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     äÁÔÁ ÓÏÚÄÁÎÉÅ ÐÒÏÉÚ×ÅÄÅÎÉÑ: 1915 Ç.
     ðÅÞÁÔÎÙÊ ÉÓÔÏÞÎÉË: Gustav Meyrink. Der Golem, Leipzig, 1916
     OCR, Spellcheck: Serge Winitzki
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         Leipzig
         Kurt Wolff Verlag
         1916
         Vierter Abdruck. Dezember 1915
         Copyright 1915 by Kurt Wolff Verlag Leipzig
         Kapitelverzeichnis
     Schlaf
     Tag
     I
     Prag
     Punsch
     Nacht
     Wach
     Schnee
     Spuk
     Licht
     Not
     Angst
     Trieb
     Weib
     List
     Qual
     Mai
     Mond
     Frei
     Schluñ
         Schlaf
     Das Mondlicht  fÄllt  auf das  Fuñende meines Bettes und liegt dort wie
ein groñer, heller, flacher Stein.
     Wenn der  Vollmond in seiner Gestalt  zu schrumpfen  beginnt  und seine
rechte Seite  fÄngt an  zu verfallen,  -  wie  ein  Gesicht,  das dem  Alter
entgegengeht,  zuerst  an  einer  Wange  Falten  zeigt und abmagert,  - dann
bemÄchtigt  sich meiner um solche  Zeit des  Nachts  eine  trØbe,  qualvolle
Unruhe.
     Ich schlafe nicht und wache nicht, und im  Halbtraum vermischt  sich in
meiner   Seele  Erlebtes  mit   Gelesenem   und  GehÃrtem,  wie  StrÃme  von
verschiedener Farbe und Klarheit zusammenflieñen.
     Ich  hatte  Øber  das Leben  des  Buddha  Gotama gelesen, ehe ich  mich
niedergelegt, und in tausend Spielarten zog der Satz immer wieder  von vorne
beginnend durch meinen Sinn:
     "Eine KrÄhe flog zu einem Stein hin, der wie ein StØck Fett aussah, und
dachte: vielleicht ist  hier etwas Wohlschmeckendes. Da nun die  KrÄhe  dort
nichts  Wohlschmeckendes  fand, flog sie fort. Wie die KrÄhe,  die sich  dem
Stein genÄhert, so verlassen wir - wir, die Versucher, - den Asketen Gotama,
da wir den Gefallen an ihm verloren haben."
     Und  das Bild von dem Stein, der  aussah wie ein StØck Fett, wÄchst ins
Ungeheuerliche in meinem Hirn:
     Ich schreite durch ein ausgetrocknetes Fluñbett  und hebe glatte Kiesel
auf.
     Graublaue mit eingesprengtem glitzerndem Staub, Øber die ich nachgrØble
und nachgrØble  und doch mit  ihnen nichts anzufangen weiñ, -  dann schwarze
mit  schwefelgelben Flecken wie  die steingewordenen Versuche  eines Kindes,
plumpe, gesprenkelte Molche nachzubilden.
     Und  ich will sie weit  von mir werfen, diese Kiesel, doch immer fallen
sie mir  aus der Hand, und ich kann sie aus dem Bereich  meiner Augen  nicht
bannen.
     Alle jene Steine, die je in meinem  Leben eine Rolle  gespielt, tauchen
auf rings um mich her.
     Manche  quÄlen sich  schwerfÄllig  ab,  sich  aus dem  Sande  ans Licht
emporzuarbeiten  -  wie groñe  schieferfarbene Taschenkrebse, wenn  die Flut
zurØckkommt, - und als wollten sie alles daransetzen, meine Blicke auf  sich
zu lenken, um mir Dinge von unendlicher Wichtigkeit zu sagen.
     Andere - erschÃpft - fallen kraftlos zurØck in ihre LÃcher und geben es
auf, je zu Worte zu kommen.
     Zuweilen  fahre ich empor aus dem DÄmmer  dieser halben TrÄume und sehe
fØr einen  Augenblick  wiederum  den Mondschein  auf dem gebauschten Fuñende
meiner Decke liegen wie  einen  groñen, hellen, flachen  Stein, um blind von
neuem hinter meinem schwindenden Bewuñtsein  herzutappen, ruhelos nach jenem
Stein suchend,  der mich quÄlt - der  irgendwo verborgen  im  Schutte meiner
Erinnerung liegen muñ und aussieht wie ein StØck Fett.
     Eine RegenrÃhre muñ einst neben ihm auf  der  Erde gemØndet haben, male
ich mir aus - stumpfwinklig abgebogen, die RÄnder von Rost zerfressen, - und
trotzig  will  ich  mir  im  Geiste  ein  solches Bild  erzwingen, um  meine
aufgescheuchten Gedanken zu belØgen und in Schlaf zu lullen.
     Es gelingt mir nicht.
     Immer  wieder und immer  wieder mit alberner  Beharrlichkeit  behauptet
eine   eigensinnige   Stimme  in  meinem  Innern   -   unermØdlich  wie  ein
Fensterladen,  den  der  Wind in regelmÄñigen  ZwischenrÄumen an  die  Mauer
schlagen lÄñt: es sei das ganz anders, das sei gar nicht der Stein, der  wie
Fett aussehe.
     Und es ist von der Stimme nicht loszukommen.
     Wenn ich hundertmal einwende, alles das sei doch ganz nebensÄchlich, so
schweigt  sie  wohl eine kleine Weile, wacht aber dann unvermerkt wieder auf
und beginnt  hartnÄckig von neuem: gut, gut, schon  recht, es ist  aber doch
nicht der Stein, der wie ein StØck Fett aussieht. -
     Langsam beginnt sich meiner ein unertrÄgliches GefØhl von Hilflosigkeit
zu bemÄchtigen.
     Wie es weiter gekommen ist, weiñ  ich  nicht. Habe ich freiwillig jeden
Widerstand aufgegeben, oder haben sie mich  ØberwÄltigt und geknebelt, meine
Gedanken?
     Ich weiñ nur, mein KÃrper liegt schlafend im Bett, und meine Sinne sind
losgetrennt und nicht mehr an ihn gebunden. -
     Wer ist  jetzt  "ich", will ich plÃtzlich fragen;  da besinne ich mich,
dañ  ich doch  kein  Organ mehr besitze, mit dem ich Fragen stellen  kÃnnte;
dann fØrchte ich, die dumme Stimme werde  wieder aufwachen und von neuem das
endlose VerhÃr Øber den Stein und das Fett beginnen.
     Und so wende ich mich ab.

     Da  stand ich  plÃtzlich in  einem dØsteren  Hofe  und  sah durch einen
rÃtlichen Torbogen  gegenØber - jenseits  der  engen,  schmutzigen  Strañe -
einen jØdischen TrÃdler an einem GewÃlbe lehnen, das an den MauerrÄndern mit
altem EisengerØmpel, zerbrochenen  Werkzeugen,  verrosteten  SteigbØgeln und
Schlittschuhen und vielerlei anderen abgestorbenen Sachen behangen war.
     Und  dieses  Bild trug  das quÄlend EintÃnige  an sich,  das  alle jene
EindrØcke  kennzeichnet,  die  tagtÄglich so und so oft  wie  Hausierer  die
Schwelle unserer Wahrnehmung  Øberschreiten, und rief in mir weder Neugierde
noch øberraschung hervor.
     Ich wurde mir bewuñt, dañ ich schon seit langer Zeit in dieser Umgebung
zu Hause war.
     Auch  diese Empfindung hinterlieñ mir trotz ihres  Gegensatzes zu  dem,
was ich doch  vor  kurzem  noch wahrgenommen und  wie ich  hierher  gelangt,
keinerlei tieferen Eindruck. - -
     Ich muñ einmal von einem sonderbaren Vergleich zwischen einem Stein und
einem  StØck Fett gehÃrt  oder gelesen haben, drÄngte sich mir plÃtzlich der
Einfall auf, als  ich die ausgetretenen  Stufen zu  meiner Kammer emporstieg
und mir Øber  das  speckige Aussehen  der  Steinschwellen flØchtige Gedanken
machte.
     Da hÃrte ich Schritte die oberen Treppen Øber mir vorauslaufen, und als
ich zu meiner  TØr  kam, sah  ich,  dañ  es die  vierzehnjÄhrige, rothaarige
Rosina des TrÃdlers Aaron Wassertrum gewesen war.
     Ich muñte dicht an ihr vorbei,  und sie stand mit dem RØcken gegen  das
StiegengelÄnder und bog sich lØstern zurØck.
     Ihre  schmutzigen HÄnde hatte sie um die Eisenstange gelegt, - zum Halt
-  und ich sah, wie ihre nackten Unterarme bleich aus dem trØben  Halbdunkel
hervorleuchteten.
     Ich wich ihren Blicken aus.
     Mich ekelte  vor ihrem  zudringlichen  LÄcheln  und  diesem  wÄchsernen
Schaukelpferdgesicht.
     Sie  muñ  schwammiges,  weiñes Fleisch haben  wie der Axolotl, den  ich
vorhin im SalamanderkÄfig bei dem VogelhÄndler gesehen habe, fØhlte ich.
     Die Wimpern Rothaariger sind mir widerwÄrtig wie die eines Kaninchens.
     Und ich sperrte auf und schlug rasch die TØr hinter mir zu. - -
     Von meinem  Fenster  aus  konnte ich den TrÃdler Aaron  Wassertrum  vor
seinem GewÃlbe stehen sehen.
     Er lehnte  am  Eingang  der  dunklen  WÃlbung  und  zwickte  mit  einer
Beiñzange an seinen FingernÄgeln herum.
     War  die  rothaarige Rosina  seine Tochter  oder seine Nichte? Er hatte
keine ähnlichkeit mit ihr.
     Unter  den Judengesichtern,  die ich Tag  fØr  Tag  in der Hahnpañgasse
auftauchen sehe,  kann ich  deutlich verschiedene StÄmme unterscheiden,  die
sich  so  wenig  durch  die  nahe Verwandtschaft  der  einzelnen  Individuen
verwischen lassen, wie sich Ãl und Wasser vermengen wird. Da darf man  nicht
sagen: die dort sind BrØder oder Vater und Sohn.
     Der gehÃrt zu  jenem Stamm und dieser  zu einem andern,  das ist alles,
was sich aus den GesichtszØgen lesen lÄñt.
     Was bewiese es auch, wenn selbst Rosina dem TrÃdler Ähnlich sÄhe!
     Diese StÄmme hegen  einen heimlichen Ekel und  Abscheu voreinander, der
sogar die Schranken der engen Blutsverwandtschaft  durchbricht,  - aber  sie
verstehen  ihn  geheimzuhalten vor der Auñenwelt, wie  man  ein gefÄhrliches
Geheimnis hØtet.
     Kein  einziges lÄñt ihn  durchblicken,  und  in dieser  øbereinstimmung
gleichen  sie hañerfØllten Blinden, die  sich  an ein schmutzgetrÄnktes Seil
klammern: der eine mit beiden FÄusten, ein anderer nur widerwillig mit einem
Finger, alle aber von aberglÄubischer Furcht besessen, dañ sie dem Untergang
verfallen mØssen, sobald sie den gemeinsamen Halt aufgeben und sich von  den
Øbrigen trennen.
     Rosina ist von jenem Stamme, dessen  rothaariger Typus noch abstoñender
ist, als der der andern. Dessen MÄnner engbrØstig sind und lange HØhnerhÄlse
haben mit vorstehendem Adamsapfel.
     Alles scheint an ihnen sommersprossig, und ihr  ganzes Leben leiden sie
unter  brØnstigen Qualen,  diese MÄnner, - und kÄmpfen  heimlich  gegen ihre
GelØste  einen  ununterbrochenen,  erfolglosen  Kampf,  von   immerwÄhrender
widerlicher Angst um ihre Gesundheit gefoltert.
     Ich   war   mir   nicht   klar,   wieso   ich   Rosina   Øberhaupt   in
verwandtschaftliche Beziehungen mit dem TrÃdler Wassertrum bringen konnte.
     Nie habe  ich sie doch in der NÄhe des Alten gesehen  oder bemerkt, dañ
sie jemals einander etwas zugerufen hÄtten.
     Auch  war sie  fast  immer in unserem  Hofe  oder drØckte sich  in  den
dunklen Winkeln und GÄngen unseres Hauses umher.
     Sicherlich  halten sie alle  meine Mitbewohner fØr  eine nahe Verwandte
oder zumindest Schutzbefohlene des TrÃdlers, und doch bin ich Øberzeugt, dañ
kein einziger einen Grund fØr solche Vermutungen anzugeben vermÃchte.
     Ich wollte meine Gedanken von Rosina losreiñen und sah von  dem offenen
Fenster meiner Stube hinab auf die Hahnpañgasse.
     Als  habe  Aaron Wassertrum meinen Blick  gefØhlt, wandte er  plÃtzlich
sein Gesicht zu mir empor.
     Sein  starres, grÄñliches  Gesicht  mit  den runden Fischaugen  und der
klaffenden Oberlippe, die von einer Hasenscharte gespalten ist.
     Wie eine menschliche Spinne kam er  mir  vor, die die feinste BerØhrung
ihres Netzes spØrt, so teilnahmslos sie sich auch stellt.
     Und wovon er nur leben mag? Was denkt er, und was ist sein Vorhaben?
     Ich wuñte es nicht.
     An  den  MauerrÄndern seines GewÃlbes hÄngen unverÄndert  Tag fØr  Tag,
jahraus jahrein dieselben toten wertlosen Dinge.
     Mit geschlossenen  Augen  hÄtte  ich  sie hinzeichnen kÃnnen:  hier die
verbogene  Blechtrompete ohne Klappen, das vergilbte Bild auf Papier gemalt,
mit  den  so  sonderbar  zusammengestellten  Soldaten.  Dann  eine  Girlande
verrosteter  Sporen  an  einem  schimmligen  Lederriemen  und  anderes  halb
vermodertes GerØmpel.
     Und  vorne  auf  dem  Boden,  dicht nebeneinander  geschichtet, so  dañ
niemand  die  Schwelle  des GewÃlbes Øberschreiten kann,  eine Reihe  runder
eiserner Herdplatten. -
     Alle diese Dinge nahmen an Zahl nie zu, nie ab, und blieb wirklich hier
und da einmal ein VorØbergehender stehen und fragte nach dem Preis des einen
oder andern, geriet der TrÃdler in heftige Erregung.
     In grauenerregender Weise zog er dann seine Lippen mit der Hasenscharte
empor  und  sprudelte  gereizt   irgend  etwas  UnverstÄndliches  in   einem
gurgelnden, stolpernden Bañ hervor, dañ dem KÄufer die Lust weiter zu fragen
verging und er abgeschreckt seinen Weg fortsetzte.
     Der Blick  des  Aaron  Wassertrum war  blitzschnell  von  meinen  Augen
abgeglitten und  ruhte jetzt mit  gespanntem Interesse an den kahlen Mauern,
die vom Nebenhause an mein Fenster stoñen.
     Was konnte er dort nur sehen?
     Das Haus steht doch mit dem RØcken  gegen  die  Hahnpañgasse, und seine
Fenster blicken in den Hof! Nur eines ist in die Strañe gekehrt.
     ZufÄllig schienen die RÄume, die nebenan in derselben StockhÃhe wie die
meinigen liegen - ich  glaube, sie gehÃren zu  einem winkligen Atelier -  in
diesem  Moment betreten  worden zu sein,  denn  durch  die Mauern hÃrte  ich
plÃtzlich eine mÄnnliche und eine weibliche Stimme miteinander reden.
     UnmÃglich konnte das aber der TrÃdler von unten aus wahrgenommen haben!
- -
     Vor  meiner  TØr bewegte sich jemand, und ich erriet: es ist immer noch
Rosina,  die drauñen im  Dunkeln steht in begehrlichem Warten,  dañ ich  sie
doch vielleicht zu mir hereinrufen wolle.
     Und  unten, ein halbes  Stockwerk  tiefer,  lauert  der blatternarbige,
halbwØchsige Loisa  auf  den Stiegen mit  angehaltenem Atem, ob  ich die TØr
Ãffnen  werde, und  ich  spØre  fÃrmlich den  Hauch seines Hasses und  seine
schÄumende Eifersucht bis herauf zu mir.
     Er fØrchtet sich nÄher zu  kommen und von Rosina bemerkt zu werden.  Er
weiñ  sich von ihr  abhÄngig  wie  ein hungriger Wolf  von seinem WÄrter und
mÃchte doch am liebsten  aufspringen und besinnungslos seiner Wut  die ZØgel
schieñen lassen! - - -
     Ich  setzte mich an meinen Arbeitstisch und suchte meine Pinzetten  und
Stichel hervor.
     Aber ich konnte  nichts fertigbringen und  meine  Hand war  nicht ruhig
genug, die feinen japanischen Gravierungen auszubessern.
     Das  trØbe, dØstere Leben, das an diesem Hause  hÄngt, lÄñt mein  GemØt
nicht stillwerden, und immer tauchen alte Bilder in mir auf.
     Loisa  und sein Zwillingsbruder Jaromir  sind wohl kaum ein  Jahr Älter
als Rosina.
     An ihren Vater, der HostienbÄcker  gewesen,  konnte  ich mich kaum mehr
erinnern, und jetzt sorgt fØr sie, glaube ich, ein altes Weib.
     Ich  wuñte nur nicht, welche es  war unter den vielen, die versteckt im
Hause wohnen wie KrÃten in ihrem Schlupfwinkel.
     Sie  sorgt  fØr  die  beiden  Jungen,  das  heiñt:  sie  gewÄhrt  ihnen
Unterkunft; dafØr mØssen sie ihr  abliefern,  was  sie gelegentlich  stehlen
oder erbetteln. -
     Ob sie ihnen wohl auch zu essen gibt? Ich  konnte  es mir nicht denken,
denn erst spÄt abends kommt die Alte heim.
     LeichenwÄscherin soll sie sein.
     Loisa, Jaromir und  Rosina  sah ich, als  sie  noch Kinder  waren,  oft
harmlos im Hof zu dritt spielen.
     Die Zeit aber ist lang vorbei.
     Den ganzen Tag ist Loisa jetzt hinter dem rothaarigen JudenmÄdel her.
     Zuweilen sucht er sie lange  umsonst, und  wenn er  sie nirgends finden
kann,  dann schleicht  er  sich  vor  meine TØr  und  wartet  mit verzerrtem
Gesicht, dañ sie heimlich hierher komme.
     Da sehe ich ihn, wenn ich bei meiner Arbeit sitze, im Geiste drauñen in
dem winkligen Gange lauern,  den Kopf mit dem ausgemergelten Genick horchend
vorgebeugt.
     Manchmal bricht dann durch die Stille plÃtzlich ein wilder LÄrm.
     Jaromir,  der  taubstumm   ist,   und   dessen   ganzes   Denken   eine
ununterbrochene wahnsinnige Gier nach  Rosina erfØllt,  irrt wie  ein wildes
Tier im Hause umher, und sein unartikuliertes heulendes Gebell,  das er, vor
Eifersucht und Argwohn halb von Sinnen, ausstÃñt, klingt so schauerlich, dañ
einem das Blut in den Adern stockt.
     Er sucht die beiden, die er stets  beieinander vermutet -  irgendwo  in
einem der tausend schmutzigen Schlupfwinkel  versteckt - in blinder Raserei,
immer  von dem  Gedanken gepeitscht,  seinem  Bruder  auf den Fersen sein zu
mØssen, dañ nichts mit Rosina vorgehe, von dem er nicht wisse.
     Und gerade  diese unaufhÃrliche Qual  des KrØppels ist, ahnte  ich, das
Reizmittel,  das  Rosina  antreibt,  sich  stets  von neuem mit  dem  andern
einzulassen.
     Wird  ihre  Neigung oder Bereitwilligkeit  schwÄcher,  so ersinnt Loisa
immer  wieder  besondere  Scheuñlichkeiten, um Rosinas  Gier  von  neuem  zu
entfachen.
     Da lassen sie sich scheinbar oder wirklich von dem Taubstummen ertappen
und locken den Rasenden heimtØckisch hinter sich her in dunkle GÄnge, wo sie
aus  rostigen Fañreifen, die in die HÃhe  schnellen, wenn man auf sie tritt,
und eisernen Rechen  - mit den Spitzen nach oben  gekehrt - bÃsartige Fallen
errichtet haben, in die er stØrzen muñ und sich blutig fÄllt.
     Von  Zeit  zu  Zeit  denkt  sich  Rosina, um  die Folter  aufs Äuñerste
anzuspannen, auf eigene Faust etwas HÃllisches aus.
     Dann Ändert sie mit einem Schlage  ihr Benehmen zu Jaromir und tut, als
fÄnde sie plÃtzlich Gefallen an ihm.
     Mit ihrer ewig lÄchelnden Miene teilt sie dem KrØppel hastig Dinge mit,
die ihn  in eine fast irrsinnige  Erregung  versetzen, und sie hat sich dazu
eine   geheimnisvoll   scheinende,  nur   halbverstÄndliche   Zeichensprache
ersonnen,  die  den Taubstummen rettungslos  in ein unentwirrbares Netz  von
Ungewiñheit und verzehrenden Hoffnungen verstricken muñ. -
     Einmal  sah ich ihn im  Hofe  vor  ihr stehen,  und sie  sprach mit  so
heftigen Lippenbewegungen und Gestikulationen  auf ihn ein, dañ ich glaubte,
jeden Augenblick wØrde er in wilder Aufregung zusammenbrechen.
     Der Schweiñ lief  ihm  Øbers Gesicht vor Øbermenschlicher  Anstrengung,
den Sinn der absichtlich so unklaren, hastigen Mitteilungen zu erfassen.
     Und den ganzen folgenden Tag lauerte er dann fiebernd in  Erwartung auf
den finsteren Stiegen eines  halb versunkenen Hauses, das in der Fortsetzung
der engen, schmutzigen Hahnpañgasse liegt, - bis er die Zeit versÄumt hatte,
sich an den Ecken ein paar Kreuzer zu erbetteln.
     Und als er spÄt  abends halbtot vor Hunger und Aufregung  heim  wollte,
hatte ihn die Pflegemutter lÄngst ausgesperrt. - - -
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     Ein frÃhliches Frauenlachen drang aus dem anstoñenden Atelier durch die
Mauern herØber zu mir.
     Ein Lachen! - In diesen HÄusern ein frÃhliches Lachen?  Im ganzen Getto
wohnt niemand, der frÃhlich lachen kÃnnte.
     Da fiel mir ein, dañ mir vor einigen Tagen  der alte Marionettenspieler
Zwakh  anvertraute, ein junger,  vornehmer Herr hÄtte ihm  das Atelier teuer
abgemietet  - offenbar,  um  mit der  ErwÄhlten  seines  Herzens unbelauscht
zusammenkommen zu kÃnnen.
     Nach  und  nach, jede Nacht, mØñten nun,  damit niemand im Hause  etwas
merke,  die  kostbaren  MÃbel des neuen  Mieters  heimlich  StØck  fØr StØck
hinaufgeschafft werden.
     Der gutmØtige Alte hatte sich vor VergnØgen die HÄnde gerieben,  als er
es  mir erzÄhlte,  und sich kindlich  gefreut,  wie  er  alles so  geschickt
angefangen habe:  keiner der  Mitbewohner kÃnne auch nur eine Ahnung von dem
romantischen Liebespaar haben.
     Und von drei HÄusern aus  sei es mÃglich, unauffÄllig in das Atelier zu
gelangen. - Sogar durch eine FalltØre gÄbe es einen Zugang!
     Ja, wenn man die eiserne  TØr des Bodenraumes aufklinke, - und das  sei
von  drØben aus sehr  leicht, - kÃnne man  an  meiner Kammer, vorbei zu  den
Stiegen unseres Hauses gelangen und diese als Ausgang benØtzen ...
     Wieder  klingt  das  frÃhliche  Lachen  herØber und  lÄñt  in  mir  die
undeutliche Erinnerung an  eine luxuriÃse Wohnung und an eine adlige Familie
auftauchen, zu der ich oft gerufen wurde, um an kostbaren AltertØmern kleine
Ausbesserungen vorzunehmen. -
     PlÃtzlich  hÃre  ich   nebenan  einen  gellenden  Schrei.   Ich  horche
erschreckt.
     Die eiserne BodentØr  klirrt heftig, und  im nÄchsten Augenblick stØrzt
eine Dame in mein Zimmer.
     Mit aufgelÃstem Haar, weiñ wie  die Wand,  einen  goldenen  Brokatstoff
Øber die bloñen Schultern geworfen.
     "Meister  Pernath,  verbergen Sie mich, - um  Gottes Christi willen!  -
fragen Sie nicht, verbergen Sie mich hier!"
     Ehe ich noch antworten konnte, wurde meine TØr abermals aufgerissen und
sofort wieder zugeschlagen. -
     Eine Sekunde lang hatte  das Gesicht des TrÃdlers Aaron  Wassertrum wie
eine scheuñliche Maske hereingegrinst. -
     0x01 graphic

     Ein runder, leuchtender Fleck taucht vor  mir auf,  und  im  Schein des
Mondlichtes erkenne ich wiederum das  Fuñende meines Bettes. Noch liegt  der
Schlaf auf mir wie ein schwerer, wolliger Mantel und der Name  Pernath steht
in goldenen Buchstaben vor meiner Erinnerung.
     Wo nur habe ich diesen Namen gelesen? - Athanasius Pernath?
     Ich glaube, ich glaube vor langer, langer Zeit habe ich einmal irgendwo
meinen  Hut verwechselt, und ich wunderte  mich damals, dañ  er mir so genau
passe, wo ich doch eine hÃchst eigentØmliche Kopfform habe.
     Und ich sah  in den fremden  Hut hinein -  damals und - - ja,  ja, dort
hatte es gestanden in goldenen Papierbuchstaben auf dem weiñen Futter:
     ATHANASIUS PERNATH.
     Ich hatte mich  vor dem Hut  gescheut und gefØrchtet,  ich  wuñte nicht
warum.
     Da fÄhrt plÃtzlich  die  Stimme, die ich vergessen hatte, und die immer
von mir wissen wollte, wo der Stein ist, der wie  Fett  ausgesehen habe, auf
mich los, gleich einem Pfeil.
     Schnell male ich mir  das  scharfe, sØñlich grinsende  Profil der roten
Rosina aus, und es  gelingt mir auf diese Weise, dem Pfeil auszuweichen, der
sich sogleich in der Finsternis verliert.
     Ja,  das  Gesicht  der  Rosina!  Das  ist  doch  noch stÄrker  als  die
stumpfsinnige  plappernde  Stimme;  und gar,  wo ich jetzt gleich  wieder in
meinem Zimmer in  der Hahnpañgasse geborgen  sein werde, kann ich ganz ruhig
sein.

     Wenn  ich  mich  nicht getÄuscht habe in der Empfindung, dañ  jemand in
einem gewissen,  gleichbleibenden Abstand hinter mir die Treppe heraufkommt,
in der Absicht, mich zu  besuchen, so  muñ er jetzt ungefÄhr auf dem letzten
Stiegenabsatz stehen.
     Jetzt  biegt er um  die Ecke,  wo  der Archivar Schemajah Hillel  seine
Wohnung  hat, und kommt von den ausgetretenen Steinfliesen  auf den Flur des
oberen Stockwerkes, der mit roten Ziegeln ausgelegt ist.
     Nun tastet er sich an der  Wand entlang,  und jetzt, gerade jetzt,  muñ
er, mØhsam im Finstern buchstabierend, meinen Namen auf dem TØrschild lesen.
     Und ich stellte mich aufrecht in die Mitte des Zimmers und  blickte zum
Eingang.
     Da Ãffnete sich die TØre, und er trat ein.
     Nur wenige Schritte  machte er  auf mich  zu und nahm weder den Hut ab,
noch sagte er ein Wort der BegrØñung.
     So benimmt er sich, wenn  er zu Hause ist, fØhlte ich,  und ich fand es
ganz selbstverstÄndlich, dañ er so und nicht anders handelte.
     Er griff in die Tasche und nahm ein Buch heraus.
     Dann blÄtterte er lange drin herum.
     Der Umschlag des  Buches war  aus Metall, und die Vertiefungen  in Form
von Rosetten und Siegeln waren mit Farbe und kleinen Steinen ausgefØllt.
     Endlich  hatte  er  die Stelle  gefunden,  die er  suchte, und  deutete
darauf.
     Das Kapitel hieñ "Ibbur", "die SeelenschwÄngerung", entzifferte ich.
     Das groñe, in Gold und Rot ausgefØhrte Initial "I" nahm fast die HÄlfte
der  ganzen Seite ein,  die ich  unwillkØrlich  Øberflog, und  war am  Rande
verletzt.
     Ich sollte es ausbessern.
     Das Initial war nicht  auf das Pergament geklebt, wie ich es  bisher in
alten  BØchern gesehen,  schien  vielmehr aus zwei  Platten dØnnen Goldes zu
bestehen, die im Mittelpunkte zusammengelÃtet waren und mit den Enden um die
RÄnder des Pergaments griffen.
     Also muñte,  wo der Buchstabe stand, ein Loch in  das Blatt geschnitten
sein?
     Wenn  das der Fall war, muñte  auf der nÄchsten Seite  das "I" verkehrt
stehen?
     Ich blÄtterte um und fand meine Annahme bestÄtigt.
     UnwillkØrlich las ich auch diese Seite durch und die gegenØberliegende.
     Und ich las weiter und weiter.
     Das Buch sprach  zu mir, wie  der Traum  spricht,  klarer  nur und viel
deutlicher. Und es rØhrte mein Herz an wie eine Frage.
     Worte strÃmten aus einem unsichtbaren  Munde, wurden lebendig und kamen
auf mich zu. Sie  drehten sich und  wandten sich vor mir wie  buntgekleidete
Sklavinnen,  sanken dann in den  Boden  oder verschwanden  wie  schillernder
Dunst in  der  Luft und gaben der nÄchsten  Raum.  Jede  hoffte eine  kleine
Weile, dañ  ich sie  erwÄhlen  wØrde  und  auf  den  Anblick  der  Kommenden
verzichten.
     Manche  waren unter  ihnen, die gingen  prunkend einher  wie Pfauen, in
schimmernden GewÄndern, und ihre Schritte waren langsam und gemessen.
     Manche  wie  KÃniginnen,  doch gealtert  und  verlebt,  die  Augenlider
gefÄrbt, -  mit  dirnenhaftem Zug um den Mund  und die Runzeln mit hÄñlicher
Schminke verdeckt.
     Ich sah an ihnen vorbei und  nach den  kommenden, und mein  Blick glitt
Øber  lange   ZØge  grauer  Gestalten  mit  Gesichtern,  so  gewÃhnlich  und
ausdrucksarm, dañ es unmÃglich schien, sie dem GedÄchtnis einzuprÄgen.
     Dann  brachten  sie  ein  Weib  geschleppt, das war  splitternackt  und
riesenhaft wie ein Erzkoloñ.
     Eine Sekunde blieb das Weib  vor mir stehen und beugte  sich  nieder zu
mir.
     Ihre Wimpern waren  so lang wie  mein  ganzer KÃrper,  und sie  deutete
stumm auf den Puls ihrer linken Hand.
     Der  schlug wie ein  Erdbeben, und ich fØhlte, es war  das Leben  einer
ganzen Welt in ihr.
     Aus der Ferne raste ein Korybantenzug heran.
     Ein Mann und  ein Weib umschlangen sich. Ich sah sie von weitem kommen,
und immer nÄher brauste der Zug.
     Jetzt hÃrte  ich den hallenden Gesang der VerzØckten dicht vor mir, und
meine Augen suchten das verschlungene Paar.
     Das aber hatte sich verwandelt  in  eine einzige Gestalt und  sañ, halb
mÄnnlich,  halb  weiblich,  -  ein  Hermaphrodit  -  auf  einem  Throne  von
Perlmutter.
     Und die Krone des Hermaphroditen  endete in einem Brett aus rotem Holz;
darein hatte der Wurm der ZerstÃrung geheimnisvolle Runen genagt.
     In einer Staubwolke kam eilig hinterdreingetrappelt eine Herde kleiner,
blinder Schafe: die  Futtertiere,  die der  gigantische  Zwitter  in  seinem
Gefolge fØhrte, seine Korybantenschar am Leben zu erhalten.
     Zuweilen waren unter  den  Gestalten,  die  aus  dem unsichtbaren Munde
strÃmten, etliche, die kamen aus GrÄbern, - TØcher vor dem Gesicht.
     Und blieben sie vor mir stehen, lieñen sie plÃtzlich ihre HØllen fallen
und  starrten  mit  Raubtieraugen hungrig  auf mein Herz,  dañ  ein  eisiger
Schreck mir ins Hirn fuhr und sich mein Blut zurØckstaute  wie ein Strom, in
den  FelsblÃcke vom Himmel herniedergefallen  sind - plÃtzlich und mitten in
sein Bette. -
     Eine Frau schwebte an mir vorbei. Ich sah ihr Antlitz nicht, sie wandte
es ab, und sie trug einen Mantel aus flieñenden TrÄnen. -
     MaskenzØge tanzten vorØber, lachten und kØmmerten sich nicht um mich.
     Nur ein Pierrot  sieht sich  nachdenklich um nach mir und kehrt zurØck.
Pflanzt sich vor mich hin  und blickt in mein Gesicht hinein, als sei es ein
Spiegel.
     Er schneidet  so  seltsame  Grimassen, hebt und bewegt seine Arme, bald
zÃgernd,   bald  blitzschnell,  dañ  sich  meiner  ein  gespenstiger   Trieb
bemÄchtigt ihn nachzuahmen, mit den  Augen zu zwinkern,  mit den  Achseln zu
zucken und die Mundwinkel zu verziehen.
     Da stoñen ihn  ungeduldig  nachdrÄngende Gestalten  zur Seite, die alle
vor meine Blicke wollen.
     Doch keines der Wesen hat Bestand.
     Gleitende Perlen sind sie, auf eine Seidenschnur gereiht, die einzelnen
TÃne nur einer Melodie, die dem unsichtbaren Mund entstrÃmen.
     Das war kein Buch mehr, das zu  mir sprach.  Das war  eine Stimme. Eine
Stimme, die etwas von mir wollte, was  ich nicht begriff; wie  sehr ich mich
auch abmØhte. Die mich quÄlte mit brennenden, unverstÄndlichen Fragen.
     Die Stimme aber, die diese sichtbaren Worte redete, war abgestorben und
ohne Widerhall.
     Jeder Laut, der in  der Welt der Gegenwart erklingt,  hat  viele Echos,
wie jegliches Ding einen groñen Schatten hat und viele kleine Schatten, doch
diese  Stimme  hatte  keine Echos mehr,  - lange, lange schon sind  sie wohl
verweht und verklungen. - - -
     Und bis zu Ende  hatte ich das  Buch gelesen  und  hielt es noch in den
HÄnden,  da war mir, als hÄtte ich suchend in  meinem Gehirn  geblÄttert und
nicht in einem Buche! - -
     Alles, was  mir  die  Stimme gesagt, hatte ich, seit  ich lebte, in mir
getragen, nur  verdeckt war es gewesen und  vergessen  und  hatte  sich  vor
meinem Denken versteckt gehalten bis auf den heutigen Tag. -
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     Ich blickte auf.
     Wo war der Mann, der mir das Buch gebracht hatte?
     Fortgegangen!?
     Wird er es holen, wenn es fertig ist?
     Oder sollte ich es ihm bringen? -
     Aber ich konnte mich nicht erinnern, dañ er gesagt hÄtte, wo er wohne.
     Ich wollte mir seine  Erscheinung  ins GedÄchtnis zurØckrufen,  doch es
miñlang.
     Wie war er nur gekleidet gewesen? War er alt, war er jung? - Und welche
Farben hatten sein Haar und sein Bart gehabt?
     Nichts, gar nichts  mehr konnte ich mir vorstellen. -  Alle Bilder, die
ich  mir von  ihm  schuf,  zerrannen haltlos, noch  ehe ich  sie  im  Geiste
zusammenzusetzen vermochte.
     Ich  schloñ die  Augen  und  preñte die Hand auf die  Lider,  um  einen
winzigen Teil nur seines Bildnisses zu erhaschen.
     Nichts, nichts.
     Ich stellte  mich hin,  mitten ins Zimmer, und blickte auf die TØr, wie
ich es getan - vorhin, als er gekommen war,  und malte mir aus:  jetzt biegt
er um  die Ecke,  jetzt schreitet er Øber den Ziegelsteinboden, liest  jetzt
drauñen mein TØrschild "Athanasius Pernath" und jetzt tritt er herein.
     Vergebens.
     Nicht die leiseste Spur einer Erinnerung, wie seine Gestalt ausgesehen,
wollte in mir erwachen.
     Ich  sah das Buch auf dem Tische liegen und wØnschte mir im Geiste  die
Hand dazu, die es aus der Tasche gezogen und mir gereicht hatte.
     Nicht einmal, ob sie einen Handschuh getragen, ob sie entblÃñt gewesen,
ob jung  oder runzlig,  mit Ringen  geschmØckt oder nicht,  konnte  ich mich
entsinnen.
     Da kam mir ein seltsamer Einfall.
     Wie eine Eingebung war es, der man nicht widerstehen darf.
     Ich zog meinen Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus auf den
Gang  und die  Treppen  hinab. Dann  kam ich  langsam wieder  zurØck in mein
Zimmer.
     Langsam, ganz langsam, so wie er, als er gekommen war. Und als  ich die
TØr Ãffnete, da sah  ich, dañ meine Kammer voll  DÄmmerung lag.  War es denn
nicht heller Tag noch gewesen, als ich soeben hinausging?
     Wie lange muñte ich  da gegrØbelt haben,  dañ ich  nicht bemerkte,  wie
spÄt es ist!
     Und  ich versuchte den Unbekannten  nachzuahmen in Gang und  Mienen und
konnte mich an sie doch gar nicht erinnern. -
     Wie  sollte es  mir  auch  glØcken, ihn  nachzuahmen, wenn  ich  keinen
Anhaltspunkt mehr hatte, wie er ausgesehen haben mochte.
     Aber es kam anders. Ganz anders, als ich dachte.
     Meine Haut, meine  Muskeln, mein KÃrper erinnerten sich plÃtzlich, ohne
es dem Gehirn zu  verraten. Sie machten Bewegungen,  die ich  nicht wØnschte
und nicht beabsichtigte.
     Als ob meine Glieder nicht mehr mir gehÃrten!
     Mit einem  Male war mein Gang tappend und fremdartig geworden, als  ich
ein paar Schritte im Zimmer machte.
     Das ist  der  Gang  eines  Menschen, der  bestÄndig  im  Begriffe  ist,
vornØber zu fallen, sagte ich mir.
     Ja, ja, ja, so war sein Gang!
     Ganz deutlich wuñte ich: so ist er.
     Ich   trug   ein   fremdes,  bartloses   Gesicht   mit  hervorstehenden
Backenknochen und schaute aus schrÄgstehenden Augen.
     Ich fØhlte es und konnte mich doch nicht sehen.
     Das ist nicht mein  Gesicht, wollte ich entsetzt aufschreien, wollte es
betasten, doch meine Hand folgte meinem Willen nicht und senkte sich  in die
Tasche und holte ein Buch hervor.
     Ganz so, wie er es vorhin getan hatte. -
     Da plÃtzlich sitze ich wieder ohne  Hut, ohne Mantel, am Tische und bin
ich. Ich, ich.
     Athanasius Pernath.
     Grausen   und  Entsetzen   schØttelten  mich,  mein  Herz   raste   zum
Zerspringen, und ich fØhlte: gespenstische Finger, die soeben noch in meinem
Gehirn herumgetastet, haben von mir abgelassen.
     Noch spØrte ich im Hinterkopf die kalten Spuren ihrer BerØhrung. -
     Nun  wuñte ich, wie der  Fremde war, und  ich  hÄtte  ihn wieder in mir
fØhlen kÃnnen, - jeden Augenblick -  wenn ich  nur gewollt hÄtte;  aber sein
Bild  mir vorzustellen, dañ  ich  es vor mir sehen  wØrde Auge in Auge - das
vermochte ich noch immer nicht und werde es auch nie kÃnnen.
     Es ist  wie ein Negativ, eine unsichtbare Hohlform, erkannte ich, deren
Linien ich nicht erfassen kann - in die ich selber hineinschlØpfen muñ, wenn
ich mir ihrer Gestalt und ihres Ausdrucks im eigenen Ich  bewuñt werden will
- -
     In der Schublade meines Tisches stand eine eiserne Kassette; - in diese
wollte  ich  das  Buch sperren und erst,  wenn  der  Zustand  der  geistigen
Krankheit  von mir gewichen sein wØrde, wollte ich es wieder hervorholen und
an die Ausbesserung des zerbrochenen Initialen "I" gehen.
     Und ich nahm das Buch vom Tisch.
     Da war mir, als hÄtte ich es gar nicht angefañt; ich griff die Kassette
an: dasselbe  GefØhl. Als mØñte das Tastempfinden  eine lange, lange Strecke
voll tiefer Dunkelheit durchlaufen, ehe es in meinem Bewuñtsein mØndete, als
seien  die  Dinge  durch eine jahresgroñe  Zeitschicht  von mir entfernt und
gehÃrten einer Vergangenheit an, die lÄngst an mir vorØbergezogen!
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     Die Stimme,  die nach mir suchend in der Finsternis kreist, um mich mit
dem fettigen Stein zu quÄlen,  ist  an mir vorbeigekommen und hat mich nicht
gesehen. Und ich weiñ, dañ sie  aus dem Reiche des Schlafes stammt. Aber was
ich erlebt, das war  wirkliches Leben, -  darum konnte sie mich  nicht sehen
und sucht vergeblich nach mir, fØhle ich.

     Neben  mir  stand der  Student Charousek,  den  Kragen  seines  dØnnen,
fadenscheinigen øberziehers aufgeschlagen, und ich  hÃrte, wie ihm vor KÄlte
die ZÄhne aufeinanderschlugen.
     Er kann sich  den Tod holen in diesem zugigen, eisigen Torbogen,  sagte
ich mir, und ich forderte ihn auf, mit hinØber in meine Wohnung zu kommen.
     Er aber lehnte ab.
     "Ich danke Ihnen, Meister Pernath," murmelte er frÃstelnd, "leider habe
ich nicht mehr so viel Zeit Øbrig;  - ich muñ  eilends in die Stadt. -  Auch
wØrden wir bis auf die Haut nañ, wenn wir jetzt auf die Gasse treten wollten
- schon  nach wenigen  Schritten!  - -  Der Platzregen will nicht  schwÄcher
werden!"
     Die  Wasserschauer  fegten  Øber  die  DÄcher hin  und  liefen  an  den
Gesichtern der HÄuser herunter wie ein TrÄnenstrom.
     Wenn ich  den Kopf ein wenig vorbog, konnte  ich da  drØben im  vierten
Stock  mein  Fenster  sehen, das, vom Regen  Øberrieselt,  aussah, als seien
seine  Scheiben  aufgeweicht, -  undurchsichtig  und  hÃckerig  geworden wie
Hausenblase.
     Ein  gelber  Schmutzbach floñ die Gasse herab, und  der Torbogen fØllte
sich mit  VorØbergehenden,  die alle  das Nachlassen  des Unwetters abwarten
wollten.
     "Dort schwimmt ein  Brautbukett", sagte plÃtzlich Charousek und deutete
auf einen Strauñ aus welken Myrten, der in dem Schmutzwasser vorbeigetrieben
kam.
     DarØber lachte jemand hinter uns laut auf.
     Als ich  mich umdrehte, sah ich, dañ es  ein alter, vornehm gekleideter
Herr mit weiñem Haar und einem aufgedunsenen,  krÃtenartigen Gesicht gewesen
war.
     Charousek  blickte  ebenfalls einen Augenblick zurØck und brummte etwas
vor sich hin.
     Unangenehmes ging von dem Alten aus; - ich wandte  meine Aufmerksamkeit
von ihm ab und musterte  die miñfarbigen HÄuser, die da vor meinen Augen wie
verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinander hockten.
     Wie unheimlich und verkommen sie alle aussahen!
     Ohne  øberlegung hingebaut standen  sie  da,  wie Unkraut, das aus  dem
Boden dringt.
     An  eine   niedrige,  gelbe  Steinmauer,  den  einzigen  standhaltenden
øberrest  eines frØheren, langgestreckten  GebÄudes, hat man sie angelehnt -
vor zwei,  drei  Jahrhunderten, wie es  eben  kam,  ohne  RØcksicht  auf die
Øbrigen   zu   nehmen.   Dort   ein   halbes,   schiefwinkliges   Haus   mit
zurØckspringender Stirn; - ein andres daneben: vorstehend wie ein Eckzahn.
     Unter dem trØben Himmel sahen sie aus, als lÄgen sie im Schlaf, und man
spØlte nichts von dem tØckischen, feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen
ausstrahlt,  wenn  der Nebel der  Herbstabende in den  Gassen liegt und  ihr
leises, kaum merkliches Mienenspiel verbergen hilft.
     In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck  in
mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des
Nachts  und im frØhesten Morgengrauen  fØr  sie  gÄbe,  wo  sie  erregt eine
lautlose,  geheimnisvolle  Beratung  pflegen.  Und  manchmal  fÄhrt  da  ein
schwaches Beben durch  ihre Mauern, das sich  nicht erklÄren lÄñt, GerÄusche
laufen Øber  ihre DÄcher  und fallen  in den Regenrinnen  nieder, - und  wir
nehmen  sie mit stumpfen  Sinnen  achtlos hin,  ohne nach ihrer  Ursache  zu
forschen.
     Oft trÄumte mir, ich hÄtte diese  HÄuser  belauscht in ihrem spukhaften
Treiben  und  mit angstvollem  Staunen  erfahren,  dañ  sie die  heimlichen,
eigentlichen Herren der Gasse seien, sich ihres Lebens und FØhlens entÄuñern
und es wieder an sich ziehen kÃnnen,  - es  tagsØber den Bewohnern, die hier
hausen,  borgen,  um  es  in   kommender  Nacht   mit  Wucherzinsen   wieder
zurØckzufordern.
     Und lasse ich die seltsamen Menschen, die  in ihnen wohnen wie Schemen,
wie Wesen - nicht von MØttern geboren, - die in ihrem Denken und Tun wie aus
StØcken wahllos zusammengefØgt scheinen, im Geiste an mir vorØberziehen,  so
bin ich mehr denn  je  geneigt zu glauben, dañ solche TrÄume  in sich dunkle
Wahrheiten bergen, die  mir im Wachsein nur noch wie EindrØcke  von farbigen
MÄrchen in der Seele fortglimmen.
     Dann wacht in mir heimlich die Sage von dem gespenstischen Golem, jenem
kØnstlichen   Menschen,   wieder   auf,  den   einst  hier  im   Getto   ein
kabbalakundiger  Rabbiner  aus   dem  Elemente  formte  und  ihn   zu  einem
gedankenlosen  automatischen  Dasein  berief,  indem  er  ihm ein  magisches
Zahlenwort hinter die ZÄhne schob.
     Und wie jener Golem zu einem Lehmbild  in derselben Sekunde  erstarrte,
in der die geheime  Silbe des  Lebens  aus seinem  Munde  genommen ward,  so
mØñten auch, dØnkt mich,  alle  diese Menschen entseelt  in einem Augenblick
zusammenfallen,    lÃschte    man   irgendeinen    winzigen   Begriff,   ein
nebensÄchliches Streben, vielleicht eine zwecklose Gewohnheit bei dem einen,
bei einem andern gar nur ein dumpfes Warten auf etwas gÄnzlich Unbestimmtes,
Haltloses - in ihrem Hirn aus.
     Was  ist dabei fØr  ein immerwÄhrendes, schreckhaftes  Lauern in diesen
GeschÃpfen!
     Niemals  sieht  man sie arbeiten, diese  Menschen, und dennoch sind sie
frØh beim ersten Leuchten  des Morgens wach und warten mit angehaltenem Atem
- wie auf ein Opfer, das doch nie kommt.
     Und hat  es wirklich  einmal den Anschein,  als  trÄte jemand in  ihren
Bereich, irgendein Wehrloser, an dem sie sich bereichern kÃnnten, dann fÄllt
plÃtzlich eine lÄhmende  Angst  Øber sie  her,  scheucht  sie in ihre Winkel
zurØck und lÄñt sie von jeglichem Vorhaben zitternd abstehen.
     Niemand scheint schwach genug, dañ ihnen noch  so viel Mut bliebe, sich
seiner zu bemÄchtigen.
     "Entartete,  zahnlose  Raubtiere,  von  denen die Kraft und  die  Waffe
genommen ist", sagte Charousek zÃgernd und sah mich an. -
     Wie konnte er wissen, woran ich dachte? -
     So  stark  facht man zuweilen seine Gedanken an, dañ sie imstande sind,
auf  das  Gehirn  des  Nebenstehenden Øberzuspringen wie  sprØhende  Funken,
fØhlte ich.
     "- - - wovon sie nur leben mÃgen?" sagte ich nach einer Weile.
     "Leben? Wovon? Mancher unter ihnen ist ein MillionÄr!"
     Ich blickte Charousek an. Was konnte er damit meinen!
     Der Student aber schwieg und sah nach den Wolken.
     FØr  einen   Augenblick  hatte  das  Stimmengemurmel  in  dem  Torbogen
gestockt, und man hÃrte bloñ das Zischen des Regens.
     Was er nur damit sagen will: "Mancher unter ihnen ist ein MillionÄr!?"
     Wieder war es, als hÄtte Charousek meine Gedanken erraten. Er wies nach
dem TrÃdlerladen neben uns, an dem das Wasser den Rost des EisengerØmpels in
flieñenden, braunroten PfØtzen vorbeispØlte.
     "Aaron  Wassertrum! Er zum  Beispiel ist  MillionÄr, - fast ein Drittel
der Judenstadt ist sein Besitz. Wissen Sie es denn nicht, Herr Pernath?!"
     Mir blieb  fÃrmlich der  Atem im Mund  stecken. "Aaron Wassertrum!  Der
TrÃdler Aaron Wassertrum MillionÄr?!"
     "Oh, ich kenne ihn genau", fuhr Charousek verbissen fort, und als hÄtte
er nur darauf gewartet, dañ ich ihn frage. "Ich kannte auch seinen Sohn, den
Dr. Wassory. Haben Sie nie von ihm  gehÃrt? Von Dr. Wassory, dem - berØhmten
- Augenarzt?  -  Vor einem Jahr noch hat  die ganze Stadt begeistert von ihm
gesprochen,  - von dem groñen - -  Gelehrten.  Niemand wuñte damals,  dañ er
seinen  Namen  abgelegt und  frØher Wassertrum geheiñen. -  Er spielte  sich
gerne auf den weitabgewandten Mann der Wissenschaft  hinaus, und wenn einmal
auf Herkunft die Rede kam, warf er bescheiden und tiefbewegt  so  mit halben
Worten hin,  dañ  sein  Vater  noch aus dem  Getto  stamme,  - sich aus  den
niedrigsten AnfÄngen  heraus unter  Kummer aller  Art und unsÄglichen Sorgen
empor ans Licht habe arbeiten mØssen.
     Ja! Unter Kummer und Sorgen!
     Unter  wessen  Kummer  und  unsÄglichen  Sorgen  aber  und mit  welchen
Mitteln, das hat er nicht dazu gesagt!
     Ich aber weiñ, was es mit dem Getto fØr eine Bewandtnis hat!" Charousek
fañte meinen Arm und schØttelte ihn heftig.
     "Meister Pernath, ich bin so arm, dañ ich es selbst kaum mehr begreife;
ich  muñ halbnackt gehen wie ein Vagabund,  sehen Sie  her, und ich bin doch
Student der Medizin, - bin doch ein gebildeter Mensch!"
     Er riñ seinen  øberzieher  auf und ich sah zu meinem Entsetzen, dañ  er
weder Hemd noch Rock anhatte und den Mantel Øber der nackten Haut trug.
     "Und so arm war ich bereits, als ich diese Bestie, diesen allmÄchtigen,
angesehenen Dr. Wassory zu Fall brachte,  - und noch heute  ahnt keiner, dañ
ich, ich der eigentliche Urheber war.
     Man meint in  der  Stadt, ein gewisser  Dr. Savioli sei es gewesen, der
seine Praktiken ans Tageslicht gezogen und ihn dann zum Selbstmord getrieben
hat. - Dr. Savioli war nichts als  mein Werkzeug, sage ich Ihnen. Ich allein
habe den Plan  erdacht  und das Material  zusammengetragen, habe die Beweise
geliefert und  leise  und unmerklich  Stein  um  Stein  in dem  GebÄude  Dr.
Wassorys  gelockert, bis  der Zustand erreicht war, wo kein Geld  der  Erde,
keine List des Gettos mehr vermocht hÄtten, den Zusammenbruch, zu dem es nur
noch eines unmerklichen Anstoñes bedurfte, abzuwenden.
     Wissen Sie, so - so wie man Schach spielt.
     Gerade so wie man Schach spielt.
     Und niemand weiñ, dañ ich es war!
     Den  TrÃdler Aaron Wassertrum, den lÄñt wohl manchmal  eine  furchtbare
Ahnung nicht schlafen, dañ  einer,  den er  nicht kennt, der immer in seiner
NÄhe ist  und den er doch nicht fassen kann, - ein anderer als Dr. Savioli -
die Hand im Spiele gehabt haben mØsse.
     Wiewohl  Wassertrum einer von  jenen ist, deren  Augen  durch Mauern zu
schauen  vermÃgen, so  fañt  er  es  doch nicht,  dañ  es Gehirne  gibt, die
auszurechnen imstande sind,  wie man mit  langen, unsichtbaren,  vergifteten
Nadeln durch solche Mauern stechen kann, an Quadern, an Gold und Edelsteinen
vorbei, um die verborgene Lebensader zu treffen."
     Und Charousek schlug sich vor die Stirn und lachte wild.
     "Aaron Wassertrum wird es  bald  erfahren; genau an dem Tage, an dem er
Dr. Savioli an den Hals will! Genau an demselben Tage!
     Auch  diese Schachpartie  habe ich ausgerechnet  bis zum letzten Zug. -
Diesmal wird es ein KÃnigslÄufergambit sein.  Da gibt es keinen einzigen Zug
bis  zum  bittern  Ende,  gegen den ich  nicht eine  verderbliche Entgegnung
wØñte.
     Wer sich mit mir in ein solches KÃnigslÄufergambit einlÄñt,  der  hÄngt
in der Luft, sage ich Ihnen, wie eine hilflose Marionette an feinen FÄden, -
an FÄden,  die ich zupfe, - hÃren Sie  wohl,  die ich zupfe,  und mit dessen
freiem Willen ist's dahin."
     Der Student redete wie im Fieber, und ich sah ihm entsetzt ins Gesicht.
     "Was haben Ihnen  Wassertrum  und sein Sohn denn getan, dañ Sie so voll
Hañ sind?"
     Charousek wehrte heftig ab:
     "Lassen wir das - fragen Sie lieber, was Dr. Wassory den Hals gebrochen
hat! -  Oder wØnschen  Sie, dañ  wir ein andres  Mal darØber sprechen? - Der
Regen hat nachgelassen. Vielleicht wollen Sie nach Hause gehen?"
     Er senkte seine Stimme, wie jemand,  der plÃtzlich ganz ruhig wird. Ich
schØttelte den Kopf.
     "Haben  Sie jemals  gehÃrt, wie man heutzutage den grØnen Star heilt? -
Nicht?  - So muñ  ich  Ihnen  das  deutlich  machen, damit  Sie alles  genau
verstehen, Meister Pernath!
     HÃren  Sie zu: Der ›grØne Star‹  also ist eine bÃsartige Erkrankung des
Augeninnern,  die  mit  Erblinden  endet,  und  es gibt nur ein  Mittel, dem
Fortschreiten des øbels Einhalt  zu tun, nÄmlich die sogenannte Iridektomie,
die darin besteht, dañ man aus der Regenbogenhaut des Auges ein keilfÃrmiges
StØckchen herauszwickt.
     Die    unvermeidlichen    Folgen    davon    sind    wohl     greuliche
Blendungserscheinungen,  die  fØrs  ganze  Leben  bleiben;  der  Prozeñ  des
Erblindens jedoch ist meistens aufgehalten.
     Mit der Diagnose des grØnen Stars hat es aber eine eigene Bewandtnis.
     Es gibt  nÄmlich Zeiten,  besonders bei Beginn  der  Krankheit, wo  die
deutlichsten  Symptome  scheinbar ganz zurØcktreten, und  in  solchen FÄllen
darf  ein Arzt, obwohl er keine Spur einer  Krankheit  finden  kann, dennoch
niemals  mit Bestimmtheit  sagen, dañ  sein VorgÄnger,  der  andrer  Meinung
gewesen, sich notwendigerweise geirrt haben mØsse.
     Hat aber einmal die erwÄhnte Iridektomie, die sich natØrlich genauso an
einem gesunden Auge wie an  einem  kranken ausfØhren lÄñt, stattgefunden, so
kann  man  unmÃglich  mehr  feststellen,  ob  frØher  wirklich  grØner  Star
vorgelegen hat oder nicht.
     Und  auf  diese  und  noch  andere  UmstÄnde  hatte Dr.  Wassory  einen
scheuñlichen Plan aufgebaut.
     UnzÄhlige Male - besonders an  Frauen - konstatierte er grØnen Star, wo
harmlose SehstÃrungen vorlagen, nur um zu einer Operation zu kommen, die ihm
keine MØhe machte und viel Geld eintrug.
     Da endlich  hatte er vollkommen Wehrlose in der  Hand; da  gehÃrte  zum
AusplØndern auch keine Spur von Mut mehr!
     Sehen Sie, Meister Pernath,  da  war das degenerierte  Raubtier in jene
Lebensbedingungen  versetzt,  wo es auch  ohne Waffe  und Kraft  seine Opfer
zerfleischen konnte.
     Ohne etwas aufs Spiel  zu setzen! - Begreifen Sie?! Ohne das  geringste
wagen zu mØssen!
     Durch eine Menge fauler  VerÃffentlichungen  in FachblÄttern hatte sich
Dr.  Wassory  in  den  Ruf  eines  hervorragenden  Spezialisten  zu   setzen
verstanden und  sogar  seinen  Kollegen,  die  viel zu arglos und  anstÄndig
waren, um ihn zu durchschauen, Sand in die Augen zu streuen gewuñt.
     Ein  Strom  von  Patienten,  die  alle bei ihm  Hilfe  suchten, war die
natØrliche Folge.
     Kam  nun  jemand mit geringfØgigen SehstÃrungen  zu ihm und  lieñ  sich
untersuchen, so ging  Dr.  Wassory  sofort mit  tØckischer PlanmÄñigkeit  zu
Werke.
     Zuerst stellte er das Øbliche KrankenverhÃr an, notierte aber geschickt
immer nur, um fØr  alle  FÄlle gedeckt  zu  sein, jene  Antworten, die  eine
Deutung auf grØnen Star zulieñen.
     Und  vorsichtig  sondierte er, ob  nicht  schon  eine frØhere  Diagnose
vorlÄge.
     GesprÄchsweise  lieñ er  einflieñen, dañ  ein  dringender  Ruf aus  dem
Auslande behufs wichtiger wissenschaftlicher Mañnahmen an ihn  ergangen  sei
und er daher schon morgen verreisen mØsse. -
     Bei  der Augenspiegelung mit elektrischen Lichtstrahlen, die  er sodann
vornahm, bereitete er dem Kranken absichtlich so viel Schmerzen wie mÃglich.
     Alles mit Vorbedacht! Alles mit Vorbedacht!
     Wenn das VerhÃr  vorØber und die  Øbliche bange Frage des Patienten, ob
Grund  zur BefØrchtung vorhanden  sei,  erfolgt war,  da tat  Wassory seinen
ersten Schachzug.
     Er setzte sich dem Kranken gegenØber, lieñ eine Minute verstreichen und
sprach dann gemessen und mit sonorer Stimme den Satz:
     "Erblindung  beider Augen  ist bereits in  der allernÄchsten Zeit  wohl
unvermeidlich!"
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     Die Szene, die naturgemÄñ folgte, war entsetzlich.
     Oft fielen  die Leute in Ohnmacht, weinten und  schrien und warfen sich
in wilder Verzweiflung zu Boden.
     Das Augenlicht verlieren, heiñt alles verlieren.
     Und  wenn der wiederum Øbliche  Moment eintrat,  wo  das arme Opfer die
Knie Dr. Wassorys umklammerte und flehte, ob  es  denn auf Gottes  Erde  gar
keine  Hilfe  mehr  gÄbe,  da  tat  die  Bestie den  zweiten  Schachzug  und
verwandelte sich selbst in jenen - Gott, der helfen konnte!
     Alles, alles in der Welt ist wie ein Schachzug, Meister Pernath! -
     Schleunigste  Operation,  sagte Dr. Wassory dann  nachdenklich, sei das
einzige,  was vielleicht  Rettung  bringen  kÃnne,  und  mit  einer  wilden,
gierigen Eitelkeit, die plÃtzlich  Øber ihn  kam,  erging er  sich mit einem
Redeschwall  in  weitschweifigem  Ausmalen dieses und jenes Falles, die alle
mit dem  vorliegenden eine ungemein groñe  ähnlichkeit  gehabt hÄtten, - wie
unzÄhlige  Kranke  ihm  allein die Erhaltung des Augenlichts verdankten  und
dergleichen mehr.
     Er  schwelgte fÃrmlich  in  dem  GefØhl,  fØr  eine  Art hÃheren Wesens
gehalten  zu werden,  in dessen HÄnde das Wohl  und Wehe seines  Mitmenschen
gelegt ist.
     Das hilflose Opfer aber sañ, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen
vor ihm, Angstschweiñ auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede
zu  fallen, aus Furcht: ihn -  den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte -
zu erzØrnen.
     Und mit den Worten, dañ er zur Operation leider erst in einigen Monaten
schreiten  kÃnne, wenn er  von seiner  Reise wieder  zurØck sei, schloñ  Dr.
Wassory seine Rede.
     Hoffentlich - man solle in solchen FÄllen immer das Beste hoffen  - sei
es dann nicht zu spÄt, sagte er.
     NatØrlich  sprangen dann die  Kranken entsetzt auf, erklÄrten,  dañ sie
unter gar  keinen UmstÄnden  auch  nur einen Tag lÄnger warten  wollten, und
baten flehentlich  um Rat, wer von den andern AugenÄrzten in der Stadt sonst
wohl als Operateur in Betracht kommen kÃnnte.
     Da war  der Augenblick  gekommen,  wo  Dr. Wassory  den  entscheidenden
Schlag fØhrte.
     Er ging in tiefem Nachdenken auf und  ab, legte  seine  Stirn in Falten
des  Grams  und  lispelte schlieñlich bekØmmert,  ein Eingriff seitens eines
andern Arztes bedinge  leider  eine  abermalige  Bespiegelung des Auges  mit
elektrischem Licht,  und  das  mØsse  - der  Patient  wisse  ja  selbst, wie
schmerzhaft es sei -  wegen der blendenden Strahlen geradezu  verhÄngnisvoll
wirken.
     Ein  andrer  Arzt also, ganz abgesehen davon, dañ  so manchem von ihnen
gerade  in der  Iridektomie die  nÃtige  øbung  fehle -  dØrfe, eben weil er
wiederum von neuem  untersuchen mØsse,  gar nicht vor Ablauf  lÄngerer Zeit,
bis sich die Sehnerven wieder erholt hÄtten, zu einem chirurgischen Eingriff
schreiten."
     Charousek ballte die FÄuste.
     "Das  nennen  wir  in  der  Schachsprache  ›Zugzwang‹,  lieber  Meister
Pernath! - - Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang, - ein erzwungener Zug
nach dem andern.
     Halb  wahnsinnig  vor Verzweiflung  beschwor  nun der  Patient den  Dr.
Wassory,  er  mÃge  doch  Erbarmen  haben,  einen  Tag  nur   seine  Abreise
verschieben und die  Operation selber  vornehmen.  - Es  handle sich doch um
mehr  als  um  schnellen   Tod,  die  grauenhafte,  folternde  Angst,  jeden
Augenblick erblinden zu  mØssen,  sei  ja  das  Schrecklichste, was es geben
kÃnne.
     Und  je  mehr  das  Scheusal sich strÄubte und jammerte:  ein  Aufschub
seiner Reise kÃnne  ihm unabsehbaren  Schaden bringen,  desto  hÃhere Summen
boten freiwillig die Kranken.
     Schien schlieñlich  die  Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er  nach und
fØgte bereits am selben Tage,  ehe noch ein  Zufall  seinen  Plan  aufdecken
konnte,  den  Bedauernswerten  an beiden gesunden  Augen  jenen  unheilbaren
Schaden  zu, jenes immerwÄhrende GefØhl des Geblendetseins, das das Leben zu
stetiger Qual gestalten muñte, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein fØr
allemal verwischte.
     Durch  solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht
nur seinen Ruhm  und seinen Ruf  als  unvergleichlicher  Arzt,  dem es  noch
jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten, - es befriedigte
gleichzeitig seine mañlose  Geldgier und frÃnte  seiner Eitelkeit, wenn  die
ahnungslosen, an KÃrper  und VermÃgen geschÄdigten Opfer zu ihm wie zu einem
Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen.
     Nur  ein Mensch, der  mit  allen  Fasern im Getto und seinen zahllosen,
unscheinbaren,  jedoch   unØberwindlichen  Hilfsquellen   wurzelte  und  von
Kindheit an gelernt hat, auf  der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden
Menschen in  der Stadt kannte  und  bis  ins kleinste  seine Beziehungen und
VermÃgensverhÄltnisse   erriet  und  durchschaute,  -  nur   ein  solcher  -
"Halbhellseher" mÃchte man es beinahe  nennen, - konnte jahrelang  derartige
Scheuñlichkeiten verØben.
     Und  wÄre  ich nicht  gewesen, bis heute triebe  er sein Handwerk noch,
wØrde es  bis  ins  hohe  Alter  weiterbetrieben haben, um  schlieñlich  als
ehrwØrdiger  Patriarch im  Kreise seiner  Lieben, angetan  mit hohen  Ehren,
kØnftigen  Geschlechtern  ein  leuchtendes  Vorbild,  seinen  Lebensabend zu
genieñen, bis  - bis endlich auch Øber ihn das groñe Verrecken hinweggezogen
wÄre.
     Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener
AtmosphÄre hÃllischer List gesÄttigt,  und so vermochte  ich ihn  zu Fall zu
bringen, - so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen, - wie aus
heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft.
     Dr.  Savioli,  ein  junger  deutscher  Arzt,   hat  das  Verdienst  der
Entlarvung, -  ihn  schob ich vor  und hÄufte Beweis auf Beweis, bis der Tag
anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte.
     Da beging die Bestie Selbstmord! - Gesegnet sei die Stunde!
     Als  hÄtte  mein  DoppelgÄnger  neben  ihm  gestanden und ihm  die Hand
gefØhrt, nahm  er  sich  das  Leben  mit  jener Phiole  Amylnitrit, die  ich
absichtlich  in  seinem   Ordinationszimmer   bei   der   Gelegenheit  hatte
stehenlassen, als ich selbst ihn einmal  verleitet, auch an mir  die falsche
Diagnose des grØnen Stars  zu stellen, - absichtlich und  mit dem  glØhenden
Wunsche, dañ es  dieses  Amylnitrit sein mÃchte,  das  ihm  den letzten Stoñ
geben sollte.
     Der Gehirnschlag hÄtte ihn getroffen, hieñ es in der Stadt.
     Amylnitrit tÃtet, eingeatmet, wie Gehirnschlag.  Aber  lange konnte das
GerØcht nicht aufrechterhalten werden."
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     Charousek  starrte plÃtzlich geistesabwesend, als habe er  sich in  ein
tiefes  Problem verloren,  vor sich hin, dann  zuckte er mit der Achsel nach
der Richtung, wo Aaron Wassertrums TrÃdlerladen lag.
     "Jetzt ist er allein,"  murmelte er, "ganz allein mit seiner Gier und -
und - und mit der Wachspuppe!"
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     Mir schlug das Herz bis zum Hals.
     Ich sah Charousek voll Entsetzen an.
     War er wahnsinnig? Es muñten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge
erfinden lieñen.
     Gewiñ, gewiñ! Er hat alles erfunden, getrÄumt!
     Es  kann nicht wahr  sein,  was  er da  Øber den Augenarzt Grauenhaftes
erzÄhlt  hat.  Er  ist schwindsØchtig, und die Fieber  des Todes  kreisen in
seinem Hirn.
     Und  ich  wollte ihn mit ein paar scherzenden  Worten beruhigen,  seine
Gedanken in eine freundliche Richtung lenken.
     Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung
das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein
Zimmer  mit  runden  Fischaugen  durch  die aufgerissene TØr  hereingeschaut
hatte.
     Dr.  Savioli!  Dr.  Savioli! - ja, ja, so war auch  der Name des jungen
Mannes gewesen, den mir  der Marionettenspieler  Zwakh  flØsternd anvertraut
als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte.
     Dr. Savioli! -  Wie  ein Schrei tauchte es in meinem  Innern auf.  Eine
Reihe  nebelhafter   Bilder  zuckte  durch  meinen  Geist,  jagte  sich  mit
schreckhaften Vermutungen, die auf mich einstØrmten.
     Ich wollte Charousek fragen,  ihm  voll Angst rasch alles erzÄhlen, was
ich  damals  erlebt, da sah ich, dañ ein heftiger  Hustenanfall  sich seiner
bemÄchtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie
er  sich  mØhsam  mit  den  HÄnden  an  der  Mauer  stØtzend  in  den  Regen
hinaustappte und mir einen flØchtigen Gruñ zunickte.
     Ja,  ja,  er hat  recht, er sprach nicht im Fieber, - fØhlte ich, - das
unfañbare Gespenst des Verbrechens ist  es, das durch diese Gassen schleicht
Tag und Nacht und sich zu verkÃrpern sucht.
     Es liegt in der Luft, und wir sehen es nicht. PlÃtzlich schlÄgt es sich
nieder in einer Menschenseele, - wir ahnen es nicht, - da, dort, und ehe wir
es fassen kÃnnen, ist es gestaltlos geworden und alles lÄngst vorØber.
     Und  nur  noch  dunkle Worte  Øber irgendein  entsetzliches  Geschehnis
kommen an uns heran.
     Mit einem  Schlage begriff ich diese  rÄtselhaften GeschÃpfe, die rings
um  mich  wohnten, in  ihrem innersten  Wesen: sie treiben  willenlos durchs
Dasein  von einem unsichtbaren magnetischen Strom  belebt - - so, wie vorhin
das Brautbukett in dem schmutzigen Rinnsal vorØberschwamm.
     Mir war, als  starrten die HÄuser alle mit  tØckischen  Gesichtern voll
namenloser  Bosheit  auf  mich herØber, -  die  Tore:  aufgerissene schwarze
MÄuler,  aus  denen  die  Zungen  ausgefault  waren,  -  Rachen,  die  jeden
Augenblick   einen  gellenden  Schrei  ausstoñen  konnten,  so  gellend  und
hañerfØllt, dañ es uns bis ins Innerste erschrecken mØñte.
     Was hatte zum Schluñ noch  der Student  Øber den  TrÃdler gesagt? - Ich
flØsterte  mir  seine  Worte vor: -  Aaron  Wassertrum sei  jetzt allein mit
seiner Gier und - - seiner Wachspuppe.
     Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben?
     Es muñ  ein Gleichnis gewesen  sein, beschwichtigte ich  mich,  - eines
jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen  zu Øberfallen pflegt, die
man nicht versteht,  und  die einen,  wenn sie  spÄter  unerwartet  sichtbar
werden, so tieferschrecken kÃnnen wie die  Dinge  von ungewohnter  Form, auf
die plÃtzlich ein greller Lichtstreif fÄllt.
     Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck,
den mir Charouseks ErzÄhlung verursacht hatte, abzuschØtteln.
     Ich sah die  Leute genauer  an, die mit  mir in dem Hausflur  warteten:
Neben  mir  stand jetzt  der dicke  Alte. Derselbe, der vorhin  so widerlich
gelacht hatte.
     Er  hatte einen  schwarzen  Gehrock an  und  Handschuhe und starrte mit
vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegenØber.
     Sein  glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen ZØgen zuckte vor
Erregung.
     UnwillkØrlich  folgte ich  seinen  Blicken und bemerkte,  dañ  sie  wie
gebannt  an der rothaarigen Rosina hingen,  die drØben  jenseits  der  Gasse
stand, ihr immerwÄhrendes LÄcheln um die Lippen.
     Der Alte war bemØht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, dañ sie es wohl
wuñte, aber sich benahm, als verstØnde sie nicht.
     Endlich hielt es der Alte nicht lÄnger aus, watete  auf den  Fuñspitzen
hinØber  und hØpfte  mit lÄcherlicher ElastizitÄt  wie ein  groñer schwarzer
Gummiball Øber die PfØtzen.
     Man schien ihn zu kennen, denn ich hÃrte allerhand Glossen fallen,  die
darauf hinzielten. Ein  Strolch  hinter mir, ein rotes, gestricktes  Tuch um
den Hals, mit  blauer MilitÄrmØtze, die Virginia hinter dem Ohr,  machte mit
grinsendem Mund Anspielungen, die ich nicht verstand.
     Ich  begriff nur, dañ sie den Alten in der  Judenstadt den "Freimaurer"
nannten  und  in  ihrer  Sprache mit  diesem  Spitznamen  jemand  bezeichnen
wollten, der sich an halbwØchsigen MÄdchen  zu vergehen  pflegt, aber  durch
intime Beziehungen zur Polizei vor jeder Strafe sicher ist. - - -
     Dann  waren  das Gesicht  Rosinas und  der  Alte drØben  im  Dunkel des
Hausflures verschwunden.

     Wir  hatten das Fenster geÃffnet, um den Tabakrauch aus meinem  kleinen
Zimmer strÃmen zu lassen.
     Der kalte Nachtwind blies herein und  wehte an die zottigen MÄntel, die
an der TØre hingen, dañ sie leise hin und her schwankten.
     "Prokops wØrdige Haupteszierde mÃchte am liebsten  davonfliegen", sagte
Zwakh und deutete auf des Musikers  groñen Schlapphut, der die breite Krempe
bewegte wie schwarze FlØgel.
     Josua Prokop zwinkerte lustig mit den Augenlidern.
     "Er will," sagte er, "er will wahrscheinlich - - -"
     "Er will zum  ›Loisitschek‹ zur Tanzmusik",  nahm  ihm Vrieslander  das
Wort vorweg.
     Prokop lachte und schlug mit  der Hand den Takt zu den KlÄngen, die die
dØnne Winterluft her Øber die DÄcher trug.
     Dann  nahm  er meine alte, zerbrochene  Gitarre von der Wand, tat,  als
zupfe  er  die  zerbrochenen Saiten  und sang  mit  kreischendem Falsett und
gespreizter Betonung in Rotwelsch ein wunderliches Lied:
     "An Bein-del von Ei-sen
     recht alt
     "An Stran-zen net gar
     a so kalt
     "Messinung, a' RÄucherl
     und Rohn
     "und immerrr nurr putz-en - - -
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     "Wie  groñartig er mit einem  Mal  die  Gaunersprache  beherrscht!" und
Vrieslander lachte laut auf und brummte mit:
     "Und stok-en sich Aufzug
     und Pfiff
     "Und schmallern an eisernes
     G'sØff.
     "Juch, -
     "Und Handschuhkren, Harom net san - -
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     "Dieses  kuriose  Lied  schnarrt  jeden  Abend beim  ›Loisitschek‹  der
meschuggene  Nephtali  Schaffranek  mit  dem  grØnen  Augenschirm,  und  ein
geschminktes Weibsbild spielt Harmonika und grÃlt den  Text dazu",  erklÄrte
mir Zwakh. "Sie sollten auch einmal mit uns in diese Schenke gehen,  Meister
Pernath. SpÄter vielleicht,  wenn  wir  mit dem Punsch zu Ende  sind,  - was
meinen Sie? Zur Feier Ihres heutigen Geburtstages?"
     "Ja, ja, kommen Sie nachher  mit  uns", sagte  Prokop  und  klinkte das
Fenster zu, - "man muñ so etwas gesehen haben."
     Dann tranken wir den heiñen Punsch und hingen unsern Gedanken nach.
     Vrieslander schnitzte an einer Marionette.
     "Sie  haben  uns  fÃrmlich  von  der Auñenwelt  abgeschnitten,  Josua,"
unterbrach  Zwakh die Stille,  "seit Sie das Fenster geschlossen haben,  hat
niemand mehr ein Wort gesprochen."
     "Ich  dachte nur  darØber  nach, als  vorhin die  MÄntel so flogen, wie
seltsam  es  ist,  wenn der Wind  leblose  Dinge  bewegt," antwortete Prokop
schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: "Es sieht gar
so wunderlich aus, wenn GegenstÄnde plÃtzlich zu flattern anheben, die sonst
immer tot daliegen. Nicht? - Ich  sah einmal auf einem menschenleeren  Platz
zu, wie groñe Papierfetzen, - ohne dañ  ich vom Winde etwas spØrte, denn ich
stand durch  ein Haus gedeckt, - in  toller Wut  im Kreise  herumjagten  und
einander  verfolgten,  als  hÄtten  sie  sich  den  Tod  geschworen.   Einen
Augenblick spÄter schienen  sie sich beruhigt  zu haben, aber plÃtzlich  kam
wieder eine wahnwitzige Erbitterung Øber sie, und in sinnlosem Grimm  rasten
sie umher,  drÄngten  sich in einen Winkel  zusammen,  um von neuem besessen
auseinander zu stieben und schlieñlich hinter einer Ecke zu verschwinden.
     Nur eine  dicke  Zeitung  konnte nicht mitkommen;  sie  blieb  auf  dem
Pflaster liegen und klappte hañerfØllt  auf und  zu,  als sei  ihr  der Atem
ausgegangen und als schnappe sie nach Luft.
     Ein dunkler  Verdacht stieg damals in mir auf:  was,  wenn am  Ende wir
Lebewesen auch so etwas ähnliches wÄren wie solche Papierfetzen? -  Ob nicht
vielleicht  ein  unsichtbarer, unbegreiflicher  "Wind"  auch uns hin und her
treibt und unsre Handlungen bestimmt, wÄhrend wir in unserer Einfalt glauben
unter eigenem, freiem Willen zu stehen?
     Wie,  wenn das Leben in uns nichts  anderes  wÄre als  ein rÄtselhafter
Wirbelwind? Jener  Wind,  von dem  die  Bibel  sagt: Weiñt du, von wannen er
kommt und wohin er geht? - - - TrÄumen wir nicht auch zuweilen, wir  griffen
in  tiefes  Wasser  und fingen  silberne  Fische,  und  nichts  anderes  ist
geschehen, als dañ ein kalter Luftzug unsere HÄnde traf?"
     "Prokop, Sie  sprechen in  Worten  wie Pernath, was ist's  mit  Ihnen?"
sagte Zwakh und sah den Musiker miñtrauisch an.
     "Die Geschichte vom Buch Ibbur, die vorhin erzÄhlt wurde, - schade, dañ
Sie so  spÄt kamen und  sie nicht  mit anhÃrten,  - hat ihn  so nachdenklich
gestimmt", meinte Vrieslander.
     "Eine Geschichte von einem Buche?"
     "Eigentlich von  einem  Menschen,  der  ein Buch  brachte  und  seltsam
aussah. - Pernath weiñ nicht, wie er heiñt, wo  er wohnt, was er wollte, und
obwohl sein Aussehen sehr auffallend gewesen  sein soll,  lasse es sich doch
nicht recht schildern."
     Zwakh horchte auf.
     *"Das ist sehr merkwØrdig," sagte er  nach einer Pause, "war der Fremde
vielleicht bartlos, und hatte er schrÄgstehende Augen?"
     "Ich  glaube," antwortete ich, "das heiñt, ich -  ich  - weiñ  es  ganz
bestimmt. Kennen Sie ihn denn?"
     Der Marionettenspieler schØttelte  den Kopf. "Er erinnerte mich nur  an
den ›Golem‹."
     Der Maler Vrieslander lieñ sein Schnitzmesser sinken:
     "Golem? - Ich habe  schon so viel davon reden  hÃren. Wissen Sie  etwas
Øber den Golem, Zwakh?"
     "Wer kann sagen, dañ  er Øber den Golem etwas wisse?", antwortete Zwakh
und zuckte die Achseln. "Man verweist ihn ins Reich der Sage, bis sich eines
Tages in  den  Gassen  ein  Ereignis  vollzieht,  das ihn  plÃtzlich  wieder
aufleben  lÄñt. Und  eine  Zeitlang spricht  dann  jeder  von  ihm,  und die
GerØchte wachsen ins Ungeheuerliche. Werden so Øbertrieben und aufgebauscht,
dañ  sie schlieñlich an der  eigenen UnglaubwØrdigkeit zugrunde  gehen.  Der
Ursprung der  Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zurØck, sagt
man. Nach verlorengegangenen  Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner  da
einen kØnstlichen Menschen - den sogenannten Golem - verfertigt haben, damit
er  ihm  als Diener helfe  die Glocken in der Synagoge lÄuten, und allerhand
grobe Arbeit tue.
     Es  sei  aber doch kein  richtiger Mensch daraus  geworden  und nur ein
dumpfes, halbbewuñtes Vegetieren habe ihn belebt. Wie es heiñt, auch das nur
tagsØber und kraft des  Einflusses eines  magischen Zettels, der ihm  hinter
den ZÄhnen stak und die freien siderischen KrÄfte des Weltalls herabzog.
     Und als eines Abends vor dem Nachtgebet der Rabbiner das Siegel aus dem
Munde des Golem zu nehmen versÄumt, da wÄre dieser in Tobsucht verfallen, in
der Dunkelheit durch die Gassen gerast und hÄtte zerschlagen, was ihm in den
Weg gekommen.
     Bis der Rabbi sich ihm entgegengeworfen und den Zettel vernichtet habe.
     Und da  sei das GeschÃpf leblos  niedergestØrzt.  Nichts blieb  von ihm
Øbrig   als   die  zwerghafte  Lehmfigur,  die  heute  noch  drØben  in  der
Altneusynagoge gezeigt wird."
     "Derselbe  Rabbiner soll einmal  auch  zum Kaiser  auf die Burg berufen
worden  sein  und  die Schemen  der  Toten  beschworen und  sichtbar gemacht
haben,"  warf Prokop ein,  "moderne  Forscher behaupten, er habe  sich  dazu
einer Laterna magica bedient."
     "Jawohl,  keine ErklÄrung ist  abgeschmackt  genug,  dañ  sie  bei  den
Heutigen  nicht Beifall fÄnde,"  fuhr Zwakh  unbeirrt fort. - "Eine  Laterna
magica!!  Als  ob  Kaiser  Rudolf,  der  sein  ganzes Leben  solchen  Dingen
nachging, einen  so  plumpen  Schwindel  nicht auf  den  ersten  Blick hÄtte
durchschauen mØssen!
     Ich kann  freilich nicht wissen, worauf sich die Golemsage zurØckfØhren
lÄñt, dañ  aber irgend etwas, was nicht sterben kann, in diesem Stadtviertel
sein  Wesen  treibt  und  damit  zusammenhÄngt, dessen  bin  ich sicher. Von
Geschlecht  zu  Geschlecht haben meine Vorfahren hier  gewohnt,  und niemand
kann wohl  auf  mehr  erlebte und ererbte Erinnerungen  an  das  periodische
Auftauchen des Golem zurØckblicken als gerade ich!"
     Zwakh hatte  plÃtzlich  aufgehÃrt zu reden, und man fØhlte mit ihm, wie
seine Gedanken in vergangene Zeiten zurØckwanderten.
     Wie er, den Kopf aufgestØtzt,  dort am  Tische sañ und beim Scheine der
Lampe  seine  roten, jugendlichen  BÄckchen fremdartig von  dem  weiñen Haar
abstachen,  verglich  ich  unwillkØrlich  im  Geiste  seine  ZØge   mit  den
maskenhaften Gesichtern seiner Marionetten, die er mir so oft gezeigt.
     Seltsam, wie Ähnlich ihnen der alte Mann doch sah!
     Derselbe Ausdruck und derselbe Gesichtsschnitt!
     Manche Dinge  der Erde kÃnnen nicht loskommen voneinander,  fØhlte ich,
und wie ich Zwakhs einfaches Schicksal an mir vorØberziehen lieñ,  da schien
es mir mit  einemmal gespenstisch und  ungeheuerlich, dañ ein Mensch wie er,
obschon er  eine  bessere Erziehung als seine Vorfahren  genossen hatte  und
Schauspieler  hÄtte  werden   sollen,  plÃtzlich  wieder  zu  dem  schÄbigen
Marionettenkasten zurØckkehren konnte, um nun abermals auf die JahrmÄrkte zu
ziehen  und  dieselben  Puppen,  die   schon  seiner  VorvÄter  kØmmerliches
Erwerbsmittel gewesen, von  neuem  ihre ungelenken  Verbeugungen machen  und
schlÄfrigen Erlebnisse vorfØhren zu lassen.
     Er vermag es  nicht, sich von ihnen zu trennen, begriff ich;  sie leben
mit von seinem  Leben, und als  er fern von ihnen war, da haben sie  sich in
Gedanken verwandelt, haben  in seinem Hirn gewohnt und ihn rast- und ruhelos
gemacht, bis er wieder heimkehrte. Darum hÄlt  er sie jetzt so liebevoll und
kleidet sie stolz in Flitter.
     "Zwakh, wollen Sie uns nicht weitererzÄhlen?" forderte Prokop den Alten
auf und  sah fragend  nach Vrieslander und mir  hin, ob  auch  wir  gleichen
Wunsches seien.
     "Ich weiñ nicht, wo ich anfangen soll,"  meinte  der Alte zÃgernd, "die
Geschichte mit dem  Golem  lÄñt sich schwer fassen.  So  wie Pernath  vorhin
sagte:  er wisse genau, wie jener Unbekannte ausgesehen habe, und doch kÃnne
er ihn nicht  schildern. UngefÄhr alle  dreiunddreiñig Jahre wiederholt sich
ein  Ereignis in unsern Gassen, das gar nichts besonders Aufregendes an sich
trÄgt  und  dennoch ein Entsetzen  verbreitet, fØr  das weder eine ErklÄrung
noch eine Rechtfertigung ausreicht:
     Immer wieder begibt es sich nÄmlich, dañ ein vollkommen fremder Mensch,
bartlos,  von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus,  aus der Richtung
der  Altschulgasse   her,  in  altmodische,  verschossene  Kleider  gehØllt,
gleichmÄñigen und  eigentØmlich stolpernden Ganges, so, als wolle  er  jeden
Augenblick  vornØber fallen, durch  die Judenstadt schreitet und plÃtzlich -
unsichtbar wird.
     GewÃhnlich biegt er in eine Gasse und ist dann verschwunden.
     Ein andermal heiñt es,  er habe auf seinem Wege einen Kreis beschrieben
und  sei zu dem Punkte  zurØckgekehrt, von dem er ausgegangen: einem uralten
Hause in der NÄhe der Synagoge.
     Einige Aufgeregte wiederum behaupten, sie  hÄtten  ihn um eine Ecke auf
sich    zukommen   sehen.   Wiewohl    er   ihnen   aber    ganz    deutlich
entgegengeschritten, sei er dennoch, genau wie  jemand,  dessen Gestalt sich
in  weiter  Ferne  verliert,  immer  kleiner  und  kleiner  geworden  und  -
schlieñlich ganz verschwunden.
     Vor Sechsundsechzig Jahren nun muñ der Eindruck, den er hervorgebracht,
besonders tief gegangen sein, denn ich erinnere mich - ich war noch ein ganz
kleiner Junge -, dañ  man das GebÄude in der Altschulgasse damals  von  oben
bis unten durchsuchte.
     Es wurde auch festgestellt, dañ wirklich in diesem Hause ein Zimmer mit
Gitterfenster vorhanden ist, zu dem es keinen Zugang gibt.
     Aus allen Fenstern hatte man WÄsche gehÄngt, um von der Gasse aus einen
Augenschein zu gewinnen, und war auf diese Weise der Tatsache  auf  die Spur
gekommen.
     Da es  anders nicht zu  erreichen gewesen, hatte sich ein Mann an einem
Strick vom  Dache herabgelassen,  um hineinzusehen. Kaum aber  war er in die
NÄhe  des  Fensters  gelangt,  da   riñ  das  Seil,  und   der  UnglØckliche
zerschmetterte sich auf dem Pflaster den SchÄdel. Und als spÄter der Versuch
nochmals wiederholt werden sollte,  gingen die Ansichten  Øber die  Lage des
Fensters derart auseinander, dañ man davon abstand.
     Ich  selber begegnete dem  ›Golem‹ das erste  Mal  in  meinem Leben vor
ungefÄhr dreiunddreiñig Jahren.
     Er kam in einem sogenannten Durchhause  auf mich zu,  und  wir  rannten
fast aneinander.
     Es ist mir heute noch unbegreiflich, was damals in mir vorgegangen sein
muñ. Man  trÄgt doch  um Gottes willen nicht immerwÄhrend, tagaus tagein die
Erwartung mit sich herum, man werde dem Golem begegnen.
     In jenem Augenblick aber, bestimmt - ganz bestimmt, noch ehe ich seiner
ansichtig werden konnte, schrie etwas in mir gellend auf: der  Golem! Und im
selben  Moment stolperte  jemand aus dem Dunkel  des  Torflures  hervor, und
jener  Unbekannte ging  an mir  vorØber. Eine Sekunde spÄter drang eine Flut
bleicher,  aufgeregter   Gesichter  mir  entgegen,  die   mich  mit   Fragen
bestØrmten, ob ich ihn gesehen hÄtte.
     Und  als ich  antwortete, da fØhlte ich, dañ sich meine  Zunge wie  aus
einem Krampfe lÃste, von dem ich vorher nichts gespØrt hatte.
     Ich war fÃrmlich Øberrascht, dañ ich mich  bewegen konnte, und deutlich
kam  mir  zum Bewuñtsein, dañ ich mich,  wenn auch  nur  den Bruchteil eines
Herzschlags lang - in einer Art Starrkrampf befunden haben muñte.
     øber all das habe  ich oft und  lange  nachgedacht, und mich dØnkt, ich
komme  der  Wahrheit  am nÄchsten,  wenn ich sage: Immer einmal  in der Zeit
eines  Menschenalters geht  blitzschnell  eine  geistige  Epidemie durch die
Judenstadt,  befÄllt  die Seelen  der Lebenden zu irgendeinem Zweck, der uns
verhØllt  bleibt,  und  lÄñt  wie  eine  Luftspiegelung  die  Umrisse  eines
charakteristischen  Wesens  erstehen, das  vielleicht  vorjahrhunderten hier
gelebt hat und nach Form und Gestaltung dØrstet.
     Vielleicht ist es  mitten unter uns,  Stunde fØr Stunde, und wir nehmen
es nicht wahr.  HÃren  wir  doch  auch den Ton einer schwirrenden Stimmgabel
nicht, bevor sie das Holz berØhrt und es mitschwingen macht.
     Vielleicht  ist  es nur so  etwas  wie  ein seelisches  Kunstwerk, ohne
innewohnendes  Bewuñtsein, - ein Kunstwerk, das entsteht,  wie  ein Kristall
nach stets sich gleichbleibendem Gesetz aus dem Gestaltlosen herauswÄchst.
     Wer weiñ das?
     Wie  in   schwØlen  Tagen  die  elektrische  Spannung   sich   bis  zur
UnertrÄglichkeit steigert und endlich  den Blitz gebiert, kÃnnte es da nicht
sein, dañ auch auf die stetige AnhÄufung jener niemals wechselnden Gedanken,
die hier  im Getto die Luft  vergiften, eine plÃtzliche, ruckweise Entladung
folgen  muñ? -  eine  seelische Explosion,  die  unser  Traumbewuñtsein  ans
Tageslicht peitscht, um -  dort den  Blitz  der Natur - hier ein Gespenst zu
schaffen, das in Mienen, Gang und Gehaben, in allem und jedem das Symbol der
Massenseele  unfehlbar  offenbaren  mØñte, wenn man die geheime  Sprache der
Formen nur richtig zu deuten verstØnde?
     Und wie mancherlei  Erscheinungen das Einschlagen des Blitzes ankØnden,
so  verraten   auch  hier   gewisse   grauenhafte  Vorzeichen  das  drohende
Hereinbrechen jenes Phantoms ins  Reich der  Tat.  Der  abblÄtternde  Bewurf
einer  alten  Mauer nimmt eine Gestalt an, die  einem  schreitenden Menschen
gleicht; und in Eisblumen am Fenster bilden sich ZØge starrer Gesichter. Der
Sand  vom  Dache   scheint  anders  zu  fallen  als  sonst  und  drÄngt  dem
argwÃhnischen Beobachter den Verdacht auf, eine unsichtbare Intelligenz, die
sich lichtscheu verborgen hÄlt, werfe ihn herab  und Øbe  sich in heimlichen
Versuchen,  allerlei  seltsame Umrisse hervorzubringen. - Ruht  das Auge auf
eintÃnigem Geflecht oder den Unebenheiten der  Haut, bemÄchtigt  sich  unser
die unerfreuliche Gabe, Øberall mahnende, bedeutsame Formen zu sehen, die in
unsern TrÄumen ins Riesengroñe auswachsen. Und immer zieht sich durch solche
schemenhaften  Versuche der  angesammelten  Gedankenherden,  die  WÄlle  der
AlltÄglichkeit  zu durchnagen,  fØr uns  wie ein  roter  Faden die qualvolle
Gewiñheit, dañ  unser  eigenstes  Inneres  mit Vorbedacht  und gegen  unsern
Willen ausgesogen wird, nur damit die Gestalt des Phantoms  plastisch werden
kÃnne.
     Wie  ich  nun  vorhin  Pernath  bestÄtigen  hÃrte, dañ  ihm  ein Mensch
begegnet sei, bartlos, mit schiefgestellten Augen, da stand der "Golem"  vor
mir, wie ich ihn damals gesehen.
     Wie aus dem Boden gewachsen stand er vor mir.
     Und eine gewisse dumpfe Furcht, es  stehe  wieder  etwas UnerklÄrliches
nahe bevor, befiel mich einen Augenblick lang; dieselbe Angst, die ich schon
einmal in meinen Kinderjahren verspØrt, als die ersten spukhaften äuñerungen
des Golem ihre Schatten vorauswarfen.
     Sechsundsechzig Jahre ist  das  wohl jetzt her und knØpft sich an einen
Abend, an dem der BrÄutigam meiner Schwester  zu Besuch gekommen war, und in
der Familie der Tag der Hochzeit festgesetzt werden sollte.
     Es wurde damals Blei gegossen - zum Scherz - und ich stand mit  offenem
Munde dabei und begriff nicht, was das zu bedeuten habe, - in meiner wirren,
kindlichen Vorstellung brachte ich es in Zusammenhang mit dem Golem, von dem
ich  meinen Groñvater  oft hatte erzÄhlen hÃren, und bildete mir ein,  jeden
Augenblick mØsse die TØr aufgehen und der Unbekannte eintreten.
     Meine  Schwester leerte dann den LÃffel mit dem flØssigen Metall in das
Wasserschaff und lachte mich, der ich aufgeregt zusah, lustig an.
     Mit welken,  zitternden  HÄnden  holte mein  Groñvater  den  blitzenden
Bleiklumpen heraus  und  hielt ihn ans  Licht. Gleich  darauf entstand  eine
allgemeine  Erregung.  Man  redete  laut  durcheinander;  ich  wollte   mich
hinzudrÄngen, aber man wehrte mich ab.
     SpÄter, als ich Älter geworden, erzÄhlte mir mein Vater, es wÄre damals
das  geschmolzene  Metall zu  einem kleinen,  ganz deutlichen Kopf  erstarrt
gewesen,  -  glatt  und  rund,  wie  nach  einer  Form   gegossen,  und  von
unheimlicher ähnlichkeit mit den  ZØgen  des "Golem", dañ sich alle entsetzt
hÄtten.
     Oft sprach ich mit dem Archivar Schemajah  Hillel, der  die  Requisiten
der  Altneusynagoge  in  Verwahrung  hat  und auch die gewisse Lehmfigur aus
Kaiser Rudolfs  Zeiten, darØber.  Er hat sich mit Kabbala  befañt und meint,
jener  Erdklumpen  mit  den menschlichen  Gliedmañen sei  vielleicht  nichts
anderes  als  ein  ehemaliges  Vorzeichen, ganz so wie  in  meinem Fall  der
bleierne Kopf. Und  der Unbekannte, der da umgehe, mØsse das Phantasie- oder
Gedankenbild  sein,  das  jener  mittelalterliche  Rabbiner zuerst  lebendig
gedacht  habe,  ehe er  es mit Materie  bekleiden konnte,  und  das  nun  in
regelmÄñigen    Zeitabschnitten,    bei    den    gleichen    astrologischen
Sternstellungen, unter denen es erschaffen worden  - wiederkehre, vom Triebe
nach stofflichem Leben gequÄlt.
     Auch Hillels  verstorbene  Frau  hatte  den "Golem"  von  Angesicht  zu
Angesicht erblickt und ebenso wie ich gefØhlt, dañ man  sich im  Starrkrampf
befindet, solange das rÄtselhafte Wesen in der NÄhe weilt.
     Sie sagte, sie sei felsenfest Øberzeugt gewesen, dañ es damals nur ihre
eigene Seele habe sein kÃnnen,  die  -  aus dem KÃrper  getreten - ihr einen
Augenblick gegenØbergestanden und mit den ZØgen eines fremden GeschÃpfes ins
Gesicht gestarrt hÄtte.
     Trotz eines furchtbaren Grauens, das sich ihrer damals bemÄchtigt, habe
sie  doch keine  Sekunde die Gewiñheit verlassen, dañ jener  andere nur  ein
StØck ihres eignen Innern sein konnte." -
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     "Es ist unglaublich", murmelte Prokop in Gedanken verloren.
     Auch der Maler Vrieslander schien ganz in GrØbeln versunken.
     Da klopfte es an die TØre und das alte Weib, das mir des Abends  Wasser
bringt  und was ich sonst noch  nÃtig  habe,  trat ein, stellte den tÃnernen
Krug auf den Boden und ging stillschweigend wieder hinaus.
     Wir alle hatten aufgeblickt und sahen wie erwacht im Zimmer umher, aber
noch lange Zeit sprach niemand ein Wort.
     Als  sei ein neuer Einfluñ  mit der  Alten zur TØr hereingeschlØpft, an
den man sich erst gewÃhnen muñte.
     "Ja!  Die rothaarige Rosina, das ist auch so ein Gesicht, das man nicht
loswerden kann und aus den Winkeln und Ecken immer wieder auftauchen sieht",
sagte  plÃtzlich  Zwakh  ganz  unvermittelt.  "Dieses  erstarrte,  grinsende
LÄcheln  kenne ich nun schon ein ganzes Menschenleben. Erst die  Groñmutter,
dann die Mutter! -  Und stets das gleiche Gesicht, kein Zug anders! Derselbe
Name Rosina; - es ist immer eine die Auferstehung der andern."
     "Ist Rosina  nicht  die Tochter des TrÃdlers Aaron Wassertrum?"  fragte
ich.
     "Man spricht so", meinte Zwakh, - - "Aaron Wassertrum aber  hat manchen
Sohn und manche Tochter, von denen man nicht  weiñ. Auch bei  Rosinas Mutter
wuñte man nicht, wer ihr Vater gewesen, - auch  nicht, was aus ihr  geworden
ist. - Mit fØnfzehn Jahren hatte sie ein Kind geboren  und war seitdem nicht
mehr aufgetaucht. Ihr Verschwinden hing mit einem Mord zusammen,  soweit ich
mich entsinnen kann, der ihretwegen in diesem Hause begangen wurde.
     Wie jetzt  ihre Tochter, spukte damals  sie den halbwØchsigen Jungen im
Kopfe. Einer von ihnen lebt noch, - ich sehe ihn Ãfter, - doch sein Name ist
mir entfallen.  Die andern sind bald gestorben,  und  ich meine, sie hat sie
alle frØhzeitig  under die Erde gebracht. Ich  erinnere mich aus  jener Zeit
Øberhaupt nur noch an kurze Episoden, die wie verblichene  Bilder durch mein
GedÄchtnis  treiben.  So  hat  es  damals  einen  halbblÃdsinnigen  Menschen
gegeben, der nachts von Schenke zu Schenke zog und den GÄsten gegen ein paar
Kreuzer Silhouetten aus schwarzem Papier schnitt. Und wenn man ihn betrunken
machte,  geriet  er  in eine unsÄgliche  Traurigkeit,  und unter TrÄnen  und
Schluchzen  schnitzelte  er,  ohne  aufzuhÃren,  immer das  gleiche  scharfe
MÄdchenprofil, bis sein ganzer Papiervorrat verbraucht war.
     Aus ZusammenhÄngen zu schlieñen, die ich  lÄngst vergessen,  hatte er -
fast ein Kind noch - eine gewisse Rosina, wohl die Groñmutter  der heutigen,
so heftig geliebt, dañ er den Verstand darØber verlor.
     Wenn ich die Jahre zurØckzÄhle, kann es keine andere als die Groñmutter
der jetzigen Rosina gewesen sein." - - -
     Zwakh schwieg und lehnte sich zurØck.
     Das  Schicksal  in diesem Haus irrt  im Kreise  umher  und  kehrt immer
wieder  zum  selben  Punkt zurØck,  fuhr  es  mir durch  den Sinn,  und  ein
hÄñliches Bild,  das  ich  einmal  mit angesehen - eine Katze mit verletzter
GehirnhÄlfte im Kreise herumtaumelnd - trat vor mein Auge.
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     "Jetzt kommt der Kopf", hÃrte ich  plÃtzlich den Maler Vrieslander  mit
heller Stimme sagen.
     Und er nahm einen runden Holzklotz aus  der Tasche und begann an ihm zu
schnitzen.
     Eine  schwere MØdigkeit  legte sich mir Øber die Augen, und  ich rØckte
meinen Lehnstuhl aus dem Lichtschein in den Hintergrund.
     Das Wasser fØr den Punsch brodelte im Kessel, und Josua  Prokop  fØllte
wiederum die GlÄser.  Leise,  ganz leise  klangen die  KlÄnge der  Tanzmusik
durch  das geschlossene Fenster; - manchmal  verstummten sie  vollends, dann
wiederum wachten sie  ein wenig  auf, wie sie der Wind unterwegs verlor oder
zu uns von der Gasse emportrug.
     Ob  ich  denn nicht  anstoñen wolle,  fragte mich  nach einer Weile der
Musiker.
     Ich aber gab  keine Antwort, - so vollkommen war mir der Wille, mich zu
bewegen, abhanden gekommen, dañ ich gar nicht auf den  Gedanken, den Mund zu
Ãffnen, verfiel.
     Ich  dachte  ich  schliefe, so  steinern war die innere Ruhe,  die sich
meiner  bemÄchtigt hatte. Und ich muñte hinØber auf Vrieslanders  funkelndes
Messer blinzeln, das ruhelos  aus  dem  Holz  kleine SpÄne  biñ,  -  um  die
Gewiñheit zu erlangen, dañ ich wach sei.
     In  weiter Ferne brummte Zwakhs  Stimme und  erzÄhlte  wieder  allerlei
wunderliche Geschichten  Øber Marionetten  und  krause MÄrchen,  die  er fØr
seine Puppenspiele erdacht.
     Auch  von Dr. Savioli  war die  Rede und  von der vornehmen  Dame,  der
Gattin eines Adeligen, die in das versteckte Atelier heimlich zu Savioli  zu
Besuch komme.
     Und   wiederum  sah   ich  im   Geiste  Aaron   Wassertrums  hÃhnische,
triumphierende Miene. -
     Ob ich  Zwakh  nicht mitteilen  sollte, was sich damals ereignet hatte,
Øberlegte  ich,  -  dann  hielt  ich  es nicht  der MØhe  fØr  wert  und fØr
belanglos. Auch  wuñte ich, dañ mein Wille versagen wØrde,  wollte ich jetzt
den Versuch machen zu sprechen.
     PlÃtzlich sahen die drei am Tisch aufmerksam zu mir herØber, und Prokop
sagte ganz laut: "Er ist eingeschlafen", -  so laut, dañ  es fast klang, als
ob es eine Frage sein sollte.
     Sie redeten mit gedÄmpfter Stimme weiter, und ich erkannte, dañ sie von
mir sprachen.
     Vrieslanders  Schnitzmesser tanzte hin und her  und fing das Licht auf,
das von  der  Lampe niederfloñ, und der spiegelnde Schein brannte mir in den
Augen.
     Es fiel  ein Wort wie: "irr sein", und ich horchte auf die Rede, die in
der Runde ging.
     "Gebiete, wie  das  vom  ›Golem‹ sollte man vor Pernath  nie berØhren,"
sagte  Josua  Prokop  vorwurfsvoll, "als  er  vorhin  von  dem  Buche  Ibbur
erzÄhlte, schwiegen wir still und fragten nicht  weiter. Ich  mÃchte wetten,
er hat alles nur getrÄumt."
     Zwakh nickte: "Sie haben ganz  recht. Es ist, wie wenn man  mit offenem
Lichte  eine  verstaubte Kammer betreten wollte, in der morsche TØcher Decke
und WÄnde bespannen und der dØrre Zunder der Vergangenheit fuñhoch den Boden
bedeckt; ein flØchtiges BerØhren nur und schon schlÄgt das Feuer  aus  allen
Ecken."
     "War Pernath lange im  Irrenhaus? Schade  um  ihn, er  kann  doch  erst
vierzig sein", sagte Vrieslander.
     "Ich weiñ es nicht, ich  habe auch keine  Vorstellung, woher er stammen
mag  und was  frØher  sein Beruf gewesen  ist.  Aussehen  tut er ja wie  ein
altfranzÃsischer Edelmann mit  seiner  schlanken Gestalt und dem  Spitzbart.
Vor vielen vielen Jahren  hat mich ein befreundeter alter Arzt  gebeten, ich
mÃchte mich seiner ein wenig annehmen und ihm  eine kleine Wohnung  hier  in
diesen Gassen, wo sich  niemand um  ihn kØmmern und mit Fragen nach frØheren
Zeiten beunruhigen wØrde,  aussuchen."  -  Wieder  sah Zwakh  bewegt zu  mir
herØber. -  "Seit jener  Zeit  lebt er hier,  bessert AntiquitÄten  aus  und
schneidet Gemmen und hat  sich damit einen  kleinen  Wohlstand gegrØndet. Es
ist ein GlØck fØr ihn, dañ  er alles, was mit seinem Wahnsinn zusammenhÄngt,
vergessen zu haben scheint. Fragen Sie ihn beileibe nur niemals nach Dingen,
die  die Vergangenheit in seiner Erinnerung wachrufen kÃnnten, - wie oft hat
mir  das  der alte Arzt ans  Herz gelegt! Wissen Sie, Zwakh, sagte er immer,
wir haben so eine gewisse Methode; wir haben seine Krankheit mit vieler MØhe
eingemauert,  mÃchte  ich's  nennen,  -  so  wie   man  eine  UnglØcksstÄtte
einfriedet, weil sich an sie eine traurige Erinnerung knØpft." - - -
     Die Rede  des Marionettenspielers  war  auf  mich  zugekommen  wie  ein
SchlÄchter auf ein wehrloses Tier und preñte mir mit rohen, grausamen HÄnden
das Herz zusammen.
     Von  jeher hatte eine dumpfe Qual an mir genagt,  - ein Ahnen, als wÄre
mir etwas  genommen  worden und als  hÄtte ich  in  meinem Leben eine  lange
Strecke Wegs an einem Abgrunde hin durchschritten wie ein Schlafwandler. Und
nie war es mir gelungen, die Ursache zu ergrØnden.
     Jetzt  lag  des  RÄtsels  LÃsung  offen  vor   mir   und  brannte  mich
unertrÄglich wie eine bloñgelegte Wunde.
     Mein  krankhafter Widerwillen, der Erinnerung an verflossene Ereignisse
nachzuhÄngen,  -  dann der seltsame, von  Zeit zu Zeit immer  wiederkehrende
Traum, ich  sei in  ein Haus  mit einer Flucht  mir unzugÄnglicher  GemÄcher
gesperrt, - das beÄngstigende  Versagen meines  GedÄchtnisses in Dingen, die
meine  Jugendzeit betrafen, - alles das fand mit einem Male seine furchtbare
ErklÄrung: ich war wahnsinnig gewesen und man hatte Hypnose angewandt, hatte
das  - "Zimmer" verschlossen, das die Verbindung  zu jenen GemÄchern  meines
Gehirns  bildete,  und mich zum  Heimatlosen  inmitten  des  mich umgebenden
Lebens gemacht.
     Und keine Aussicht, die verlorene Erinnerung je wieder zu gewinnen!
     Die Triebfedern meines  Denkens  und  Handelns liegen  in einem andern,
vergessenen  Dasein  verborgen, begriff  ich, -  nie wØrde ich  sie erkennen
kÃnnen: eine verschnittene Pflanze bin ich, ein Reis, das  aus einer fremden
Wurzel sproñt.  GelÄnge  es mir  auch, den  Eingang  in jenes  verschlossene
"Zimmer"  zu erzwingen, mØñte  ich  nicht  abermals den Gespenstern, die man
darein gebannt, in die HÄnde fallen?!
     Die Geschichte von dem Golem, die Zwakh  vor einer Stunde erzÄhlte, zog
mir  durch  den  Sinn,  und  plÃtzlich  erkannte  ich  einen   riesengroñen,
geheimnisvollen Zusammenhang zwischen dem sagenhaften Gemach ohne Zugang, in
dem jener Unbekannte wohnen sollte, und meinem bedeutungsvollen Traum.
     Ja!  auch  in  meinem  Falle  "wØrde der  Strick  reiñen",  wollte  ich
versuchen, in das vergitterte Fenster meines Innern zu blicken.
     Der seltsame Zusammenhang wurde mir  immer deutlicher  und  nahm  etwas
unbeschreiblich Erschreckendes fØr mich an.
     Ich fØhlte: es  sind  da  Dinge -  unfañbare -  zusammengeschmiedet und
laufen  wie   blinde  Pferde,  die  nicht  wissen   wohin  der  Weg   fØhrt,
nebeneinander her.
     Auch im  Getto: ein Zimmer, ein  Raum,  dessen Eingang  niemand  finden
kann, - ein schattenhaftes Wesen, das darin wohnt und nur zuweilen durch die
Gassen tappt, um Grauen und Entsetzen unter die Menschen zu tragen! - - -
     Immer  noch schnitzte Vrieslander an dem Kopfe, und das Holz  knirschte
unter der Klinge des Messers.
     Es tat mir  fast  weh, wie ich es hÃrte,  und ich sah hin, ob  es  denn
nicht bald zu Ende sei.
     Wie der Kopf sich in des  Malers Hand hin und her  wandte, war  es, als
habe er Bewuñtsein und spÄhe von  Winkel zu Winkel. Dann ruhten  seine Augen
lange auf mir, befriedigt, dañ sie mich endlich gefunden.
     Auch  ich  vermochte meine  Blicke  nicht mehr abzuwenden  und  starrte
unverwandt auf das hÃlzerne Antlitz.
     Eine Weile schien das Messer des Malers  zÃgernd etwas  zu suchen, dann
ritzte es entschlossen eine Linie  ein, und plÃtzlich  gewannen die ZØge des
Holzklotzes schreckhaftes Leben.
     Ich  erkannte  das gelbe Gesicht  des Fremden, der mir damals das  Buch
gebracht.
     Dann konnte ich nichts mehr unterscheiden,  der Anblick hatte nur  eine
Sekunde gedauert, und  ich spØrte,  dañ  mein Herz  zu schlagen aufhÃrte und
Ängstlich flatterte.
     Dennoch blieb ich mir - wie damals - des Gesichtes bewuñt.
     Ich war  es selber  geworden und lag auf Vrieslanders Schoñ  und spÄhte
umher.
     Meine  Augen  wanderten im  Zimmer umher, und eine fremde Hand  bewegte
meinen SchÄdel.
     Dann  sah ich mit einem  Male  Zwakhs aufgeregte Miene  und hÃrte seine
Worte: Um Gottes willen, das ist ja der Golem!
     Und ein kurzes Ringen  entstand, und man wollte  Vrieslander mit Gewalt
das Schnitzwerk entreiñen, doch der wehrte sich und rief lachend:
     "Was wollt ihr, es ist doch ganz  und  gar miñlungen." Und er wand sich
los, Ãffnete das Fenster und warf den Kopf auf die Gasse hinunter.
     Da  schwand mein Bewuñtsein,  und ich tauchte in eine tiefe Finsternis,
die von  schimmernden  GoldfÄden  durchzogen war, und als  ich,  wie es  mir
schien, nach  einer langen, langen Zeit erwachte, da erst hÃrte ich das Holz
klappernd auf das Pflaster fallen. - - -
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     "Sie  haben so  fest  geschlafen, dañ Sie  nicht merkten,  wie  wir Sie
schØttelten,"  - sagte Josua Prokop zu mir,  "der Punsch ist  aus,  und  Sie
haben alles versÄumt."
     Der heiñe Schmerz Øber das, was ich vorhin mitangehÃrt, Øbermannte mich
wieder, und  ich  wollte aufschreien, dañ ich nicht getrÄumt  habe, als  ich
ihnen von dem  Buche Ibbur  erzÄhlte -  und es aus  der Kassette  nehmen und
ihnen zeigen kÃnne.
     Aber  diese  Gedanken  kamen  nicht  zu  Wort und  konnten die Stimmung
allgemeinen Aufbruches, die meine GÄste ergriffen hatte, nicht durchdringen.
     Zwakh hÄngte mir mit Gewalt den Mantel und und rief:
     "Kommen  Sie  nur  mit zum Loisitschek, Meister Pernath,  es  wird Ihre
Lebensgeister erfrischen."

     Willenlos hatte ich mich von Zwakh die Treppe hinunterfØhren lassen.
     Ich spØrte  den Geruch des  Nebels, der von  der Strañe ins Haus drang,
deutlicher und deutlicher werden. Josua Prokop und Vrieslander  waren einige
Schritte vorausgegangen,  und  man  hÃrte, wie  sie  drauñen vor dem  Torweg
mitsammen sprachen.
     "Er  muñ  rein in das  Kanalgitter  gefallen  sein.  Es  ist  doch  zum
Teufelholen."
     Wir traten hinaus auf die  Gasse, und  ich sah, wie  Prokop sich bØckte
und die Marionette suchte.
     "Freut  mich, dañ  du  den dummen  Kopf  nicht finden kannst",  brummte
Vrieslander. Er hatte sich an die Mauer gestellt und sein Gesicht  leuchtete
grell auf und erlosch wieder in kurzen Intervallen  - wie er das Feuer eines
Streichholzes zischend in seine kurze Pfeife sog.
     Prokop machte  eine heftig abwehrende Bewegung  mit dem  Arm und beugte
sich noch tiefer hinab. Er kniete beinahe auf dem Pflaster:
     "Still doch! HÃrt ihr denn nichts?"
     Wir traten an ihn heran. Er deutete stumm auf das Kanalgitter und legte
horchend die Hand ans Ohr. Eine Weile standen  wir unbeweglich und lauschten
in den Schacht hinab.
     Nichts.
     "Was war's denn?" flØsterte  endlich der alte  Marionettenspieler; doch
sofort packte ihn Prokop heftig beim Handgelenk.
     Einen  Augenblick  -  kaum  einen  Herzschlag  lang  -  hatte  es   mir
geschienen,  als klopfte da unten  eine Hand gegen eine Eisenplatte  -  fast
unhÃrbar. Wie ich eine Sekunde spÄter darØber nachdachte,  war alles vorbei;
nur in meiner Brust  hallte es wie ein Erinnerungsecho weiter und lÃste sich
langsam in ein unbestimmtes GefØhl des Grauens auf.
     Schritte, die die Gasse heraufkamen, verscheuchten den Eindruck.
     "Gehen wir; was stehen wir da herum!" mahnte Vrieslander.
     Wir schritten die HÄuserreihe entlang.
     Prokop folgte nur widerwillig.
     "Meinen  Hals mÃcht  ich wetten,  da  unten  hat  jemand  geschrien  in
Todesangst."
     Niemand von uns  antwortete ihm, aber  ich fØhlte, dañ etwas wie  leise
dÄmmernde Angst uns die Zunge in Fesseln hielt.
     Bald darauf standen wir vor einem rotverhÄngten Schenkenfenster.

     "Heinte groñes Konzehr"
     stand auf einem Pappendeckel geschrieben,  dessen Rand mit verblichenen
Photographien von Frauenzimmern bedeckt war.
     Ehe  noch Zwakh die Hand auf die Klinke  legen konnte, Ãffnete sich die
EingangstØr nach innen, und ein vierschrÃtiger Kerl mit gewichstem schwarzem
Haar, ohne Kragen - eine grØnseidene Krawatte um den bloñen Hals geschlungen
und die Frackweste mit einem Klumpen aus SchweinszÄhnen geschmØckt - empfing
uns mit BØcklingen.
     "JÄ, jÄ,  das sin  mir  GÄstÄh.  -  -  - Pane Schaffranek,  rasch einen
Tusch!" setzte er, Øber die Schulter  in  das  von Menschen ØberfØllte Lokal
gewendet, hastig seinem Willkommensgruñ hinzu.
     Ein klimperndes GerÄusch, wie wenn eine Ratte Øber Klaviersaiten liefe,
war die Antwort.
     "JÄ, jÄ, das  sin  mir  GÄstÄh,  das sin  mir GÄstÄh.  Da  schaut man",
murmelte der VierschrÃtige immerwÄhrend eifrig vor sich hin, wÄhrend er  uns
aus den MÄnteln half.
     "Ja, ja, heinte ist der  ganze verehrliche Hochadel des Landes  bei mir
versammelt", beantwortete er triumphierend Vrieslanders erstaunte Miene, als
im  Hintergrund  auf  einer  Art   Estrade,  die  durch  GelÄnder  und  eine
zweistufige  Treppe vom  vorderen Teil  der  Schenke getrennt war,  ein paar
vornehme junge Herren in Abendtoilette sichtbar wurden.
     Schwaden beiñenden Tabakrauches lagerten Øber den Tischen, hinter denen
die  langen HolzbÄnke  an  den  WÄnden  vollbesetzt von zerlumpten Gestalten
waren:  Dirnen von  den Schanzen, ungekÄmmt, schmutzig,  barfuñ,  die festen
BrØste kaum verhØllt  von  miñfarbigen UmhÄngetØchern, ZuhÄlter  daneben mit
blauen MilitÄrmØtzen und Zigaretten hinter dem Ohr, ViehhÄndler mit haarigen
FÄusten  und  schwerfÄlligen  Fingern,  die bei jeder Bewegung  eine  stumme
Sprache der Niedertracht redeten, vazierende Kellner  mit  frechen Augen und
blatternarbige Kommis mit karierten Hosen.
     "Ich  stell'  ich  Ihnen  spanische  Plente  umadum,  damit  Sie  schÃn
ungestÃrt sein", krÄchzte die  feiste  Stimme des  VierschrÃtigen,  und eine
Rollwand,  beklebt mit kleinen, tanzenden Chinesen, schob  sich langsam  vor
den Ecktisch, an den wir uns gesetzt hatten.
     Schnarrende  KlÄnge einer Harfe  machten  das  Stimmengewirr  im Zimmer
verlÃschen.
     Eine Sekunde eine rhythmische Pause.
     Totenstille, als hielte alles den Atem an.
     Mit erschreckender  Deutlichkeit hÃrte man plÃtzlich  wie  die eisernen
GasstÄbe fauchend die flachen herzfÃrmigen Flammen aus ihren  MØndern in die
Luft bliesen  -  - dann  fiel die Musik Øber das GerÄusch her und verschlang
es.
     Als  wÄren  sie  soeben erst  entstanden,  tauchten  da  zwei  seltsame
Gestalten aus dem Tabakqualm vor meinem Blick empor.
     Mit  langem,  wallendem,   weiñen  Prophetenbart,  ein  schwarzseidenes
KÄppchen -  wie  es  die  alten  jØdischen  FamilienvÄter tragen  - auf  dem
Kahlkopf, die  blinden Augen  milchblÄulich und  glÄsern - starr  zur  Decke
gerichtet  -  sañ dort  ein Greis, bewegte lautlos die  Lippen  und fuhr mit
dØrren Fingern wie mit Geierkrallen in die Saiten einer Harfe. Neben ihm  in
speckglÄnzendem,  schwarzen Taffetkleid,  Jettschmuck und  Jettkreuz an Hals
und  Armen  -  ein  Sinnbild  erheuchelter  BØrgermoral  -  ein  schwammiges
Weibsbild, die Ziehharmonika auf dem Schoñ.
     Ein wildes Gestolper von  KlÄngen  drÄngte  sich aus  den Instrumenten,
dann sank die Melodie ermattet zur bloñen Begleitung herab.
     Der Greis hatte ein paarmal in die Luft gebissen und riñ den  Mund weit
auf, dañ man die  schwarzen Zahnstumpen sehen konnte. Langsam aus der  Brust
herauf rang  sich ihm, von seltsamen hebrÄischen RÃchellauten begleitet, ein
wilder Bañ:
     "Roo - n - te, blau - we Stern - -"
     "Rititit" (schrillte das Weibsbild  dazwischen und schnappte sofort die
keifigen Lippen zusammen, als habe sie schon zuviel gesagt)
     "Roonte blaue Steern
     HÃrndlach ess i' ach geern";
     "Rititit"
     "Rotboart, Grienboart
     allerlaj Stern" - -
     "Rititit, rititit."
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     Die Paare traten zum Tanze an.
     "Es  ist  das Lied vom  ›chomezigen Borchu‹", erklÄrte uns lÄchelnd der
Marionettenspieler und schlug leise mit dem ZinnlÃffel, der sonderbarerweise
mit einer Kette am  Tisch befestigt war, den Takt. "Vor wohl  hundert Jahren
oder mehr noch hatten  zwei BÄckergesellen, Rotbart  und GrØnbart, am  Abend
des ›Schabbes Hagodel‹ das  Brot  - Sterne und  HÃrnchen - vergiftet, um ein
ausgiebiges Sterben in der Judenstadt hervorzurufen; aber  der ›Meschores‹ -
der  Gemeindediener  - war  infolge gÃttlicher Erleuchtung noch  rechtzeitig
draufgekommen und konnte die beiden Verbrecher der Stadtpolizei Øberliefern.
Zur Erinnerung an die wundersame Errettung aus Todesgefahr dichteten  damals
die ›Landonim‹ und ›Bocherlech‹ jenes seltsame Lied, das wir  hier jetzt als
Bordellquadrille hÃren."
     "Rititit - Rititit"
     "Roote blaue  Steern - - - -" immer hohler und fanatischer erscholl das
Gebell des Greises.
     PlÃtzlich  wurde  die  Melodie  konfuser und  ging  allmÄhlich  in  den
Rhythmus  des bÃhmischen  "Schlapak"  -  eines schleifenden  Schiebetanzes -
Øber, bei dem die Paare die schwitzigen Wangen innig aneinander preñten.
     "So  recht. Bravo.  äh da! fang,  hep,  hep!" rief von der Estrade  ein
schlanker,  junger Kavalier im Frack, das  Monokel im  Auge, dem Harfenisten
zu, griff in die Westentasche und warf ein SilberstØck  in  der Richtung. Es
erreichte  sein Ziel  nicht:  ich sah  noch,  wie  es  Øber  das  TanzgewØhl
hinblitzte; da war es plÃtzlich verschwunden. Ein Strolch - sein Gesicht kam
mir  so bekannt vor; ich glaube, es muñ  derselbe  gewesen sein, der neulich
bei dem  Regenguñ neben  Charousek gestanden - hatte seine  Hand  hinter dem
Busentuch  seiner  TÄnzerin,  wo  er  sie  bisher  hartnÄckig ruhen  gehabt,
hervorgezogen - ein Griff in die Luft mit affenhafter  Geschwindigkeit, ohne
auch nur  einen Takt der  Musik auszulassen, und die MØnze  war  geschnappt.
Nicht ein Muskel zuckte im Gesicht des Burschen auf, nur zwei, drei Paare in
der NÄhe grinsten leise.
     "Wahrscheinlich einer vom ›Bataillon‹,  nach  der  Geschicklichkeit  zu
schlieñen", sagte Zwakh lachend.
     "Meister Pernath hat sicherlich noch nie etwas vom ›Bataillon‹ gehÃrt",
fiel   Vrieslander   auffallend  rasch   ein  und   zwinkerte  heimlich  dem
Marionettenspieler  zu, dañ  ich es nicht sehen sollte. - Ich  verstand  gar
wohl: es war wie vorhin, oben auf meinem Zimmer. Sie hielten mich fØr krank.
Wollten mich aufheitern. Und Zwakh sollte etwas erzÄhlen. Irgend etwas.
     Wie mich der gute Alte so mitleidig ansah, stieg es mir heiñ vom Herzen
in die Augen. Wenn er wØñte, wie weh mir sein Mitleid tat!
     Ich ØberhÃrte die ersten  Worte, mit denen der Marionettenspieler seine
Worte einleitete, -  ich weiñ nur, mir  war, als  verblute  ich langsam. Mir
wurde immer kÄlter und starrer, wie vorhin, als  ich  als hÃlzernes  Gesicht
auf Vrieslanders Schoñ gelegen hatte. Dann war ich plÃtzlich mitten  drin in
der  ErzÄhlung, die mich fremdartig  umfing, -  einhØllte, wie ein  lebloses
StØck aus einem Lesebuch.
     Zwakh begann:
     "Die ErzÄhlung vom Rechtsgelehrten Dr. Hulbert und seinem Bataillon.
     - - - No, was soll ich  Ihnen sagen: Das Gesicht hatte er voller Warzen
und krumme Beine wie ein Dachshund. Schon als JØngling  kannte er nichts als
Studium.  Trockenes,  entnervendes  Studium.  Von  dem,  was  er sich  durch
Stundengeben mØhsam erwarb, muñte er noch seine  kranke Mutter erhalten. Wie
grØne  Wiesen aussehen und Hecken und HØgel  voll Blumen und  WÄlder, erfuhr
er, glaube ich, nur  aus BØchern. Und  wie wenig von  Sonnenschein  in Prags
schwarze Gassen fÄllt, wissen Sie ja selbst.
     Sein  Doktorat  hatte er mit  Auszeichnung gemacht; das war  eigentlich
selbstverstÄndlich.
     Nun, und  mit  der  Zeit  wurde er  ein  berØhmter Rechtsgelehrter.  So
berØhmt, dañ alle Leute - Richter und alte Advokaten - zu ihm fragen  kamen,
wenn sie irgend  etwas nicht wuñten. Dabei lebte er Ärmlich wie  ein Bettler
in einer Dachkammer, deren Fenster hinaus auf den Teinhof schaute.
     So  vergingen  Jahre um Jahre und Dr. Hulberts  Ruf als  Leuchte seiner
Wissenschaft wurde  allmÄhlich Sprichwort im ganzen Lande. Dañ ein  Mann wie
er weichen Herzensempfindungen zugÄnglich sein konnte, zumal sein Haar schon
anfing  weiñ  zu werden und sich niemand erinnerte, ihn je von etwas anderem
als von Jurisprudenz sprechen gehort  zu haben, hatte  wohl keiner geglaubt.
Doch  gerade  in  solchen  verschlossenen  Herzen  glØht  die  Sehnsucht  am
heiñesten.
     An dem Tage, als Dr. Hulbert das Ziel erreichte, das ihm wohl schon als
HÃchstes seit seiner Studentenzeit vorgeschwebt  hatte:  - als nÄmlich Seine
MajestÄt  der Kaiser  von  Wien aus  ihn  zum Rector  magnificus an  unserer
UniversitÄt  ernannte,  da  ging es von Mund zu Mund, er habe sich mit einem
jungen, bildschÃnen FrÄulein aus zwar armer, aber adliger Familie verlobt.
     Und wirklich schien von da  an das Gluck bei  Dr. Hulbert eingezogen zu
sein. Wenn auch  seine  Ehe kinderlos blieb,  so  trug  er doch seine  junge
Gattin auf HÄnden,  und jeden  Wunsch zu erfØllen, den er ihr nur irgend von
den Augen abzulesen vermochte, war seine hÃchste Freude.
     In seinem  Gluck vergañ er jedoch keineswegs, wie  es wohl  so  mancher
andere getan  hatte,  seine  leidenden  Mitmenschen.  "Mir  hat  Gott  meine
Sehnsucht  gestillt,"  soll  er  einmal gesagt  haben,  -  "er  hat  mir ein
Traumgesicht  zur  Wahrheit  werden  lassen,  das  wie  ein  Glanz  vor  mir
hergegangen ist seit Kindheit an: er hat mir  das lieblichste Wesen zu eigen
gegeben, das die Erde  tragt. Und so will ich, dañ  ein  Schimmer von diesem
Gluck, soweit es in meiner Macht steht, auch auf andere fallt." - - -
     Und so kam es, dañ er sich bei Gelegenheit eines armen Studenten annahm
wie seines eigenen  Sohnes. Vermutlich in der ErwÄgung,  wie wohl ihm selbst
ein solch gutes Werk getan hatte, wÄre es ihm am  eigenen Leib  und Leben in
den Tagen  seiner  kummervollen Jugendzeit passiert. Wie  aber nun auf Erden
manche Tat, die dem Menschen gut und  edel  scheint, Folgen nach  sich zieht
gleich   der   einer  fluchwØrdigen,  weil  wir  wohl  doch  nicht   richtig
unterscheiden kÃnnen zwischen dem,  was giftigen Samen in sich tragt und was
heilsamen, so  begab es sich auch hier, dañ aus  Dr. Hulberts mitleidsvollem
Werk das bitterste Leid fØr ihn selbst sproñ.
     Die  junge  Frau  entbrannte  gar  bald  in  heimlicher  Liebe  zu  dem
Studenten, und ein  erbarmungsloses  Schicksal wollte,  dañ sie  der  Rektor
gerade  in dem Augenblicke, als  er  unerwartet  nach Hause  kam, um sie zum
Zeichen  seiner Liebe  mit  einem  Strauñ  Rosen  als  GeburtstagsprÄsent zu
Øberraschen, in  den Armen  dessen antraf,  auf den  er Wohltat Øber Wohltat
gehÄuft hatte.
     Man  sagt,  dañ  die  blaue  Muttergottesblume  fØr  immer  ihre  Farbe
verlieren kann, wenn  der  fahle, schweflige Schein  eines Blitzes,  der ein
Hagelwetter verkØndet, plÃtzlich auf sie fÄllt; gewiñ ist, dañ die Seele des
alten Mannes fØr  immer  erblindete an dem Tage, wo sein  Gluck  in Scherben
ging.  Am  selben  Abend  noch sañ er,  er, der bis dahin nicht  gewuñt, was
UnmÄñigkeit  ist, hier beim "Loisitschek" - fast  bewuñtlos vom  Fusel - bis
zum Morgengrauen. Und der "Loisitschek" wurde seine HeimstÄtte fØr  den Rest
seines zerstÃrten Lebens. Im Sommer schlief er irgendwo auf dem Schutt eines
Neubaus, im Winter hier auf den hÃlzernen BÄnken.
     Den Titel  eines Professors  und  Doktors beider  Rechte belieñ man ihm
stillschweigend. Niemand hatte das Herz dazu, gegen ihn, den einst berØhmten
Gelehrten, den Vorwurf zu erheben, dañ man ärgernis nÄhme an seinem Wandel.
     AllmÄhlich  sammelte sich  um ihn, was an  lichtscheuem Gesindel in der
Judenstadt sein  Wesen  trieb,  und so kam es zur  GrØndung jener  seltsamen
Gemeinschaft, die man noch heutigentags "das Bataillon" nennt.
     Dr.  Hulberts umfassende  Gesetzeskenntnis wurde das Bollwerk  fØr alle
die,  denen  die  Polizei  zu scharf  auf  die  Finger  sah.  War  irgendein
entlassener  StrÄfling  daran  zu  verhungern,   schickte  ihn  Dr.  Hulbert
splitternackt  hinaus  auf  den  Altstadter  Ring  - und  das  Amt  auf  der
sogenannten "Fischbanka" sah sich genÃtigt, einen Anzug beizustellen. Sollte
eine unterstandslose  Dirne aus  der Stadt gewiesen werden, so heiratete sie
schnell einen Strolch, der bezirkszustÄndig war, und wurde dadurch ansÄssig.
     Hundert solcher  Auswege wuñte Dr. Hulbert, und seinem  Rate  gegenØber
stand  die Polizei  machtlos da.  - Was diese Ausgestoñenen der menschlichen
Gesellschaft "verdienten", Øbergaben sie getreulich  auf Heller  und Kreuzer
der gemeinsamen  Kassa, aus der der nÃtige Lebensunterhalt bestritten wurde.
Niemals  lieñ sich  auch nur einer  die geringste  Unehrlichkeit  zuschulden
kommen.  Mag  sein,  dañ angesichts dieser eisernen  Disziplin der Name "das
Bataillon" entstand.
     PØnktlich am ersten Dezember, wo sich der Tag des UnglØcks  jÄhrte, das
den alten Mann betroffen hatte, fand jedesmal nachts beim "Loisitschek" eine
seltsame  Feier statt.  Kopf  an Kopf  gedrÄngt  standen sie hier:  Bettler,
Vagabunden,  ZuhÄlter und Dirnen, Trunkenbolde und  Lumpensammler,  und eine
lautlose Stille herrschte wie beim  Gottesdienst. -  Und dann erzÄhlte ihnen
Dr.  Hulbert dort von der Ecke  aus,  wo jetzt die beiden Musikanten sitzen,
gerade   unter  dem   KrÃnungsbilde  Seiner  MajestÄt   des  Kaisers,  seine
Lebensgeschichte:  - wie er sich emporgerungen, den Doktortitel erworben und
spÄter Rektor magnificus geworden war. Wenn er zu der Stelle kam, wo er  mit
dem Busch Rosen in der Hand  ins Zimmer seiner jungen Frau trat, - zur Feier
ihres Geburtstages und zugleich zum GedÄchtnis jener Stunde,  da er dereinst
um sie anhalten  gekommen und sie  seine  liebe  Braut geworden  war,  -  da
versagte ihm jedesmal  die Stimme, und weinend  sank  er am Tisch  zusammen.
Dann  geschah es wohl zuweilen, dañ  irgendein liederliches Frauenzimmer ihm
verschÄmt und heimlich,  damit es  keiner sehen sollte, eine halbwelke Blume
in die Hand legte.
     Von  den ZuhÃrern rØhrte  sich dann  noch lange Zeit keiner. Zum Weinen
sind diese  Menschen  zu hart, aber an  ihren Kleidern blickten sie herunter
und drehten unsicher die Finger.
     Eines  Morgens fand man Dr. Hulbert  tot auf  einer Bank  unten  an der
Moldau. Er wird, denke ich, erfroren sein.
     Sein LeichenbegÄngnis  sehe  ich noch heute vor  mir.  Das  "Bataillon"
hatte sich fast zerfleischt, um alles so prunkvoll wie mÃglich zu gestalten.
     Voran ging der Pedell der  UniversitÄt in  vollem  Ornat: in den HÄnden
das  purpurne Kissenpolster mit der gØldenen  Kette  darauf  und hinter  dem
Leichenwagen   in   unabsehbarer   Reihe  -   -  das   "Bataillon"   barfuñ,
schmutzstarrend, zerlumpt  und zerfetzt. Einer  von ihnen hatte sein Letztes
verkauft  und  ging  daher:  Leib,  Beine  und  Arme  mit  Lagen  aus  altem
Zeitungspapier umwickelt und umbunden.
     So erwiesen sie ihm die letzte Ehre.
     Auf seinem  Grabe, drauñen im Friedhof, steht ein  weiñer Stein, darein
sind drei Figuren gemeiñelt: Der Heiland gekreuzigt  zwischen  zwei RÄubern.
Von unbekannter Hand  gestiftet. Man  munkelt, Dr.  Hulberts  Frau habe  das
Denkmal errichtet. - - -
     Im Testament des toten Rechtsgelehrten aber war  ein Legat  vorgesehen,
danach bekommt jeder vom "Bataillon" mittags "beim Loisitschek" umsonst eine
Suppe; zu diesem  Zwecke hÄngen  hier am Tisch die LÃffel an den Ketten, und
die ausgehÃhlten Mulden in der Tischplatte sind die Teller.  Um 12 Uhr kommt
die  Kellnerin  und spritzt  mit einer groñen, blechernen  Spritze die BrØhe
hinein und, wenn sich einer  nicht  ausweisen kann  als "vom Bataillon",  so
zieht sie die Suppe mit der Spritze wieder zurØck.
     Von diesem Tisch aus machte die Gepflogenheit  als Witz die Runde durch
die ganze Welt."
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     Der Eindruck eines Tumultes im Lokal weckte mich aus  meiner Lethargie.
Die letzten SÄtze, die Zwakh gesprochen, wehten Øber mein Bewuñtsein hinweg.
Ich sah  noch, wie  er seine HÄnde  bewegte, um  das Vor- und ZurØckschieben
eines Spritzenkolbens klarzumachen,  dann jagten die Bilder, die  sich rings
um  uns   abrollten,  so  rasch   und   automatenhaft  und  dennoch  mit  so
gespenstischer Deutlichkeit an meinem Auge vorØber, dañ ich in Momenten ganz
mich selbst vergañ und mir wie ein Rad vorkam in einem lebendigen Uhrwerk.
     Das Zimmer  war  ein  einziges  MenschengewØhl geworden.  Oben  auf der
Estrade: dutzende Herren in  schwarzen FrÄcken. Weiñe Manschetten, blitzende
Ringe. Eine  Dragoneruniform  mit RittmeisterschnØren.  Im  Hintergrund  ein
Damenhut mit lachsfarbigen Strauñenfedern.
     Durch  die  StÄbe  des GelÄnders  stierte das verzerrte  Gesicht Loisas
hinauf. Ich sah: er  konnte sich kaum aufrecht halten. Auch Jaromir  war  da
und  schaute unverwandt hinauf, mit dem RØcken  dicht,  ganz dicht,  an  der
Seitenwand, als presse ihn eine unsichtbare Hand dagegen.
     Die Gestalten hielten  plÃtzlich im  Tanzen inne:  der Wirt muñte ihnen
etwas zugerufen  haben, was  sie erschreckt hatte.  Die  Musik spielte noch,
aber leise; sie traute  sich nicht mehr recht. Sie  zitterte; man fØhlte  es
deutlich. Und doch lag der Ausdruck  hÄmischer  wilder Freude in dem Gesicht
des Wirtes.
     - - - - In der EingangstØr steht mit einem Mal der  PolizeikommissÄr in
Uniform.  Er hatte die  Arme ausgebreitet, um niemand hinauszulassen. Hinter
ihm ein Kriminalschutzmann.
     "Wird also doch hier getanzt? Trotz Verbotes?  Ich sperre die Spelunke.
Sie kommen mit, Wirt! Und was hier ist, marsch auf die Wachstube!"
     Es klingt wie Kommandos.
     Der VierschrÃtige gibt keine Antwort, aber das hÄmische Grinsen  bleibt
in seinen ZØgen.
     Bloñ starrer ist es geworden.
     Die Harmonika hat sich verschluckt und pfeift nur noch.
     Auch die Harfe zieht den Schwanz ein.
     Die Gesichter  sind  plÃtzlich  alle im Profil  zu  sehen: sie  glotzen
erwartungsvoll hinauf auf die Estrade.
     Und da kommt eine  vornehme  schwarze Gestalt gelassen  die paar Stufen
herab und geht langsam auf den KommissÄr zu.
     Die   Augen   des   Kriminalschutzmannes    hÄngen   gebannt   an   den
heranschlendernden schwarzen Lackschuhen.
     Der Kavalier ist  einen Schritt vor dem Polizeibeamten stehen geblieben
und  lÄñt  den  Blick gelangweilt ihm  von Kopf  bis zu den FØñen und wieder
zurØck schweifen.
     Die  andern jungen Adligen oben  auf der Estrade  haben  sich Øber  das
GelÄnder  gebeugt  und  verbeiñen  das   Lachen  hinter  ihren  grauseidenen
TaschentØchern.
     Der  Dragonerrittmeister klemmt ein GoldstØck ins Auge und spuckt einem
MÄdchen, das unter ihm lehnt, seinen Zigarettenstummel ins Haar.
     Der PolizeikommissÄr hat sich  verfÄrbt und  starrt in der Verlegenheit
immerwÄhrend auf die Perle in der Hemdbrust des Aristokraten.
     Er  kann  den gleichgØltigen, glanzlosen  Blick  dieses glattrasierten,
unbeweglichen Gesichtes mit der Hakennase nicht ertragen.
     Er bringt ihn aus der Ruhe. Schmettert ihn nieder.
     Die Totenstille im Lokal wird immer quÄlender.
     "So  sehen  die  Ritterstatuen aus, die  mit  gefalteten HÄnden auf den
SteinsÄrgen liegen in den gotischen Kirchen", flØstert der Maler Vrieslander
mit einem Blick auf den Kavalier.
     Da bricht der  Aristokrat endlich das  Schweigen: "äh - Hm." -  -  - er
kopiert die Stimme des Wirtes: "JÄ, jÄ, das sin mir GÄstÄh - da schaut man."
Ein  schallendes  Gejohle  explodiert im Lokal, dañ  die GlÄser klirren; die
Strolche halten sich den Bauch vor  Lachen. Eine Flasche fliegt an die  Wand
und   zerschellt.  Der  vierschrÃtige  Wirt   meckert  uns   erlÄuternd  und
ehrfurchtsvoll zu: "Seine Durchlaucht Exzellenz FØrst Ferri AthenstÄdt."
     Der FØrst hat dem Beamten eine Visitkarte hingehalten. Der ärmste nimmt
sie, salutiert wiederholt und schlÄgt die Hacken zusammen.
     Es  wird  von neuem  still,  die  Menge  lauscht  atemlos,  was  weiter
geschehen wird.
     Der Kavalier spricht wieder:
     "Die Damen und Herren, die Sie hier versammelt sehen, - Äh - sind meine
lieben GÄste."  Seine Durchlaucht  deutet mit einer nachlÄssigen Armbewegung
auf  das  Gesindel,  "wØnschen  Sie,  Herr  KommissÄr,  -  Äh  -  vielleicht
vorgestellt zu werden?"
     Der KommissÄr verneint mit erzwungenem LÄcheln, stottert verlegen etwas
von  "leidiger  PflichterfØllung"  und  rafft sich schlieñlich zu den Worten
auf: "Ich sehe ja, dañ es hier anstÄndig zugeht."
     Das bringt Leben in den Dragonerrittmeister: er eilt in den Hintergrund
auf  den Damenhut mit der Strauñenfeder zu und zerrt im nÄchsten  Augenblick
unter dem Jubel der jungen Adligen - Rosina am Arm herunter in den Saal.
     Sie schwankt vor Trunkenheit und hÄlt die Augen geschlossen. Der groñe,
kostbare Hut sitzt ihr schief, und sie hat nichts an als lange rosa StrØmpfe
und - einen Herrenfrack auf dem bloñen KÃrper.
     Ein Zeichen: Die Musik fallt ein wie rasend - - - "Rititit - Rititit" -
- - und schwemmt den gurgelnden Schrei fort, den der taubstumme Jaromir, als
er Rosina gesehen, an der Wand drØben ausgestoñen hat. - -
     Wir wollen gehen.
     Zwakh ruft nach der Kellnerin.
     Der allgemeine LÄrm verschlingt seine Worte.
     Die Szenen vor mir werden phantastisch wie ein Opiumrausch.
     Der Rittmeister  hÄlt die  halbnackte  Rosina  im Arm  und  dreht  sich
langsam mit ihr im Takt.
     Die Menge hat respektvoll Platz gemacht.
     Dann murmelt es von den BÄnken: "Der Loisitschek, der Loisitschek", die
HÄlse werden  lang und zu dem tanzenden  Paar gesellt sich ein  zweites noch
seltsameres. Ein weibisch aussehender  Bursche in  rosa  Trikots, mit langem
blondem Haar bis  zu den Schultern,  Lippen und Wangen  geschminkt wie  eine
Dirne  und  die  Augen  niedergeschlagen  in  koketter  Verwirrung,  - hÄngt
schmachtend an der Brust des FØrsten AthenstÄdt.
     Ein sØñlicher Walzer quillt aus der Harfe.
     Wilder Ekel vor dem Leben schnØrt mir die Kehle zusammen.
     Mein  Blick  sucht voll  Angst  die  Ture:  der  KommissÄr  steht  dort
abgewendet,   um   nichts   zu  sehen,   und   flØstert   hastig   mit   dem
Kriminalschutzmann, der etwas einsteckt. Es klirrt wie Handschellen.
     Die  beiden  spÄhen  hinØber auf den blatternarbigen Loisa,  der  einen
Augenblick sich zu verstecken sucht und dann gelÄhmt - das Gesicht  kalkweiñ
und verzerrt vor Entsetzen - stehen bleibt.
     Ein Bild zuckt in der Erinnerung vor  mir auf und erlischt sofort:  Das
Bild, wie "Prokop lauscht, wie ich es  vor einer Stunde gesehen,  - Øber das
Kanalgitter gebeugt - und ein Todesschrei gellt aus der Erde empor."
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     Ich will rufen und kann nicht. Kalte Finger greifen mir in den Mund und
biegen  mir  die  Zunge  nach  unten  gegen die VorderzÄhne, dañ es  wie ein
Klumpen meinen Gaumen erfØllt und ich kein Wort hervorbringen kann.
     Ich kann die Finger  nicht sehen,  weiñ,  dañ sie unsichtbar  sind, und
doch empfinde ich sie wie etwas KÃrperliches.
     Und  klar  steht   es  in  meinem   Bewuñtsein:  sie  gehÃren  zu   der
gespenstischen Hand,  die mir  in meinem Zimmer in der Hahnpañgasse das Buch
"Ibbur" gegeben hat.
     "Wasser, Wasser!" schreit Zwakh neben mir. Sie halten mir den  Kopf und
leuchten mir mit einer Kerze in die Pupillen.
     "In seine Wohnung schaffen, Arzt holen - der Archivar Hillel kennt sich
aus in solchen Dingen - - zu ihm bringen!" beraten sie murmelnd.
     Dann liege ich  starr wie  eine Leiche  auf einer Bahre  und Prokop und
Vrieslander tragen mich hinaus.

     Zwakh war  vor  uns  die Treppen  hinaufgelaufen,  und  ich hÃrte,  wie
Mirjam, die Tochter des Archivars Hillel, ihn Ängstlich ausfragte und er sie
zu beruhigen trachtete.
     Ich gab mir keine MØhe hinzuhorchen, was sie  miteinander sprachen, und
erriet mehr, als ich es in Worten  verstand, dañ Zwakh erzÄhlte, mir sei ein
Unfall zugestoñen  und sie kÄmen bitten, mir die erste Hilfe  zu leisten und
mich wieder zu Bewuñtsein zu bringen.
     Noch immer  konnte  ich kein Glied rØhren, und die unsichtbaren  Finger
hielten meine Zunge; aber mein Denken war fest und sicher und das GefØhl des
Grauens hatte  von mir abgelassen.  Ich wuñte  genau, wo ich war und was mit
mir  geschah, und empfand es nicht einmal als absonderlich, dañ man mich wie
einen  Toten  hinauftrug,  samt  der  Bahre   im  Zimmer  Schemajah  Hillels
niedersetzte und - allein lieñ.
     Eine ruhige, natØrliche Zufriedenheit, wie man sie beim Heimkommen nach
einer langen Wanderung genieñt, erfØllte mich.
     Es  war finster  in der  Stube, und mit verschwimmenden Umrissen  hoben
sich die Fensterrahmen in Kreuzesformen  von dem  mattleuchtenden  Dunst ab,
der von der Gasse heraufschimmerte.
     Alles  kam mir selbstverstÄndlich  vor  und  ich  wunderte  mich  weder
darØber,  dañ  Hillel  mit  einem jØdischen  siebenflammigen  Sabbatleuchter
eintrat, noch, dañ  er mir  gelassen "guten  Abend" wØnschte  wie  jemandem,
dessen Kommen er erwartet hatte.
     Was ich  die  ganze  Zeit,  die  ich  im  Hause  wohnte,  nie als etwas
Besonderes bemerkt hatte, - trotzdem wir einander  oft drei-  bis viermal in
der Woche auf  den Stiegen begegnet waren, - fiel mir plÃtzlich stark an ihm
auf,  wie er so  hin  und  her  ging,  einige GegenstÄnde  auf  der  Kommode
zurechtrØckte und schlieñlich mit  dem  Leuchter  einen zweiten, gleichfalls
siebenflammigen anzØndete.
     NÄmlich:  sein  Ebenmañ an Leib  und  Gliedern und der  schmale,  feine
Schnitt des Gesichtes mit dem edlen Stirnaufbau.
     Er konnte, wie ich jetzt beim Schein der Kerzen  sah,  nicht Älter sein
als ich: hÃchstens 45 Jahre zÄhlen.
     "Du bist um einige Minuten  frØher  gekommen", - begann  er  nach einer
Weile  - "als anzunehmen  war, sonst  hÄtte  ich  die Lichter  schon  vorher
angezØndet." -  Er deutete  auf  die  beiden Leuchter, trat an die Bahre und
richtete seine  dunklen, tiefliegenden Augen, wie es schien, auf jemand, der
mir zu HÄupten stand oder  kniete, den ich aber  nicht  zu  sehen vermochte.
Dabei bewegte er seine Lippen und sprach lautlos einen Satz.
     Sofort  lieñen  die  unsichtbaren  Finger  meine  Zunge   los  und  der
Starrkrampf  wich  von mir. Ich richtete mich auf und  blickte hinter  mich:
Niemand auñer Schemajah Hillel und mir war im Zimmer.
     Sein "Du" und die Bemerkung, dañ er mich erwartet habe, hatten also mir
gegolten!?
     Viel befremdender als diese beiden UmstÄnde an sich wirkte es auf mich,
dañ ich nicht imstande war, auch nur  die  geringste Verwunderung darØber zu
empfinden.
     Hillel erriet offenbar  meine  Gedanken, denn  er  lÄchelte freundlich,
wobei er mir von der Bahre aufstehen half und mit  der Hand auf einen Sessel
wies, und sagte:
     "Es  ist  auch  nichts Wunderbares dabei.  Schreckhaft  wirken  nur die
gespenstischen Dinge - die Kischuph - auf den Menschen; das Leben kratzt und
brennt wie  ein hÄrener Mantel,  aber die Sonnenstrahlen der geistigen  Welt
sind mild und erwÄrmend."
     Ich schwieg, da mir nichts einfiel, was  ich ihm hÄtte erwidern sollen.
Er schien auch keine Gegenrede erwartet zu  haben, setzte sich mir gegenØber
und  fuhr  gelassen fort: "Auch ein  silberner Spiegel, hÄtte er Empfindung,
litte nur Schmerzen, wenn er poliert wird. Glatt und glÄnzend geworden, gibt
er alle Bilder wieder, die auf ihn fallen, ohne Leid und Erregung."
     "Wohl dem Menschen", setzte er leise hinzu, "der von sich  sagen  kann:
Ich bin geschliffen." -  Einen Augenblick versank er in Nachdenken,  und ich
hÃrte ihn einen  hebrÄischen Satz murmeln: "LischuosÉcho  Kiwisi  Adoschem."
Dann drang seine Stimme wieder klar an mein Ohr:
     "Du bist  zu  mir  gekommen in  tiefem Schlaf  und  ich habe dich  wach
gemacht. Im Psalm David heiñt es:
     "Da sprach ich in mir selbst: jetzt fange ich an: Die Rechte Gottes ist
es, welche diese VerÄnderung gemacht hat."
     Wenn die Menschen aufstehen von ihren LagerstÄtten,  so wÄhnen sie, sie
hÄtten  den Schlaf abgeschØttelt, und wissen nicht, dañ sie ihren Sinnen zum
Opfer fallen  und die Beute eines  neuen viel tieferen Schlafes  werden, als
der war, dem sie soeben entronnen  sind. Es gibt nur ein wahres Wachsein und
das  ist  das, dem Du dich jetzt  nÄherst. Sprich den Menschen davon und sie
werden sagen, Du seist  krank, denn  sie kÃnnen dich nicht verstehen.  Darum
ist es zwecklos und grausam, ihnen davon zu reden.
     Sie fahren dahin wie ein Strom -
     Und sind wie ein Schlaf,
     Gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird -
     Das des Abends abgehauen wird und verdorret."
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     "Wer war  der Fremde, der mich  in meiner Kammer aufgesucht hat und mir
das Buch "Ibbur" gab? Habe ich ihn im Wachen oder im Traum gesehen?", wollte
ich fragen,  doch  Hillel antwortete mir, noch ehe ich den Gedanken in Worte
fassen konnte:
     "Nimm an, der Mann, der zu Dir kam und den Du den Golem nennst, bedeute
die Erweckung des Toten durch  das  innerste  Geistesleben.  Jedes Ding  auf
Erden ist nichts als ein ewiges Symbol in Staub gekleidet!
     Wie denkst Du mit dem Auge? Jede Form, die Du siehst, denkst Du mit dem
Auge. Alles, was zur Form geronnen ist, war vorher ein Gespenst."
     Ich fØhlte, wie Begriffe, die bisher in  meinem Hirn verankert gewesen,
sich  losrissen  und  gleich  Schiffen  ohne  Steuer  hinaustrieben  in  ein
uferloses Meer.
     Ruhevoll fuhr Hillel fort:
     "Wer aufgeweckt  worden  ist,  kann nicht  mehr sterben; Schlaf und Tod
sind dasselbe."
     "- - kann nicht mehr sterben?" - Ein dumpfer Schmerz ergriff mich.
     "Zwei  Pfade  laufen nebeneinander hin:  der Weg des Lebens und der Weg
des Todes. Du hast das Buch "Ibbur" genommen und darin gelesen.  Deine Seele
ist schwanger geworden vom Geist des Lebens", hÃrte ich ihn reden.
     "Hillel, Hillel, lañ  mich den Weg  gehen, den alle Menschen gehen: den
des Sterbens!", schrie alles wild in mir auf.
     Schemajah Hillels Gesicht wurde starr vor Ernst.
     "Die Menschen gehen keinen Weg,  weder den  des  Lebens,  noch  den des
Todes.  Sie treiben daher wie Spreu im Sturm. Im Talmud steht: "Ehe Gott die
Welt  schuf,  hielt er den  Wesen einen Spiegel  vor; darin  sahen  sie  die
geistigen Leiden des Daseins  und die Wonnen, die  darauf folgten. Da nahmen
die  einen die Leiden auf sich. Die  anderen aber  weigerten sich, und diese
strich Gott aus  dem Buche der Lebenden." Du aber gehst einen  Weg und  hast
ihn aus freiem Willen beschritten, - wenn Du es jetzt auch selbst nicht mehr
weiñt: Du bist berufen  von dir selbst.  GrÄm' dich  nicht: allmÄhlich, wenn
das Wissen kommt,  kommt  auch die  Erinnerung. Wissen  und Erinnerung  sind
dasselbe."
     Der   freundliche,  fast  liebenswØrdige  Ton,  in  den  Hillels   Rede
ausgeklungen  war, gab  mir meine Ruhe wieder, und  ich fØhlte mich geborgen
wie ein krankes Kind, das seinen Vater bei sich weiñ.
     Ich blickte auf und sah, dañ mit einemmal  viele  Gestalten  im  Zimmer
waren und uns  im Kreis umstanden: einige in weiñen SterbegewÄndern, wie sie
die alten Rabbiner trugen, andere mit dreieckigem Hut und Silberschnallen an
den  Schuhen - aber  Hillel fuhr  mir mit der  Hand Øber die  Augen, und die
Stube war wieder leer.
     Dann  geleitete  er mich hinaus  zur Treppe  und gab mir eine brennende
Kerze mit, damit ich mir hinaufleuchten kÃnne in mein Zimmer.
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     Ich legte  mich zu  Bett  und wollte schlafen,  aber  der Schlummer kam
nicht,  und ich  geriet stattdessen in einen  sonderbaren Zustand, der weder
TrÄumen war, noch Wachen, noch Schlafen.
     Das  Licht hatte ich ausgelÃscht, aber trotzdem war alles in der  Stube
so deutlich, dañ ich  jede  einzelne  Form genau unterscheiden konnte. Dabei
fØhlte  ich mich vollkommen  behaglich und frei  von der gewissen qualvollen
Unruhe, die einen foltert, wenn man sich in Ähnlicher Verfassung befindet.
     Nie  vorher in  meinem Leben wÄre ich imstande gewesen, so  scharf  und
prÄzis zu  denken wie  eben  jetzt. Der Rhythmus der Gesundheit durchstrÃmte
meine  Nerven  und ordnete meine Gedanken in Reih' und Glied wie eine Armee,
die nur auf meine Befehle wartete.
     Ich brauchte bloñ zu  rufen, und sie traten vor mich und erfØllten, was
ich wØnschte.
     Eine  Gemme,  die  ich in  den  letzten Wochen  aus  Aventurinstein  zu
schneiden versucht hatte, - ohne damit  zurechtzukommen, da sich die  vielen
zerstreuten  Flimmer in  dem  Mineral niemals  mit den  GesichtszØgen decken
wollten, die ich  mir vorgestellt,  - fiel mir  ein, und im  Nu sah  ich die
LÃsung vor mir und wuñte genau, wie ich den Stichel zu  fØhren hatte, um der
Struktur der Masse gerecht zu werden.
     Ehedem  Sklave einer Horde phantastischer EindrØcke und Traumgesichter,
von denen ich oft nicht  gewuñt: waren es Ideen  oder GefØhle,  sah ich mich
jetzt plÃtzlich als Herr und KÃnig im eigenen Reich.
     Rechenexempel, die ich frØher  nur mit ächzen und auf dem Papier  hÄtte
bewÄltigen  kÃnnen,  fØgten sich  mir  mit einem  Mal im Kopf  spielend  zum
Resultat.  Alles mit Hilfe einer  neuen, in  mir erwachten FÄhigkeit, das zu
sehen  und  festzuhalten,   was   ich  gerade  brauchte:  Ziffern,   Formen,
GegenstÄnde  oder  Farben. Und  wenn es sich um  Fragen handelte,  die durch
derlei  Werkzeuge  nicht  zu  lÃsen  waren:  - philosophische  Probleme  und
Ähnliches  -, so  trat  an  Stelle des inneren Sehens  das GehÃr, wobei  die
Stimme Schemajah Hillels die Rolle des Sprechers Øbernahm.
     Erkenntnisse seltsamster Art wurden mir zuteil.
     Was ich tausendmal im Leben achtlos als bloñes Wort an meinem Ohr hatte
vorØbergehen  lassen,  stand wertgetrÄnkt  bis in die tiefste Faser vor mir;
was  ich  "auswendig"  gelernt,  "erfañte" ich  mit  einem  Schlag  als mein
"Eigen"tum. Der Wortbildung Geheimnisse, die ich nie geahnt, lagen nackt vor
mir.
     Die "hohen" Ideale  der Menschheit,  die  vordem  mit kommerzienrÄtlich
biederer  Miene,  die Pathosbrust mit  Orden bekleckst, mich  von oben herab
behandelt hatten,  -  demØtig nahmen  sie jetzt die Maske von der Fratze und
entschuldigten sich:  sie seien selber ja nur Bettler, aber immerhin KrØcken
fØr - einen noch frecheren Schwindel.
     TrÄumte ich nicht  vielleicht doch? Hatte ich etwa gar nicht mit Hillel
gesprochen?
     Ich griff nach dem Sessel neben meinem Bett.
     Richtig: dort lag die Kerze, die  mir  Schemajah  mitgegeben hatte; und
selig wie ein kleiner Junge  in der Christfestnacht, der sich Øberzeugt hat,
dañ der wundervolle Hampelmann wirklich und leibhaftig vorhanden ist, wØhlte
ich mich wieder in die Kissen.
     Und wie ein SpØrhund drang ich weiter vor in das Dickicht der geistigen
RÄtsel, die mich rings umgaben.
     Zuerst versuchte ich zu dem Punkt in meinem Leben zurØckzugelangen, bis
zu dem meine Erinnerung  reichte. Nur von dort aus - glaubte ich - kÃnnte es
mir mÃglich sein, jenen  Teil  meines Daseins zu Øberblicken, der  fØr mich,
durch eine seltsame FØgung des Schicksals in Finsternis gehØllt lag.
     Aber wie  sehr ich mich auch bemØhte, ich kam nicht weiter, als dañ ich
mich wie einst  in dem dØsteren Hofe unseres Hauses stehen sah und durch den
Torbogen den TrÃdlerladen des Aaron  Wassertrum unterschied - als ob ich ein
Jahrhundert lang als  Gemmenschneider  in diesem Hause  gewohnt hÄtte, immer
gleich alt und ohne jemals ein Kind gewesen zu sein!
     Schon wollte ich  es als hoffnungslos aufgeben, weiter  zu  schØrfen in
den SchÄchten  der Vergangenheit,  da begriff ich  plÃtzlich mit leuchtender
Klarheit,  dañ  in   meiner  Erinnerung  wohl  die   breite  Heerstrañe  der
Geschehnisse  mit dem gewissen Torbogen endete, nicht aber eine Menge winzig
schmaler Fuñsteige, die wohl  bisher den Hauptpfad stÄndig begleitet hatten,
von mir jedoch nicht beachtet worden  waren. "Woher", schrie es  mir fast in
die  Ohren,  "hast du denn die  Kenntnisse, dank derer du jetzt  dein  Leben
fristest? Wer hat dich Gemmenschneiden gelehrt -  und Gravieren  und all das
andere? Lesen, schreiben,  sprechen - und essen -  und gehen,  atmen, denken
und fØhlen?"
     Sofort griff ich den Rat meines Innern  auf. Systematisch ging ich mein
Leben zurØck.
     Ich  zwang  mich  in  verkehrter  aber ununterbrochener Reihenfolge  zu
Øberlegen: was ist soeben geschehen, was war der Ausgangspunkt dazu, was lag
vor diesem und so weiter?
     Wieder  war  ich bei dem  gewissen Torbogen angelangt - - jetzt! Jetzt!
Nur ein kleiner Sprung ins Leere und der Abgrund, der mich von dem Vergessen
trennte,  muñte Øberflogen sein - da trat ein Bild vor mich, das ich auf der
RØckwanderung meiner Gedanken Øbersehen hatte: Schemajah Hillel fuhr mir mit
der Hand Øber die Augen - genau wie vorhin unten in seinem Zimmer.
     Und weggewischt war alles. Sogar der Wunsch, weiter zu forschen.
     Nur eins stand fest als bleibender Gewinn:  die  Erkenntnis:  die Reihe
der Begebenheiten im Leben ist eine Sackgasse, so breit und gangbar sie auch
zu  sein  scheint.  Die  schmalen,  verborgenen  Steige sind's,  die  in die
verlorene Heimat  zurØckfØhren: das, was mit feiner, kaum sichtbarer Schrift
in unserem KÃrper eingraviert ist, und nicht  die scheuñliche Narbe, die die
Raspel des  Äuñeren  Lebens  hinterlañt,  -  birgt die  LÃsung  der  letzten
Geheimnisse.
     So,  wie ich zurØckfinden kÃnnte in die Tage meiner jugend, wenn ich in
der  Fibel das Alphabet in verkehrter  Folge  vornÄhme von Z bis A,  um dort
anzulangen, wo ich in der Schule  zu lernen  begonnen, -  so,  begriff  ich,
muñte ich auch wandern kÃnnen in die andere ferne Heimat, die jenseits allen
Denkens liegt.
     Eine Weltkugel an Arbeit wÄlzte sich auf meine Schultern. Auch Herkules
trug eine Zeitlang das GewÃlbe des  Himmels auf seinem Haupte, fiel mir ein,
und versteckte  Bedeutung  schimmerte  mir  aus  der Sage entgegen.  Und wie
Herkules wieder loskam  durch eine List, indem er den Riesen Atlas bat: "Lañ
mich  nur  einen Bausch  von Stricken  um  den Kopf binden,  damit  mir  die
entsetzliche Last nicht das Gehirn zersprengt", so gÄbe es vielleicht  einen
dunklen Weg - dÄmmerte mir - von dieser Klippe weg.
     Ein tiefer  Argwohn, der FØhrerschaft  meiner Gedanken weiter blind  zu
vertrauen, beschlich mich plÃtzlich. Ich legte mich gerade und verschloñ mit
den  Fingern Augen und Ohren, um nicht abgelenkt zu  werden durch die Sinne.
Um jeden Gedanken zu tÃten.
     Doch mein Wille zerschellte an dem ehernen Gesetz: Ich konnte immer nur
einen Gedanken durch einen  anderen vertreiben,  und  starb der  eine, schon
mÄstete sich der nÄchste an seinem Fleische. Ich flØchtete in den brausenden
Strom meines  Blutes, aber die Gedanken folgten mir auf dem Fuñ; ich verbarg
mich  im HÄmmerwerk  meines  Herzens: nur eine kleine Weile, und sie  hatten
mich entdeckt.
     Abermals  kam  mir da  Hillels freundliche Stimme zu  Hilfe und  sagte:
"Bleib  auf  deinem  Weg  und wanke  nicht!  Der  SchlØssel  zur  Kunst  des
Vergessens gehÃrt unseren BrØdern, die den  Pfad des  Todes wandeln; du aber
bist geschwÄngert vom Geiste des - Lebens."
     Das  Buch Ibbur erschien  vor mir,  und zwei Buchstaben  flammten darin
auf: der eine, der das erzene Weib  bedeutete, mit dem Pulsschlag,  mÄchtig,
gleich  einem Erdbeben, - der andere in  unendlicher Ferne: der Hermaphrodit
auf dem Thron von Perlmutter, auf dem Haupte die Krone aus rotem Holz.
     Dann  fuhr  Schemajah Hillel ein drittes Mal mit der  Hand  Øber  meine
Augen, und ich schlummerte ein.

     "Mein lieber und verehrter Meister Pernath!
     Ich schreibe Ihnen diesen Brief in fliegender Eile und  hÃchster Angst.
Bitte, vernichten  Sie ihn  sofort,  nachdem  Sie ihn gelesen  haben, - oder
besser noch, bringen  Sie ihn mir  samt Kuvert mit.  - Ich hÄtte keine  Ruhe
sonst.
     Sagen  Sie keiner Menschenseele, dañ  ich Ihnen geschrieben habe.  Auch
nicht, wohin Sie heute gehen werden!
     Ihr ehrliches gutes Gesicht hat  mir  - "neulich" - (Sie  werden  durch
diese kurze Anspielung auf ein Ereignis,  dessen  Zeuge  Sie waren, erraten,
wer  Ihnen  diesen Brief  schreibt,  denn  ich fØrchte  mich,  meinen  Namen
darunter  zu  setzen)  -  so viel Vertrauen eingeflÃñt, und weiter,  dañ Ihr
lieber, seliger Vater mich als Kind  unterrichtet hat,  - alles das gibt mir
den Mut, mich an Sie, als vielleicht den einzigen  Menschen, der noch helfen
kann, zu wenden.
     Ich flehe Sie an, kommen  Sie  heute, abends um 5 Uhr, in die Domkirche
auf dem Hradschin."
     Eine Ihnen bekannte Dame.
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     Wohl eine  Viertelstunde  lang sañ  ich da und hielt  den  Brief in der
Hand.  Die seltsame,  weihevolle Stimmung,  die mich  von  gestern nacht her
umfangen  gehalten, war  mit  einem  Schlag  gewichen, -  weggeweht von  dem
frischen  Windhauch  eines neuen irdischen Tages.  Ein junges  Schicksal kam
lÄchelnd  und verheiñungsvoll  -  ein  FrØhlingskind  -  auf  mich  zu.  Ein
Menschenherz suchte Hilfe bei  mir. - Bei mir! Wie sah meine Stube plÃtzlich
so anders aus! Der  wurmstichige, geschnitzte Schrank  blickte  so zufrieden
drein, und die vier Sessel kamen mir  vor wie  alte Leute, die um den  Tisch
herumsitzen und behaglich kichernd Tarock spielen.
     Meine  Stunden hatten einen Inhalt bekommen, einen Inhalt voll Reichtum
und Glanz.
     So sollte der morsche Baum noch FrØchte tragen?
     Ich fØhlte,  wie  mich eine lebendige  Kraft durchrieselte,  die bisher
schlafen gelegen in  mir - verborgen  gewesen in den  Tiefen  meiner  Seele,
verschØttet von dem GerÃll, das der  Alltag hÄuft, wie eine Quelle losbricht
aus dem Eis, wenn der Winter zerbricht.
     Und ich wuñte so gewiñ, wie ich den Brief  in der  Hand  hielt, dañ ich
wØrde  helfen kÃnnen,  um was es auch ginge. Der Jubel in  meinem Herzen gab
mir die Sicherheit.
     Wieder und  wieder las  ich  die  Stelle: "und weiter,  dañ Ihr  lieber
seliger Vater mich als Kind unterrichtet hat -  - -"; - mir  stand der  Atem
still. Klang das  nicht wie  Verheiñung:  "Heute noch  wirst du  mit mir  im
Paradiese  sein?" Die Hand, die sich mir  hinstreckte, Hilfe suchend,  hielt
mir  das Geschenk  entgegen: die RØckerinnerung, nach der  ich  dØrstete,  -
wØrde  mir  das Geheimnis  offenbaren, den Vorhang  heben  helfen,  der sich
hinter meiner Vergangenheit geschlossen hatte!
     "Ihr  lieber seliger Vater" -  -, wie fremdartig die Worte klangen, als
ich sie  mir  vorsagte! - Vater! - Einen Augenblick sah ich das mØde Gesicht
eines  alten  Mannes  mit  weiñem Haar in dem Lehnstuhl  neben meiner  Truhe
auftauchen  - fremd,  ganz fremd und  doch so schauerlich bekannt; -  - dann
kamen  meine  Augen  wieder  zu  sich,  und die Hammerlaute  meines  Herzens
schlugen die greifbare Stunde der Gegenwart.
     Erschreckt fuhr ich  auf: hatte ich die Zeit vertrÄumt? Ich blickte auf
die Uhr: Gott sei Lob, erst halb fØnf.
     Ich  ging  in meine  Schlafkammer nebenan,  holte Hut  und  Mantel  und
schritt die Treppen hinab.  Was kØmmerte  mich heute das Geraune der dunklen
Winkel, die  bÃsartigen,  engherzigen, verdrossenen Bedenken, die  immer von
ihnen  aufstiegen:  "Wir  lassen dich nicht,  - du bist unser, - wir  wollen
nicht, dañ du dich freust - das wÄre noch schÃner, Freude hier im Haus!"
     Der feine, vergiftete Staub, der sich sonst aus allen diesen GÄngen und
Ecken her  um  mich gelegt  mit  wØrgenden HÄnden: heute  wich  er  vor  dem
lebendigen Hauch meines Mundes. Einen Augenblick blieb ich stehen an Hillels
TØr.
     Sollte ich eintreten?
     Eine heimliche Scheu hielt mich ab zu  klopfen. Mir war so ganz  anders
heute, - so, als dØrfe ich gar nicht hinein zu ihm. Und schon trieb mich die
Hand des Lebens vorwÄrts, die Stiegen hinab. - -
     Die Gasse lag weiñ im Schnee.
     Ich  glaube, dañ viele  Leute  mich  gegrØñt  haben; ich  erinnere mich
nicht, ob  ich ihnen gedankt. Immer  wieder fØhlte ich  an die Brust, ob ich
den Brief auch bei mir trØge:
     Es ging eine WÄrme von der Stelle aus. - -
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     Ich  wanderte  durch  die  Bogen  der  gequaderten LaubengÄnge  auf dem
AltstÄdter Ring und an  dem  Erzbrunnen vorbei, dessen  barockes Gitter voll
Eiszapfen  hing, hinØber Øber die steinerne BrØcke mit ihren Heiligenstatuen
und dem Standbild des Johannes von Nepomuk.
     Unten schÄumte der Fluñ voll Hañ gegen die Fundamente.
     Halb im Traum fiel mein Blick auf den gehÃhlten Sandstein  der heiligen
Luitgard mit "den Qualen der Verdammten" darin: dicht lag der Schnee auf den
Lidern der BØñenden und den Ketten an ihren betend erhobenen HÄnden.
     Torbogen nahmen mich auf und  entlieñen mich, PalÄste zogen  langsam an
mir vorØber, mit geschnitzten, hochmØtigen  Portalen, darinnen LÃwenkÃpfe in
bronzene Ringe bissen.
     Auch  hier  Øberall  Schnee, Schnee. Weich, weiñ  wie  das  Fell  eines
riesigen EisbÄren.
     Hohe, stolze  Fenster,  die  Simse  beglitzert  und  vereist,  schauten
teilnahmslos zu den Wolken empor.
     Ich wunderte mich, wie der Himmel so voll ziehender VÃgel war.
     Als ich die  unzÄhligen Granitstufen emporstieg zum  Hradschin, jede so
breit,  wie  wohl vier Menschenleiber lang sind, versank  Schritt um Schritt
die Stadt mit ihren DÄchern und Giebeln vor meinem Sinn. - - -
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     Schon schlich die DÄmmerung die  HÄuserreihen entlang, da trat ich  auf
den einsamen Platz, aus dessen Mitte der Dom aufragt zum Thron der Engel.
     Fuñstapfen - die RÄnder mit Krusten aus Eis - fØhrten hin zum Nebentor.
     Von irgendwo  aus  einer  fernen  Wohnung klangen leise, verlorene TÃne
eines Harmoniums in  die Abendstille hinaus. Wie TrÄnentropfen der Schwermut
fielen sie in die Verlassenheit.
     Ich  hÃrte  hinter   mir   das  Seufzen  des  Schlagpolsters,  wie  die
KirchentØre mich  aufnahm, dann stand ich  im Dunkel, und der  goldene Altar
blinkte in starrer Ruhe herØber zu mir durch den  grØnen und blauen Schimmer
sterbenden  Lichtes, das  durch  die  farbigen  Fenster  auf  die  BetstØhle
niedersank. Funken sprØhten aus roten, glÄsernen Ampeln.
     Welker Duft von Wachs und Weihrauch.
     Ich lehnte mich in eine  Bank.  Mein Blut ward seltsam still  in diesem
Reich der Regungslosigkeit.
     Ein  Leben  ohne  Herzschlag  erfØllte  den  Raum  -  ein   heimliches,
geduldiges Warten.
     Die silbernen Reliquienschreine lagen im ewigen Schlaf.
     Da! -  Aus weiter,  weiter  Ferne  drang  das  GerÄusch von Pferdehufen
gedÄmpft, kaum merklich an mein Ohr, wollte nÄher kommen und verstummte.
     Ein matter Schall, wie wenn ein Wagenschlag zufÄllt. - - -
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     Das  Rauschen eines seidenen Kleides war auf mich  zugekommen, und eine
zarte, schmale Damenhand hatte leicht meinen Arm berØhrt.
     "Bitte, bitte, gehen wir doch dort  neben  den Pfeiler; es  widerstrebt
mir, hier in den  BetstØhlen von den Dingen zu sprechen, die ich Ihnen sagen
muñ."
     Die weihevollen  Bilder  ringsum zerrannen  zu nØchterner Klarheit. Der
Tag hatte mich plÃtzlich angefañt.
     "Ich  weiñ gar  nicht, wie ich Ihnen  danken soll, Meister Pernath, dañ
Sie mir zuliebe bei dem schlechten Wetter den langen Weg hier herauf gemacht
haben."
     Ich stotterte ein paar banale Worte.
     "-  -  Aber  ich  wuñte  keinen  andern  Ort,  wo  ich   sicherer   vor
Nachforschung und Gefahr bin, als diesen. Hierher, in den Dom, ist uns gewiñ
niemand nachgegangen."
     Ich zog den Brief hervor und reichte ihn der Dame.
     Sie war fast ganz vermummt in einen kostbaren Pelz, aber schon am Klang
ihrer Stimme  hatte  ich  sie  wiedererkannt als dieselbe,  die damals  voll
Entsetzen vor  Wassertrum in mein  Zimmer in der Hahnpañgasse flØchtete. Ich
war auch nicht erstaunt darØber, denn ich hatte niemand anderen erwartet.
     Meine  Augen  hingen  an  ihrem  Gesicht,  das  in  der  DÄmmerung  der
Mauernische  wohl  noch blasser schien, als es in Wirklichkeit sein  mochte.
Ihre  SchÃnheit  benahm  mir fast den  Atem, und ich stand  wie  gebannt. Am
liebsten wÄre ich vor ihr niedergefallen und hÄtte ihre FØñe gekØñt, dañ sie
es war, der ich helfen sollte, dañ sie mich dazu erwÄhlt hatte.
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     "Vergessen Sie, ich  bitte Sie von Herzen darum,  -  wenigstens solange
wir hier sind - die Situation, in der Sie mich damals gesehen haben", sprach
sie  gepreñt  weiter, "ich weiñ auch gar  nicht, wie  Sie Øber  solche Dinge
denken - -"
     "Ich bin  ein  alter  Mann geworden, aber  kein  einziges Mal in meinem
Leben  war ich  so vermessen, dañ  ich mich Richter gedØnkt hÄtte Øber meine
Mitmenschen", war das einzige, was ich hervorbrachte.
     "Ich danke Ihnen, Meister Pernath", sagte sie warm  und  schlicht. "Und
jetzt  hÃren Sie mich geduldig an, ob  Sie  mir in meiner Verzweiflung nicht
helfen oder wenigstens einen Rat geben kÃnnen." - Ich fØhlte, wie eine wilde
Angst sie packte, und hÃrte ihre Stimme  zittern. - "Damals - - im Atelier -
- - damals  brach  die schreckliche Gewiñheit  Øber mich  herein,  dañ jener
grauenhafte Oger mir mit  Vorbedacht  nachgespØrt hat.  - Schon durch Monate
war mir  aufgefallen, dañ, wohin ich auch immer  ging, - ob allein, oder mit
meinem  Gatten,  oder  mit -  -  -  mit  -  mit  Dr. Savioli,  -  stets  das
entsetzliche  Verbrechergesicht  dieses   TrÃdlers  irgendwo   in  der  NÄhe
auftauchte. Im Schlaf und im Wachen verfolgten mich seine schielenden Augen.
Noch  macht sich  ja  kein Zeichen  bemerkbar, was er  vorhat,  aber  um  so
qualvoller drosselt mich nachts die Angst: wann wirft er mir die Schlinge um
den Hals!
     Anfangs  wollte  mich  Dr.  Savioli  damit beruhigen,  was  denn so ein
armseliger  TrÃdler  wie  dieser  Aaron  Wassertrum  Øberhaupt  vermÃchte  -
schlimmsten Falles kÃnnte es  sich nur um eine geringfØgige Erpressung  oder
dergleichen handeln, aber jedesmal  wurden seine  Lippen weiñ, wenn der Name
Wassertrum  fiel. Ich ahne: Dr. Savioli hÄlt mir  etwas  geheim, um  mich zu
beruhigen, - irgend  etwas Furchtbares, was ihn oder  mich das Leben  kosten
kann.
     Und dann  erfuhr ich, was er mir sorgsam  verheimlichen wollte: dañ ihn
der  TrÃdler mehrere Male  des Nachts  in seiner Wohnung besucht hat!  - Ich
weiñ es, ich spØre es in jeder Faser meines KÃrpers: es geht etwas  vor, das
sich langsam um  uns zusammenzieht wie  die Ringe einer  Schlange. - Was hat
dieser MÃrder dort zu suchen? Warum kann Dr. Savioli ihn  nicht abschØtteln?
Nein, nein, ich sehe  das nicht  lÄnger  mit an; ich muñ  etwas  tun. Irgend
etwas, ehe es mich in den Wahnsinn treibt."
     Ich wollte ihr ein paar Worte des Trostes entgegnen, aber sie lieñ mich
nicht zu Ende sprechen.
     "Und in den letzten Tagen  nahm der  Alp, der  mich zu erwØrgen  droht,
immer greifbarere  Formen an. Dr. Savioli ist plÃtzlich erkrankt, - ich kann
mich  nicht mehr  mit ihm verstÄndigen  -  darf ihn nicht besuchen, wenn ich
nicht stØndlich gewÄrtigen soll, dañ meine Liebe zu ihm entdeckt wird -;  er
liegt in Delirien,  und das  einzige, was  ich erkunden konnte, ist,  dañ er
sich im Fieber  von einem Scheusal verfolgt wÄhnt, dessen  Lippen von  einer
Hasenscharte gespalten sind: - Aaron Wassertrum!
     Ich weiñ,  wie mutig Dr. Savioli ist; um  so entsetzlicher - kÃnnen Sie
sich  das  vorstellen? - wirkt es auf  mich,  ihn jetzt  gelÄhmt  vor  einer
Gefahr, die ich selbst nur wie die dunkle NÄhe eines grauenhaften WØrgengels
empfinde, zusammengebrochen zu sehen.
     Sie werden sagen, ich sei feige, und warum ich mich denn nicht offen zu
Dr.  Savioli bekenne,  alles  von mir wØrfe, wenn ich  ihn doch so  liebe -:
alles, Reichtum, Ehre, Ruf  und  so weiter,  aber  -" sie schrie es fÃrmlich
heraus, dañ es  widerhallte von den  Chorgalerien, - "ich kann nicht!  - Ich
hab' doch mein Kind, mein liebes, blondes, kleines MÄdel! Ich kann doch mein
Kind  nicht hergeben! - Glauben Sie denn, mein Mann  lieñe es mir?!  Da, da,
nehmen Sie das, Meister  Pernath" - sie riñ im  Wahnwitz ein TÄschchen  auf,
das  vollgestopft war  mit PerlenschnØren und Edelsteinen - "und bringen Sie
es dem Verbrecher; - ich weiñ, er ist habsØchtig - er soll sich alles holen,
was ich  besitze, aber  mein Kind soll er mir lassen. - Nicht  wahr, er wird
schweigen? - So reden Sie doch  um Jesu  Christi willen,  sagen Sie nur  ein
Wort, dañ Sie mir helfen wollen!"
     Es  gelang mir mit grÃñter MØhe,  die Rasende  wenigstens  so  weit  zu
beruhigen, dañ sie sich auf eine Bank niederlieñ.
     Ich  sprach  zu   ihr,  wie  es  mir  der   Augenblick  eingab.  Wirre,
zusammenhanglose SÄtze.
     Gedanken jagten dabei  in meinem Hirn, so dañ ich selbst kaum verstand,
was mein Mund redete, - Ideen phantastischer Art, die  zusammenbrachen, kaum
dañ sie geboren waren.
     Geistesabwesend haftete  mein Blick auf einer bemalten  MÃnchsstatue in
der Wandnische. Ich redete und redete. AllmÄhlich verwandelten sich die ZØge
der   Statue,   die  Kutte   wurde   ein  fadenscheiniger   øberzieher   mit
hochgeklapptem Kragen,  und ein jugendliches Gesicht mit  abgezehrten Wangen
und hektischen Flecken wuchs daraus empor.
     Ehe ich  die  Vision verstehen konnte, war  der  MÃnch wieder da. Meine
Pulse schlugen zu laut.
     Die unglØckliche  Frau  hatte sich Øber  meine Hand gebeugt  und weinte
still.
     Ich gab ihr von der Kraft, die  in mich eingezogen war in  der  Stunde,
als  ich  den  Brief gelesen  hatte,  und  mich jetzt  abermals  ØbermÄchtig
erfØllte, und ich sah, wie sie langsam daran genas.
     "Ich will  Ihnen sagen,  warum  ich mich gerade  an  Sie gewendet habe,
Meister Pernath",  fing sie nach langem Schweigen leise wieder an. "Es waren
ein  paar Worte, die Sie mir einmal gesagt haben - und die ich nie vergessen
konnte die vielen Jahre hindurch - -"
     Vor vielen Jahren? Mir gerann das Blut.
     "- -  Sie  nahmen Abschied von mir - ich weiñ nicht  mehr,  weshalb und
wieso, ich war ja noch ein Kind, - und Sie sagten so  freundlich und doch so
traurig:
     ›Es  wird wohl nie die Zeit kommen, aber gedenken Sie meiner, wenn  Sie
je im Leben  nicht aus noch ein wissen.  Vielleicht gibt mir Gott der  Herr,
dañ  ich  es dann  sein  darf,  der  Ihnen  hilft.‹ -  Ich habe mich  damals
abgewendet und rasch meinen Ball  in den Springbrunnen fallen lassen,  damit
Sie meine TrÄnen nicht sehen  sollten. Und dann  wollte ich Ihnen  das  rote
Korallenherz schenken, das ich  an einem Seidenband um den  Hals  trug, aber
ich schÄmte mich, weil das gar so lÄcherlich gewesen wÄre." - - -
     Erinnerung!
     - Die Finger des Starrkrampfes tasteten nach meiner Kehle. Ein Schimmer
wie  aus  einem vergessenen,  fernen  Land  der  Sehnsucht trat  vor mich  -
unvermittelt und  schreckhaft:  Ein  kleines  MÄdchen  in  weiñem  Kleid und
ringsum  die  dunkle  Wiese  eines  Schloñparks,  von  alten  Ulmen umsÄumt.
Deutlich sah ich es wieder vor mir. - -
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     Ich muñte mich verfÄrbt  haben; ich merkte  es an der Hast, mit der sie
fortfuhr: "Ich weiñ ja, dañ Ihre Worte damals nur der Stimmung des Abschieds
entsprangen, aber  sie  waren  mir  oft ein Trost und - und ich  danke Ihnen
dafØr."
     Mit aller  Kraft biñ ich  die ZÄhne zusammen  und  jagte  den heulenden
Schmerz, der mich zerfetzte, in die Brust zurØck.
     Ich  verstand: Eine gnÄdige  Hand war es gewesen,  die die  Riegel  vor
meiner Erinnerung  zugeschoben hatte.  Klar stand jetzt in meinem Bewuñtsein
geschrieben, was ein kurzer  Schimmer  aus alten Tagen herØbergetragen: Eine
Liebe,  die  fØr  mein Herz  zu  stark gewesen, hatte fØr Jahre mein  Denken
zernagt, und die Nacht des Irrsinns war damals der Balsam fØr  meinen wunden
Geist geworden.
     AllmÄhlich senkte sich die Ruhe des Erstorbenseins Øber mich und kØhlte
die TrÄnen hinter  meinen Augenlidern. Der Hall  von  Glocken zog ernst  und
stolz durch den Dom, und ich konnte freudig lÄchelnd der in die Augen sehen,
die gekommen war, Hilfe bei mir zu suchen.
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     Wieder hÃrte ich das dumpfe Fallen des Wagenschlags und das Trappen der
Hufe. - - -
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     Durch nachtblauglitzernden Schnee ging ich hinab in die Stadt.
     Die   Laternen   staunten  mich  an  mit  zwinkernden  Augen,  und  aus
geschichteten  Bergen  von TannenbÄumen raunte es von Flitter  und silbernen
NØssen und vom kommenden Christfest.
     Auf dem Rathausplatz an der MariensÄule  murmelten bei Kerzenglanz  die
alten  Bettelweiber  mit  den  grauen  KopftØchern  der  Muttergottes  ihren
Rosenkranz.
     Vor  dem  dunklen  Eingang  zur   Judenstadt   hockten  die  Buden  des
Weihnachtsmarktes. Mitten  darin, mit rotem Tuch bespannt, leuchtete  grell,
von   schwelenden   Fackeln   beschienen,    die    offene    BØhne    eines
Marionettentheaters.
     Zwakhs Policcinell in  Purpur und Violett, die Peitsche in der Hand und
daran  an  der  Schnur  einen  TotenschÄdel,  ritt  klappernd auf  hÃlzernem
Schimmel Øber die Bretter.
     In  Reihen  fest  aneinander   gedrÄngt  starrten  die  Kleinen  -  die
PelzmØtzen  tief  Øber die  Ohren gezogen  -  mit offenem  Munde  hinauf und
lauschten  gebannt den  Versen  des  Prager Dichters Oskar Wiener, die  mein
Freund Zwakh da drinnen im Kasten sprach:
     "Ganz vorne schritt ein Hampelmann,
     Der Kerl war mager wie ein Dichter
     Und hatte bunte Lappen an
     Und torkelte und schnitt Gesichter." - - -
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     Ich bog in  die  Gasse  ein,  die schwarz  und  winklig  auf den  Platz
mØndete.  Dicht, Kopf an Kopf,  stand lautlos eine Menschenmenge  da in  der
Finsternis vor einem Anschlagzettel.
     Ein Mann hatte ein Streichholz angezØndet, und ich konnte einige Zeilen
bruchstØckweise lesen.  Mit  dumpfen Sinnen  nahm mein  Bewuñtsein  ein paar
Worte auf:
     Vermiñt!
     1000 fl Belohnung
     älterer Herr... schwarz gekleidet...
     ......... Signalement:
     ... fleischiges, glattrasiertes Gesicht......
     ...... Haarfarbe: weiñ.........
     .. Polizeidirektion... Zimmer Nr....
     Wunschlos, teilnahmslos, ein lebender Leichnam, ging ich langsam hinein
in die lichtlosen HÄuserreihen.
     Eine  Handvoll  winziger  Sterne glitzerte auf  dem  schmalen,  dunklen
Himmelsweg Øber den Giebeln.
     Friedvoll  schweiften meine Gedanken  zurØck in den  Dom, und die  Ruhe
meiner Seele wurde noch beseligender und tiefer, da drang vom Platz herØber,
schneidend klar  -  als  stØnde  sie dicht an  meinem Ohr  - die  Stimme des
Marionettenspielers durch die Winterluft:
     "Wo ist das Herz aus rotem Stein?
     Es hing an einem Seidenbande
     Und funkelte im FrØhrotschein." - - -

     Bis tief in die Nacht hatte ich ruhelos mein Zimmer durchmessen und mir
das Gehirn zermartert, wie ich "ihr" Hilfe bringen kÃnnte.
     Oft war ich nahe daran gewesen, hinunter zu Schemajah Hillel zu  gehen,
ihm zu erzÄhlen, was mir  anvertraut worden, und ihn  um Rat zu bitten. Aber
jedesmal verwarf ich den Entschluñ.
     Er stand im Geist so riesengroñ vor mir, dañ es eine Entweihung schien,
ihn mit Dingen, die das Äuñere Leben betrafen,  zu  behelligen,  dann wieder
kamen  Momente,  wo mich brennende  Zweifel befielen, ob ich in Wirklichkeit
alles das erlebt hÄtte, was nur eine kurze Spanne Zeit zurØcklag und doch so
seltsam verblañt schien, verglichen mit den lebenstrotzenden Erlebnissen des
verflossenen Tages.
     Hatte  ich  nicht  doch  getrÄumt?  Durfte ich -  ein  Mensch, dem  das
UnerhÃrte  geschehen war, dañ er seine Vergangenheit vergessen hatte, - auch
nur eine Sekunde lang als Gewiñheit  annehmen, wofØr als einziger Zeuge bloñ
meine Erinnerung die Hand aufhob?
     Mein  Blick  fiel auf die Kerze Hillels, die immer  noch auf dem Sessel
lag. Gott  sei  Dank,  wenigstens das eine  stand fest:  ich  war mit ihm in
persÃnlicher BerØhrung gewesen!
     Sollte  ich  nicht ohne  Besinnen  hinunterlaufen  zu  ihm,  seine Knie
umfassen und wie Mensch  zu Mensch ihm  klagen, dañ ein  unsÄgliches  Weh an
meinem Herzen frañ?
     Schon hielt ich die Klinke in der Hand, da lieñ ich wieder los; ich sah
voraus,  was kommen wØrde: Hillel wØrde mir mild Øber die Augen fahren und -
- - nein, nein, nur das nicht! Ich  hatte kein Recht, Linderung zu begehren.
"Sie" vertraute  auf mich und  meine Hilfe, und wenn die Gefahr, in der  sie
sich fØhlte, mir in Momenten auch klein und nichtig erscheinen mochte, - sie
empfand sie sicherlich als riesengroñ!
     Hillel um Rat zu bitten, blieb morgen Zeit  - ich zwang mich, kalt  und
nØchtern  zu denken; - ihn jetzt -  mitten in der Nacht zu stÃren? - es ging
nicht an. So wØrde nur ein VerrØckter handeln.
     Ich wollte die  Lampe  anzØnden;  dann  lieñ ich  es wieder  sein:  der
Abglanz des Mondlichts fiel von den  DÄchern gegenØber herein in mein Zimmer
und  gab mehr Helle, als  ich brauchte. Und ich fØrchtete, die Nacht  kÃnnte
noch langsamer vergehen, wenn ich Licht machte.
     Es  lag  so   viel  Hoffnungslosigkeit  in  dem  Gedanken,  die   Lampe
anzuzØnden, nur  um den  Tag zu erwarten, - eine leise Angst sagte mir,  der
Morgen rØcke dadurch in unerlebbare Ferne.
     Ich  trat ans Fenster: Wie ein gespenstischer, in der Luft  schwebender
Friedhof lagen  die Reihen verschnÃrkelter Giebel dort oben -  Leichensteine
mit  verwitterten Jahreszahlen, getØrmt Øber die dunklen  ModergrØfte, diese
"WohnstÄtten", darein  sich das  Gewimmel  der  Lebenden  HÃhlen  und  GÄnge
genagt.
     Lange  stand  ich so und starrte hinauf, bis ich mich leise, ganz leise
zu wundern begann, warum ich denn nicht aufschrÄke, wo doch ein GerÄusch von
verhaltenen Schritten durch die Mauern neben mir deutlich an mein Ohr drang.
     Ich  horchte hin:  Kein Zweifel, wieder ging da ein Mensch.  Das  kurze
ächzen der Dielen verriet, wie seine Sohle zÃgernd schlich.
     Mit einem Schlage war  ich ganz bei mir. Ich wurde fÃrmlich kleiner, so
preñte sich  alles in mir zusammen unter  dem Druck  des  Willens, zu hÃren.
Jedes Zeitempfinden gerann zu Gegenwart.
     Noch  ein  rasches Knistern,  das  vor sich  selbst erschrak und hastig
abbrach.  Dann  Totenstille. Jene  lauernde,  grauenhafte  Stille,  die  ihr
eigener VerrÄter ist und Minuten ins Ungeheuerliche wachsen macht.
     Regungslos stand ich, das Ohr an die Wand gedrØckt, das drohende GefØhl
in der Kehle, dañ drØben einer stand, genauso wie ich und dasselbe tat.
     Ich lauschte und lauschte:
     Nichts.
     Der Atelierraum nebenan schien wie abgestorben.
     Lautlos  -  auf  den Zehenspitzen - stahl  ich  mich an den Sessel  bei
meinem Bett, nahm Hillels Kerze und zØndete sie an.
     Dann Øberlegte ich:  Die eiserne SpeichertØre drauñen auf dem Gang, die
zum Atelier Saviolis fØhrte, ging nur von drØben aufzuklinken.
     Aufs  Geratewohl  ergriff ich ein hakenfÃrmiges StØck Draht,  das unter
meinen Graviersticheln auf dem Tische  lag: derlei SchlÃsser springen leicht
auf. Schon beim ersten Druck auf die Riegelfeder!
     Und was wØrde dann geschehen?
     Nur  Aaron Wassertrum konnte  es sein,  der  da  nebenan spionierte,  -
vielleicht  in KÄsten wØhlte, um  neue  Waffen  und Beweise in die  Hand  zu
bekommen, legte ich mir zurecht.
     Ob es viel nØtzen wØrde, wenn ich dazwischen trat?
     Ich besann mich nicht lang:  handeln, nicht denken! Nur dies furchtbare
Warten auf den Morgen zerfetzen!
     Und schon stand ich vor der  eisernen BodentØre, drØckte dagegen, schob
vorsichtig  den Haken ins  Schloñ und  horchte.  Richtig:  Ein  schleifendes
GerÄuch drinnen im Atelier, wie wenn jemand eine Schublade aufzieht.
     Im nÄchsten Augenblick schnellte der Riegel zurØck.
     Ich konnte das Zimmer Øberblicken und sah,  obwohl  es fast finster war
und meine Kerze mich nur blendete,  wie ein  Mann in langem schwarzem Mantel
entsetzt vor  einem Schreibtisch aufsprang, - eine Sekunde lang unschlØssig,
wohin sich wenden, - eine Bewegung machte, als wolle er auf mich losstØrzen,
sich dann den Hut vom Kopf riñ und hastig damit sein Gesicht bedeckte.
     "Was suchen Sie hier!" wollte ich rufen, doch der Mann kam mir zuvor:
     "Pernath! Sie sind's?  Gotteswillen! Das Licht weg!" Die Stimme kam mir
bekannt vor, war aber keinesfalls die des TrÃdlers Wassertrum.
     Automatisch blies ich die Kerze aus.
     Das Zimmer lag halbdunkel da  - nur von  dem schimmrigen Dunst, der aus
der Fensternische  hereindrang, matt  erhellt  - genau  wie meines, und  ich
muñte  meine  Augen  aufs Äuñerste anstrengen,  ehe ich  in dem abgezehrten,
hektischen Gesicht, das  plÃtzlich Øber dem  Mantel auftauchte, die ZØge des
Studenten Charousek erkennen konnte.
     "Der MÃnch!"  drÄngte  es sich mir auf die  Zunge  und ich verstand mit
einem Mal die Vision,  die ich gestern im Dom gehabt! Charousek! Das war der
Mann, an den ich mich wenden sollte! - Und ich hÃrte seine Worte wieder, die
er damals im Regen unter dem Torbogen gesagt  hatte: "Aaron Wassertrum  wird
es schon erfahren, dañ man mit vergifteten, unsichtbaren Nadeln durch Mauern
stechen kann. Genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will."
     Hatte ich an Charousek einen Bundesgenossen?  Wuñte  er ebenfalls,  was
sich zugetragen? Sein Hiersein  zu so ungewÃhnlicher Stunde lieñ fast darauf
schlieñen, aber ich scheute mich, die direkte Frage an ihn zu richten.
     Er  war  ans Fenster geeilt und spÄhte hinter dem Vorhang hinunter  auf
die Gasse.
     Ich erriet: er fØrchtete, Wassertrum kÃnne den Lichtschein meiner Kerze
wahrgenommen haben.
     "Sie denken gewiñ,  ich  sei ein Dieb, dañ  ich nachts  hier  in  einer
fremden Wohnung herumsuche,  Meister Pernath," fing er nach langem Schweigen
mit unsicherer Stimme an, "aber ich schwÃre Ihnen - -"
     Ich fiel ihm sofort in die Rede und beruhigte ihn.
     Und um ihm  zu zeigen, dañ ich keinerlei  Miñtrauen gegen ihn hegte, in
ihm  vielmehr  einen  Bundesgenossen  sah,  erzÄhlte  ich  ihm  mit  kleinen
EinschrÄnkungen,  die  ich fØr  nÃtig hielt, welche Bewandtnis  es  mit  dem
Atelier  habe, und  dañ  ich fØrchte, eine Frau, die  mir nahestehe,  sei in
Gefahr, den erpresserischen GelØsten des  TrÃdlers  in irgendwelcher Art zum
Opfer zu fallen.
     Aus der hÃflichen Weise, mit  der  er mir zuhÃrte, ohne mich mit Fragen
zu  unterbrechen,  entnahm ich, dañ  er das meiste bereits wuñte,  wenn auch
vielleicht nicht in Einzelheiten.
     "Es stimmt schon",  sagte er grØbelnd, als  ich  zu Ende  gekommen war.
"Habe ich mich also doch nicht geirrt! Der Kerl  will Savioli  an die Gurgel
fahren,  das  ist  klar,  aber offenbar hat  er  noch  nicht genug  Material
beisammen. Weshalb wØrde er sich sonst noch hier immerwÄhrend  herumdrØcken!
Ich ging nÄmlich gestern, sagen wir mal: ›zufÄllig‹ durch die Hahnpañgasse,"
erklarte er, als er  meine  fragende  Miene bemerkte, "da fiel  mir auf, dañ
Wassertrum erst lange - scheinbar unbefangen  - vor dem Tor unten auf und ab
schlenderte, dann aber,  als er sich unbeobachtet  glaubte,  rasch  ins Haus
bog. Ich ging  ihm sofort nach und tat so,  als wollte ich Sie besuchen, das
heiñt,  ich klopfte  bei  Ihnen  an, und dabei Øberraschte  ich  ihn, wie er
drauñen  an  der  eisernen  BodentØr  mit  einem  SchlØssel  herumhantierte.
NatØrlich gab er es augenblicklich auf, als ich kam, und  klopfte  ebenfalls
als  Vorwand bei Ihnen an.  Sie schienen Øbrigens  nicht zu Hause gewesen zu
sein, denn es Ãffnete niemand.
     Als ich mich dann  vorsichtig in der Judenstadt erkundigte, erfuhr ich,
dañ jemand,  der nach den Schilderungen nur Dr.  Savioli  sein konnte,  hier
heimlich  ein  Absteigequartier  besÄñe. Da Dr.  Savioli  schwerkrank liegt,
reimte ich mir das Øbrige zurecht.
     Sehen Sie: und  das da habe ich  aus den Schubladen zusammengesucht, um
Wassertrum  fØr alle FÄlle zuvorzukommen", schloñ  Charousek und deutete auf
ein  Paket  Briefe  auf  dem  Schreibtisch;   "es  ist  alles,  was  ich  an
SchriftstØcken finden konnte. Hoffentlich ist  sonst nichts  mehr vorhanden.
Wenigstens habe ich in sÄmtlichen Truhen und SchrÄnken gestÃbert, so gut das
in der Finsternis ging."
     Meine Augen  durchforschten bei seiner  Rede  das  Zimmer  und  blieben
unwillkØrlich  auf  einer FalltØre am Boden  haften. Ich entsann mich  dabei
dunkel, dañ Zwakh mir irgendwann erzÄhlt hatte, ein  geheimer  Zugang  fØhre
von unten herauf ins Atelier.
     Es war eine viereckige Platte mit einem Ring daran als Griff.
     "Wo sollen wir  die  Briefe aufheben?", fing Charousek wieder an. "Sie,
Herr Pernath, und ich sind wohl die einzigen im ganzen Getto, die Wassertrum
harmlos vorkommen,  - warum gerade ich, das -  hat -  seine  - besonderen  -
GrØnde", - (ich sah, dañ sich seine ZØge in wildem Hañ verzerrten, wie er so
den  letzten  Satz  fÃrmlich zerbiñ -) "und Sie  halt er fØr  - -" Charousek
erstickte das Wort "verrØckt"  mit einem  raschen, erkØnstelten Husten, aber
ich erriet, was  er  hatte sagen wollen. Es tat mir  nicht weh; das  GefØhl,
"ihr" helfen zu kÃnnen, machte mich so  glØckselig, dañ jede Empfindlichkeit
ausgelÃscht war.
     Wir  kamen schlieñlich Øberein,  das  Paket bei mir zu verstecken,  und
gingen hinØber in meine Kammer.
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     Charousek  war  lÄngst  fort, aber  immer  noch  konnte  ich mich nicht
entschlieñen, zu Bette  zu gehen. Eine  gewisse innere Unzufriedenheit nagte
an mir  und hielt mich davon ab. Irgend  etwas sollte  ich noch  tun, fØhlte
ich, aber was? was?
     Einen Plan fØr den Studenten entwerfen, was weiter zu geschehen hÄtte?
     Das  allein konnte  es nicht sein. Charousek lieñ  den TrÃdler  sowieso
nicht aus den Augen,  darØber bestand kein Zweifel. Ich schauderte, wenn ich
an den Hañ dachte, der aus seinen Worten geweht hatte.
     Was ihm Wassertrum wohl angetan haben mochte?
     Die  seltsame  innere Unruhe  in  mir  wuchs und brachte  mich fast zur
Verzweiflung. Ein Unsichtbares, Jenseitiges rief nach mir, und  ich verstand
nicht.
     Ich kam mir vor wie ein Gaul,  der dressiert wird,  das Reiñen am ZØgel
spØrt und  nicht weiñ, welches  KunststØck er machen soll, den Willen seines
Herrn nicht erfañt.
     Hinuntergehen zu Schemajah Hillel?
     Jede Faser in mir verneinte.
     Die Vision  des MÃnchs  in der Domkirche, auf  dessen Schultern gestern
der  Kopf Charouseks aufgetaucht war als  Antwort auf eine  stumme  Bitte um
Rat, gab mir Fingerzeig genug, von nun an dumpfe GefØhle nicht ohne weiteres
zu verachten. Geheime KrÄfte keimten in mir auf  seit geraumer Zeit, das war
gewiñ:  ich  empfand es zu ØbermÄchtig,  als  dañ ich auch nur  den  Versuch
gemacht hÄtte, es wegzuleugnen.
     Buchstaben zu empfinden, sie nicht  nur mit  den  Augen  in  BØchern zu
lesen, - einen Dolmetsch in mir selbst aufzustellen, der mir  Øbersetzt, was
die  Instinkte ohne Worte raunen, darin muñ der  SchlØssel liegen,  sich mit
dem eigenen Innern durch klare Sprache zu verstÄndigen, begriff ich.
     "Sie haben Augen und  sehen nicht; sie  haben  Ohren und  hÃren nicht",
fiel mir eine Bibelstelle wie eine ErklÄrung dazu ein.
     "SchlØssel,   SchlØssel,  SchlØssel",  wiederholten  mechanisch   meine
Lippen, derweilen mir der Geist jene sonderbaren Ideen vorgaukelte, bemerkte
ich plÃtzlich.
     "SchlØssel, SchlØssel -  -?" Mein  Blick fiel  auf den krummen Draht in
meiner Hand, der  mir vorhin zum ãffnen der SpeichertØre gedient  hatte, und
eine heiñe Neugier, wohin wohl die viereckige FalltØr aus dem Atelier fØhren
kÃnnte, peitschte mich auf.
     Und ohne zu Øberlegen, ging  ich  nochmals  hinØber in Saviolis Atelier
und zog an dem  Griffring  der FalltØre, bis es  mir schlieñlich gelang, die
Platte zu heben.
     Zuerst nichts als Dunkelheit.
     Dann  sah   ich:  Schmale,  steile  Stufen  liefen   hinab  in  tiefste
Finsternis.
     Ich stieg hinunter.
     Eine Zeitlang tastete ich mich mit den  HÄnden die Mauern entlang, aber
es wollte  kein  Ende nehmen:  Nischen, feucht  von  Schimmel  und Moder,  -
Windungen, Ecken und Winkel,  - GÄnge geradeaus, nach links und nach rechts,
Reste einer  alten HolztØre,  Wegteilungen und  dann wieder Stufen,  Stufen,
Stufen hinauf und hinab.
     Matter, erstickender Geruch nach Schwamm und Erde Øberall.
     Und noch immer kein Lichtstrahl. -
     Wenn ich nur Hillels Kerze mitgenommen hÄtte!
     Endlich flacher, ebener Weg.
     Aus dem Knirschen unter meinen  FØñen schloñ ich, dañ ich auf trockenem
Sand dahinschritt.
     Es konnte  nur  einer  jener zahllosen  GÄnge sein, die scheinbar  ohne
Zweck und Ziel unter dem Getto hinfØhren bis zum Fluñ.
     Ich  wunderte  mich   nicht:   die   halbe   Stadt   stand   doch  seit
unvordenklichen Zeiten auf solchen unterirdischen  LÄuften, und die Bewohner
Prags hatten von jeher triftigen Grund, das Tageslicht zu scheuen.
     Das Fehlen jeglichen GerÄuschs  zu meinen  HÄupten sagte mir,  dañ  ich
mich immer noch in der Gegend des Judenviertels, das nachts wie ausgestorben
ist, befinden muñte, obwohl ich schon eine Ewigkeit gewandert war. Belebtere
Strañen oder PlÄtze Øber mir hÄtten sich durch fernes Wagenrasseln verraten.
     Eine  Sekunde lang wØrgte  mich die Furcht:  was,  wenn  ich im  Kreise
herumging!? In ein Loch  stØrzte,  mich verletzte, ein  Bein brach und nicht
mehr weiter gehen konnte?!
     Was  geschah  dann mit  ihren  Briefen in  meiner  Kammer?  Sie  muñten
unfehlbar Wassertrum in die HÄnde fallen.
     Der Gedanke  an Schemajah Hillel,  mit dem ich  vag  den Begriff  eines
Helfers und FØhrers verknØpfte, beruhigte mich unwillkØrlich.
     Vorsichtshalber  ging  ich aber doch langsamer und tastenden  Schrittes
und hielt den Arm in die HÃhe, um nicht unversehens mit dem Kopf anzurennen,
falls der Gang niedriger wØrde.
     Von Zeit zu Zeit, dann immer  Ãfter stieñ ich oben mit der Hand an, und
endlich senkte sich das Gestein so tief herab, dañ ich mich bØcken muñte, um
durchzukommen.
     PÃtzlich fuhr ich mit dem erhobenen Arm in einen leeren Raum.
     Ich blieb stehen und starrte hinauf.
     Nach  und nach schien es mir, als falle von der Decke ein leiser,  kaum
merklicher Schimmer von Licht.
     MØndete hier ein Schacht, vielleicht aus irgendeinem Keller herunter?
     Ich richtete mich  auf und tastete mit beiden HÄnden  in  KopfeshÃhe um
mich herum: die ãffnung war genau viereckig und ausgemauert.
     AllmÄhlich  konnte  ich darin  als  Abschluñ die schattenhaften Umrisse
eines  wagerechten Kreuzes unterscheiden,  und endlich  gelang es mir, seine
StÄbe zu erfassen, mich daran emporzuziehen und hindurchzuzwÄngen.
     Ich stand jetzt auf dem Kreuz und orientierte mich.
     Offenbar  endeten hier die  øberbleibsel einer  eisernen  Wendeltreppe,
wenn mich das GefØhl meiner Finger nicht tÄuschte?
     Lang, unsagbar lang muñte  ich tappen, bis ich die zweite Stufe  finden
konnte, dann klomm ich empor.
     Es waren im  ganzen acht Stufen.  Eine jede fast in  MannshÃhe Øber der
andern.
     Sonderbar: die Treppe stieñ oben gegen eine Art horizontalen  GetÄfels,
das   aus   regelmÄñigen,   sich   schneidenden   Linien   den   Lichtschein
herabschimmern lieñ, den ich schon weiter unten im Gang bemerkt hatte!
     Ich duckte  mich, so tief ich konnte, um aus  etwas weiterer Entfernung
besser unterscheiden zu  kÃnnen, wie die Linien verliefen, und sah zu meinem
Erstaunen,  dañ  sie genau  die  Form  eines Sechsecks,  wie man  es auf den
Synagogen findet, bildeten.
     Was mochte das nur sein?
     PlÃtzlich kam  ich  dahinter: es war  eine  FalltØr, die  an den Kanten
Licht durchlieñ! Eine FalltØr aus Holz in Gestalt eines Sternes.
     Ich  stemmte  mich  mit  den Schultern gegen  die  Platte, drØckte  sie
aufwÄrts  und  stand im  nÄchsten Moment  in einem Gemach, das  von  grellem
Mondschein erfØllt war.
     Es war  ziemlich  klein, vollstÄndig leer bis auf einen Haufen Gerumpel
in der Ecke und hatte nur ein einziges, stark vergittertes Fenster.
     Eine TØre oder sonst einen Zugang mit Ausnahme dessen, den  ich  soeben
benØtzt,  vermochte ich nicht zu entdecken,  so  genau  ich  auch die Mauern
immer wieder von neuem absuchte.
     Die GitterstÄbe des Fensters standen zu eng, als dañ ich den Kopf hÄtte
durchstecken kÃnnen, so viel aber sah ich:
     Das  Zimmer befand sich ungefÄhr in  der HÃhe eines dritten Stockwerks,
denn  die  HÄuser gegenØber  hatten nur  zwei  Etagen und  lagen  wesentlich
tiefer.
     Das eine Ufer der  Strañe unten war fØr  mich noch knapp sichtbar, aber
infolge des blendenden Mondlichts, das mir voll ins Gesicht schien, in tiefe
Schlagschatten  getaucht,  die  es mir  unmÃglich  machten, Einzelheiten  zu
unterscheiden.
     Zum  Judenviertel muñte  die Gasse unbedingt gehÃren, denn  die Fenster
drØben waren sÄmtlich vermauert oder aus Simsen im  Bau angedeutet, und  nur
im Getto kehren die HÄuser einander so seltsam den RØcken.
     Vergebens quÄlte  ich  mich  ab  herauszubringen was das wohl  fØr  ein
sonderbares Bauwerk sein mochte, in dem ich mich befand.
     Sollte  es vielleicht ein aufgelassenes SeitentØrmchen der griechischen
Kirche sein? Oder gehÃrte es irgendwie zur Altneusynagoge?
     Die Umgebung stimmte nicht.
     Wieder  sah  ich  mich im Zimmer  um:  nichts,  was  mir  auch nur  den
kleinsten Aufschluñ  gegeben  hÄtte. - Die WÄnde  und die  Decke waren kahl,
Bewurf und Kalk  lÄngst abgefallen und weder  NagellÃcher,  noch  NÄgel, die
verraten hÄtten, dañ der Raum einst bewohnt gewesen.
     Der Boden lag fuñhoch bedeckt mit Staub, als hÄtte ihn seit Jahrzehnten
kein lebendes Wesen betreten.
     Das  GerØmpel in der Ecke zu  durchsuchen, ekelte ich mich. Es  lag  in
tiefer Finsternis, und ich konnte nicht unterscheiden, woraus es bestand.
     Dem Äuñeren Eindruck nach schienen es Lumpen zu einem KnÄuel geballt.
     Oder waren es ein paar alte, schwarze Handkoffer?
     Ich tastete mit dem Fuñ  hin, und es gelang mir,  mit  dem Absatz einen
Teil davon in die NÄhe des Lichtstreifens zu ziehen, den der Mond quer Øbers
Zimmer  warf.  Es schien wie ein breites, dunkles Band,  das sich da langsam
aufrollte.
     Ein blitzender Punkt wie ein Auge!
     Ein Metallknopf vielleicht?
     AllmÄhlich wurde  mir klar:  ein ärmel  von  sonderbarem,  altmodischem
Schnitt hing da aus dem BØndel heraus.
     Und  eine  kleine  weiñe  Schachtel,  oder  dergleichen  lag  darunter,
lockerte  sich  unter  meinem  Fuñ  und  zerfiel  in  eine  Menge  fleckiger
Schichten.
     Ich gab ihr einen leichten Stoñ: Ein Blatt flog ins Helle.
     Ein Bild?
     Ich bØckte mich: ein Pagad!
     Was mir eine weiñe Schachtel geschienen, war ein Tarockspiel.
     Ich hob es auf.
     Konnte es etwas  LÄcherlicheres geben: Ein Kartenspiel hier  an  diesem
gespenstischen Ort!
     MerkwØrdig, dañ ich mich zum  LÄcheln zwingen muñte. Ein leises  GefØhl
von Grauen beschlich mich.
     Ich  suchte  nach  einer  banalen  ErklÄrung,  wie  die   Karten   wohl
hierhergekommen sein kÃnnten,  und zÄhlte dabei mechanisch das Spiel. Es war
vollstÄndig:  78 StØck. Aber  schon wÄhrend des  ZÄhlens fiel mir etwas auf:
Die BlÄtter waren wie aus Eis.
     Eine  lÄhmende  KÄlte  ging von  ihnen  aus,  und  wie  ich  das  Paket
geschlossen  in der  Hand hielt, konnte  ich  es  kaum  mehr  loslassen:  so
erstarrt  waren  meine  Finger.  Wieder  haschte  ich nach einer  nØchternen
ErklÄrung:
     Mein  dØnner  Anzug, die  lange Wanderung ohne  Mantel  und  Hut in den
unterirdischen   GÄngen,  die  grimmige  Winternacht,  die  SteinwÄnde,  der
entsetzliche Frost,  der  mit  dem Mondlicht  durchs  Fenster hereinfloñ:  -
sonderbar genug, dañ ich  erst jetzt anfing zu frieren. Die Erregung, in der
ich mich die ganze Zeit befunden, muñte  mich darØber hinweggetÄuscht haben.
-
     Ein Schauer nach dem andern jagte mir Øber die Haut. Schicht um Schicht
drangen sie tiefer, immer tiefer in meinen KÃrper ein.
     Ich fØhlte  mein Skelett zu  Eis werden und  wurde mir  jedes einzelnen
Knochens bewuñt wie kalter Metallstangen, an denen mir das Fleisch festfror.
     Kein  Umherlaufen  half, kein  Stampfen  mit den  FØñen und  nicht  das
Schlagen mit den Armen. Ich biñ die ZÄhne zusammen, um ihr Klappern nicht zu
hÃren.
     Das  ist der  Tod,  sagte  ich mir,  der  dir  die kalten HÄnde auf den
Scheitel legt.
     Und ich wehrte mich wie ein  Rasender gegen den  betÄubenden Schlaf des
Erfrierens, der, wollig  und erstickend, mich wie mit einem Mantel einhØllen
kam.
     Die Briefe, in meiner  Kammer - ihre Briefe! brØllte es in mir auf: man
wird sie finden,  wenn ich  hier sterbe.  Und sie hofft  auf  mich! Hat ihre
Rettung in meine HÄnde gelegt! - Hilfe! - Hilfe! Hilfe! -
     Und ich schrie durch das Fenstergitter hinunter auf die  Ãde Gasse, dañ
es widerhallte: Hilfe, Hilfe, Hilfe!
     Warf  mich zu Boden  und sprang wieder  auf. Ich durfte nicht  sterben,
durfte  nicht! ihretwegen,  nur ihretwegen! Und wenn ich  Funken aus  meinen
Knochen schlagen sollte, um mich zu erwÄrmen.
     Da fiel mein Blick  auf die Lumpen in der Ecke, und  ich stØrzte darauf
zu und zog sie mit schlotternden HÄnden Øber meine Kleider.
     Es  war  ein  zerschlissener  Anzug   aus  dickem,  dunklem  Tuch   von
uraltmodischem, seltsamem Schnitt.
     Ein Geruch nach Moder ging von ihm aus.
     Dann kauerte  ich mich  in dem  gegenØberliegenden Mauerwinkel zusammen
und spØrte meine  Haut langsam, langsam wÄrmer  werden. Nur das schauerliche
GefØhl des eigenen, eisigen Gerippes in mir wollte nicht weichen. Regungslos
sañ ich  da und lieñ meine Augen wandern: die Karte, die ich zuerst gesehen,
- der Pagad, - lag noch immer inmitten des Zimmers in dem Lichtstreifen.
     Unverwandt muñte ich sie anstarren.
     Sie schien, soweit ich  auf  die  Entfernung hin  erkennen  konnte,  in
Wasserfarben ungeschickt von Kinderhand gemalt, und  stellte den hebrÄischen
Buchstaben  Aleph  dar,  in Form eines  Mannes,  altfrÄnkisch gekleidet, den
grauen  Spitzbart kurz geschnitten und den linken Arm  erhoben, wÄhrend  der
andere abwÄrts deutete.
     Hatte  das Gesicht  des  Mannes  nicht  eine  seltsame ähnlichkeit  mit
meinem, dÄmmerte mir ein Verdacht auf? - Der Bart - er pañte so gar nicht zu
einem Pagad, - - ich kroch auf die Karte zu und warf sie  in die Ecke zu dem
Rest des GerØmpels, um den quÄlenden Anblick los zu sein.
     Dort lag sie  jetzt und schimmerte - ein grauweiñer, unbestimmter Fleck
- zu mir herØber aus dem Dunkel.
     Mit Gewalt zwang ich mich zu Øberlegen, was  ich  zu beginnen hÄtte, um
wieder in meine Wohnung zu kommen:
     Den Morgen abwarten! Unten die VorØbergehenden vom Fenster aus anrufen,
damit  sie  mir  von  auñen  mit  einer  Leiter  Kerzen  oder  eine  Laterne
heraufbrÄchten!  -  Ohne  Licht  die endlosen, sich  ewig  kreuzenden  GÄnge
zurØckzufinden,  wØrde  mir  nie  gelingen,  empfand  ich   als  beklemmende
Gewiñheit. -  Oder, falls das Fenster zu hoch lÄge, dañ sich jemand vom Dach
mit einem Strick - -? Gott im Himmel, wie ein Blitzstrahl durchfuhr es mich:
jetzt  wuñte ich,  wo  ich  war:  Ein  Zimmer ohne Zugang  -  nur  mit einem
vergitterten  Fenster  - das  altertØmliche  Haus  in der Altschulgasse, das
jeder mied! - schon einmal vor vielen Jahren hatte sich ein Mensch an  einem
Strick vom Dach herabgelassen, um durchs Fenster  zu schauen, und der Strick
war gerissen und -  Ja: ich war in dem Haus, in  dem der gespenstische Golem
jedesmal verschwand!
     Ein  tiefes Grauen, gegen das ich mich vergeblich wehrte, das ich nicht
einmal mehr durch die Erinnerung an die Briefe niederkÄmpfen konnte,  lÄhmte
jedes Weiterdenken und mein Herz fing an, sich zu krampfen.
     Hastig sagte ich mir vor mit steifen  Lippen,  es sei nur der Wind, der
da  so  eisig  aus der Ecke  herØberwehte, sagte es mir vor,  schneller  und
schneller,  mit  pfeifendem  Atem -  es  half nicht  mehr:  dort drØben  der
weiñliche  Fleck  - die Karte  - sie quoll auf zu blasigem Klumpen,  tastete
sich  hin  zum  Rande  des  Mondstreifens  und  kroch  wieder  zurØck in die
Finsternis.  -  Tropfende  Laute - halb gedacht, geahnt, halb  wirklich - im
Raum und doch auñerhalb um mich herum und  doch anderswo, - tief im  eigenen
Herzen und  wieder mitten  im  Zimmer -  erwachten: GerÄusche, wie wenn  ein
Zirkel fÄllt und mit der Spitze im Holz stecken bleibt!
     Immer wieder: Der weiñliche Fleck -  - - der weiñliche Fleck - -!  Eine
Karte,  eine erbÄrmliche, dumme, alberne Spielkarte ist es,  schrie  ich mir
ins Hirn hinein  - - - umsonst  - - jetzt  hat  er  sich  dennoch  - dennoch
Gestalt erzwungen - der Pagad  - und hockt in der Ecke und stiert herØber zu
mir mit meinem eigenen Gesicht.
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     Stunden und Stunden  kauerte ich da -  unbeweglich - in  meinem Winkel,
ein frosterstarrtes Gerippe in fremden, modrigen Kleidern! -  Und er drØben:
ich selbst.
     Stumm und regungslos.
     So starrten wir uns in die Augen, - einer das grÄñliche Spiegelbild des
andern. - - -
     Ob  er es auch  sieht,  wie sich  die  Mondstrahlen mit schneckenhafter
TrÄgheit Øber den Boden hinsaugen und wie Zeiger eines unsichtbaren Uhrwerks
in der Unendlichkeit die Wand emporkriechen und fahler und fahler werden? -
     Ich bannte ihn  fest  mit meinem  Blick und es half ihm  nichts, dañ er
sich auflÃsen wollte  in dem  MorgendÄmmerschein, der ihm vom Fenster her zu
Hilfe kam.
     Ich hielt ihn fest.
     Schritt vor Schritt habe ich mit ihm gerungen  um mein Leben -  um  das
Leben, das mein ist, weil es nicht mehr mir gehÃrt. - -
     Und wie er kleiner und kleiner wurde und sich bei Tagesgrauen wieder in
sein Kartenblatt verkroch, da stand ich auf, ging hinØber zu ihm und steckte
ihn in die Tasche - den Pagad.
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     Immer noch war die Gasse unten Ãd und menschenleer.
     Ich  durchstÃberte die Zimmerecke, die jetzt  im stumpfen  Morgenlichte
lag: Scherben, dort eine rostige Pfanne,  morsche Fetzen,  ein Flaschenhals.
Tote Dinge und doch so merkwØrdig bekannt.
     Und auch die Mauern - wie die Risse und SprØnge dann deutlich wurden! -
wo hatte ich sie nur gesehen?
     Ich nahm das KartenpÄckchen zur  Hand - es dÄmmerte mir auf: hatte  ich
die nicht einst selbst bemalt? Als Kind? Vor langer, langer Zeit?
     Es  war ein uraltes Tarockspiel.  Mit hebrÄischen Zeichen. - Nummer  12
muñ der "Gehenkte" sein, Øberkam's mich wie halbe Erinnerung. - Mit dem Kopf
abwÄrts? Die Arme auf dem RØcken? - Ich blÄtterte nach: Da! Da war er.
     Dann wieder, halb Traum, halb Gewiñheit,  tauchte ein Bild vor mir auf:
Ein geschwÄrztes Schulhaus, bucklig, schief,  ein  mØrrisches  HexengebÄude,
die linke Schulter hochgezogen, die andere mit einem Nebenhaus verwachsen. -
-  -  Wir sind  mehrere  halbwØchsige Jungen  -  ein verlassener Keller  ist
irgendwo - - -
     Dann  sah ich  an meinem  KÃrper  herab  und  wurde  wieder  irre:  Der
altmodische Anzug war mir vÃllig fremd.
     Der  LÄrm  eines holpernden Karrens schreckte  mich auf,  doch  als ich
hinabblickte: Keine  Menschenseele. Nur ein Fleischerhund stand versonnen an
einem Eckstein.
     Da! Endlich! Stimmen! menschliche Stimmen!
     Zwei  alte Weiber  kamen  langsam  die  Strañe dahergetrottet,  und ich
zwÄngte den Kopf halb durch das Gitter und rief sie an.
     Mit offenem Mund glotzten sie in  die HÃhe und berieten  sich. Aber als
sie mich sahen, stieñen sie ein gellendes Geschrei aus und liefen davon.
     Sie haben mich fØr den Golem gehalten, begriff ich.
     Und ich erwartete, dañ ein Zusammenlauf  von  Menschen entstehen wØrde,
denen  ich mich verstÄndlich machen  kÃnnte, aber wohl  eine Stunde verging,
und nur  hie  und da spÄhte unten  vorsichtig ein blasses  Gesicht herauf zu
mir, um sofort in Todesschreck wieder zurØckzufahren.
     Sollte  ich  warten, bis vielleicht nach  Stunden oder gar  erst morgen
Polizisten kamen - die Staatsfalotten, wie Zwakh sie zu nennen pflegte?
     Nein, lieber wollte ich  einen Versuch machen, die unterirdischen GÄnge
ein StØck weit auf ihre Richtung hin zu untersuchen.
     Vielleicht fiel  jetzt bei  Tag durch Ritzen  im Gestein eine Spur  von
Licht hinab?
     Ich kletterte die Leiter  hinunter,  setzte  den Weg, den  ich  gestern
gekommen war, fort - Øber  ganze Halden zerbrochener  Ziegelsteine und durch
versunkene Keller  - erklomm eine  Treppenruine und stand plÃtzlich -  -  im
Hausflur des schwarzen Schulhauses, das ich vorhin wie im Traum gesehen.
     Sofort stØrzte  eine  Flutwelle  von Erinnerungen  auf mich ein: BÄnke,
bespritzt mit Tinte von oben  bis unten, Rechenhefte, plÄrrender Gesang, ein
Junge, der MaikÄfer  in  der  Klasse loslÄñt, LesebØcher  mit  zerquetschten
Butterbroten darin und der  Geruch  nach Orangenschalen. Jetzt wuñte ich mit
Gewiñheit: Ich war einst  als  Knabe hier gewesen. - Aber ich lieñ mir keine
Zeit nachzudenken und eilte heim.
     Der  erste Mensch,  der  mir in der  Salnitergasse  begegnete, war  ein
verwachsener alter  Jude  mit weiñen  SchlÄfenlocken.  Kaum  hatte  er  mich
erblickt, bedeckte er sein Gesicht mit den HÄnden und heulte laut hebrÄische
Gebete herunter.
     Auf  den LÄrm  hin muñten wahrscheinlich  viele Leute  aus ihren HÃhlen
gestØrzt  sein,  denn es brach ein unbeschreibliches Gezeter hinter mir los.
Ich   drehte   mich   um   und   sah   ein   wimmelndes  Heer  totenblasser,
entsetzenverzerrter Gesichter sich mir nachwÄlzen.
     Erstaunt  blickte  ich  an mir  herunter und verstand: -  ich trug noch
immer  die  seltsam  mittelalterlichen Kleider  von nachts  her Øber  meinem
Anzug, und die Leute glaubten, den "Golem" vor sich zu haben.
     Rasch lief ich um die Ecke hinter ein Haustor und riñ mir  die modrigen
Fetzen vom Leibe.
     Gleich darauf  raste die Menge mit geschwungenen StÃcken und geifernden
MÄulern schreiend an mir vorØber.

     Einigemal im Lauf des  Tages hatte ich  an  Hillels TØre geklopft; - es
lieñ mir keine  Ruhe:  ich muñte  ihn sprechen  und  fragen, was alle  diese
seltsamen Erlebnisse bedeuteten; aber immer hieñ es,  er sei  noch nicht  zu
Hause.
     Sowie  er  heimkÄme  vom  jØdischen  Rathaus, wollte mich seine Tochter
sofort verstÄndigen. -
     Ein sonderbares MÄdchen Øbrigens, diese Mirjam!
     Ein Typus, wie ich ihn noch nie gesehen.
     Eine SchÃnheit, so fremdartig,  dañ man sie im ersten Moment  gar nicht
fassen kann, - eine  SchÃnheit, die einen stumm macht, wenn man sie ansieht,
und  ein unerklÄrliches  GefØhl,  so etwas, wie leise Mutlosigkeit  in einem
erweckt.
     Nach Proportionsgesetzen, die seit Jahrtausenden  verlorengegangen sein
mØssen, ist dieses Gesicht geformt, grØbelte ich mir zurecht, wie ich  es so
im Geiste wieder vor mir sah.
     Und ich dachte  nach, welchen Edelstein  ich  wÄhlen  mØñte,  um es als
Gemme festzuhalten und dabei den kØnstlerischen Ausdruck richtig  zu wahren:
Schon  an dem rein  äuñerlichen; dem blauschwarzen Glanz des Haares und  der
Augen,  der alles Øbertraf, worauf ich auch riet, scheiterte  es. - Wie erst
die unirdische Schmalheit des Gesichtes sinn- und visionsgemÄñ in eine Kamee
bannen,  ohne sich in die stumpfsinnige ähnlichkeitsmacherei der kanonischen
"Kunst"richtung festzurennen!
     Nur durch ein  Mosaik lieñ es  sich  lÃsen, erkannte ich klar, aber was
fØr Material wÄhlen? Ein  Menschenleben gehÃrte  dazu, das passende zusammen
zu finden. - -
     Wo nur Hillel blieb!
     Ich sehnte mich nach ihm wie nach einem lieben, alten Freunde.
     MerkwØrdig, wie er mir  in den wenigen Tagen  - und ich hatte ihn doch,
genaugenommen, nur  ein  einziges  Mal  im  Leben  gesprochen,  -  ins  Herz
gewachsen war.
     Ja,  richtig:  die  Briefe  - ihre  Briefe  - wollte  ich  doch  besser
verstecken.  Zu  meiner Beruhigung, falls ich wieder  einmal  lÄnger von  zu
Hause fort sein sollte.
     Ich nahm  sie  aus  der Truhe: - in  der  Kassette wØrden  sie sicherer
aufbewahrt sein.
     Eine Photographie  glitt zwischen den Briefen heraus. Ich wollte  nicht
hinschauen, aber es war zu spÄt.
     Den Brokatstoff um die bloñen  Schultern gelegt - so wie ich  ›sie‹ das
erste  Mal gesehen, als sie in mein Zimmer flØchtete aus Saviolis Atelier  -
blickte sie mir in die Augen.
     Ein wahnsinniger  Schmerz bohrte sich in mich ein.  Ich las die Widmung
unter dem Bilde, ohne die Worte zu erfassen, und den Namen:
     Deine Angelina.
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     Angelina!!!
     Wie ich den Namen aussprach, zerriñ der Vorhang, der meine  Jugendjahre
vor mir verbarg, von oben bis unten.
     Vor  Jammer  glaubte  ich  zusammenbrechen zu mØssen.  Ich krallte  die
Finger in die Luft und winselte, - biñ  mich  in die Hand: -  -  nur  wieder
blind sein, Gott  im Himmel, - den Scheintot weiterleben, wie bisher, flehte
ich.
     Das Weh stieg mir in den Mund. - Quoll. -  Schmeckte seltsam sØñ, - wie
Blut. - -
     Angelina!!
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     Der  Name kreiste  in  meinen  Adern  und  wurde  -  zu  unertrÄglicher
gespenstischer Liebkosung.
     Mit  einem gewaltsamen Ruck riñ ich mich zusammen und zwang  mich - mit
knirschenden ZÄhnen  -  das  Bild anzustarren, bis  ich langsam Herr darØber
wurde!
     Herr darØber!
     Wie heute nacht Øber das Kartenblatt.
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     Endlich: Schritte! MÄnnertritte.
     Er kam!
     Voll Jubel eilte ich zur TØr und riñ sie auf.
     Schemajah Hillel stand Strauñen und hinter ihm  - ich machte mir  leise
VorwØrfe, dañ  ich  es  als  EnttÄuschung empfand  - mit roten BÄckchen  und
runden Kinderaugen: der alte Zwakh.
     "Wie ich  zu meiner Freude sehe, sind  Sie  wohlauf,  Meister Pernath",
fing Hillel an.
     Ein kaltes "Sie"?
     Frost. Schneidender, ertÃtender Frost lag plÃtzlich im Zimmer.
     BetÄubt,  mit halbem  Ohr,  hÃrte  ich  hin,  was  Zwakh,  atemlos  vor
Aufregung, auf mich losplapperte:
     "Wissen Sie schon,  der Golem geht wieder um? Neulich erst sprachen wir
davon, wissen  Sie noch, Pernath? Die ganze Judenstadt ist  auf. Vrieslander
hat ihn selbst gesehen,  den Golem. Und wieder hat es, wie immer, mit  einem
Mord begonnen" - Ich horchte erstaunt auf: Ein Mord?
     Zwakh  schØttelte mich: "Ja, wissen Sie denn von  gar  nichts, Pernath?
Unten  hÄngt doch  groñmÄchtig ein  Polizeiaufruf  an  den Ecken: den dicken
Zottmann,    den    ›Freimaurer‹    -    na,     ich    meine    doch    den
Lebensversicherungsdirektor Zottmann, - soll man ermordet haben. Der Loisa -
hier  im  Haus  -  ist  bereits  verhaftet. Und  die  rote  Rosina:  spurlos
verschwunden. - Der Golem - der Golem - es ist ja haarstrÄubend."
     Ich gab  keine Antwort und suchte in Hillels  Augen:  warum  blickte er
mich so unverwandt an?
     Ein verhaltenes LÄcheln zuckte plÃtzlich um seine Mundwinkel.
     Ich verstand. Es galt mir.
     Am liebsten wÄre ich ihm um den Hals gefallen vor jauchzender Freude.
     Auñer mir in meinem EntzØcken, lief  ich planlos  im Zimmer  umher. Was
zuerst bringen? GlÄser? Eine Flasche Burgunder?  (Ich hatte  doch nur eine.)
Zigarren? - Endlich fand ich Worte: "Aber warum setzt ihr euch denn nicht?!"
- Rasch schob ich meinen beiden Freunden Sessel unter. - - -
     Zwakh fing an,  sich zu Ärgern: "Warum  lÄcheln Sie denn  immerwÄhrend,
Hillel? Glauben Sie vielleicht nicht, dañ der Golem spukt? Mir scheint.  Sie
glauben Øberhaupt nicht an den Golem?"
     "Ich wØrde nicht an ihn glauben, selbst wenn ich ihn hier im Zimmer vor
mir  sÄhe",  antwortete  Hillel  gelassen  mit einem Blick auf  mich. -  Ich
verstand den Doppelsinn, der aus seinen Worten klang.
     Zwakh  hielt erstaunt im Trinken inne: "Das Zeugnis von  Hunderten  von
Menschen gilt  Ihnen nichts, Hillel? -  Aber  warten Sie nur, Hillel, denken
Sie an meine Worte: Mord auf Mord wird es jetzt in der Judenstadt geben! Ich
kenne das. Der Golem zieht eine unheimliche Gefolgschaft hinter sich her."
     "Die   HÄufung  gleichartiger   Ereignisse   ist  nichts  Wunderbares",
erwiderte Hillel. Er sprach im Gehen, trat ans Fenster und blickte durch die
Scheiben hinab auf den  TrÃdlerladen - "Wenn der  Tauwind weht, rØhrt sich's
in den Wurzeln. In den sØñen wie, in den giftigen."
     Zwakh zwinkerte mir lustig zu und deutete mit dem Kopf nach Hillel.
     "Wenn der Rabbi nur reden  wollte, der kÃnnte uns  Dinge  erzÄhlen, dañ
einem die Haare zu Berge stØnden", warf er halblaut hin.
     Schemajah drehte sich um.
     "Ich bin nicht ›Rabbi‹, wenn ich auch  den  Titel  tragen darf. Ich bin
nur ein armseliger Archivar im jØdischen Rathaus und fØhre die Register Øber
die Lebendigen und die Toten."
     Eine verborgene  Bedeutung lag in  seiner  Rede, fØhlte  ich. Auch  der
Marionettenspieler schien es unterbewuñt zu empfinden, - er wurde still, und
eine Zeitlang sprach keiner von uns ein Wort.
     "HÃren Sie  mal,  Rabbi  -,  verzeihen Sie: ›Herr  Hillel‹,  wollte ich
sagen", - fing  Zwakh nach  einer Weile  wieder  an,  und seine Stimme klang
auffallend ernst, "ich wollte Sie schon lange etwas fragen. Sie brauchen mir
ja nicht drauf zu antworten, wenn Sie nicht mÃgen, oder nicht dØrfen - - -"
     Schemajah trat an den  Tisch  und spielte mit  dem Weinglas -  er trank
nicht; vielleicht verbot es ihm das jØdische Ritual.
     "Fragen Sie ruhig, Herr Zwakh."
     "-  - Wissen Sie  etwas  Øber  die  jØdische Geheimlehre, die  Kabbala,
Hillel?"
     "Nur wenig."
     "Ich  habe gehÃrt, es soll ein Dokument geben, aus dem man die  Kabbala
lernen kann: den ›Sohar‹ - -"
     "Ja, den Sohar - das Buch des Glanzes."
     "Sehen  Sie, da  hat man's", schimpfte  Zwakh los.  "Ist es  nicht eine
himmelschreiende  Ungerechtigkeit,  dañ  eine  Schrift,  die  angeblich  die
SchlØssel zum VerstÄndnis der Bibel und zur GlØckseligkeit enthÄlt -"
     Hillel unterbrach ihn: "- nur einige SchlØssel."
     "Gut,  immerhin  einige! - also, dañ diese  Schrift infolge ihres hohen
Wertes und ihrer Seltenheit wieder nur den  Reichen zugÄnglich ist? In einem
einzigen Exemplar, das noch dazu im Londoner Museum steckt, wie ich mir habe
erzÄhlen  lassen? Und Øberdies  chaldÄisch, aramÄisch,  hebrÄisch - oder was
weiñ ich wie - geschrieben? - Habe ich zum  Beispiel je im Leben Gelegenheit
gehabt, diese Sprachen zu lernen oder nach London zu kommen?"
     "Haben Sie denn alle Ihre WØnsche so  heiñ auf dieses  Ziel gerichtet?"
fragte Hillel mit leisem Spott.
     "Offen gestanden - nein", gab Zwakh einigermañen verwirrt zu.
     "Dann sollten Sie  sich nicht  beklagen",  sagte  Hillel  trocken, "wer
nicht nach  dem  Geist  schreit mit  allen Atomen seines Leibes, -  wie  ein
Erstickender nach Luft, - der kann die Geheimnisse Gottes nicht schauen."
     "Es  sollte trotzdem ein Buch geben, in  dem sÄmtliche SchlØssel zu den
RÄtseln  der anderen Welt stehen, nicht nur einige", schoñ es mir  durch den
Kopf,  und meine Hand spielte automatisch mit dem Pagad, den ich immer  noch
in der Tasche trug,  aber ehe  ich die Frage in Worte  kleiden konnte, hatte
Zwakh sie bereits ausgesprochen.
     Hillel  lÄchelte wieder  sphinxhaft: "Jede  Frage, die  ein  Mensch tun
kann, ist im selben  Augenblick beantwortet, in dem er sie geistig  gestellt
hat."
     "Verstehen Sie, was er damit meint?", wandte sich Zwakh an mich.
     Ich gab keine Antwort  und hielt den  Atem an, um kein Wort von Hillels
Rede zu verlieren.
     Schemajah fuhr fort:
     "Das ganze Leben ist  nichts anderes als formgewordene Fragen,  die den
Keim  der Antwort  in  sich  tragen - und Antworten, die schwanger gehen mit
Fragen. Wer irgend etwas anderes drin sieht, ist ein Narr."
     Zwakh schlug mit der Faust auf den Tisch:
     "Jawohl:  Fragen, die jedesmal anders lauten, und  Antworten, die jeder
anders versteht."
     "Gerade darauf  kommt  es an", sagte Hillel freundlich. "Alle  Menschen
Øber einen  LÃffel  zu -  kurieren,  ist lediglich  Vorrecht der  ärzte. Der
Fragende erhÄlt die  Antwort, die ihm not tut: sonst ginge nicht die Kreatur
den Weg  ihrer Sehnsucht.  Glauben Sie denn, unsere jØdischen Schriften sind
bloñ aus WillkØr nur in Konsonanten geschrieben? - Jeder hat sich selbst die
geheimen Vokale dazu zu finden, die  ihm den nur fØr  ihn  allein bestimmten
Sinn  erschlieñen,  -  soll   nicht  das  lebendige  Wort  zum  toten  Dogma
erstarren."
     Der Marionettenspieler wehrte heftig ab:
     "Das sind Worte, Rabbi, Worte! Pagad Ultimo will ich heiñen,  wenn  ich
daraus klug werde."
     Pagad!!  - Das  Wort  schlug  in mich ein  wie der Blitz. Ich  fiel vor
Entsetzen beinahe vom Stuhl.
     Hillel wich meinen Augen aus.
     "Pagad ultimo? Wer weiñ, ob Sie nicht wirklich so  heiñen, Herr Zwakh!"
- schlug  Hillels Rede wie aus weiter  Ferne an  mein Ohr. "Man  soll seiner
Sache  niemals  allzu sicher sein. -  øbrigens,  da wir  gerade  von  Karten
sprechen: Herr Zwakh, spielen Sie Tarock?"
     "Tarock? NatØrlich. Von Kindheit an."
     "Dann wundert's mich, wieso Sie nach  einem Buche fragen kÃnnen, in dem
die ganze Kabbala steht,  wo Sie es doch  selbst  Tausende Male in der  Hand
gehabt haben."
     "Ich? In der Hand gehabt? Ich?" - Zwakh griff sich an den Kopf.
     "Jawohl, Sie! Ist es  Ihnen niemals aufgefallen, dañ das Tarockspiel 22
TrØmpfe hat,  - genausoviel, wie das hebrÄische  Alphabet Buchstaben? Zeigen
unsere  bÃhmischen  Karten  nicht  zum  øberfluñ   noch   Bilder  dazu,  die
offenkundig Symbole sind: Der Narr, der Tod, der Teufel, das Letzte Gericht?
- Wie laut, lieber Freund,  wollen Sie eigentlich,  dañ  Ihnen das Leben die
Antworten in die Ohren schreien soll? - - Was Sie allerdings nicht zu wissen
brauchen, ist,  dañ ›Tarok‹  oder  ›Tarot‹ soviel bedeutet  wie die jØdische
›Tora‹ = das Gesetz, oder das altÄgyptische ›Tarut‹ = ›die Befragte‹, und in
der  uralten Zendsprache das Wort: ›tarisk‹ = ›ich verlange die Antwort‹.  -
Aber die Gelehrten sollten es wissen,  bevor sie  die Behauptung aufstellen,
das Tarock stamme aus der Zeit Karls des Sechsten.  - Und  so, wie der Pagad
die  erste Karte im Spiel ist, so ist der Mensch  die erste Figur  in seinem
eignen Bilderbuch,  sein eigner DoppelgÄnger: - -  der  hebrÄische Buchstabe
Aleph, der, nach der Form des Menschen gebaut, mit der einen Hand zum Himmel
zeigt  und mit der  andern abwÄrts: das heiñt also: ›So wie es oben ist, ist
es auch unten; so wie es unten ist, ist es auch  oben.‹  -  Darum  sagte ich
vorhin: Wer weiñ, ob  Sie wirklich Zwakh heiñen und nicht: ›Pagad‹ - berufen
Sie's nicht," - Hillel blickte mich dabei unverwandt an,  und ich ahnte, wie
sich unter seinen Worten ein Abgrund immer neuer Bedeutung auftat - "berufen
Sie's  nicht, Herr Zwakh! Man kann  da in finstere GÄnge  geraten, aus denen
noch  keiner  zurØckfand,  der  nicht - einen  Talisman  bei sich  trug. Die
øberlieferung erzÄhlt, dañ einmal drei MÄnner hinabgestiegen seien ins Reich
der Dunkelheit, der eine wurde wahnsinnig, der zweite blind, nur der dritte,
Rabbi  ben  Akiba,  kam  heil  wieder heim  und  sagte, er  sei sich  selbst
begegnet.  Schon so mancher, werden Sie  sagen, ist sich selbst begegnet, z.
B. Goethe, gewÃhnlich  auf einer  BrØcke,  oder  sonst einem Steig, der  von
einem  Ufer eines  Flusses  zum  andern fØhrt, - hat sich  selbst  ins  Auge
geblickt und ist nicht  wahnsinnig geworden. Aber  dann war's  eben nur eine
Spiegelung des eigenen  Bewuñtseins und nicht der wahre DoppelgÄnger:  nicht
das, was man  ›den Hauch der Knochen‹, den ›Habal Garmin‹  nennt, von dem es
heiñt:  Wie  er  in  die  Grube fuhr, unverweslich,  im Gebein,  so wird  er
auferstehn am Tage  des Letzten Gerichts." - Hillels Blick bohrte sich immer
tiefer in  meine Augen -  "Unsere GroñmØtter sagen von  ihm: ›er wohnt  hoch
Øber der Erde in einem Zimmer ohne TØre, nur mit  einem Fenster, von dem aus
eine VerstÄndigung mit den Menschen unmÃglich ist. Wer ihn  zu bannen und zu
- - verfeinern  versteht, der  wird gut Freund mit sich selbst." -  - -  Was
schlieñlich das Tarock betrifft,  so wissen Sie so gut  wie ich:  FØr  jeden
Spieler liegen die  Karten anders,  wer aber die TrØmpfe  richtig verwendet,
der gewinnt die Partie - - -. Aber kommen Sie jetzt, Herr Zwakh! Gehen  wir,
Sie trinken sonst Meister Pernaths ganzen  Wein  aus, und es  bleibt  nichts
mehr Øbrig fØr ihn selbst."

     Eine  Flockenschlacht tobte  vor meinem Fenster. Regimenterweise jagten
die  Schneesterne  -  winzige  Soldaten in  weiñen,  zottigen  MÄntelchen  -
hintereinander  her  an  den  Scheiben vorØber  -  minutenlang  -  immer  in
derselben  Richtung, wie  auf  gemeinsamer Flucht vor  einem  ganz besonders
bÃsartigen Gegner. Dann hatten sie das Davonlaufen mit  einemmal dick  satt,
schienen  aus rÄtselhaften GrØnden einen Wutanfall  zu  bekommen und sausten
wieder  zurØck, bis ihnen  von oben und unten neue feindliche Armeen  in die
Flanken fielen und alles in ein heilloses Gewirbel auflÃsten.
     Monate schien mir zurØckzuliegen, was  ich an Seltsamem erst vor kurzem
erlebt hatte, und wÄren nicht tÄglich  einigemal immer  neue krause GerØchte
Øber den Golem zu mir  gedrungen, die alles wieder frisch  aufleben  lieñen,
ich glaube, ich hÄtte mich in Augenblicken des Zweifels verdÄchtigen kÃnnen,
das Opfer eines seelischen DÄmmerzustandes gewesen zu sein.
     Aus den  bunten Arabesken, die die Ereignisse um mich gewoben, stach in
schreienden  Farben hervor, was mir Zwakh Øber den noch immer unaufgeklÄrten
Mord an dem sogenannten "Freimaurer" erzÄhlt hatte.
     Den blatternarbigen Loisa damit in Zusammenhang zu bringen, wollte  mir
nicht recht einleuchten, obwohl ich einen dunklen Verdacht nicht abschØtteln
konnte,  -  fast  unmittelbar  darauf,  als Prokop  in  jener Nacht aus  dem
Kanalgitter ein unheimliches GerÄusch  gehÃrt zu haben geglaubt, hatten  wir
den Burschen beim "Loisitschek"  gesehen. Allerdings lag kein Anlañ vor, den
Schrei unter der Erde, der Øberdies geradesogut eine SinnestÄuschung gewesen
sein konnte, als Hilferuf eines Menschen zu deuten. - - -
     Das SchneegestÃber  vor meinen  Augen  blendete mich  und  ich fing an,
alles in tanzenden Streifen zu sehen. Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder
auf  die  Gemme vor  mir.  Das  Wachsmodell,  das  ich von  Mirjams  Gesicht
entworfen  hatte,  muñte  sich vortrefflich  auf  den  blÄulich  leuchtenden
Mondstein da Øbertragen  lassen. - Ich  freute mich: es war  ein  angenehmer
Zufall, dañ sich etwas so Geeignetes unter  meinem Mineralienvorrat gefunden
hatte.  Die tiefschwarze  Matrix  von  Hornblende gab dem  Stein  gerade das
richtige  Licht  und die Konturen pañten  so  genau,  als habe ihn die Natur
eigens  geschaffen, ein  bleibendes  Abbild  von Mirjams  feinem  Profil  zu
werden.
     Anfangs  war meine Absicht gewesen, eine Kamee daraus zu schneiden, die
den  Ägyptischen  Gott  Osiris  darstellen   sollte,  und  die   Vision  des
Hermaphroditen aus dem Buche Ibbur, die  ich  mir jederzeit mit auffallender
Deutlichkeit  ins  GedÄchtnis  zurØckrufen konnte,  regte  mich kØnstlerisch
stark  an,  aber allmÄhlich entdeckte  ich nach  den ersten  Schnitten  eine
solche  ähnlichkeit mit der Tochter Schemajah Hillels, dañ ich  meinen  Plan
umstieñ. - - -
     - Das Buch Ibbur! -
     ErschØttert legte ich den Stahlgriffel weg. Unfañbar, was in der kurzen
Spanne Zeit in mein Leben getreten war!
     Wie jemand, der sich plÃtzlich  in eine unabsehbare SandwØste  versetzt
sieht,  wurde ich mir mit einem Schlage der  tiefen, riesengroñen Einsamkeit
bewuñt, die mich von meinen Nebenmenschen trennte.
     Konnte ich je mit einem Freund - Hillel ausgenommen - davon reden,  was
ich erlebt?
     Wohl  war  mir in  den  stillen  Stunden  der verflossenen  NÄchte  die
Erinnerung  wiedergekehrt,  dañ mich  all meine  Jugendjahre  -  von  frØher
Kindheit  angefangen  -  ein unsagbarer  Durst  nach  dem  Wunderbaren,  dem
jenseits aller Sterblichkeit  Liegenden, bis zur  Todespein gefoltert hatte,
aber die ErfØllung meiner Sehnsucht war wie ein Gewittersturm  gekommen  und
erdrØckte den Jubelaufschrei meiner Seele mit ihrer Wucht.
     Ich zitterte vor dem Augenblick,  wo  ich zu mir selbst kommen  und das
Geschehene in  seiner vollen  markverbrennenden  Lebendigkeit  als Gegenwart
empfinden muñte.
     Nur  jetzt  sollte  es  noch  nicht kommen!  Erst den  Genuñ auskosten:
Unaussprechliches an Glanz auf sich zukommen zu sehen!
     Ich  hatte es  doch in meiner Macht!  Brauchte  nur hinØber zu gehen in
mein  Schlafzimmer und die Kassette aufzusperren, in der das Buch Ibbur, das
Geschenk der Unsichtbaren, lag!
     Wie lang war's her, da  hatte es  meine Hand berØhrt, als ich Angelinas
Briefe dazuschloñ!
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     Dumpfes  DrÃhnen drauñen, wie von Zeit zu Zeit der Wind die angehÄuften
Schneemassen von den DÄchern hinab vor die HÄuser  warf, gefolgt von  Pausen
tiefer Stille, da die Flockendecke auf dem Pflaster jeden Laut verschlang.
     Ich wollte weiterarbeiten, - da plÃtzlich stahlscharfe HufschlÄge unten
die Gasse entlang, dañ man's fÃrmlich Funken sprØhen sah.
     Das Fenster zu Ãffnen und  hinauszuschauen, war unmÃglich:  Muskeln aus
Eis verbanden seine RÄnder mit dem Mauerwerk, und die Scheiben waren bis zur
HÄlfte weiñ  verweht. Ich sah  nur,  dañ Charousek scheinbar  ganz friedlich
neben  dem  TrÃdler  Wassertrum  stand  -  sie  muñten soeben  ein  GesprÄch
mitsammen gefØhrt haben - sah, wie die VerblØffung, die sich in ihrer beider
Mienen malte, wuchs und sie sprachlos offenbar den Wagen, der meinen Blicken
entzogen war, anstarrten.
     Angelinas Gatte ist es, fuhr es mir durch den Kopf. - Sie selbst konnte
es  nicht  sein!  Mit ihrer  Equipage  hier  bei  mir vorzufahren  -  in der
Hahnpañgasse! - vor aller Leute Augen! Es wÄre hellichter Wahnsinn  gewesen.
- Aber was sollte ich zu ihrem Gatten sagen, wenn er's wÄre und mich auf den
Kopf zu fragte?
     Leugnen, natØrlich leugnen.
     Hastig legte ich  mir die MÃglichkeiten zurecht: es kann nur ihr  Gatte
sein. Er hat einen anonymen Brief bekommen, - von Wassertrum - dañ  sie hier
gewesen sei  zu  einem  Rendezvous,  und  sie  hat  eine  Ausrede gebraucht:
wahrscheinlich, dañ sie eine Gemme oder sonst etwas bei mir bestellt habe. -
- - Da! wØtendes Klopfen an meiner TØr und - Angelina stand vor mir.
     Sie konnte kein Wort hervorbringen,  aber der Ausdruck  ihres Gesichtes
verriet mir alles: sie brauchte sich nicht  mehr zu verstecken. Das Lied war
aus.
     Dennoch lehnte sich  irgend etwas in mir  auf gegen diese  Annahme. Ich
brachte es nicht fertig, zu glauben, dañ das  GefØhl, ihr helfen zu  kÃnnen,
mich belogen haben sollte.
     Ich fØhrte sie in meinen Lehnstuhl. Streichelte ihr stumm das Haar; und
sie verbarg, todmØde wie ein Kind, ihren Kopf an meiner Brust.
     Wir hÃrten  das Knistern der  brennenden Scheite im Ofen und sahen, wie
der rote Schein Øber die Dielen huschte, aufflammte und erlosch - aufflammte
und erlosch - aufflammte und erlosch - - -
     "Wo ist das Herz  aus rotem Stein - - -" klang es in meinem Innern. Ich
fuhr auf: Wo bin ich! Wie lang sitzt sie schon hier?
     Und ich  forschte sie aus, - vorsichtig,  leise, ganz  leise,  dañ  sie
nicht aufwache und ich mit der Sonde die schmerzende Wunde nicht berØhre.
     BruchstØckweise erfuhr  ich, was ich zu wissen brauchte, und setzte  es
mir zusammen wie ein Mosaik:
     "Ihr Gatte weiñ - -?"
     "Nein, noch nicht; er ist verreist."
     Also um  Dr. Saviolis Leben drehte sich's; - Charousek hatte es richtig
erraten. Und weil's um Saviolis Leben ging, und nicht mehr um ihres, war sie
hier. Sie denkt nicht mehr daran, irgend etwas zu verbergen, begriff ich.
     Wassertrum war  abermals  bei  Dr.  Savioli  gewesen.  Hatte  sich  mit
Drohungen und Gewalt den Weg erzwungen bis zu seinem Krankenlager.
     Und weiter! Weiter! Was wollte er von ihm?
     Was er wollte? Sie hatte es halb erraten, halb erfahren: er wollte, dañ
- - dañ - er wollte, dañ sich Dr. Savioli - - ein Leid antue.
     Sie kenne jetzt auch  die GrØnde von Wassertrums wildem besinnungslosem
Hañ: "Dr. Savioli habe einst  seinen Sohn, den Augenarzt Wassory, in den Tod
getrieben."
     Sofort schlug  ein Gedanke in mich  ein wie der Blitz:  hinunterlaufen,
dem TrÃdler alles verraten: dañ Charousek den Schlag gefØhrt hatte - aus dem
Hinterhalt  - und nicht Savioli,  der nur das  Werkzeug war - - -.  "Verrat!
Verrat!"  heulte es mir ins Hirn, "du willst also den armen schwindsØchtigen
Charousek, der dir  helfen wollte und  ihr,  der  Rachsucht dieses  Halunken
preisgeben?" - Und es  zerriñ  mich in blutende HÄlften. -  Dann  sprach ein
Gedanke eiskalt  und gelassen die Losung aus: "Narr! Du  hast es doch in der
Hand!  Brauchst ja nur die Feile  dort auf dem Tisch  zu nehmen, hinunter zu
laufen und sie dem TrÃdler durch die  Gurgel zu jagen, dañ die Spitze hinten
zum Genick herausschaut."
     Mein Herz jauchzte einen Dankesschrei zu Gott.
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     Ich forschte weiter:
     "Und Dr. Savioli?"
     Kein Zweifel,  dañ er Hand  an sich  legen  wird, wenn  sie  ihn  nicht
rettete. Die Krankenschwestern lieñen ihn nicht  aus  den Augen,  hatten ihn
mit  Morphium betÄubt,  aber  vielleicht erwacht er  plÃtzlich  - vielleicht
gerade  jetzt - und  - und - nein, nein, sie mØsse fort, dØrfe keine Sekunde
Zeit  mehr  versÄumen,  -  sie  wolle  ihrem  Gatten  schreiben,  ihm  alles
eingestehen, - solle er ihr das Kind nehmen, aber Savioli sei gerettet, denn
sie hÄtte Wassertrum damit die einzige Waffe aus der Hand geschlagen, die er
besÄñe und mit der er drohe.
     Sie wolle das Geheimnis selbst enthØllen, ehe er es verraten kÃnne.
     "Das  werden  Sie nicht  tun, Angelina!" schrie ich  und dachte  an die
Feile und die Stimme versagte mir in jubelnder Freude Øber meine Macht.
     Angelina wollte sich losreiñen: ich hielt sie fest.
     "Nur noch eins: øberlegen Sie, wird Ihr Gatte  denn dem TrÃdler so ohne
weiteres glauben?"
     "Aber Wassertrum hat doch  Beweise, offenbar  meine  Briefe, vielleicht
auch  ein  Bild  von mir,  -  alles, was  im Schreibtisch nebenan im Atelier
versteckt war."
     Briefe? Bild?  Schreibtisch? - ich wuñte nicht  mehr, was  ich tat: ich
riñ Angelina an meine Brust und kØñte sie. Auf den Mund,  auf die Stirn, auf
die Augen.
     Ihr blondes Haar lag wie ein goldner Schleier vor meinem Gesicht.
     Dann  hielt  ich sie  an  ihren  schmalen HÄnden und  erzÄhlte  ihr mit
fliegenden  Worten,  dañ der Todfeind  Wassertrums -  ein  armer  bÃhmischer
Student -  die  Briefe und  alles in Sicherheit gebracht  hÄtte  und  sie in
meinem Besitz seien und fest verwahrt.
     Und sie fiel mir um den Hals und lachte und weinte in einem Atem. KØñte
mich. Rannte zur TØr. Kehrte wieder um und kØñte mich wieder.
     Dann war sie verschwunden.
     Ich stand  wie betÄubt  und fØhlte noch immer den Atem ihres Mundes  an
meinem Gesicht.
     Ich  hÃrte wie  die WagenrÄder Øber  das  Pflaster  donnerten  und  den
rasenden Galopp der Hufe. Eine Minute spÄter war alles still. Wie ein Grab.
     Auch in mir.
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     PlÃtzlich knarrte die  TØr  leise  hinter mir, und  Charousek stand  im
Zimmer:
     "Verzeihen  Sie,  Herr  Pernath,  ich  habe  lange geklopft,  aber  Sie
schienen es nicht zu hÃren."
     Ich nickte nur stumm.
     "Hoffentlich nehmen Sie nicht an, dañ ich  mich mit Wassertrum versÃhnt
habe, weil  Sie mich vorhin mit ihm sprechen sahen?" - Charouseks hohnisches
LÄcheln  sagte mir,  dañ er nur einen grimmigen Spañ  machte. -  "Sie mØssen
nÄmlich wissen: Das Gluck ist mir hold; die Kanaille da unten fÄngt an, mich
in  ihr Herz zu schlieñen,  Meister Pernath. - - Es ist eine seltsame Sache,
das mit der Stimme des Blutes", setzte er leise - halb fØr sich - hinzu.
     Ich verstand nicht, was er damit meinen konnte, und nahm an, ich  hÄtte
etwas ØberhÃrt. Die ausgestandene Erregung zitterte noch zu stark in mir.
     "Er wollte  mir einen Mantel  schenken", fuhr Charousek laut fort. "Ich
habe natØrlich dankend abgelehnt. Mich brennt schon meine eigene Haut genug.
- Und dann hat er mir Geld aufgedrÄngt."
     "Sie haben es angenommen?!", wollte es mir herausfahren, aber ich hielt
noch rasch meine Zunge im Zaum.
     Die Wangen des Studenten bekamen kreisrunde rote Flecken:
     "Das Geld habe ich selbstverstÄndlich angenommen."
     Mir wurde ganz wirr im Kopf!
     "- an - genommen?", stammelte ich.
     "Ich  hÄtte  nie  gedacht, dañ  man  auf  Erden eine  so  reine  Freude
empfinden kann!" -  Charousek hielt  einen Augenblick inne und  schnitt eine
Fratze.  -  "Ist  es  nicht  ein erhebendes  GefØhl,  im Haushalt der  Natur
›MØtterchens  Vorsehung‹ Ãkonomischen Finger  allenthalben  in  Weisheit und
Umsicht walten zu sehen!?" - Er sprach  wie  ein Pastor und  klimperte dabei
mit  dem Geld in  seiner Tasche, - "wahrlich, als hehre Pflicht empfinde ich
es, den Schatz,  mir  anvertraut  von milder Hand,  auf  Heller und  Pfennig
dereinst dem edelsten aller Zwecke zuzufØhren."
     War er betrunken? Oder wahnsinnig?
     Charousek Änderte plÃtzlich den Ton:
     "Es liegt eine satanische Komik darin, dañ Wassertrum sich die - Arznei
selber bezahlt. Finden Sie nicht?"
     Eine  Ahnung dÄmmerte mir auf, was sich hinter Charouseks Rede verbarg,
und mir graute vor seinen fiebernden Augen.
     "øbrigens lassen wir das jetzt, Meister Pernath. Erledigen wir erst die
laufenden GeschÄfte. Vorhin, die Dame, das war ›sie‹ doch?  Was ist ihr denn
eingefallen, hier Ãffentlich vorzufahren?"
     Ich erzÄhlte Charousek, was geschehen war.
     "Wassertrum  hat bestimmt keine Beweise  in  den HÄnden", unterbrach er
mich  freudig,  "sonst  hÄtte er  nicht heute morgen  abermals  das  Atelier
durchsucht. - MerkwØrdig, dañ Sie ihn nicht gehÃrt haben!? Eine volle Stunde
lang war er drØben."
     Ich staunte, woher er alles so genau wissen kÃnne, und sagte es ihm.
     "Darf  ich?" -  als ErklÄrung nahm er  sich  eine Zigarette vom  Tisch,
zØndete sie an und  erlÄuterte: "Sehen Sie, wenn Sie  jetzt die  TØr Ãffnen,
bringt die  Zugluft, die  vom Stiegenhaus hereinweht, den Tabakrauch aus der
Richtung. Es ist das vielleicht das einzige Naturgesetz, das Herr Wassertrum
genau kennt, und fØr alle FÄlle hat  er  in der  Strañenmauer des Ateliers -
das Haus gehÃrt ihm, wie Sie wissen - eine kleine, versteckte, offene Nische
anbringen lassen:  eine Art Ventilation, und darin ein rotes FÄhnchen.  Wenn
nun jemand das Zimmer betritt oder verlÄñt, das heiñt: die ZugtØr Ãffnet, so
merkt es Wassertrum unten an dem heftigen Flattern des FÄhnchens. Allerdings
weiñ ich es ebenfalls," setzte  Charousek trocken hinzu, "wenn's mir drum zu
tun  ist, und kann es  von dem Kellerloch  vis-Á-vis,  in dem  zu hausen ein
gnÄdiges  Schicksal  mir  huldreichst  gestattet,  genau  beobachten.  - Der
niedliche  Scherz  mit der  Ventilation  ist zwar  ein  Patent  des wØrdigen
Patriarchen, aber auch mir seit Jahren gelÄufig."
     "Was fØr einen Øbermenschlichen Hañ Sie gegen ihn haben mØssen, dañ Sie
so  jeden  seiner  Schritte  belauern.  Und  noch dazu seit langem, wie  Sie
sagen!" warf ich ein.
     "Hañ?"  Charousek  lÄchelte krampfhaft.  "Hañ? - Hañ ist kein Ausdruck.
Das Wort, das meine GefØhle gegen ihn bezeichnen kÃnnte, muñ erst geschaffen
werden. - Ich hasse, genaugenommen, auch gar nicht ihn. Ich hasse sein Blut.
Verstehen Sie das?  Ich  wittere wie  ein wildes  Tier,  wenn  auch nur  ein
Tropfen von seinem Blut in den Adern  eines Menschen flieñt, - und" - er biñ
die ZÄhne  zusammen  - "das kommt  ›zuweilen‹  vor  hier im  Getto." UnfÄhig
weiter zu  sprechen vor Aufregung lief er ans Fenster  und starrte hinaus. -
Ich hÃrte wie er sein Keuchen unterdrØckte. Wir schwiegen beide eine Weile.
     "Hallo, was ist denn das?" fuhr er plÃtzlich auf und winkte mir hastig:
"Rasch, rasch! Haben Sie nicht einen Operngucker oder so etwas?"
     Wir spÄhten vorsichtig hinter den VorhÄngen hinunter:
     Der taubstumme Jaromir stand vor dem Eingang des TrÃdlerladens und bot,
soviel  wir aus  seiner  Zeichensprache  erraten konnten,  Wassertrum  einen
kleinen blitzenden Gegenstand, den er in der Hand halb verbarg, zum Kauf an.
Wassertrum  fuhr  danach wie ein  Geier und  zog sich  damit in  seine HÃhle
zurØck.
     Gleich darauf stØrzte er wieder hervor - totenblañ - und packte Jaromir
an der Brust: Es entspann  sich ein heftiges Ringen. -  Mit einem  Mal  lieñ
Wassertrum los und schien  zu Øberlegen. Nagte wØtend  an seiner gespaltenen
Oberlippe. Warf einen grØbelnden Blick zu uns herauf und zog dann Jaromir am
Arm friedlich in seinen Laden.
     Wir warteten  wohl eine Viertelstunde  lang: sie  schienen nicht fertig
werden zu kÃnnen mit ihrem Handel.
     Endlich  kam  der Taubstumme mit befriedigter Miene  wieder heraus  und
ging seines Weges.
     "Was  halten Sie davon?", fragte ich.  "Es scheint  nichts Wichtiges zu
sein?  Vermutlich hat  der arme  Bursche irgendeinen  erbettelten Gegenstand
versilbert."
     Der Student gab keine Antwort und setzte sich schweigend wieder  an den
Tisch.
     Offenbar legte auch er dem Geschehnis keine Bedeutung bei, denn er fuhr
nach einer Pause da fort, wo er stehen geblieben war:
     "Ja. Also  ich sagte,  ich  hasse  sein  Blut. - Unterbrechen Sie mich,
Meister Pernath, wenn  ich wieder heftig  werde. Ich will kalt bleiben.  Ich
darf  meine besten  Empfindungen  nicht  so vergeuden. Es packt  mich  sonst
nachher wie ErnØchterung. Ein Mensch  mit SchamgefØhl soll  in kØhlen Worten
reden, nicht mit Pathos wie eine Prostituierte oder  - oder  ein  Dichter. -
Seit  die  Welt  steht,  wÄr's niemand eingefallen, vor  Leid  die ›HÄnde zu
ringen‹, wenn nicht  die Schauspieler diese  Geste als besonders ›plastisch‹
ausgetØftelt hÄtten."
     Ich  begriff, dañ er mit Absicht  blind  drauflos  redete, um innerlich
Ruhe zu bekommen.
     Es  wollte ihm nicht  recht  gelingen. NervÃs lief er im Zimmer auf und
ab, fañte alle mÃglichen  GegenstÄnde an und stellte sie zerstreut zurØck an
ihren Platz.
     Dann war er mit einem Ruck wieder mitten in seinem Thema:
     "Aus den  kleinsten unwillkØrlichen  Bewegungen eines  Menschen  verrÄt
sich  mir dieses  Blut. Ich kenne  Kinder, die  ›ihm‹  Ähnlich sehen und als
seine gelten, aber doch sind sie nicht vom  selben Stamme -  man  kann  mich
nicht  tÄuschen. Jahrelang erfuhr ich nicht, dañ Dr.  Wassory sein Sohn ist,
aber ich habe es - ich mÃchte sagen - gerochen.
     Schon als  kleiner  Junge, als ich noch nicht  ahnen konnte, in welchen
Beziehungen  Wassertrum zu  mir  steht,"  - sein  Blick ruhte  eine  Sekunde
forschend auf mir, - "besañ ich diese Gabe. Man hat mich mit FØñen getreten,
mich geschlagen, dañ es  wohl  keine Stelle an meinem KÃrper gibt, die nicht
wØñte, was rasender Schmerz ist, - hat mich  hungern und dursten lassen, bis
ich  halb wahnsinnig wurde und schimmlige Erde gefressen habe, aber  niemals
konnte ich  diejenigen hassen, die mich peinigten. Ich konnte einfach nicht.
Es war kein Platz mehr in mir fØr  Hañ. - Verstehen Sie?  Und doch war  mein
ganzes Wesen getrÄnkt damit.
     Nie hat mir Wassertrum auch nur das geringste angetan - ich  will damit
sagen,  dañ  er  mich  jemals weder  geschlagen  oder  beworfen,  noch  auch
irgendwie  beschimpft hat,  wenn ich mich  als Gassenjunge unten herumtrieb:
ich weiñ das genau, - und doch richtete sich alles, was an Rachsucht und Wut
in mir kochte, gegen ihn. Nur gegen ihn!
     MerkwØrdig  ist,  dañ ich  ihm trotzdem nie als Kind  einen Schabernack
gespielt  habe. Wenn's  die andern taten, zog  ich mich  sofort zurØck. Aber
stundenlang konnte ich im Torweg stehen und,  hinter  der HaustØr versteckt,
durch  die  Angelritzen  sein  Gesicht  unverwandt  anstieren,  bis mir  vor
unerklÄrlichem HañgefØhl schwarz vor den Augen wurde.
     Damals, glaube  ich, habe ich den Grundstein zu  dem Hellsehen  gelegt,
das  sofort in  mir aufwacht,  wenn  ich  mit Wesen,  ja sogar mit Dingen in
BerØhrung komme, die  in Verbindung mit ihm stehen. Ich muñ wohl jede seiner
Bewegungen: seine  Art, den Rock zu tragen und  wie er Sachen anfañt, hustet
und  trinkt,  und all das  Tausenderlei damals  unbewuñt  auswendig  gelernt
haben, bis sich's mir  in die Seele  frañ, dañ  ich Øberall die Spuren davon
auf den ersten Blick mit unfehlbarer Sicherheit als seine ErbstØcke erkennen
kann.
     SpÄter wurde das manchmal fast zur Manie: ich warf harmlose GegenstÄnde
von mir,  bloñ  weil mich der  Gedanke quÄlte, seine Hand  kÃnne sie berØhrt
haben, -  andere  wieder waren mir ans  Herz  gewachsen; ich liebte sie  wie
Freunde, die ihm BÃses wØnschten."
     Charousek  schwieg einen Moment. Ich sah, wie  er  geistesabwesend  ins
Leere blickte. Seine Finger streichelten mechanisch die Feile auf dem Tisch.
     "Als dann ein paar mitleidige Lehrer fØr  mich gesammelt hatten und ich
Philosophie und Medizin studierte - auch nebenbei selbst denken lernte -, da
kam mir langsam die Erkenntnis, was Hañ ist:
     Wir kÃnnen nur  etwas so tief hassen, wie ich es tue, was ein Teil  von
uns selbst ist.
     Und wie ich  spÄter  dahinter kam,  - nach und  nach  alles erfuhr: was
meine Mutter war - und - und noch sein muñ, wenn - wenn sie noch lebt, - und
dañ  mein eigener  Leib" - er wendete sich ab,  damit ich sein Gesicht nicht
sehen sollte,  - "voll  ist von seinem eklen Blut - nun ja, Pernath, - warum
sollen Sie's nicht wissen:  er ist mein Vater! - da wurde  mir  klar, wo die
Wurzel lag.  -  -  - Zuweilen  kommt's mir  sogar  wie  ein  geheimnisvoller
Zusammenhang  vor,  dañ ich  schwindsØchtig  bin und  Blut spucken muñ: mein
KÃrper  wehrt sich gegen alles, was von ›ihm‹  ist, und stÃñt es mit Abscheu
von sich.
     Oft hat mich mein Hañ bis in den Traum begleitet und zu trÃsten gesucht
mit Geschichten  von allen nur erdenklichen  Foltern, die ich ›ihm‹  zufØgen
durfte,  aber  immer  verscheuchte  ich  sie  selber,  weil  sie  den  faden
Beigeschmack des - Unbefriedigtseins in mir hinterlieñen.
     Wenn ich Øber mich selbst nachdenke und mich wundern muñ, dañ es so gar
niemanden und nichts auf der Welt gibt, was ich zu hassen, - ja nicht einmal
als antipathisch zu empfinden imstande wÄre, auñer ›ihn‹ und seinen Stamm, -
beschleicht  mich  oft  das  widerliche GefØhl: ich kÃnnte das sein, was man
einen ›guten Menschen‹ nennt.  Aber zum GlØck ist es  nicht so. - Ich  sagte
Ihnen schon: es ist kein Platz mehr in mir.
     Und  glauben  Sie  nur ja  nicht,  dañ  ein  trauriges  Schicksal  mich
verbittert hat: (Was er meiner Mutter angetan hat,  erfuhr ich Øberdies erst
in spÄteren  Jahren)  - ich habe  einen Freudentag  erlebt, der weit  in den
Schatten  stellt, was sonst einem Sterblichen vergÃnnt ist. Ich  weiñ nicht,
ob Sie kennen, was  innere, echte, heiñe FrÃmmigkeit ist, - ich hatte es bis
dahin auch nicht  gekannt - als  ich aber an jenem Tage, an dem Wassory sich
selbst ausgerottet hat, am Laden unten stand und sah, wie ›er‹ die Nachricht
bekam, -  sie ›stumpfsinnig‹, wie ein  Laie, der die echte  BØhne des Lebens
nicht  kennt,  hÄtte  glauben  mØssen,  - hinnahm,  wohl  eine  Stunde  lang
teilnahmslos  stehen  blieb, seine  blutrote Hasenscharte nur ein ganz klein
biñchen hÃher Øber die ZÄhne gezogen als sonst und den Blick so gewiñ - - so
-  so  -  so  eigenartig nach innen  gekehrt,  -  -  -  -  da fØhlte ich den
Weihrauchduft von den Schwingen des Erzengels. - - Kennen Sie das Gnadenbild
der schwarzen  Muttergottes in der Teinkirche? Dort warf ich mich nieder und
die Finsternis des Paradieses hØllte meine Seele ein." -
     - -  - Wie ich  Charousek so  dastehen sah,  die  groñen, trÄumerischen
Augen voll TrÄnen, da fielen mir Hillels Worte ein von der Unbegreiflichkeit
des dunklen Pfades, den die BrØder des Todes gehen.
     Charousek fuhr fort:
     "Die  Äuñeren  Umstande,  die meinen  Hañ ›rechtfertigen‹  oder  in den
Gehirnen  der  amtlich  besoldeten  Richter  begreiflich  erscheinen  lassen
kÃnnten,  werden Sie vielleicht  gar nicht interessieren:  - Tatsachen sehen
sich an wie  Meilensteine und sind doch nur leere Eierschalen. Sie  sind das
aufdringliche Knallen der Champagnerpfropfen an den  Tafeln der Protzen, das
nur der Schwachsinnige fØr das Wesentliche eines Gelages  hÄlt. - Wassertrum
hat  meine  Mutter mit  all den  infernalischen  Mitteln, die seinesgleichen
Gewohnheit sind, gezwungen, ihm zu Willen zu sein, - wenn es nicht noch viel
schlimmer  war.  Und  dann  -  -  nun  ja  - und dann  hat er sie  an  - ein
Freudenhaus verkauft, - -  - so etwas ist nicht schwer, wenn man PolizeirÄte
zu  GeschÄftsfreunden hat,  - aber  nicht  etwa, weil er  ihrer  ØberdrØssig
gewesen  wÄre, o nein!  Ich kenne die Schlupfwinkel seines  Herzens: an  dem
Tage hat  er  sie verkauft, wo er sich voll Schrecken bewuñt wurde, wie heiñ
er  sie  in  Wirklichkeit  liebte.  So einer  wie  er handelt  da  scheinbar
widersinnig, aber immer gleich. Das  Hamsterhafte in seinem  Wesen quietscht
auf, sowie jemand kommt und kauft ihm irgend etwas ab aus seiner TrÃdlerbude
gegen noch so teures Geld: er empfindet nur den Zwang des ›HergebenmØssens‹.
Er mÃchte den  Begriff ›haben‹  am liebsten in sich hineinfressen und kÃnnte
er  sich Øberhaupt ein Ideal ausdenken, so  wÄr's das, sich dereinst in  den
abstrakten Begriff ›Besitz‹ aufzulÃsen. - -
     Und da  ist es damals riesengroñ in ihm gewachsen bis zu einem Berg von
Angst:  "seiner selbst nicht mehr sicher" zu sein, -  nicht: etwas an  Liebe
geben zu wollen,  sondern geben zu  mØssen: die Gegenwart eines Unsichtbaren
in sich zu ahnen, das seinen Willen oder das, von dem er mÃchte, dañ es sein
Wille sein sollte, heimlich in Fesseln schlug. - So war der Anfang. Was dann
folgte, geschah automatisch. Wie der Hecht mechanisch zubeiñen  muñ, - ob er
will  oder  nicht   -  wenn  ein  blitzender   Gegenstand  zu  rechter  Zeit
vorØberschwimmt.
     Das Verschachern meiner Mutter ergab sich fØr Wassertrum als natØrliche
Folge. Es befriedigte  den  Rest der in ihm schlummernden Eigenschaften: die
Gier nach  Gold und die perverse  Wonne an der Selbstqual.  - - -  Verzeihen
Sie,  Meister  Pernath," -  Charouseks  Stimme  klang plÃtzlich so hart  und
nØchtern, dañ  ich erschrak, - "verzeihen Sie, dañ ich so furchtbar gescheit
daherrede, aber  wenn  man  an der UniversitÄt  ist,  kommt einem eine Menge
vertrottelter BØcher unter die  HÄnde;  unwillkØrlich  verfÄllt man dann  in
eine teppenhafte Ausdrucksweise." -
     Ich zwang mich ihm zu Gefallen zu einem LÄcheln; innerlich verstand ich
gar wohl, dañ er mit dem Weinen kÄmpfte.
     Irgendwie muñ ich ihm helfen, Øberlegte ich, wenigstens seine bitterste
Not  zu lindern  versuchen, soweit  das  in  meiner Macht  steht.  Ich  nahm
unauffÄllig  die Hundertguldennote,  die  ich noch zu Hause  hatte,  aus der
Kommodenschublade und steckte sie in die Tasche.
     "Wenn Sie spÄter einmal in eine bessere Umgebung kommen und Ihren Beruf
als  Arzt ausØben, wird  Frieden bei Ihnen einziehen, Herr Charousek"; sagte
ich, um dem GesprÄch eine versÃhnliche Richtung zu geben, - "machen Sie bald
Ihr Doktorat?"
     "DemnÄchst.  Ich bin  es meinen WohltÄtern  schuldig.  Zweck  hat's  ja
keinen, denn meine Tage sind gezÄhlt."
     Ich  wollte den  Øblichen Einwand  machen, dañ  er doch wohl zu schwarz
sehe, aber erwehrte lÄchelnd ab:
     "Es  ist  das  beste  so.  Es  muñ  Øberdies  kein VergnØgen sein,  den
HeilkomÃdianten  zu mimen  und  sich  zu  guterletzt  noch als  diplomierter
Brunnenvergifter  einen Adelstitel zuzuziehen. - - Andererseits",  setzte er
mit seinem galligen Humor hinzu, "wird mir leider jedes weitere segensreiche
Wirken hier im Diesseits-Getto ein fØr allemal abgeschnitten sein." Er griff
nach seinem Hut. "Jetzt  will ich aber nicht  langer stÃren. Oder  wÄre noch
etwas zu besprechen  in  der Angelegenheit Savioli? Ich denke nicht.  Lassen
Sie mich  jedenfalls wissen, wenn  Sie etwas  Neues erfahren. Am besten, Sie
hÄngen  einen  Spiegel hier ans Fenster, als  Zeichen,  dañ ich Sie besuchen
soll. Zu  mir  in den  Keller dØrfen Sie auf  keinen Fall kommen: Wassertrum
wurde sofort Verdacht schÃpfen, dañ wir  zusammenhalten. - Ich  bin Øbrigens
sehr neugierig, was  er jetzt tun  wird, wo er gesehen hat, dañ die Dame  zu
Ihnen gekommen ist. Sagen Sie ganz einfach, sie hÄtte Ihnen ein SchmuckstØck
zu reparieren gebracht, und  wenn er zudringlich  wird, spielen Sie eben den
Rabiaten."
     Es  wollte  sich  keine passende  Gelegenheit  ergeben,  Charousek  die
Banknote  aufzudrÄngen;  ich   nahm  daher  das  Modellierwachs  wieder  vom
Fensterbrett und sagte: "Kommen Sie, ich  begleite Sie ein StØck die Treppen
hinunter. - Hillel erwartet mich", log ich.
     Er stutzte:
     "Sie sind mit ihm befreundet?"
     "Ein wenig.  Kennen Sie ihn? - - Oder miñtrauen Sie ihm", -  ich  muñte
unwillkØrlich lÄcheln - "vielleicht auch?"
     "Da sei Gott vor!"
     "Warum sagen Sie das so ernst?"
     Charousek zÃgerte und dachte nach:
     "Ich weiñ selbst nicht warum. Es  muñ etwas Unbewuñtes sein: so oft ich
ihm   auf  der  Strañe  begegne,  mÃchte  ich  am  liebsten   vom   Pflaster
heruntertreten und das  Knie beugen wie vor einem Priester, der  die  Hostie
trÄgt.  -  Sehen Sie, Meister  Pernath, da  haben Sie einen Menschen, der in
jedem Atom das Gegenteil von Wassertrum  ist. Er gilt z. B. bei den Christen
hier im  Viertel, die,  wie immer, so auch in diesem Fall falsch  informiert
sind, als Geizhals und heimlicher MillionÄr und ist doch unsagbar arm."
     Ich fuhr entsetzt auf: "arm?"
     "Ja, womÃglich  noch armer als ich. Das Wort ›nehmen‹ kennt er,  glaub'
ich, Øberhaupt nur aus BØchern; aber wenn  er  am Ersten  des Monats aus dem
›Rathaus‹ kommt, dann laufen die  jØdischen  Bettler vor ihm davon, weil sie
wissen,  er  wØrde dem  nÄchsten besten  von  ihnen seinen ganzen kÄrglichen
Gehalt in die Hand drØcken und  ein paar  Tage spÄter -  samt seiner Tochter
selber  verhungern. - Wenn's wahr  ist, was eine uralte talmudische  Legende
behauptet: dañ von  den zwÃlf jØdischen StÄmmen zehn verflucht sind und zwei
hellig,  so verkÃrpert er die zwei heiligen und Wassertrum  alle zehn andern
zusammen. - Haben  Sie noch nie  bemerkt,  wie  Wassertrum  sÄmtliche Farben
spielt, wenn Hillel an ihm vorØber  geht? Interessant, sag' ich Ihnen! Sehen
Sie,  solches Blut kann sich gar nicht  vermischen; da kamen die  Kinder tot
zur  Welt. Vorausgesetzt, dañ die  MØtter nicht schon frØher  vor  Entsetzen
stØrben.  - Hillel  ist Øbrigens der  einzige, an den  sich Wassertrum nicht
herantraut; - er weicht ihm  aus wie dem Feuer. Vermutlich, weil Hillel  das
Unbegreifliche, das vollkommen UnentrÄtselbare, fØr ihn bedeutet. Vielleicht
wittert er in ihm auch den Kabballsten."
     Wir gingen bereits die Stiegen hinab.
     "Glauben  Sie, dañ es heutzutage  noch Kabballsten gibt - dañ Øberhaupt
an  der Kabbala  etwas  sein konnte?",  fragte  ich, gespannt, was  er  wohl
antworten wØrde, aber er schien nicht zugehÃrt zu haben.
     Ich wiederholte meine Frage.
     Hastig lenkte er ab und deutete auf eine TØr des Treppenhauses, die aus
Kistendeckeln zusammengenagelt war:
     "Sie haben da  neue Mitbewohner bekommen,  eine zwar jØdische aber arme
Familie:  den  meschuggenen  Musikanten  Nephtali  Schaffranek mit  Tochter,
Schwiegersohn und Enkelkindern. Wenn's dunkel wird und er allein ist mit den
kleinen MÄdchen, kommt der Rappel Øber ihn: dann bindet er sie an den Daumen
zusammen,  damit  sie  ihm nicht  davonlaufen,  zwÄngt sie  in  einen  alten
HØhnerkÄfig  und  unterweist  sie im  ›Gesang‹,  wie er  es nennt, damit sie
spÄter ihren Lebensunterhalt selbst erwerben kÃnnen, -  das heiñt,  er lehrt
sie  die verrØcktesten Lieder, die es gibt, deutsche Texte, BruchstØcke, die
er  irgendwo  aufgeschnappt  hat und im DÄmmer seines Seelenzustandes  fØr -
preuñische Schlachthymnen oder dergleichen hÄlt."
     Wirklich tÃnte da  eine sonderbare Musik leise auf den Gang heraus. Ein
Fiedelbogen  kratzte fØrchterlich hoch und immerwÄhrend in ein und demselben
Ton die Umrisse eines Gassenhauers, und zwei fadendØnne Kinderstimmen sangen
dazu:
     "Frau Pick,
     Frau Hock,
     Frau Kle - pe - tarsch,
     se stehen beirenond
     und schmusen allerhond - -"
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     Es  war wie  Wahnwitz und Komik zugleich,  und ich  muñte wider  Willen
hellaut auflachen.
     "Schwiegersohn Schaffranek  -  seine  Frau verkauft  auf  dem Eiermarkt
Gurkensaft  glÄschenweise an die Schuljugend - lÄuft den ganzen  Tag  in den
BØros  herum",  fuhr  Charousek  grimmig  fort,  "und  erbettelt  sich  alte
Briefmarken. Die sortiert er dann,  und wenn er  welche darunter findet, die
zufÄllig  nur  am Rande  gestempelt  sind, so legt  er  sie  aufeinander und
schneidet  sie  durch. Die  ungestempelten  HÄlften  klebt  er  zusammen und
verkauft sie  als neu.  Anfangs blØhte das  GeschÄft und  warf manchmal fast
einen - Gulden  im  Tag  ab, aber schlieñlich  kamen  die  Prager  jØdischen
Groñindustriellen  dahinter - und machen es jetzt selber.  Sie  schÃpfen den
Rahm ab."
     "WØrden  Sie  Not  lindern,  Charousek,  wenn  Sie  ØberflØssiges  Geld
hÄtten?" fragte ich rasch. - Wir standen vor Hillels TØr und ich klopfte an.
     "Halten  Sie mich fØr  so gemein,  dañ Sie glauben kÃnnen,  ich tÄte es
nicht?", fragte er verblØfft zurØck.
     Mirjams Schritte  kamen nÄher,  und ich  wartete,  bis  sie die  Klinke
niederdrØckte, dann schob ich ihm rasch die Banknote in die Tasche:
     "Nein, Herr Charousek, ich halte Sie nicht dafØr, aber  mich mØñten Sie
fØr gemein halten, wenn ich's unterlieñe."
     Ehe er etwas  erwidern konnte, hatte  ich  ihm die Hand geschØttelt und
die TØr  hinter  mir zugezogen. WÄhrend mich  Mirjam begrØñte, lauschte ich,
was er tun wØrde.
     Er  blieb  eine  Weile stehen,  dann  schluchzte er leise auf und  ging
langsam mit  suchendem Schritt die Treppe hinunter. Wie jemand, der  sich am
GelÄnder halten muñ. - - -
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     Es war das erste Mal, dañ ich Hillels Zimmer besuchte.
     Es sah schmucklos aus  wie ein GefÄngnis. Der Boden peinlich sauber und
mit weiñem Sand bestreut. Nichts an MÃbeln als zwei StØhle und ein Tisch und
eine Kommode. Ein Holzpostament je links und rechts an den WÄnden. - - -
     Mirjam sañ  mir  gegenØber am  Fenster, und  ich  bossierte  an  meinem
Modellierwachs.
     "Muñ  man denn  ein  Gesicht vor  sich  haben,  um  die  ähnlichkeit zu
treffen?", fragte sie schØchtern und nur, um die Stille zu unterbrechen.
     Wir  wichen einander scheu  mit den Blicken aus. Sie wuñte nicht, wohin
die Augen  richten in ihrer Qual und  Scham Øber die jammervolle Stube,  und
mir brannten die Wangen von innerem Vorwurf, dañ ich mich nicht lÄngst darum
gekØmmert hatte, wie sie und ihr Vater lebten.
     Aber irgend etwas muñte ich doch antworten!
     "Nicht so sehr,  um  die ähnlichkeit zu treffen, als um zu vergleichen,
ob man innerlich  auch richtig gesehen hat",  - ich fØhlte, noch wÄhrend ich
sprach, wie grundfalsch das alles war, was ich sagte.
     Jahrelang  hatte ich  den irrigen  Grundsatz  der Maler, man  mØsse die
Äuñere  Natur  studieren, um  kØnstlerisch schaffen zu  kÃnnen, stumpfsinnig
nachgebetet und befolgt; erst, seit Hillel mich in jener Nacht erweckt,  war
mir  das   innere   Schauen  aufgegangen:  das   wahre  SehenkÃnnen   hinter
geschlossenen Lidern, das sofort erlischt, wenn man die Augen  aufschlÄgt, -
die  Gabe, die sie alle zu haben glauben und die doch unter Millionen keiner
wirklich besitzt.
     Wie konnte  ich  auch nur  von der MÃglichkeit sprechen, die unfehlbare
Richtschnur  der geistigen  Vision an  den groben  Mitteln des  Augenscheins
nachmessen zu wollen!
     Mirjam schien ähnliches zu denken, nach dem Erstaunen in  ihren  Mienen
zu schlieñen.
     "Sie dØrfen es nicht so wÃrtlich nehmen", entschuldigte ich mich.
     Voll Aufmerksamkeit  sah sie  zu,  wie  ich mit  dem  Griffel  die Form
vertiefte.
     "Es  muñ unendlich  schwer sein,  alles  dann haargenau  auf  Stein  zu
Øbertragen?"
     "Das ist nur mechanische Arbeit. So ziemlich wenigstens."

     Pause.

     "Darf ich die Gemme sehen, wenn sie fertig ist?" fragte sie.
     "Sie ist doch fØr Sie bestimmt, Mirjam."
     "Nein, nein; das geht nicht, - - das - das  -  -", -  ich sah, wie ihre
HÄnde nervÃs wurden.
     "Nicht  einmal  diese  Kleinigkeit  wollen  Sie  von   mir  annehmen?",
unterbrach ich sie schnell, "ich wollte, ich dØrfte mehr fØr Sie tun."
     Hastig wandte sie das Gesicht ab.
     Was hatte ich da gesagt! Ich  muñte sie aufs tiefste verletzt haben. Es
hatte geklungen, als wollte ich auf ihre Armut anspielen.
     Konnte ich es noch beschÃnigen? Wurde es dann nicht weit schlimmer?
     Ich nahm einen Anlauf:
     "HÃren Sie mich ruhig  an, Mirjam! Ich  bitte  Sie darum. - Ich schulde
Ihrem Vater so unendlich viel, - Sie kÃnnen das gar nicht ermessen - -"
     Sie sah mich unsicher an; verstand offenbar nicht.
     "-ja ja: unendlich viel. Mehr als mein Leben."
     "Weil er Ihnen damals beistand, als Sie ohnmÄchtig waren? Das  war doch
selbstverstÄndlich."
     Ich fØhlte:  sie  wuñte  nicht,  welches  Band  mich  mit  ihrem  Vater
verknØpfte. Vorsichtig  sondierte  ich,  wie weit ich  gehen durfte, ohne zu
verraten, was er ihr verschwieg.
     "Weit hÃher als Äuñere Hilfe, dachte ich, ist die  innere zu stellen. -
Ich meine die, die aus  dem  geistigen Einfluñ eines Menschen auf den andern
Øberstrahlt. - Verstehen Sie, was ich damit sagen will,  Mirjam?  - Man kann
jemand auch seelisch heilen, nicht nur kÃrperlich, Mirjam."
     "Und das hat - -?"
     "Ja, das hat Ihr Vater an mir getan!"  - ich fañte sie  an der  Hand, -
"begreifen Sie nicht, dañ es mir da  ein Herzenswunsch sein muñ, wenn  schon
nicht ihm, so doch jemand, der ihm so nahesteht,  wie Sie, irgendeine Freude
zu bereiten? - Haben Sie nur ein ganz klein wenig Vertrauen zu mir! - Gibt's
denn gar keinen Wunsch, den ich Ihnen erfØllen kÃnnte?"
     Sie  schØttelte  den  Kopf:  "Sie glauben, ich  fØhle  mich unglØcklich
hier?"
     "Gewiñ nicht. Aber vielleicht haben Sie  zuweilen Sorgen, die ich Ihnen
abnehmen  konnte? Sie  sind  verpflichtet - hÃren Sie!  - verpflichtet, mich
daran teilnehmen zu lassen! Warum leben Sie denn beide hier in  der finstern
traurigen Gasse, wenn Sie nicht mØñten? Sie sind noch so jung, Mirjam, und -
-"
     "Sie  leben  doch  selbst  hier,  Herr  Pernath", unterbrach  sie  mich
lÄchelnd, "was fesselt Sie an das Haus?"
     Ich stutzte. - Ja.  Ja,  das  war richtig.  Warum lebte ich  eigentlich
hier? Ich konnte  es  mir  nicht  erklÄren, was fesselt  dich an  das  Haus?
wiederholte ich mir geistesabwesend. Ich konnte keine  ErklÄrung finden  und
vergañ  einen  Augenblick  ganz,  wo  ich  war.  -  Dann stand ich plÃtzlich
entrØckt irgendwo hoch oben - in einem  Garten - roch  den zauberhaften Duft
von blØhenden Holunderdolden, - sah herab auf die Stadt - - -
     "Habe  ich eine Wunde berØhrt? Hab' ich Ihnen  weh getan?", kam Mirjams
Stimme von weit, weit her zu mir.
     Sie hatte sich  Øber mich gebeugt und sah mir  Ängstlich forschend  ins
Gesicht.
     Ich muñte wohl lange starr dagesessen haben, dañ sie so besorgt war.
     Eine Weile schwankte es hin und her in mir, dann brach sich's plÃtzlich
gewaltsam Bahn, Øberflutete mich,  und ich schØttete Mirjam mein ganzes Herz
aus.
     Ich erzÄhlte ihr, wie  einem lieben, alten Freund,  mit  dem  man  sein
ganzes Leben beisammen war und vor dem man kein Geheimnis hat, wie's um mich
stand  und auf welche Weise ich aus einer  ErzÄhlung Zwakhs  erfahren hatte,
dañ ich  in frØheren Jahren wahnsinnig gewesen und  der  Erinnerung an meine
Vergangenheit  beraubt worden  war, - wie in letzter Zeit Bilder in mir wach
geworden,  die  in jenen Tagen  wurzeln muñten, immer hÄufiger und hÄufiger,
und dañ  ich  vor dem Moment zitterte, wo mir alles offenbar werden und mich
von neuem zerreiñen wØrde.
     Nur, was ich mit ihrem Vater  in  Zusammenhang bringen  muñte: -  meine
Erlebnisse in den unterirdischen GÄngen und all das  Øbrige, verschwieg  ich
ihr.
     Sie  war  dicht zu  mir  gerØckt  und hÃrte mit  einer tiefen atemlosen
Teilnahme zu, die mir unsÄglich wohl tat.
     Endlich hatte ich einen Menschen gefunden, mit dem ich mich aussprechen
konnte, wenn mir meine geistige Einsamkeit zu  schwer wurde.  - Gewiñ  wohl:
Hillel war  ja noch da, aber fØr mich nur wie ein Wesen jenseits der Wolken,
das kam und verschwand wie ein Licht, an das ich nicht herankonnte, wenn ich
mich sehnte.
     Ich sagte  es ihr und sie verstand  mich. Auch sie sah ihn so, trotzdem
er ihr Vater war.
     Er hing mit unendlicher Liebe an ihr und sie an ihm - "und doch bin ich
wie  durch eine Glaswand von  ihm getrennt," vertraute sie mir an, "die  ich
nicht durchbrechen kann. Solange ich  denke, war es  so. - Wenn ich ihn  als
Kind  im  Traum an meinem  Bette  stehen sah, immer  trug er  das Gewand des
Hohenpriesters: die goldene Tafel des Moses mit den 12 Steinen darin auf der
Brust, und blaue  leuchtende Strahlen gingen von seinen SchlÄfen  aus. - Ich
glaube, seine Liebe ist von der Art, die Øbers Grab hinausgeht, und zu groñ,
als dañ wir sie fassen kÃnnten. - Das hat auch  meine Mutter  immer  gesagt,
wenn  wir  heimlich  Øber ihn  sprachen."  -  - Sie schauderte plÃtzlich und
zitterte am ganzen Leib. Ich wollte aufspringen, aber sie hielt mich zurØck:
"Seien  Sie ruhig,  es ist  nichts. Bloñ  eine Erinnerung. Als  meine Mutter
starb -  nur  ich  weiñ, wie er  sie geliebt hat,  ich war  damals  noch ein
kleines MÄdchen, - glaubte ich vor Schmerz ersticken zu mØssen, und ich lief
zu ihm hin und krallte mich in seinen Rock und wollte aufschreien und konnte
doch nicht, weil alles gelÄhmt war in mir - und - und da - - - - mir lauft's
wieder eiskalt Øber den RØcken, wenn ich daran denke - sah er mich  lÄchelnd
an, kØñte mich auf die Stirn und fuhr mir mit der Hand Øber die Augen. - - -
-  Und von dem  Moment  an bis  heute  war jedes  Leid, dañ ich meine Mutter
verloren  hatte,  wie  ausgetilgt  in  mir.  Nicht  eine  TrÄne  konnte  ich
vergieñen,  als sie begraben  wurde;  ich sah die Sonne als strahlende  Hand
Gottes  am Himmel stehen und wunderte mich, warum die Menschen weinten. Mein
Vater  ging hinter  dem Sarge  her,  neben mir,  und  wenn  ich  aufblickte,
lÄchelte er jedesmal leise und ich fØhlte, wie das Entsetzen durch die Menge
fuhr, als sie es sahen."
     "Und  sind Sie  glØcklich, Mirjam? Ganz glØcklich? Liegt nicht zugleich
etwas Furchtbares fØr Sie in dem Gedanken, ein Wesen zum Vater zu haben, das
hinausgewachsen ist Øber alles Menschentum?", fragte ich leise.
     Mirjam schØttelte freudig den Kopf:
     "Ich  lebe wie in  einem seligen Schlaf dahin.  - Als Sie  mich  vorhin
fragten, Herr Pernath, ob ich nicht Sorgen hÄtte und warum wir hier wohnten,
muñte ich fast lachen. Ist denn die Natur schÃn? Nun ja, die BÄume sind grØn
und  der  Himmel  ist  blau,  aber  das  alles  kann  ich  mir  viel schÃner
vorstellen, wenn ich die Augen schlieñe. Muñ ich  denn, um sie zu sehen, auf
einer Wiese sitzen? - Und das biñchen  Not und - und - und Hunger?  Das wird
tausendfach aufgewogen durch die Hoffnung und das Warten."
     "Das Warten?", fragte ich erstaunt.
     "Das Warten  auf ein Wunder. Kennen Sie  das  nicht? Nein? Da  sind Sie
aber ein ganz,  ganz armer Mensch.  - Dañ das so  wenige kennen?! Sehen Sie,
das  ist auch der Grund,  weshalb ich nie ausgehe und  mit niemand verkehre.
Ich hatte wohl frØher ein paar Freundinnen - JØdinnen natØrlich, wie ich  -,
aber wir redeten immer aneinander vorbei;  sie verstanden mich nicht und ich
sie  nicht. Wenn ich von  Wundern  sprach, glaubten  sie  anfangs, ich mache
Spañ,  und  als sie merkten,  wie ernst  es mir war und  dañ  ich auch unter
Wundern  nicht  das  verstand,  was  die  Deutschen  mit  ihren  Brillen  so
bezeichnen: das  gesetzmÄñige Wachsen des  Grases  und dergleichen,  sondern
eher das Gegenteil, -  hÄtten sie mich  am liebsten  fØr  verrØckt gehalten,
aber dagegen stand ihnen wieder im Wege, dañ  ich  ziemlich gelenkig bin  im
Denken,  hebrÄisch  und  aramÄisch gelernt habe, die Targumim und Midraschim
lesen kann, und  was dergleichen  NebensÄchlichkeiten mehr sind. Schlieñlich
fanden sie ein Wort,  das Øberhaupt nichts mehr  ausdrØckt: sie nannten mich
›Øberspannt‹.
     Wenn  ich ihnen  dann  klarmachen  wollte,  dañ  das Bedeutsame  -  das
Wesentliche  - fØr mich  in  der  Bibel und anderen  heiligen Schriften  das
Wunder und bloñ das Wunder sei und nicht Vorschriften  Øber Moral und Ethik,
die nur versteckte Wege sein kÃnnen, um  zum Wunder zu gelangen, - so wuñten
sie  nur  mit  GemeinplÄtzen  zu  erwidern,  denn sie  scheuten sich,  offen
einzugestehen, dañ  sie  aus  den Religionsschriften  nur das glaubten,  was
ebensogut  im bØrgerlichen  Gesetzbuch  stehen  kÃnnte. Wenn  sie  das  Wort
›Wunder‹ nur  hÃrten,  wurde ihnen schon unbehaglich. Sie verlÃren den Boden
unter den FØñen, sagten sie.
     Als ob  es etwas Herrlicheres  geben  kÃnnte,  als den Boden  unter den
FØñen zu verlieren!
     Die Welt ist  dazu da,  um von uns kaputt gedacht zu werden, hÃrte  ich
einmal meinen Vater  sagen, - dann, dann erst fÄngt das Leben an. - Ich weiñ
nicht, was er mit dem ›Leben‹ meinte, aber ich fØhle zuweilen, dañ ich eines
Tages so wie: ›erwachen‹ werde.  Wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, in
welchen Zustand hinein. Und Wunder mØssen  dem vorhergehen,  denke  ich  mir
immer.
     ›Hast  du denn schon welche erlebt, dañ du fortwÄhrend darauf wartest?‹
fragten  mich oft  meine  Freundinnen,  und wenn ich  verneinte, wurden  sie
plÃtzlich froh  und siegesgewiñ. Sagen Sie, Herr Pernath,  kÃnnen Sie solche
Herzen  verstehen? Dañ ich doch Wunder erlebt habe, wenn auch nur kleine,  -
winzig  kleine  -",  -  Mirjams  Augen glÄnzten,  - "wollte  ich ihnen nicht
verraten, - - -"
     Ich hÃrte, wie FreudentrÄnen ihre Stimme fast erstickten.
     "- aber Sie werden mich verstehen: oft,  Wochen,  ja Monate", -  Mirjam
wurde  ganz leise - "haben wir nur von  Wundern gelebt. Wenn  gar  kein Brot
mehr im Hause war, aber  auch nicht ein Bissen  mehr, dann wuñte  ich: jetzt
ist  die Stunde da! - Und dann sañ ich hier und wartete und wartete, bis ich
vor  Herzklopfen kaum  mehr  atmen  konnte.  Und -  und  dann,  wenn's  mich
plÃtzlich  zog, lief ich hinunter und kreuz und quer  durch die Strañen,  so
rasch ich konnte, um  rechtzeitig  wieder im Hause  zu sein, ehe mein  Vater
heimkam. Und - und jedesmal fand ich Geld. Einmal mehr, einmal weniger, aber
immer soviel, dañ  ich  das NÃtigste  einkaufen konnte. Oft  lag ein  Gulden
mitten auf der Strañe; ich sah ihn  von weitem blitzen  und die Leute traten
darauf,  rutschten aus darØber, aber keiner  bemerkte ihn. - Das machte mich
zuweilen so  ØbermØtig, dañ ich  gar nicht  erst ausging, sondern nebenan in
der KØche  den Boden durchsuchte wie  ein  Kind, ob nicht Geld oder Brot vom
Himmel gefallen sei."
     - Ein  Gedanke  schoñ  mir durch  den Kopf,  und ich muñte  aus  Freude
darØber lÄcheln. -
     Sie sah es.
     "Lachen  Sie nicht,  Herr Pernath", flehte sie.  "Glauben  Sie mir, ich
weiñ, dañ diese Wunder wachsen werden und dañ sie eines Tages -"
     Ich beruhigte sie: "Aber  ich lache doch nicht,  Mirjam! Was denken Sie
denn! Ich bin unendlich  glØcklich, dañ Sie nicht  sind wie  die andern, die
hinter jeder Wirkung die gewohnte Ursache  suchen und  bocken, wenn's -  wir
rufen in solchen Fallen: Gott sei Dank! - einmal anders kommt."
     Sie streckte mir die Hand hin:
     "Und nicht wahr, Sie werden nie mehr sagen, Herr Pernath, dañ Sie mir -
oder uns - helfen wollen? Jetzt, wo Sie wissen, dañ Sie mir die MÃglichkeit,
ein Wunder zu erleben, rauben wØrden, wenn Sie es tÄten?"
     Ich versprach es. Aber im Herzen machte ich einen Vorbehalt.
     Da ging die TØr und Hillel trat ein.
     Mirjam  umarmte  ihn;  und  er  begrØñte   mich.   Herzlich   und  voll
Freundschaft, aber wieder mit dem kØhlen "Sie".
     Auch schien  etwas  wie leise  MØdigkeit oder  Unsicherheit auf ihm  zu
lasten. - Oder irrte ich mich?
     Vielleicht kam es nur von der DÄmmerung, die in der Stube lag.
     "Sie  sind gewiñ hier, mich um Rat zu fragen", fing  er an, als  Mirjam
uns allein gelassen hatte, "in der Sache, die die fremde Dame betrifft - -?"
     Ich wollte ihn verwundert unterbrechen, aber er fiel mir in die Rede:
     "Ich weiñ es von dem Studenten Charousek. Ich sprach ihn auf der  Gasse
an, weil  er mir merkwØrdig verÄndert vorkam. Er hat  mir alles  erzÄhlt. In
der øberfØlle seines  Herzens. Auch, dañ - Sie ihm Geld geschenkt haben." Er
sah mich durchdringend an und betonte jedes seiner Worte auf hÃchst seltsame
Weise, aber ich verstand nicht, was er damit wollte:
     "Gewiñ, es hat dadurch ein paar Tropfen GlØck mehr vom  Himmel geregnet
- und - und in diesem - Fall hat's vielleicht auch nicht geschadet, aber -,"
er dachte eine Weile nach, - "aber manchmal schafft man sich und anderen nur
Leid damit. Gar so leicht ist das Helfen nicht, wie Sie denken, mein  lieber
Freund! Da wÄre es  sehr, sehr einfach, die Welt zu erlÃsen. -  Oder glauben
Sie nicht?"
     "Geben Sie  denn  nicht auch den Armen?  Oft alles,  was  Sie besitzen,
Hillel?", fragte ich.
     Er schØttelte lÄchelnd den Kopf: "Mir  scheint, Sie sind Øber Nacht ein
Talmudist geworden, dañ Sie eine  Frage wieder mit einer Frage  beantworten.
Da ist freilich schwer streiten."
     Er  hielt  inne,  als ob  ich darauf  antworten  sollte,  aber wiederum
verstand ich nicht, worauf er eigentlich wartete.
     "øbrigens, um zu dem Thema zurØckzukommen", fuhr er in verÄndertem Tone
fort,  "ich glaube  nicht,  dañ Ihrem SchØtzling  - ich  meine  die  Dame  -
augenblicklich  Gefahr droht. Lassen Sie die  Dinge an  sich herantreten. Es
heiñt zwar: ›der kluge Mann baut vor‹, aber der KlØgere, scheint mir, wartet
ab und ist auf  alles  gefañt.  Vielleicht  ergibt sich die Gelegenheit, dañ
Aaron Wassertrum mit mir zusammentrifft, aber das muñ dann von ihm ausgehen,
- ich tue keinen Schritt, er muñ herØberkommen. Ob zu Ihnen oder zu mir, ist
gleichgØltig - und dann will ich mit ihm reden. An ihm  wird's sein, sich zu
entscheiden,  ob  er meinen Rat befolgen will oder nicht.  Ich wasche  meine
HÄnde in Unschuld."
     Ich versuchte  Ängstlich  in  seinem  Gesicht  zu lesen.  So  kalt  und
eigentØmlich  drohend  hatte er  noch  nie  gesprochen.  Aber  hinter diesem
schwarzen, tiefliegenden Auge schlief ein Abgrund.
     "Es  ist wie  eine Glaswand  zwischen ihm und  uns", fielen mir Mirjams
Worte ein.
     Ich konnte ihm nur wortlos die Hand drØcken und - gehen.
     Er begleitete mich bis vor die TØre und, als ich  die Treppe hinaufging
und mich noch einmal umdrehte, sah ich, dañ er  stehen geblieben war und mir
freundlich nachwinkte, aber wie jemand, der noch gern etwas sagen mÃchte und
nicht kann.

     Ich hatte die Absicht, mir Mantel und Stock  zu holen und in die kleine
Wirtsstube  "Zum  alten  Ungelt"  essen  zu  gehen, wo  allabendlich  Zwakh,
Vrieslander  und Prokop  bis spÄt in die Nacht beisammen  sañen und einander
verrØckte Geschichten erzÄhlten; aber  kaum betrat ich  mein Zimmer, da fiel
der Vorsatz von mir ab,  - wie wenn mir HÄnde ein Tuch oder sonst etwas, was
ich am Leibe getragen, abgerissen hÄtten.
     Es lag eine  Spannung in der Luft, Øber die ich  mir keine Rechenschaft
geben konnte, die aber trotzdem vorhanden  war wie etwas Greifbares und sich
im Verlauf  weniger Sekunden derart heftig  auf  mich Øbertrug,  dañ ich vor
Unruhe anfangs kaum wuñte, was ich zuerst tun sollte: Licht anzØnden, hinter
mir abschlieñen, mich niedersetzen oder auf und ab gehen.
     Hatte  sich  jemand in meiner Abwesenheit eingeschlichen und versteckt?
War's die Angst eines  Menschen  vor  dem Gesehenwerden, die mich ansteckte?
War Wassertrum vielleicht hier?
     Ich griff hinter die Gardinen, Ãffnete den Schrank, tat einen Blick ins
Nebenzimmer: - niemand.
     Auch die Kassette stand unverrØckt an ihrem Platz.
     Ob es nicht am besten war, ich verbrannte die Briefe kurz entschlossen,
um ein fØr allemal die Sorge um sie los zu sein?
     Schon suchte ich nach dem SchlØssel in meiner Westentasche - aber muñte
es denn jetzt geschehen? Es blieb mir doch Zeit genug bis morgen frØh.
     Erst Licht machen!
     Ich konnte die StreichhÃlzer nicht finden.
     War  die  TØr abgesperrt? - Ich  ging ein  paar Schritte  zurØck. Blieb
wieder stehen.
     Warum mit einemmal die Angst?
     Ich  wollte  mir VorwØrfe  machen,  dañ  ich  feig  sei: - die Gedanken
blieben stecken. Mitten im Satz.
     Eine wahnwitzige  Idee  Øberfiel mich  plÃtzlich: rasch, rasch  auf den
Tisch  steigen,  einen  Sessel packen und zu mir  hinaufziehen und "dem" den
SchÄdel damit von oben herab einschlagen, das da auf dem Boden herumkroch, -
- wenn - wenn es in die NÄhe kam.
     "Es ist doch niemand hier," sagte ich mir laut und Ärgerlich vor, "hast
du dich denn je im Leben gefØrchtet?"
     Es half nichts. Die Luft, die ich einatmete, wurde dØnn und  schneidend
wie äther.
     Wenn  ich  irgendetwas  gesehen  hÄtte:  das GrÄñlichste, was man  sich
vorstellen kann, - im Nu wÄre die Furcht von mir gewichen.
     Es kam nichts.
     Ich bohrte meine Augen in alle Winkel:
     Nichts.
     øberall lauter wohlbekannte Dinge: MÃbel, Truhen,  die Lampe, das Bild,
die Wanduhr - leblose, alte, treue Freunde.
     Ich hoffte, sie wØrden sich vor meinen  Blicken verÄndern und mir Grund
geben, eine SinnestÄuschung als Ursache fØr das wØrgende AngstgefØhl  in mir
zu finden.
     Auch das nicht. - Sie blieben  ihrer  Form  starr getreu. Viel zu starr
fØr das herrschende Halbdunkel, als dañ es natØrlich gewesen wÄre.
     "Sie  stehen unter  demselben Zwang  wie  du  selbst", fØhlte ich. "Sie
trauen sich nicht, auch nur die leiseste Bewegung zu machen."
     Warum tickt die Wanduhr nicht? -
     Das Lauern ringsum trank jeden Laut.
     Ich rØttelte  am Tisch und  wunderte mich,  dañ ich  das GerÄusch hÃren
konnte.
     Wenn doch wenigstens der Wind ums Haus pfiffe! - Nicht einmal das! Oder
das Holz im Ofen aufknallen wollte: - das Feuer war erloschen.
     Und immerwÄhrend dasselbe entsetzliche  Lauern in der Luft - pausenlos,
lØckenlos, wie das Rinnen von Wasser.
     Dieses  vergebliche  Auf-dem-Sprung-stehen  aller  meiner  Sinne!   Ich
verzweifelte  daran, es  je Øberdauern zu kÃnnen. - Der Raum voll Augen, die
ich nicht sehen, - voll von planlos wandernden HÄnden, die ich nicht greifen
konnte.
     "Es ist das Entsetzen, das  sich aus sich  selbst gebiert, die lÄhmende
Schrecknis des unfañbaren Nicht-Etwas, das keine Form  hat und unserm Denken
die Grenzen zerfriñt", begriff ich dumpf.
     Ich stellte mich steif hin und wartete.
     Wartete wohl eine  Viertelstunde: vielleicht  lieñ  "es" sich verleiten
und schlich von rØckwÄrts an mich heran - und ich konnte es ertappen?!
     Mit einem Ruck fuhr ich herum: wieder nichts.
     Dasselbe  markverzehrende  "Nichts", das nicht war und  doch das Zimmer
mit seinem grausigen Leben erfØllte.
     Wenn ich hinausliefe? Was hinderte mich?
     "Es  wØrde  mit  mir  gehen",   wuñte  ich  sofort   mit  unabweisbarer
Sicherheit.  Auch, dañ es mir nichts nØtzen kÃnnte, wenn ich  Licht  machte,
sah ich ein, - dennoch  suchte ich so  lange nach dem Feuerzeug, bis ich  es
gefunden hatte.
     Aber der  Kerzendocht wollte nicht brennen und kam lang aus dem Glimmen
nicht  heraus: die kleine Flamme konnte nicht leben  und  nicht sterben, und
als sie sich endlich doch ein  schwindsØchtiges Dasein erkÄmpft hatte, blieb
sie glanzlos wie gelbes, schmutziges Blech. Nein, da war die Dunkelheit noch
besser.
     Ich lÃschte wieder  aus und warf mich angezogen Øbers  Bett. ZÄhlte die
SchlÄge meines Herzens: eins, zwei, drei - vier ... bis  tausend, und  immer
von neuem - Stunden,  Tage, Wochen, wie mir schien, bis meine Lippen trocken
wurden und das Haar sich mir strÄubte: keine Sekunde der Erleichterung.
     Auch nicht eine einzige.
     Ich  fing an, mir Worte vorzusagen,  wie sie mir  gerade  auf die Zunge
kamen: "Prinz", "Baum", "Kind", "Buch" -  und sie krampfhaft zu wiederholen,
bis sie plÃtzlich als  sinnlose, schreckhafte Laute aus barbarischer Vorzeit
nackt  mir gegenØberstanden, und ich  mit aller Kraft nachdenken  muñte,  in
ihre Bedeutung zurØckzufinden: P-r-i-n-z? - B-u-ch?
     War  ich nicht schon wahnsinnig?  Oder  gestorben? - Ich tastete an mir
herum.
     Aufstehen!
     Mich in den Sessel setzen!
     Ich lieñ mich in den Lehnstuhl fallen.
     Wenn doch endlich der Tod kÄme!
     Nur dieses blutlose, furchtbare Lauern nicht mehr fØhlen! "Ich - will -
nicht - ich will - nicht!", schrie ich. "HÃrt ihr denn nicht?!"
     Kraftlos fiel ich zurØck.
     Konnte es nicht fassen, dañ ich immer noch lebte.
     UnfÄhig, irgend etwas zu denken oder zu  tun, stierte ich geradeaus vor
mich hin.
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     "Weshalb er mir nur  die KÃrner  so  beharrlich hinreicht?", ebbte  ein
Gedanke auf mich zu, zog sich zurØck und  kam wieder.  Zog sich zurØck.  Kam
wieder.
     Langsam wurde mir endlich klar, dañ ein seltsames Wesen vor mir stand -
vielleicht  schon, seit ich hier  sañ, dagestanden hatte - und  mir die Hand
hinstreckte:
     Ein  graues,  breitschultriges  GeschÃpf, in der GrÃñe  eines gedrungen
gewachsenen  Menschen,  auf  einen  spiralfÃrmig  gedrehten Knotenstock  aus
weiñem Holz gestØtzt.
     Wo  der Kopf hÄtte  sitzen mØssen, konnte ich nur einen Nebelballen aus
fahlem Dunst unterscheiden.
     Ein  trØber  Geruch nach  Sandelholz  und  nassem Schiefer ging von der
Erscheinung aus.
     Ein GefØhl vollkommenster Wehrlosigkeit  raubte mir fast die Besinnung.
Was  ich  die ganze lange Zeit an nervenzernagender Qual mitgemacht, drÄngte
sich  jetzt  zu  Todesschrecken zusammen und war  in diesem  Wesen zur  Form
geronnen.
     Mein Selbsterhaltungstrieb sagte mir, ich  wØrde wahnsinnig  werden vor
Entsetzen und  Furcht,  wenn ich  das Gesicht  des Phantoms sehen kÃnnte,  -
warnte mich davor, schrie es mir in die Ohren - und doch zog es mich wie ein
Magnet, dañ ich den Blick von dem fahlen Nebelballen nicht wenden konnte und
darin forschte nach Augen, Nase und Mund.
     Aber  so sehr ich mich auch abmØhte: der Dunst blieb unbeweglich.  Wohl
glØckte es mir, KÃpfe aller Art auf den Rumpf zu setzen, doch jedesmal wuñte
ich, dañ sie nur meiner Einbildungskraft entstammten.
     Sie zerrannen  auch stets - fast in derselben Sekunde, in der  ich  sie
geschaffen hatte.
     Nur  die  Form eines  Ägyptischen  Ibiskopfs  blieb  noch  am  lÄngsten
bestehen.
     Die Umrisse  des Phantoms  schleierten  schemenhaft in  der Dunkelheit,
zogen sich kaum  merklich  zusammen und dehnten sich  wieder aus,  wie unter
langsamen  AtemzØgen,  die  die  ganze  Gestalt   durchliefen,  die  einzige
Bewegung, die zu bemerken  war. Statt der  FØñe berØhrten Knochenstumpen den
Boden, von  denen  das  Fleisch -  grau  und blutleer - auf Spannenbreite zu
wulstigen RÄndern emporgezogen war.
     Regungslos hielt das GeschÃpf mir seine Hand hin.
     Kleine KÃrner lagen dann. Bohnengroñ, von roter Farbe und mit schwarzen
Punkten am Rande.
     Was sollte ich damit?!
     Ich fØhlte  dumpf:  eine  ungeheure  Verantwortung lag auf  mir  - eine
Verantwortung,  die weit hinausging Øber  alles Irdische, -  wenn  ich jetzt
nicht das Richtige tat.
     Zwei  Waagschalen,   jede  belastet   mit  dem   Gewicht   des   halben
WeltgebÄudes,  schweben  irgendwo im  Reich  der Ursachen, ahnte  ich -  auf
welche von beiden ich ein StÄubchen warf: die sank zu Boden.
     Das war das furchtbare Lauern ringsum!,  verstand  ich. "Keinen  Finger
rØhren!", riet mir mein Verstand, - "und wenn der Tod in alle Ewigkeit nicht
kommen sollte und mich erlÃsen aus dieser Qual." -
     Auch  dann hÄttest  du  deine  Wahl getroffen:  du hÄttest  die  KÃrner
abgelehnt, raunte es in mir. Hier gibt's kein ZurØck.
     Hilfesuchend blickte ich  um  mich, ob mir denn kein Zeichen wurde, was
ich tun sollte. Nichts.
     Auch in mir kein Rat, kein Einfall - alles tot, gestorben.
     Das Leben von Myriaden Menschen wiegt leicht wie  eine  Feder in diesem
furchtbaren Augenblick, erkannte ich. - -
     Es  muñte  bereits tiefe  Nacht sein, denn ich konnte die  WÄnde meines
Zimmers nicht mehr unterscheiden.
     Nebenan im Atelier stampften  Schritte; ich hÃrte, dañ jemand  SchrÄnke
rØckte,  Schubladen aufriñ und polternd  zu Boden  warf, glaubte Wassertrums
Stimme zu erkennen, wie er in seinem  rÃchelnden Bañ wilde  Fluche ausstieñ;
ich horchte nicht hin. Es war mir belanglos wie das Rascheln einer  Maus.  -
Ich schloñ die Augen:
     Menschliche Antlitze  zogen in  langen Reihen an mir vorØber. Die Lider
zugedrØckt  - starre Totenmasken: -  mein eigenes  Geschlecht, meine eigenen
Vorfahren.
     Immer dieselbe SchÄdelbildung, wie auch der  Typus zu  wechseln schien,
so  stand es auf  aus  seinen GrØften,  -  mit glattem  gescheiteltem  Haar,
gelocktem  und  kurz   geschnittenem,  mit  AllongeperØcken  und   in  Ringe
gezwÄngten SchÃpfen - durch  Jahrhunderte heran, bis  die ZØge mir bekannter
und bekannter  wurden  und in  ein letztes Gesicht  zusammenflossen:  -  das
Gesicht des Golem, mit dem die Kette meiner Ahnen abbrach.
     Dann lÃste die Finsternis mein Zimmer in einen unendlichen leeren  Raum
auf, in dessen Mitte ich mich auf meinem Lehnstuhl sitzen wuñte, vor mir der
graue Schatten wieder mit dem ausgestreckten Arm.
     Und  als  ich  die Augen aufschlug, standen  in zwei sich  schneidenden
Kreisen, die einen Achter bildeten, fremdartige Wesen um uns herum:
     Die des einen  Kreises gehØllt in GewÄnder mit violettem Schimmer,  die
des anderen mit rÃtlich schwarzem.  Menschen einer fremden Rasse, von hohem,
unnatØrlich schmÄchtigem  Wuchs,  die Gesichter  hinter  leuchtenden TØchern
verborgen.
     Das  Herzbeben  in  meiner  Brust  sagte  mir,  dañ  der Zeitpunkt  der
Entscheidung gekommen war. Meine  Finger zuckten nach  den KÃrnern: - und da
sah ich, wie ein Zittern durch die Gestalten des rÃtlichen Kreises ging. -
     Sollte ich die KÃrner zurØckweisen?: Das Zittern ergriff den blÄulichen
Kreis;  -  ich  blickte  den  Mann ohne Kopf  scharf an;  er stand  da -  in
derselben Stellung: regungslos wie frØher.
     Sogar sein Atem hatte aufgehÃrt.
     Ich hob  den Arm, wuñte  noch immer nicht,  was  ich  tun sollte, und -
schlug auf die  ausgestreckte  Hand  des  Phantoms, dañ die KÃrner  Øber den
Boden hinrollten.
     Einen  Moment,  so jÄh wie  ein  elektrischer Schlag, entglitt  mir das
Bewuñtsein, und ich  glaubte in endlose Tiefen zu stØrzen,  - dann stand ich
fest auf den FØñen.
     Das  graue  GeschÃpf  war verschwunden. Ebenso die Wesen des  rÃtlichen
Kreises.
     Die blÄulichen Gestalten hingegen  hatten einen Ring um  mich gebildet;
sie trugen eine Inschrift aus goldnen Hieroglyphen auf der Brust und hielten
stumm  - es sah aus  wie ein  Schwur  - zwischen Zeigefinger und  Daumen die
roten  KÃrner in  die  Hohe,  die  ich dem Phantom  ohne Kopf  aus  der Hand
geschlagen hatte.
     Ich  hÃrte,  wie  drauñen  Hagelschauer  gegen  die  Fenster tobten und
brØllender Donner die Luft zerriñ:
     Ein Wintergewitter in seiner ganzen  besinnungslosen Wut raste Øber die
Stadt  hinweg.  Vom  Fluñ  her  drÃhnten  durch  das  Heulen  des Sturms  in
rhythmischen Intervallen die  dumpfen  KanonenschØsse,  die das  Brechen der
Eisdecke  auf  der  Moldau  verkØndeten.  Die Stube  loderte  im  Licht  der
ununterbrochen  aufeinanderfolgenden  Blitze.  Ich  fØhlte mich plÃtzlich so
schwach, dañ mir die Knie zitterten und ich mich setzen muñte.
     "Sei ruhig," sagte deutlich eine Stimme neben mir, "sei ganz  ruhig, es
ist heute die Lelschimurim: die Nacht der BeschØtzung." -
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     AllmÄhlich lieñ das Unwetter nach, und der betÄubende LÄrm ging Øber in
das eintÃnige Trommeln der Schloñen auf die Dacher.
     Die Mattigkeit in meinen  Gliedern nahm derart zu, dañ ich nur mehr mit
stumpfen Sinnen und halb im Traum wahrnahm, was um mich her vorging:
     Jemand aus dem Kreis sagte die Worte:
     "Den ihr suchet, der ist nicht hier."
     Die andern erwiderten etwas in einer fremden Sprache.
     Hierauf sagte der erste wieder leise einen Satz, dann kam der Name
     "Henoch"
     vor, aber ich verstand das Øbrige nicht: der Wind trug das  StÃhnen der
berstenden Eisschollen zu laut vom Flusse herØber.
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     Dann lÃste sich einer aus dem Kreis, trat vor mich hin, deutete auf die
Hieroglyphen auf seiner Brust - sie  waren  dieselben Buchstaben wie die der
Øbrigen - und fragte mich, ob ich sie lesen kÃnne.
     Und als  ich  - lallend vor MØdigkeit,  -  verneinte,  streckte er  die
HandflÄche  gegen mich aus, und die Schrift  erschien  leuchtend  auf meiner
Brust in Lettern, die zuerst lateinisch waren:
     CHABRAT ZEREH AUR BOCHER
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     und  sich  langsam  in die mir unbekannten verwandelten. - - - Und  ich
fiel  in einen tiefen, traumlosen  Schlaf, wie  ich ihn seit jener Nacht, in
der Hillel mir die Zunge gelÃst, nicht mehr gekannt hatte.

     Wie im  Fluge  waren mir die Stunden der  letzten Tage vergangen. Kaum,
dañ ich mir Zeit zu den Mahlzeiten lieñ.
     Ein  unwiderstehlicher Drang nach Äuñerer TÄtigkeit hatte mich von frØh
bis abends an meinen Arbeitstisch gefesselt.
     Die  Gemme war fertig  geworden, und Mirjam  hatte  sich  wie  ein Kind
darØber gefreut.
     Auch der Buchstabe "I" in dem Buche Ibbur war ausgebessert.
     Ich lehnte mich zurØck  und lieñ ruhevoll  all die kleinen Geschehnisse
der heutigen Stunden an mir vorØberziehen:
     Wie das alte Weib,  das mich bediente, am Morgen nach dem Ungewitter zu
mir ins Zimmer gestØrzt kam mit der Meldung, die steinerne BrØcke sei in der
Nacht eingestØrzt. -
     Seltsam:  -  EingestØrzt! Vielleicht gerade in der Stunde,  wo ich  die
KÃrner - - - nein, nein,  nicht daran denken;  es  kÃnnte einen Anstrich von
NØchternheit  bekommen,  was  damals   geschehen  war,  und  ich  hatte  mir
vorgenommen, es in meiner Brust  begraben  sein zu lassen, bis es von selbst
wieder erwachte, - nur nicht daran rØhren.
     Wie  lange war's her,  da ging  ich  noch  Øber  die  BrØcke,  sah  die
steinernen  Statuen  -  und  jetzt  lag sie,  die  BrØcke,  die Jahrhunderte
gestanden, in TrØmmern.
     Es stimmte mich beinahe  wehmØtig, dañ ich nie  mehr meinen Fuñ auf sie
setzen sollte. Wenn man sie auch wieder aufbaute, war es doch nicht mehr die
alte, geheimnisvolle, steinerne BrØcke.
     Stundenlang  hatte ich,  wÄhrend ich  an  der  Gemme  schnitt,  darØber
nachdenken mØssen, und so selbstverstÄndlich, als hÄtte ich es nie vergessen
gehabt,  war  es lebendig in mir geworden: wie  oft ich als Kind und auch in
spÄtern  Jahren zu dem Bildnis der heiligen Luitgard und all den andern, die
jetzt begraben lagen in den tosenden Wassern, aufgeblickt.
     Die vielen, kleinen lieben  Dinge, die ich in  meiner Jugend mein eigen
genannt, hatte ich  wieder  gesehen im Geiste  - und meinen Vater  und meine
Mutter und die Menge Schulkameraden. Nur an das Haus, wo ich gewohnt, konnte
ich mich nicht mehr erinnern.
     Ich wuñte, es wØrde plÃtzlich, eines  Tages, wenn ich  es am  wenigsten
erwartete, wieder vor mir stehen; und ich freute mich darauf.
     Die  Empfindung, dañ sich  mit einemmal alles natØrlich und  einfach in
mir abwickelte, war so behaglich.
     Als ich vorgestern  das Buch Ibbur aus der Kassette  geholt hatte, - es
war so gar nichts Erstaunliches daran gewesen, dañ es  aussah, nun, wie eben
ein altes,  mit wertvollen Initialen  geschmØcktes Pergamentbuch  aussieht -
schien es mir ganz selbstverstÄndlich.
     Ich konnte nicht begreifen, dañ es jemals gespenstisch auf mich gewirkt
hatte!
     Es war in hebrÄischer  Sprache  geschrieben, vollkommen  unverstÄndlich
fØr mich.
     Wann wohl der Unbekannte es wieder holen kommen wurde?
     Die Freude am Leben, die wÄhrend der Arbeit heimlich in mich eingezogen
war,  erwachte  von   neuem  in   ihrer  ganzen  erquickenden   Frische  und
verscheuchte  die  Nachtgedanken, die  mich  hinterrØcks  wieder  Øberfallen
wollten.
     Rasch nahm  ich  Angelinas Bild - ich  hatte die Widmung,  die darunter
stand, abgeschnitten - und kØñte es.
     Es war das alles so tÃricht  und widersinnig, aber  warum nicht  einmal
von  -  GlØck trÄumen, die  glitzernde  Gegenwart festhalten und  sich daran
freuen, wie Øber eine Seifenblase?
     Konnte denn nicht vielleicht  doch  in ErfØllung gehen,  was mir da die
Sehnsucht meines Herzens vorgaukelte? War  es so ganz und gar unmÃglich, dañ
ich Øber Nacht ein berØhmter Mann wurde? Ihr ebenbØrtig, wenn auch  nicht an
Herkunft? Zumindest Dr. Savioli ebenbØrtig? Ich dachte an die Gemme Mirjams:
wenn mir noch andere so gelangen wie diese - kein Zweifei, selbst die ersten
KØnstler aller Zeiten hatten nie etwas Besseres geschaffen.
     Und nur einen Zufall angenommen: der Gatte Angelinas stØrbe plÃtzlich?
     Mir wurde heiñ und kalt: ein winziger Zufall -  und meine Hoffnung, die
verwegenste  Hoffnung, gewann  Gestalt. An einem dØnnen Faden, der stØndlich
reiñen konnte, hing das GlØck, das mir dann in den Schoñ fallen mØñte.
     War  mir  denn nicht  schon tausendfach Wunderbareres geschehen? Dinge,
von denen die Menschheit gar nicht ahnte, dañ sie Øberhaupt existierten?
     War es kein Wunder, dañ binnen weniger Wochen kØnstlerische FÄhigkeiten
in mir  erwacht  waren,  die  mich  jetzt schon  weit Øber  den Durchschnitt
erhoben?
     Und ich stand doch erst am Anfang des Weges!
     Hatte ich denn kein Anrecht auf GlØck?
     Ist denn Mystik gleichbedeutend mit Wunschlosigkeit?
     Ich ØbertÃnte das: "Ja" in mir: -  nur noch  eine Stunde trÄumen - eine
Minute - ein kurzes Menschendasein!
     Und ich trÄumte mit offenen Augen:
     Die  Edelsteine auf dem Tisch wuchsen und wuchsen und umgaben mich  von
allen  Seiten mit farbigen WasserfÄllen. BÄume aus  Opal standen  in Gruppen
beisammen und strahlten die Lichtwellen des Himmels, der blau schillerte wie
der FlØgel eines gigantischen Tropenschmetterlings, in FunkensprØhregen Øber
unabsehbare Wiesen voll heiñem Sommerduft.
     Mich  dØrstete, und ich kØhlte meine Glieder in dem eisigen  Gischt der
BÄche, die Øber FelsblÃcke rauschten aus schimmerndem Perlmutter.
     SchwØler Hauch strich Øber HÄnge, ØbersÄt  mit BlØten und  Blumen,  und
machte  mich trunken  mit  den GerØchen von  Jasmin, Hyazinthen,  Narzissen,
Seidelbast - - -
     UnertrÄglich! UnertrÄglich! Ich verlÃschte das Bild. - Mich dØrstete.
     Das waren die Qualen des Paradieses.
     Ich riñ die Fenster auf und lieñ den Tauwind an meine Stirne wehen.
     Es roch nach kommendem FrØhling - - -
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     Mirjam!
     Ich muñte an Mirjam denken.
     Wie  sie sich vor  Erregung  an der  Wand hatte halten mØssen, um nicht
umzufallen, als  sie mir erzÄhlen  gekommen, ein Wunder  sei  geschehen, ein
wirkliches Wunder: sie habe ein GoldstØck gefunden in  dem Brotlaib, den der
BÄcker vom Gang aus durchs Gitter ins KØchenfenster gelegt. - - -
     Ich griff nach meiner  BÃrse. - Hoffentlich war es heute nicht schon zu
spÄt, und ich kam noch zurecht, ihr wieder einen Dukaten zuzuzaubern!
     TÄglich hatte sie mich besucht, um mir Gesellschaft zu leisten, wie sie
es  nannte, dabei  aber fast nicht  gesprochen, so erfØllt war  sie  von dem
"Wunder"  gewesen.  Bis  in  die  tiefsten  Tiefen hatte  das  Erlebnis  sie
aufgewØhlt und, wenn ich  mir vorstellte, wie sie  manchmal  plÃtzlich  ohne
Äuñern Grund - nur unter dem  Einfluñ ihrer  Erinnerung - totenblañ geworden
war bis  in die Lippen, schwindelte  mir bei dem bloñen Gedanken, ich kÃnnte
in  meiner  Blindheit  Dinge  angerichtet  haben, deren  Tragweite  bis  ins
Grenzenlose ging.
     Und wenn ich mir die letzten, dunklen Worte Hillels ins GedÄchtnis rief
und in Zusammenhang damit brachte, Øberlief es mich eiskalt.
     Die Reinheit des Motivs war  keine Entschuldigung fØr mich, - der Zweck
heiligt die Mittel nicht, das sah ich ein.
     Und  was, wenn Øberdies  das Motiv: "helfen  zu  wollen" nur  scheinbar
"rein" war?  Hielt sich nicht vielleicht  doch eine  heimliche LØge dahinter
verborgen?: der selbstgefÄllige, unbewuñte Wunsch,  in der Rolle des Helfers
zu schwelgen?
     Ich fing an, irre an mir selbst zu werden.
     Dañ ich Mirjam viel zu oberflÄchlich beurteilt hatte, war klar.
     Schon als die Tochter Hillels muñte sie anders sein als andere MÄdchen.
     Wie hatte ich nur so vermessen sein kÃnnen, auf solch tÃrichte Weise in
ein Innenleben einzugreifen,  das vielleicht  himmelhoch Øber meinem eigenen
stand!
     Schon ihr Gesichtsschnitt, der hundertmal eher in die Zeit der sechsten
Ägyptischen  Dynastie pañte  und  selbst fØr diese  noch viel zu vergeistigt
war, als in die unsrige mit ihren Verstandesmenschentypen, hÄtte mich warnen
mØssen.
     "Nur  der ganz  Dumme miñtraut  dem  Äuñern Schein", hatte ich irgendwo
einmal gelesen. - Wie richtig! Wie richtig!
     Mirjam  und  ich waren jetzt gute Freunde; sollte ich ihr  eingestehen,
dañ ich  es gewesen war, der die Dukaten Tag fØr Tag  ins Brot  geschmuggelt
hatte?
     Der Schlag kÄme zu plÃtzlich. WØrde sie betÄuben.
     Ich durfte das nicht wagen, muñte behutsamer vorgehen.
     Das "Wunder" irgendwie abschwÄchen? Statt das Geld ins Brot zu stecken,
es auf die  Treppenstufe zu legen, dañ sie es finden muñte, wenn sie die TØr
aufmachte,  und so weiter,  und so  weiter?  Etwas Neues,  weniger Schroffes
wØrde  sich  schon  ausdenken  lassen,  irgendein   Weg,  der  sie  aus  dem
Wunderbaren allmÄhlich  wieder  ins AlltÄgliche herØberlenkte,  trÃstete ich
mich.
     Ja! Das war das Richtige.
     Oder den Knoten zerhauen? Ihren Vater einweihen und zu Rate ziehen? Die
SchamrÃte stieg  mir ins  Gesicht. Zu diesem  Schritt blieb Zeit genug, wenn
alle andern Mittel versagten.
     Nur gleich ans Werk gehen, keine Zeit versÄumen!
     Ein  guter   Einfall   kam  mir:   Ich   muñte  Mirjam  zu  etwas  ganz
Absonderlichem bewegen, sie fØr ein paar Stunden aus der  gewohnten Umgebung
reiñen, dañ sie andere EindrØcke bekam.
     Wir wØrden einen Wagen nehmen  und eine Spazierfahrt machen. Wer kannte
uns denn, wenn wir das Judenviertel mieden?
     Vielleicht   interessierte   es  sie,   die  eingestØrzte   BrØcke   zu
besichtigen?
     Oder der alte Zwakh oder eine ihrer frØheren Freundinnen sollte mit ihr
fahren, wenn sie es ungeheuerlich finden wØrde, dañ ich mit dabei sei.
     Ich war fest entschlossen, keinen Widerspruch gelten zu lassen. - - -
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     An der TØrschwelle rannte ich einen Mann beinahe Øber den Haufen.
     Wassertrum!
     Er  muñte  durchs  SchlØsselloch  hereingespÄht  haben,  denn  er stand
gebØckt, als ich mit ihm zusammengestoñen war.
     "Suchen Sie mich?", fragte ich barsch.
     Er  stammelte ein paar Worte  der Entschuldigung in  seinem unmÃglichen
Jargon; dann bejahte er.
     Ich forderte ihn auf, nÄher zu treten und sich zu setzen, aber er blieb
am  Tisch  stehen  und  drehte  krampfhaft  mit  der Hutkrempe.  Eine  tiefe
Feindseligkeit, die  er vergebens  vor  mir verbergen wollte, spiegelte  aus
seinem Gesicht und jeder seiner Bewegungen.
     Noch  nie hatte  ich den Mann in so unmittelbarer  NÄhe gesehen.  Seine
grauenhafte HÄñlichkeit war es nicht, die einen so abstieñ; (sie machte mich
eher mitleidig  gestimmt: er sah aus wie ein GeschÃpf,  dem die Natur selbst
bei  seiner  Geburt  voll Wut und Abscheu mit  dem  Fuñ ins Gesicht getreten
hatte)  - etwas anderes, UnwÄgbares, das von  ihm  ausging, trug  die Schuld
daran.
     Das "Blut", wie Charousek es treffend bezeichnet hatte.
     UnwillkØrlich  wischte ich  mir  die Hand  ab,  die ich ihm  bei seinem
Eintritt gereicht hatte.
     So wenig auffÄllig ich es  machte,  er schien es doch bemerkt zu haben,
denn er muñte  sich plÃtzlich mit  Gewalt zwingen, das Aufflammen des Hasses
in seinen ZØgen zu unterdrØcken.
     "HØbsch  ham Se's hier", fing er endlich  stockend  an, als er sah, dañ
ich ihm nicht den Gefallen tat, das GesprÄch zu beginnen.
     Im Widerspruch zu seinen  Worten schloñ er dabei die Augen, vielleicht,
um  meinem Blick nicht zu begegnen. Oder glaubte  er, dañ es seinem  Gesicht
einen harmloseren Ausdruck verleihen wØrde?
     Man konnte  ihm deutlich anhÃren, welche MØhe er sich gab,  hochdeutsch
zu reden.
     Ich fØhlte mich nicht zu einer Entgegnung verpflichtet und wartete, was
er weiter sagen wØrde.
     In seiner Verlegenheit griff er nach der Feile, die - weiñ Gott wieso -
noch  seit Charouseks Besuch  auf  dem  Tisch  lag, fuhr  aber unwillkØrlich
sofort  wie von einer  Schlange gebissen zurØck.  Ich staunte innerlich Øber
seine unterbewuñte seelische FeinfØhligkeit.
     "Freilich, natØrlich,  es  gehÃrt zum  GeschÄft, dañ  man's  fein hat,"
raffte  er sich auf, zu sagen, "wenn man  -  so noble Besuche  bekommt."  Er
wollte  die Augen  aufschlagen, um zu sehen, welchen  Eindruck die Worte auf
mich machten,  hielt  es  aber offenbar noch  fØr verfrØht  und  schloñ  sie
schnell wieder.
     Ich wollte ihn  in die Enge treiben: "Sie meinen die Dame,  die neulich
hier vorfuhr? Sagen Sie doch offen, wo Sie hinauswollen!"
     Er zÃgerte einen Moment,  dann packte er mich  heftig am Handgelenk und
zerrte mich ans Fenster.
     Die  sonderbare,  unmotivierte  Art, mit  der er es tat, erinnerte mich
daran, wie er vor einigen Tagen den taubstummen Jaromir unten in seine HÃhle
gerissen hatte.
     Mit krummen Fingern hielt er mir einen blitzenden Gegenstand hin:
     "Was glauben Sie, Herr Pernath, lañt sich da noch was machen?"
     Es war eine goldene  Uhr  mit so stark verbeulten Deckeln, dañ es  fast
aussah, als hÄtte sie jemand mit Absicht verbogen.
     Ich  nahm  ein  VergrÃñerungsglas:  die  Scharniere  waren  zur  HÄlfte
abgerissen und innen - stand da nicht etwas eingraviert? Kaum mehr leserlich
und noch Øberdies mit einer Menge ganz frischer Schrammen zerkratzt. Langsam
entzifferte ich:
     K-rl Zott-mann.
     Zottmann? Zottmann? - Wo hatte ich diesen Namen doch gelesen? Zottmann?
Ich konnte mich nicht entsinnen. Zottmann?
     Wassertrum schlug mir die Lupe beinahe aus der Hand:
     "Im Werk is nix, da hab' ich schon selber geschaut. Aber mit'm GehÄuse,
da stinkt's."
     "Braucht man nur gerade zu klopfen - hÃchstens ein paar LÃtstellen. Das
kann Ihnen ebensogut jeder beliebige Goldarbeiter machen, Herr Wassertrum."
     "Ich leg' doch Wert darauf, dañ es eine solide Arbeit  wird. Was man so
sagt: kØnstlerisch", unterbrach er mich hastig. Fast Ängstlich.
     "Nun gut, wenn Ihnen derart viel daran liegt -"
     "Viel  daran  liegt!" Seine  Stimme schnappte Øber vor Eifer. "Ich will
sie doch selber tragen, die Uhr. Und wenn ich sie  jemandem zeig',  will ich
sagen kÃnnen: schauen Sie mal her, so arbeitet der Herr von Pernath."
     Ich  ekelte  mich  vor  dem  Kerl; er spuckte mir  seine  widerwÄrtigen
Schmeicheleien fÃrmlich ins Gesicht.
     "Wenn Sie in einer Stunde wiederkommen, wird alles fertig sein."
     Wassertrum  wand  sich in KrÄmpfen: "Das gibt's  nicht.  Das  will  ich
nicht. Drei Tag. Vier Tag. Die nÄchste Woche  is Zeit genug. Das ganze Leben
mÃcht' ich mir VorwØrfe machen, dañ ich Ihnen gedrÄngt hab'."
     Was  wollte  er nur, dañ  er  so auñer sich geriet? -  Ich machte einen
Schritt  ins Nebenzimmer  und  sperrte  die Uhr in  die  Kassette. Angelinas
Photographie lag obenauf. Schnell schlug ich den  Deckel wieder zu - fØr den
Fall, dañ Wassertrum mir nachblicken sollte.
     Als ich zurØckkam, fiel mir auf, dañ er sich verfÄrbt hatte.
     Ich  musterte ihn  scharf, lieñ aber  meinen  Verdacht  sofort  fallen:
UnmÃglich! Er konnte nichts gesehen haben.
     "Also,  dann vielleicht nÄchste Woche", sagte ich, um seinem Besuch ein
Ende zu machen.
     Er schien mit einemmal keine Eile  mehr zu haben, nahm einen Sessel und
setzte sich.
     Im Gegensatz zu frØher hielt er seine  Fischaugen jetzt beim Reden weit
offen und fixierte beharrlich meinen obersten Westenknopf.
     Pause.
     "Die  Duksel hat Ihnen  natØrlich  gesagt,  Sie sollen sich  nix wissen
machen, wenn's  heraus  kommt.  Waas?"  sprudelte  er  plÃtzlich  ohne  jede
Einleitung auf mich los und schlug mit der Faust auf den Tisch.
     Es lag etwas merkwØrdig Schreckhaftes in der Abgerissenheit, mit der er
von  einer  Sprechweise  in  die  andere  Øbergehen  -  von  SchmeicheltÃnen
blitzartig  ins  Brutale  springen  konnte,  und  ich  hielt  es  fØr   sehr
wahrscheinlich,   dañ  die  meisten  Menschen,  besonders  Frauen,  sich  im
Handumdrehen in seiner  Gewalt befinden  muñten,  wenn er nur die  geringste
Waffe gegen sie besañ.
     Ich wollte auffahren, ihn am Hals  packen und  vor die  TØr setzen, war
mein  erster  Gedanke;  dann  Øberlegte  ich,  ob es  nicht  klØger sei, ihn
zuvÃrderst einmal grØndlich auszuhorchen.
     "Ich verstehe wahrhaftig nicht, was Sie meinen, Herr Wassertrum;" - ich
bemØhte mich, ein mÃglichst dummes Gesicht zu machen - "Duksel? Was ist das:
Duksel?"
     "Soll ich Ihnen vielleicht Deitsch lernen?", fuhr er mich grob an. "Die
Hand  werden  Sie aufheben  mØssen bei Gericht, wenn's um  die Wurscht geht.
Verstehen Sie mich?! Das sag ich Ihnen!" - Er fing an zu schreien:  "Mir ins
Gesicht hinein werden Sie nicht  abschwÃren,  dañ ›sie‹ von  da drØben" - er
deutete mit dem Daumen nach dem Atelier - "zu Ihnen heribber geloffen is mit
en Teppich an und - sonst nix!"
     Die  Wut stieg mir in  die Augen; ich packte den Halunken an der  Brust
und schØttelte ihn:
     "Wenn Sie jetzt noch ein Wort in diesem Ton sagen, breche ich Ihnen die
Knochen im Leibe entzwei! Verstanden?"
     Aschfahl sank er in den Stuhl zurØck und stotterte:
     "Was is? Was is? Was wollen Sie? Ich mein' doch bloñ."
     Ich  ging ein paarmal im Zimmer  auf  und  ab,  um  mich zu  beruhigen.
Horchte nicht hin, was er alles zu seiner Entschuldigung herausgeiferte.
     Dann setzte  ich mich ihm dicht  gegenØber, in der festen Absicht,  die
Sache, soweit  sie  Angelina  betraf, ein fØr allemal mit ihm  ins  reine zu
bringen und, sollte  es  im Frieden nicht gehen, ihn zu zwingen, endlich die
Feindseligkeiten zu  erÃffnen und seine paar schwachen  Pfeile  vorzeitig zu
verschieñen.
     Ohne seine Unterbrechungen im geringsten zu beachten, sagte ich ihm auf
den Kopf  zu, dañ  Erpressungen  irgendwelcher Art - ich betonte  das Wort -
miñglØcken  mØñten, da er auch nicht eine einzige Anschuldigung mit Beweisen
erhÄrten  kÃnnte  und  ich  mich  einer  Zeugenschaft  (angenommen,  es wÄre
Øberhaupt im  Bereiche der MÃglichkeit, dañ es je zu  einer solchen kÄme)  -
bestimmt  zu entziehen wissen wØrde.  Angelina stØnde mir  viel zu nahe, als
dañ  ich  sie nicht in der  Stunde  der  Not  retten wØrde, koste es, was es
wolle, sogar einen Meineid!
     Jede Muskel in  seinem Gesicht zuckte, seine  Hasenscharte zog sich bis
zur Nase auseinander, er fletschte die ZÄhne  und kollerte wie ein  Truthahn
mir immer wieder  in die Rede hinein: "Will ich  denn was von die Duksel? So
hÃren  Sie doch zu!" -  Er war auñer  sich vor  Ungeduld, dañ ich mich nicht
beirren  lieñ.  - "Um den Savioli is  mir's  zu  tun, um den gottverfluchten
Hund, - den - den -", fuhr es ihm plÃtzlich brØllend heraus.
     Er japste nach Luft. Rasch hielt  ich inne: endlich war er dort, wo ich
ihn haben wollte, aber schon hatte er sich gefañt und fixierte wieder  meine
Weste.
     "HÃren  Sie  zu,  Pernath;"  er   zwang  sich,  die   kØhle,  abwÄgende
Sprechweise eines Kaufmanns nachzuahmen, "Sie reden fort von der Duk - - von
der Dame. Gut!  sie ist verheiratet. Gut: sie hat sich eingelassen mit dem -
mit dem jungen Lauser. Was hab' ich  damit zu tun?" Er bewegte die HÄnde vor
meinem Gesicht hin und her,  die  Fingerspitzen zusammengedrØckt, als hielte
er eine Prise Salz darin - "soll sie sich das selber abmachen, die Duksel. -
Ich bin e Weltmann und  Sie sin auch e Weltmann. Wir kennen  doch das beide.
Waas? Ich will doch nur zu meinem Geld kommen. Verstehen Sie, Pernath?!"
     Ich horchte erstaunt auf:
     "Zu welchem Geld? Ist Ihnen denn Dr. Savioli etwas schuldig?"
     Wassertrum wich aus:
     "Abrechnungen hab' ich mit ihm. Das kommt doch auf eins heraus."
     "Sie wollen ihn ermorden!" schrie ich.
     Er sprang auf. Taumelte. Gluckste ein paarmal.
     "Jawohl!  Ermorden! Wie lange  wollen Sie mir noch KomÃdie vorspielen!"
Ich deutete auf die TØr. "Schauen Sie, dañ Sie hinauskommen."
     Langsam  griff er  nach seinem Hut, setzte ihn  auf und wandte sich zum
Gehen. Dann blieb er noch einmal stehen und sagte  mit einer Ruhe, deren ich
ihn nie fØr fÄhig gehalten hÄtte:
     "Auch recht. Ich hab' Sie herauslassen  wollen. Gut. Wenn nicht: Nicht.
Barmherzige Barbiere  machen faule Wunden. Mein ZarbØchel ist voll. Wenn Sie
gescheit gewesen  wÄren -:  der Savioli  is Ihnen  doch nur im Weg?! Jetzt -
mach  -  ich -  mit - Ihnen allen dreien" - er deutete mit einer  Geste  des
Erdrosselns an, womit er es meinte - "Preñcolleeh".
     Seine Mienen drØckten eine  so satanische Grausamkeit aus und er schien
seiner Sache so sicher zu sein, dañ mir  das Blut in den Adern erstarrte. Er
muñte  eine  Waffe  in HÄnden  haben, von  der  ich nichts ahnte,  die  auch
Charousek nicht kannte. Ich fØhlte den Boden unter mir wanken.
     "Die  Feile!  Die Feile!" hÃrte  ich es  in  meinem Hirn  flØstern. Ich
schÄtzte die Entfernung ab: ein Schritt bis zum Tisch - zwei Schritte bis zu
Wassertrum  -  - ich  wollte  zuspringen -  - -  da stand wie aus  dem Boden
gewachsen Hillel auf der Schwelle.
     Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen.
     Ich sah nur  - wie durch Nebel -, dañ  Hillel unbeweglich stehen  blieb
und Wassertrum Schritt fØr Schritt bis an die Wand zurØckwich.
     Dann hÃrte ich Hillel sagen:
     "Sie kennen doch,  Aaron, den Satz: Alle Juden sind BØrgen fØreinander?
Machen Sie's einem nicht  zu schwer."  - Er fØgte ein paar hebrÄische  Worte
hinzu, die ich nicht verstand.
     "Was haben Sie  das  netig, an der  TØre zu  schnØffeln?" geiferte  der
TrÃdler mit bebenden Lippen.
     "Ob  ich  gehorcht  habe oder nicht,  braucht Sie  nicht zu kØmmern!" -
wieder  schloñ  Hillel mit  einem  hebrÄischen Satz,  der diesmal  wie  eine
Drohung  klang.  Ich  erwartete, dañ es  zu einem Zank  kommen  wØrde,  aber
Wassertrum antwortete nicht eine Silbe,  Øberlegte einen Augenblick und ging
dann trotzig hinaus.
     Gespannt blickte ich Hillel an. Er  winkte mir zu, ich solle schweigen.
Offenbar wartete er auf irgend  etwas,  denn  er horchte angestrengt auf den
Gang  hinaus.  Ich  wollte die TØre schlieñen gehen: er hielt mich mit einer
ungeduldigen Handbewegung zurØck.
     Wohl  eine  Minute  verging, dann  kamen  die schleppenden Schritte des
TrÃdlers  wieder  die Stufen  herauf. Ohne ein Wort zu sprechen  ging Hillel
hinaus und machte ihm Platz.
     Wassertrum wartete,  bis er  auñer HÃrweite war, dann knurrte  er  mich
verbissen an:
     "Geben Se mer meine Uhr zorØck."

     Wo nur Charousek blieb?
     Beinahe 24  Stunden waren vergangen, und noch immer lieñ  er sich nicht
blicken.
     Sollte er das Zeichen vergessen haben, das  wir verabredet hatten? Oder
sah er es vielleicht nicht?
     Ich ging ans Fenster und richtete den Spiegel so, dañ der Sonnenstrahl,
der  darauf schien,  genau auf das vergitterte Guckloch seiner Kellerwohnung
fiel.
     Das  Eingreifen  Hillels -  gestern  -  hatte mich  ziemlich  beruhigt.
Bestimmt wØrde er mich gewarnt haben, wenn eine Gefahr im Anzug wÄre.
     øberdies: Wassertrum  konnte nichts von Belang mehr unternommen  haben;
gleich,   nachdem  er   mich  verlassen   hatte,  war  er  in  seinen  Laden
zurØckgekehrt,  - ich  warf  einen  Blick  hinunter:  richtig,  da lehnte er
unbeweglich  hinter  seinen  Herdplatten,  genau  so,  wie  ich   ihn  schon
frØhmorgens gesehen - - -
     UnertrÄglich, das ewige Warten!
     Die  milde  FrØhlingsluft,  die  durch  das  offene  Fenster   aus  dem
Nebenzimmer hereinstrÃmte, machte mich krank vor Sehnsucht.
     Dies  schmelzende  Tropfen   von  den  DÄchern!  Und  wie   die  feinen
WasserschnØre im Sonnenlicht glÄnzten!
     Es zog mich hinaus an unsichtbaren FÄden. Voll Ungeduld ging ich in der
Stube auf und ab. Warf mich in einen Sessel. Stand wieder auf.
     Dieses  sØchtige Keimen einer  Ungewissen Verliebtheit in meiner Brust,
es wollte nicht weichen.
     Die ganze Nacht Øber  hatte es  mich gequÄlt.  Einmal  war es  Angelina
gewesen, die sich an mich geschmiegt,  dann wieder sprach ich scheinbar ganz
harmlos mit  Mirjam, und kaum  hatte  ich das  Bild  zerrissen, kam abermals
Angelina und kØñte mich;  ich  roch den Duft  ihres Haares, und ihr  weicher
Zobelpelz kitzelte mich am Hals,  rutschte von ihren entblÃñten  Schultern -
und sie wurde zu Rosina, die mit trunkenen, halbgeschlossenen Augen tanzte -
im  Frack - nackt;  - - - und alles in  einem Halbschlaf,  der doch genau so
gewesen war wie Wachsein. Wie ein sØñes, verzehrendes, dÄmmeriges Wachsein.
     Gegen  Morgen  stand  dann  mein  DoppelgÄnger  an  meinem  Bett,   der
schattenhafte  Habal  Garmin,  "der  Hauch  der  Knochen",  von  dem  Hillel
gesprochen, - und ich sah ihm an den Augen an: er war in meiner Macht, muñte
mir  jede Frage beantworten,  die ich ihm stellen wØrde  nach irdischen oder
jenseitigen Dingen, und  er  wartete nur  darauf,  aber der  Durst nach  dem
Geheimnisvollen  konnte  nicht  an  gegen  die  SchwØle  meines  Blutes  und
versickerte im dØrren Erdreich meines Verstandes. - Ich schickte das Phantom
weg, es  solle zum  Spiegelbild Angelinas werden, und es schrumpfte zusammen
zu  dem Buchstaben "Aleph", wuchs wieder empor, stand  da als das Koloñweib,
splitternackt, wie ich es einstens  im Buche Ibbur gesehen,  mit  dem  Pulse
gleich  einem  Erdbeben,  und  beugte sich  Øber mich,  und  ich  atmete den
betÄubenden Geruch ihres heiñen Fleisches ein.
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     Kam  denn Charousek  immer noch  nicht? -  Die  Glocken  sangen von den
KirchtØrmen.
     Eine Viertelstunde wollte  ich noch  warten -  dann  aber hinaus! Durch
belebte Strañen voll festtÄgig  gekleideter Menschen schlendern, mich in das
frohe Gewimmel mischen in den Stadtteilen  der  Reichen, schÃne Frauen sehen
mit koketten Gesichtern und schmalen HÄnden und FØñen.
     Vielleicht  begegnete ich dabei Charousek  zufÄllig, entschuldigte  ich
mich vor mir selbst.
     Ich holte das altertØmliche Tarockspiel vom BØcherbord, um mir die Zeit
rascher zu vertreiben. -
     Vielleicht  lieñ sich aus den  Bildern  Anregung schÃpfen  zum  Entwurf
einer Kamee?
     Ich suchte nach dem Pagad.
     Nicht zu finden. Wo konnte er hingeraten sein?
     Ich  blÄtterte  noch  einmal  die  Karten  durch  und  verlor  mich  in
Nachdenken  Øber  ihren verborgenen  Sinn.  Besonders der "Gehenkte", -  was
konnte er nur bedeuten?:
     Ein  Mann hÄngt an einem Seil zwischen  Himmel und Erde, den  Kopf nach
abwÄrts, die  Arme auf den RØcken  gebunden, den  rechten Unterschenkel Øber
das linke  Bein  verschrÄnkt,  dañ es  aussieht  wie  ein  Kreuz Øber  einem
verkehrten Dreieck?
     UnverstÄndliches Gleichnis.
     Da! - Endlich! Charousek kam.
     Oder doch nicht?
     Freudige øberraschung, es war Mirjam.
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     "Wissen Sie, Mirjam, dañ  ich  soeben zu Ihnen hinuntergehen wollte und
Sie bitten,  eine  Spazierfahrt  mit  mir zu machen?" Es war nicht  ganz die
Wahrheit, aber ich machte mir weiter keine Gedanken darØber.  - "Nicht wahr,
Sie schlagen es mir  nicht ab?! Ich bin heute  so unendlich froh im  Herzen,
dañ Sie, gerade Sie, Mirjam, meiner Freude die Krone aufsetzen mØssen."
     "-  spazierenfahren?",  wiederholte sie derart verblØfft, dañ  ich laut
auflachen muñte.
     "Ist denn der Vorschlag gar so wunderbar?"
     "Nein, nein, aber -  -," sie suchte nach Worten,  "unerhÃrt merkwØrdig.
Spazierenfahren!"
     "Durchaus   nicht   merkwØrdig,  wenn  Sie  sich   vorhalten,   dañ  es
Hunderttausende  von  Menschen  tun  -  eigentlich  ihr ganzes Leben  nichts
anderes tun."
     "Ja, andere Menschen!" gab sie, immer noch vollstÄndig Øberrumpelt, zu.
     Ich fañte ihre beiden HÄnde:
     "Was andere  Menschen an  Freude erleben  dØrfen, mÃchte ich,  dañ Sie,
Mirjam, in noch unendlich viel reicherem Mañe genieñen."
     Sie wurde plÃtzlich leichenblañ,  und ich sah  an der  starren Taubheit
ihres Blickes, woran sie dachte. Es gab mir einen Stich.
     "Sie  dØrfen es nicht immer mit sich  herumtragen,  Mirjam," redete ich
ihr zu, "das - das Wunder. Wollen Sie mir das nicht versprechen  - aus - aus
Freundschaft?"
     Sie hÃrte die Angst aus meinen Worten und blickte mich erstaunt an.
     "Wenn es Sie nicht so angriffe, kÃnnte  ich mich mit Ihnen freuen, aber
so? Wissen Sie,  dañ ich tief besorgt bin um  Sie, Mirjam? -  Um -  um - wie
soll  ich nur  sagen? - um  Ihre seelische Gesundheit! Fassen Sie  es  nicht
wÃrtlich auf, aber -: ich wollte, das Wunder wÄre nie geschehen."
     Ich  erwartete, sie wØrde mir widersprechen,  aber  sie nickte  nur  in
Gedanken versunken.
     "Es verzehrt Sie. Habe ich nicht recht, Mirjam?" Sie raffte sich auf:
     "Manchmal mÃchte ich beinahe auch, es wÄre nicht geschehen."
     Es  klang wie  ein  Hoffnungsstrahl fØr mich.  -  "Wenn ich mir  denken
soll,"  sie  sprach  ganz  langsam  und  traumverloren,  "dañ Zeiten  kommen
kÃnnten, wo ich ohne solche Wunder leben mØñte - - -."
     "Sie kÃnnen doch Øber  Nacht  reich werden und brauchen dann nicht mehr
-,"  fuhr ich ihr unbedacht in die Rede, hielt aber rasch inne, als ich  das
Entsetzen  in ihrem Gesicht bemerkte, - "ich meine: Sie kÃnnen plÃtzlich auf
natØrliche Weise Ihrer  Sorgen enthoben werden, und die Wunder, die Sie dann
erleben, wØrden geistiger Art sein: - innere Erlebnisse."
     Sie schØttelte den Kopf  und sagte hart: "Innere Erlebnisse sind  keine
Wunder. Erstaunlich  genug, dañ es Menschen zu geben  scheint, die Øberhaupt
keine  haben.  - Seit meiner Kindheit, Tag fØr Tag, Nacht  fØr Nacht, erlebe
ich -" (sie  brach mit einem Ruck ab, und ich erriet, dañ noch etwas anderes
in ihr war, von  dem sie  mir  nie gesprochen  hatte,  vielleicht  das Weben
unsichtbarer  Geschehnisse, Ähnlich den meinigen)  -  "aber das gehÃrt nicht
hierher.  Selbst,  wenn  einer  aufstØnde  und  machte Kranke  gesund  durch
Handauflegen, ich kÃnnte es kein Wunder nennen. Erst, wenn der leblose Stoff
- die Erde  - beseelt wird vom  Geist und die Gesetze  der Natur zerbrechen,
dann ist  das geschehen, wonach ich mich sehne, seit ich denken  kann. - Mir
hat einmal mein Vater gesagt: es gÄbe zwei Seiten der Kabbala: eine magische
und eine  abstrakte, die sich niemals zur Deckung bringen lieñen. Wohl kÃnne
die magische die  abstrakte an sich ziehen,  aber  nie und nimmer umgekehrt.
Die magische ist ein  Geschenk,  die andere  kann errungen werden, wenn auch
nur  mit Hilfe eines FØhrers."  Sie  nahm den ersten Faden wieder  auf: "Das
Geschenk  ist es,  nach dem ich dØrste;  was  ich mir erringen kann, ist mir
gleichgØltig und  wertlos wie Staub. Wenn ich  mir  denken soll,  es kÃnnten
Zeiten kommen,  sagte  ich  vorhin, wo  ich wieder ohne  diese  Wunder leben
mØñte," -  ich  sah,  wie  sich ihre Finger  krampften  und Reue und  Jammer
zerfleischten mich,  - "ich glaube,  ich  sterbe jetzt  schon angesichts der
bloñen MÃglichkeit."
     "Ist  das der Grund, weshalb  auch  Sie wØnschten, das  Wunder wÄre nie
geschehen?", forschte ich.
     "Nur zum Teil. Es ist  noch etwas anderes da. Ich - ich - ", sie dachte
einen Augenblick nach, "war noch nicht reif dazu, ein Wunder  in dieser Form
zu erleben. Das ist  es. Wie soll ich  es Ihnen  erklÄren? Nehmen Sie einmal
an, bloñ  als Beispiel,  ich hÄtte seit  Jahren jede Nacht ein und denselben
Traum, der sich immer weiter fortspinnt und in dem  mich jemand - sagen wir:
ein  Bewohner einer  andern  Welt -  belehrt  und  mir  nicht nur  an  einem
Spiegelbilde von mir selbst und seinen allmÄhlichen VerÄnderungen zeigt, wie
weit  ich von der  magischen Reife, ein ›Wunder‹ erleben zu kÃnnen, entfernt
bin, sondern: mir  auch in Verstandesfragen, wie  sie  mich  einmal tagsØber
beschÄftigen, derart Aufschluñ gibt,  dañ ich  es jederzeit nachprØfen kann.
Sie werden mich  verstehen:  Ein solches Wesen ersetzt einem an GlØck alles,
was sich auf  Erden ausdenken lÄñt; es ist fØr mich die BrØcke, die mich mit
dem  ›DrØben‹ verbindet, ist  die Jakobsleiter, auf der  ich  mich  Øber die
Dunkelheit des Alltags erheben kann ins  Licht, - ist mir FØhrer und Freund,
und  alle meine  Zuversicht, dañ ich mich auf den  dunkeln Wegen,  die meine
Seele  geht, nicht verirren  kann in Wahnsinn  und Finsternis, setze ich auf
›ihn‹, der mich noch nie belogen hat.  -  Da  mit einem Mal, entgegen allem,
was er mir gesagt hat, kreuzt  ein  ›Wunder‹ mein Leben!  Wem soll ich jetzt
glauben? War das, was mich die vielen Jahre Øber ununterbrochen erfØllt hat,
eine TÄuschung? Wenn ich daran zweifeln mØñte, ich stØrzte kopfØber in einen
bodenlosen  Abgrund.  -  Und  doch  ist  das  Wunder  geschehen!  Ich  wØrde
aufjauchzen vor Freude, wenn -"
     "Wenn  - - -?" unterbrach ich sie atemlos. Vielleicht sprach sie selbst
das erlÃsende Wort, und ich konnte ihr alles eingestehen.
     "- wenn ich erfØhre, dañ ich mich geirrt habe, - dañ es gar kein Wunder
war! Aber ich  weiñ so genau, wie  ich weiñ, dañ ich  hier sitze, ich  ginge
zugrunde daran"; (mir  blieb das  Herz stehen) - "zurØckgerissen werden, vom
Himmel wieder herab mØssen  auf die Erde? Glauben Sie,  dañ  das  ein Mensch
ertragen kann?"
     "Bitten Sie doch Ihren Vater um Hilfe", sagte ich ratlos vor Angst.
     "Meinen Vater? Um Hilfe?" - sie blickte mich verstÄndnislos an - "wo es
nur  zwei Wege  fØr mich  gibt, kann  er da einen dritten finden? - - Wissen
Sie, was die einzige Rettung fØr mich wÄre? Wenn mir das geschÄhe, was Ihnen
geschehen ist. Wenn ich  in dieser Minute alles,  was hinter mir liegt: mein
ganzes  Leben  bis zum  heutigen Tag -  vergessen  kÃnnte.  -  Ist  es nicht
merkwØrdig: was Sie als UnglØck empfinden, wÄre fØr mich das hÃchste GlØck!"
     Wir  schwiegen  beide noch eine  lange Zeit. Dann ergriff sie plÃtzlich
meine Hand und lÄchelte. Beinahe frÃhlich.
     "Ich will nicht, dañ Sie sich meinetwegen grÄmen;" - (sie trÃstete mich
- mich!) - "vorhin  waren Sie so voll  Freude  und GlØck  Øber den  FrØhling
drauñen, und jetzt sind  Sie die BetrØbnis selbst. Ich hÄtte Ihnen Øberhaupt
nichts sagen  sollen.  Reiñen Sie  es aus Ihrem  GedÄchtnis  und denken  Sie
wieder so heiter wie vorhin! - Ich bin ja so froh -"
     "Sie? Froh? Mirjam?", unterbrach ich sie bitter.
     Sie  machte ein  Øberzeugtes Gesicht: "Ja! Wirklich!  Froh!  Als ich zu
Ihnen  heraufging,  war ich  so unbeschreiblich Ängstlich, -  ich weiñ nicht
warum: ich konnte das GefØhl nicht loswerden, dañ Sie in einer groñen Gefahr
schweben",  -  ich  horchte auf -  "aber, statt mich darØber  zu freuen, Sie
gesund und wohlauf zu treffen, habe ich Sie angeunkt und - -"
     Ich zwang mich zur Lustigkeit: "und das  kÃnnen Sie nur gutmachen, wenn
Sie mit  mir ausfahren." (Ich bemØhte mich, so viel øbermut  wie  mÃglich in
meine Stimme zu  legen:)  "Ich mÃchte doch einmal sehen, Mirjam,  ob es  mir
nicht gelingt, Ihnen die trØben Gedanken zu verscheuchen. Sagen Sie, was Sie
wollen: Sie sind noch lange kein Ägyptischer Zauberer, sondern vorlÄufig nur
ein junges MÄdchen,  dem  der  Tauwind  noch manchen  bÃsen Streich  spielen
kann."
     Sie wurde plÃtzlich ganz lustig:
     "Ja, was ist  denn das  heute mit  Ihnen, Herr Pernath? So hab' ich Sie
noch  nie  gesehen!  -  øbrigens  ›Tauwind‹:  bei  uns  JudenmÄdchen  lenken
bekanntlich die  Eltern den Tauwind, und wir haben nur zu gehorchen. Tuen es
natØrlich auch. Es steckt uns schon so im Blut. - Mir  ja nicht", setzte sie
ernsthafter  hinzu, "meine Mutter hat bÃs gestreikt, als sie den  grÄñlichen
Aaron Wassertrum heiraten sollte."
     "Was? Ihre Mutter? Den TrÃdler da unten?"
     Mirjam nickte. "Gott sei Dank ist es nicht zustande gekommen. - FØr den
armen Menschen freilich war es ein vernichtender Schlag."
     "Armer Mensch, sagen Sie?" fuhr ich auf. "Der Kerl ist ein Verbrecher."
     Sie wiegte nachdenklich den Kopf: "Gewiñ, er  ist  ein Verbrecher. Aber
wer  in  einer solchen Haut steckt und kein Verbrecher wird, muñ ein Prophet
sein."
     Ich rØckte neugierig nÄher;
     "Wissen  Sie Genaueres  Øber  ihn?  Mich  interessiert  das.  Aus  ganz
besonderen - -"
     "Wenn Sie einmal  seinen  Laden von innen gesehen hÄtten, Herr Pernath,
wØñten Sie sofort, wie es  in seiner Seele ausschaut. Ich sage das, weil ich
als Kind sehr oft drin  war. - Warum sehen Sie mich so erstaunt an? Ist denn
das  so  merkwØrdig?  - Gegen mich war er immer freundlich und gØtig. Einmal
sogar, erinnere ich mich, schenkte er mir einen groñen blitzenden Stein, der
mir besonders unter seinen Sachen gefallen hatte. Meine Mutter sagte, es sei
ein Brillant, und ich muñte ihn natØrlich sofort zurØcktragen.
     Erst wollte er ihn lange  nicht wiedernehmen, aber dann riñ  er ihn mir
aus  der Hand  und warf ihn voll  Wut weit  von sich. Ich habe  aber dennoch
gesehen, wie  ihm dabei die TrÄnen  aus den Augen  stØrzten; ich konnte auch
damals  schon genug  HebrÄisch, um zu verstehen, was er murmelte: ›Alles ist
verflucht, was meine Hand berØhrt.‹ - -  Es war das  letzte Mal, dañ ich ihn
besuchen durfte. Nie  wieder  hat  er mich seitdem  aufgefordert, zu ihm  zu
kommen. Ich weiñ auch warum: HÄtte ich  ihn nicht zu trÃsten versucht,  wÄre
alles beim alten geblieben, so aber, weil er mir unendlich leid tat  und ich
es  ihm sagte, wollte er  mich nicht  mehr  sehen. - -  - Sie  verstehen das
nicht, Herr Pernath? Es  ist doch so einfach:  er ist  ein Besessener, - ein
Mensch, der sofort miñtrauisch,  unheilbar miñtrauisch wird, wenn jemand  an
sein  Herz  rØhrt.  Er  hÄlt  sich  fØr  noch  viel  hÄñlicher,  als  er  in
Wirklichkeit ist, - wenn das Øberhaupt mÃglich sein  kann, und darin wurzelt
sein ganzes  Denken und Handeln. Man sagt, seine Frau hÄtte ihn gern gehabt,
vielleicht war  es mehr  Mitleid als  Liebe, aber immerhin glaubten  es sehr
viele Leute. Der  einzige, der vom Gegenteil tief durchdrungen  war, war er.
øberall wittert er Verrat und Hañ.
     Nur bei seinem Sohn  machte er eine Ausnahme.  Ob es  daher kam, dañ er
ihn vom  SÄuglingsalter an hatte  heranwachsen sehen, also das Keimen  jeder
Eigenschaft von Urbeginn in dem Kinde sozusagen miterlebte und daher nie  zu
einem Punkte gelangte, wo sein  Miñtrauen hÄtte einsetzen kÃnnen, oder ob es
im jØdischen Blute lag:  alles, was  an  LiebesfÄhigkeit  in ihm lebte,  auf
seinen Nachkommen  auszugieñen - in jener instinktiven Furcht unserer Rasse:
wir kÃnnten  aussterben  und eine Mission nicht  erfØllen, die wir vergessen
haben, die aber dunkel in uns fortlebt, - wer kann das wissen!
     Mit  einer Umsicht, die beinahe  an Weisheit  grenzte,  und  bei  einem
unbelesenen Menschen, wie er, wunderbar ist, leitete er die Erziehung seines
Sohnes.  Mit  dem  Scharfsinn eines Psychologen rÄumte  er dem  Kinde  jedes
Erlebnis aus dem  Wege,  das  zur Entwicklung der  GewissenstÄtigkeit  hÄtte
beitragen kÃnnen, um ihm kØnftige seelische Leiden zu ersparen.
     Er hielt ihm als Lehrer einen hervorragenden Gelehrten, der die Ansicht
verfocht,  die  Tiere  seien empfindungslos  und  ihre  SchmerzÄuñerung  ein
mechanischer Reflex.
     Aus   jedem   GeschÃpf  so  viel  Freude  und  Genuñ  fØr  sich  selbst
herauspressen,  wie  nur  irgend  mÃglich,  und dann die Schale  sofort  als
nutzlos  wegzuwerfen:  das  war  ungefÄhr  das  Abc  seines   weitblickenden
Erziehungssystems.
     Dañ das Geld als Standarte und  SchlØssel zur ›Macht‹ dabei eine  erste
Rolle spielte, kÃnnen Sie sich denken,  Herr  Pernath. Und  so wie er selbst
den eigenen Reichtum  sorgsam geheim hÄlt, um die  Grenzen seines Einflusses
in Dunkel zu hØllen, so ersann er sich  ein Mittel, seinem Sohn ähnliches zu
ermÃglichen, ihm aber gleichzeitig die Qual eines scheinbar Ärmlichen Lebens
zu ersparen:  er durchtrÄnkte  ihn  mit  der  infernalischen  LØge  von  der
›SchÃnheit‹,  brachte ihm die Äuñere und  innere GebÄrde  der ästhetik  bei,
lehrte  ihn Äuñerlich:  die Lilie auf  dem Felde heucheln und innerlich  ein
Aasgeier sein.
     NatØrlich war das mit der  ›SchÃnheit‹ wohl  kaum  eigene Erfindung von
ihm - vermutlich die ›Verbesserung‹ eines Ratschlags, den ihm ein Gebildeter
gegeben hatte.
     Dañ ihn sein Sohn spÄter verleugnete, wo und  wann er nur  konnte, nahm
er niemals  Øbel. Im  Gegenteil, er machte es  ihm  zur  Pflicht: denn seine
Liebe war  selbstlos, und wie ich  es schon einmal von meinem Vater sagte: -
von der Art, die Øbers Grab hinausgeht."
     Mirjam schwieg  einen  Augenblick  und  ich sah ihr  an,  wie  sie ihre
Gedanken stumm weiterspann, hÃrte  es an dem verÄnderten Klang ihrer Stimme,
als sie sagte:
     "Seltsame FrØchte wachsen auf dem Baume des Judentums."
     "Sagen Sie,  Mirjam,"  fragte ich,  "haben Sie  nie  davon  gehÃrt, dañ
Wassertrum eine  Wachsfigur in seinem Laden stehen hat? Ich weiñ nicht mehr,
wer es mir erzÄhlt hat, - es war vielleicht nur ein Traum - -"
     "Nein,  nein,  es  ist  schon  richtig, Herr Pernath:  eine lebensgroñe
Wachsfigur steht in der Ecke, in der er, mitten unter dem tollsten GerØmpel,
auf seinem Strohsack schlÄft. Er hat sie vor Jahren einem Schaubudenbesitzer
abgewuchert,  heiñt  es, bloñ  weil  sie  einem  MÄdchen - einer  Christin -
Ähnlich sah, die angeblich einmal seine Geliebte gewesen sein soll."
     "Charouseks Mutter!" drÄngte es sich mir auf.
     "Ihren Namen wissen Sie nicht, Mirjam?"
     Mirjam  schØttelte den Kopf. "Wenn Ihnen daran liegt,  - soll ich  mich
erkundigen?"
     "Ach Gott, nein, Mirjam; es ist  mir vollkommen gleichgØltig", (ich sah
an ihren blitzenden Augen,  dañ sie sich in  Eifer geredet hatte. Sie durfte
nicht wieder zu  sich kommen, nahm  ich mir vor),  "aber was mich viel  mehr
interessiert,  ist das  Gebiet,  von dem Sie vorhin  flØchtig  sprachen. Ich
meine  das  ›vom  Tauwind‹.  -  Ihr  Vater  wØrde  Ihnen  doch  gewiñ  nicht
vorschreiben, wen Sie heiraten sollen?"
     Sie lachte lustig auf. "Mein Vater? Wo denken Sie hin!"
     "Nun, das ist ein groñes GlØck fØr mich."
     "Wieso?" fragte sie arglos.
     "Weil ich dann noch Chancen habe."
     Es war nur ein Scherz, und sie nahm es auch nicht anders hin, aber doch
sprang sie rasch auf  und  ging ans Fenster,  um mich nicht sehen zu lassen,
dañ sie rot wurde.
     Ich lenkte ein, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen:
     "Das  eine  bitte  ich  mir  aus  als  alter  Freund:  Mich  mØssen Sie
einweihen, wenn's einmal so weit ist. - Oder gedenken Sie Øberhaupt ledig zu
bleiben?"
     "Nein!  nein!   nein!"  -  sie  wehrte  so  entschlossen  ab,  dañ  ich
unwillkØrlich lÄchelte - "einmal muñ ich ja doch heiraten."
     "NatØrlich! SelbstverstÄndlich!"
     Sie wurde nervÃs wie ein Backfisch.
     "KÃnnen Sie denn nicht eine Minute ernsthaft  bleiben, Herr Pernath?" -
Ich  machte gehorsam ein Lehrergesicht, und sie setzte sich wieder. - "Also:
wenn ich sage, ich muñ doch einmal heiraten, so meine ich damit, dañ ich mir
zwar bis jetzt den KopfØber  die nÄheren UmstÄnde nicht zerbrochen habe, den
Sinn des Lebens aber gewiñ nicht verstØnde, wenn ich annehmen wØrde, ich sei
als Weib auf die Welt gekommen, um kinderlos zu bleiben."
     Das erste Mal,  seit ich sie kannte,  sah ich das Frauenhafte in  ihren
ZØgen.
     "Es  gehÃrt  mit   zu  meinen  TrÄumen",  fuhr  sie  leise  fort,  "mir
vorzustellen, dañ es ein Endziel sei, wenn zwei Wesen zu einem verschmelzen,
- zu dem, was - - haben Sie nie von dem Ägyptischen Osiriskult gehÃrt?  - zu
dem verschmelzen, was der ›Hermaphrodit‹ als Symbol bedeuten mag."
     Ich horchte gespannt auf: "Der Hermaphrodit -?"
     "Ich meine:  Die  magische  Vereinigung  von mÄnnlich und  weiblich  im
Menschengeschlecht  zu  einem  Halbgott.  Als  Endziel! -  Nein,  nicht  als
Endziel, als Beginn eines neuen Weges, der ewig ist - kein Ende hat."
     "Und  hoffen  Sie,   dereinst  denjenigen   zu   finden,"   fragte  ich
erschØttert, "den Sie suchen? - Kann es nicht  sein, dañ er in  einem fernen
Land lebt, vielleicht gar nicht auf Erden ist?"
     "Davon weiñ ich nichts"; sagte sie einfach, "ich  kann nur warten. Wenn
er durch Zeit und Raum von mir getrennt ist, - was ich nicht glaube, weshalb
wÄre  ich  dann  hier  im  Getto  angebunden?  -  oder   durch   die  KlØfte
gegenseitigen Nichterkennens - und  ich finde ihn nicht, dann hat mein Leben
keinen Zweck gehabt und war das gedankenlose Spiel eines idiotischen DÄmons.
- Aber, bitte, bitte, reden wir nicht mehr davon," flehte sie, "wenn man den
Gedanken  nur  ausspricht,  bekommt  er  schon  einen  hÄñlichen,  irdischen
Beigeschmack, und ich mÃchte nicht -"
     Sie brach plÃtzlich ab.
     "Was mÃchten Sie nicht, Mirjam?"
     Sie hob die Hand. Stand rasch auf und sagte:
     "Sie bekommen Besuch, Herr Pernath!"
     Seidenkleider raschelten auf dem Gang.
     UngestØmes Klopfen. Dann:
     Angelina!
     Mirjam wollte gehen; ich hielt sie zurØck:
     "Darf  ich vorstellen: die Tochter eines lieben  Freundes - Frau GrÄfin
-"
     "Nicht   einmal  vorfahren  kann  man   mehr.   øberall   das  Pflaster
aufgerissen. Wann werden Sie  einmal in eine menschenwØrdige Gegend siedeln,
Meister Pernath? Drauñen schmilzt der Schnee und der  Himmel  jubelt, dañ es
einem  die Brust zersprengt,  und Sie hocken  hier in Ihrer Tropfsteingrotte
wie ein alter  Frosch, - -  Øbrigens wissen Sie,  dañ ich gestern bei meinem
Juwelier  war und  er gesagt hat: Sie seien der grÃñte KØnstler, der feinste
Gemmenschneider,  den es heute gibt,  wenn nicht  einer der  grÃñten, die je
gelebt  haben?!"  - Angelina  plauderte  wie ein  Wasserfall,  und  ich  war
verzaubert. Sah nur mehr ihre strahlenden, blauen Augen, die kleinen FØñe in
den  winzigen  Lackstiefeln,  sah  das kapriziÃse  Gesicht aus dem Wust  von
Pelzwerk leuchten und die rosigen OhrlÄppchen.
     Sie lieñ sich kaum Zeit auszuatmen.
     "An  der Ecke  steht mein Wagen.  Ich  hatte schon Angst, Sie nicht  zu
Hause  zu treffen. Sie haben doch hoffentlich noch nicht zu Mittag gegessen?
Wir fahren zuerst  - ja, wohin fahren wir zuerst? Wir fahren zuerst einmal -
warten Sie - - ja: vielleicht in den  Baumgarten, oder kurz: irgendwohin ins
Freie, wo man  so recht das Keimen und heimliche Sprossen in  der Luft ahnt.
Kommen Sie, kommen Sie, nehmen Sie Ihren Hut;  und dann essen Sie bei mir, -
und dann schwÄtzen wir  bis abends. Nehmen Sie doch Ihren Hut! Worauf warten
Sie denn? - Eine warme,  ganz weiche Decke ist unten: da wickeln wir uns ein
bis an die Ohren und kuscheln uns zusammen, bis uns siedheiñ wird."
     Was sollte ich  nur  sagen?! "Soeben  habe ich mit  der Tochter  meines
Freundes eine Spazierfahrt verabredet - -"
     Mirjam hatte  sich bereits  hastig von Angelina verabschiedet, noch ehe
ich aussprechen konnte.
     Ich  begleitete  sie  bis  vor  die  TØr,  obschon  sie mich freundlich
abwehren wollte.
     "HÃren Sie mich an, Mirjam, ich kann es Ihnen hier auf der Treppe nicht
so sagen, wie ich an Ihnen hÄnge - - und dañ ich tausendmal lieber mit Ihnen
- -"
     "Sie dØrfen die Dame nicht warten lassen, Herr  Pernath,"  drÄngte sie,
"adieu und viel VergnØgen!"
     Sie sagte es voll Herzlichkeit und unverstellt und  echt, aber ich sah,
dañ der Glanz in ihren Augen erloschen war.
     Sie eilte  die Treppe hinunter,  und  das  Leid schnØrte mir  die Kehle
zusammen.
     Mir war, als hÄtte ich eine Welt verloren.
     0x01 graphic

     Wie im  Rausch sañ ich an Angelinas Seite.  Wir fuhren in rasendem Trab
durch die menschenØberfØllten Strañen.
     Eine Brandung des Lebens rings um mich, dañ ich, halb betÄubt, nur noch
die  kleinen   Lichtflecke  in  dem  Bilde,  das  an   mir   vorØberhuschte,
unterscheiden  konnte: blitzende Juwelen in Ohrringen und Muffketten, blanke
ZylinderhØte, weiñe  Damenhandschuhe, einen Pudel mit rosa Halsschleife, der
klÄffend   in   die  RÄder  beiñen   wollte,  schÄumende  Rappen,   die  uns
entgegensausten in silbernen Geschirren, ein  Ladenfenster, drin schimmernde
Schalen  voll PerlschnØren  und  funkelnden  Geschmeiden,  -  Seidenglanz um
schlanke MÄdchenhØften.
     Der scharfe Wind, der uns ins Gesicht  schnitt, lieñ mich die WÄrme von
Angelinas KÃrper doppelt sinnverwirrend empfinden.
     Die Schutzleute an den Kreuzungen sprangen respektvoll zur Seite,  wenn
wir an ihnen vorØberjagten.
     Dann ging's im Schritt Øber das Quai, das eine einzige  Wagenreihe war,
an der eingestØrzten steinernen BrØcke vorbei, umstaut vom GewØhl  gaffender
Gesichter.
     Ich blickte kaum hin: - das kleinste Wort aus dem Munde Angelinas, ihre
Wimpern,  das eilige Spiel  ihrer Lippen, - alles, alles  war mir  unendlich
viel  wichtiger,  als  zuzusehen,  wie  die   FelstrØmmer   dort  unten  den
antaumelnden Eisschollen die Schultern entgegenstemmten. -
     Parkwege. Dann - gestampfte, elastische  Erde. Dann Laubrascheln  unter
den  Hufen  der  Pferde,  nasse  Luft,   blÄtterlose   Baumriesen  voll  von
KrÄhennestern, totes  WiesengrØn mit weiñlichen Inseln schwindenden Schnees,
alles zog an mir vorbei wie getrÄumt.
     Nur mit ein paar kurzen Worten, fast gleichgØltig, kam Angelina auf Dr.
Savioli zu sprechen.
     "Jetzt,  wo  die  Gefahr  vorØber  ist",  sagte  sie  mit entzØckender,
kindlicher  Unbefangenheit,  "und ich  weiñ,  dañ es ihm auch wieder  besser
geht, kommt mir alles das,  was ich mitgemacht  habe, so grÄñlich langweilig
vor.  - Ich  will mich endlich einmal wieder freuen, die Augen  zumachen und
untertauchen in dem glitzernden Schaum des Lebens. Ich glaube,  alle  Frauen
sind so. Sie  gestehen es bloñ nicht ein. Oder sie sind so dumm,  dañ sie es
selbst nicht wissen. Meinen  Sie nicht auch?" Sie  hÃrte gar nicht hin,  was
ich   darauf   antwortete.  "øbrigens   sind   mir  die  Frauen  vollstÄndig
uninteressant.  Sie dØrfen  es natØrlich  nicht als Schmeichelei  auffassen:
aber  -  wahrhaftig, die bloñe  NÄhe eines  sympathischen Mannes ist mir  im
kleinen  Finger  lieber  als das  anregendste  GesprÄch  mit  einer noch  so
gescheiten  Frau. Es ist ja schlieñlich doch alles  dummes Zeug, was man  da
zusammenschwÄtzt. - HÃchstens: das biñchen Putz - na und! Die Moden wechseln
ja  nicht gar so hÄufig. - - Nicht wahr, ich bin  leichtsinnig?", fragte sie
plÃtzlich  kokett,  dañ ich  mich, bestrickt  von ihrem Reiz, zusammennehmen
muñte, nicht  ihr  KÃpfchen zwischen meine  HÄnde zu nehmen  und sie in  den
Nacken zu kØssen, - "sagen Sie, dañ ich leichtsinnig bin!"
     Sie schmiegte sich noch dichter an und hÄngte sich in mich ein.
     Wir   fuhren   aus  der   Allee  heraus   an   Bosketts   entlang   mit
strohumwickelten Zierstauden, die  aussahen  in ihren HØllen  wie RØmpfe von
Ungeheuern mit abgehauenen Gliedern und HÄuptern.
     Leute sañen auf BÄnken in der Sonne und  blickten hinter uns  drein und
steckten die KÃpfe zusammen.
     Wir  schwiegen eine  Weile und hingen  unseren Gedanken  nach. Wie  war
Angelina  doch so vollstÄndig anders, als sie  bisher in  meiner  Einbildung
gelebt hatte! - Als sei sie erst heute fØr mich in die Gegenwart gerØckt!
     War  das  wirklich  dieselbe  Frau, die  ich damals  in  der  Domkirche
getrÃstet hatte?
     Ich konnte den Blick nicht wenden von ihrem halboffenen Mund.
     Sie sprach noch immer kein Wort. Schien im Geiste ein Bild zu sehen.
     Der Wagen bog Øber eine feuchte Wiese.
     Es roch nach erwachender Erde.
     "Wissen Sie, - - Frau - -?"
     "Nennen Sie mich doch Angelina", unterbrach sie mich leise.
     "Wissen Sie, Angelina, dañ  - dañ ich heute die  ganze Nacht von  Ihnen
getrÄumt habe?", stieñ ich gepreñt hervor.
     Sie  machte eine  kleine rasche  Bewegung, als wolle sie  ihren Arm aus
meinem  ziehen, und sah mich groñ an. "MerkwØrdig! Und ich  von Ihnen! - Und
in diesem Moment habe ich dasselbe gedacht."
     Wieder  stockte  das GesprÄch, und beide  errieten  wir,  dañ  wir auch
dasselbe getrÄumt hatten.
     Ich fØhlte es an dem Beben ihres Blutes. Ihr Arm zitterte kaum merklich
an meiner Brust. Sie blickte  krampfhaft von mir weg aus dem Wagen hinaus. -
- -
     Langsam zog  ich  ihre  Hand  an  meine Lippen,  streifte  den  weiñen,
duftenden Handschuh  zurØck, hÃrte, wie  ihr Atem  heftig wurde, und  preñte
toll vor Liebe meine ZÄhne in ihren Handballen.
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     -  - Stunden  spÄter  ging ich wie ein Trunkener  durch  den Abendnebel
hinab der  Stadt zu. Planlos wÄhlte ich die Strañen  und ging lange, ohne es
zu wissen, im Kreise herum.
     Dann stand ich am Fluñ Øber eisernes GelÄnder gebeugt und starrte hinab
in die tosenden Wellen.
     Noch  immer  fØhlte  ich  Angelinas  Arme um  meinen  Nacken,  sah  das
steinerne  Becken  des  Springbrunnens,  an  dem  wir schon einmal  Abschied
voneinander  genommen  vor  vielen  Jahren,  vor   mir,  mit  den  faulenden
UlmenblÄttern  darin, und sie wanderte  wieder mit mir,  wie soeben erst vor
kurzem, den Kopf an  meine  Schulter  gelehnt, stumm  durch den frÃsteldnen,
dÄmmrigen Park ihres Schlosses.
     Ich setzte mich  auf eine  Bank und zog den Hut tief ins Gesicht, um zu
trÄumen.
     Die Wasser  brausten  Øber  das  Wehr und  ihr Rauschen verschlang  die
letzten, aufmurrenden GerÄusche der schlafengehenden Stadt.
     Wenn  ich  von  Zeit  zu  Zeit meinen  Mantel  fester  um mich zog  und
aufblickte, lag der Fluñ in immer tieferen Schatten, bis er endlich, von der
schweren  Nacht  erdrØckt,  schwarzgrau  dahinstrÃmte  und  der  Gischt  des
Staudamms als weiñer,  blendender  Streifen  schrÄg  hinØber zum andern Ufer
lief.
     Mich  schauderte  bei  dem  Gedanken, wieder zurØck  zu mØssen in  mein
trauriges Haus.
     Der Glanz eines kurzen Nachmittags hatte mich  fØr immer  zum Fremdling
in meiner WohnstÄtte gemacht.
     Eine Spanne  von wenigen Wochen, vielleicht  nur von Tagen, dann  muñte
das  GlØck vorØber sein  - und  nichts  blieb  davon als  eine wehe,  schÃne
Erinnerung.
     Und dann?
     Dann war  ich heimatlos  hier  und drØben, diesseits  und jenseits  des
Flusses.
     Ich  stand  auf!  Wollte noch durch das Parkgitter einen  Blick auf das
Schloñ werfen, hinter dessen  Fenstern sie schlief, ehe ich in  das finstere
Getto ging. -  - - Ich schlug die Richtung  ein, aus  der ich  gekommen war,
tappte  mich  durch  den dichten Nebel  an  HÄuserreihen  entlang  und  Øber
schlummernde PlÄtze, sah  schwarze  Monumente drohend auftauchen und einsame
SchilderhÄuser  und die  SchnÃrkel  von Barockfassaden.  Der  matte Schimmer
einer Laterne  wuchs  zu  riesigen,  phantastischen  Ringen  in verblichenen
Regenbogenfarben aus dem Dunst heraus, wurde zum fahlgelben, stechenden Auge
und zerging hinter mir in der Luft.
     Mein Fuñ tastete breite, steinerne StufenflÄchen, mit Kies bestreut. Wo
war ich? Ein Hohlweg, der steil aufwÄrts fØhrt?
     Glatte Gartenmauern links  und  rechts? Die  kahlen  äste  eines Baumes
hÄngen herØber. Sie kommen  vom  Himmel herunter:  der Stamm  verbirgt  sich
hinter der Nebelwand. -
     Ein paar morsche, dØnne Zweige  brechen krachend ab,  wie  mein Hut sie
streift, und fallen an meinem Mantel hinab  in den  nebligen grauen Abgrund,
der mir meine FØñe verbirgt.
     Dann ein strahlender Punkt: ein  einsames Licht in der Ferne - irgendwo
- rÄtselhaft - zwischen Himmel und Erde. - - -
     Ich muñte fehlgegangen sein. Es konnte nur die "alte Schloñstiege" sein
neben den HÄngen der FØrstenbergschen GÄrten - - -
     Dann lange Strecken lehmiger Erde. - Ein gepflasterter Weg.
     Ein  massiger  Schatten  ragt hoch  auf, den  Kopf  in einer schwarzen,
steifen ZipfelmØtze: "die Daliborka" = der Hungerturm, in dem Menschen einst
verschmachteten, derweilen KÃnige unten im "Hirschgraben" das Wild hetzten.
     Ein schmales, gewundenes GÄñchen mit Schieñscharten, ein Schneckengang,
kaum breit genug,  die Schultern durchzulassen  -  und  ich stand  vor einer
Reihe von HÄuschen, keines hÃher als ich.
     Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich auf die DÄcher greifen.
     Ich war  in  die  "Goldmachergasse"  geraten,  wo  im  Mittelalter  die
alchimistischen  Adepten  den  Stein der Weisen geglØht und die Mondstrahlen
vergiftet haben.
     Es rØhrte kein anderer Weg hinaus als der, den ich gekommen war.
     Aber ich fand die MauerlØcke nicht mehr, die mich  eingelassen, - stieñ
an ein Holzgatter.
     Es nØtzt  nichts, ich  muñ jemand wecken,  damit man mir den Weg zeigt,
sagte ich mir. Sonderbar, dañ hier ein  Haus die Gasse  abschlieñt  - grÃñer
als die andern und anscheinend wohnlich? Ich  kann mich  nicht entsinnen, es
je bemerkt zu haben.
     Es muñ wohl weiñ getØncht sein, dañ es so hell aus dem Nebel leuchtet?
     Ich gehe durch das Gatter Øber  den  schmalen Gartenstreif,  drØcke das
Gesicht an die Scheiben: - alles finster. Ich  klopfe ans Fenster. - Da geht
drinnen ein steinalter Mann, eine  brennende  Kerze  in der Hand, durch eine
TØr mit greisenhaft  wankenden  Schritten  bis  mitten  in die Stube, bleibt
stehen, dreht langsam den Kopf nach den verstaubten alchimistischen Retorten
und  Kolben an der Wand, starrt  nachdenklich auf die riesigen Spinnweben in
den Ecken und richtet dann seinen Blick unverwandt auf mich.
     Der Schatten seiner Backenknochen fÄllt ihm auf die AugenhÃhlen, dañ es
aussieht, als seien sie leer wie die einer Mumie.
     Er sieht mich offenbar nicht.
     Ich klopfe ans Glas.
     Er hÃrt mich  nicht. Geht  lautlos wie ein Schlafwandler wieder aus dem
Zimmer.
     Ich warte vergebens.
     Klopfe ans Haustor: niemand Ãffnet. - - -
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     Es  blieb mir nichts Øbrig, als so lange zu suchen, bis ich den Ausgang
aus der Gasse endlich fand.
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     Ob  es nicht am besten  wÄre, ich ginge noch unter Menschen,  Øberlegte
ich. -  Zu meinen Freunden: Zwakh, Prokop und Vrieslander ins "alte Ungelt",
wo sie bestimmt sein wØrden -, um meine verzehrende Sehnsucht nach Angelinas
KØssen wenigstens fØr ein paar  Stunden zu  ØbertÄuben? Rasch mache ich mich
auf den Weg.
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     Wie  ein  Trifolium von  Toten hockten sie  um den wurmstichigen, alten
Tisch herum, - alle drei: weiñe dØnnstielige Tonpfeifen zwischen den ZÄhnen,
und das Zimmer voll Rauch.
     Man  konnte  kaum ihre GesichtszØge  unterscheiden,  so  schluckten die
dunkelbraunen WÄnde das spÄrliche Licht der altmodischen HÄngelampe ein.
     In  der  Ecke die  spindeldØrre, wortkarge,  verwitterte Kellnerin  mit
ihrem   ewigen   Strickstrumpf,   dem  farblosen  Blick   und   der   gelben
Entenschnabelnase!
     Mattrote Decken hingen vor den geschlossenen  TØren, so dañ die Stimmen
der  GÄste im  Nebenzimmer  nur  wie das leise  Summen eines  Bienenschwarms
herØberdrangen.
     Vrieslander, seinen  kegelfÃrmigen Hut mit der  geraden Krempe auf  dem
Kopf, mit  seinem  Knebelbart,  der  bleigrauen Gesichtsfarbe  und der Narbe
unter  dem Auge, sah aus wie ein ertrunkener HollÄnder aus einem vergessenen
Jahrhundert.
     Josua  Prokop  hatte  sich  eine  Gabel quer  durch  die  Musikerlocken
gesteckt,   klapperte   unaufhÃrlich    mit   seinen   gespenstisch   langen
Knochenfingern und sah bewundernd zu, wie sich  Zwakh abmØhte, der bauchigen
Arakflasche das PurpurmÄntelchen einer Marionette umzuhÄngen.
     "Das  wird Babinski",  erklÄrte mir Vrieslander mit  tiefem Ernst. "Sie
wissen  nicht,  wer Babinski  war? Zwakh,  erzÄhlen Sie  Pernath  rasch, wer
Babinski war!"
     "Babinski  war",  begann  Zwakh sofort, ohne  auch nur eine Sekunde von
seiner Arbeit aufzusehen, "einst ein  berØhmter RaubmÃrder  in Prag. - Viele
Jahre betrieb  er  sein  schÄndliches Handwerk,  ohne dañ  es jemand bemerkt
hÄtte. Nach und nach  jedoch fiel es in den besseren Familien auf,  dañ bald
dieses, bald jenes Mitglied der Sippe  beim Essen fehlte und sich nie wieder
blicken lieñ. Wenn man auch anfangs nichts sagte, da die Sache gewissermañen
ihre  guten Seiten  hatte, indem  man weniger  zu kochen brauchte, so durfte
wiederum  nicht  auñer  acht   gelassen  werden,  dañ  das  Ansehen  in  der
Gesellschaft leicht darunter leiden und man ins Gerede kommen konnte.
     Besonders, wenn es sich um das  spurlose Verschwinden mannbarer TÃchter
handelte.
     øberdies verlangte die  Hochachtung vor sich selbst,  dañ  man  auf ein
bØrgerliches Zusammenleben in der Familie nach auñen hin das nÃtige  Gewicht
legte.
     Die Zeitungsrubriken: "Kehre zurØck, alles ist verziehen" wuchsen immer
mehr und  mehr, -  ein  Umstand,  den Babinski, leichtsinnig wie die meisten
BerufsmÃrder, in seine  Berechnungen nicht einbezogen hatte, - und  erregten
schlieñlich die allgemeine Aufmerksamkeit.
     In dem  lieblichen DÃrfchen Krtsch  bei Prag hatte sich  Babinski,  der
innerlich  ein ausgesprochen  idyllischer Charakter war,  mit der Zeit durch
seine unverdrossene TÄtigkeit ein kleines, aber trautes Heim geschaffen. Ein
HÄuschen, blitzend  vor  Sauberkeit,  und  ein GÄrtchen davor mit  blØhenden
Geranien.
     Da es ihm seine EinkØnfte nicht gestatteten, sich zu vergrÃñern, sah er
sich genÃtigt, um  die Leichen seiner Opfer unauffÄllig bestatten zu kÃnnen,
statt  eines  Blumenbeetes  -  wie  er  es  gern   gesehen   hÄtte  -  einen
grasbewachsenen und schlichten, aber, den UmstÄnden angemessen: zweckmÄñigen
GrabhØgel anzulegen,  der sich  mØhelos verlÄngern lieñ, wenn es der Betrieb
oder die Saison erforderte.
     Auf  dieser  WeihestÄtte pflegte Babinski allabendlich nach  des  Tages
Last und MØhen in  den  Strahlen der untergehenden  Sonne  zu sitzen und auf
seiner FlÃte allerlei schwermØtige Weisen zu blasen." - -
     "Halt!"  unterbrach Josua Prokop rauh, zog einen  HausschlØssel aus der
Tasche, hielt ihn wie eine Klarinette an den Mund und sang:
     "Zimzerlim zambusla - deh."
     "Waren  Sie denn dabei,  dañ Sie die Melodie so genau kennen?",  fragte
Vrieslander erstaunt.
     Prokop warf ihm einen bitterbÃsen Blick zu: "Nein. Dazu hat Babinski zu
frØh gelebt. Aber was er gespielt haben kann, muñ  ich als Komponist doch am
besten  wissen.  Ihnen   steht  darØber  kein  Urteil  zu:  Sie  sind  nicht
musikalisch. - - Zimzerlim - zambusla - busla - deh."
     Zwakh hÃrte  ergriffen  zu,  bis  Prokop  seinen  HausschlØssel  wieder
einsteckte, und fuhr dann fort:
     "Das bestÄndige Wachsen des HØgels erweckte allmÄhlich Verdacht bei den
Anrainern, und einem Polizeimann aus der Vorstadt  Zizkov, der  gelegentlich
von weitem  zusah, wie Babinski gerade eine alte Dame der guten Gesellschaft
erwØrgte,  gebØhrt das  Verdienst, dem selbstsØchtigen Treiben  des Unholdes
ein fØr allemal Schranken gesetzt zu haben:
     Man verhaftete Babinski in seinem Tuskulum.
     Der  Gerichtshof  verurteilte  ihn  unter  Zubilligung  des  mildernden
Umstandes  eines  ansonsten trefflichen  Leumundes zum Tode durch den Strang
und beauftragte zugleich die Firma  GebrØder Leipen - Seilwaren  en gros und
en detail - die nÃtigen Hinrichtungsutensilien, soweit diese in ihre Branche
fielen,  unter  Anrechnung  ziviler  Preise  einem  hohen  StaatsÄrar  gegen
Quittung auszuhÄndigen.
     Nun   fØgte  es  sich  aber,  dañ  der  Strick   riñ  und  Babinski  zu
lebenslÄnglichem GefÄngnis begnadigt wurde.
     Zwanzig  Jahre  verbØñte  der  RaubmÃrder hinter den  Mauern von  Sankt
Pankraz, ohne dañ je ein  Vorwurf  Øber seine  Lippen gekommen wÄre;  - noch
heute ist der  Beamtenstab  des Institutes  voll Lob Øber seine vorbildliche
AuffØhrung,  ja,  man  gestattete ihm  sogar,  an  den Geburtstagen  unseres
AllerhÃchsten Landesherrn ab und zu die FlÃte zu blasen; -"
     Prokop suchte  sofort  wieder  nach  seinem HausschlØssel,  aber  Zwakh
wehrte ihm.
     "- infolge allgemeiner  Amnestie wurde dem Babinski der Rest der Strafe
nachgesehen,  und  er  bekam  die  Stelle eines  PfÃrtners  im  Kloster  der
›Barmherzigen Schwestern‹.
     Die  leichte Gartenarbeit, die er nebenbei  mit zu versehen hatte, ging
ihm  dank der  groñen,  wÄhrend seines  frØheren Wirkungskreises  erworbenen
Geschicklichkeit im Gebrauch  des Spatens hurtig  von  der Hand, so dañ  ihm
hinlÄnglich  Muñe  blieb,  Herz und Geist  an guter, sorgfÄltig ausgewÄhlter
LektØre zu lÄutern.
     Die daraus resultierenden Folgen waren hocherfreulich.
     Sooft ihn  die Oberin Samstagabends  ins Wirtshaus  schickte, damit  er
sein GemØt  ein wenig erheitere, jedesmal kam er pØnktlich vor  Anbruch  der
Nacht nach Hause mit dem  Hinweis, der Verfall der  allgemeinen Moral stimme
ihn  trØbe  und  soviel  lichtscheues  Gesindel schlimmster  Sorte mache die
Landstrañe unsicher, dañ es  fØr jeden Friedliebenden ein Gebot der Klugheit
sei, rechtzeitig die Schritte heimwÄrts zu lenken.
     Es  war  nun damaliger Zeit  in  Prag bei den  Wachsziehern die Unsitte
eingerissen, kleine FigØrchen feilzuhalten,  die ein rotes Manterle umhÄngen
hatten und den RaubmÃrder Babinski darstellten.
     Wohl in keiner der leidtragenden Familien fehlte ein solches.
     GewÃhnlich  aber standen sie in den LÄden unter GlasstØrzen,  und  Øber
nichts  konnte  sich  Babinski  so  empÃren,  als wenn  er  eines derartigen
Wachsbildes ansichtig wurde.
     ›Es ist  im hÃchsten  Grade unwØrdig  und  zeugt von einer GemØtsroheit
sondersgleichen, einem Menschen bestÄndig die Verfehlungen seiner Jugendzeit
vor  Augen zu fØhren,‹ pflegte Babinski  in solchen FÄllen zu sagen ›und  es
ist  tief  zu  bedauern, dañ von Seiten der  Obrigkeit  nichts geschieht, so
offenkundigem Unfug zu steuern.‹
     Noch auf dem Totenbette Äuñerte er sich in Ähnlichem Sinne.
     Nicht vergebens, denn bald darauf verfØgte die BehÃrde  die Einstellung
des Handels mit den Ärgerniserregenden Babinskischen Statuetten." - - -
     -  - - Zwakh tat einen mÄchtigen Schluck  aus seinem Grogglas und  alle
drei grinsten wie  die Teufel, dann wandte er vorsichtig den Kopf  nach  der
farblosen Kellnerin, und ich sah, wie sie eine TrÄne im Auge zerdrØckte.
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     - "Na, und Sie geben nichts zum besten, auñer - natØrlich - dañ Sie aus
Dankbarkeit   fØr   den   Øberstandenen  Kunstgenuñ  die   Zeche   berappen,
wertgeschÄtzter Kollege und Gemmenschneider?", fragte mich  Vrieslander nach
einer langen Pause allgemeinen Tiefsinnes.
     Ich erzÄhlte ihnen meine Wanderung durch den Nebel.
     Als ich in der  Schilderung  zu der  Stelle kam, wo ich das weiñe  Haus
erblickt hatte,  nahmen alle drei vor Spannung  die  Pfeifen aus den ZÄhnen,
und als ich schloñ, schlug Prokop mit der Faust auf den Tisch und rief:
     "Das ist doch rein - -! Alle Sagen, die es gibt,  erlebt dieser Pernath
am eigenen Kadaver. - A propos, der Golem von damals - Sie wissen: die Sache
hat sich aufgeklÄrt."
     "Wieso aufgeklÄrt?" fragte ich baff.
     "Sie kennen doch den verrØckten jØdischen Bettler ›Haschile‹? Nein? Nun
also: dieser Haschile war der Golem."
     "Ein Bettler der Golem?"
     "Jawohl, der Haschile war der Golem. Heute nachmittag ging das Gespenst
seelenvergnØgt   bei  hellichtem   Sonnenschein   in   seinem   berØchtigten
altmodischen  Anzug  aus  dem  XVII.  Jahrhundert  durch  die  Salnitergasse
spazieren, und  da  hat  es der  Schinder mit  einer Hundeschlinge glØcklich
eingefangen."
     "Was soll das heiñen? Ich verstehe kein Wort!" fuhr ich auf.
     "Ich sage  Ihnen doch: der  Haschile war  es! Er  hat die Kleider, hÃre
ich, vor lÄngerer Zeit hinter einem Haustor gefunden. - øbrigens, um auf das
weiñe  Haus  auf  der  Kleinseite  zurØckzukommen: die  Sache  ist furchtbar
interessant.  Es  geht  nÄmlich  eine  alte  Sage,  dañ  dort  oben  in  der
Alchimistengasse ein Haus steht,  das nur bei Nebel sichtbar  wird, und auch
da bloñ ›Sonntagskindern‹. Man nennt es ›die Mauer zur letzten Laterne‹. Wer
bei Tag hinaufgeht,  sieht  dort nur einen groñen,  grauen Stein, - dahinter
stØrzt es  jÄh ab in die Tiefe in den Hirschgraben, und Sie kÃnnen von GlØck
sagen, Pernath,  dañ  Sie keinen Schritt  weiter gemacht  haben:  Sie  wÄren
unfehlbar hinuntergefallen und hÄtten sÄmtliche Knochen gebrochen.
     Unter dem Stein, heiñt es, ruht ein riesiger Schatz, und  er  soll  von
dem Orden der ›Asiatischen BrØder‹, die  angeblich Prag gegrØndet haben, als
Grundstein fØr ein  Haus gelegt worden sein, das  dereinst am  Ende der Tage
ein  Mensch bewohnen wird - besser gesagt ein  Hermaphrodit -  ein GeschÃpf,
das sich aus  Mann und Weib zusammensetzt. Und der wird das Bild eines Hasen
im Wappen tragen, - nebenbei: der Hase  war das Symbol des Osiris, und daher
stammt wohl die Sitte mit dem Osterhasen.
     Bis die Zeit gekommen  ist, heiñt es, hÄlt Methusalem in eigener Person
Wache an dem Ort, damit Satan  nicht den Stein beflattert und einen Sohn mit
ihm zeugt: den sogenannten Armilos. - Haben  Sie noch nie von diesem Armilos
erzÄhlen  hÃren? -  Sogar  wie er aussehen wØrde, weiñ man - das heiñt,  die
alten Rabbiner wissen es; - wenn er auf die Welt kÄme:  Haare aus Gold wØrde
er haben,  rØckwÄrts zum Schopf gebunden, dann: zwei Scheitel, sichelfÃrmige
Augen und Arme bis herunter zu den FØñen."
     "Dieses Ehrengigerl  sollte  man  aufzeichnen", brummte Vrieslander und
suchte nach einem Bleistift.
     "Also:  Pernath,  wenn  Sie  einmal   das   GlØck  haben  sollten,  ein
Hermaphrodit zu werden  und en passant den  vergrabenen  Schatz  zu finden,"
schloñ Prokop, "dann vergessen Sie nicht,  dañ  ich  stets Ihr bester Freund
gewesen bin!"
     - Mir war nicht zum Spañmachen zumute, und ich fØhlte ein leises Weh im
Herzen.
     Zwakh mochte es mir ansehen, wenn  er auch den Grund  nicht wuñte, denn
er kam mir rasch zu Hilfe:
     "Jedenfalls  ist es  hÃchst  merkwØrdig,  fast unheimlich, dañ  Pernath
gerade eine Vision an jener Stelle hatte, die mit einer  uralten Sage so eng
verknØpft ist. - Da  sind  ZusammenhÄnge,  aus deren Umklammerung  sich  ein
Mensch anscheinend  nicht befreien kann, wenn seine Seele die FÄhigkeit hat,
Formen zu  sehen,  die dem Tastsinn vorenthalten sind.  - Ich kann mir nicht
helfen: das øbersinnliche ist doch das Reizvollste! - Was meint ihr?"
     Vrieslander  und Prokop waren  ernst geworden,  und jeder von uns hielt
eine Antwort fØr ØberflØssig.
     "Was  meinen Sie,  Eulalia?"  wiederholte Zwakh, zurØckgewendet,  seine
Frage.
     Die alte Kellnerin  kratzte  sich mit der Stricknadel am Kopf, seufzte,
errÃtete und sagte:
     "Aber gÄhn' Sie! Sie sind mir ein Schlimmer."
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     "Eine  verdammt  gespannte Luft war  heute den ganzen  Tag Øber",  fing
Vrieslander an, nachdem sich unser Heiterkeitsausbruch gelegt hatte,  "nicht
einen Pinselstrich  hab' ich  fertiggebracht. FortwÄhrend  hab'  ich an  die
Rosina denken mØssen, wie sie im Frack getanzt hat."
     "Ist sie wieder aufgefunden worden?", fragte ich.
     "›Aufgefunden‹ ist gut. Die Sittenpolizei hat sie doch fØr ein lÄngeres
Engagement gewonnen! - Vielleicht hat sie dem Herrn KommissÄr - damals ›beim
Loisitschek‹, ins Auge  gestochen?  Jedenfalls  ist  sie jetzt  - fieberhaft
tÄtig und trÄgt  wesentlich zur Hebung des Fremdenverkehrs in der Judenstadt
bei.  Ein verflucht dralles  Mensch ist sie  Øbrigens schon  geworden in der
kurzen Zeit."
     "Wenn  man bedenkt,  was  ein Weib  aus  einem  Mann machen  kann  bloñ
dadurch, dañ  sie ihn verliebt sein lÄñt in sich: es ist zum  Staunen", warf
Zwakh hin. "Um das Geld aufzubringen,  zu ihr gehen zu  kÃnnen, ist der arme
Bursche,  der  Jaromir,  Øber  Nacht  KØnstler  geworden.  Er  geht  in  den
WirtshÄusern herum  und schneidet  Silhouetten fØr GÄste aus, die  sich  auf
diese Art portrÄtieren lassen."
     Prokop, der den Schluñ ØberhÃrt hatte, schmatzte mit den Lippen:
     "Wirklich?  Ist  sie so  hØbsch geworden, die  Rosina? - Haben  Sie ihr
schon ein KØñchen geraubt, Vrieslander?"
     Die Kellnerin sprang sofort auf und verlieñ indigniert das Zimmer.
     "Das Suppenhuhn!  Die  hat's wahrhaftig nÃtig,  - TugendanfÄlle! Pah!",
brummte Prokop Ärgerlich hinter ihr drein.
     "Was wollen  Sie,  sie  ist doch bei der unrichtigen Stelle abgegangen.
Und auñerdem war der Strumpf gerade fertig", beschwichtigte ihn Zwakh.
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     Der Wirt  brachte  neuen  Grog und die GesprÄche  fingen allmÄhlich an,
eine  schwØle Richtung zu nehmen. Zu schwØl,  als dañ sie mir nicht ins Blut
gegangen wÄren bei meiner fiebrigen Stimmung.
     Ich strÄubte mich dagegen, aber je mehr ich mich innerlich abschloñ und
an Angelina zurØckdachte, um so heiñer brauste es mir in den Ohren.
     Ziemlich unvermittelt verabschiedete ich mich.
     Der Nebel  war durchsichtiger  geworden,  sprØhte  feine  Eisnadeln auf
mich, war aber  immer noch so  dicht, dañ ich die Strañentafeln  nicht lesen
konnte und von meinem Heimweg um ein geringes abkam.
     Ich war in eine andere Gasse geraten und wollte eben umkehren, da hÃrte
ich meinen Namen rufen:
     "Herr Pernath! Herr Pernath!"
     Ich blickte um mich, in die HÃhe:
     Niemand!
     Ein offenes Haustor, darØber diskret  eine kleine, rote Laterne, gÄhnte
neben  mir  auf, und eine helle Gestalt  -  schien mir - stand  tief im Flur
darin.
     Wieder: "Herr Pernath! Herr Pernath!" Im FlØsterton.
     Ich trat erstaunt in den Gang, - da  schlangen sich warme Frauenarme um
meinen Hals, und  ich sah bei dem  Lichtstrahl,  der aus  einem sich langsam
Ãffnenden TØrspalt fiel, dañ es Rosina war, die sich heiñ an mich preñte.

     Ein grauer, blinder Tag.
     Bis  tief  in  den  Morgen  hinein  hatte  ich   geschlafen,  traumlos,
bewuñtlos, wie ein Scheintoter.
     Meine   alte  Bedienerin   war   ausgeblieben  oder   hatte   vergessen
einzuheizen.
     Kalte Asche lag im Ofen.
     Staub auf den MÃbeln.
     Der Fuñboden nicht gekehrt.
     FrÃstelnd ging ich auf und ab.
     WiderwÄrtiger  Geruch  nach  ausgeatmetem  Fusel lag  im  Zimmer.  Mein
Mantel, meine Kleider stanken nach altem Tabakrauch.
     Ich  riñ  das Fenster  auf,  schloñ es wieder: - der kalte,  schmutzige
Hauch von der Strañe war unertrÄglich.
     Spatzen  mit durchnÄñtem  Gefieder hockten regungslos  drauñen auf  den
Dachrinnen.
     Wohin  ich  blickte,  miñfarbene  Verdrossenheit.  Alles  in   mir  war
zerrissen, zerfetzt.
     Das  Sitzpolster  auf  dem Lehnstuhl  -  wie fadenscheinig  es war! Die
Roñhaare quollen hervor aus den RÄndern.
     Man muñte es zum Tapezierer schicken  - - ach was, sollte es so bleiben
- noch ein Ãdes Menschenleben hindurch, bis alles zu Gerumpel zerfiel!
     Und   dort,  welch   geschmackloser,   zweckwidriger   Plunder,   diese
Zwirnlappen an den Fenstern!
     Warum drehte ich sie nicht zu einem Strick und erhenkte mich daran?!
     Dann brauchte ich diese augenverletzenden Dinge wenigstens  nie mehr zu
sehen,  und  der  ganze graue,  zermØrbende Jammer  war  vorØber -  ein  fØr
allemal.
     Ja! Das war das gescheiteste! Ein Ende machen.
     Heute noch.
     Jetzt  noch  -  vormittags.  Gar nicht erst  zum  Essen  gehen.  -  Ein
ekelhafter Gedanke,  mit vollem Magen sich  aus der Welt zu schaffen! In der
nassen Erde liegen und unverdaute, verfaulende Speisen in sich zu haben.
     Wenn nur nie wieder die Sonne scheinen wollte und ihre freche LØge  von
der Freude des Daseins einem ins Herz funkeln.
     Nein!  ich  lieñ  mich  nicht  mehr  narren,  wollte nicht  lÄnger  der
Spielball sein eines  tÄppischen,  zwecklosen Schicksals, das  mich emporhob
und dann wieder  in PfØtzen stieñ, bloñ damit ich die VergÄnglichkeit  alles
Irdischen einsehen sollte, etwas, was ich lÄngst wuñte, was jedes Kind weiñ,
jeder Hund auf der Strañe weiñ.
     Arme, arme Mirjam! Wenn ich ihr wenigstens helfen kÃnnte.
     Es  hieñ,  einen  Entschluñ  fassen,   einen  ernsten,  unabÄnderlichen
Beschluñ, bevor der  verfluchte  Trieb  zum  Dasein  wieder  in mir erwachen
konnte und mir neue Trugbilder vorgaukeln.
     Wozu hatten sie mir denn  gedient: alle diese Botschaften aus dem Reich
des Unverweslichen?
     Zu nichts, zu gar, gar nichts.
     Nur dazu  vielleicht, dañ ich im Kreis herumgetaumelt war und jetzt die
Erde als unmÃgliche Qual empfand.
     Da gab es nur noch eins.
     Ich rechnete  im Kopf zusammen, wieviel Geld  ich auf  der  Bank liegen
hatte.
     Ja,  nur  so ging es. Das war noch das Einzige, Winzige, was von meinen
nichtigen Taten im Leben irgendeinen Wert haben konnte!
     Alles, was ich  besañ - die  paar Edelsteine in  der  Schublade dazu, -
zusammenschnØren  in ein  Paket  und  es  Mirjam  schicken.  Ein  paar Jahre
wenigstens wØrde es die Sorge ums tÄgliche Leben von  ihr  nehmen. Und einen
Brief an Hillel schreiben, in dem ich ihm sagte, wie es um sie stand mit dem
"Wunder".
     Er allein konnte ihr helfen.
     Ich fØhlte: ja, er wØrde Rat wissen fØr sie.
     Ich suchte die  Steine zusammen, steckte sie ein, sah auf die Uhr: wenn
ich  jetzt  auf  die Bank ging - in  einer Stunde  konnte  alles in  Ordnung
gebracht sein.
     Und dann noch  einen Strauñ roter Rosen kaufen fØr Angelina! - - - - es
schrie auf in mir vor  Weh und wilder Sehnsucht. - Nur noch einen Tag, einen
einzigen Tag mÃchte ich leben!
     Um dann abermals dieselbe wØrgende Verzweiflung mitmachen zu mØssen?
     Nein, nicht eine einzige Minute  mehr warten!  Es  kam wie Befriedigung
Øber mich, dañ ich mir nicht nachgegeben hatte.
     Ich blickte umher. Blieb mir noch etwas zu tun?
     Richtig: die Feile  dort. Ich  steckte sie in die  Tasche, - wollte sie
fortwerfen irgendwo auf der Gasse, wie ich es mir neulich schon vorgenommen.
     Ich  hañte die Feile! Wieviel  hatte gefehlt, und  ich wÄre zum  MÃrder
geworden durch sie.
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     Wer kam mich denn da wieder stÃren?
     Es war der TrÃdler.
     "Nur en Augenblick, Herr  von Pernath", bat er fassungslos, als ich ihm
bedeutete, dañ ich keine Zeit hÄtte. "Nur en ganz en kurzen Augenblick.  Nur
Ä paar Worte."
     Der Schweiñ lief ihm Øbers Gesicht, und er zitterte vor Aufregung.
     "Kann man hier auch ungestÃrt mit Ihnen sprechen, Herr von Pernath? Ich
mÃcht'  nicht, dañ  der  -  der Hillel wieder hereinkommt.  Sperren Sie doch
lieber die TØr  ab, oder geh'mer besser ins Nebenzimmer", - er  zog mich  in
seiner gewohnten, heftigen Art hinter sich drein.
     Dann sah er sich ein paarmal scheu um und flØsterte heiser:
     "Ich  hab mir's  Øberlegt, wissen  Sie, - das von neilich. Es is besser
so. Es kommt nix hereaus dabei. Gut. VorØber is vorØber."
     Ich suchte in seinen Augen zu lesen.
     Er  hielt meinen Blick aus, krampfte aber die Hand  in die  Stuhllehne,
solche Anstrengung kostete es ihn.
     "Das freut mich, Herr Wassertrum," sagte ich, so freundlich ich konnte,
"das  Leben ist  zu  trØb,  als  dañ man es sich gegenseitig  noch  mit  Hañ
verbittern sollte."
     "Rein,  als  ob  man  ein  gedrØcktes  Buch  reden  hÃrt,"  grunzte  er
erleichtert, wØhlte in  seinen  Hosentaschen und zog wieder die  goldene Uhr
mit den  verbogenen Sprungdeckeln hervor,  "und damit Sie  sehen, ich mein's
ehrlich, mØssen Sie die Kleinigkeit da von mir annehmen. Als Geschenk."
     "Was fÄllt Ihnen denn ein,"  wehrte ich ab, "Sie werden doch wohl nicht
glauben  -", da fiel  mir  ein, was Mirjam Øber ihn gesagt  hatte,  und  ich
streckte ihm die Hand hin, um ihn nicht zu krÄnken.
     Er achtete  nicht darauf,  wurde plÃtzlich weiñ wie die Wand,  lauschte
und rÃchelte:
     "Da! Da! Hab' ich's doch gewuñt. Schon wieder der Hillel! Er klopft."
     Ich horchte, ging ins andere Zimmer zurØck und zog zu seiner Beruhigung
die VerbindungstØr hinter mir halb zu.
     Es war  diesmal  nicht  Hillel. Charousek  trat  ein,  legte,  wie  zum
Zeichen,  dañ  er  wisse, wer nebenan sei,  den  Finger  an die  Lippen  und
ØberschØttete  mich in der  nÄchsten Sekunde und ohne  abzuwarten,  was  ich
sagen wØrde, mit einem Schwall von Worten:
     "Oh, mein hochverehrter, liebwerter Meister  Pernath, wie  soll ich nur
die Worte finden, Ihnen  meine Freude auszudrØcken, dañ  ich Sie allein  und
wohlauf zu Hause antreffe." - - -  Er sprach wie ein Schauspieler, und seine
schwØlstige, unnatØrliche Redeweise  stand in so krassem Gegensatz zu seinem
verzerrten Gesicht, dañ ich ein tiefes Grauen vor ihm empfand.
     "Niemals hÄtte  ich,  Meister, es gewagt, in dem zerlumpten Zustande zu
Ihnen zu  kommen, in  dem Sie  mich gewiñ schon des  Ãfteren auf der  Strañe
erblickt  haben,  -  doch, was sage  ich: erblickt! haben  Sie mir doch  oft
huldreich die Hand gereicht.
     Dañ ich heute vor Sie hintreten kann mit weiñem Kragen und  in sauberem
Anzug,  - wissen Sie, wem  ich es verdanke? Einem der edelsten und  leider -
ach - meist verkannten Menschen unserer Stadt. RØhrung Øbermannt  mich, wenn
ich seiner gedenke.
     Selber in bescheidenen VerhÄltnissen, hat er  dennoch eine offene  Hand
fØr Arme und  BedØrftige.  Von jeher, wenn ich ihn traurig vor seinem  Laden
stehen sah, trieb  es mich aus tiefstem Herzen heraus, zu  ihm zu treten und
ihm stumm die Hand zu drØcken.
     Vor  einigen Tagen rief er mich an,  als  ich vorØberging, schenkte mir
Geld und versetzte  mich dadurch in die Lage, mir  gegen Ratenzahlung  einen
Anzug kaufen zu kÃnnen.
     Und wissen Sie, Meister Pernath, wer mein WohltÄter war? -
     Mit Stolz  sage ich es, denn  ich war von jeher der einzige, der geahnt
hat,  welch  goldenes  Herz  in seinem  Busen schlÄgt: Es  war - Herr  Aaron
Wassertrum!" - -
     -  -  Ich verstand  natØrlich,  dañ  Charousek seine  KomÃdie  auf  den
TrÃdler,  der nebenan lauschte, gemØnzt hatte,  wenn mir auch unklar  blieb,
was er damit bezweckte; keinesfalls schien mir die allzuplumpe  Schmeichelei
geeignet, den miñtrauischen Wassertrum  hinters Licht  zu fØhren.  Charousek
erriet offenbar aus meiner  bedenklichen Miene, was  ich dachte,  schØttelte
grinsend den Kopf, und auch seine nÄchsten Worte sollten mir  wahrscheinlich
sagen,  dañ er seinen  Mann  genau kenne und wisse,  wie dick  er  auftragen
dØrfe.
     "Jawohl! Herr - Aaron - Wassertrum! Es drØckt mir fast das Herz ab, dañ
ich ihm nicht selbst  sagen  kann,  wie  unendlich  dankbar ich ihm bin, und
beschwÃre Sie, Meister, verraten Sie ihm niemals, dañ ich hier war und Ihnen
alles  erzÄhlt  habe.  -  Ich weiñ,  die Selbstsucht der  Menschen  hat  ihn
verbittert  und tiefes, unheilbares  -  ach, leider  nur zu gerechtfertigtes
Miñtrauen in seine Brust gepflanzt.
     Ich bin Seelenarzt,  aber auch mein GefØhl sagt mir, es  ist am besten:
Herr Wassertrum erfÄhrt nie - auch aus meinem Munde nicht - wie hoch ich von
ihm denke. - Es hieñe das:  Zweifel in sein unglØckliches Herz sÄen. Und das
sei ferne von mir. Lieber soll er mich fØr undankbar halten.
     Meister  Pernath!  Ich  bin  selbst  ein  UnglØcklicher  und  weiñ  von
Kindesbeinen an,  was es heiñt, einsam und verlassen in der Welt zu  stehen!
Ich kenne nicht einmal den  Namen  meines Vaters.  Auch mein MØtterlein habe
ich niemals von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sie muñ frØhzeitig gestorben
sein -"  Charouseks Stimme wurde  seltsam geheimnisvoll und eindringlich,  -
"und  war,  wie  ich  bestimmt glaube,  eine  jener tiefseelisch  angelegten
Naturen, die nie sagen kÃnnen,  wie unendlich sie lieben, und zu denen  auch
Herr Aaron Wassertrum gehÃrt.
     Ich besitze eine abgerissene Seite aus dem Tagebuch meiner Mutter - ich
trage das Blatt bestÄndig auf  der Brust -  und  darin steht, dañ sie meinen
Vater, obschon er hÄñlich gewesen sein soll, geliebt hat, wie wohl noch  nie
ein sterbliches Weib auf Erden einen Mann geliebt hat.
     Dennoch scheint sie es nie gesagt  zu haben. - Vielleicht aus Ähnlichen
GrØnden, weshalb ich z.  B. Herrn Wassertrum  nicht sagen kÃnnte -  und wenn
mir das Herz darØber brÄche - was ich fØr ihn an Dankbarkeit fØhle.
     Aber noch eins geht aus dem Tagebuchblatt hervor,  wenn ich es auch nur
erraten  kann, denn die SÄtze  sind  fast unleserlich vor TrÄnenspuren: mein
Vater  - sein  Andenken  mÃge  vergehen  im  Himmel  und  auf  Erden! -  muñ
scheuñlich an meiner Mutter gehandelt haben."
     - Charousek fiel  plÃtzlich  auf die Knie, dañ  der Boden  drÃhnte, und
schrie in so markerschØtternden TÃnen, dañ ich nicht wuñte, spielte  er noch
immer KomÃdie oder war er wahnsinnig geworden:
     "Du AllmÄchtiger,  dessen Namen der Mensch nicht aussprechen soll, hier
auf meinen Knien liege ich vor Dir: verflucht, verflucht, verflucht sei mein
Vater in alle Ewigkeit!"
     Er  biñ das letzte Wort fÃrmlich entzwei  und horchte eine Sekunde lang
mit aufgerissenen Augen.
     Dann feixte er wie der Satan. Auch mir schien  es, als hÄtte Wassertrum
nebenan leise gestÃhnt.
     "Verzeihen Sie, Meister," fuhr Charousek nach einer Pause mit mimenhaft
erstickter Stimme fort, "verzeihen Sie, dañ  es mich  Øbermannt hat, aber es
ist  mein  Gebet  frØh  und spÄt, der AllmÄchtige wolle  es  fØgen, dañ mein
Vater, wer immer er auch sein mÃge, dereinst das grÄñlichste Ende nehme, das
sich ausdenken lÄñt."
     Ich wollte unwillkØrlich  etwas erwidern,  allein  Charousek unterbrach
mich rasch:
     "Doch jetzt,  Meister Pernath, komme  ich zu  der Bitte, die  ich Ihnen
vorzutragen habe:
     Herr Wassertrum  besañ einen SchØtzling, den er Øber die Mañen ins Herz
geschlossen  hatte, - es  dØrfte  ein Neffe von  ihm gewesen sein. Es  heiñt
sogar, es sei sein Sohn gewesen,  aber ich will es nicht glauben, denn sonst
hÄtte  er  doch  denselben  Namen  getragen, in  Wirklichkeit  aber hieñ er:
Wassory, Dr. Theodor Wassory.
     Die  TrÄnen treten mir in  die  Augen, wenn  ich ihn im Geiste vor  mir
sehe. Ich war ihm aus ganzer Seele zugetan, als hÄtte mich ein unmittelbares
Band der Liebe und Verwandtschaft mit ihm verknØpft."
     Charousek   schluchzte,   als   kÃnne   er   vor   Ergriffenheit   kaum
weitersprechen.
     "Ach, dañ dieser Edeling von der Erde gehen muñte! - Ach! Ach!
     Was auch  der Grund gewesen sein mag, - ich habe ihn nie erfahren, - er
hat sich selbst den  Tod gegeben.  Und ich  war unter denen,  die  zu  Hilfe
gerufen wurden - - ach, ach, zu spÄt - zu  spÄt - zu spÄt! Und als ich  dann
allein  am  Totenlager  stand  und  seine  kalte,  bleiche Hand  mit  KØssen
bedeckte,  da -  warum soll ich  es nicht eingestehen, Meister Pernath? - es
war ja doch kein Diebstahl - da nahm ich eine Rose von der  Brust der Leiche
und eignete mir das FlÄschchen an, mit dessen Inhalt der UnglØckliche seinem
blØhenden Leben ein schnelles Ende bereitet hatte."
     Charousek zog eine Medizinflasche hervor und fuhr bebend fort:
     "Beides lege  ich hier auf  Ihren  Tisch,  die verdorrte  Rose und  die
Phiole; sie waren mir ein Andenken an meinen dahingegangenen Freund.
     Wie  oft  in  Stunden  innerer Verlassenheit,  wenn  ich  mir  den  Tod
herbeiwØnschte  in  der Einsamkeit  meines  Herzens und  der  Sehnsucht nach
meiner toten Mutter, spielte ich mit diesem FlÄschchen, und es gab mir einen
seligen Trost, zu  wissen:  ich brauchte nur die FlØssigkeit auf ein Tuch zu
gieñen und  einzuatmen und schwebte schmerzlos  hinØber in  die Gefilde,  wo
mein lieber, guter Theodor ausruht von den MØhsalen unseres Jammertales.
     Und  nun  bitte ich Sie, hochverehrter Meister, - und  deswegen bin ich
hergekommen - nehmen Sie beides und bringen Sie es Herrn Wassertrum.
     Sagen  Sie,  Sie  hÄtten  es  von  jemandem bekommen,  dem Dr.  Wassory
nahestand,  dessen  Namen  Sie  jedoch  gelobt  hÄtten,  nie  zu  nennen,  -
vielleicht von einer Dame.
     Er  wird es glauben,  und  es wird  ihm ein Andenken sein,  wie es  ein
teures Andenken fØr mich war.
     Das soll der heimliche Dank sein, den ich ihm gebe. Ich bin arm  und es
ist  alles, was ich habe,  aber es macht mich  froh,  zu wissen: beides wird
jetzt ihm gehÃren, und dennoch ahnt er nicht, dañ ich der Geber bin.
     Es liegt darin zugleich auch fØr mich etwas unendlich SØñes.
     Und  jetzt leben  Sie  wohl, teurer Meister, und  seien  Sie  im voraus
vieltausendmal bedankt."
     Er hielt  meine  Hand fest,  zwinkerte und flØsterte mir, als  ich noch
immer nicht verstand, kaum hÃrbar etwas zu.
     "Warten  Sie,   Herr   Charousek,   ich   werde   Sie   ein   StØckchen
hinunterbegleiten", sagte ich  mechanisch die Worte nach, die ich von seinen
Lippen las, und ging mit ihm hinaus.
     Auf dem finsteren Treppenabsatz im ersten Stock blieben wir stehen, und
ich wollte mich von Charousek verabschieden.
     "Ich kann mir denken, was Sie mit der KomÃdie bezweckt haben. - - Sie -
Sie wollen,  dañ sich Wassertrum mit dem FlÄschchen vergiftet!" Ich sagte es
ihm ins Gesicht.
     "Freilich", gab Charousek aufgerÄumt zu.
     "Und dazu, glauben Sie, werde ich meine Hand bieten?"
     "Durchaus nicht nÃtig."
     "Aber ich  sollte  Wassertrum doch  die  Flasche  bringen,  sagten  Sie
vorhin!"
     Charousek schØttelte den Kopf:
     "Wenn  Sie  jetzt  zurØckgehen, werden Sie  sehen,  dañ  er sie bereits
eingesteckt hat."
     "Wie kÃnnen Sie das nur annehmen?",  fragte ich  erstaunt. "Ein  Mensch
wie Wassertrum  wird sich  niemals umbringen,  -  ist viel  zu  feig  dazu -
handelt nie nach plÃtzlichen Impulsen."
     "Da kennen Sie das schleichende Gift der  Suggestion nicht", unterbrach
mich Charousek ernst. "HÄtte ich in alltÄglichen Worten geredet,  wØrden Sie
vielleicht recht behalten, aber auch den kleinsten Tonfall habe  ich  vorher
berechnet. Nur das widerlichste Pathos wirkt auf solche HundsfÃtter! Glauben
Sie mir! Sein Mienenspiel bei jedem meiner SÄtze hÄtte ich Ihnen hinzeichnen
kÃnnen.  - Kein ›Kitsch‹ wie  es die Maler nennen, ist niedertrÄchtig genug,
als dañ er nicht der bis  ins Mark  verlogenen Menge TrÄnen  entlockte - sie
ins Herz trifft! Glauben Sie denn, man hÄtte nicht lÄngst  sÄmtliche Theater
mit   Feuer  und  Schwert   ausgetilgt,   wenn   es  anders  wÄre?  An   der
SentimentalitÄt  erkennt  man  die  Kanaille.  Tausende  armer Teufel kÃnnen
verhungern, da wird nicht geweint, aber wenn ein Schminkkamel auf der Buhne,
als Bauerntrampel  verkleidet, die Augen verdreht,  dann heulen  sie wie die
Schloñhunde. - -  Wenn VÄterchen Wassertrum vielleicht auch morgen vergessen
hat,  was ihm soeben  noch  - Herzjauche kostete:  jedes meiner  Worte  wird
wieder  in ihm  lebendig werden, wenn die Stunden  reifen, wo er sich selbst
unendlich bedauernswert vorkommt. - In solchen Momenten des groñen Misereres
bedarf es bloñ eines leisen Anstoñes, -  und fØr den werde  ich sorgen - und
selbst  die feigste Pfote  greift nach dem Gift. Es  muñ nur zur Hand  sein!
Theodorchen hÄtte wahrscheinlich auch nicht zugegrapst, wenn ich's ihm nicht
so bequem gemacht hÄtte."
     "Charousek,  Sie  sind ein  furchtbarer  Mensch",  rief  ich  entsetzt.
"Empfinden Sie denn gar kein - - -"
     Er hielt mir schnell den Mund zu und drÄngte mich in eine Mauernische!
     "Still! Da ist er!"
     Mit taumelnden Schritten, sich an der Wand stØtzend, kam Wassertrum die
Stiege herunter und wankte an uns vorØber.
     Charousek schØttelte mir fluchtig die Hand und schlich ihm nach. - -
     Als ich in mein Zimmer zurØckgekehrt war, sah ich, dañ die Rose und das
FlÄschchen verschwunden waren und an ihrer Stelle die goldene, zerbeulte Uhr
des TrÃdlers auf dem Tisch lag.
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     "Acht Tage mØsse ich warten, ehe  ich mein Geld bekommen  kÃnne; es sei
das die Øbliche KØndigungsfrist", hatte man mir auf der Bank gesagt.
     Man solle den Direktor holen, denn ich sei in grÃñter Eile und gedÄchte
in einer Stunde abzureisen, hatte ich eine Ausrede gebraucht.
     Er sei nicht zu sprechen und kÃnne an den Gepflogenheiten der Bank auch
nichts  Ändern,  hieñ es, und ein  Kerl mit einem Glasauge, der zugleich mit
mir an den Schalter getreten war, hatte darØber gelacht.
     Acht graue, furchtbare Tage auf den Tod sollte ich also warten!
     Wie ein Zeitraum ohne Ende kam es mir vor. - - -
     Ich  war so niedergeschlagen, dañ ich mir gar  nicht bewuñt wurde,  wie
lange ich schon  vor der  TØre eines Kaffeehauses auf und nieder geschritten
sein mochte.
     Endlich trat ich ein, bloñ  um  den widerwÄrtigen Kerl mit dem Glasauge
los zu werden,  der mir von der Bank her nachgekommen war und sich immer  in
meiner  NÄhe  hielt  und,  wenn  ich  ihn  anblickte, sofort auf  dem  Boden
herumsuchte, als habe er etwas verloren.
     Er  hatte  einen  hellkarierten,  viel zu engen Rock  an und  schwarze,
speckglÄnzende  Hosen, die  ihm  wie  SÄcke um  die  Beine schlotterten. Auf
seinem linken Stiefel war ein  eifÃrmiger, gewÃlbter Lederfleck aufgesteppt,
dañ es aussah, als trØge er darunter einen Siegelring auf der Zehe.
     Kaum hatte ich mich niedergesetzt, kam auch  er herein und lieñ sich an
einem Nebentisch nieder.
     Ich glaubte,  er wolle mich  anbetteln, und  suchte  schon  nach meinem
Portemonnai,  da  sah  ich  einen  groñen  Brillanten  an  seinen  wulstigen
Metzgerfingern aufblitzen.
     Stunden und Stunden sañ ich in  dem Kaffeehaus und glaubte vor  innerer
NervositÄt wahnsinnig werden zu mØssen,  - aber wohin sollte ich gehen? Nach
Hause? Herumschlendern? Eines schien mir grÄñlicher als das andere.
     Die veratmete  Luft, das ewige,  alberne Klappen der Billardkugeln, das
trockene,  unaufhÃrliche  Gerausper  eines  halbblinden  Zeitungstigers  mir
gegenØber, ein storchbeiniger Infanteneleutnant, der abwechselnd in der Nase
bohrte oder sich mit gelben Zigarettenfingern  vor einem  Taschenspiegel den
Schnurrbart kÄmmte, ein braunsammetenes Gebrodel ekelhafter,  verschwitzter,
schnatternder  Italiener  um  den  Kartentisch in der Ecke,  die  bald unter
gellem Gekreisch  ihre Trumpfe mit dem Faustknochel hinschlugen, bald  unter
Brecherscheinungen ins Zimmer  spuckten. Und  das alles in den  Wandspiegeln
doppelt und  dreifach sehen zu mØssen! Es sog mir  langsam das Blut aus  den
Adern. -
     Es wurde  allmÄhlich dunkel  und ein plattfuñiger, knieweicher  Kellner
tastete mit einer Stange nach den GaslØstern, um sich endlich kopfschØttelnd
zu Øberzeugen, dañ sie nicht brennen wollten.
     So oft  ich das Gesicht wandte,  immer  begegnete  ich  dem schielenden
Wolfsblick des GlasÄugigen, der sich dann jedesmal rasch hinter eine Zeitung
versteckte oder seinen schmutzigen Schnurrbart  in die langst  ausgetrunkene
Kaffeetasse tauchte.
     Er hatte seinen steifen, runden Hut tief aufgestØlpt, dañ ihm die Ohren
fast waagerecht abstanden, machte aber keine Miene, aufzubrechen.
     Es war nicht mehr auszuhalten.
     Ich zahlte und ging.
     Als ich die GlastØr hinter mir  zumachen  wollte, nahm mir  jemand  die
Klinke aus der Hand - Ich drehte mich um:
     Wieder der Kerl!
     ärgerlich wollte  ich nach links biegen, in der Richtung der Judenstadt
zu, da drÄngte er sich an meine Seite und hinderte mich daran.
     "Da hÃrt denn doch alles auf!" schrie ich ihn an.
     "Nach rechts geht's," sagte er kurz.
     "Was soll das heiñen?"
     Er fixierte mich frech:
     "Sie sind der Pernath!"
     "Sie wollen wahrscheinlich sagen: Herr Pernath?"
     Er lachte nur hÄmisch:
     "Alsdann keine Faxen jetz! Sie gah'n Sie mit!"
     "Ja, sind Sie toll? Wer sind Sie eigentlich?", fuhr ich auf.
     Er gab keine Antwort, schlug seinen Rock zurØck  und zeigte  vorsichtig
auf einen abgeschabten Blechadler, der im Futter festgesteckt war.
     Ich begriff: der Falott war Geheimpolizist und verhaftete mich.
     "So sagen Sie doch, um Himmels willen, was ist denn los?"
     "Sie werden sich's  schonn erfahrrÄhn. Auf  dem DÄpartemÄnt", erwiderte
er grob. "Alla marsch jetz!"
     Ich schlug ihm vor, ich wollte einen Wagen nehmen.
     "Nix da!"
     Wir gingen zur Polizei.
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     Ein Gendarm fØhrte mich vor eine TØr.
     ALOIS OTSCHIN
     Polizeirat
     las ich auf der Porzellantafel.
     "Sie kÄnnen sich eintrÄtten", sagte der Gendarm.
     Zwei schmierige Schreibtische mit meterhohen AufsÄtzen standen einander
gegenØber.
     Ein paar verkraxte StØhle dazwischen.
     Das Bild des Kaisers an der Wand.
     Ein Glas mit Goldfischen auf dem Fensterbrett.
     Sonst nichts im Zimmer.
     Ein Klumpfuñ und daneben ein  dicker Filzschuh unter zerfransten grauen
Hosen hinter dem linken Schreibpult.
     Ich  hÃrte  rascheln.  Jemand  murmelte  ein paar Worte  in  bÃhmischer
Sprache  und  gleich darauf  tauchte  der  Herr Polizeirat aus  dem  rechten
Schreibtisch auf und trat vor mich hin.
     Er war ein  kleiner Mann mit grauem Spitzbart  und hatte die sonderbare
Manier, bevor er anfing zu reden, die ZÄhne  zu fletschen wie jemand, der in
grelles Sonnenlicht schaut.
     Dabei kniff er  die  Augen hinter den Brillenglasern  zusammen, was ihm
den Ausdruck furchterregender Niedertracht verlieh.
     "Sie heiñen  Athanasius Pernath  und sind"  - er blickte auf  ein Blatt
Papier, auf dem nichts stand - "Gemmenschneider."
     Sofort  kam Leben in den Klumpfuñ unter dem  anderen  Schreibtisch:  er
wetzte sich an dem Stuhlbein, und ich hÃrte das Rauschen einer Schreibfeder.
     Ich bejahte:
     "Pernath. Gemmenschneider."
     "No, da  sin  wir ja  gleich beisammen, Herr  - -  -  Pernath, - jawohl
Pernath. Ja  wohl  ja."  -  Der  Herr Polizeirat war  mit  einem Schlag  von
erstaunlicher LiebenswØrdigkeit,  als  hÄtte er die erfreulichste  Nachricht
von der Welt bekommen, streckte mir beide HÄnde entgegen und bemØhte sich in
lÄcherlicher Weise, die Miene eines Biedermannes aufzusetzen.
     "Also, Herr Pernath,  erzÄhlen Sie mir einmal,  was treiben Sie so  den
ganzen Tag?"
     "Ich glaube,  dañ Sie das nichts angeht, Herr  Otschin", antwortete ich
kalt.
     Er kniff die Augen zusammen, wartete einen Moment und fuhr blitzschnell
los:
     "Seit wann hat die GrÄfin ihr VerhÄltnis mit dem Savioli?"
     Ich war auf  etwas ähnliches gefañt gewesen  und zuckte  nicht  mit der
Wimper.
     Er suchte mich geschickt durch Kreuz- und Querfragen in WidersprØche zu
verwickeln, aber, so sehr mir auch vor Entsetzen das Herz  im  Halse schlug,
ich verriet mich nicht und kam immer wieder darauf zurØck, dañ ich den Namen
Savioli nie gehÃrt  hÄtte, mit Angelina von meinem Vater her befreundet sei,
und dañ sie schon Ãfter Kameen bei mir bestellt habe.
     Ich fØhlte trotzdem  genau,  dañ der Polizeirat mir ansah, wie  ich ihn
belog,  und  innerlich  schÄumte vor Wut, nichts  aus mir  herausbekommen zu
kÃnnen.
     Er dachte eine  Weile nach, dann zog er  mich am  Rock dicht  an  sich,
deutete warnend mit dem Daumen auf den linken Schreibtisch und flØsterte mir
ins Ohr:
     "Athanasius! Ihr  seliger  Vater war mein bester  Freund. Ich  will Sie
retten, Athanasius! Aber Sie mØssen mir alles sagen Øber die GrÄfin. - HÃren
Sie: alles."
     Ich begriff nicht, was das  bedeuten sollte. "Was meinen Sie damit: Sie
wollen mich retten?", fragte ich laut.
     Der Klumpfuñ  stampfte Ärgerlich  auf den  Boden.  Der Polizeirat wurde
aschgrau im Gesicht vor Hañ. Zog die Lippe empor. Wartete.  - Ich wuñte, dañ
er gleich wieder losspringen wØrde;  (sein VerblØffungssystem erinnerte mich
an  Wassertrum)  und wartete  ebenfalls,  - sah,  dañ ein  Bocksgesicht, der
Inhaber des Klumpfuñes, lauernd hinter dem Schreibpulte  auftauchte - - dann
schrie mich der Polizeirat plÃtzlich gellend an:
     "MÃrder".
     Ich war sprachlos vor VerblØffung.
     Miñmutig zog sich das Bocksgesicht wieder hinter sein Pult zurØck.
     Auch der  Herr Polizeirat  schien ziemlich  betreten  Øber  meine Ruhe,
versteckte es  aber  geschickt,  indem  er einen Stuhl  herbeizog  und  mich
aufforderte, Platz zu nehmen.
     "Sie verweigern also, Øber  die GrÄfin die von  mir gewØnschte Auskunft
zu geben, Herr Pernath?"
     "Ich kann sie nicht geben,  Herr Polizeirat,  wenigstens nicht  in  dem
Sinne, wie Sie erwarten. Erstens kenne  ich niemand namens Savioli, und dann
bin ich felsenfest Øberzeugt,  dañ  es  eine Verleumdung ist,  wenn man  der
GrÄfin nachsagt, sie hintergehe ihren Gatten."
     "Sind Sie bereit, das zu beeiden?"
     Mir stockte der Atem. "Ja! Jederzeit."
     "Gut. Hm."
     Eine  lÄngere  Pause  entstand,   wÄhrend  der  Polizeirat  angestrengt
nachzugrØbeln schien.
     Als  er  mich  wieder  anblickte, lag  ein  komÃdiantenhafter  Zug  von
Schmerzlichkeit  in  seiner  Fratze. UnwillkØrlich  muñte  ich  an Charousek
denken, wie er dann mit trÄnenerstickter Stimme anfing:
     "Mir kÃnnen Sie  es doch  sagen,  Athanasius, - mir, dem  alten  Freund
Ihres Vaters -  mir,  der Sie auf den  Armen getragen  hat -" ich konnte das
Lachen kaum verbeiñen:  er war hÃchstens zehn Jahre  Älter als ich -  "nicht
wahr, Athanasius, es war Notwehr?"
     Das Bocksgesicht erschien abermals.
     "Was war Notwehr?", fragte ich verstÄndnislos.
     "Das mit dem - - - Zottmann!" schrie mir der Polizeirat einen Namen ins
Gesicht.
     Das Wort traf mich wie ein Dolchstich: Zottmann! Zottmann! Die Uhr! Der
Name Zottmann stand doch in der Uhr eingraviert.
     Ich fØhlte,  wie  mir alles Blut  zum Herzen  strÃmte:  Der grauenhafte
Wassertrum hatte mir die Uhr gegeben, um den Verdacht des Mordes auf mich zu
lenken.
     Sofort warf der Polizeirat die Maske ab, fletschte  die ZÄhne und kniff
die Augen zusammen:
     "Sie gestehen also den Mord ein, Pernath?"
     "Das ist alles ein Irrtum.  Ein entsetzlicher Irrtum.  Um Gottes willen
hÃren Sie mich an. Ich kann es Ihnen erklÄren, Herr Polizeirat - -!", schrie
ich.
     "Werden Sie mir jetzt alles  mitteilen  in bezug  auf die Frau GrÄfin",
unterbrach  er  mich rasch: "ich mache Sie aufmerksam: Sie  verbessern  Ihre
Lage damit."
     "Ich  kann nicht  mehr sagen, als bereits geschehen ist: die GrÄfin ist
unschuldig."
     Er biñ die ZÄhne zusammen und wandte sich an das Bocksgesicht:
     "Schreiben   Sie:  -   Also,   Pernath   gesteht   den   Mord  an   dem
Versicherungsbeamten Karl Zottmann ein."
     Mich packte eine besinnungslose Wut.
     "Sie Polizeikanaille!" brØllte ich los, "was unterstehen Sie sich?!"
     Ich suchte nach einem schweren Gegenstand.
     Im  nÄchsten  Augenblick  hatten mich  zwei Schutzleute gepackt und mir
Handschellen angelegt.
     Der Polizeirat blÄhte sich jetzt wie der Hahn auf dem Mist:
     "Und die Uhr da?", - er hielt plÃtzlich die  verbeulte Uhr in der Hand,
- "hat  der  unglØckliche Zottmann noch gelebt, als Sie  ihn beraubten, oder
nicht?"
     Ich  war  wieder  ganz ruhig geworden  und gab  mit  klarer  Stimme  zu
Protokoll: "Die Uhr hat  mir  heute vormittag der TrÃdler Aaron Wassertrum -
geschenkt."
     Ein  wieherndes GelÄchter brach los,  und ich sah, wie der Klumpfuñ und
der  Filzpantoffel  mitsammen  einen  Freudentanz  unter  dem   Schreibtisch
auffØhrten.

     Die  HÄnde  gefesselt,   hinter  mir  ein  Gendarm  mit  aufgepflanztem
Bajonett, muñte ich durch die abendlich beleuchteten Strañen gehen.
     Gassenjungen  zogen in Scharen  johlend  links und  rechts  mit, Weiber
rissen die  Fenster auf, drohten  mit  KochlÃffeln  herunter  und schimpften
hinter mir drein.
     Schon von weitem sah ich  den massigen SteinwØrfel des GerichtsgebÄudes
mit der Inschrift auf dem Giebel herannahen:
     "Die strafende Gerechtigkeit ist die Beschirmung aller Braven."
     Dann nahm mich ein riesiges Tor auf und ein Flurzimmer, in  dem es nach
KØche stank.
     Ein vollbÄrtiger Mann mit SÄbel, Beamtenrock und -mØtze, barfuñ und die
Beine  in langen, um die KnÃchel zusammengebundenen  Unterhosen,  stand auf,
stellte  die  KaffeemØhle,  die er zwischen den Knien hielt, weg  und befahl
mir, mich auszuziehen.
     Dann visitierte er meine Taschen, nahm alles heraus, was er darin fand,
und fragte mich, ob ich - Wanzen hÄtte.
     Als  ich verneinte, zog er mir die Ringe von den Fingern und sagte,  es
sei gut, ich kÃnnte mich wieder ankleiden.
     Man  fØhrte mich  mehrere Stockwerke  hinauf und durch  GÄnge, in denen
vereinzelt  groñe,  graue,  verschlieñbare   Kisten  in  den  Fensternischen
standen.
     Eiserne TØren mit Riegelstangen und kleinen, vergitterten Ausschnitten,
Øber jedem eine  Gasflamme,  zogen  sich in  ununterbrochener Reihe die Wand
entlang.
     Ein  hØnenhafter, soldatisch  aussehender GefangenwÄrter  -  das  erste
ehrliche Gesicht  seit  Stunden - sperrte eine der TØren auf, schob  mich in
eine dunkle, schrankartige, pestilenzialisch stinkende  ãffnung  und  schloñ
hinter mir ab.
     Ich stand in vollkommener Finsternis und tappte mich zurecht.
     Mein Knie stieñ an einen BlechkØbel.
     Endlich erwischte ich - der Raum war so eng, dañ ich mich kaum umdrehen
konnte - eine Klinke, und stand in - einer Zelle.
     Je zwei und zwei Pritschen mit StrohsÄcken an den Mauern.
     Der Durchgang dazwischen nur einen Schritt breit.
     Ein  Quadratmeter Gitterfenster hoch  oben  in der  Querwand  lieñ  den
matten Schein des Nachthimmels herein.
     UnertrÄgliche Hitze, vom Geruch alter Kleider verpestete  Luft erfØllte
den Raum.
     Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewÃhnt hatten, sah ich, dañ auf
drei  der  Pritschen  -  die   vierte  war   leer  -  Menschen   in   grauen
StrÄflingskleidern  sañen; die  Arme auf die Knie gestØtzt und die Gesichter
in den HÄnden vergraben.
     Keiner sprach ein Wort.
     Ich setzte mich auf das leere Bett und wartete. Wartete. Wartete.
     Eine Stunde.
     Zwei - drei Stunden!
     Wenn ich drauñen einen Schritt zu hÃren glaubte, fuhr ich auf:
     Jetzt,  jetzt kam  man mich  holen,  um  mich  dem Untersuchungsrichter
vorzufØhren.
     Jedesmal war es eine  TÄuschung gewesen. Immer wieder verloren sich die
Schritte auf dem Gang.
     Ich riñ mir den Kragen auf - glaubte, ersticken zu mØssen.
     Ich hÃrte, wie ein Gefangener nach dem andern sich Ächzend ausstreckte.
     "Kann man denn das Fenster  da oben  nicht aufmachen?", fragte ich voll
Verzweiflung laut  in  die Dunkelheit hinein. Ich  erschrak fast  vor meiner
eigenen Stimme.
     "Es geht net", antwortete es mØrrisch von einem der StrohsÄcke herØber.
     Ich tastete trotzdem mit der Hand an der Schmalwand entlang:  ein Brett
in  BrusthÃhe  lief quer  hin  -  - - zwei  WasserkrØge  -  -  -  StØcke von
Brotrinden.
     MØhsam kletterte ich hinauf, hielt mich  an den GitterstÄben und preñte
das Gesicht an die Fensterritzen, um wenigstens etwas frische Luft zu atmen.
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     So stand ich,  bis  mir die  Knie zitterten. EintÃniger,  schwarzgrauer
Nachtnebel vor meinen Augen.
     Die kalten EisenstÄbe schwitzten.
     Es muñte bald Mitternacht sein.
     Hinter mir  hÃrte ich schnarchen. Nur einer  schien  nicht  schlafen zu
kÃnnen: er warf sich hin und her auf dem Stroh und stÃhnte manchmal halblaut
auf.
     Wollte denn der Morgen nicht endlich kommen?! Da! Es schlug wieder.
     Ich zÄhlte mit bebenden Lippen:
     Eins, zwei, drei! - Gott sei Dank, nur noch wenige Stunden,  dann muñte
die DÄmmerung kommen. Es schlug weiter:
     Vier? fØnf? - Der Schweiñ trat mir  auf die Stirn. - Sechs!! - Sieben -
- - es war elf Uhr.
     Erst eine Stunde war vergangen, seit ich das letzte  Mal hatte schlagen
hÃren.
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     AllmÄhlich legten sich meine Gedanken zurecht:
     Wassertrum hat mir  die Uhr  des vermiñten Zottmann zugespielt, um mich
in Verdacht zu bringen, einen Mord begangen zu haben. - Er muñte also selbst
der  MÃrder sein; wie hÄtte er sonst  in den Besitz  der Uhr  kommen kÃnnen?
WØrde er  die Leiche irgendwo gefunden und dann erst beraubt haben, hÄtte er
sich bestimmt die  tausend Gulden Belohnung  geholt, die  fØr die Entdeckung
des Vermiñten Ãffentlich ausgesetzt waren. - Das konnte aber nicht sein: die
Plakate klebten  noch immer an den Strañenecken, wie ich deutlich auf meinem
Weg ins GefÄngnis gesehen hatte. - - -
     Dañ der TrÃdler mich angezeigt haben muñte, war klar.
     Ebenso:  dañ  er  mit  dem  Polizeirat, wenigstens was Angelina betraf,
unter einer Decke steckte. Wozu sonst das VerhÃr wegen Savioli?
     Andererseits ging daraus hervor,  dañ  Wassertrum Angelinas Briefe noch
nicht in HÄnden hatte.
     Ich grØbelte nach - - -
     Mit einem Schlag stand  alles mit  entsetzlicher Deutlichkeit  vor mir,
als wÄre ich selbst dabei gewesen.
     Ja; nur so konnte es sein: Wassertrum hatte meine eiserne  Kassette, in
der  er Beweise  vermutete, heimlich an sich  genommen,  als er  gerade  mit
seinen  Polizeikomplizen meine Wohnung  durchstÃberte,  - konnte  sie  nicht
sogleich Ãffnen, da ich den SchlØssel bei mir trug, und war - - - vielleicht
gerade jetzt daran, sie in seiner HÃhle aufzubrechen.
     In  wahnsinniger  Verzweiflung  rØttelte  ich an den GitterstÄben,  sah
Wassertrum im Geiste vor mir, wie er in Angelinas Briefen wØhlte -
     Wenn   ich  nur  Charousek  benachrichtigen  kÃnnte,  dañ   er  Savioli
wenigstens rechtzeitig warnen ging!
     Einen Augenblick klammerte ich mich  an die  Hoffnung, meine Verhaftung
mØsse bereits wie ein Lauffeuer in der Judenstadt bekannt geworden sein, und
ich  vertraute auf Charousek wie  auf  einen  rettenden Engel.  Gegen  seine
infernalische Schlauheit kam der TrÃdler nicht auf; "Ich werde ihn  genau in
der  Stunde  an der  Gurgel haben, in der er  Dr. Savioli an den Hals will",
hatte Charousek schon einmal gesagt.
     In der nÄchsten Minute wieder verwarf  ich alles, und eine  wilde Angst
packte mich: Wie, wenn Charousek zu spÄt kam?
     Dann war Angelina verloren. - - -
     Ich  biñ mir die  Lippen blutig und zerkrallte mir die  Brust aus Reue,
dañ ich die Briefe damals nicht sofort verbrannt hatte; -  - - ich schwor es
mir zu, Wassertrum noch in derselben Stunde aus der Welt zu schaffen, wo ich
wieder auf freiem Fuñ sein wØrde.
     Ob ich von eigener Hand starb oder am Galgen - was lag mir daran!
     Dañ  der Untersuchungsrichter meinen Worten glauben wØrde, wenn ich ihm
die Geschichte mit der Uhr  plausibel machte, ihm von Wassertrums  Drohungen
erzÄhlte, - keinen Augenblick zweifelte ich daran.
     Bestimmt morgen  schon muñte ich frei sein; zumindest wØrde das Gericht
auch Wassertrum wegen Mordverdachts verhaften lassen.
     Ich zÄhlte die Stunden und betete, dañ  sie rascher  vergehen  mÃchten;
starrte hinaus in den schwÄrzlichen Dunst.
     Nach  unsÄglich  langer  Zeit fing es endlich an, heller zu werden, und
zuerst  wie ein dunkler Fleck, dann immer deutlicher, tauchte ein kupfernes,
riesiges Gesicht  aus  dem Nebel: das Zifferblatt einer  alten Turmuhr. Doch
die Zeiger fehlten; - neuerliche Qual.
     Dann schlug es fØnf.
     Ich hÃrte, wie  die Gefangenen erwachten und  gÄhnend eine Unterhaltung
in bÃhmischer Sprache fØhrten.
     Eine Stimme kam  mir  bekannt  vor; ich  drehte mich um, stieg von  dem
Brett  herunter  und  -  sah  den blatternarbigen  Loisa auf  der  Pritsche,
gegenØber der meinigen, sitzen und mich verwundert anstarren.
     Die  beiden  anderen  waren  Gesellen  mit  verwegenen  Gesichtern  und
musterten mich geringschÄtzig.
     "Defraudant? Was?", fragte der eine halblaut seinen Kameraden und stieñ
ihn mit dem Ellenbogen an.
     Der  Gefragte  brummte  irgend  etwas  verÄchtlich,  kramte  in  seinem
Strohsack, holte ein schwarzes Papier hervor und legte es auf den Boden.
     Dann schØttete er aus dem Krug ein  wenig Wasser darauf, kniete nieder,
bespiegelte sich darin  und  kÄmmte  sich  mit den Fingern das Haar  in  die
Stirn.
     Hierauf  trocknete  er  das  Papier  mit  zÄrtlicher  Sorgfalt  ab  und
versteckte es wieder unter der Pritsche.
     "Pan  Pernath,  Pan   Pernath",  murmelte  Loisa  dabei  bestÄndig  mit
aufgerissenen Augen vor sich hin, wie jemand, der ein Gespenst sieht.
     "Die  Herrschaften  kennen  einand,  wie  ich   bemerkÃ",   sagte   der
UngekÄmmte,   dem   dies  auffiel,   in  dem   geschraubten  Dialekt   eines
tschechischen  Wieners  und machte  mir  spÃttisch  eine  halbe  Verbeugung:
"Erlaubens mich vorzustellen: VÕssatka ist mein Name. Der schwarze VÕssatka.
- Brandstiftung", setzte er eine Oktave tiefer stolz hinzu.
     Der Frisierte spuckte  zwischen den  ZÄhnen durch,  blickte  mich  eine
Weile verÄchtlich an, deutete sich dann auf die Brust und sagte lakonisch:
     "Einbruch."
     Ich schwieg.
     "No, und zweng wos fØr einen Verdachtà sin Sie hier, Herr Graf?" fragte
der Wiener nach einer Pause.
     Ich Øberlegte einen Moment, dann sagte ich ruhig: "Wegen Raubmord".
     Die beiden  fuhren verblØfft  auf, der  spÃttische  Ausdruck  auf ihren
Gesichtern machte einer Miene grenzenloser Hochachtung Platz, und sie riefen
fast wie aus einem Munde:
     "RÄschpÄkt, RÄschpÄkt."
     Als sie sahen, dañ ich keine Notiz  von ihnen nahm,  zogen sie sich  in
die Ecke zurØck und unterhielten sich flØsternd miteinander.
     Nur einmal stand  der Frisierte  auf, kam zu mir, prØfte schweigend die
Muskeln meines  Oberarms und  ging  dann  kopfschØttelnd  zu  seinem  Freund
zurØck.
     "Sie sind doch auch unter  dem Verdacht hier, den  Zottmann ermordet zu
haben?" fragte ich Loisa unauffÄllig.
     Er nickte. "Ja, schon lang."
     Wieder vergingen einige Stunden.
     Ich schloñ die Augen und stellte mich schlafend.
     "Herr  Pernath. Herr Pernath!" hÃrte  ich  plÃtzlich ganz  leise Loisas
Stimme.
     "Ja?" - - - Ich tat, als erwachte ich.
     "Herr  Pernath?, bitte entschuldigen Sie,  - bitte - bitte, wissen  Sie
nicht, was  die  Rosina macht?  -  Ist sie zu  Hause?", stotterte  der  arme
Bursche. Er tat  mir unendlich leid, wie er mit seinen entzØndeten  Augen an
meinen Lippen hing und vor Aufregung die HÄnde verkrampfte.
     "Es geht ihr gut. Sie - sie ist jetzt Kellnerin beim - - alten Ungelt",
log ich.
     Ich sah, wie er erleichtert aufatmete.
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     Zwei StrÄflinge hatten auf einem Brett BlechtÃpfe mit heiñem Wurstabsud
stumm hereingebracht  und drei davon in  die Zelle  gestellt,  dann knallten
nach einigen Stunden abermals  die  Riegel und der Aufseher fØhrte  mich zum
Untersuchungsrichter.
     Mir schlotterten die  Knie  vor  Erwartung,  wie wir  treppauf, treppab
schritten.
     "Glauben Sie, ist es mÃglich, dañ ich  heute noch freigelassen werde?",
fragte ich den Aufseher beklommen.
     Ich sah, wie er mitleidig ein LÄcheln unterdrØckte. "Hm. Heute noch? Hm
- - Gott, - mÃglich ist ja alles." -
     Mir wurde eiskalt.
     Wieder las ich eine Porzellantafel an einer TØr und einen Namen:


     Wieder  ein  schmuckloses  Zimmer und zwei  Schreibpulte mit meterhohen
AufsÄtzen.
     Ein  alter,  groñer  Mann mit  weiñem,  geteiltem  Vollbart,  schwarzem
Gehrock, roten, wulstigen Lippen, knarrenden Stiefeln.
     "Sie sind Herr Pernath?"
     "Jawohl."
     "Gemmenschneider?"
     "Jawohl."
     "Zelle Nr. 70?"
     "Jawohl."
     "Des Mordes an Zottmann verdÄchtig?"
     "Ich bitte, Herr Untersuchungsrichter - -"
     "Des Mordes an Zottmann verdÄchtig?"
     "Wahrscheinlich. Wenigstens vermute ich es. Aber - -"
     "GestÄndig?"
     "Was  soll  ich denn gestehen, Herr Untersuchungsrichter, ich  bin doch
unschuldig!"
     "GestÄndig?"
     "Nein."
     "Dann  verhÄnge ich Untersuchungshaft Øber Sie. -  FØhren Sie den  Mann
hinaus, GefangenwÄrter."
     "Bitte, so hÃren Sie mich doch an, Herr Untersuchungsrichter, - ich muñ
unbedingt heute noch zu Hause sein. Ich habe wichtige Dinge zu veranlassen -
-"
     Hinter dem zweiten Schreibtisch meckerte jemand.
     Der Herr Baron schmunzelte. -
     "FØhren Sie den Mann hinaus, GefangenwÄrter."
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     Tag um Tag schlich dahin, Woche um Woche, und immer noch sañ ich in der
Zelle.
     Um zwÃlf Uhr  durften wir tÄglich hinunter in den  GefÄngnishof und mit
anderen Untersuchungsgefangenen und StrÄflingen zu zweit 40 Minuten im Kreis
herumgehen auf der nassen Erde.
     Miteinander zu reden, war verboten.
     In der Mitte des Platzes stand ein  kahler, sterbender Baum, in  dessen
Rinde ein ovales Glasbild der Muttergottes eingewachsen war.
     An  den  Mauern  wuchsen kØmmerliche Ligusterstauden, die  BlÄtter fast
schwarz vom fallenden Ruñ.
     Ringsum die  Gitter  der  Zellen, aus  denen  zuweilen  ein  kittgraues
Gesicht mit blutleeren Lippen herunterschaute.
     Dann ging's  wieder hinauf in die gewohnten  GrØfte zu Brot, Wasser und
Wurstabsud und sonntags zu faulenden Linsen.
     Erst einmal war ich wieder vernommen worden:
     Ob  ich  Zeugen  hÄtte,  dañ mir  "Herr"  Wassertrum angeblich  die Uhr
geschenkt habe?
     "Ja: Herrn Schemajah Hillel  - - das heiñt - nein" (ich erinnerte mich,
er  war nicht dabei gewesen) - - "aber Herr Charousek" - (nein, auch er  war
ja nicht dabei).
     "Kurz: also niemand war dabei?"
     "Nein, niemand war dabei, Herr Untersuchungsrichter."
     Wieder das Gemecker hinter dem Schreibtisch und wieder das:
     "FØhren Sie den Mann hinaus, GefangenwÄrter!" - - -
     Meine Besorgnis um Angelina war einer dumpfen Resignation gewichen: Der
Zeitpunkt, wo ich um sie zittern  muñte,  war vorØber. Entweder  Wassertrums
Racheplan war lÄngst geglØckt, oder Charousek hatte eingegriffen, sagte  ich
mir.
     Aber die Sorge um Mirjam trieb mich jetzt fast zum Wahnsinn.
     Ich stellte mir vor,  wie sie Stunde um Stunde darauf wartete, dañ sich
das  Wunder  erneuere,  -  wie  sie frØh am  Morgen,  wenn  der BÄcker  kam,
hinauslief  und  mit  bebenden  HÄnden  das  Brot  untersuchte,  -  wie  sie
vielleicht um meinetwillen vor Angst verging.
     Oft  in  der Nacht peitschte es mich aus dem Schlaf, und ich  stieg auf
das  Wandbrett und starrte empor zu  dem  kupfernen  Gesicht der Turmuhr und
verzehrte  mich in dem Wunsch, meine Gedanken mÃchten zu Hillel  dringen und
ihm ins Ohr  schreien, er solle Mirjam  helfen  und sie erlÃsen von der Qual
des Hoffens auf ein Wunder.
     Dann wieder warf ich mich auf das Stroh und hielt den Atem an, bis  mir
die Brust fast  zersprang, -  um das  Bild meines  DoppelgÄngers vor mich zu
zwingen, damit ich ihn zu ihr schicken kÃnnte als einen Trost.
     Und  einmal  war  er  auch  erschienen  neben  meinem  Lager  mit   den
Buchstaben: Chabrat Zereh  Aur  Bocher in Spiegelschrift auf der Brust,  und
ich wollte aufschreien vor Jubel, dañ jetzt alles wieder gut wØrde,  aber er
war in den Boden versunken, noch ehe ich ihm den Befehl geben konnte, Mirjam
zu erscheinen. - - -
     Dañ ich so gar keine Nachricht bekam von meinen Freunden!
     Ob  es denn verboten sei,  einem Briefe zu  schicken? fragte ich  meine
Zellengenossen.
     Sie wuñten es nicht.
     Sie hÄtten noch nie welche bekommen - allerdings wÄre  auch niemand da,
der ihnen schreiben kÃnnte, sagten sie.
     Der GefangenwÄrter versprach mir, sich gelegentlich zu erkundigen.
     Meine  NÄgel  waren  rissig  geworden   vom  Abbeiñen   und  mein  Haar
verwildert, denn Schere, Kamm und BØrste gab es nicht.
     Auch kein Wasser zum Waschen.
     Fast ununterbrochen kÄmpfte  ich mit Brechreiz, denn der Wurstabsud war
mit  Soda gewØrzt  statt  mit Salz.  - -  Eine  GefÄngnisvorschrift, um  dem
"øberhandnehmen des Geschlechtstriebs vorzubeugen."
     Die Zeit verging in grauer, furchtbarer EintÃnigkeit.
     Drehte sich wie im Kreis wie ein Rad der Qual.
     Da gab es die gewissen  Momente, die jeder von uns kannte, wo plÃtzlich
einer oder der andere aufsprang und stundenlang auf und nieder lief  wie ein
wildes Tier, um sich dann wieder gebrochen auf die Pritsche fallen zu lassen
und stumpfsinnig weiter zu warten - zu warten - zu warten.
     Wenn der Abend kam, zogen die Wanzen in Scharen gleich Ameisen Øber die
WÄnde  und  ich  fragte mich  erstaunt, warum denn der  Kerl  in  SÄbel  und
Unterhosen mich  so gewissenhaft ausgeforscht  habe, ob ich kein  Ungeziefer
hÄtte.
     FØrchtete  man  vielleicht  im Landesgericht,  es  kÃnne  eine Kreuzung
fremder Insektenrassen entstehen?
     Mittwoch  vormittags  kam  gewÃhnlich  ein   Schweinskopf   herein  mit
Schlapphut  und zuckenden Hosenbeinen: der GefÄngnisarzt Dr. Rosenblatt, und
Øberzeugte sich, dañ alle vor Gesundheit strotzten.
     Und wenn einer sich beschwerte, gleichgØltig worØber, so verschrieb  er
- Zinksalbe zum Einreiben der Brust.
     Einmal  kam auch der  LandgerichtsprÄsident  mit - ein hochgewachsener,
parfØmierter Halunke der "guten Gesellschaft",  dem die gemeinsten Laster im
Gesicht geschrieben standen,  und sah nach, ob - alles  in  Ordnung sei: "ob
sich noch immer kaner derhenkt hobe", wie sich der Frisierte ausdrØckte.
     Ich war auf ihn zugetreten, um ihm  eine Bitte vorzutragen, da hatte er
einen  Satz  hinter  den  GefangenwÄrter  gemacht  und  mir  einen  Revolver
vorgehalten. - "Was ich denn wolle", schrie er mich an.
     Ob Briefe fØr  mich  da  seien, fragte ich hÃflich. Statt  der  Antwort
bekam  ich einen Stoñ  vor die  Brust vom  Herrn Dr.  Rosenblatt, der gleich
darauf das Weite suchte. Auch der Herr PrÄsident zog  sich zurØck und hÃhnte
durch den TØrausschnitt:  - ich solle  lieber den Mord gestehen. Eher bekÄme
ich in diesem Leben keine Briefe.
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     Ich hatte mich lÄngst an  die  schlechte Luft und die Hitze gewÃhnt und
frÃstelte bestÄndig. Selbst, wenn die Sonne schien.
     Zwei  der  Gefangenen hatten schon  einige Male  gewechselt,  aber  ich
achtete  nicht  darauf.  Diese  Woche  waren  es  ein  Taschendieb  und  ein
Wegelagerer,  das  nÄchste  Mal  ein  FalschmØnzer  oder   ein  Hehler,  die
hereingefØhrt wurden.
     Was ich gestern erlebte, war heute vergessen.
     Gegen  das  WØhlen  der   Sorge  um   Mirjam  verblañten  alle  Äuñeren
Begebenheiten.
     Nur ein Ereignis  hatte sich mir tiefer eingeprÄgt - es  verfolgte mich
zuweilen als Zerrbild bis in den Traum:
     Ich hatte  auf  dem Wandbrett gestanden,  um hinauf in  den  Himmel  zu
starren,  da fØhlte  ich plÃtzlich,  dañ mich ein spitzer Gegenstand  in die
HØfte  stach, und  als  ich nachsah,  bemerkte ich, dañ es die Feile gewesen
war, die sich  mir durch die  Tasche zwischen Rock und Futter gebohrt hatte.
Sie  muñte schon  lange dort gesteckt haben, sonst hÄtte sie der Mann in der
Flurstube gewiñ bemerkt.
     Ich zog sie heraus und warf sie achtlos auf meinen Strohsack.
     Als  ich dann  herunterstieg, war  sie verschwunden, und ich  zweifelte
keinen Augenblick, dañ nur Loisa sie genommen haben konnte.
     Einige Tage  spÄter  holte man ihn aus  der  Zelle,  um ihn einen Stock
tiefer unterzubringen.
     Es  dØrfe nicht  sein, dañ zwei  Untersuchungsgefangene, die  desselben
Verbrechens beschuldigt wÄren, wie er und ich,  in der gleichen Zelle sÄñen,
hatte der GefangenwÄrter gesagt.
     Aus ganzem Herzen wØnschte ich, es mÃchte dem armen Burschen  gelingen,
sich mit Hilfe der Feile zu befreien.

     Auf meine Frage, welches Datum denn wÄre - die Sonne schien so warm wie
im  Hochsommer  und der mØde Baum im Hof trieb ein paar Knospen - hatte  der
GefangenwÄrter zuerst  geschwiegen, dann aber mir  zugeflØstert, es  sei der
15. Mai. Eigentlich  dØrfe er es nicht sagen,  denn es sei verboten, mit den
Gefangenen  zu sprechen, - insbesondere solche,  die  noch  nicht  gestanden
hÄtten, mØñten hinsichtlich der Zeit im unklaren gehalten werden.
     Drei volle Monate war ich  also schon im GefÄngnis und noch immer keine
Nachricht aus der Welt da drauñen!
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     Wenn  es  Abend wurde,  drangen leise KlÄnge eines  Klaviers durch  das
Gitterfenster, das jetzt an warmen Tagen offen war.
     Die  Tochter  des  Beschlieñers  unten spiele,  hatte mir ein StrÄfling
gesagt.
     Tag und Nacht trÄumte ich von Mirjam.
     Wie es ihr wohl ging?!
     Zuzeiten hatte ich das trÃstliche  GefØhl, als seien meine  Gedanken zu
ihr gedrungen  und  stØnden an ihrem Bette, wÄhrend sie  schlief, und legten
ihr lindernd die Hand auf die Stirne.
     Dann wieder, in Momenten der  Hoffnungslosigkeit,  wenn einer nach  dem
andern meiner Zellengenossen  zum VerhÃr gefuhrt  wurde, - nur  ich nicht, -
drosselte mich eine dumpfe Furcht, sie sei vielleicht schon lange tot.
     Da stellte ich dann Fragen an  das Schicksal,  ob sie  noch  lebe  oder
nicht, krank sei oder gesund, und  die Anzahl einer Handvoll  Halme, die ich
aus dem Strohsack riñ, sollte mir Antwort geben.
     Und fast jedesmal "ging  es  schlecht aus",  und ich  wØhlte in  meinem
Innern  nach einem Blick in die Zukunft; - suchte  meine Seele, die  mir das
Geheimnis verbarg, zu Øberlisten durch die scheinbar abseits liegende Frage,
ob wohl fØr mich dereinst noch ein Tag kommen wØrde,  wo ich heiter sein und
wieder lachen kÃnnte.
     Immer  bejahte das  Orakel in solchen  FÄllen, und  dann  war ich  eine
Stunde lang glØcklich und froh.
     Wie eine Pflanze heimlich wÄchst und sproñt, war allmÄhlich in mir eine
unbegreifliche, tiefe  Liebe zu Mirjam erwacht, und ich fañte es  nicht, dañ
ich so  oft hatte bei  ihr  sitzen und mit ihr reden kÃnnen, ohne mir damals
schon klar darØber geworden zu sein.
     Der zitternde Wunsch, dañ auch sie mit gleichen GefØhlen an mich denken
mÃchte,  steigerte  sich in  solchen  Augenblicken  oft  bis zur Ahnung  der
Gewiñheit,  und  wenn  ich  dann auf dem Gange  drauñen einen Schritt hÃrte,
fØrchtete ich mich  beinahe  davor, man kÃnnte mich holen und freilassen und
mein  Traum  wØrde  in  der groben  Wirklichkeit  der  Auñenwelt  in  nichts
zerrinnen.
     Mein Ohr war  in  der langen Zeit der Haft so scharf  geworden, dañ ich
auch das leiseste GerÄusch vernahm.
     Jedesmal  bei  Anbruch  der  Nacht  hÃrte ich in  der Ferne einen Wagen
fahren und zergrØbelte mir den Kopf, wer wohl dann sitzen mÃchte.
     Es lag etwas seltsam Fremdartiges in dem Gedanken,  dañ es Menschen gab
da drauñen, die  tun und lassen durften, was sie wollten, -  die  sich  frei
bewegen  konnten  und  da und  dort  hingehen,  und  es  dennoch  nicht  als
unbeschreiblichen Jubel empfanden.
     Dañ  auch ich jemals wieder so  glØcklich werden wØrde, im Sonnenschein
durch die Strañen wandern zu kÃnnen; - - ich war nicht mehr imstande, es mir
vorzustellen.
     Der Tag, an dem ich Angelina in den Armen gehalten,  schien  mir  einem
lÄngstverflossenen Dasein anzugehÃren; - ich dachte daran  zurØck mit  jener
leisen Wehmut, wie sie einen beschleicht, wenn  man ein  Buch aufschlÄgt und
findet  dann welke Blumen, die einst  die Geliebte der Jugendjahre  getragen
hat.
     Ob wohl  der alte Zwakh  noch immer Abend fØr Abend mit Vrieslander und
Prokop  beim  "Ungelt" sañ  und  der vertrockneten Eulalia  das  Hirn konfus
machte?
     Nein, es  war  doch Mai: - die Zeit, wo er mit seinem Marionettenkasten
durch  die Provinznester zog und  auf grØnen Wiesen vor den Toren den Ritter
Blaubart spielte.
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     Ich  sañ  allein  in  der Zelle. -  VÕssatka,  der  Brandstifter,  mein
einziger  GefÄhrte  seit   einer  Woche,  war  vor  ein  paar   Stunden  zum
Untersuchungsrichter geholt worden.
     MerkwØrdig lange dauerte diesmal sein VerhÃr.
     Da.   Die   eiserne  Vorlegestange  klirrte   an  der   TØr.  Und   mit
freudestrahlender Miene stØrmte VÕssatka herein, warf ein BØndel Kleider auf
die Pritsche und begann, sich mit Windeseile umzukleiden.
     Den  StrÄflingsanzug warf er StØck  fØr  StØck  mit einem Fluch auf den
Boden.
     "Nix hamms mer beweisen kÃnna, dà Hallodri. - Brandstiftung! - Ja doder
-" er zog mit dem Zeigefinger an seinem unteren Augenlid. "Auf den schwarzen
VÕssatka sans jung. -  Der Wind war's, hab i g'sagt.  Und bi fest blimm. Den
kennens iazt eispirrn, wanns'n derwischen  - den Herrn von Wind. - No servus
heit abend!  - Do werd aufdraht. Beim  Loisitschek." - Er breitete die  Arme
aus und  tanzte einen "G'strampften". - "Nur einmahl  im LebÃhn blie-het der
Mai." Er stØlpte sich mit einem Krach einen steifen Deckel mit einer kleinen
blaugesprenkelten NuñhÄherfeder darauf Øber den SchÄdel. - "Ja, richtig, das
wird Ihna intrissirn, Herr Graf: wissens was Neies?  Eana Freund, der Loisa,
is ausbrochen! - Grad hab i's erfahrehn oben bei die Hallodri. Schon vurigen
Monat -  gegen  Uldimoh  hat  er das Weide gesucht  und  ist  lÄngst ieber -
pbhuit" - er  schlug sich mit den Fingern auf den  HandrØcken - "ieber  alle
BergÃh." -
     "Aha, die Feile", dachte ich mir und lÄchelte.
     "Alsdann  haltens   Ihna  jetzt  auch  bald   dazu,  Herr  Graf,"   der
Brandstifter streckte mir kameradschaftlich die Hand hin, "dañ Sie mÃglichst
bei ZeitÃhn freikommen. -  Und wenn Sie  mal kein Geld  nicht habehn, fragen
Sie  sich  nur beim  Loisitschek nach  dem schwarzen VÕssatka. - Kennte mich
jedes  MÄdel  durten.  So!  -  Alsdann  Servus,  Herr  Graf.  War   mir  ein
Vergniegen."
     Er  stand noch in der  TØre,  da schob  der  WÄrter schon  einen  neuen
Untersuchungsgefangenen in die Zelle.
     Auf  den  ersten   Blick  erkannte  ich  in  ihm  den  Schlot  mit  der
SoldatenmØtze, der einmal  neben  mir  bei  Regenwetter in dem Torbogen  der
Hahnpañgasse  gestanden hatte. Eine  freudige øberraschung! Vielleicht wuñte
er zufÄllig etwas Øber Hillel und Zwakh und alle die andern?
     Ich wollte  sofort  anfangen, ihn auszufragen, aber zu  meinem  grÃñten
Erstaunen  legte  er mit geheimnisvoller Miene  den Finger an  den Mund  und
bedeutete mir, ich solle schweigen.
     Erst   als  die  TØr  von  auñen   abgesperrt   und  der   Schritt  des
GefangenwÄrters auf dem Gange verhallt war, kam Leben in ihn.
     Mir schlug das Herz vor Aufregung.
     Was sollte das bedeuten?
     Kannte er mich denn, und was wollte er?
     Das erste, was der Schlot tat, war, dañ er sich niedersetzte und seinen
linken Stiefel auszog.
     Dann zerrte er mit den ZÄhnen einen StÃpsel aus dem Absatz, entnahm dem
entstandenen Hohlraum  ein kleines gebogenes Eisenblech, riñ die anscheinend
nur locker befestigte Schuhsohle ab und reichte mir beides mit stolzer Miene
hin. -
     Alles in  Windeseile und  ohne auf meine  erregten  Fragen auch  nur im
geringsten zu achten.
     "So! Einen schÃnen Gruñ vom Herrn Charousek."
     Ich war so verblØfft, dañ ich kein Wort herausbringen konnte. -
     "Brauchens'  bloñ Eisenblechl nÄhmen und Sohlen ausanand brechen in der
Nacht.  Oder wann  sunst niemand siecht. -  Ise  nÄmlich  hohl  inewÄndig" -
erklÄrte der Schlot mit Øberlegener Miene,  "und finden  Sie sich drinn eine
Brieffel von Herrn Charousek."
     Im øbermañ meines EntzØckens fiel ich  dem Schlot um den Hals, und  die
TrÄnen stØrzten mir aus den Augen.
     Er wehrte mich voll Milde ab und sagte vorwurfsvoll:
     "Missen sich mehr zusammennÄhmen, Herr von Pernath! Mir habens me nicht
eine Minutten zum Zeitverlieren. Es  kann sich soffort herauskommen, dañ ich
in  der falschen  Zellen bin. Der Franzl und  ich habens me unt beim PordjÃh
die Nummern mitsamm vertauscht." -
     Ich muñte wohl ein sehr  dummes Gesicht gemacht  haben, denn der Schlot
fuhr fort:
     "Wann Sie das  auch  nicht verstÄhn,  macht  nix. Kurz:  ich bin  hier,
Pasta!"
     "Sagen Sie doch," fiel ich ihm ins Wort, "sagen Sie doch, Herr - - Herr
- - -"
     "Wenzel," - half mir der Schlot aus, "ich heiñe der schÃne Wenzel."
     "Sagen Sie mir  doch,  Wenzel, was  macht der Archivar  Hillel, und wie
geht es seiner Tochter?"
     "Dazu ist jetz  keine Zeit  nicht", unterbrach  mich der  schÃne Wenzel
ungeduldig. "Ich kann ich doch im nÄxen Augenblick herausgeschmissen werden.
- Also: ich bin ich hier, weil ich einen Raubanfall extra eingestanden hab -
-"
     "Was, Sie haben bloñ meinetwegen, und um zu mir kommen zu kÃnnen, einen
Raubanfall begangen, Wenzel?" fragte ich erschØttert.
     Der Schlot schØttelte verÄchtlich den  Kopf:  "Wenn ich  wirklich einen
Raub  anf all  begangen  hÄtt, mecht ich  ihm  doch  nicht  eingestÄhen. Was
glauben Sie von mir!?"
     Ich verstand allmÄhlich: - der brave Kerl hatte eine List gebraucht, um
mir den Brief Charouseks ins GefÄngnis zu schmuggeln.
     "So; zuverderscht" - er machte ein Äuñerst wichtiges Gesicht - "muñ ich
Ihnen Unterricht in der Ebilebsie gÄben."
     "Worin?"
     "In der Ebilebsie! - GÄbm S' amal  scharf Obacht und merkens Ihna alles
genau! - Alsdann schaugens hÄr: Zuerscht macht me Speichel  in der Goschen;"
- er blies die Backen auf und bewegte sie hin und her, wie  jemand, der sich
den Mund ausspØlt -  "dann kriegt  me Schaum vorm Maul, sengen S' so": -  er
machte auch dies. Mit widerwÄrtiger  NatØrlichkeit. "Nachhe  drehte  ma  die
Daumen  in  die Faust.  - Nachhe  kugelt  me  die Augen raus" - er  schielte
entsetzlich  - "und dann - das ise sich bisl schwÄr  - stoñt me so  halbeten
Schrei aus. Segen S',  so: Bà - bà - bÃ, und gleichzeitig fallt me sich um."
Er  lieñ sich der LÄnge  nach  zu Boden fallen, dañ  das  Haus zitterte, und
sagte beim Aufstehen:
     "Das  ise  sich  die natierliche  Ebilebsie, wie's uns der  Dr. Hulbert
gottsÄlig beim ›Bataljohn‹ gelernt hat."
     "Ja, ja,  es ist  tÄuschend Ähnlich," gab ich zu, "aber wozu dient  das
alles?"
     "Weil  Sie sich zuerscht aus  der  Zellen  rausmissen!",  erklÄrte  der
schÃne  Wenzel.  "Der Dr. Rosenblatt is doch ein Mordsochs! Wenn einer schon
gar  kan Kopf  mehr  hat, sagt  der Rosenblatt immer noch: der Mann ise sich
pumperlgesund! - Nur vor die Ebilebsie hat e' an ViechsrÄschpÄkt.  Wann aner
daas gut  kann: gleich ise drieben  in der Krankenzelle. - - Und da ise sich
das Ausbrechen  dann ein Kinderspielzeug;" -  er wurde tief  geheimnisvoll -
"den  Fenstergitter  in  der  Krankenzelle ise  nÄmlich durchgesÄgt  und nur
schwach  mit  Dreck  zusammengepappt.  - Es ise sich das ein  Geheimnis  vom
Bataljohn!  - Sie  brauchen dann  bloñ ein paar NÄchte scharf aufpassen und,
wenn Sie eine Seilschlingen vom Dach herunter bis vors Fenster kommen segen,
heben Sie  leise  den Gitter aus, damit niemand nicht aufwacht, steckens die
Schultern in die Schlinge, und mir  ziegen Ihnen hinauf aufs Dach und lassen
Ihnen auf der andern Seiten hinunter auf die Strañen. - Pasta."
     "Weshalb  soll  ich  denn aus dem  GefÄngnis  ausbrechen?"  wandte  ich
schØchtern ein, "ich bin doch unschuldig."
     "Das ise doch kein  Grund, um nicht auszubrechen!", widerlegte mich der
schÃne Wenzel und machte vor Erstaunen kreisrunde Augen.
     Ich muñte  meine ganze Beredsamkeit aufbieten,  um ihm  den  verwegenen
Plan, der, wie er sagte,  das Resultat eines  "Bataillons" beschlusses  war,
auszureden.
     Dañ ich  "die Gabe Gottes" von der Hand wies und  lieber warten wollte,
bis ich von selbst freikommen wØrde, war ihm unbegreiflich.
     "Jedenfalls  danke  ich  Ihnen  und  Ihren  braven  Kameraden  auf  das
allerherzlichste,"  sagte ich gerØhrt und drØckte  ihm  die Hand. "Wenn  die
schwere Zeit  fØr  mich vorØber  ist, wird es mein erstes  sein,  mich Ihnen
allen erkenntlich zu zeigen."
     "Ise gar nicht nÄtig", lehnte Wenzel freundlich ab.  "Wann Sie ein paar
Glas  ›Pils‹  zahlen,  nÄhmen  wir  sich dankbar  an,  abe  sunst  nix.  Pan
Charousek, was ise jetz Schatzmistr vom Bataljohn hat  e' uns schon erzÄhlt,
was Sie fØr ein heimlicher WohltÄter  sin. Soll ich ihm was ausrichten, wenn
ich in paar TÄg wieder herauskomm?"
     "Ja, bitte," fiel  ich rasch ein, "sagen Sie ihm, er mÃchte  zu  Hillel
gehen und ihm mitteilen, ich hÄtte  soviel Angst wegen der Gesundheit seiner
Tochter Mirjam. Herr Hillel solle sie nicht aus den  Augen  lassen. - Werden
Sie sich den Namen merken?: Hillel!"
     "HirrÄl?"
     "Nein: Hillel."
     "HillÄr?"
     "Nein: Hill-el."
     Wenzel  zerbrach  sich  fast die  Zunge  an  dem  fØr  einen  Tschechen
unmÃglichen  Namen,  aber  schlieñlich  bewÄltigte  er ihn doch unter wilden
Grimassen.
     "Und dann noch eins: Herr Charousek  mÃge - ich lasse ihn herzlich drum
bitten - sich auch, soweit es in seiner Macht steht, der "vornehmen  Dame" -
er weiñ schon, wer darunter zu verstehen ist - annehmen."
     "Sie meinen  sich  wahrscheinlich  die  adlige Flietschen,  die was  da
Gspusi  ghabt hat mit dem Niemetz - dem Dr. Sapoli? - No, die hat  sich doch
scheiden lassen und ise mit dem Kind und dem Sapoli fØrt."
     "Wissen Sie das bestimmt?"
     Ich fØhlte  meine Stimme  zittern. So sehr ich mich um Angelinas willen
freute, - es krampfte mir doch das Herz zusammen.
     Wieviel Sorge hatte  ich  ihretwegen getragen und  jetzt  - - - war ich
vergessen.
     Vielleicht glaubte sie, ich sei wirklich ein RaubmÃrder.
     Ein bitterer Geschmack stieg mir in die Kehle.
     Der  Schlot schien  mit  dem  FeingefØhl,  das  verwahrlosten  Menschen
seltsamerweise eigen ist bei allen Dingen, die sich um Liebe drehen, erraten
zu  haben,  wie  mir zumute  war, denn er  blickte scheu weg und  antwortete
nicht.
     "Wissen Sie vielleicht auch, wie es Herrn Hillels Tochter, dem FrÄulein
Mirjam geht? Kennen Sie sie?", fragte ich gepreñt.
     "Mirjam? Mirjam?" - Wenzel legte sein Gesicht in nachdenkliche Falten -
"Mirjam? - GÄht sich die Ãfters in der Nacht zum Loisitschek?"
     Ich muñte unwillkØrlich lÄcheln. "Nein. Ganz bestimmt nicht."
     "Dann kenn ich sie nicht", sagte Wenzel trocken.
     Wir schwiegen eine Weile.
     Vielleicht steht in dem Briefchen etwas Øber sie, hoffte ich.
     "Dañ  den Wassertrum  der Deiwel  g'holt  hat",  fing  Wenzel plÃtzlich
wieder an, "wÄrden Sie sich wohl schon gehÄrt haben?"
     Ich fuhr entsetzt auf.
     "No ja." - Wenzel deutete auf seine Kehle. - "Murxi, murxi! Ich sag ich
IhnÄn; es war IhnÄn  schaislich. Wie sie den  Laden aufgebrochen haben, weil
er sich  paar TÄg nicht hat segen lassen, war  ich  natierlich  der  erschte
drin;  - wie denn nicht! - Und da hat e' durten g'sÄssen, der Wassertrum, in
einem  dreckigen LÄhnsessel,  die  Brust voller  Blut und die Augen  wie aus
Glas. -  -  - Wissen S',  ich bin ich  ein handfeste Kerl, aber mir hat sich
alles gedrÄht,  sag ich IhnÄn, und ich hab' gemeint, ich  hau ich ohnmÄchtig
hi-iin. Furt' a  furt' hab' ich  mir vorsagen missen:  Wenzel,  hab' ich mir
vorg'sagt, Wenzel, reg'  dich nicht auf, es is doch bloñ ein toter Jud. - Er
hat  eine  Feile  in der Kehle stecken  gehabt und im Laden  war  sich alles
umedum geschmissen. - Ein Raubmord natierlich."
     "Die  Feile! Die  Feile!"  Ich fØhlte, wie mir der  Atem kalt wurde vor
Grausen. Die Feile! So hatte sie also doch ihren Weg gefunden!
     "Ich weiñ ich auch, wer's war", fuhr Wenzel  nach  einer Pause halblaut
fort. "Niemand anders, sag  ich IhnÄn,  als der blattersteppige Loiso. - Ich
hab'  ich  nÄmlich sein Taschenmesser auf dem  Boden  im Laden entdeckt  und
rasch eing'stÄckt,  damit sich die Polizei nicht  draufkommt.  - Er ise sich
durch  einen unterirdischen Gang in den Laden - - -" er brach mit einem Ruck
seine Rede  ab und horchte ein paar Sekunden lang  angestrengt, dann warf er
sich auf die Pritsche und fing an, fØrchterlich zu schnarchen.
     Gleich  darauf klirrte das  VorhÄngeschloñ und der GefÄngniswÄrter  kam
herein und musterte mich argwÃhnisch.
     Ich machte ein teilnahmsloses Gesicht und Wenzel war kaum zu erwecken.
     Erst  nach  vielen  PØffen richtete er sich  gÄhnend auf und  taumelte,
gefolgt von dem WÄrter, schlaftrunken hinaus.
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     Fiebernd vor Spannung faltete ich Charouseks Brief auseinander und las:
     Den 12. Mai.
     "Mein lieber armer Freund und WohltÄter!"
     Woche um Woche habe ich gewartet, dañ  Sie endlich freikommen wØrden, -
immer   vergebens,   -   habe   alle   mÃglichen   Schritte   versucht,   um
Entlastungsmaterial fØr Sie zu sammeln, aber ich fand keins.
     Ich bat den Untersuchungsrichter,  das Verfahren zu beschleunigen, aber
jedesmal  hieñ es, er kÃnne nichts tun - es sei Sache der Staatsanwaltschaft
und nicht die seinige.
     Amtsschimmel!
     Eben erst, vor  einer Stunde, gelang mir jedoch etwas, von  dem ich mir
den  besten Erfolg erhoffe:  ich habe erfahren, dañ  Jaromir  dem Wassertrum
eine goldene Taschenuhr, die er nach der damaligen Verhaftung seines Bruders
Loisa in dessen Bett gefunden hatte, verkauft hat.
     Beim ›Loisitschek‹, wo, wie  Sie wissen, die Detektivs verkehren,  geht
das GerØcht,  man hÄtte die Uhr  des angeblich ermordeten  Zottmann - dessen
Leiche Øbrigens noch immer nicht entdeckt ist - als corpus delicti bei Ihnen
gefunden. Das Øbrige reimte ich mir zusammen: Wassertrum et cetera!
     Ich habe mir Jaromir sofort vorgenommen,  ihm 1000 fl gegeben -  -" Ich
lieñ den Brief sinken, und die FreudentrÄnen traten mir in  die  Augen:  nur
Angelina konnte Charousek die Summe gegeben haben. Weder Zwakh, noch Prokop,
noch Vrieslander besañen  so viel  Geld.  Sie hatte  mich  also  doch  nicht
vergessen! - Ich las weiter:
     "- 1000 fl gegeben und ihm weitere 2000 fl versprochen, wenn er mit mir
sofort zur Polizei  ginge und eingestØnde,  die Uhr  seinem  Bruder zu Hause
entwendet und verkauft zu haben.
     Das alles  kann  aber erst  geschehen, wenn dieser  Brief durch  Wenzel
bereits an Sie unterwegs ist. Die Zeit reicht nicht aus.
     Aber seien Sie versichert: es  wird  geschehen.  Heute noch.  Ich bØrge
Ihnen dafØr.
     Ich zweifle keinen Augenblick, dañ Loisa den Mord begangen  hat und die
Uhr die Zottmanns ist.
     Sollte sie es wider Erwarten nicht sein,  - nun, dann weiñ Jaromir, was
er  zu tun  hat:  -  Jedenfalls  wird er  sie als die  bei  Ihnen  gefundene
agnoszieren.
     Also  harren Sie aus und verzweifeln Sie  nicht!  Der  Tag, wo Sie frei
sein werden, steht vielleicht bald bevor.
     Ob trotzdem ein Tag kommen wird, wo wir uns wiedersehen?
     Ich weiñ es nicht.
     Fast mÃchte ich sagen: ich glaube es nicht, denn mit  mir  geht's rasch
zu  Ende, und  ich muñ auf  der  Hut sein, dañ mich die letzte Stunde  nicht
Øberrascht.
     Aber eins halten Sie fest: wir werden uns wiedersehen.
     Wenn auch nicht in diesem Leben und nicht wie die Toten in jenem Leben,
aber an dem Tag, wo die Zeit zerbricht, - wo, wie es in der Bibel steht, der
HERR die ausspeien wird aus seinem Munde, die lau waren und weder  kalt noch
warm. - - -
     Wundern Sie  sich nicht, dañ ich so  rede! Ich habe  nie mit Ihnen Øber
diese Dinge gesprochen und, als Sie einmal das Wort ›Kabbala‹ berØhrten, bin
ich Ihnen ausgewichen, aber - ich weiñ, was ich weiñ.
     Vielleicht verstehen Sie, was ich meine,  und wenn nicht, so  streichen
Sie, ich bitte Sie darum, das, was ich gesagt habe, aus Ihrem  GedÄchtnis. -
- Einmal, in meinen Delirien, glaubte ich  - ein  Zeichen auf Ihrer Brust zu
sehen. - Mag sein, dañ ich wach getrÄumt habe.
     Nehmen Sie  an, wenn Sie mich wirklich nicht verstehen sollten, dañ ich
gewisse Erkenntnisse gehabt habe - innerlich! - fast schon von  Kindheit an,
die  mich einen seltsamen Weg gefØhrt haben; - Erkenntnisse, die  sich nicht
decken mit dem,  was die Medizin lehrt oder Gott sei  Dank  noch nicht weiñ;
hoffentlich auch nie erfahren wird.
     Aber ich habe mich nicht dumm machen lassen von der Wissenschaft, deren
hÃchstes Ziel es ist, einen - ›Wartesaal‹ auszustaffieren, den man am besten
niederrisse.
     Doch genug davon.
     Ich will Ihnen erzÄhlen, was sich inzwischen zugetragen hat:
     Ende  April  war  Wassertrum  so  weit, dañ meine Suggestion anfing  zu
wirken.
     Ich sah es daran, dañ er auf der Gasse bestÄndig gestikulierte und laut
mit sich selbst sprach.
     So etwas ist ein sicheres Zeichen, dañ die Gedanken eines Menschen sich
zum Sturm rotten, um Øber ihren Herrn herzufallen.
     Dann kaufte er sich ein Taschenbuch und machte sich Notizen.
     Er schrieb!
     Er schrieb! Dañ ich nicht lache! Er schrieb.
     Und dann ging er zu einem Notar. Unten vor dem Hause wuñte  ich, was er
oben machte: - er machte sein Testament.
     Dañ er mich zum Erben einsetzte, habe ich mir allerdings nicht gedacht.
Ich  hÄtte wahrscheinlich den  Veitstanz  bekommen vor VergnØgen, wenn's mir
eingefallen wÄre.
     Er setzte mich zum Erben ein, weil ich der einzige auf der Erde bin, an
dem er  noch etwas gutmachen kÃnnte,  wie er glaubte. Das  Gewissen hat  ihn
Øberlistet.
     Vielleicht war's auch die Hoffnung, ich wØrde ihn segnen, wenn ich mich
nach seinem Tode  durch seine Huld plÃtzlich als MillionÄr sÄhe, und dadurch
den Fluch wettmachen, den er in Ihrem Zimmer aus meinem Mund hat mit anhÃren
mØssen.
     Dreifach hat demnach meine Suggestion gewirkt.
     Rasend witzig,  dañ er heimlich  also doch an eine Wiedervergeltung  im
Jenseits geglaubt  hat, wÄhrend  er sich's  das  ganze  Leben  lang mØhselig
ausreden wollte.
     Aber  so ist's  bei allen den Ganzgescheiten; man sieht es schon an der
wahnwitzigen Wut, in die sie geraten, wenn man's ihnen ins Gesicht sagt. Sie
fØhlen sich ertappt.
     Von dem Moment an, wo Wassertrum vom Notar kam, lieñ ich ihn nicht mehr
aus dem Auge.
     Des  Nachts  horchte  ich an  den Verschlagbrettern seines Ladens, denn
jede Minute konnte die Entscheidung fallen. -
     Ich  glaube,  durch Mauern hindurch wØrde ich das  ersehnte schnalzende
GerÄusch  gehÃrt  haben,  wenn  er den StÃpsel  aus  der Giftflasche gezogen
hÄtte.
     Es  fehlte  vielleicht  nur  eine  Stunde,  und  mein   Lebenswerk  war
vollbracht.
     Da griff ein Unberufener ein und ermordete ihn. Mit einer Feile.
     Lassen Sie sich das NÄhere von Wenzel  erzÄhlen, mir wird es zu bitter,
alles das niederschreiben zu mØssen.
     Nennen Sie  es Aberglaube,  - aber,  wie  ich  sah, dañ Blut  vergossen
worden war - die Dinge im Laden waren befleckt  davon, - kam es mir vor, als
sei mir seine Seele entwischt.
     Etwas in  mir,  - ein feiner, untrØglicher Instinkt - sagt mir,  dañ es
nicht dasselbe ist, ob ein Mensch von  fremder Hand stirbt oder von eigener:
- dañ Wassertrum  sein  Blut mit sich in die  Erde hÄtte nehmen mØssen, dann
erst wÄre meine Mission erfØllt gewesen. - Jetzt, wo es anders gekommen ist,
fØhle  ich  mich als  Ausgestoñener,  als  ein  Werkzeug, das  nicht  wØrdig
befunden wurde in der Hand des Todesengels.
     Aber ich will mich nicht auflehnen. Mein Hañ ist von der Art, die Øbers
Grab  hinaus geht, und noch habe ich ja mein eigenes Blut, das ich vergieñen
kann, wie ich will, damit es dem seinigen nachgehe im Reich der Schatten auf
Schritt und Tritt. - - -
     Jeden Tag, seit sie Wassertrum verscharrt haben, sitze ich drauñen  bei
ihm auf dem Friedhof und horche in meine Brust hinein, was ich tun soll.
     Ich glaube, ich  weiñ  es bereits,  aber ich  will noch warten, bis das
innere Wort, das zu mir  spricht,  klar wird wie eine Quelle. - Wir Menschen
sind unrein,  und  oft bedarf  es  langen  Fastens und  Wachens, bis wir das
FlØstern unserer Seele verstehen. - - -
     In der verflossenen Woche wurde mir  offiziell vom Gericht  mitgeteilt,
dañ mich Wassertrum zum Universalerben eingesetzt hat.
     Dañ ich fØr mich  keinen Kreuzer  davon anrØhre, brauche ich Ihnen wohl
nicht  zu versichern,  Herr  Pernath. -  Ich werde mich  hØten, ›ihm‹ -  fØr
›drØben‹ eine Handhabe zu geben.
     Die  HÄuser,  die  er  besessen  hat,   lasse   ich   versteigern,  die
GegenstÄnde, die  er berØhrt  hat,  werden verbrannt, und  was  an Geld  und
Geldeswert sich dann ergibt, fÄllt nach meinem Tode zu  einem Drittel  Ihnen
zu. -
     Ich sehe im Geiste, wie Sie aufspringen und protestieren, aber ich kann
Sie  beruhigen.  Was Sie bekommen, ist Ihr  rechtmÄñiges Eigentum mit Zinsen
und Zinseszinsen. Schon  lange  wuñte ich,  dañ Wassertrum vor Jahren  Ihren
Vater und seine Familie um alles  gebracht hat, - erst jetzt bin ich in  der
Lage, es aktenmÄñig nachweisen zu kÃnnen.
     Ein zweites  Drittel wird  unter die zwÃlf Mitglieder  des "Bataillons"
verteilt, die den Dr. Hulbert noch  persÃnlich  gekannt haben. Ich will, dañ
jeder  von  ihnen  reich  wird  und Zutritt  bekommt  zur  Prager  -  "guten
Gesellschaft".
     Das  letzte  Drittel  gehÃrt  zu  gleichen Teilen den  nÄchsten  sieben
RaubmÃrdern  des  Landes, die  mangels  zureichender Beweise  freigesprochen
werden mØssen.
     Ich bin das dem Ãffentlichen ärgernis schuldig.
     So. Das wÄre wohl alles.
     Und  jetzt, mein lieber, lieber Freund, leben Sie wohl und gedenken Sie
zuweilen
     Ihres
     aufrichtigen und dankbaren
     Innocenz Charousek."
     Tief erschØttert  legte ich  den Brief aus der Hand.  Ich  konnte  mich
nicht freuen Øber die Nachricht von meiner bevorstehenden Enthaftung.
     Charousek! Armer Mensch!  Wie  ein  Bruder  kØmmerte er  sich  um  mein
Schicksal. Bloñ, weil ich ihm einst 100 fl geschenkt hatte. Wenn ich ihm nur
einmal noch die Hand drØcken kÃnnte!
     Ich fØhlte: ja, er hatte recht; der Tag wØrde nie kommen.
     Ich  sah  ihn vor  mir:  seine flackernden Augen, die  schwindsØchtigen
Schultern, die hohe, noble Stirn.
     Vielleicht, dañ alles ganz  anders gekommen wÄre, wenn  eine hilfreiche
Hand rechtzeitig in dies verdorrte Leben eingegriffen hÄtte.
     Noch einmal las ich den Brief durch.
     Wieviel Methode in  Charouseks Irrsinn lag! Ob er  Øberhaupt  irrsinnig
war?
     Ich  schÄmte mich beinahe, diesen  Gedanken  auch nur  einen Augenblick
geduldet zu haben.
     Sagten seine  Anspielungen nicht genug? Er war ein Mensch  wie  Hillel,
wie  Mirjam, wie ich selbst;  ein Mensch, Øber  den  die eigene Seele Gewalt
gewonnen hatte, - den sie durch  die wilden Schluchten und KlØfte des Lebens
emporfØhrte in die Firnenwelt eines unbetreten Landes.
     Er, der doch ein ganzes Leben auf Mord gesonnen,  stand er nicht reiner
da,  als irgendeiner von denen, die naserØmpfend  umhergehen  und angelernte
Gebote eines unbekannten, mythischen Propheten zu befolgen vorgeben?
     Er hielt das Gebot, das  ihm ein ØbermÄchtiger Trieb diktierte, ohne an
eine "Belohnung" hier oder jenseits auch nur zu denken.
     Was er getan hatte, war es etwas anderes als  frÃmmste PflichterfØllung
in des Wortes verborgenster Bedeutung?
     "Feig,  hinterlistig,  mordgierig,  krank, eine  problematische -  eine
Verbrechernatur"  -  ich  hÃrte fÃrmlich, wie  das Urteil der Menge Øber ihn
lauten  muñte,  wenn  sie  mit  ihren  blinden Stallaternen in  seine  Seele
hineinzuleuchten kÄme,  -  dieser  geifernden  Menge,  die  nie  und  nimmer
begreifen wird, dañ die giftige Herbstzeitlose tausendfach schÃner und edler
ist als der nØtzliche Schnittlauch. - - -
     Wieder  ging  das  TØrschloñ drauñen,  und  ich hÃrte,  dañ  man  einen
Menschen hereinschob.
     Ich  drehte  mich  nicht einmal  um,  so sehr war ich  erfØllt von  dem
Eindruck des Briefes.
     Kein Wort Øber Angelina, nichts von Hillel stand darin.
     Freilich:  Charousek  muñte  in  grÃñter Eile  geschrieben  haben,  die
Schrift verriet es mir.
     Ob mir wohl noch ein Brief von ihm heimlich Øberbracht werden wØrde?
     Ich hoffte heimlich auf den  morgigen Tag, auf den gemeinsamen Rundgang
der Gefangenen im Hof. - Da war es noch am leichtesten, dañ  mir irgendeiner
vom "Bataillon" etwas zusteckte.
     Eine leise Stimme schreckte mich aus meinen GrØbeleien:
     "WØrden  Sie gestatten, mein Herr,  dañ  ich mich Ihnen vorstelle? Mein
Name ist Laponder. Amadeus Laponder".
     Ich drehte mich um.
     Ein  kleiner, schmÄchtiger,  noch  ziemlich  junger  Mann in  gewÄhlter
Kleidung, nur  ohne  Hut,  wie alle Untersuchungsgefangenen,  verbeugte sich
korrekt vor mir.
     Er war glattrasiert  wie ein Schauspieler, und  seine  groñen, hellgrØn
glÄnzenden, mandelfÃrmigen Augen  hatten das EigentØmliche  an sich, dañ, so
geradeaus sie  auch auf mich gerichtet waren,  sie mich doch  nicht zu sehen
schienen. - Es lag so etwas wie - Geistesabwesenheit darin.
     Ich  murmelte meinen Namen und verbeugte mich ebenfalls und wollte mich
wieder umdrehen, konnte aber lange den  Blick von dem Menschen nicht wenden,
so fremdartig  wirkte er  auf mich mit  dem pagodenhaften  LÄcheln,  das die
aufwÄrts  gezogenen Mundwinkel der feingeschwungenen Lippen bestÄndig seinem
Gesicht aufdrØckten.
     Er sah  fast  aus wie eine chinesische Buddhastatue aus Rosenquarz, mit
seiner faltenlosen, durchsichtigen Haut,  der mÄdchenhaft schmalen  Nase und
den zarten NØstern.
     "Amadeus Laponder, Amadeus Laponder", wiederholte ich vor mich hin.
     "Was er wohl begangen haben mag?"

     "Waren Sie schon beim VerhÃr", fragte ich nach einer Weile.
     "Ich komme  soeben  von dort. - Hoffentlich  werde  ich  Sie hier nicht
lange inkommodieren mØssen", antwortete Herr Laponder liebenswØrdig.
     "Armer   Teufel,"  dachte   ich   mir,  "er   ahnt   nicht,  was  einem
Untersuchungsgefangenen bevorsteht."
     Ich wollte ihn langsam vorbereiten:
     "Man  gewÃhnt  sich allmÄhlich  an  das Stillsitzen,  wenn  einmal  die
ersten, schlimmsten Tage vorØber sind." - - -
     Er machte ein verbindliches Gesicht.
     Pause.
     "Hat das VerhÃr lange gedauert, Herr Laponder?"
     Er lÄchelte zerstreut:
     "Nein. Ich  wurde  bloñ gefragt,  ob ich  gestÄndig  sei, und muñte das
Protokoll unterschreiben."
     "Sie haben unterschrieben, dañ Sie gestÄndig sind?" fuhr es mir heraus.
     "Allerdings."
     Er sagte es, als ob es sich von selbst verstØnde.
     Es  kann  nichts Schlimmes  sein, legte ich mir zurecht, weil er so gar
keine Aufregung  zeigt. Wahrscheinlich  eine Herausforderung zum  Duell oder
etwas ähnliches.
     "Ich bin leider schon  so lange hier, dañ  es mir wie ein Menschenleben
vorkommt";  -  ich  seufzte   unwillkØrlich,  und  er  machte  sofort   eine
teilnehmende  Miene. "Ich  wØnsche  Ihnen,  dañ  Sie  das nicht  mitzumachen
brauchen,  Herr  Laponder. Nach allem, was  ich sehe, werden  Sie  bald  auf
freiem Fuñ sein."
     "Wie  man's  nimmt",  antwortete  er  ruhig,  aber  es  klang  wie  ein
versteckter Doppelsinn.
     "Sie glauben nicht?", fragte ich lÄchelnd. Er schØttelte den Kopf.
     "Wie soll ich das verstehen? -  Was haben Sie denn gar so Schreckliches
begangen?  Verzeihen Sie, Herr  Laponder, es ist nicht Neugierde  von mir, -
lediglich Teilnahme, dañ ich frage."
     Er zÃgerte  einen Augenblick,  dann  sagte  er, ohne mit der Wimper  zu
zucken:
     "Lustmord."
     Mir war, als hÄtte er mich mit einem Stock Øber den Kopf geschlagen.
     Vor Abscheu und Grausen konnte ich keinen Ton herausbringen.
     Er schien es zu bemerken und blickte diskret zur Seite, aber nicht  das
leiseste  Minenspiel in seinem automatenhaft lÄchelnden Gesicht verriet, dañ
er Øber mein plÃtzlich verÄndertes Benehmen verletzt gewesen wÄre.
     Wir wechselten kein Wort weiter und blickten stumm aneinander vorbei. -
- -
     Als  ich  mich  nach Einbruch  der  Dunkelheit niederlegte,  folgte  er
sogleich meinem Beispiel, entkleidete  sich, hÄngte sorgsam seine Kleider an
den  Wandnagel,  streckte sich aus und  schien,  nach seinen ruhigen, tiefen
AtemzØgen zu schlieñen, unmittelbar darauf fest eingeschlafen zu sein.
     Die ganze Nacht konnte ich nicht zur Ruhe kommen.
     Das bestÄndige GefØhl, ein solches Scheusal in meiner  nÄchsten NÄhe zu
haben  und  dieselbe Luft mit ihm atmen zu  mØssen, war  mir so grÄñlich und
aufregend, dañ die EindrØcke des Tages, Charouseks Brief und all das erlebte
Neue tief in den Hintergrund traten.
     Ich hatte mich so gelegt, dañ ich den MÃrder bestÄndig im Auge behielt,
denn ich wØrde es nicht haben ertragen kÃnnen, ihn hinter mir zu wissen.
     Die Zelle war vom Schimmer des Mondes matt durchdÄmmert, und ich konnte
sehen, dañ Laponder regungslos, fast starr, dalag.
     Seine  ZØge  hatten etwas Leichenhaftes bekommen, und der halbgeÃffnete
Mund erhÃhte diesen Eindruck.
     Viele Stunden hindurch Änderte er nicht ein einziges Mal seine Lage.
     Erst spÄt nach Mitternacht, als ein dØnner Mondstrahl auf sein  Gesicht
fiel, kam eine leise Unruhe Øber ihn und er bewegte unaufhÃrlich die Lippen,
wie  jemand, der im Schlaf spricht. Es schien immer dasselbe Wort zu sein, -
ein zweisilbiger Satz vielleicht, - so wie:
     "Lañ mich. Lañ mich, Lañ mich."
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     Die nÄchsten  paar Tage vergingen, ohne dañ  ich Notiz von ihm genommen
hÄtte, und auch er brach niemals das Schweigen.
     Sein  Benehmen blieb nach wie  vor  gleich liebenswØrdig. Sooft ich auf
und ab gehen wollte, sah er es mir sofort  an und zog  hÃflich,  wenn er auf
der Pritsche sañ, die FØñe zurØck, um mir nicht im Wege zu sein.
     Ich fing an, mir VorwØrfe wegen  meiner Schroffheit  zu machen,  konnte
aber den Abscheu vor ihm beim besten Willen nicht loswerden.
     So sehr ich gehofft hatte, mich an seine  NÄhe gewÃhnen zu kÃnnen, - es
ging nicht.
     Selbst  in den  NÄchten hielt es  mich wach.  Kaum  eine  Viertelstunde
verbrachte ich im Schlaf.
     Abend fØr Abend wiederholte sich haargenau derselbe Vorgang: Er wartete
respektvoll, bis ich mich ausstreckte, zog dann seine Kleider aus, legte sie
pedantisch in Falten, hÄngte sie auf, und so weiter und so weiter.
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     Eines  Nachts  -  es  mochte um die  zweite  Stunde  sein  -  stand ich
schlaftrunken  vor  MØdigkeit  wieder  auf  dem  Wandbrett,  starrte in  den
Vollmond, dessen Strahlen sich wie glitzerndes  ãl auf dem kupfernen Gesicht
der Turmuhr spiegelten, und dachte voll Trauer an Mirjam.
     Da hÃrte ich plÃtzlich leise ihre Stimme hinter mir.
     Sofort war ich wach, Øberwach, - fuhr herum und horchte.
     Eine Minute verging.
     Schon  glaubte  ich,  ich  hÄtte mich getÄuscht, da kam es  wieder. Ich
konnte die Worte nicht genau verstehen, aber es klang wie:
     "Frag' mich. Frag' mich."
     Es war bestimmt Mirjams Stimme.
     Schlotternd  vor  Aufregung  stieg ich,  so leise ich konnte, herab und
trat an das Bett Laponders.
     Das  Mondlicht schien voll auf sein  Gesicht, und ich  konnte  deutlich
unterscheiden, dañ er die Lider offen hatte, doch nur das Weiñe der AugÄpfel
war sichtbar.
     An der Starre der Wangenmuskeln sah ich, dañ er im Tiefschlaf lag.
     Nur  die  Lippen  bewegten  sich wieder  wie  neulich.  Und  allmÄhlich
verstand ich die Worte, die hinter seinen ZÄhnen hervordrangen:
     "Frag' mich. Frag' mich."
     Die Stimme war der von Mirjam tÄuschend Ähnlich.
     "Mirjam? Mirjam?" rief  ich unwillkØrlich, dÄmpfte aber sofort den Ton,
um den SchlÄfer nicht zu erwecken.
     Ich  wartete,  bis  sein  Gesicht  wieder   starr  geworden  war,  dann
wiederholte ich leise:
     "Mirjam? Mirjam?"
     Sein Mund formte ein kaum vernehmbares, aber doch deutliches:
     "Ja."
     Ich legte mein Ohr dicht an seine Lippen.  Nach  einer Weile hÃrte  ich
Mirjams Stimme flØstern - so unverkennbar  ihre Stimme, dañ mir KÄlteschauer
Øber die Haut liefen.
     Ich trank die Worte so gierig, dañ ich nur den Sinn begriff. Sie sprach
von  Liebe zu mir und von dem unsagbaren GlØck, dañ wir uns endlich gefunden
hÄtten  -  und  uns nie  wieder  trennen wØrden -  hastig  - ohne Pause, wie
jemand,  der  fØrchtet, unterbrochen  zu werden und jede  Sekunde  ausnØtzen
will.
     Dann wurde die Stimme stockend - erlosch zeitweilig ganz.
     "Mirjam?" fragte ich,  bebend vor  Angst  und  mit  eingezogenem  Atem,
"Mirjam, bist du gestorben?"
     Lange keine Antwort.
     Dann fast unverstÄndlich:
     "Nein. - Ich lebe. - Ich schlafe."
     Nichts mehr.
     Ich lauschte und lauschte.
     Vergebens.
     Nichts mehr.
     Vor Ergriffenheit und Zittern muñte ich mich auf die Kante der Pritsche
stØtzen, um nicht vornØber auf Laponder zu fallen.
     Die  TÄuschung war so  vollstÄndig gewesen, dañ ich  Mirjam momentelang
tatsÄchlich  vor  mir  liegen  zu   sehen  glaubte  und  alle  meine   Kraft
zusammennehmen  muñte,  um nicht einen Kuñ  auf die Lippen  des  MÃrders  zu
drØcken.
     "Henoch! Henoch!"  -  hÃrte ich ihn plÃtzlich lallen, dann immer klarer
und artikulierter: "Henoch! Henoch!"
     Sofort erkannte ich Hillel.
     "Bist du es, Hillel?"
     Keine Antwort.
     Ich  erinnerte mich, gelesen zu haben, dañ man Schlafenden, um  sie zum
Reden  zu bringen, die Fragen nicht ins Ohr stellen dØrfe, sondern gegen das
Nervengeflecht in der Magengrube richten mØsse.
     Ich tat es:
     "Hillel?"
     "Ja, ich hÃre dich!"
     "Ist Mirjam gesund? Weiñt du alles?" fragte ich schnell.
     "Ja. Ich  weiñ  alles. Wuñte es lÄngst. - Sei ohne Sorge,  Henoch,  und
fØrchte dich nicht!"
     "Kannst du mir verzeihen, Hillel?"
     "Ich sage dir doch: sei ohne Sorge."
     "Werden wir  uns bald  wiedersehen?" - Ich fØrchtete, die Antwort nicht
mehr  verstehen  zu kÃnnen;  schon der  letzte  Satz war nur  noch  gehaucht
worden.
     "Ich  hoffe es.  Ich will  warten - auf dich - wenn ich kann - dann muñ
ich - Land -"
     "Wohin? In welches Land?" - ich fiel beinahe auf Laponder - "In welches
Land? In welches Land?"
     "- Land - Gad - sØdlich - PalÄstina -"
     Die Stimme erstarb.
     Hundert  Fragen  schÃssen mir  in der Verwirrung durch den  Kopf: Warum
nennt  er  mich  Henoch?  Zwakh,  Jaromir,  die Uhr, Vrieslander,  Angelina,
Charousek.
     "Leben  Sie wohl und gedenken Sie meiner  zuweilen",  kam  es plÃtzlich
wieder laut und deutlich  von den  Lippen des MÃrders. Diesmal in Charouseks
Tonfall, aber Ähnlich so, als hÄtte ich selbst es gesagt.
     Ich  erinnerte  mich:  es war wÃrtlich  der  Schluñsatz  aus Charouseks
Brief. -
     Das Gesicht Laponders lag bereits im Dunkel. Das Mondlicht fiel auf die
Kopfenden des  Strohsacks.  In einer Viertelstunde muñte  es aus  der  Zelle
verschwunden sein.
     Ich stellte Frage auf Frage, bekam aber keine Antwort mehr:
     Der MÃrder lag  unbeweglich  da wie  eine  Leiche  und hatte die  Lider
geschlossen.
     Ich machte mir die heftigsten VorwØrfe, alle die Tage Øber  in Laponder
nur den Verbrecher und niemals den Menschen gesehen zu haben. -
     Nach dem, was ich soeben erlebt, war er offenbar ein Somnambuler -  ein
GeschÃpf, das unter dem Einfluñ des Vollmonds stand.
     Vielleicht hatte er  den Lustmord in einer  Art DÄmmerzustand begangen.
Bestimmt sogar. -
     Jetzt,  wo der  Morgen  graute,  war  die  Starrheit  aus  seinen ZØgen
gewichen und hatte dem Ausdruck seligen Friedens Platz gemacht.
     So ruhig  kann ein Mensch doch nicht schlummern, der einen Mord auf dem
Gewissen hat, sagte ich mir.
     Ich konnte den Moment, wo er aufwachen wØrde, kaum erwarten.
     Ob er wohl wØñte, was geschehen war?
     Endlich schlug  er die Augen  auf,  begegnete meinem  Blick und sah zur
Seite.
     Sofort trat ich zu ihm und ergriff seine Hand: "Verzeihen Sie mir, Herr
Laponder,  dañ  ich bisher so unfreundlich zu Ihnen gewesen bin. Es war  das
Ungewohnte, das -"
     "Seien Sie Øberzeugt,  mein Herr, ich begreife  vollkommen," unterbrach
er  mich  lebhaft,  "dañ  es ein  scheuñliches  GefØhl  sein  muñ, mit einem
LustmÃrder beisammen zu sein."
     "Reden Sie nicht  mehr  davon", bat  ich. "Es ist  mir heute  nacht  so
mancherlei durch den  Kopf gegangen, und ich werde den  Gedanken  nicht los,
Sie kÃnnten vielleicht - - -" ich suchte nach Worten.
     "Sie halten mich fØr krank", half er mir heraus.
     Ich bejahte: "Ich glaube es aus gewissen Anzeichen schlieñen zu dØrfen.
Ich - ich - darf ich Ihnen eine direkte Frage stellen, Herr Laponder?"
     "Ich bitte darum."
     "Es klingt  etwas  merkwØrdig, - aber - wØrden Sie mir  sagen,  was Sie
heute getrÄumt haben?"
     Er schØttelte lÄchelnd den Kopf: "Ich trÄume nie."
     "Aber Sie haben aus dem Schlaf gesprochen."
     Er blickte Øberrascht  auf.  Dachte  eine  Weile nach.  Dann  sagte  er
bestimmt:
     "Das kann nur geschehen sein, wenn Sie mich etwas gefragt haben." - Ich
gab es zu. "Denn wie gesagt,  ich trÄume nie. Ich -  ich wandere", setzte er
nach einer Pause halblaut hinzu.
     "Sie wandern? Wie soll ich das verstehen?"
     Er schien nicht recht mit  der Sprache heraus zu  wollen, und ich hielt
es fØr angezeigt, ihm die GrØnde zu nennen, die mich bewogen hatten, in  ihn
zu dringen, und erzÄhlte ihm in Umrissen, was nachts geschehen war.
     "Sie  kÃnnen sich fest darauf  verlassen," sagte  er ernst,  als ich zu
Ende war, "dañ alles auf Richtigkeit beruht, was ich  im  Schlaf  gesprochen
habe. Wenn ich vorhin  bemerkte, dañ ich nicht trÄume, sondern ›wandere‹, so
meine ich damit, dañ  mein Traumleben anders  beschaffen ist als das - sagen
wir: normaler Menschen. Nennen Sie  es,  wenn Sie wollen,  ein Austreten aus
dem KÃrper. - - So war ich  z.  B. heute nacht  in einem hÃchst  sonderbaren
Zimmer, zu dem der Eingang von unten herauf durch eine FalltØr fØhrte."
     "Wie sah es aus?" fragte ich rasch. "War es unbewohnt? Leer?"
     "Nein; es standen  MÃbel darin; aber nicht viele. Und ein  Bett, in dem
ein junges  MÄdchen schlief  - oder  wie scheintot lag, -  und ein Mann  sañ
neben  ihr und hielt seine Hand  Øber ihre Stirn." - Laponder schilderte die
Gesichter der beiden. Kein Zweifel, es waren Hillel und Mirjam.
     Ich wagte vor Spannung kaum zu atmen.
     "Bitte, erzÄhlen Sie weiter. War sonst noch jemand im Zimmer?"
     "Sonst  noch jemand? Warten  Sie -  - - nein: sonst war niemand mehr im
Zimmer. Ein siebenflammiger Leuchter brannte auf dem Tisch.  - Dann ging ich
eine Wendeltreppe hinunter."
     "Sie war zerbrochen?" fiel ich ein.
     "Zerbrochen? Nein, nein; sie war ganz in Ordnung. Und von  ihr  zweigte
seitlich eine Kammer ab, darin sañ ein Mann mit  silbernen Schnallen an  den
Schuhen und von fremdartigem Typus, wie ich  noch nie einen Menschen gesehen
habe:  von gelber  Gesichtsfarbe  und  mit  schrÄgstehenden Augen; -  er war
vornØber  gebeugt  und  schien  auf  etwas  zu  warten.  Auf  einen  Auftrag
vielleicht."
     "Ein  Buch  -  ein  altes groñes  Buch  haben  Sie  nirgends gesehen?",
forschte ich.
     Er rieb sich die Stirn:
     "Ein Buch sagen Sie? - Ja. Sehr richtig: ein Buch lag auf dem Boden. Es
war  aufgeschlagen, ganz aus Pergament, und mit  einem  groñen, goldenen ›A‹
fing die Seite an."
     "Mit einem ›I‹, meinen Sie wohl?"
     "Nein, mit einem ›A‹."
     "Wissen Sie das bestimmt? War es nicht ein ›I‹?"
     "Nein, es war bestimmt ein ›A‹."
     Ich  schØttelte  den  Kopf  und  fing  an zu  zweifeln.  Offenbar hatte
Laponder im Halbschlaf  in meinem Vorstellungsinhalt gelesen  und alles wirr
durcheinander  gebracht: Hillel,  Mirjam, den Golem,  das Buch Ibbur und den
unterirdischen Gang.
     "Haben  Sie die  Gabe  zu ›wandern‹, wie Sie es  nennen, schon  lang?",
fragte ich.
     "Seit meinem  21. Jahr - -  -", er stockte, schien nicht gern davon  zu
reden; da  nahm  seine Miene plÃtzlich  den Ausdruck grenzenlosen Erstaunens
an, und er starrte auf meine Brust, als ob er dort etwas sÄhe.
     Ohne auf meine Verwunderung zu achten, ergriff er hastig meine Hand und
bat - fast flehentlich:
     "Um Himmels  willen, sagen Sie mir alles. Es ist  heute der letzte Tag,
den ich  bei Ihnen verbringen darf.  Vielleicht  schon in einer Stunde werde
ich abgeholt, um mein Todesurteil anzuhÃren - -."
     Ich unterbrÄche ihn entsetzt:
     "Dann mØssen Sie mich  mitnehmen als Zeugen! Ich  werde beschwÃren, dañ
Sie  krank sind.  -  Sie sind mondsØchtig. Es darf  nicht  sein, dañ man Sie
hinrichtet,  ohne Ihren  Geisteszustand untersucht zu haben.  So  nehmen Sie
doch Vernunft an!"
     Er wehrte nervÃs ab: "Das ist doch so nebensÄchlich, - bitte, sagen Sie
mir alles!"
     "Aber was  soll ich Ihnen denn sagen? - Reden wir doch lieber von Ihnen
und - -"
     "Sie mØssen,  ich weiñ das jetzt, gewisse, seltsame Dinge erlebt haben,
die mich nah angehen, - nÄher als Sie ahnen kÃnnen; - - ich bitte Sie, sagen
Sie mir alles!", flehte er.
     Ich konnte es nicht fassen, dañ ihn mein  Leben  mehr interessierte als
seine  eigenen, doch wahrhaftig genØgend dringenden Angelegenheiten;  um ihn
aber  zu  beruhigen,  erzÄhlte ich  ihm alles, was  mir  an  Unbegreiflichem
geschehen war.
     Bei jedem grÃñeren Abschnitt nickte er  zufrieden, wie jemand, der eine
Sache bis zum Grund durchschaut.
     Als  ich  zu  der Stelle kam, wo  die  Erscheinung ohne  Kopf  vor  mir
gestanden und mir  die schwarzroten  KÃrner hingehalten hatte, konnte er  es
kaum erwarten, den Schluñ zu erfahren.
     "Also, aus der Hand geschlagen haben Sie sie ihm", murmelte er sinnend.
"Ich hÄtte nie gedacht, dañ es einen dritten ›Weg‹ geben kÃnnte.
     "Es war  das  kein dritter  Weg", sagte ich, "es war derselbe, wie wenn
ich die KÃrner abgelehnt hÄtte."
     Er lÄchelte.
     "Glauben Sie nicht, Herr Laponder?"
     "Wenn  Sie sie  abgelehnt  hÄtten,  wÄren  Sie wohl  auch den  ›Weg des
Lebens‹ gegangen, aber die KÃrner, die magische KrÄfte bedeuten, wÄren nicht
zurØckgeblieben. -  So sind sie  auf den  Boden gerollt, wie Sie sagen.  Das
heiñt:  sie  sind hiergeblieben und  werden  von  Ihren Vorfahren  so  lange
gehØtet,  bis die Zeit des Keimens da ist.  Dann  werden  die KrÄfte, die in
Ihnen jetzt noch schlummern, lebendig werden."
     Ich verstand nicht: "Von meinen Vorfahren werden die KÃrner behØtet?"
     "Sie mØssen es teilweise symbolisch auffassen, was Sie  erlebt  haben",
erklÄrte  Laponder.  "Der Kreis der blÄulich  strahlenden  Menschen, der Sie
umstand,  war die  Kette  der  ererbten ›Iche‹, die  jeder  von einer Mutter
Geborene mit sich herumschleppt.  Die  Seele ist  nichts  ›Einzelnes‹, - sie
soll es erst  werden, und das nennt man dann: ›Unsterblichkeit‹;  Ihre Seele
ist  noch zusammengesetzt aus  vielen ›Ichen‹ - so, wie ein Ameisenstaat aus
vielen Ameisen; Sie tragen die seelischen Reste vieler tausend Vorfahren  in
sich: - die  HÄupter Ihres  Geschlechtes. Bei  allen  Wesen ist es  so.  Wie
kÃnnte  denn  ein Huhn,  das  aus einem Ei kØnstlich  erbrØtet  wurde,  sich
sogleich  die  richtige  Nahrung  suchen,  wenn  nicht  die  Erfahrung   von
Jahrmillionen  in ihm  stÄke? - Das Vorhandensein des ›Instinkts‹ verrÄt die
Gegenwart der Vorfahren im Leib und in der Seele. - Aber, verzeihen Sie, ich
wollte Sie nicht unterbrechen."
     Ich  erzÄhlte   zu  Ende.  Alles.  Auch   das,   was  Mirjam  Øber  den
"Hermaphroditen" gesagt hatte.
     Als  ich innehielt  und  aufblickte, bemerkte ich,  dañ  Laponder  weiñ
geworden war wie der Kalk an der Wand und TrÄnen Øber seine Wangen liefen.
     Rasch stand ich auf, tat, als sÄhe  ich es nicht, und ging in der Zelle
auf und nieder, um abzuwarten, bis er sich beruhigt haben wØrde.
     Dann  setzte ich  mich ihm gegenØber und  bot meine ganze  Beredsamkeit
auf, ihn  zu Øberzeugen,  wie dringend nÃtig es wÄre, den Richtern gegenØber
auf seinen krankhaften Geisteszustand hinzuweisen.
     "Wenn Sie wenigstens den Mord nicht eingestanden hÄtten!", schloñ ich.
     "Aber ich muñte doch! Man hat mich auf mein Gewissen gefragt", sagte er
naiv.
     "Halten  Sie denn eine LØge fØr schlimmer  als  - als einen Lustmord?",
fragte ich verblØfft.
     "Im allgemeinen  vielleicht  nicht,  in meinem Fall gewiñ. - Sehen Sie:
als ich vom Untersuchungsrichter gefragt wurde,  ob ich  gestØnde, hatte ich
die Kraft, die Wahrheit zu  sagen. Es stand also  in  meiner Wahl, zu  lØgen
oder nicht zu lØgen. - Als ich den  Lustmord beging - -  bitte, ersparen Sie
mir  die Details: es  war so grÄñlich, dañ ich  die  Erinnerung nicht wieder
aufleben lassen mÃchte  - - als ich den  Lustmord beging, da hatte ich keine
Wahl. Wenn ich auch bei vollkommen  klarem Bewuñtsein handelte, so hatte ich
dennoch keine Wahl: irgend etwas, dessen Vorhandensein in mir ich nie geahnt
hatte, wachte auf und war  stÄrker als ich.  Glauben Sie, wenn ich  die Wahl
gehabt haben  wØrde,  ich  hÄtte gemordet? - Nie  habe ich  getÃtet -  nicht
einmal  das kleinste  Tier,  - und jetzt wÄre ich es  schon  gar nicht  mehr
imstande.
     Nehmen  Sie  an,  es  wÄre  Menschengesetz:  zu  morden,  und  auf  die
Unterlassung stØnde der  Tod  - Ähnlich, wie  es im  Krieg  der Fall  ist, -
augenblicklich hÄtte ich mir den Tod verdient. - Weil mir keine Wahl bliebe.
Ich kÃnnte ganz  einfach nicht morden.  Damals, als ich den Lustmord beging,
lag die Sache umgekehrt."
     "Um so mehr, wo Sie sich jetzt quasi als ein anderer fØhlen, mØssen Sie
alles aufbieten, dem Richterspruch zu entgehen!", wandte ich ein.
     Laponder machte eine  abwehrende Handbewegung: "Sie  irren! Die Richter
haben  von ihrem Standpunkt  aus ganz recht. Sollen sie  einen Menschen  wie
mich vielleicht frei umherlaufen lassen? Damit morgen oder Øbermorgen wieder
das Unheil losbricht?"
     "Nein; aber  in  einer  Heilanstalt fØr Geisteskranke  sollte  man  Sie
internieren. Das ist es doch, was ich sage!"
     "Wenn  ich  irrsinnig  wÄre,  hÄtten  Sie  recht",  erwiderte  Laponder
gleichmØtig. "Aber ich  bin  nicht irrsinnig. Ich  bin etwas ganz anderes, -
etwas, was  dem Irrsinn sehr Ähnlich sieht, aber gerade das  Gegenteil  ist.
Bitte,  hÃren Sie zu. Sie werden mich sogleich verstehen. - -  - Was Sie mir
vorhin von dem Phantom ohne Kopf - ein Symbol natØrlich: dieses Phantom; den
SchlØssel kÃnnen Sie leicht finden, wenn Sie darØber nachdenken - erzÄhlten,
ist mir einst genauso passiert. Nur habe ich die KÃrner angenommen. Ich gehe
also den ›Weg des Todes‹! - FØr mich ist das Heiligste, das ich denken kann:
meine Schritte vom Geistigen in mir lenken zu lassen. Blind, vertrauensvoll,
wohin  der Weg auch fØhren  mag: ob zum Galgen  oder zum Thron, ob zur Armut
oder  zum Reichtum. Niemals habe ich gezÃgert, wenn die  Wahl in meine  Hand
gelegt war.
     Darum habe ich auch nicht gelogen, als die Wahl in meiner Hand lag.
     Kennen Sie die Worte des Propheten Micha:
     "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist,
     und was der Herr von dir fordert,"?
     WØrde ich gelogen haben, hÄtte  ich eine  Ursache geschaffen, weil  ich
die Wahl hatte; -  - als ich den  Mord beging, schuf  ich keine Ursache; nur
die Wirkung  einer in mir  schlummernden,  lÄngst gelegten Ursache, Øber die
ich keine Gewalt mehr besañ, wurde frei.
     Also sind meine HÄnde rein.
     Dadurch, dañ  das Geistige in  mir mich zum  MÃrder werden lieñ, hat es
eine Hinrichtung an mir  vollzogen; dadurch, dañ  mich  die  Menschen an den
Galgen knØpfen, wird mein Schicksal  losgelÃst von dem ihrigen:  - ich komme
zur Freiheit."
     Er ist  ein Heiliger, fØhlte ich, und  das  Haar strÄubte sich mir  vor
Schauder Øber meine eigene Kleinheit.
     "Sie haben mir  erzÄhlt,  dañ Sie durch den hypnotischen Eingriff eines
Arztes  in Ihr Bewuñtsein  lange die Erinnerung an Ihre Jugendzeit vergessen
hatten", fuhr er  fort.  "Es ist das  das Kennzeichen - das Stigma  -  aller
derer,  die von  der  ›Schlange  des geistigen Reiches‹  gebissen  sind.  Es
scheint fast, als mØñten in uns zwei Leben aufeinandergepfropft  werden, wie
ein Edelreis auf den wilden Baum,  ehe  das  Wunder  der Erweckung geschehen
kann; -  was  sonst  durch  den  Tod  getrennt wird,  geschieht  hier  durch
ErlÃschen der Erinnerung - manchmal nur durch eine plÃtzliche innere Umkehr.
     Bei mir war es so,  dañ ich scheinbar ohne Äuñere Ursache in meinem 21.
Jahr  eines Morgens wie verÄndert erwachte.  Was mir bis dahin lieb gewesen,
erschien mir mit einemmal gleichgØltig: Das  Leben kam mir dumm vor wie eine
Indianergeschichte  und  verlor   an  Wirklichkeit;  die  TrÄume  wurden  zu
Gewiñheit - zu apodiktischer, beweiskrÄftiger Gewiñheit, verstehen Sie wohl:
zu beweiskrÄftiger,  realer Gewiñheit,  und das  Leben des Tages  wurde  zum
Traum.
     Alle  Menschen  kÃnnten  das,  wenn  sie den SchlØssel  hÄtten. Und der
SchlØssel liegt einzig  und allein darin, dañ  man sich seiner ›Ichgestalt‹,
sozusagen seiner  Haut, im Schlaf bewuñt wird,  - die schmale  Ritze findet,
durch die sich das Bewuñtsein zwÄngt zwischen Wachsein und Tiefschlaf.
     Darum sagte ich vorhin: ›ich wandere‹ und nicht: ›ich trÄume‹.
     Das Ringen nach  der Unsterblichkeit ist ein  Kampf um das Zepter gegen
die  uns  innewohnenden  KlÄnge  und  Gespenster;  und das  Warten  auf  das
KÃnigwerden des eigenen ›Ichs‹ ist das Warten auf den Messias.
     Der schemenhafte  Habal Garmin, den Sie  gesehen haben, der ›Hauch  der
Knochen‹ der Kabbala, das war der KÃnig. Wenn er gekrÃnt sein  wird, dann  -
reiñt der  Strick  entzwei,  mit dem Sie  durch  die Äuñeren  Sinne  und den
Schornstein des Verstandes an die Welt gebunden sind.
     Wieso es  kommen konnte, dañ ich trotz meinem Losgetrenntsein vom Leben
Øber Nacht zum LustmÃrder werden konnte, fragen Sie mich? Der Mensch ist wie
ein Glasrohr, durch das bunte Kugeln laufen: bei fast allen im Leben nur die
eine. Ist die Kugel rot, heiñt der Mensch: ›schlecht‹.  Ist sie  gelb,  dann
ist der Mensch:  ›gut‹. Laufen  zwei  hintereinander  - eine rote  und  eine
gelbe, dann hat ›man‹ einen ›ungefestigten‹ Charakter. Wir von der ›Schlange
Gebissenen‹,  machen in einem  Leben durch, was sonst an der ganzen Rasse in
einem  Weltenalter  geschieht: die farbigen Kugeln rasen  hintereinander her
durch das Glasrohr, und wenn sie zu Ende sind - - dann sind wir Propheten, -
sind die Spiegel Gottes geworden."
     Laponder schwieg.
     Lange konnte  ich  kein Wort  sprechen.  Seine  Rede  hatte  mich  fast
betÄubt.
     "Weshalb fragten Sie mich vorhin  so Ängstlich nach meinen Erlebnissen,
wo  Sie  doch so  viel, viel hÃher stehen als ich?", fing ich endlich wieder
an.
     "Sie irren," sagte  Laponder, "ich stehe weit unter Ihnen. - Ich fragte
Sie, weil ich fØhlte, dañ Sie den SchlØssel besitzen, der mir noch fehlte."
     "Ich? Einen SchlØssel. O Gott!"
     "Jawohl Sie! Und Sie  haben ihn mir gegeben. - Ich glaube nicht, dañ es
einen glØcklicheren Menschen auf Erden gibt, als ich es heute bin."
     Drauñen entstand ein  GerÄusch; die  Riegel  wurden zurØckgeschoben,  -
Laponder achtete kaum darauf:
     "Das mit dem Hermaphroditen  war  der  SchlØssel.  Jetzt habe  ich  die
Gewiñheit.  Schon deshalb bin ich froh,  dañ man mich holen kommt, denn bald
bin ich am Ziel."
     Vor TrÄnen konnte  ich Laponders Gesicht  nicht mehr unterscheiden, ich
hÃrte nur das LÄcheln in seiner Stimme.
     "Und jetzt: Leben Sie wohl, Herr Pernath, und denken  Sie: das, was man
morgen  aufhenkt,  sind  nur  meine  Kleider;  Sie  haben mir  das  SchÃnste
erÃffnet, - das Letzte, was ich noch nicht wuñte.  Jetzt geht's zur Hochzeit
-  -  -," er  stand auf und folgte  dem GefangenwÄrter - "es hÄngt  mit  dem
Lustmord  eng  zusammen",  waren  die letzten  Worte, die ich  hÃrte und nur
dunkel begriff.
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     Sooft seit jener Nacht der Vollmond am Himmel  stand, glaubte ich immer
wieder  Laponders  schlafendes Gesicht  auf der grauen  Leinwand des  Bettes
liegen zu sehen.
     In den nÄchsten Tagen,  nachdem er weggefØhrt worden war, hatte ich ein
HÄmmern  und  Zimmern  aus  dem  Hinrichtungshof  heraufdrÃhnen  hÃren,  das
manchmal bis zum Morgengrauen dauerte.
     Ich erriet, was es bedeutete,  und hielt  mir stundenlang die Ohren  zu
vor Verzweiflung.
     Monat um Monat verfloñ. Ich sah, wie der Sommer zerrann, am Krankwerden
des kØmmerlichen Laubs im Hof; roch  es an dem pelzigen  Hauch,  der aus den
Mauern drang.
     Wenn mein Blick bei den RundgÄngen auf den sterbenden Baum fiel und das
eingewachsene  Glasbild der Heiligen in seiner Rinde,  zog ich unwillkØrlich
jedesmal den  Vergleich,  wie  tief sich  auch  Laponders  Gesicht  in  mich
eingegraben hatte.  BestÄndig trug ich es in mir herum, dieses Buddhagesicht
mit der faltenlosen Haut und dem seltsamen, immerwÄhrenden LÄcheln.
     Ein   einziges   Mal   noch   -   im   September   -  hatte  mich   der
Untersuchungsrichter holen  lassen  und  miñtrauisch  gefragt,  wie  ich  es
begrØnden  kÃnne, dañ  ich bei  dem Bankschalter gesagt,  ich mØsse dringend
verreisen, und warum  ich  in den  Stunden vor meiner Verhaftung  so unruhig
gewesen wÄre und meine sÄmtlichen Edelsteine zu mir gesteckt hÄtte.
     Auf meine Antwort, ich sei mit der Absicht umgegangen, mir das Leben zu
nehmen, hatte es wieder hinter dem Schreibtisch hÃhnisch gemeckert. -
     Bis  dahin  war  ich allein in  meiner Zelle gewesen und konnte  meinen
Gedanken, meiner  Trauer um Charousek, der, wie ich fØhlte, lÄngst tot  sein
muñte, und Laponder und meiner Sehnsucht nach Mirjam nachhÄngen.
     Dann  kamen  wieder  neue  Gefangene:  diebische  Kommis mit  verlebten
Gesichtern, dickwanstige Bankkassierer,  - "Waisenkinder", wie der  schwarze
VÕssatka sie genannt  haben  wØrde, - und  verpesteten mir  die Luft und die
Stimmung.
     Eines  Tages gab einer von ihnen voll EntrØstung zum  besten,  dañ  vor
geraumer Zeit ein Lustmord in der Stadt geschehen sei. Zum  GlØck hÄtte  man
den TÄter sogleich erwischt und kurzen Prozeñ mit ihm gemacht.
     "Laponder hat  er  geheiñen,  der Schuft, der gottserbÄrmliche", schrie
ein Kerl mit  einer Raubtierschnauze, der  wegen  Kindsmiñhandlung  zu  - 14
Tagen  GefÄngnis  verurteilt  worden  war,  dazwischen.  "Auf  frischer  Tat
habn's'n g'fañt. Die Lampen is umg'fallen bei dem  Krawall  und's  Zimmer is
ausbrennt. Die Leich'  von dem MÄdel is  dabei so verkohlt, dañ mer  bis zum
heutigen Tage noch  nÃt  hat  rausbringen  kÃnnen, wer sie  eigentlich  war.
Schwarze  Haar hat's  g'habt und a  schmal's G'sicht, dÃs  is  alls, was mer
weiñ. Und der Laponder hat  net ums Verrecken rausg'rØckt mit ihrem Namen. -
Wann's nach  mir gangen wÄr,  i hÄtt  ihm d'Haut ab'zogen und Pfeffer  drauf
g'streut. - DÃs san halt die feinen Herren! MÃrder san's, alle z'samm. - - -
- Als ob's net anderne Mittel g'nua gebet, wann aner a MÄdel los sein wØll",
setzte er mit zynischem LÄcheln hinzu.
     Die Wut kochte in mir, und am liebsten hÄtte  ich den Halunken zu Boden
geschlagen.
     Nacht fØr Nacht  schnarchte  er in dem  Bett, auf dem Laponder gelegen.
Ich atmete auf, als er endlich freigelassen wurde.
     Aber selbst  da war ich ihn  noch nicht los:  seine Rede hatte sich wie
ein Pfeil mit Widerhaken in mich eingebohrt.
     Fast bestÄndig, hauptsÄchlich in der Dunkelheit, nagte jetzt in mir der
grausige Verdacht, Mirjam kÃnnte das Opfer Laponders gewesen sein.
     Je mehr ich dagegen ankÄmpfte, desto tiefer verstrickte ich mich in dem
Gedanken, bis er beinahe zur fixen Idee wurde.
     Manchmal, besonders wenn  der Mond grell durchs Gitter schien, wurde es
besser:  ich konnte mir  die Stunden,  die  ich  mit Laponder  verlebt, dann
lebendig machen, und das tiefe GefØhl  fØr ihn verscheuchte mir die Qual,  -
aber nur zu oft kamen die grÄñlichen Minuten wieder,  wo ich Mirjam ermordet
und  verkohlt  im  Geiste  vor mir sah und glaubte,  vor Angst  den Verstand
verlieren zu mØssen.
     Die  schwachen  Anhaltspunkte,  die  ich  fØr  meinen  Verdacht  hatte,
verdichteten  sich  in  solchen  Zeiten zu einem geschlossenen  Ganzen, - zu
einem GemÄlde voll unbeschreiblich entsetzenerregender Einzelheiten.
     Anfang  November gegen 10 Uhr abends,  es war bereits stockfinster  und
die Verzweiflung in mir hatte  einen  derartigen HÃhepunkt erreicht, dañ ich
mich,  um  nicht laut aufzuschreien,  in  meinen Strohsack  verbiñ  wie  ein
verdurstendes  Tier,  Ãffnete  plÃtzlich  der  GefangenwÄrter die  Zelle und
forderte mich auf, mit  ihm  zum Untersuchungsrichter zu  kommen. Ich fØhlte
mich so schwach, dañ ich mehr taumelte als ging.
     Die  Hoffnung, jemals dieses schreckliche Haus verlassen zu dØrfen, war
lÄngst in mir gestorben.
     Ich machte  mich  darauf  gefañt, wieder  eine  kalte Frage gestellt zu
bekommen, das stereotype Gemecker  hinter dem Schreibtisch zu hÃren und dann
zurØck in die Finsternis zu mØssen.
     Der  Herr Baron Leisetreter war bereits nach Hause gegangen und nur ein
alter, buckliger Schreiber mit Spinnenfingern stand im Zimmer.
     Dumpf wartete ich, was mit mir geschehen wØrde.
     Es fiel mir auf, dañ der GefangenwÄrter mit hereingekommen war und  mir
gutmØtig zublinzelte, aber ich war viel zu niedergeschlagen, als dañ ich mir
Øber die Bedeutung alles dessen hÄtte klarwerden kÃnnen.
     "Die Untersuchung hat ergeben", fing der Schreiber  an, meckerte, stieg
auf  einen  Sessel  und  kramte   erst   lange  auf  dem   BØcherbord   nach
SchriftstØcken,  ehe  er fortfuhr:  "hat ergeben, dañ der  in Frage kommende
Karl Zottmann vor seinem Tode  anlÄñlich  einer heimlichen Zusammenkunft mit
der unverehelichten ehemaligen Prostituierten Rosina Metzeles, die damaliger
Zeit  den  Spitznamen  ›die  rote Rosina‹  fØhrte,  dann  spÄter  von  einem
taubstummen,    nunmehr    unter     polizeilicher     Aufsicht    stehenden
Silhubettenschneider namens Jaromir KwÂñnitschka aus dem Weinsalon ›Kautsky‹
losgekauft wurde und seit einigen Monaten mit Seiner Durchlaucht dem FØrsten
Ferri AthenstÄdt im gemeinsamen, wilden Konkubinate als Maiteresse lebt, von
hinterlistiger Hand in  ein unterirdisches, aufgelassenes  KellergewÃlbe des
Hauses  Nummer  conscriptionis  21873,  gebrochen  durch  rÃmisch  III,  der
Hahnpañgasse, laufende Numero sieben, gelockt, dortselbst eingeschlossen und
sich selbst,  beziehungsweise  dem  Tode  durch  Verhungern  oder  Erfrieren
Øberlassen  wurde.  -  -  Der  obenerwÄhnte Zottmann nÄmlich",  erklÄrte der
Schreiber mit einem Blick Øber die  Brille hinweg und blÄtterte  ein paarmal
um.
     "Die  Untersuchung  hat  weiters  ergeben,  dañ  der  obenerwÄhnte Karl
Zottmann  allem  Anscheine  nach  -  nach  eingetretenem  Ableben  -  seiner
sÄmtlichen  bei  ihm  getragenen  Habseligkeiten,  insbesondere  seiner  sub
faszikel  rÃmisch P gebrochen durch ›BÄh‹ beigeschlossenen  doppelmanteligen
Taschenuhr" - der  Schreiber hob die Uhr an der Kette in die HÃhe - "beraubt
wurde.  Der  eidesstattlichen  Aussage  des   Silhubettenschnitzers  Jaromir
KwÂñnitschka,   verwaisten   Sohnes   des   vor   17   Jahren   verstorbenen
HostienbÄckers gleichen Namens:  die Uhr im Bette seines inzwischen flØchtig
gegangenen Bruders Loisa gefunden und an den AltwarenhÄndler und mehrfachen,
inzwischen aus dem  Leben geschiedenen  RealitÄtenbesitzer Aaron  Wassertrum
gegen  Inempfangnahme  von  Geldeswert verÄuñert  zu  haben, konnte  mangels
GlaubwØrdigkeit kein Gewicht beigelegt werden.
     Die Untersuchung hat weiters ergeben, dañ die Leiche des erwÄhnten Karl
Zottmann in der rØckwÄrtigen  Hosentasche  zur  Zeit  ihrer  Auffindung  ein
Notizbuch bei sich  trug,  in  der  sie  vermutlich bereits  einige Tage vor
erfolgtem Ableben  mehrere den Tatbestand erhellende und  die Ergreifung des
TÄters durch  die  k.  k. BehÃrden  erleichternde  Eintragungen  vorgenommen
hatte.
     Das Augenmerk einer hohen k. und k. Staatsanwaltschaft wurde demzufolge
auf  den  nunmehr  durch  die  Zottmannschen letztwilligen Notizen  dringend
verdÄchtig  gewordenen  Loisa  KwÂñnitschka,  zurzeit  flØchtig, gelenkt und
unter  einem  verfØgt,   die  Untersuchungshaft  gegen  Athanasius  Pernath,
Gemmenschneider, dermalen noch  unbescholten, aufzuheben, und das  Verfahren
gegen ihn einzustellen.
     Prag im Juli
     gezeichnet
     Dr. Freiherr von Leisetreter."
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     Der Boden schwankte unter meinen FØñen, und  ich verlor eine Minute das
Bewuñtsein.
     Als  ich erwachte,  sañ  ich auf  einem  Stuhl, und der  GefangenwÄrter
klopfte mir freundlich auf die Schulter.
     Der Schreiber war vollkommen ruhig geblieben, schnupfte, schneuzte sich
und sagte zu mir:
     "Die Verlesung der VerfØgung hat sich bis heute hinausgezogen, weil Ihr
Name mit einem ›PÄh‹  beginnt und naturgemÄñ  im  Alphabet erst gegen Schluñ
vorkommen kann." - Dann las er weiter:
     "øberdies ist der Athanasius  Pernath, Gemmenschneider,  in Kenntnis zu
setzen,  dañ  ihm  laut  testamentarischer  VerfØgung des  im  Mai  mit  Tod
abgegangenen stud. med. Innocenz Charousek  ein Drittel  von dessen gesamter
Verlassenschaft ins Erbe zugefallen ist, und  ist er  zur Unterfertigung des
Protokolls hiermit anzuhalten."
     Der Schreiber  hatte bei dem letzten Wort die Feder eingetunkt und fing
an zu schmieren.
     Ich erwartete gewohnheitsmÄñig, dañ  er meckern wØrde, aber er meckerte
nicht.
     "Innocenz Charousek", murmelte ich ihm wie geistesabwesend nach.
     Der GefangenwÄrter beugte sich Øber mich und flØsterte mir ins Ohr:
     "Kurz vor seinem Tode war  er bei mir, der Herr  Dr. Charousek, und hat
sich nach Ihnen erkundigt. Er lÄñt  Sie viel-vielmals grØñen, hat er g'sagt.
Ich hab's natØrlich damals nicht ausrichten dØrfen. Es ist streng  verboten.
Ein schreckliches Ende hat  er Øbrigens genommen, der Herr Dr. Charousek. Er
hat  sich selbst  entleibt.  Man hat ihn  tot auf  dem GrabhØgel  des  Aaron
Wassertrum,  auf der Brust liegend, gefunden. - Er hat zwei  tiefe LÃcher in
die  Erde  gegraben gehabt, sich  die Pulsadern aufgeschnitten  und dann die
Arme in  die LÃcher gesteckt.  So ist  er verblutet. Er  ist  wahrscheinlich
wahnsinnig gewesen, der Herr Dr. Char - - -"
     Der Schreiber schob gerÄuschvoll seinen  Stuhl zurØck und  reichte  mir
die Feder zum Unterschreiben.
     Dann  richtete  er  sich stolz  auf  und sagte genau im Tonfall  seines
freiherrlichen Vorgesetzten:
     "GefangenwÄrter, fØhren Sie den Mann hinaus."
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     Wie  vor  langer,  langer Zeit hatte wiederum  der Mann  mit  SÄbel und
Unterhosen im  Torzimmer seine  KaffeemØhle vom  Schoñ genommen; nur dañ  er
mich diesmal  nicht untersuchte  und mir meine Edelsteine,  das Portemonnaie
mit den zehn Gulden darin, meinen Mantel und alles Øbrige zurØckgab. - - -
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     Dann stand ich auf der Strañe.
     "Mirjam! Mirjam! Jetzt endlich naht das Widersehen!" - Ich unterdrØckte
einen Schrei wildesten EntzØckens.
     Es muñte Mitternacht  sein.  Der  Vollmond schwebte  glanzlos  wie  ein
fahler Messingteller hinter Dunstschleiern.
     Das Pflaster war mit einer zÄhen Schicht von Schmutz bedeckt.
     Ich  wankte  auf  eine  Droschke  zu,  die  im  Nebel  aussah  wie  ein
zusammengebrochenes vorsintflutliches  Ungeheuer. Meine Beine versagten fast
den Dienst; ich hatte das Gehen verlernt und taumelte - auf empfindungslosen
Sohlen wie ein RØckenmarkskranker. - -
     "Kutscher, fahren Sie mich, so rasch Sie kÃnnen, in die Hahnpañgasse 7!
- Haben Sie mich verstanden?: - Hahnpañgasse 7."

     Nach wenigen Metern Fahrt blieb die Droschke stehn.
     "HahnpañgassÄ, gnÄ' Herr?"
     "Ja, ja, nur rasch."
     Wieder fuhr der Wagen ein StØck weiter. Wieder blieb er stehen.
     "Um Himmels willen, was gibt's denn?"
     "HahnpañgassÄØ, gnÄ' Herr?"
     "Ja, ja. Ja doch."
     "In die HahnpañgassÄ kann me doch nicht fahrrÄhn!"
     "Warum denn nicht?"
     "Ise sich doch ieberall Pflaste aufgrissen, Judenstadt wirde sich  doch
assaniert."
     "Also fahren Sie eben, soweit Sie kÃnnen, aber jetzt rasch gefÄlligst."
     Die  Droschke machte  einen  einzigen Galoppsprung und  stolperte  dann
gemÄchlich weiter.
     Ich  lieñ die  klapprigen Fenster  herunter und sog mit gierigen Lungen
die Nachtluft ein.
     Alles war mir so fremd geworden, so unbegreiflich  neu: die HÄuser, die
Strañen,  die  geschlossenen  LÄden.  Ein  weiñer  Hund  trabte  einsam  und
miñgelaunt  auf  dem  nassen  Trottoir  vorØber.  Ich sah  ihm  nach. -  Wie
sonderbar!! Ein Hund! Ich  hatte ganz  vergessen, dañ es solche Tiere gab. -
Vor  Freude  kindisch rief ich ihm nach: "Aber,  aber!  Wie kann man nur  so
verdrossen sein." - - -
     Was Hillel wohl sagen wØrde!? - Und Mirjam?
     Nur noch wenige Minuten  und ich war  bei ihnen. Nicht eher wollte  ich
aufhÃren, an ihre TØr zu klopfen, bis ich sie aus den Federn getrieben.
     Jetzt war ja alles gut - all der Jammer dieses Jahres vorØber! -
     WØrde das ein Weihnachten werden!
     Diesmal durfte ich es nicht verschlafen, wie das letztemal.
     Einen Augenblick lahmte mich wieder  das alte  Entsetzen: die Worte des
StrÄflings mit der Raubtierschnauze fielen mir ein. Das verbrannte Gesicht -
der  Lustmord  - aber nein,  nein! - Ich schØttelte  es gewaltsam ab:  nein,
nein, es  konnte, es konnte nicht sein. - Mirjam lebte!  Ich hatte doch ihre
Stimme aus Laponders Mund gehÃrt.
     Nur noch eine Minute - eine halbe - - und dann -
     Die   Droschke  hielt   vor   einem   TrØmmerhaufen.   Barrikaden   aus
Pflastersteinen Øberall!
     Rote Laternen brannten darauf.
     Beim Schein von Fackeln grub und schaufelte ein Heer von Arbeitern.
     Halden von  Schutt und Mauerbrocken  versperrten den Weg. Ich kletterte
umher, versank bis ans Knie.
     Das hier, das muñte doch die Hahnpañgasse sein?!
     MØhsam orientierte ich mich. Nichts als Ruinen ringsum.
     Stand denn da nicht das Haus, in dem ich gewohnt hatte?
     Die Vorderseite war eingerissen.
     Ich kletterte  auf einen ErdhØgel; tief unter mir  lief ein  schwarzer,
gemauerter Gang die ehemalige Gasse  entlang. Ich schaute empor: wie riesige
Bienenzellen hingen die  bloñgelegten WohnrÄume nebeneinander in  der  Luft,
halb vom Fackelschein, halb von dem trØben Mondlicht beschienen.
     Das dort  oben,  das muñte mein Zimmer sein  -  ich erkannte es  an der
Bemalung der WÄnde.
     Nur noch ein Streifen davon war Øbrig.
     Und daranstoñend das Atelier - Saviolis. Mir wurde  plÃtzlich ganz leer
im Herzen. Wie seltsam! Das Atelier! - Angelina! - - So weit,  so unabsehbar
fern lag das alles hinter mir!
     Ich drehte mich um: von dem Haus, in dem Wassertrum gewohnt, kein Stein
mehr auf dem andern. Alles dem Erdboden gleichgemacht: der TrÃdlerladen, die
Kellerwohnung Charouseks - - - alles, alles.
     "Der Mensch geht dahin wie  ein Schatten"  - fiel mir ein Satz ein, den
ich einmal irgendwo gelesen.
     Ich fragte  einen  Arbeiter,  ob er  nicht wisse,  wo  die  Leute jetzt
wohnten, die hier  ausgezogen seien; ob er vielleicht den Archivar Schemajah
Hillel kenne.
     "Nix daitsch", war die Antwort.
     Ich schenkte dem  Mann  einen Gulden: er verstand zwar sofort  deutsch,
konnte mir aber keine Auskunft geben.
     Auch von seinen Kameraden niemand.
     Vielleicht, dañ beim "Loisitschek" etwas zu erfahren wÄre?
     Der "Loisitschek" sei gesperrt, hieñ es, das Haus wØrde renoviert.
     Also irgend jemand in der Nachbarschaft wecken! - Ging das nicht?
     "Weit a  breit  wohnt  sich  keine Katz," sagte der Arbeiter; "weil ise
behÄrdlich verbotten. Von wÄgen Typhus."
     "Der ›Ungelt‹? Der wird doch offen haben?"
     "Ungelt ise sich geschlossen."
     "Bestimmt?"
     "Bestimmt!"
     Aufs   Geratewohl   nannte  ich   ein  paar   Namen  von  HÃcklern  und
Tabaktrafikantinnen,  die in der NÄhe gewohnt hatten; dann die  Namen Zwakh,
Vrieslander, Prokop - -
     Bei allen schØttelte der Mann den Kopf.
     "Vielleicht kennen Sie den Jaromir KwÂñnitschka?"
     Der Arbeiter horchte auf.
     "Jaromir? Ise sich taubstumm?"
     Ich jubelte. Gott sei Dank. Wenigstens ein Bekannter.
     "Ja, er ist taubstumm. Wo wohnt er?"
     "Schneid 'e sich Bildeln aus? Aus schwarzem Pappjir?"
     "Ja. Er ist es schon. Wo kann ich ihn wohl treffen?"
     So umstÄndlich wie mÃglich  bezeichnete mir  der Mann ein NachtcafÊhaus
in der inneren Stadt und fing sofort wieder an zu schaufeln.
     øber eine Stunde lang  watete  ich durch Schuttfelder, balancierte Øber
schwankende  Bretter  und  kroch  unter  Querbalken  durch, die  die Strañen
versperrten. Das ganze Judenviertel war  eine  einzige SteinwØste, als hÄtte
ein Erdbeben die Stadt zerstÃrt.
     Atemlos vor  Aufregung, schmutzbedeckt und mit zerrissenen Schuhen fand
ich mich endlich aus dem Labyrinth heraus.
     Ein paar HÄuserreihen, und ich stand vor der gesuchten Spelunke.
     "Cafe Chaos" stand darØber geschrieben.
     Ein  menschenleeres,  winziges  Lokal, das kaum genØgend Platz lieñ fØr
die paar Tische, die an die WÄnde gerØckt waren.
     In der Mitte auf  einem  dreibeinigen Billard schlief  ein  Kellner und
schnarchte.
     Ein Marktweib, mit einem  GemØsekorb  vor  sich, sañ  in der  Ecke  und
nickte Øber einem Glase Caj.
     Endlich geruhte  der Kellner  aufzustehen und mich  zu  fragen, was ich
wØnschte. Bei dem  frechen  Blick,  mit  dem  er  mich  vom Kopf bis zu  Fuñ
musterte, kam mir erst zum Bewuñtsem, wie abgerissen ich aussehen muñte.
     Ich warf  einen Blick in  den Spiegel und entsetzte mich: ein  fremdes,
blutleeres  Gesicht, faltig, grau wie Kitt, mit struppigem Bart  und wirrem,
langem Haar starrte mir entgegen.
     Ob der Silhouettenschneider Jaromir nicht dagewesen sei, fragte ich und
bestellte schwarzen Kaffee.
     "Woañ net, wo er so lang bleibt", war die gegÄhnte Antwort.
     Dann legte sich der Kellner wieder auf das Billard und schlief weiter.
     Ich nahm das "Prager Tagblatt" von der Wand und - wartete.
     Die  Buchstaben  liefen wie Ameisen Øber  die  Seiten,  und ich begriff
nicht ein einziges Wort von dem, was ich las.
     Die Stunden  vergingen, und hinter den Scheiben zeigte sich bereits das
verdÄchtige tiefe Dunkelblau, das den Einbruch der  MorgendÄmmerung  fØr ein
Lokal mit Gasbeleuchtung anzeigt.
     Hie und  da  spÄhten ein  paar Schutzleute  mit  grØnlich  schillernden
FederbØschen herein und gingen in langsamem, schwerem Schritt wieder weiter.
     Drei ØbernÄchtig aussehende Soldaten traten ein.
     Ein Strañenkehrer nahm einen Schnaps.
     Endlich, endlich: Jaromir.
     Er  hatte   sich  so  verÄndert,   dañ  ich  ihn   anfangs  gar   nicht
wiedererkannte: die  Augen erloschen, die VorderzÄhne ausgefallen,  das Haar
schØtter und tiefe HÃhlen hinter den Ohren.
     Ich war so froh, nach so langer  Zeit  wieder ein  bekanntes Gesicht zu
sehen, dañ ich aufsprang, ihm entgegenging und seine Hand fañte.
     Er benahm  sich auñerordentlich scheu und blickte immerwÄhrend nach der
TØre. Durch alle mÃglichen Gesten suchte ich ihm begreiflich  zu machen, dañ
ich mich  freute, ihn getroffen zu haben. - Er  schien es mir lange nicht zu
glauben.
     Aber,  was fØr  Fragen  ich  auch stellte, stets die  gleiche  hilflose
Handbewegung des Nichtverstehens bei ihm.
     Wie konnte ich mich nur verstÄndlich machen?!
     Halt! Eine Idee!
     Ich  lieñ  mir einen  Bleistift geben und  zeichnete  nacheinander  die
Gesichter von Zwakh, Vrieslander und Prokop auf.
     "Was? Alle nicht mehr in Prag?"
     Er  fuchtelte  lebhaft  in  der  Luft  herum,  machte  die GebÄrde  des
GeldzÄhlens, marschierte mit den Fingern Øber den Tisch, schlug sich auf den
HandrØcken. Ich erriet: alle drei hatten wahrscheinlich von  Charousek  Geld
bekommen und zogen  jetzt als  kaufmÄnnische Kompagnie mit dem  vergrÃñerten
Marionettentheater durch die Welt.
     "Und Hillel? Wo wohnt er jetzt?" - Ich zeichnete sein Gesicht, ein Haus
dazu und ein Fragezeichen.
     Das  Fragezeichen verstand Jaromir nicht; - er konnte nicht lesen, aber
er begriff, was ich wollte, - nahm ein Streichholz, warf es scheinbar in die
HÃhe und lieñ es nach Taschenspielerart geschickt verschwinden.
     Was bedeutete das? Hillel sollte auch verreist sein?
     Ich zeichnete das jØdische Rathaus auf.
     Der Taubstumme schØttelte heftig den Kopf.
     "Hillel ist also nicht mehr dort?"
     "Nein!" (KopfschØtteln.)
     "Wo ist er denn?"
     Wieder das Spiel mit dem Streichholz.
     "Er meint halt, dañ  der Herr weg  ist, und niem'd  weiñ nicht, wohin",
mischte sich der  Strañenkehrer, der uns die  ganze  Zeit  Øber interessiert
zugesehen hatte, belehrend ein.
     Vor Schreck krampfte sich  mir das Herz  zusammen: Hillel fort! - Jetzt
war ich  ganz allein auf der Welt. - - Die  GegenstÄnde im Zimmer fingen vor
meinen Augen an zu flimmern.
     "Und Mirjam?"
     Meine Hand zitterte so stark, dañ ich ihr Gesicht  lange  nicht Ähnlich
zeichnen konnte.
     "Ist Mirjam auch verschwunden?"
     "Ja. Auch verschwunden. Spurlos."
     Ich stÃhnte laut auf, lief im Zimmer hin und her, dañ die drei Soldaten
einander fragend anblickten.
     Jaromir  suchte  mich zu  beruhigen und bemØhte  sich,  mir noch  etwas
anderes  mitzuteilen, was er erfahren zu haben schien: er legte den Kopf auf
den Arm, wie jemand, der schlÄft.
     Ich hielt  mich an der  Tischplatte: "Um Gottes Christi  willen, Mirjam
ist gestorben?"
     KopfschØtteln. Jaromir wiederholte die GebÄrde des Schlafens.
     "War Mirjam krank gewesen?" Ich zeichnete eine Medizinflasche.
     KopfschØtteln. Wieder legte Jaromir die Stirn auf den Arm. - - -
     Das Zwielicht  kam, eine  Gasflamme nach  der  andern erlosch und  noch
immer konnte ich nicht herausbringen, was die Geste bedeuten sollte.
     Ich gab es auf. Dachte nach.
     Das einzige, was mir zu tun blieb, war, in aller FrØhe auf das jØdische
Rathaus zu gehen, um dort Erkundigungen einzuziehen, wohin Hillel mit Mirjam
gereist sein kÃnne.
     Ich muñte ihm nach. - - -
     Wortlos sañ ich neben Jaromir. Stumm und taub wie er.
     Als ich nach einer  langen Zeit  aufblickte, sah ich, dañ er mit  einer
Schere an einer Silhouette herumschnitt.
     Ich erkannte  das  Profil Rosinas. Er reichte  mir  das Blatt Øber  den
Tisch herØber, legte die Hand auf die Augen und - weinte still vor sich hin.
- -
     Dann sprang er plÃtzlich auf und taumelte ohne Gruñ zur TØr hinaus.
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     Der Archivar Schemajah Hillel sei  eines Tages ohne Grund  ausgeblieben
und nicht mehr wiedergekommen; seine Tochter habe er jedenfalls mitgenommen,
denn auch sie sei von niemand mehr gesehen worden seit jener Zeit, hatte man
mir  auf  dem jØdischen Rathaus  gesagt.  Das  war alles,  was  ich erfahren
konnte.
     Keine Spur, wohin sie sich gewandt haben mochten.
     Auf der Bank hieñ es, mein Geld sei gerichtlich immer noch mit Beschlag
belegt, man erwarte aber tÄglich den Bescheid, es mir auszahlen zu dØrfen.
     Also auch  die Erbschaft  Charouseks muñte noch  den Amtsweg gehen, und
ich  wartete  doch  mit  brennender  Ungeduld  auf  das Geld, um  dann alles
aufzubieten, Hillels und Mirjams Spur zu suchen.
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     Ich hatte meine Edelsteine verkauft, die ich noch in der Tasche gehabt,
und mir  zwei  kleine,  mÃblierte,  aneinanderstoñende  Dachkammern  in  der
Altschulgasse -  die einzige  Gasse, die von der Assanierung der  Judenstadt
verschont geblieben, - gemietet.
     Sonderbarer Zufall: es war dasselbe wohlbekannte Haus, von dem die Sage
ging, der Golem sei einst darin verschwunden.
     Ich  hatte mich  bei  den  Bewohnern  - zumeist  kleine  Kaufleute oder
Handwerker - erkundigt, was  denn Wahres an dem GerØcht von dem "Zimmer ohne
Zugang"  sei, und war ausgelacht  worden. -  Wie man einen derartigen Unsinn
denn glauben kÃnne!
     Meine eigenen Erlebnisse,  die sich darauf bezogen, hatten im GefÄngnis
die  BlÄsse eines  lÄngst verwehten  Traumbildes  angenommen und ich sah  in
ihnen nur noch Symbole ohne Blut und Leben, - strich sie aus dem Buch meiner
Erinnerungen.
     Die Worte Laponders, die ich zuweilen so klar in mir hÃrte, als sÄñe er
mir gegenØber wie damals in der Zelle und  sprÄche  zu mir,  bestÄrkten mich
darin, dañ ich rein innerlich geschaut haben mØsse, was mir ehedem greifbare
Wirklichkeit geschienen.
     War denn nicht alles vergangen und verschwunden, was ich einst besessen
hatte? Das Buch  Ibbur, das  phantastische  Tarockspiel, Angelina  und sogar
meine alten Freunde Zwakh, Vrieslander und Prokop! - - -
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     Es war Weihnachtsabend, und  ich hatte mir einen kleinen Baum mit roten
Kerzen  nach  Hause  gebracht.  Ich  wollte  noch  einmal   jung  sein   und
Lichterglanz um mich  haben  und  den  Duft von Tannennadeln  und brennendem
Wachs.
     Ehe das Jahr noch zu Ende  ging, war ich vielleicht schon unterwegs und
suchte in StÄdten und DÃrfern, oder  wohin  es mich innerlich  ziehen wØrde,
nach Hillel und Mirjam.
     Alle Ungeduld,  alles  Warten war allmÄhlich von mir  gewichen und alle
Furcht, Mirjam kÃnne ermordet worden sein, und mit dem Herzen wuñte ich, ich
wØrde sie beide finden.
     Es  war ein bestÄndiges glØckliches LÄcheln in mir,  und wenn ich meine
Hand auf etwas legte, kam  mir's vor, als ginge ein Heilen von ihr aus.  Die
Zufriedenheit eines Menschen,  der nach  langer Wanderung  heimkehrt und die
TØrme seiner  Vaterstadt von weitem blinken  sieht,  erfØllte  mich auf ganz
sonderbare Weise.
     Einmal war ich noch in dem kleinen  Kaffeehaus gewesen, um  Jaromir zum
Weihnachtsabend zu mir  zu  holen. - Er  habe sich  nie mehr blicken lassen,
erfuhr ich,  und schon wollte ich  betrØbt  wieder gehen,  da kam  ein alter
TabulettkrÄmer herein und bot kleine, wertlose AntiquitÄten zum Kauf an.
     Ich  kramte in  seinem Kasten  unter  all  den  UhranhÄngseln,  kleinen
Kruzifixen, Kammnadeln und  Broschen herum, da  fiel mir ein  Herz aus rotem
Stein an  einem verschossenen Seidenbande in die Hand, und  ich erkannte  es
voll Erstaunen als das Andenken, das mir Angelina, als  sie noch ein kleines
MÄdchen gewesen, einst beim Springbrunnen in ihrem Schloñ geschenkt hatte.
     Und mit einem Schlag  stand meine Jugendzeit  vor mir, als  sÄhe ich in
einen Guckkasten tief hinein in ein kindlich gemaltes Bild. -
     Lange, lange stand ich erschØttert da und starrte auf das  kleine, rote
Herz in meiner Hand. - - -
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     Ich sañ in  der Dachkammer und lauschte dem  Knistern der Tannennadeln,
wenn hie und da ein kleiner Zweig Øber den Wachskerzen zu glimmen begann.
     "Vielleicht  spielt gerade  jetzt  in  dieser  Stunde  der  alte  Zwakh
irgendwo in der Welt  seinen  ›Marionettenweihnachtsabend‹",  malte  ich mir
aus,  -  "und  deklamiert  mit  geheimnisvoller  Stimme die  Strophe  seines
Lieblingsdichters Oskar Wiener":
     Wo ist das Herz aus rotem Stein?
     Es hÄngt an einem Seidenbande.
     O du, o gib das Herz nicht her;
     Ich war ihm treu und hatt' es lieb,
     Und diente sieben Jahre schwer
     Um dieses Herz, und hatt' es lieb!"
     EigentØmlich feierlich wurde mir plÃtzlich zumute.
     Die  Kerzen  waren heruntergebrannt. Nur eine  einzige flackerte  noch.
Rauch ballte sich im Zimmer.
     Als ob mich eine Hand zÃge, wandte ich mich plÃtzlich um und:
     Da  stand mein Ebenbild auf der Schwelle. Mein  DoppelgÄnger.  In einem
weiñen Mantel. Eine Krone auf dem Kopf.
     Nur einen Augenblick.
     Dann  brachen  Flammen  durch  das  Holz   der  TØr,   und  eine  Wolke
erstickenden heiñen Qualms schlug herein:
     Feuersbrunst im Haus! Feuer! Feuer!
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     Ich reiñe das Fenster auf. Klettere auf das Dach hinaus.
     Von weitem rast schon das gellende Klingeln der Feuerwehr heran.
     Blitzende Helme und abgehackte Kommandorufe.
     Dann das gespenstische,  rhythmische, schlapfende Atmen der Pumpen, wie
die  DÄmonen des  Wassers  sich  ducken  zum  Sprung auf ihren Todfeind: das
Feuer.
     Glas klirrt und rote Lohe schieñt aus allen Fenstern.
     Matratzen  werden hinuntergeworfen, die ganze Strañe  liegt voll davon,
Menschen springen nach, werden verwundet weggetragen.
     In mir aber jauchzt  etwas auf  in wilder jubelnder Ekstase;  ich  weiñ
nicht warum. Das Haar strÄubt sich mir.
     Ich laufe auf den Schornstein zu, um nicht versengt zu werden, denn die
Flammen greifen nach mir.
     Das Seil eines Rauchfangkehrers ist herumgewickelt.
     Ich rolle es  auf, schlinge es um Handgelenk und Bein, wie  ich es  als
Knabe  beim  Turnen  gelernt  habe, und lasse mich ruhig  an der Fassade des
Hauses hinab. -
     Komme an einem Fenster vorbei. Blicke hinein:
     Drin ist alles blendend erleuchtet.
     Und  da sehe ich  - - - da sehe ich - -  - mein ganzer KÃrper wird  ein
einziger hallender Freudenschrei:
     "Hillel! Mirjam! Hillel!"
     Ich will auf die GitterstÄbe losspringen.
     Greife daneben. Verliere den Halt am Seil.
     Einen  Augenblick hÄnge ich, Kopf abwÄrts, die Beine gekreuzt, zwischen
Himmel und Erde.
     Das Seil singt bei dem Ruck. Knirschend dehnen sich die Fasern.
     Ich falle.
     Mein Bewuñtsein erlischt.
     Noch im Sturz greife ich nach dem Fenstersims, aber ich gleite ab. Kein
Halt:
     der Stein ist glatt.
     Glatt wie ein StØck Fett.
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     "- - - wie ein StØck fett!"
     Das ist der Stein, der aussieht wie ein StØck Fett.
     Die  Worte gellen mir  noch in  den Ohren. Dann richte ich mich auf und
muñ mich besinnen, wo ich bin.
     Ich liege im Bett und wohne im Hotel.
     Ich heiñe doch gar nicht Pernath.
     Habe ich das alles nur getrÄumt?
     Nein! So trÄumt man nicht.
     Ich schaue auf die  Uhr: kaum eine Stunde habe ich  geschlafen.  Es ist
halb drei.
     Und dort hÄngt der fremde  Hut, den ich heute  im Dom auf dem Hradschin
verwechselt habe, als ich beim Hochamt auf der Betbank sañ.
     Steht ein Name darin?
     Ich  nehme  ihn  und  lese  in   goldenen  Buchstaben  auf  dem  weiñen
Seidenfutter den fremden und doch so bekannten Namen:

     Jetzt lÄñt  es mir keine  Ruhe mehr; ich ziehe mich hastig an und laufe
die Treppe hinunter.
     "Portier! Aufmachen! Ich gehe noch eine Stunde spazieren."
     "Wohin, bitt schÄn?"
     "In  die Judenstadt. In die Hahnpañgasse. Gibt's Øberhaupt eine Strañe,
die so heiñt?"
     "Freilich,  freilich"  -  der Portier  lÄchelt malitiÃs - "aber in  der
Judenstadt, ich mache aufmerksam: ist nicht mehr viel los. Alles neu gebaut,
bitte."
     "Macht nichts. Wo liegt die Hahnpañgasse?"
     Der dicke Finger des Portiers deutet auf die Karte: "Hier, bitte."
     "Und die Schenke ›Zum Loisitschek‹?"
     "Hier, bitte."
     "Geben Sie mir ein groñes StØck Papier."
     "Hier, bitte."
     Ich  wickle Pernaths Hut  hinein. MerkwØrdig: er ist fast neu, tadellos
sauber und doch so brØchig, als wÄre er uralt. -
     Unterwegs Øberlege ich:
     Alles, was  dieser Athanasius  Pernath erlebt  hat, habe  ich  im Traum
miterlebt, in einer Nacht mitgesehen, mitgehÃrt, mitgefØhlt, als wÄre ich er
gewesen. Warum  weiñ ich denn aber nicht,  was er in dem Augenblick, als der
Strick  riñ und er "Hillel, Hillel!" rief, hinter dem Gitterfenster erblickt
hat?
     Er hat sich in diesem Augenblick von mir getrennt, begreife ich.
     Ich muñ diesen Athanasius Pernath auffinden, und wenn ich drei Tage und
drei NÄchte herumlaufen sollte, nehme ich mir vor. - - -
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     Also das ist die Hahnpañgasse?
     Nicht annÄhernd so habe ich sie im Traum gesehen! -
     Lauter neue HÄuser.
     Eine  Minute  spÄter  sitze  ich im  CafÊ  Loisitschek.  Ein stilloses,
ziemlich sauberes Lokal.
     Im Hintergrund  allerdings eine Estrade mit  HolzgelÄnder; eine gewisse
ähnlichkeit mit dem alten getrÄumten "Loisitschek" ist nicht zu leugnen.
     "Befehlen,  bitt' schÃn?",  fragt die Kellnerin, ein dralles  MÄdel, in
einen rotsamtenen Frack buchstÄblich hineingeknallt.
     "Kognak, FrÄulein. - So, danke."
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     "- Hm. FrÄulein!"
     "Bitte?"
     "Wem gehÃrt das Kaffeehaus?"
     "Dem Herrn Kommerzialrat Loisitschek. -  Das ganze Haus gehÃrt ihm. Ein
sehr feiner reicher Herr."
     - Aha, der Kerl  mit  den SchweinszÄhnen  an der Uhrkette! erinnere ich
mich. -
     Ich habe einen guten Einfall, der mich orientieren wird:
     "FrÄulein!"
     "Bitte?"
     "Wann ist die steinerne BrØcke eingestØrzt?"
     "Vor dreiunddreiñig Jahren."
     "Hm. Vor  dreiunddreiñig  Jahren!" -  ich Øberlege: der Gemmenschneider
Pernath muñ also jetzt fast neunzig sein.
     "FrÄulein!"
     "Bitte?"
     "Ist  hier niemand unter den  GÄsten, der sich noch erinnern kann,  wie
die alte Judenstadt  von damals ausgesehen hat? Ich bin  Schriftsteller  und
interessiere mich dafØr."
     Die Kellnerin denkt nach: "Von den GÄsten? Nein. - Aber warten S':  der
Billardmarqueur,  der dort  mit einem Studenten Carambol spielt, - sehen Sie
ihn? Der  mit der Hakennase, der Alte, - der hat  immer hier gelebt und wird
Ihnen alles sagen. Soll ich ihn rufen, wenn er fertig ist?"
     Ich folgte dem Blick des MÄdchens:
     Ein  schlanker,  weiñhaariger, alter Mann lehnt drØben  am Spiegel  und
kreidet seine Queue.  Ein verwØstetes, aber seltsam vornehmes Gesicht. Woran
erinnert er mich nur?
     "FrÄulein, wie heiñt der Marqueur?"
     Die Kellnerin  stØtzt sich im Stehen mit dem Ellenbogen auf  den Tisch,
leckt  an einem Bleistift,  schreibt in Windeseile ihren Vornamen  unzÄhlige
Male  auf die  Marmorplatte  und lÃscht ihn jedesmal mit nassem Finger rasch
wieder aus.  Dazwischen  wirft sie mir mehr oder  minder sengende Glutblicke
zu;  -  je  nachdem   sie  ihr  gelingen.   UnerlÄñlich  ist  natØrlich  das
gleichzeitige  Emporziehen der Augenbrauen, denn es erhÃht  das MÄrchenhafte
des Blickes.
     "FrÄulein,  wie heiñt der  Marqueur?", wiederhole ich meine Frage.  Ich
sehe ihr an, sie hÄtte lieber  gehÃrt: FrÄulein, warum tragen  Sie nicht nur
einen  Frack? oder  etwas ähnliches, aber ich frage es nicht;  mir geht mein
Traum zu sehr im Kopf herum.
     "No,  wie  wird  er denn heiñen," schmollt sie, "Ferri  heiñt  er halt.
Ferri AthenstÄdt."
     "So so? Ferri AthenstÄdt! - Hm, - also wieder ein alter Bekannter."
     "ErzÄhlen Sie mir doch recht, recht viel von ihm, FrÄulein," girre ich,
muñ mich aber sofort mit einem Kognak stÄrken, "Sie plaudern gar so herzig!"
(Ich ekle mich vor mir selber.)
     Sie neigt  sich geheimnisvoll  dicht  zu mir, damit mich ihre  Haare im
Gesicht kitzeln, und flØstert:
     "Der Ferri, der war Ihnen frØher ein ganz ein Geriebener. - Er soll von
uraltem Adel gewesen  sein  - es ist natØrlich nur so  ein  Gerede, weil  er
keinen  Bart  nicht  trÄgt -  und  furchtbar  viel Geld  g'habt  habn.  Eine
rothaarige JØdin, die schon von Jugend auf eine  ›Person‹ war" - sie schrieb
wieder rasch ein paarmal ihren Namen auf -  "hat ihn dann ganz ausgezogen. -
Punkto  Geld mein'  ich natØrlich. No, und wie er  dann kein Geld nicht mehr
gehabt hat, ist sie weg und hat sich von einem  hohen Herrn heiraten lassen:
von dem  ..."  -  sie flØsterte  mir  einen Namen  ins  Ohr,  den  ich nicht
verstehe.  "Der hohe Herr hat dann natØrlich auf alle Ehre verzichten mØssen
und  sich von da an nur mehr Ritter von DÄmmerich nennen dØrfen. No ja. Aber
dañ sie  frØher eine  ›Person‹  g'wesen ist,  hat  er  ihr  halt doch  nicht
wegwaschen kÃnnen. Ich sag immer -."
     "Fritzi! Zahlen!" ruft jemand von der Estrade herab. -
     Ich lasse  meine Blicke durch das Lokal  wandern, da hÃre ich plÃtzlich
ein leises metallisches Zirpen, wie von einer Grille, hinter mir.
     Ich drehe mich neugierig um. Traue meinen Augen nicht:
     Das Gesicht zur  Wand gekehrt, alt wie  Methusalem,  eine Spieldose, so
klein  wie  eine Zigarettenschachtel, in zitternden SkeletthÄnden sitzt ganz
in sich  zusammengesunken - der blinde, greise Nephtali Schaffranek  in  der
Ecke und leiert mit der winzigen Kurbel.
     Ich trete zu ihm.
     Im FlØsterton singt er konfus vor sich hin:
     "Frau Pick,
     Frau Hock.
     Und rote, blaue Stern
     die schmusen allerhand.
     Von Messinung, an RÄucherl und Rohn."
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     "Wissen Sie, wie der alte Mann heiñt?" frage ich  einen  vorbeieilenden
Kellner.
     "Nein, mein Herr, niemand kennt weder ihn noch seinen Namen. Er  selbst
hat ihn vergessen. Er ist ganz allein auf der Welt. Bitte, er ist  110 Jahre
alt! Er kriegt bei uns jede Nacht einen sogenannten Gnadenkaffee."
     Ich  beugte  mich  Øber  den  Greis,  -  rufe  ihm  ein  Wort ins  Ohr:
"Schaffranek!"
     Es durchfÄhrt  ihn  wie  ein Blitz. Er  murmelt  etwas,  streicht  sich
sinnend Øber die Stirn.
     "Verstehen Sie mich, Herr Schaffranek?"
     Er nickt.
     "Passen Sie mal gut  auf!  Ich mÃchte Sie etwas fragen, aus alter Zeit.
Wenn  Sie mir alles  gut beantworten, bekommen Sie den Gulden, den ich  hier
auf den Tisch lege."
     "Gulden",  wiederholt der Greis und  fÄngt sofort an, wie ein  Rasender
auf seiner zirpenden Spieldose zu kurbeln.
     Ich halte seine Hand fest:  "Denken Sie einmal nach! - Haben Sie  nicht
vor etwa 33 Jahren einen Gemmenschneider namens Pernath gekannt?"
     "Hadrbolletz!  Hosenschneider!"  - lallt er  asthmatisch auf und  lacht
Øbers ganze Gesicht,  in der  Meinung,  ich  hÄtte  ihm  einen  famosen Witz
erzÄhlt.
     "Nein, nicht Hadrbolletz: - - Pernath!"
     "Pereles?!" - er jubelt fÃrmlich.
     "Nein, auch nicht Pereies. - Per-nath!"
     "Pascheies?!" - er krÄht vor Freude. - -
     Ich gebe enttÄuscht meinen Versuch auf.
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     "Sie  wollten   mich  sprechen,  mein  Herr?",  -  der  Marqueur  Ferri
AthenstÄdt steht vor mir und verbeugt sich kØhl.
     "Ja. Ganz richtig. - Wir kÃnnen dabei eine Partie Billard spielen."
     "Spielen Sie um Geld, mein Herr? Ich gebe Ihnen 90 auf 100 vor."
     "Also gut: um einen Gulden. Fangen Sie vielleicht an, Marqueur."
     Seine Durchlaucht nimmt das Queue, zielt, gickst, macht ein Ärgerliches
Gesicht.  Ich kenne das:  er lÄñt  mich bis 9 kommen,  und dann  macht er in
einer Serie "aus".
     Mir wird immer kurioser zumute. Ich gehe direkt auf mein Ziel los:
     "Entsinnen  Sie  sich,  Herr  Marqueur: vor  langer Zeit,  etwa in  den
Jahren, als die  steinerne  BrØcke einstØrzte,  in der damaligen  Judenstadt
einen gewissen - Athanasius Pernath gekannt zu haben?"
     Ein Mann in einer rotweiñgestreiften Leinwandjacke, mit Schielaugen und
kleinen goldenen  Ohrringen, der auf einer Bank an  der  Wand sitzt und eine
Zeitung liest, fÄhrt auf, stiert mich an und bekreuzigt sich.
     "Pernath? Pernath?" wiederholt der Marqueur und  denkt angestrengt nach
-  "Pernath?  -  War  er  nicht  groñ,   schlank?  Braunes  Haar,  melierten
kurzgeschnittenen Spitzbart?"
     "Ja. Ganz richtig."
     "Etwa vierzig Jahre alt damals?  Er sah  aus wie --", Seine Durchlaucht
starrt  mich plÃtzlich  Øberrascht an.  - "Sie sind  ein Verwandter von ihm,
mein Herr?!"
     Der SchielÄugige bekreuzigt sich.
     "Ich? Ein Verwandter? Komische Idee. - Nein. Ich interessiere  mich nur
fØr  ihn. Wissen Sie  noch mehr?", sage  ich gelassen,  fØhle aber, dañ  mir
eiskalt im Herzen wird.
     Ferri AthenstÄdt denkt wieder nach.
     "Wenn  ich  nicht irre, galt  er  seinerzeit  fØr  verrØckt.  -  Einmal
behauptete  er, er hieñe - warten Sie mal,  - ja:  Laponder! Und dann wieder
gab er sich fØr einen gewissen - Charousek aus."
     "Kein Wort  wahr!" fÄhrt  der SchielÄugige dazwischen.  "Den  Charousek
hat's wirklich gegeben. Mein Vater hat doch mehrere 1000 fl von ihm geerbt."
     "Wer ist dieser Mann?", fragte ich den Marqueur halblaut.
     "Er ist  FÄhrmann und heiñt  Tschamrda. - Was den Pernath betrifft,  so
erinnere ich mich nur, oder glaube es wenigstens - dañ er in spÄteren Jahren
eine sehr schÃne, dunkelhÄutige JØdin geheiratet hat."
     "Mirjam!"  sage  ich  mir  und werde  so aufgeregt, dañ  mir  die HÄnde
zittern und ich nicht mehr weiterspielen kann.
     Der FÄhrmann bekreuzigt sich.
     "Ja,  was  ist denn  heute mit  Ihnen los, Herr  Tschamrda?", fragt der
Marqueur erstaunt.
     "Der Pernath hat  niemals  nicht gelebt", schreit der SchielÄugige los.
"Ich glaub's nicht."
     Ich  schenke  dem Mann sofort einen Kognak  ein, damit  er gesprÄchiger
wird.
     "Es gibt ja wohl Leut', die sagen, der Pernath  lebt noch immer", rØckt
der  FÄhrmann endlich heraus, "er is, hÃr  ich. Kammschneider und wohnt  auf
dem Hradschin."
     "Wo auf dem Hradschin?"
     Der FÄhrmann bekreuzigt sich:
     "Das  ist es ja eben! Er wohnt, wo kein lebender Mensch wohnen kann: an
der Mauer zur letzten Latern."
     "Kennen Sie sein Haus, Herr - Herr - Tschamrda?"
     "Nicht  um die  Welt  mÃcht  ich  dort  hinaufgehen!",  protestiert der
SchielÄugige. "WofØr halten Sie mich? Jesus, Maria und Josef!"
     "Aber  den  Weg hinauf  kÃnnten Sie mir  doch  von  weitem zeigen, Herr
Tschamrda?"
     "Das  schon", brummte der FÄhrmann.  "Wenn Sie warten wollen bis  6 Uhr
frØh; dann geh ich zur Moldau  hinunter. Aber ich rat Ihnen ab! Sie  stØrzen
in den Hirschgraben und brechen Hals und Knochen! Heilige Muttergottes!"
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     Wir gehen zusammen durch den Morgen; frischer Wind weht vom Flusse her.
Ich fØhle vor Erwartung kaum den Boden unter mir.
     PlÃtzlich taucht das Haus in der Altschulgasse vor mir auf.
     Jedes  Fenster  erkenne  ich wieder:  die  geschweifte  Dachrinne,  das
Gitter, die fettig glÄnzenden Steinsimse - alles, alles!
     "Wann ist  dieses Haus  abgebrannt?",  frage ich den SchielÄugigen.  Es
braust mir in den Ohren vor Spannung.
     "Abgebrannt? Niemals nicht!"
     "Doch! Ich weiñ es bestimmt."
     "Nein."
     "Aber ich weiñ es doch! Wollen Sie wetten?"
     "Wieviel?"
     "Einen Gulden."
     "Gemacht!" -  Und Tschamrda holt den  Hausmeister  heraus.  "Ist dieses
Haus jemals abgebrannt?"
     "I woher denn!" Der Mann lacht. -
     Ich kann und kann es nicht glauben.
     "Schon  siebzig  Jahr' wohn  ich drin," beteuert der  Hausmeister, "ich
mØñt's doch wahrhaftig wissen."
     - - - Sonderbar, sonderbar! - - -
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     Der  FÄhrmann  rudert mich in  seinem  Kahn, der  aus acht ungehobelten
Brettern besteht, mit komischen schiefen Zuckbewegungen Øber die Moldau. Die
gelben Wasser  schÄumen gegen  das Holz. Die DÄcher  des Hradschins glitzern
rot in  der Morgensonne.  Ein  unbeschreiblich  feierliches GefØhl  ergreift
Besitz von mir.  Ein leise dÄmmerndes GefØhl wie aus  einem frØheren Dasein,
als sei die Welt  um mich her verzaubert -  eine traumhafte Erkenntnis,  als
lebte ich zuweilen an mehreren Orten zugleich.
     Ich steige aus.
     "Wieviel bin ich schuldig, Herr Tschamrda?"
     "Einen  Kreuzer.  Wenn Sie  mitg'holfen  hÄtten rudern,  - hÄtt's  zwei
Kreuzer 'kost."
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     Denselben Weg, den ich  heute  nacht im Schlaf  schon  einmal gegangen,
wandere ich wieder empor: die kleine,  einsame Schloñstiege.  Mir klopft das
Herz und ich weiñ voraus: jetzt kommt der kahle Baum, dessen  äste Øber  die
Mauer herØbergreifen.
     Nein: er ist mit weiñen BlØten besÄt.
     Die Luft ist voll von sØñem Fliederhauch.
     Zu meinen  FØñen liegt die Stadt im ersten  Licht wie  eine  Vision der
Verheiñung.
     Kein Laut. Nur Duft und Glanz.
     Mit geschlossenen  Augen kÃnnte ich  mich  hinauffinden in die  kleine,
kuriose Alchimistengasse, so vertraut ist mir plÃtzlich jeder Schritt.
     Aber,  wo  heute  nacht  das  Holzgitter  vor  dem weiñschimmemden Haus
gestanden  hat,  schlieñt  jetzt  ein  prachtvolles, gebauchtes, vergoldetes
Gitter die Gasse ab.
     Zwei EibenbÄume ragen aus blØhendem,  niederem GestrÄuch und flankieren
das Eingangstor der Mauer, die hinter dem Gitter entlang lÄuft.
     Ich  strecke  mich, um  Øber  das  Strauchwerk  hinØberzusehen, und bin
geblendet von neuer Pracht:
     Die Gartenmauer  ist ganz mit Mosaik bedeckt. TØrkisblau mit  goldenen,
eigenartig gemuschelten Fresken, die den  Kult des Ägyptischen Gottes Osiris
darstellen.
     Das FlØgeltor ist  der Gott selbst: ein  Hermaphrodit aus zwei HÄlften,
die  die TØre bilden, - die rechte weiblich, die linke mÄnnlich. -  Er sitzt
auf einem kostbaren, flachen Thron aus Perlmutter - im Halbrelief - und sein
goldener  Kopf ist der  eines Hasen. Die Ohren sind in die HÃhe gestellt und
dicht  aneinander,  dañ   sie  aussehen   wie   die  beiden   Seiten   eines
aufgeschlagenen Buches. -
     Es riecht nach Tau, und Hyazinthenduft weht Øber die Mauer herØber. - -
-
     Lange stehe ich wie versteinert da und staune. Mir wird, als trÄte eine
fremde Welt  vor  mich,  und ein  alter GÄrtner  oder Diener  mit  silbernen
Schnallenschuhen,  Jabot und sonderbar zugeschnittenem  Rock kommt von links
hinter dem  Gitter auf mich  zu  und  fragt mich durch  die  StÄbe, was  ich
wØnsche.
     Ich reiche ihm stumm den eingewickelten Hut Athanasius Pernaths hinein.
     Er nimmt ihn und geht durch das FlØgeltor.
     Als es sich Ãffnet, sehe ich dahinter ein tempelartiges, marmornes Haus
und auf seinen Stufen:

     und an ihn gelehnt:

     und beide schauen hinab in die Stadt.
     Einen  Augenblick wendet  sich Mirjam  um,  erblickt mich, lÄchelt  und
flØstert Athanasius Pernath etwas zu.
     Ich bin gebannt von ihrer SchÃnheit.
     Sie ist so jung, wie ich sie heut nacht im Traum gesehen.
     Athanasius  Pernath dreht  sich  langsam  zu mir,  und mein Herz bleibt
stehen:
     Mir ist,  als sÄhe ich mich im Spiegel, so Ähnlich ist sein Gesicht dem
meinigen.
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     Dann  fallen die  FlØgel  des  Tores zu, und ich erkenne nur  noch  den
schimmernden Hermaphroditen.
     Der  alte Diener gibt mir meinen Hut und sagt  -  ich hÃre seine Stimme
wie aus den Tiefen der Erde -:
     "Herr Athanasius  Pernath lÄñt  verbindlichst  danken  und  bittet, ihn
nicht fØr  ungastfreundlich zu halten,  dañ  er  Sie nicht einlÄdt,  in  den
Garten zu kommen, aber es ist strenges Hausgesetz so von alters her.
     Ihren  Hut, soll ich ausrichten, habe  er nicht aufgesetzt, da ihm  die
Verwechslung sofort aufgefallen sei.
     Er  wolle  nur  hoffen,  dañ  der  seinige  Ihnen  keine  Kopfschmerzen
verursacht habe."


Last-modified: Tue, 21 Jan 2003 08:55:12 GMT
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