g; sie trotzdem schlief.
Weil sie beide blind im Dunkeln lagen,
sah er nur die Worte, die sie rief.
"Warum tötest du mich denn nicht schneller?"
fragte sie und weinte wie ein Kind.
Und ihr Weinen drang aus jenem Keller,
wo die Träume eingemauert sind.
"Wieviel Jahre willst du mich noch hassen?"
rief sie aus und lag unheimlich still.
"Willst du mich nicht weiterleben lassen,
weil ich ohne dich nicht leben will?"
Ihre Fragen standen wie Gespenster,
die sich vor sich selber fürchten, da.
Und die Nacht war schwarz und ohne Fenster.
Und schien nicht zu wissen, was geschah.
Ihm (dem Mann im Bett) war nicht zum Lachen.
Träume sollen wahrheitsliebend sein...
Doch er sagte sich: "Was soll man machen!"
und beschloß, nachts nicht mehr aufzuwachen.
Daraufhin schlief er getröstet ein.
Lessing
Das, was er schrieb, war manchmal Dichtung,
doch um zu dichten schrieb er nie.
Es gab kein Ziel. Er fand die Richtung.
Er war ein Mann und kein Genie.
Er lebte in der Zeit der Zöpfe,
und er trug selber seinen Zopf.
Doch kamen seitdem viele Köpfe
und niemals wieder so ein Kopf.
Er war ein Mann, wie keiner wieder,
obwohl er keinen Säbel schwang.
Er schlug den Feind mit Worten nieder,
und keinen gab's, den er nicht zwang.
Er stand allein und kämpfte ehrlich
und schlug der Zeit die Fenster ein.
Nichts auf der Welt macht so gefährlich,
als tapfer und allein zu sein!
Mißtrauensvotum
Ihr sagt, ihr könntet in uns lesen.
Und nickt dazu. Und macht euch klein.
Ihr sagt, auch ihr wärt jung gewesen.
Es kann ja sein.
Ihr tragt Konfetti in den Bärten
und sagt, wir wären nicht allein.
Und fänden in euch Weggefährten.
Es kann ja sein.
Ihr hüpft wie Lämmer durch die Auen
und tanzt mit Kindern Ringelreihn.
Ihr sagt, wir dürften euch vertrauen.
Es kann ja sein.
Ihr mögt uns lieben oder hassen,
ihr treibt dergleichen nur aus Pflicht.
Wir sollen uns auf euch verlassen?
Ach, lieber nicht!
Herbst auf der ganzen Linie
Nun gibt der Herbst dem Wind die Sporen.
Die bunten Laubgardinen wehn.
Die Straßen ähneln Korridoren,
in denen Türen offenstehn.
Das Jahr vergeht in Monatsraten.
Es ist schon wieder fast vorbei.
Und was man tut, sind selten Taten.
Das, was man tut, ist Tuerei.
Es ist, als ob die Sonne scheine.
Sie läßt uns kalt. Sie scheint zum Schein.
Man nimmt den Magen an die Leine.
Er knurrt. Er will gefüttert sein.
Das Laub verschießt, wird immer gelber,
nimmt Abschied vom Geäst und sinkt.
Die Erde dreht sich um sich selber.
Man merkt es deutlich, wenn man trinkt.
Wird man denn wirklich nur geboren,
um wie die Jahre zu vergehn?
Die Straßen ähneln Korridoren,
in denen Türen offenstehn.
Die Stunden machen ihre Runde.
Wir folgen ihnen Schritt für Schritt.
Und gehen langsam vor die Hunde.
Man führt uns hin. Wir laufen mit.
Man grüßt die Welt mit kalten Mienen.
Das Lächeln ist nicht ernst gemeint.
Es wehen bunte Laubgardinen.
Nun regnet's gar. Der Himmel weint.
Man ist allein und wird es bleiben.
Ruth ist verreist, und der Verkehr
beschränkt sich bloß aufs Briefeschreiben.
Die Liebe ist schon lange her!
Das Spiel ist ganz und gar verloren.
Und dennoch wird es weitergehn.
Die Straßen ähneln Korridoren,
in denen Türen offenstehn.
Ein Pessimist, knapp ausgedrückt
Ein Pessimist ist, knapp ausgedrückt, ein Mann,
dem nichts recht ist.
Und insofern ist er verdrießlich.
Obwohl er sich, andrerseits, schließlich
(und wenn überhaupt) nur freuen kann,
gerade weil alles schlecht ist!
Einer von ihnen hat mir erklärt, wie das sei
und was ihn am meisten freute:
"Im schlimmsten Moment, der Geburt, sind die Leute
(hat er gesagt) schon dabei.
Doch gerade das schönste Erlebnis
erleben sie nie: ihr Begräbnis!"
Abschied in der Vorstadt
Wenn man fröstelnd unter der Laterne steht,
wo man tausend Male mit ihr stand...
Wenn sie ängstlich wie ein Kind ins Dunkel geht,
winkt man lautlos mit der Hand.
Denn man weiß: man winkt das letzte Mal.
Und an ihrem Gange sieht man, daß sie weint.
War die Straße stets so grau und stets so kahl?
Ach, es fehlt bloß, daß der Vollmond scheint.
Plötzlich denkt man an das Abendbrot
und empfindet dies als gänzlich deplaciert.
Ihre Mutter hat zwei Jahre lang gedroht.
Heute folgt sie nun. Und geht nach Haus. Und friert.
Lust und Trost und Lächeln trägt sie fort.
Und man will sie rufen! Und bleibt stumm.
Und sie geht und wartet auf ein Wort!
Und sie geht und dreht sich nie mehr um.
Atmosphärische Konflikte
Die Bäume schielen nach dem Wetter.
Sie prüfen es. Dann murmeln sie:
"Man weiß in diesem Jahre nie,
ob nun raus mit die Blätter
oder rin mit die Blätter
oder wie?"
Aus Wärme wurde wieder Kühle.
Die Oberkellner werden blaß
und fragen ohne Unterlaß:
"Also, raus mit die Stühle
oder rin mit die Stühle
oder was?"
Die Pärchen meiden nachts das Licht.
Sie hocken Probe auf den Bänken
in den Alleen, wobei sie denken:
"Raus mit die Gefühle
oder rin mit die Gefühle
oder nicht?"
Der Lenz geht diesmal auf die Nerven
und gar nicht, wie es heißt, ins Blut.
Wer liefert Sonne in Konserven?
Na, günstigen Falles
wird doch noch alles
gut.
Es ist schon warm. Wird es so bleiben?
Die Knospen springen im Galopp.
Und auch das Herz will Blüten treiben.
Drum, raus mit die Stühle
und rin mit die Gefühle,
als ob!
Der Kümmerer
Der Kümmerer ist zwar ein Mann,
doch seine Männlichkeit hält sich in Grenzen.
Er nimmt sich zwar der Frauen an,
doch andre Männer ziehn die Konsequenzen.
Der Kümmerer ist ein Subjekt,
das Frauen, wenn es sein muß, zwar bedichtet,
hingegen auf den Endeffekt
von vornherein und überhaupt verzichtet.
Er dient den Frauen ohne Lohn.
Er liebt die Frau en gros, er liebt summarisch,
Er liebt die Liebe mehr als die Person.
Er hebt, mit einem Worte, vegetarisch!
Er wiehert nicht. Er wird nicht wild.
Er hilft beim Einkauf, denn er ist ein Kenner.
Sein Blick macht aus der Frau ein Bild.
Die andren Blicke werfen andre Männer.
Die Kümmerer sind nicht ganz neu.
Auch von von Goethe wird uns das bekräftigt.
Sein Clärchen war dem Egmont treu,
doch der war meist mit Heldentum beschäftigt.
So kam Herr Brackenburg ins Haus,
vertrieb die Zeit und half beim Wäschelegen.
Am Abend warf sie ihn hinaus.
Wer Goethes Werke kennt, der weiß weswegen.
Die Kümmerer sind sehr begehrt,
weil sie bescheiden sind und nichts begehren.
Sie wollen keinen Gegenwert.
Sie wollen nichts als da sein und verehren.
Sie heben euch auf einen Sockel,
der euch zum Denkmal macht und förmlich weiht.
Dann blicken sie durch ihr Monokel
und wundern sich, daß ihr unnahbar seid.
Dann knien sie hin und beten an.
Ihr gähnt und haltet euch mit Mühe munter.
Zum Glück kommt dann und wann ein Mann
und holt euch von dem Sockel runter!
Klassenzusammenkunft
Sie trafen sich, wie ehemals,
im ersten Stock des Kneiplokals.
Und waren zehn Jahr älter.
Sie tranken Bier. (Und machten Hupp!)
Und wirkten wie ein Kegelklub.
Und nannten die Gehälter.
Sie saßen da, die Beine breit,
und sprachen von der Jugendzeit
wie Wilde vom Theater.
Sie hatten, wo man hinsah, Bauch.
Und Ehefrau'n hatten sie auch.
Und fünfe waren Vater.
Sie tranken rüstig Glas auf Glas
und hatten Köpfe bloß aus Spaß
und nur zum Hütetragen.
Sie waren laut und waren wohl
aus einem Guß, doch innen hohl,
und hatten nichts zu sagen.
Sie lobten schließlich haargenau
die Körperformen ihrer Frau,
den Busen und dergleichen.
Erst dreißig Jahr, und schon zu spät!
Sie saßen breit und aufgebläht
wie nicht ganz tote Leichen.
Da, gegen Schluß, erhob sich wer
und sagte kurzerhand, daß er
genug von ihnen hätte.
Er wünsche ihnen sehr viel Bart
und hundert Kinder ihrer Art
und gehe jetzt zu Bette. -
Den andern war es nicht ganz klar,
warum der Kerl gegangen war.
Sie strichen seinen Namen.
Und machten einen Ausflug aus.
Für Sonntag früh. Ins Jägerhaus.
Doch dieses Mal mit Damen.
Stiller Besuch
Jüngst war seine Mutter zu Besuch.
Doch sie konnte nur zwei Tage bleiben.
Und sie müsse Ansichtskarten schreiben.
Und er las in einem dicken Buch.
Freilich war er nicht sehr aufmerksam.
Er betrachtete die Autobusse
und die goldnen Pavillons am Flusse
und den Dampfer, der vorüberschwamm.
Seine Mutter hielt den Kopf gesenkt.
Und sie schrieb gerade an den Vater:
"Heute abend gehn wir ins Theater.
Erich kriegte zwei Billetts geschenkt."
Und er tat, als ob er fleißig las.
Doch er sah die Nähe und die Ferne,
sah den Himmel und zehntausend Sterne
und die alte Frau, die drunter saß.
Einsam saß sie neben ihrem Sohn.
Leise lächelnd. Ohne es zu wissen.
Stadt und Sterne wirkten wie Kulissen.
Und der Wirtshausstuhl war wie ein Thron.
Ihn ergriff das Bild. Er blickte fort.
Wenn sie mir schreibt, mußte er noch denken,
wird sie ihren Kopf genau so senken.
Und dann las er. Und verstand kein Wort.
Seine Mutter saß am Tisch und schrieb.
Ernsthaft rückte sie an ihrer Brille,
und die Feder kratzte in der Stille.
Und er dachte: Gott, hab ich sie lieb!
Rezitation bei Regenwetter
Der Regen regnet sich nicht satt.
Es regnet hoffnungslosen Zwirn.
Wer jetzt 'ne dünne Schädeldecke hat,
dem regnet's ins Gehirn.
Im Rachen juckt's. Im Rücken zerrt's.
Es blöken die Bakterienherden.
Der Regen reicht allmählich bis ans Herz.
Was soll bloß daraus werden?
Der Regen bohrt sich durch die Haut.
Und dieser Trübsinn, der uns beugt,
wird, wie so Manches, subkutan erzeugt.
Wir sind porös gebaut.
Seit Wochen rollen Wolkenfässer
von Horizont zu Horizont.
Der Neubau drüben mit der braunen Front
wird von dem Regen täglich blässer.
Nun ist er blond.
Die Sonne wurde eingemottet.
Es ist, als lebte sie nicht mehr.
Ach, die Alleen, durch die man traurig trottet,
sind kalt und leer.
Man kriecht ins Bett. Das ist gescheiter,
als daß man klein im Regen steht.
Das geht auf keinen Fall so weiter,
wenn das so weiter geht.
Kleine Sonntagspredigt
Jeden Sonntag hat man Kummer
und beträchtlichen Verdruß,
weil man an die Montagsnummer
seiner Zeitung denken muß.
Denn am Sonntag sind bestimmt
zwanzig Morde losgewesen!
Wer sich Zeit zum Lesen nimmt,
muß das montags alles lesen.
Eifersucht und Niedertracht
schweigen fast die ganze Woche.
Aber Sonntag früh bis nacht
machen sie direkt Epoche.
Sonst hat niemand Zeit dazu,
sich mit sowas zu befassen.
Aber sonntags hat man Ruh,
und man kann sich gehenlassen.
Endlich hat man einmal Zeit,
geht spazieren, steht herum,
sucht mit seiner Gattin Streit
und bringt sie und alle um.
Gibt es wirklich nichts Gescheitres,
als sich, gleich gemeinen Mördern,
mit den Seinen ohne weitres
in das Garnichts zu befördern?
Ach, die meisten Menschen sind
nicht geeignet, nichts zu machen!
Langeweile macht sie blind.
Dann passieren solche Sachen.
Lebten sie im Paradiese,
ohne Pflicht und Ziel und Not,
wär die erste Folge diese:
alle schlügen alle tot.
Die Fabel von Schnabels Gabel
Kannten Sie Christian Leberecht Schnabel?
Ich habe ihn gekannt.
Vor seiner Zeit gab es die vierzinkige,
die dreizinkige
und auch schon die zweizinkige Gabel.
Doch jener Christian Leberecht Schnabel,
das war der Mann,
der in schlaflosen Nächten die einzinkige Gabel
entdeckte, bzw. erfand.
Das Einfachste ist immer das Schwerste.
Die einzinkige Gabel
lag seit Jahrhunderten auf der Hand.
Aber Christian Leberecht Schnabel
war eben der Erste,
der die einzinkige Gabel erfand!
Die Menschen sind wie die Kinder.
Christian Leberecht Schnabel
teilte mit seiner Gabel
das Schicksal aller Entdecker, bzw. Erfinder.
Einzinkige Gabeln,
wurde Schnäbeln
erklärt,
seien nichts wert.
Sie entbehrten als Teil des Bestecks
jeden praktischen Zwecks,
und man könne, sagte man Schnäbeln,
mit seiner Gabel nicht gabeln.
Die Menschen glaubten tatsächlich, daß Schnabel
etwas Konkretes bezweckte,
als er die einzinkige Gabel
erfand, bzw. entdeckte!
Ha!
Ihm ging es um nichts Reelles.
(Und deshalb ging es ihm schlecht.)
Ihm ging es um Prinzipielles!
Und insofern hatte Schnabel
mit der von ihm erfundenen Gabel
natürlich recht.
Modernes Märchen
Sie waren so sehr ineinander verliebt,
wie es das nur noch in Büchern gibt.
Sie hatte kein Geld. Und er hatte keins.
Da machten sie Hochzeit und lachten sich eins.
Er war ohne Amt. So blieben sie arm.
Und speisten zweimal in der Woche warm.
Er nannte sie trotzdem: "Mein Schmetterling."
Sie schenkte ihm Kinder, so oft es nur ging.
Sie wohnten möbliert und waren nie krank.
Die Kinder schliefen im Kleiderschrank.
Zu Weihnachten malten sie kurzerhand
Geschenke mit Buntstiften an die Wand.
Und aßen Brot, als wär's Konfekt,
und spielten: Wie Gänsebraten schmeckt.
Dergleichen stärkt wohl die Phantasie.
Drum wurde der Mann, blitzblatz! ein Genie.
Schrieb schöne Romane. Verdiente viel Geld
und wurde der reichste Mann auf der Welt.
Erst waren sie stolz. Doch dann tat's ihnen leid,
denn der Reichtum schadet der Heiterkeit.
Sie schenkten das Geld einem Waisenkind.
Und wenn sie nicht gestorben sind...
Die Großeltern haben Besuch
Für seine Kinder hat man keine Zeit.
(Man darf erst sitzen, wenn man nicht mehr gehn kann.)
Erst bei den Enkeln ist man dann soweit,
daß man die Kinder ungefähr verstehn kann.
Spielt hübsch mit Sand und backt auch Sandgebäck!
Ihr seid so fern und trotzdem in der Nähe,
als ob man über einen Abgrund weg
in einen fremden bunten Garten sähe.
Spielt brav mit Sand und baut euch Illusionen!
Ihr und wir Alten wissen ja Bescheid:
Man darf sie bauen, aber nicht drin wohnen.
Ach, bleibt so klug, wenn ihr erwachsen seid!
Wir möchten euch auch später noch beschützen.
Denn da ist vieles, was euch dann bedroht.
Doch unser Wunsch wird uns und euch nichts nützen.
Wenn ihr erwachsen seid, dann sind wir tot.
Ein Kubikkilometer genügt
Ein Mathematiker hat behauptet,
daß es allmählich an der Zeit sei,
eine stabile Kiste zu bauen,
die tausend Meter lang, hoch und breit sei.
In diesem einen Kubikkilometer
hätten, schrieb er im wichtigsten Satz,
sämtliche heute lebenden Menschen
(das sind zirka zwei Milliarden) Platz!
Man könnte also die ganze Menschheit
in eine Kiste steigen heißen
und diese, vielleicht in den Kordilleren,
in einen der tiefsten Abgründe schmeißen.
Da lägen wir dann, fast unbemerkbar,
als würfelförmiges Paket.
Und Gras könnte über die Menschheit wachsen.
Und Sand würde daraufgeweht.
Kreischend zögen die Geier Kreise.
Die riesigen Städte stünden leer.
Die Menschheit läge in den Kordilleren.
Das wüßte dann aber keiner mehr.
1936