddhartha schon lange im Walde unterwegs war, kam ihm der Gedanke,
dass sein Suchen nutzlos sei. Entweder, so dachte er, war der Knabe lXngst
voraus und schon in der Stadt angelangt, oder, wenn er noch unterwegs sein
sollte, wXrde er vor ihm, dem Verfolgenden, sich verborgen halten. Da er
weiter dachte, fand er auch, dass er selbst nicht in Sorge um seinen Sohn
war, dass er im Innersten wusste, er sei weder umgekommen, noch drohe ihm im
Walde Gefahr. Dennoch lief er ohne Rast, nicht mehr, um ihn zu retten, nur
aus Verlangen, nur um ihn vielleicht nochmals zu sehen. Und er lief bis vor
die Stadt.
Als er nahe bei der Stadt auf die breite StraXe gelangte, blieb er
stehen, am Eingang des schXnen Lustgartens, der einst Kamala gehXrt hatte,
wo er sie einst, in der SXnfte, zum erstenmal gesehen hatte. Das Damalige
stand in seiner Seele auf, wieder sah er sich dort stehen, jung, ein
bXrtiger nackter Samana, das Haar voll Staub. Lange stand Siddhartha und
blickte durch das offne Tor in den Garten, MXnche in gelben Kutten sah er
unter den schXnen BXumen gehen.
Lange stand er, nachdenkend, Bilder sehend, der Geschichte seines
Lebens lauschend. Lange stand er, blickte nach den MXnchen, sah statt ihrer
den jungen Siddhartha, sah die junge Kamala unter den hohen BXumen gehen.
Deutlich sah er sich, wie er von Kamala bewirtet ward, wie er ihren ersten
Kuss empfing, wie er stolz und verXchtlich auf sein Brahmanentum
zurXckblickte, stolz und verlangend sein Weltleben begann. Er sah Kamaswami,
sah die Diener, die Gelage, die WXrfelspieler, die Musikanten, sah Kamalas
Singvogel im KXfig, lebte dies alles nochmals, atmete Sansara, war nochmals
alt und mXde, fXhlte nochmals den Ekel, fXhlte nochmals den Wunsch, sich
auszulXschen, genas nochmals am heiligen Om.
Nachdem er lange beim Tor des Gartens gestanden war, sah Siddhartha
ein, dass das Verlangen tXricht war, das ihn bis zu dieser StXtte getrieben
hatte, dass er seinem Sohne nicht helfen konnte, dass er sich nicht an ihn
hXngen durfte. Tief fXhlte er die Liebe zu dem Entflohenen im Herzen, wie
eine Wunde, und fXhlte zugleich, dass ihm die Wunde nicht gegeben war, um in
ihr zu wXhlen, dass sie zur BlXte werden und strahlen mXsse.
Dass die Wunde zu dieser Stunde noch nicht blXhte, noch nicht strahlte,
machte ihn traurig. An der Stelle des Wunschzieles, das ihn hierher und dem
entflohenen Sohne nachgezogen hatte, stand nun Leere. Traurig setzte er sich
nieder, fXhlte etwas in seinem Herzen sterben, empfand Leere, sah keine
Freude mehr, kein Ziel. Er saX versunken, und wartete. Dies hatte er am
Flusse gelernt, dies eine: warten, Geduld haben, lauschen. Und er saX und
lauschte, im Staub der StraXe, lauschte seinem Herzen, wie es mXd und
traurig ging, wartete auf eine Stimme. Manche Stunde kauerte er lauschend,
sah keine Bilder mehr, sank in die Leere, lieX sich sinken, ohne einen Weg
zu sehen. Und wenn er die Wunde brennen fXhlte, sprach er lautlos das Om,
fXllte sich mit Om. Die MXnche im Garten sahen ihn, und da er viele Stunden
kauerte, und auf seinen grauen Haaren der Staub sich sammelte, kam einer
gegangen und legte zwei PisangfrXchte vor ihm nieder. Der Alte sah ihn
nicht.
Aus dieser Erstarrung weckte ihn eine Hand, welche seine Schulter
berXhrte. Alsbald erkannte er diese BerXhrung, die zarte, schamhafte, und
kam zu sich. Er erhob sich und begrXte Vasudeva, welcher ihm nachgegangen
war. Und da er in Vasudevas freundliches Gesicht schaute, in die kleinen,
wie mit lauter LXcheln ausgefXllten Falten, in die heiteren Augen, da
lXchelte auch er. Er sah nun die PisangfrXchte vor sich liegen, hob sie auf,
gab eine dem FXhrmann, aX selbst die andere. Darauf ging er schweigend mit
Vasudeva in den Wald zurXck, kehrte zur FXhre heim. Keiner sprach von dem,
was heute geschehen war, keiner nannte den Namen des Knaben, keiner sprach
von seiner Flucht, keiner sprach von der Wunde. In der HXtte legte sich
Siddhartha auf sein Lager, und da nach einer Weile Vasudeva zu Ihm trat, um
ihm eine Schale Kokosmilch anzubieten, fand er ihn schon schlafend.
Om
Lange noch brannte die Wunde. Manchen Reisenden musste Siddhartha Xber
den Fluss setzen, der einen Sohn oder eine Tochter bei sich hatte, und
keinen von ihnen sah er, ohne dass er ihn beneidete, ohne dass er dachte:
"So viele, so viel Tausende besitzen dies holdeste GlXck X warum ich nicht?
Auch bXse Menschen, auch Diebe, und RXuber haben Kinder, und lieben sie, und
werden von ihnen geliebt, nur ich nicht." So einfach, so ohne Verstand
dachte er nun, so Xhnlich war er den Kindermenschen geworden.
Anders sah er jetzt die Menschen an als frXher, weniger klug, weniger
stolz, dafXr wXrmer, dafXr neugieriger, beteiligter. Wenn er Reisende der
gewXhnlichen Art Xbersetzte, Kindermenschen, GeschXftsleute, Krieger,
Weibervolk, so erschienen diese Leute ihm nicht fremd wie einst: er verstand
sie, er verstand und teilte ihr nicht von Gedanken und Einsichten, sondern
einzig von Trieben und WXnschen geleitetes Leben, er fXhlte sich wie sie.
Obwohl er nahe der Vollendung war, und an seiner letzten Wunde trug, schien
ihm doch, diese Kindermenschen seien seine BrXder, ihre Eitelkeiten,
Begehrlichkeiten und LXcherlichkeiten verloren das LXcherliche fXr ihn,
wurden begreiflich, wurden liebenswert, wurden ihm sogar verehrungswXrdig.
Die blinde Liebe einer Mutter zu ihrem Kind, den dummen, blinden Stolz eines
eingebildeten Vaters auf sein einziges SXhnlein, das blinde, wilde Streben
nach Schmuck und nach bewundernden MXnneraugen bei einem jungen, eitlen
Weibe, alle diese Triebe, alle diese Kindereien, alle diese einfachen,
tXrichten, aber ungeheuer starken, stark lebenden, stark sich durchsetzenden
Triebe und Begehrlichkeiten waren fXr Siddhartha jetzt keine Kindereien
mehr, er sah um ihretwillen die Menschen leben, sah sie um ihretwillen
Unendliches leisten, Reisen tun, Kriege fXhren, Unendliches leiden,
Unendliches ertragen, und er konnte sie dafXr lieben, er sah das Leben, das
Lebendige, das UnzerstXrbare, das Brahman in jeder ihrer Leidenschaften,
jeder ihrer Taten. Liebenswert und bewundernswert waren diese Menschen in
ihrer blinden Treue, ihrer blinden StXrke und ZXhigkeit. Nichts fehlte
ihnen, nichts hatte der Wissende und Denker vor ihnen voraus als eine
einzige Kleinigkeit, eine einzige winzig kleine Sache: das Bewusstsein, den
bewussten Gedanken der Einheit alles Lebens. Und Siddhartha zweifelte sogar
zu mancher Stunde, ob dies Wissen, dieser Gedanke so sehr hoch zu werten, ob
nicht auch er vielleicht eine Kinderei der Denkmenschen, der
Denk-Kindermenschen sein mXchte. In allem andern waren die Weltmenschen dem
Weisen ebenbXrtig, waren ihm oft weit Xberlegen, wie ja auch Tiere in ihrem
zXhen, unbeirrten Tun des Notwendigen in manchen Augenblicken den Menschen
Xberlegen scheinen kXnnen.
Langsam blXhte, langsam reifte in Siddhartha die Erkenntnis, das Wissen
darum, was eigentlich Weisheit sei, was seines langen Suchens Ziel sei. Es
war nichts als eine Bereitschaft der Seele, eine FXhigkeit, eine geheime
Kunst, jeden Augenblick, mitten im Leben, den Gedanken der Einheit denken,
die Einheit fXhlen und einatmen zu kXnnen. Langsam blXhte dies in ihm auf,
strahlte ihm aus Vasudevas altem Kindergesicht wider: Harmonie, Wissen um
die ewige Vollkommenheit der Welt, LXcheln, Einheit.
Die Wunde aber brannte noch, sehnlich und bitter gedachte Siddhartha
seines Sohnes, pflegte seine Liebe und ZXrtlichkeit im Herzen, lieX den
Schmerz an sich fressen, beging alle Torheiten der Liebe. Nicht von selbst
erlosch diese Flamme.
Und eines Tages, als die Wunde heftig brannte, fuhr Siddhartha Xber den
Fluss, gejagt von Sehnsucht, stieg aus und war Willens, nach der Stadt zu
gehen und seinen Sohn zu suchen. Der Fluss floss sanft und leise, es war in
der trockenen Jahreszeit, aber seine Stimme klang sonderbar: sie lachte! Sie
lachte deutlich. Der Fluss lachte, er lachte hell und klar den alten
FXhrmann aus. Siddhartha blieb stehen, er beugte sich Xbers Wasser, um noch
besser zu hXren, und im still ziehenden Wasser sah er sein Gesicht
gespiegelt, und in diesem gespiegelten Gesicht war etwas, das ihn erinnerte,
etwas Vergessenes, und da er sich besann, fand er es: dies Gesicht glich
einem andern, das er einst gekannt und geliebt und auch gefXrchtet hatte. Es
glich dem Gesicht seines Vaters, des Brahmanen. Und er erinnerte sich, wie
er vor Zeiten, ein JXngling, seinen Vater gezwungen hatte, ihn zu den BXern
gehen zu lassen, wie er Abschied von ihm genommen hatte, wie er gegangen und
nie mehr wiedergekommen war. Hatte nicht auch sein Vater um ihn dasselbe
Leid gelitten, wie er es nun um seinen Sohn litt? War nicht sein Vater
lXngst gestorben, allein, ohne seinen Sohn wiedergesehen zu haben? Musste er
selbst nicht dies selbe Schicksal erwarten? War es nicht eine KomXdie, eine
seltsame und dumme Sache, diese Wiederholung, dieses Laufen in einem
verhXngnisvollen Kreise?
Der Fluss lachte. Ja, es war so, es kam alles wieder, was nicht bis zu
Ende gelitten und gelXst ward, es wurden immer wieder dieselben Leiden
gelitten. Siddhartha aber stieg wieder in das Boot und fuhr zu der HXtte
zurXck, seines Vaters gedenkend, seines Sohnes gedenkend, vom Flusse
verlacht, mit sich selbst im Streit, geneigt zur Verzweiflung, und nicht
minder geneigt, aber sich und die ganze Welt laut mitzulachen. Ach, noch
blXhte die Wunde nicht, noch wehrte sein Herz sich wider das Schicksal, noch
strahlte nicht Heiterkeit und Sieg aus seinem Leide. Doch fXhlte er
Hoffnung, und da er zur HXtte zurXckgekehrt war, spXrte er ein unbesiegbares
Verlangen, sich vor Vasudeva zu Xffnen, ihm alles zu zeigen, ihm, dem
Meister des ZuhXrens, alles zu sagen.
Vasudeva saX in der HXtte und flocht an einem Korbe. Er fuhr nicht mehr
mit dem FXhrboot, seine Augen begannen schwach zu werden, und nicht nur
seine Augen; auch seine Arme und HXnde. UnverXndert und blXhend war nur die
Freude und das heitere Wohlwollen seines Gesichtes.
Siddhartha setzte sich zu dem Greise, langsam begann er zu sprechen.
WorXber sie niemals gesprochen hatten, davon erzXhlte er jetzt, von seinem
Gange zur Stadt, damals, von der brennenden Wunde, von seinem Neid beim
Anblick glXcklicher VXter, von seinem Wissen um die Torheit solcher WXnsche,
von seinem vergeblichen Kampf wider sie. Alles berichtete er, alles konnte
er sagen, auch das Peinlichste, alles lieX sich sagen, alles sich zeigen,
alles konnte er erzXhlen. Er zeigte seine Wunde dar, erzXhlte auch seine
heutige Flucht, wie er Xbers Wasser gefahren sei, kindischer FlXchtling,
willens nach der Stadt zu wandern, wie der Fluss gelacht habe.
WXhrend er sprach, lange sprach, wXhrend Vasudeva mit stillem Gesicht
lauschte, empfand Siddhartha dies ZuhXren Vasudevas stXrker, als er es
jemals gefXhlt hatte, er spXrte, wie seine Schmerzen, seine BeXngstigungen
hinXberflossen, wie seine heimliche Hoffnung hinXberfloss, ihm von drXben
wieder entgegenkam. Diesem ZuhXrer seine Wunde zu zeigen, war dasselbe, wie
sie im Flusse baden, bis sie kXhl und mit dem Flusse eins wurde. WXhrend er
immer noch sprach, immer noch bekannte und beichtete, fXhlte Siddhartha mehr
und mehr, dass dies nicht mehr Vasudeva, nicht mehr ein Mensch war, der ihm
zuhXrte, dass dieser regungslos Lauschende seine Beichte in sich einsog wie
ein Baum den Regen, dass dieser Regungslose der Fluss selbst, dass er Gott
selbst, dass er das Ewige selbst war. Und wXhrend Siddhartha aufhXrte, an
sich und an seine Wunde zu denken, nahm diese Erkenntnis vom verXnderten
Wesen des Vasudeva von ihm Besitz, und je mehr er es empfand und darein
eindrang, desto weniger wunderlich wurde es, desto mehr sah er ein, dass
alles in Ordnung und natXrlich war, dass Vasudeva schon lange, beinahe schon
immer so gewesen sei, dass nur er selbst es nicht ganz erkannt hatte, ja
dass er selbst von jenem kaum noch verschieden sei. Er empfand, dass er den
alten Vasudeva nun so sehe, wie das Volk die GXtter sieht, und dass dies
nicht von Dauer sein kXnne; er begann im Herzen von Vasudeva Abschied zu
nehmen. Dabei sprach er immer fort.
Als er zu Ende gesprochen hatte, richtete Vasudeva seinen freundlichen,
etwas schwach gewordenen Blick auf ihn, sprach nicht, strahlte ihm
schweigend Liebe und Heiterkeit entgegen, VerstXndnis und Wissen. Er nahm
Siddharthas Hand, fXhrte ihn zum Sitz am Ufer, setzte sich mit ihm nieder,
lXchelte dem Flusse zu.
"Du hast ihn lachen hXren," sagte er. "Aber du hast nicht alles gehXrt.
Lass uns lauschen, du wirst mehr hXren."
Sie lauschten. Sanft klang der vielstimmige Gesang des Flusses.
Siddhartha schaute ins Wasser, und im ziehenden Wasser erschienen ihm
Bilder: sein Vater erschien, einsam, um den Sohn trauernd; er selbst
erschien, einsam, auch er mit den Banden der Sehnsucht an den fernen Sohn
gebunden; es erschien sein Sohn, einsam auch er, der Knabe, begehrlich auf
der brennenden Bahn seiner jungen WXnsche stXrmend, jeder auf sein Ziel
gerichtet, jeder vom Ziel besessen, jeder leidend. Der Fluss sang mit einer
Stimme des Leidens, sehnlich sang er, sehnlich floss er seinem Ziele zu,
klagend klang seine Stimme.
"HXrst du?" fragte Vasudevas stummer Blick. Siddhartha nickte.
"HXre besser!" flXsterte Vasudeva.
Siddhartha bemXhte sich, besser zu hXren. Das Bild des Vaters, sein
eigenes Bild, das Bild des Sohnes flossen ineinander, auch Kamalas Bild
erschien und zerfloss, und das Bild Govindas, und andre Bilder, und flossen
ineinander Xber, wurden alle zum Fluss, strebten alle als Fluss dem Ziele
zu, sehnlich, begehrend, leidend, und des Flusses Stimme klang voll
Sehnsucht, voll von brennendem Weh, voll von unstillbarem Verlangen. Zum
Ziele strebte der Fluss, Siddhartha sah ihn eilen, den Fluss, der aus ihm
und den Seinen und aus allen Menschen bestand, die er je gesehen hatte, alle
die Wellen und Wasser eilten, leidend, Zielen zu, vielen Zielen, dem
Wasserfall, dem See, der Stromschnelle, dem Meere, und alle Ziele wurden
erreicht, und jedem folgte ein neues, und aus dem Wasser ward Dampf und
stieg in den Himmel, ward Regen und stXrzte aus dem Himmel herab, ward
Quelle, ward Bach, ward Fluss, strebte aufs Neue, floss aufs Neue. Aber die
sehnliche Stimme hatte sich verXndert. Noch tXnte sie, leidvoll, suchend,
aber andre Stimmen gesellten sich zu ihr, Stimmen der Freude und des Leides,
gute und bXse Stimmen, lachende und trauernde, hundert Stimmen, tausend
Stimmen.
Siddhartha lauschte. Er war nun ganz Lauscher, ganz ins ZuhXren
vertieft, ganz leer, ganz einsaugend, er fXhlte, dass er nun das Lauschen zu
Ende gelernt habe. Oft schon hatte er all dies gehXrt, diese vielen Stimmen
im Fluss, heute klang es neu. Schon konnte er die vielen Stimmen nicht mehr
unterscheiden, nicht frohe von weinenden, nicht kindliche von mXnnlichen,
sie gehXrten alle zusammen, Klage der Sehnsucht und Lachen des Wissenden,
Schrei des Zorns und StXhnen der Sterbenden, alles war eins, alles war
ineinander verwoben und verknXpft, tausendfach verschlungen. Und alles
zusammen, alle Stimmen, alle Ziele, alles Sehnen, alle Leiden, alle Lust,
alles Gute und BXse, alles zusammen war die Welt. Alles zusammen war der
Fluss des Geschehens, war die Musik des Lebens. Und wenn Siddhartha
aufmerksam diesem Fluss, diesem tausendstimmigen Liede lauschte, wenn er
nicht auf das Leid noch auf das Lachen hXrte, wenn er seine Seele nicht an
irgendeine Stimme band und mit seinem Ich in sie einging, sondern alle
hXrte, das Ganze, die Einheit vernahm, dann bestand das groXe Lied der
tausend Stimmen aus einem einzigen Worte, das hieX OM: die Vollendung.
"HXrst du," fragte wieder Vasudevas Blick.
Hell glXnzte Vasudevas LXcheln, Xber all den Runzeln seines alten
Antlitzes schwebte es leuchtend, wie Xber all den Stimmen des Flusses das Om
schwebte. Hell glXnzte sein LXcheln, als er den Freund anblickte, und hell
glXnzte nun auch auf Siddharthas Gesicht dasselbe LXcheln auf. Seine Wunde
blXhte, sein Leid strahlte, sein Ich war in die Einheit geflossen.
In dieser Stunde hXrte Siddhartha auf, mit dem Schicksal zu kXmpfen,
hXrte auf zu leiden. Auf seinem Gesicht blXhte die Heiterkeit des Wissens,
dem kein Wille mehr entgegensteht, das die Vollendung kennt, das
einverstanden ist mit dem Fluss des Geschehens, mit dem Strom des Lebens,
voll Mitleid, voll Mitlust, dem StrXmen hingegeben, der Einheit zugehXrig.
Als Vasudeva sich von dem Sitz am Ufer erhob, als er in Siddharthas
Augen blickte und die Heiterkeit des Wissens darin strahlen sah, berXhrte er
dessen Schulter leise mit der Hand, in seiner behutsamen und zarten Weise,
und sagte: "Ich habe auf diese Stunde gewartet, Lieber. Nun sie gekommen
ist, lass mich gehen. Lange habe ich, auf diese Stunde gewartet, lange bin
ich der FXhrmann Vasudeva gewesen. Nun ist es genug. Lebe wohl, HXtte, lebe
wohl, Fluss, lebe wohl, Siddhartha!"
Siddhartha verneigte sich tief vor dem Abschiednehmenden.
"Ich habe es gewusst," sagte er leise. "Du wirst in die WXlder gehen?"
"Ich gehe in die WXlder, ich gehe in die Einheit," sprach Vasudeva
strahlend.
Strahlend ging er hinweg; Siddhartha blickte ihm nach. Mit tiefer
Freude, mit tiefem Ernst blickte er ihm nach, sah seine Schritte voll
Frieden, sah sein Haupt voll Glanz, sah seine Gestalt voll Licht.
Mit anderen MXnchen weilte Govinda einst wXhrend einer Rastzeit in dem
Lusthain, welchen die Kurtisane Kamala den JXngern des Gotama geschenkt
hatte. Er hXrte von einem alten FXhrmanne sprechen, welcher eine Tagereise
entfernt vom Flusse wohne, und der von vielen fXr einen Weisen gehalten
werde. Als Govinda des Weges weiterzog, wXhlte er den Weg zur FXhre,
begierig diesen FXhrmann zu sehen. Denn ob er wohl sein Leben lang nach der
Regel gelebt hatte, auch von den j ngeren MXnchen seines Alters und seiner
Bescheidenheit wegen mit Ehrfurcht angesehen wurde, war doch in seinem
Herzen die Unruhe und das Suchen nicht erloschen.
Er kam zum FlXsse, er bat den Alten um berfahrt, und da sie drXben aus
dem Boot stiegen, sagte er zum Alten: "Viel Gutes erweisest du uns MXnchen
und Pilgern, viele von uns hast du schon Xbergesetzt. Bist nicht auch du,
FXhrmann, ein Sucher nach dem rechten Pfade?"
Sprach Siddhartha, aus den alten Augen lXchelnd: "Nennst du dich einen
Sucher, o EhrwXrdiger, und bist doch schon hoch in den Jahren, und trXgst
das Gewand der MXnche Gotamas?"
"Wohl bin ich alt," sprach Govinda, "zu suchen aber habe ich nicht
aufgehXrt. Nie werde ich aufhXren zu suchen, dies scheint meine Bestimmung.
Auch du, so scheint es mir, hast gesucht. Willst du mir ein Wort sagen,
Verehrter?"
Sprach Siddhartha: "Was sollte ich dir, EhrwXrdiger, wohl zu sagen
haben? Vielleicht das, dass du allzu viel suchst? Dass du vor Suchen nicht
zum Finden kommst?"
"Wie denn?" fragte Govinda.
"Wenn jemand sucht," sagte Siddhartha, "dann geschieht es leicht, dass
sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht, dass er nichts zu finden,
nichts in sich einzulassen vermag, weil er nur immer an das Gesuchte denkt,
weil er ein Ziel hat, weil er vom Ziel besessen ist. Suchen heiXt: ein Ziel
haben. Finden aber heiXt: frei sein, offen stehen, kein Ziel haben. Du,
EhrwXrdiger, bist vielleicht in der Tat ein Sucher, denn, deinem Ziel
nachstrebend, siehst du manches nicht, was nah vor deinen Augen steht."
"Noch verstehe ich nicht ganz," bat Govinda, "wie meinst du das?"
Sprach Siddhartha: "Einst, o EhrwXrdiger, vor manchen Jahren, bist du
schon einmal an diesem Flusse gewesen, und hast am Fluss einen Schlafenden
gefunden, und hast dich zu ihm gesetzt, um seinen Schlaf zu behXten. Erkannt
aber, o Govinda, hast du den Schlafenden nicht."
Staunend, wie ein Bezauberter, blickte der MXnch in des FXhrmanns
Augen.
"Bist du Siddhartha?" fragte er mit scheuer Stimme. "Ich hXtte dich
auch diesesmal nicht erkannt! Herzlich grXe ich dich, Siddhartha, herzlich
freue ich mich, dich nochmals zu sehen! Du hast dich sehr verXndert, Freund.
X Und nun bist du also ein FXhrmann geworden?"
Freundlich lachte Siddhartha. "Ein FXhrmann, ja. Manche, Govinda,
mXssen sich viel verXndern, mXssen allerlei Gewand tragen, ihrer einer bin
ich, Lieber. Sei willkommen, Govinda, und bleibe die Nacht in meiner HXtte."
Govinda blieb die Nacht in der HXtte und schlief auf dem Lager, das
einst Vasudevas Lager gewesen war. Viele Fragen richtete er an den Freund
seiner Jugend, vieles musste ihm Siddhartha aus seinem Leben erzXhlen.
Als es am andern Morgen Zeit war, die Tageswanderung anzutreten, da
sagte Govinda, nicht ohne ZXgern, die Worte: "Ehe ich meinen Weg fortsetze,
Siddhartha, erlaube mir noch eine Frage. Hast du eine Lehre? Hast du einen
Glauben, oder ein Wissen, dem du folgst, das dir leben und rechttun hilft?"
Sprach Siddhartha: "Du weiXt, Lieber, dass ich schon als junger Mann,
damals, als wir bei den BXern im Walde lebten, dazu kam, den Lehren und
Lehrern zu misstrauen und ihnen den RXcken zu wenden. Ich bin dabei
geblieben. Dennoch habe ich seither viele Lehrer gehabt. Eine schXne
Kurtisane ist lange Zeit meine Lehrerin gewesen, und ein reicher Kaufmann
war mein Lehrer, und einige WXrfeIspieler. Einmal ist auch ein wandernder
JXnger Buddhas mein Lehrer gewesen; er saX bei mir, als ich im Walde
eingeschlafen war, auf der Pilgerschaft. Auch von ihm habe ich gelernt, auch
ihm bin ich dankbar, sehr dankbar. Am meisten aber habe ich hier von diesem
Flusse gelernt, und von meinem VorgXnger, dem FXhrmann Vasudeva. Es war ein
sehr einfacher Mensch, Vasudeva, er war kein Denker, aber er wusste das
Notwendige so gut wie Gotama, er war ein Vollkommener, ein Heiliger."
Govinda sagte: "Noch immer, o Siddhartha, liebst du ein wenig den
Spott, wie mir scheint. Ich glaube dir und weiX es, dass du nicht einem
Lehrer gefolgt bist. Aber hast nicht du selbst, wenn auch nicht eine Lehre,
so doch gewisse Gedanken, gewisse Erkenntnisse gefunden, welche dein eigen
sind und die dir leben helfen? Wenn du mir von diesen etwas sagen mXchtest,
wXrdest du mir das Herz erfreuen."
Sprach Siddhartha: "Ich habe Gedanken gehabt, ja, und Erkenntnisse, je
und je. Ich habe manchmal, fXr eine Stunde oder fXr einen Tag, Wissen in mir
gefXhlt, so wie man Leben in seinem Herzen fXhlt. Manche Gedanken waren es,
aber schwer wXre es fXr mich, sie dir mitzuteilen. Sieh, mein Govinda, dies
ist einer meiner Gedanken, die ich gefunden habe: Weisheit ist nicht
mitteilbar. Weisheit, welche ein Weiser mitzuteilen versucht, klingt immer
wie Narrheit."
"Scherzest du?" fragte Govinda.
"Ich scherze nicht. Ich sage, was ich gefunden habe. Wissen kann man
mitteilen, Weisheit aber nicht. Man kann sie finden, man kann sie leben, man
kann von ihr getragen werden, man kann mit ihr Wunder tun, aber sagen und
lehren kann man sie nicht. Dies war es, was ich schon als JXngfing manchmal
ahnte, was mich von den Lehrern fortgetrieben hat. Ich habe einen Gedanken
gefunden, Govinda, den du wieder fXr Scherz oder fXr Narrheit halten wirst,
der aber mein, bester Gedanke ist. Er heiXt: Von jeder Wahrheit ist das
Gegenteil ebenso wahr! NXmlich so: eine Wahrheit lXsst sich immer nur
aussprechen und in Worte hXllen, wenn sie einseitig ist. Einseitig ist
alles, was mit Gedanken gedacht und mit Worten gesagt werden kann, alles
einseitig, alles halb, alles entbehrt der Ganzheit, des Runden, der Einheit.
Wenn der erhabene Gotama lehrend von der Welt sprach, so musste er sie
teilen in Sansara und Nirvana, in TXuschung und Wahrheit, in Leid und
ErlXsung. Man kann nicht anders, es gibt keinen andern Weg fXr den, der
lehren will. Die Welt selbst aber, das Seiende um uns her und in uns innen,
ist nie einseitig. Nie ist ein Mensch, oder eine Tat, ganz Sansara oder ganz
Nirvana, nie ist ein Mensch ganz heilig oder ganz sXndig. Es scheint ja so,
weil wir der TXuschung unterworfen sind, dass Zeit etwas Wirkliches sei.
Zeit ist nicht wirklich, Govinda, ich habe dies oft und oft erfahren. Und
wenn Zeit nicht wirklich ist, so ist die Spanne, die zwischen Welt und
Ewigkeit, zwischen Leid und Seligkeit, zwischen BXse und Gut zu liegen
scheint, auch eine TXuschung."
"Wie das?" fragte Govinda Xngstlich.
"HXre gut, Lieber, hXre gut! Der SXnder, der ich bin und der du bist,
der ist SXnder, aber er wird einst wieder Brahma sein, er wird einst Nirvana
erreichen, wird Buddha sein X und nun siehe: dies "Einst" ist TXuschung, ist
nur Gleichnis! Der SXnder ist nicht auf dem Weg zur Buddhaschaft unterwegs,
er ist nicht in einer Entwickelung begriffen, obwohl unser Denken sich die
Dinge nicht anders vorzustellen weiX. Nein, in dem SXnder ist, ist jetzt und
heute schon der kXnftige Buddha, seine Zukunft ist alle schon da, du hast in
ihm, in dir, in jedem den werdenden, den mXglichen, den verborgenen Buddha
zu verehren. Die Welt, Freund Govinda, ist nicht unvollkommen, oder auf
einem langsamen Wege zur Vollkommenheit begriffen: nein, sie ist in jedem
Augenblick vollkommen, alle SXnde trXgt schon die Gnade in sich, alle
kleinen Kinder haben schon den Greis in sich, alle SXuglinge den Tod, alle
Sterbenden das ewige Leben. Es ist keinem Menschen mXglich, vom anderen zu
sehen, wie weit er auf seinem Wege sei, im RXuber und WXrfelspieler wartet
Buddha, im Brahmanenwartet der RXuber. Es gibt, in der tiefen Meditation,
die MXglichkeit, die Zeit aufzuheben, alles gewesene, seiende und sein
werdende Leben als gleichzeitig zu sehen, und da ist alles gut, alles
vollkommen, alles ist Brahm an. Darum scheint mir das, was ist, gut, es
scheint mir Tod wie Leben, SXnde wie Heiligkeit, Klugheit wie Torheit, alles
muss so sein, alles bedarf nur meiner Zustimmung, nur meiner Willigkeit,
meines liebenden EinverstXndnisses, so ist es fXr mich gut, kann mich nur
fXrdern, kann mir nie schaden. Ich habe an meinem Leibe und an meiner Seele
erfahren, dass ich der SXnde sehr bedurfte, ich bedurfte der Wollust, des
Strebens nach GXtern, der Eitelkeit, und bedurfte der schmXhlichsten
Verzweiflung, um das Widerstreben aufgeben zu lernen, um die Welt lieben zu
lernen, um sie nicht mehr mit irgendeiner von mir gewXnschten, von mir
eingebildeten Welt zu vergleichen, einer von mir ausgedachten Art der
Vollkommenkeit, sondern sie zu lassen, wie sie ist, und sie zu lieben, und
ihr gerne anzugehXren. X Dies, o Govinda, sind einige,von den Gedanken, die
mir in den Sinn gekommen sind."
Siddhartha bXckte sich, hob einen Stein vom Erdbodene auf und wog ihn
in der Hand.
"Dies hier," sagte er spielend, "ist ein Stein, und er wird in einer
bestimmten Zeit vielleicht Erde sein, und wird aus Erde Pflanze werden, oder
Tier oder Mensch. FrXher nun hXtte ich gesagt: Dieser Stein ist bloX ein
Stein, er ist wertlos, er gehXrt der Welt der Maja an; aber weil er
vielleicht im Kreislauf der Verwandlungen auch Mensch und Geist werden kann,
darum schenke ich auch ihm Geltung. So hXtte ich frXher vielleicht gedacht.
Heute aber denke ich: dieser Stein ist Stein, er ist auch Tier, er ist auch
Gott, er ist auch Buddha, ich verehre und liebe ihn nicht, weil er einstmals
dies oder jenes werden kXnnte, sondern weil er alles lXngst und immer ist X
und gerade dies, dass er Stein ist, dass er mir jetzt und heute als Stein
erscheint, gerade darum liebe ich ihn, und sehe Wert und Sinn in jeder von
seinen Adern und HXhlungen, in dem Gelb, in dem Grau, in der HXrte, im
Klang, den er von sich gibt, wenn ich ihn beklopfe, in der Trockenheit oder
Feuchtigkeit seiner OberflXche. Es gibt Steine, die fXhlen sich wie Xl oder
wie Seife an, und andre wie BlXtter, andre wie Sand, und jeder ist besonders
und betet das Om auf seine Weise, jeder ist Brahman, zugleich aber und
ebensosehr ist er Stein, ist Xlig oder saftig, und gerade das gefXllt mir
und scheint mir wunderbar und der Anbetung wXrdig. X Aber mehr lass mich
davon nicht sagen. Die Worte tun dem geheimen Sifin nicht gut, es wird immer
alles gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht, ein wenig verfXlscht,
ein wenig nXrrisch X ja, und auch das ist sehr gut und gefXllt mir sehr,
auch damit bin ich sehr einverstanden, dass das, was eines Menschen Schatz
und Weisheit ist, dem andern immer wie Narrheit klingt."
Schweigend lauschte Govinda.
"Warum hast du mir das von dem Steine gesagt?" fragte er nach einer
Pause zXgernd.
"Es geschah ohne Absicht. Oder vielleicht war es so gemeint, dass ich
eben den Stein, und den Fluss, und alle diese Dinge, die wir betrachten und
von denen wir lernen kXnnen, liebe. Einen Stein kann ich lieben, Govinda,
und auch einen Baum oder ein StXck Rinde. Das sind Dinge, und Dinge kann man
lieben. Worte aber kann ich nicht lieben. Darum sind Lehren nichts fXr mich,
sie haben keine HXrte, keine Weiche, keine Farben, keine Kanten, keinen
Geruch, keinen Geschmack, sie haben nichts als Worte. Vielleicht ist es
dies, was dich hindert, den Frieden zu finden, vielleicht sind es die vielen
Worte. Denn auch ErlXsung und Tugend, auch Sansara und Nirvana sind bloXe
Worte, Govinda. Es gibt kein Ding, das Nirvana wXre; es gibt nur das Wort
Nirvana."
Sprach Govinda: "Nicht nur ein Wort, Freund, ist Nirvana. Es ist ein
Gedanke."
Siddhartha fuhr fort: "Ein Gedanke, es mag so sein. Ich muss dir
gestehen, Lieber: ich unterscheide zwischen Gedanken und Worten nicht sehr.
Offen gesagt, halte ich auch von Gedanken nicht viel. Ich halte von Dingen
mehr. Hier auf diesem FXhrboot zum Beispiel war ein Mann mein VorgXnger und
Lehrer, ein heiliger Mann, der hat manche Jahre lang einfach an den Fluss
geglaubt, sonst an nichts. Er hatte gemerkt, dass des Flusses Stimme zu ihm
sprach, von ihr lernte er, sie erzog und lehrte ihn, der Fluss schien ihm
ein Gott, viele Jahre lang wusste er nicht, dass jeder Wind, jede Wolke,
jeder Vogel, jeder KXfer genau so gXttlich ist und ebensoviel weiX und
lehren kann wie der verehrte Fluss. Als dieser Heilige aber in die WXlder
ging, da wusste er alles, wusste mehr als du und ich, ohne Lehrer, ohne
BXcher, nur weil er an den Fluss geglaubt hatte."
Govinda sagte: "Aber ist das, was du `Dinge' nennst, denn etwas
Wirkliches, etwas Wesenhaftes? Ist das nicht nur Trug der Maja, nur Bild und
Schein? Dein Stein, dein Baum, dein Fluss X sind sie denn Wirklichkeiten?"
"Auch dies," sprach Siddhartha, "bekXmmert mich nicht sehr. MXgen die
Dinge Schein sein oder nicht, auch ich bin alsdann ja Schein, und so sind
sie stets meinesgleichen. Das ist es, was sie mir so lieb und verehrenswert
macht: sie sind meinesgleichen. Darum kann ich sie lieben. Und dies ist nun
eine Lehre, Xber welche du lachen wirst: die Liebe, o Govinda, scheint mir
von allem die Hauptsache zu sein. Die Welt zu durchschauen, sie zu erklXren,
sie zu verachten, mag groXer Denker Sache sein. Mir aber liegt einzig daran,
die Welt lieben zu kXnnen, sie nicht zu verachten, sie und mich nicht zu
hassen, sie und mich und alle Wesen mit Liebe und Bewunderung und Ehrfurcht
betrachten zu kXnnen."
"Dies verstehe ich," sprach Govinda. "Aber eben dies hat er, der
Erhabene, als Trug erkannt. Er gebietet Wohlwollen, Schonung, Mitleid,
Duldung, nicht aber Liebe; er verbot uns, unser Herz in Liebe an Irdisches
zu fesseln."
"Ich weiX es", sagte Siddhartha; sein LXcheln strahlte golden. "Ich
weiX es, Govinda. Und siehe, da sind wir mitten im Dickicht der Meinungen
drin, im Streit um Worte. Denn ich kann nicht leugnen, meine Worte von der
Liebe stehen im Widerspruch, im scheinbaren Widerspruch zu Gotamas Worten.
Eben darum misstraue ich den Worten so sehr, denn ich weiX, dieser
Widerspruch ist TXuschung. Ich weiX, dass ich mit Gotama einig bin. Wie
sollte denn auch Er die Liebe nicht kennen, Er, der alles Menschensein in
seiner VergXnglichkeit, in seiner Nichtigkeit erkannt hat, und dennoch die
Menschen so sehr liebte, dass er ein langes, mXhevolles Leben einzig darauf
verwendet hat, ihnen zu helfen, sie zu lehren! Auch bei ihm, auch bei deinem
groXen Lehrer, ist mir das Ding lieber als die Worte, sein Tun und Leben
wichtiger als sein Reden, die GebXrde seiner Hand wichtiger als seine
Meinungen. Nicht im Reden, nicht im Denken sehe ich seine GrXe, nur im Tun,
im Leben."
Lange schwiegen die beiden alten MXnner. Dann sprach Govinda, indem er
sich zum Abschied verneigte: "Ich danke dir, Siddhartha, dass du mir etwas
von deinen Gedanken gesagt hast. Es sind zum Teil seltsame Gedanken, nicht
alle sind mir sofort verstXndlich geworden. Dies mXge sein, wie es wolle,
ich danke dir, und ich wXnsche dir ruhige Tage."
(Heimlich bei sich aber dachte er: Dieser Siddhartha ist ein
wunderlicher Mensch, wunderliche Gedanken spricht er aus, nXrrisch klingt
seine Lehre. Anders klingt des Erhabenen reine Lehre, klarer, reiner,
verstXndlicher, nichts Seltsames, NXrrisches oder LXcherliches ist in ihr
enthalten. Aber anders als seine Gedanken scheinen mir Siddharthas HXnde und
FXe, seine Augen, seine Stirn, sein Atmen, sein LXcheln, sein GruX, sein
Gang. Nie mehr, seit unser erhabener Gotama in Nirvana einging, nie mehr
habe ich einen Menschen angetroffen, von dem ich fXhlte: dies ist ein
Heiliger! Einzig ihn, diesen Siddhartha, habe ich so gefunden. Mag seine
Lehre seltsam sein, mXgen seine Worte nXrrisch klingen, sein Blick und seine
Hand, seine Haut und sein Haar, alles an ihm strahlt eine Reinheit, strahlt
eine Ruhe, strahlt eine Heiterkeit und Milde und Heiligkeit aus, welche ich
an keinem anderen Menschen seit dem letzten Tode unseres erhabenen Lehrers
gesehen habe.)
Indem Govinda also dachte, und ein Widerstreit in seinem Herzen war,
neigte er sich nochmals zu Siddhartha, von Liebe gezogen. Tief verneigte er
sich vor dem ruhig Sitzenden.
"Siddhartha, sprach er, "wir sind alte MXnner geworden. Schwerlich wird
einer von uns den andern in dieser Gestalt wiedersehen. Ich sehe, Geliebter,
dass du den Frieden gefunden hast. Ich bekenne, ihn nicht gefunden zu haben.
Sage mir, Verehrter, noch ein Wort, gib mir etwas mit, das ich fassen, das
ich verstehen kann! Gib mir etwas mit auf meinen Weg. Er ist oft
beschwerlich, mein Weg, oft finster, Siddhartha."
Siddhartha schwieg und blickte ihn mit dem immer gleichen, stillen
LXcheln an. Starr blickte ihm Govinda ins Gesicht, mit Angst, mit Sehnsucht,
Leid und ewiges Suchen stand in seinem Blick geschrieben, ewiges
Nichtfinden.
Siddhartha sah es, und lXchelte.
"Neige dich zu mir!" flXsterte er leise in Govindas Ohr. "Neige dich zu
mir her! So, noch nXher! Ganz nahe! KXsse mich auf die Stirn, Govindal"
WXhrend aber Govinda verwundert, und dennoch von groXer Liebe und
Ahnung gezogen, seinen Worten gehorchte, sich nahe zu ihm neigte und seine
Stirn mit den Lippen berXhrte, geschah ihm etwas Wunderbares. WXhrend seine
Gedanken noch bei Siddharthas wunderlichen Worten verweilten, wXhrend er
sich noch vergeblich und mit Widerstreben bemXhte, sich die Zeit
hinwegzudenken, sich Nirvana und Sansara als Eines vorzustellen, wXhrend
sogar eine gewisse Verachtung fXr die Worte des Freundes in ihm mit einer
ungeheuren Liebe und Ehrfurcht stritt, geschah ihm dieses:
Er sah seines Freundes Siddhartha Gesicht nicht mehr, er sah statt
dessen andre Gesichter, viele, eine lange Reihe, einen strXmenden Fluss von
Gesichtern, von hunderten, von tausenden, welche alle kamen und vergingen,
und doch alle zugleich dazusein schienen, welche alle sich bestXndig
verXnderten und erneuerten, und welche doch alle Siddhartha waren. Er sah
das Gesicht eines Fisches, eines Karpfens, mit unendlich schmerzvoll
geXffnetem Maule, eines sterbenden Fisches, mit brechenden Augen X er sah
das Gesicht eines neugeborenen Kindes, rot und voll Falten, zum Weinen
verzogen X er sah das Gesicht eines MXrders, sah ihn ein Messer in den Leib
eines Menschen stechen X er sah, zur selben Sekunde, diesen Verbrecher
gefesselt knien und sein Haupt vom Henker mit einem Schwertschlag
abgeschlagen werden X er sah die KXrper von MXnnern und Frauen nackt in
Stellungen und KXmpfen rasender Liebe X er sah Leichen ausgestreckt, still,
kalt, leer X er sah TierkXpfe, von Ebern, von Krokodilen, von Elefanten, von
Stieren, von VXgeln X er sah GXtter, sah Krischna, sah Agni X er sah alle
diese Gestalten und Gesichter in tausend Beziehungen zueinander, jede der
andern helfend, sie liebend, sie hassend, sie vernichtend, sie neu gebXrend,
jede war ein Sterbenwollen, ein leidenschaftlich schmerzliches Bekenntnis
der VergXnglichkeit, und keine starb doch, jede verwandelte sich nur, wurde
stets neu geboren, bekam stets ein neues Gesicht, ohne dass doch zwischen
einem und dem anderen Gesicht Zeit gelegen wXre X und alle diese Gestalten
und Gesichter ruhten, flossen, erzeugten sich, schwammen dahin und strXmten
ineinander, und Xber alle war bestXndig etwas DXnnes, Wesenloses, dennoch
Seiendes, wie ein dXnnes Glas oder Eis gezogen, wie eine durchsichtige Haut,
eine Schale oder Form oder Maske von Wasser, und diese Maske lXchelte, und
diese Maske war Siddharthas lXchelndes Gesicht, das er, Govinda, in eben
diesem selben Augenblick mit den Lippen berXhrte. Und, so sah Govinda, dies
LXcheln der Maske, dies LXcheln der Einheit Xber den strXmenden
Gestaltungen, dies LXcheln der Gleichzeitigkeit Xber den tausend Geburten
und Toten, dies LXcheln Siddharthas war genau dasselbe, war genau das
gleiche, stille, feine, undurchdringliche, vielleicht gXtige, vielleicht
spXttische, weise, tausendfXltige LXcheln Gotamas, des Buddha, wie er selbst
es hundertmal mit Ehrfurcht gesehen hatte. So, das wusste Govinda, lXchelten
die Vollendeten.
Nicht mehr wissend ob es Zeit gebe, ob diese Schauung eine Sekunde oder
hundert Jahre gewXhrt habe, nicht mehr wissend, ob es einen Siddhartha, ob
es einen Gotama, ob es Ich und Du gebe, im Innersten wie von einem
gXttlichen Pfeile verwundet, dessen Verwundung sX schmeckt, im Innersten
verzaubert und aufgelXst, stand Govinda noch eine kleine Weile, Xber
Siddharthas stilles Gesicht gebeugt, das er soeben gekXsst hatte, das soeben
Schauplatz aller Gestaltungen, alles Werdens, alles Seins gewesen war. Das
Antlitz war unverXndert, nachdem unter seiner OberflXche die Tiefe der
TausendfXltigkeit sich wieder geschlossen hatte, er lXchelte still, lXchelte
leise und sanft, vielleicht sehr gXtig, vielleicht sehr spXttisch, genau,
wie er gelXchelt hatte, der Erhabene.
Tief verneigte sich Govinda, TrXnen liefen, von welchen er nichts
wusste, Xber sein altes Gesicht, wie ein Feuer brannte das GefXhl der
innigsten Liebe, der demXtigsten Verehrung in seinem Herzen. Tief verneigte
er sich, bis zur Erde, vor dem regungslos Sitzenden, dessen LXcheln ihn an
alles erinnerte, was er in seinem Leben jemals geliebt hatte, was jemals in
seinem Leben ihm wert und heilig gewesen war.
Текст подготовил и сверил Илья Франк
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Last-modified: Tue, 07 Jan 2003 17:13:47 GMT