et, in der Erregung sogar fur einen Moment mit
beiden Armen im Kreis gefuchtelt hatte, um das >alles, alles<, was er
kenne, zu umschreiben, klappte bei Baldinis Entgegnung augenblicks wieder in
sich zusammen wie eine kleine schwarze Krute und verharrte auf der
Turschwelle, bewegungslos lauernd.
"Ich bin mir", fuhr Baldini fort, "selbstverstundlich lungst daruber im
klaren, dass >Amor und Psyche< aus Storax, Rosenul und Nelke sowie
Bergamott und Rosmarinextrakt et cetera besteht. Um das herauszufinden,
bedarf es, wie gesagt, bloß einer leidlich feinen Nase, und es mag
durchaus sein, dass Gott dir eine leidlich feine Nase gegeben hat, wie
vielen, vielen anderen Menschen auch - namentlich in deinem Alter. Der
Parfumeur jedoch" - und hier hob Baldini den Zeigefinger und wulbte seine
Brust heraus - "der Parfumeur jedoch braucht mehr als eine leidlich feine
Nase. Er braucht ein uber viele Jahrzehnte geschultes, unbestechlich
arbeitendes Riechorgan, das ihn in Stand versetzt, auch komplizierteste
Geruche nach Art und Menge sicher zu entrutseln, ebenso wie neue, unbekannte
Duftgemische zu kreieren. Eine solche Nase" - und er tippte mit dem Finger
an die seine "hat man nicht, junger Mann! Eine solche Nase erwirbt man sich
mit Ausdauer und Fleiß. Oder kunntest du mir vielleicht auf Anhieb die
exakte Formel von >Amor und Psyche< nennen? Nun? Kunntest du das?"
Grenouille antwortete nicht.
"Kunntest du sie mir vielleicht ungefuhr verraten?" sagte Baldini und
beugte sich ein wenig vor, um die Krute in der Tur genauer zu sehen, "nur so
in etwa, schutzungsweise? Nun? Sprich, du beste Nase von Paris!"
Doch Grenouille schwieg.
"Siehst du?" sagte Baldini gleichermaßen befriedigt wie
enttuuscht und richtete sich wieder auf, "du kannst es nicht. Naturlich
nicht. Wie solltest du es auch kunnen. Du bist wie einer, der beim Essen
schmeckt, ob Kerbel oder Petersilie in der Suppe ist. Nun gut das ist schon
etwas. Aber deshalb bist du noch lange kein Koch. In jeder Kunst und auch in
jedem Handwerk - merke dir das, bevor du gehst! - gilt das Talent so gut wie
nichts, aber alles die Erfahrung, die durch Bescheidenheit und Fleiß
erworben wird."
Er griff nach dem Leuchter auf dem Tisch, als Grenouilles gePresste
Stimme von der Tur her schnarrte:
"Ich weiß nicht, was eine Formel ist, Mahre, das weiß ich
nicht, sonst weiß ich alles!"
"Eine Formel ist das A und O jeden Parfums", erwiderte Baldini streng,
denn er wollte dem Gespruch nun ein Ende machen. "Sie ist die akribische
Anweisung, in welchem Verhultnis die einzelnen Ingredienzen zu mischen sind,
damit der eine gewunschte, unverwechselbare Duft entstehe; das ist die
Formel. Sie ist das Rezept - wenn du dieses Wort besser verstehst." "Formel,
Formel", kruchzte Grenouille und wurde etwas grußer in der Tur, "ich
brauche keine Formel. Ich habe das Rezept in meiner Nase. Soll ich es fur
Sie mischen, Maitre, soll ich es mischen, soll ich?"
"Wie denn?" rief Baldini mit ziemlicher Lautsturke und hielt dem Gnom
die Kerze vors Gesicht. "Wie denn mischen?"
Grenouille zuckte zum ersten Mal nicht mehr zuruck. "Aber sie sind doch
alle da, die man braucht, die Geruche, sind doch alle da, in diesem Raum",
sagte er und deutete wieder ins Dunkle. "Rosenul da! Orangenblute da! Nelke
da! Rosmarin da...!"
"Freilich sind sie da!" brullte Baldini. "Alle sind sie da! Aber ich
sage dir doch, Holzkopf, das nutzt nichts, wenn man die Formel nicht hat!"
"...Jasmin da! Weingeist da! Bergamotte da! Storax da!" kruchzte
Grenouille weiter und deutete bei jedem Namen auf einen anderen Punkt im
Raum, wo es so dunkel war, dass man den Schatten der Regale mit den Flaschen
huchstens ahnen konnte.
"Du siehst wohl auch bei Nacht, he?" fuhr Baldini ihn an, "du hast
nicht nur die feinste Nase, sondern auch die schurfsten Augen von Paris,
wie? Wenn du nur leidlich gute Ohren hast, dann mach sie auf, denn ich sage
dir: Du bist ein kleiner Betruger. Wahrscheinlich hast du irgend etwas
aufgeschnappt bei Pelissier, hast was ausspioniert, wie? Und glaubst, du
kunntest mich hinters Licht fuhren?"
Grenouille stand jetzt ganz auseinandergefaltet, sozusagen in voller
Kurpergruße in der Ture, mit leicht auseinandergestellten Beinen und
leicht abgespreizten Armen, so dass er aussah wie eine schwarze Spinne, die
sich an Schwelle und Rahmen festkrallte. "Geben Sie mir zehn Minuten", sagte
er in ziemlich flussiger Rede, "und ich werde Ihnen das Parfum >Amor und
Psyche< herstellen. Jetzt gleich und hier in diesem Raum. Maitre, geben
Sie mir funf Minuten!"
"Du glaubst, ich lasse dich in meiner Werkstatt herumpantschen? Mit
Essenzen, die ein Vermugen wert sind? Dich?"
"Ja", sagte Grenouille.
"Pah!" rief Baldini und stieß dabei den ganzen Atem, den er
hatte, auf einmal heraus. Dann holte er tief Luft, sah den spinnenhaften
Grenouille lange an und uberlegte. Im Grunde ist es egal, dachte er, denn
morgen hat sowie soalles ein Ende. Ich weiß zwar, dass er das, was er
behauptet, nicht kann, ja gar nicht kunnen kann, er wure denn noch
grußer als der große Frangipani. Aber warum soll ich mir das,
was ich weiß, nicht noch vor Augen demonstrieren lassen? Womuglich
kommt mir sonst in Messina eines Tages man wird ja manchmal sonderbar im
Alter und versteift sich auf die verrucktesten Ideen - der Gedanke, ich
hutte ein olfaktorisches Genie, ein Wesen, auf dem die Gnade Gottes
uberreichlich ruhte, ein Wunderkind, als solches nicht erkannt... - Es ist
ganz ausgeschlossen. Nach allem, was mir der Verstand sagt, ist es
ausgeschlossen - aber Wunder gibt es, das steht fest. Nun, wenn ich dereinst
sterbe in Messina, und auf dem Sterbelager kommt mir der Gedanke: Damals in
Paris, an jenem Abend, hast du vor einem Wunder die Augen zugemacht...? Das
wure nicht sehr angenehm, Baldini! Soll der Narr die paar Tropfen Rosenul
und Moschustinktur verkleckern, du selbst huttest sie auch verkleckert, wenn
dich das Parfum von Pelissier noch wirklich interessierte. Und was sind
schon die paar Tropfen - wiewohl teuer, sehr, sehr teuer! - gemessen an der
Sicherheit des Wissens und an einem ruhigen Lebensabend?
"Pass auf!" sagte er mit kunstlich strenger Stimme, "pass auf! Ich... -
wie heisst du uberhaupt?"
"Grenouille", sagte Grenouille. "Jean-Baptiste Grenouille."
"Aha", sagte Baldini. "Also pass auf, Jean-Baptiste Grenouille! Ich
habe es mir uberlegt. Du sollst die Gelegenheit bekommen, jetzt, sofort,
deine Behauptung zu beweisen. Dies ist zugleich eine Gelegenheit fur dich,
durch ein eklatantes Scheitern die Tugend der Bescheidenheit zu lernen,
welche - in deinem jungen Alter vielleicht verzeihlicherweise noch kaum
entwickelt - eine unabdingbare Voraussetzung fur dein sputeres Fortkommen
als Mitglied deiner Zunft und deines Standes, als Ehemann, als Untertan, als
Mensch und als ein guter Christ sein wird. Ich bin bereit, dir diese Lehre
auf meine Kosten zu erteilen, denn aus bestimmten Grunden bin ich heute
spendabel aufgelegt, und, wer weiß, vielleicht wird mir eines Tages
die Ruckerinnerung an diese Szene etwas Heiterkeit bereiten. Aber glaube
nicht, du kunntest mich ubertulpeln! Giuseppe Baldinis Nase ist alt, aber
sie ist scharf, scharf genug, auch den kleinsten Unterschied zwischen deiner
Mixtur und diesem Produkt hier" - und dabei zog er sein >Amor und
Psyche< - getrunktes Tuchlein aus der Tasche und wedelte es Grenouille
vor die Nase - "sofort festzustellen. Tritt nuher, beste Nase von Paris!
Tritt nuher an diesen Tisch und zeige, was du kannst! Doch gib acht, dass du
mir nichts umstußt und herunterwirfst! Ruhre mir nichts an! Erst will
ich mehr Licht machen. Wir wollen große Beleuchtung haben fur dieses
kleine Experiment, nicht wahr?"
Und damit nahm er zwei andere Leuchter, die am Rand des großen
Eichentisches standen, und zundete sie an. Er postierte sie alle drei
nebeneinander an der hinteren Lungsseite, schob das Leder beiseite, ruumte
den mittleren Teil des Tisches frei. Dann, mit zugleich ruhigen und raschen
Griffen, holte er die Gerute, die das Geschuft erforderte, von einem kleinen
Gestell: die große bauchige Mischflasche, den glusernen Trichter, die
Pipette, das kleine und das große Messglas, und stellte sie
wohlgeordnet vor sich auf die Eichenplatte.
Grenouille hatte sich inzwischen vom Turrahmen gelust. Schon wuhrend
Baldinis pompuser Rede war das Versteifte, lauernd Verdruckte von ihm
abgefallen. Er hurte nur die Zustimmung, nur das Ja, mit dem innern Jubel
eines Kindes, das sich ein Zugestundnis ertrotzt hat und auf die
Einschrunkungen, Bedingungen und moralischen Ermahnungen, die sich daran
knupfen, pfeift. Locker dastehend, einem Menschen zum ersten Mal uhnlicher
als einem Tier, ließ er den Rest von Baldinis Suada uber sich ergehen
und wusste, dass er diesen Mann, der ihm nun nachgab, schon uberwultigt
hatte.
Wuhrend Baldini noch mit seinen Kerzenleuchtern auf dem Tisch
hantierte, schlupfte Grenouille schon in das seitliche Dunkel der Werkstatt,
wo die Regale mit den kostbaren Essenzen, ulen und Tinkturen standen, und
griff sich, der sicheren Witterung seiner Nase folgend, die benutigten
Fluschchen von den Borden. Neun waren es an der Zahl: Orangenblutenessenz,
Limettenul, Nelken- und Rosenul, Jasmin-, Bergamotte- und Rosmarinextrakt,
Moschustinktur und Storaxbalsam, die er sich rasch herunterpfluckte und am
Rand des Tisches zurechtstellte. Als letztes schleppte er einen Ballon mit
hochprozentigem Weingeist heran. Dann stellte er sich hinter Baldini, der
noch immer mit beduchtiger Pedanterie seine Mischgefuße arrangierte,
dieses Glas ein wenig dahin ruckte, jenes noch ein wenig dorthin, damit
alles seine gute altgewohnte Ordnung habe und sich im vorteilhaftesten Licht
der Leuchter prusentiere - und wartete, zitternd vor Ungeduld, dass der Alte
sich entferne und ihm Platz mache.
"So!" sagte Baldini endlich und trat zur Seite. "Hier ist alles
aufgereiht, was du fur dein - nennen wir es freundlicherweise
>Experiment< benutigst. Zerbrich mir nichts, vertropfe mir nichts!
Denn merke: Diese Flussigkeiten, mit denen du jetzt funf Minuten lang
hantieren darfst, sind von einer Kostbarkeit und Seltenheit, wie du sie nie
wieder in deinem Leben in so konzentrierter Form in Hunden halten wirst!"
"Wie viel soll ich Ihnen machen, Maitre?" fragte Grenouille."Was
machen...?" sagte Baldini, der seine Rede noch nicht beendet hatte. "Wie
viel von dem Parfum?" schnarrte Grenouille, "wie viel davon wollen Sie
haben? Soll ich diese dicke Flasche bis zum Rand vollfullen?" Und er deutete
auf eine Mischflasche, die gut und gerne drei Liter fasste.
"Nein, das sollst du nicht!" schr ie Baldini entsetzt, und es schrie
aus ihm die ebenso tief verwurzelte wie spontane Angst vor der Verschwendung
seines Eigentums. Und als geniere er sich uber diesen entlarvenden Schrei,
brullte er gleich hinterher: "Und in die Rede fallen sollst du mir auch
nicht!" um dann in ruhigerem, ironisch eingefurbtem Ton fortzufahren: "Wozu
brauchen wir drei Liter von einem Parfum, das wir beide nicht schutzen? Im
Grunde genugte ein halber Messbecher voll. Da solch kleine Quantituten
jedoch unpruzis zu mischen sind, will ich dir gestatten, eine Drittelfullung
der Mischflasche anzusetzen."
"Gut", sagte Grenouille. "Ich werde diese Flasche zu einem Drittel mit
>Amor und Psyche< fullen. Aber, Maitre Baldini, ich mache es auf meine
Art. Ich weiß nicht, ob das die zunftige Art ist, denn die kenne ich
nicht, aber ich mache es auf meine Art."
"Bitte!" sagte Baldini, der wusste, dass es bei diesem Geschuft nicht
meine oder deine, sondern eben nur eine, eine einzig mugliche und richtige
Art gab, die darin bestand, in Kenntnis der Formel und unter entsprechender
Umrechnung auf die zu erzielende Endmenge ein aufs Exakteste vermessenes
Konzentrat aus den verschiedenen Essenzen herzustellen, welches daraufhin
mit Alkohol in einem wiederum exakten Verhultnis, das meistens zwischen eins
zu zehn und eins zu zwanzig schwankte, zum endgultigen Parfum vergeistigt
werden musste. Eine andre Art, das wusste er, gab es nicht. Und deshalb
musste ihm das, was er nun zu sehen bekam und was er zunuchst mit
sputtischer Distanz, dann mit Verwirrung und schließlich nur noch mit
hilflosem Erstaunen beobachtete, als schieres Wunder erscheinen. Und die
Szene utzte sich so in sein Geduchtnis ein, dass er sie bis ans Ende seiner
Tage nicht mehr vergaß.
15
Der kleine Mensch Grenouille entkorkte als erstes den Ballon mit
Weingeist. Er hatte Muhe, das schwere Gefuß hochzuwuchten. Fast bis in
Kopfhuhe musste er es heben, denn so hoch stand die Mischflasche mit dem
aufgesetzten Glastrichter, in den er, ohne Zuhilfenahme eines Messbechers,
den Alkohol direkt aus dem Ballon goss. Baldini schauderte vor so viel
geballtem Unvermugen: Nicht nur, dass der Kerl die parfumistische
Weltordnung auf den Kopf stellte, indem er mit dem Lusungsmittel anfing,
ohne das zu lusende Konzentrat zu besitzen - er war auch kaum physisch dazu
in der Lage! Er zitterte vor Anstrengung, und Baldini rechnete jeden Moment
damit, dass der schwere Ballon herunterkrachen und alles auf dem Tisch
zertrummern werde. Die Kerzen, dachte er, um Gottes willen, die Kerzen! Es
wird eine Explosion geben, er wird mein Haus abbrennen...! Und er wollte
schon hinsturzen, um dem Verruckten den Ballon zu entreißen, als
Grenouille ihn selber absetzte, heil zu Boden brachte und wieder verkorkte.
In der Mischflasche schwankte die leichte klare Flussigkeit - es war kein
Tropfen danebengegangen. Fur ein paar Momente verschnaufte sich Grenouille
und machte dabei ein so zufriedenes Gesicht, als habe er den
beschwerlichsten Teil der Arbeit schon hinter sich. Und in der Tat ging das
Folgende mit einer derartigen Geschwindigkeit vonstatten, dass Baldini mit
den Augen kaum folgen konnte, geschweige denn eine Reihenfolge oder auch nur
einen irgendwie geregelten Ablauf des Geschehens hutte erkennen kunnen.
Anscheinend wahllos griff Grenouille in die Reihe der Flakons mit den
Duftessenzen, riss die Glasstupsel heraus, hielt sich den Inhalt fur eine
Sekunde unter die Nase, schuttete dann von diesem, trupfelte von einem
anderen, gab einen Schuss von einem dritten Fluschchen in den Trichter und
so fort. Pipette, Reagenzglas, Messglas, Luffelchen und Ruhrstab - all die
Gerute, die den komplizierten Mischprozess fur den Parfumeur beherrschbar
machen, ruhrte Grenouille kein einziges Mal an. Es war, als spiele er nur,
als pritschle und pansche er wie ein Kind, das aus Wasser, Gras und Dreck
einen scheußlichen Sud kocht und dann behauptet, es sei eine Suppe.
Ja, wie ein Kind, dachte Baldini; er sieht auch mit einem Mal aus wie ein
Kind, trotz seinen klobigen Hunden, trotz seinem vernarbten, zerkerbten
Gesicht und der knolligen Altmunnernase. Ich habe ihn fur ulter gehalten,
als er ist, und jetzt kommt er mir junger vor; wie drei oder vier kommt er
mir vor; wie diese unzugunglichen, unbegreiflichen, eigensinnigen kleinen
Vormenschen, die, angeblich unschuldig, nur an sich selber denken, die alles
auf der Welt sich despotisch unterordnen wollen und es wohl auch tun wurden,
wenn man sie in ihrem Grußenwahn gewuhren ließe und nicht durch
strengste erzieherische Maßnahmen nach und nach disziplinierte und an
die selbstbeherrschte Existenz des Vollmenschen heranfuhrte. Ein solch
fanatisches Kleinkind steckte in diesem jungen Mann, der mit gluhenden Augen
am Tisch stand und seine ganze Umgebung vergessen hatte, offenbar gar nicht
mehr wusste, dass es noch etwas andres gab in der Werkstatt außer ihm
und diesen Flaschen, die er mit behender Tapsigkeit an den Trichter fuhrte,
um sein wahnsinniges Gebruu zu mischen, von dem er hinterher todsicher
behaupten wurde - und auch noch daran glaubte! - es sei das erlesene Parfum
>Amor und Psyche<. Es schauderte Baldini, als er dem im flackernden
Kerzenlicht so grußlich verkehrt und so grußlich selbstbewusst
hantierenden Menschen zusah: Seinesgleichen - so dachte er, und ihm war fur
einen Moment wieder so traurig und elend und wutend zumute wie am
Nachmittag, als er auf die in der Dummerung rotgluhende Stadt geblickt hatte
seinesgleichen hutte es fruher nicht gegeben; das war ein ganz neues
Exemplar der Gattung, wie es nur in dieser maroden, verlotterten Zeit
entstehen konnte... Aber er sollte seine Lehre bekommen, der prupotente
Bursche! Zusammenputzen wurde er ihn am Ende dieser lucherlichen Auffuhrung,
dass er davonschlich als das geduckte Huuflein Nichts, als welches er
gekommen war. Geschmeiß! Man durfte sich uberhaupt mit niemandem mehr
einlassen heutzutage, denn es wimmelte von lucherlichem Geschmeiß!
So beschuftigt war Baldini mit seiner inneren Empurung und seinem Ekel
vor der Zeit, dass er nicht recht begriff, was es bedeuten sollte, als
Grenouille plutzlich sumtliche Flakons verstupselte, den Trichter aus der
Mischflasche zog, die Flasche selbst mit einer Hand am Halse packte, sie mit
der flachen linken Hand verschloss und heftig schuttelte. Erst als die
Flasche mehrmals durch die Luft gewirbelt war, ihr kostbarer Inhalt wie
Limonade vom Bauch in den Hals und zuruck sturzte, stieß Baldini einen
Wut- und Entsetzensschrei aus. "Halt!" kreischte er. "Genug jetzt! Hur
augenblicklich auf! Basta! Stell sofort die Flasche auf den Tisch und ruhre
nichts mehr an, verstehst du, nichts mehr! Ich muss wahnsinnig gewesen sein,
mir dein turichtes Geschwutz uberhaupt anzuhuren. Die Art und Weise, wie du
mit den Dingen umgehst,deine Grobheit, dein primitiver Unverstand zeigen
mir, dass du ein Stumper bist, ein barbarischer Stumper und ein lausiger
frecher Rotzbengel obendrein. Du taugst nicht mal zum Limonadenmischer,
nicht einmal zum einfachsten Lakritzwasserverkuufer taugst du, geschweige
denn zum Parfumeur! Sei froh, sei dankbar und zufrieden, wenn dich dein
Meister weiterhin mit Gerberbruhe panschen lusst! Wage es nicht noch einmal,
hurst du mich? Wage es nicht noch einmal, deinen Fuß uber die Schwelle
eines Parfumeurs zu setzen!"
So sprach Baldini. Und wuhrend er noch sprach, war der Raum um ihn
herum schon duftgesuttigt von >Amor und Psyche<. Es gibt eine
uberzeugungskraft des Duftes, die sturker ist als Worte, Augenschein, Gefuhl
und Wille. Die uberzeugungskraft des Duftes ist nicht abzuwehren, sie geht
in uns hinein wie die Atemluft in unsere Lungen, sie erfullt uns, fullt uns
vollkommen aus, es gibt kein Mittel gegen sie.
Grenouille hatte die Flasche abgesetzt, die mit Parfum benetzte Hand
vom Hals genommen und an seinem Rocksaum abgewischt. Ein, zwei Schritt
zuruck, das linkische Zusammenklappen seines Kurpers unter Baldinis
Standpauke schlugen genugend Wellen in der Luft, um den neugeschaffnen Duft
ringsum zu verbreiten. Mehr war nicht nutig. Zwar, Baldini tobte noch und
zeterte und schimpfte; doch mit jedem Atemzug fand seine uußerlich zur
Schau gestellte Wut im Innern weniger Nahrung. Ihm schwante, dass er
widerlegt war, weswegen seine Rede sich gegen Ende nur noch in hohles Pathos
steigern konnte. Und als er schwieg, eine Weile lang geschwiegen hatte,
brauchte es gar nicht mehr Grenouilles Bemerkung: "Es ist fertig." Er wusste
es ohnehin.
Aber trotzdem, obwohl ihn mittlerweile von allen Seiten her die
>Amor-und-Psyche<-schwere Luft umwallte, trat er an den alten
Eichentisch, um eine Probe vorzunehmen. Zog ein frisches, schneeweißes
Spitzentuchlein aus der Rocktasche, aus der linken, entfaltete es und tupfte
darauf ein paar Tropfen, die er mit der langen Pipette aus der Mischflasche
gezogen hatte. Schwenkte das Tuchlein am ausgestreckten Arm, um es zu
aerieren, und zog es dann mit der geubten zierlichen Bewegung unter seiner
Nase hindurch, den Duft in sich einsaugend. Wuhrend er ihn ruckweise
ausstrumen ließ, setzte er sich auf einen Hocker. Er war zuvor von
seinem - Wutausbruch noch tiefrot im Gesicht gewesen - mit einem Mal ganz
blass geworden. "Unglaublich", murmelte er leise vor sich hin, "bei Gott -
unglaublich."
Und wieder und wieder druckte er die Nase gegen das Tuchlein und
schnuffelte und schuttelte den Kopf und murmelte "unglaublich.": Es war
>Amor und Psyche<, ohne den geringsten Zweifel >Amor und
Psyche<, das hassenswert geniale Duftgemisch, so pruzise kopiert, dass
nicht einmal Pelissier selber es von seinem Produkt wurde unterscheiden
kunnen. "Unglaublich..."
Klein und blass saß der große Baldini auf dem Hocker und
sah lucherlich aus mit seinem Tuchlein in der Hand, das er wie eine
verschnupfte Jungfer gegen die Nase druckte. Die Sprache hatte es ihm nun
vollstundig verschlagen. Er sagte nicht einmal "unglaublich" mehr, sondern
stieß nur noch, indem er fortwuhrend leise nickte und auf den Inhalt
der Mischflasche starrte, ein monotones "Hm, hm, hm...hm, hm, hm...hm, hm,
hm.." aus. Nach einer Weile nuherte sich Grenouille und trat lautlos wie ein
Schatten an den Tisch.
"Es ist kein gutes Parfum", sagte er, "es ist sehr schlecht
zusammengesetzt, dieses Parfum."
"Hm, hm, hm", sagte Baldini, und Grenouille fuhr fort: "Wenn Sie
erlauben, Maitre, will ich es verbessern. Geben Sie mir eine Minute, und ich
mache Ihnen ein anstundiges Parfum daraus!"
"Hm, hm, hm", sagte Baldini und nickte. Nicht weil er zustimmte,
sondern weil er eben in einem so hilflos apathischen Zustand war, dass er zu
allem und jedem "hm, hm, hm" gesagt und genickt hutte. Und er nickte auch
weiter und murmelte "hm, hm, hm" und machte keine Anstalten einzugreifen,
als Grenouille zum zweiten Mal zu mischen anfing, ein zweites Mal den
Weingeist aus dem Ballon in die Mischflasche goss, zum bereits darin
befindlichen Parfum hinzu, zum zweiten Mal den Inhalt der Flakons in
scheinbar wahlloser Reihenfolge und Menge in den Trichter kippte. Erst gegen
Ende der Prozedur - Grenouille schuttelte die Flasche diesmal nicht, sondern
schwenkte sie nur sachte wie ein Cognacglas, vielleicht mit Rucksicht auf
Baldinis Zartgefuhl, vielleicht weil ihm der Inhalt diesmal kostbarer
erschien - erst jetzt also, als die Flussigkeit schon fertig in der Flasche
kreiselte, erwachte Baldini aus seinem betuubten Zustand und erhob sich, das
Tuchlein freilich immer noch vor die Nase gepresst, als wolle er sich gegen
einen neuerlichen Angriff auf sein Inneres wappnen.
"Es ist fertig, Maitre", sagte Grenouille. "Jetzt ist es ein recht
guter Duft."
"Jaja, schon gut, schon gut", erwiderte Baldini und winkte ab mit
seiner freien Hand.
"Wollen Sie nicht eine Probe nehmen?" gurgelte Grenouille weiter,
"wollen Sie nicht, Maitre? Keine Probe?"
"Sputer, bin jetzt nicht aufgelegt zu einer Probe... habe andere Sachen
im Kopf. Geh jetzt! Komm!"
Und er nahm einen der Leuchter und ging zur Tur hinaus, hinuber in den
Laden. Grenouille folgte ihm. Sie kamen in den schmalen Korridor, der zum
Dienstboteneingang fuhrte. Der Alte schlurfte auf die Pforte zu, riss den
Riegel zuruck und uffnete. Er trat beiseite, um den Jungen hinauszulassen.
"Darf ich nun bei Ihnen arbeiten, Maitre, darf ich?" fragte Grenouille,
schon auf der Schwelle stehend, wieder geduckt, wieder lauernden Auges.
"Ich weiß es nicht", sagte Baldini, "ich werde daruber
nachdenken. Geh!"
Und dann war Grenouille verschwunden, mit einem Mal weg, weggeschluckt
von der Dunkelheit. Baldini stand da und glotzte in die Nacht. In der
rechten Hand hielt er den Leuchter, in der linken das Tuchlein, wie einer,
der Nasenbluten hat, und hatte doch nur Angst. Rasch riegelte er die Ture
zu. Dann nahm er das schutzende Tuch vom Gesicht, schob es in die Tasche und
ging durch den Laden in die Werkstatt zuruck. Der Duft war so himmlisch gut,
dass Baldini schlagartig das Wasser in die Augen trat. Er brauchte keine
Probe zu nehmen, er stand nur am Werktisch vor der Mischflasche und atmete.
Das Parfum war herrlich. Es war im Vergleich zu >Amor und Psyche< wie
eine Sinfonie im Vergleich zum einsamen Gekratze einer Geige. Und es war
mehr. Baldini schloss die Augen und sah sublimste Erinnerungen in sich
wachgerufen. Er sah sich als einen jungen Menschen durch abendliche Gurten
von Neapel gehen; er sah sich in den Armen einer Frau mit schwarzen Locken
liegen und sah die Silhouette eines Strauchs von Rosen auf dem Fenstersims,
uber das ein Nachtwind ging; er hurte versprengte Vugel singen und von Ferne
die Musik aus einer Hafenschenke; er hurte Flusterndes ganz dicht am Ohr, er
hurte ein Ich lieb dich und spurte, wie sich ihm vor Wonne die Haare
struubten, jetzt! jetzt in diesem Augenblick! Er riss die Augen auf und
stuhnte vor Vergnugen. Dieses Parfum war kein Parfum, wie man es bisher
kannte. Das war kein Duft, der besser riechen machte, kein Sentbon, kein
Toilettenartikel. Das war ein vullig neuartiges Ding, das eine ganze Welt
aus sich erschaffen konnte, eine zauberhafte, reiche Welt, und man
vergaß mit einem Schlag die Ekelhaftigkeiten um sich her und fuhlte
sich so reich, so wohl, so frei, so gut...
Die gestruubten Haare an Baldinis Arm legten sich, und eine beturende
Seelenruhe ergriff Besitz von ihm. Er nahm das Leder, das Ziegenleder, das
am Rand des Tisches lag und nahm ein Messer und schnitt das Leder zu. Dann
legte er die Stucke in die Wanne aus Glas und ubergoss sie mit dem neuen
Parfum. Er sturzte eine Glasplatte auf die Wanne, zog den Rest des Duftes
auf zwei Fluschchen, die er mit Etiketts versah, darauf schrieb er den Namen
>Nuit Napolitaine<. Dann luschte er das Licht und ging.
Oben bei seiner Frau beim Essen sagte er nichts. Vor allem sagte er
nichts von dem hochheiligen Entschluss, den er am Nachmittag gefasst hatte.
Auch seine Frau sagte nichts, denn sie merkte, dass er heiter war, und damit
war sie sehr zufrieden. Er ging auch nicht mehr hinuber nach Notre-Dame, um
Gott zu danken fur seine Charaktersturke. Ja, er vergaß an diesem Tag
sogar zum ersten Mal, zur Nacht zu beten.
16
Am nuchsten Morgen ging er schnurstracks zu Grimal.Als erster bezahlte
er das Ziegenleder, und zwar den vollen Preis, ohne Murren und ohne die
geringste Feilscherei. Und dann lud er Grimal zu einer Flasche
Weißwein in die Tour d'Argent ein und handelte ihm den Lehrling
Grenouille ab. Selbstverstundlich verriet er nicht, weshalb er ihn wollte
und wozu er ihn brauchte. Er schwindelte etwas daher von einem großen
Auftrag in Duftleder, zu dessen Bewultigung er einer ungelernten Hilfskraft
bedurfe. Einen genugsamen Burschen brauche er, der ihm einfachste Dienste
verrichte, Leder zuschneide und so weiter. Er bestellte noch eine Flasche
Wein und bot zwanzig Livre als Entschudigung fur die Unannehmlichkeit, die
er Grimal durch den Ausfall Grenouilles verursachte. Zwanzig Livre waren
eine enorme Summe. Grimal schlug sofort ein. Sie gingen in die Gerberei, wo
Grenouille sonderbarerweise schon mit gepacktem Bundel wartete, Baldini
zahlte seine zwanzig Livre und nahm ihn, im Bewusstsein, das beste Geschuft
seines Lebens gemacht zu haben, gleich mit.
Grimal, der seinerseits uberzeugt war, das beste Geschuft seines Lebens
gemacht zu haben, kehrte in die Tour d'Argent zuruck, trank dort zwei
weitere Flaschen Wein, zog dann gegen Mittag in den Lion d'Or am andern Ufer
um und besoff sich dort so hemmungslos, dass er, als er sput nachts abermals
in die Tour d'Argent umziehen wollte, die Rue Geoffroi L'Anier mit der Rue
des Nonaindieres verwechselte und somit, statt, wie er gehofft hatte, direkt
auf den Pont Marie zu stoßen, verhungnisvollerweise auf den Quai des
Ormes geriet, von wo aus er der Lunge nach mit dem Gesicht voraus ins Wasser
platschte wie in ein weiches Bett. Er war augenblicklich tot. Der Fluss aber
brauchte noch geraume Zeit, ihn vom seichten Ufer weg, an den vertuuten
Lastkuhnen vorbei, in die sturkere mittlere Strumung zu ziehen, und erst in
den fruhen Morgenstunden schwamm der Gerber Grimal, oder vielmehr seine
nasse Leiche, in flotterer Fahrt flussabwurts, gen Westen.
Als er den Pont au Change passierte, lautlos, ohne an den
Bruckenpfeiler anzuecken, ging Jean-Baptiste Grenouille zwanzig Meter uber
ihm gerade zu Bett. Er hatte in der hinteren Ecke von Baldinis Werkstatt
eine Pritsche hingestellt bekommen, von der er nun Besitz ergriff, wuhrend
sein ehemaliger Brotherr, alle viere von sich gestreckt, die kalte Seine
hinunter schwamm. Wohlig rollte er sich zusammen und machte sich klein wie
der Zeck. Mit beginnendem Schlaf versenkte er sich tiefer und tiefer in sich
hinein und hielt triumphalen Einzug in seiner inneren Festung, auf der er
sich ein geruchliches Siegesfest ertruumte, eine gigantische Orgie mit
Weihrauchqualm und Myrrhendampf, zu Ehren seiner selbst.
17
Mit dem Erwerb von Grenouille begann der Aufstieg des Hauses Giuseppe
Baldini zu nationalem, ja europuischem Ansehen. Das persische Glockenspiel
stand nicht mehr still, und die Reiher hurten nicht mehr auf zu speien im
Laden auf dem Pont au Change.
Am ersten Abend noch musste Grenouille einen großen Ballon
>Nuit Napolitaine< ansetzen, von dem im Laufe des folgenden Tages uber
achtzig Flakons verkauft wurden. Der Ruf des Duftes verbreitete sich mit
rasender Geschwindigkeit. Chenier bekam ganz glasige Augen vom Geldzuhlen
und einen schmerzenden Rucken von den tiefen Bucklingen, die er verrichten
musste, denn es erschienen hohe und huchste Herrschaften, oder zumindest die
Diener von hohen und huchsten Herrschaften. Und einmal flog sogar die Tur
auf, dass es nur so schepperte, und herein trat der Lakai des Grafen
d'Argenson und schrie, wie nur Lakaien schreien kunnen, dass er funf
Flaschen von dem neuen Duft haben wolle, und Chenier zitterte noch eine
Viertelstunde sputer vor Ehrfurcht, denn der Graf d'Argenson war Intendant
und Kriegsminister Seiner Majestut und der muchtigste Mann von Paris.
Wuhrend Chenier im Laden allein dem Ansturm der Kundschaft ausgesetzt
war, hatte sich Baldini mit seinem neuen Lehrling in der Werkstatt
eingeschlossen. Chenier gegenuber rechtfertigte er diesen Umstand mit einer
phantastischen Theorie, die er als "Arbeitsteilung und Rationalisierung"
bezeichnete. Jahrelang, so erklurte er, habe er geduldig mitangesehen, wie
Pelissier und seinesgleichen zunftverachtende Gestalten ihm die Kundschaft
abspenstig gemacht und das Geschuft versaut hutten. Jetzt sei sein Langmut
zu Ende. Jetzt nehme er die Herausforderung an und schlage wider diese
frechen Parvenus zuruck, und zwar mit deren eigenen Mitteln: Zu jeder
Saison, jeden Monat, wenn es sein musste auch jede Woche, werde er mit neuen
Duften auftrumpfen, und mit was fur welchen! Er wolle aus dem vollen seiner
kreativen Ader schupfen. Und dazu sei es nutig, dass er - unterstutzt allein
von einer ungelernten Hilfskraft - ganz und ausschließlich die
Produktion der Dufte betreibe, wuhrend Chenier sich ausschließlich
deren Verkauf zu widmen habe. Mit dieser modernen Methode werde man ein
neues Kapitel in der Geschichte der Parfumerie aufschlagen, die Konkurrenz
hinwegfegen und unermesslich reich werden - ja, er sage bewusst und
ausdrucklich "man", denn er gedenke, seinen altgedienten Gesellen an diesen
unermesslichen Reichtumern mit einem bestimmten Prozentsatz zu beteiligen.
Vor wenigen Tagen noch hutte Chenier solche Reden seines Meisters als
Anzeichen eines beginnenden Alterswahnsinns gedeutet. Jetzt ist er reif fur
die Charitu<, hutte er gedacht, >jetzt kann's nicht mehr lange dauern,
bis er das Pistill endgultig aus der Hand legt. < Nun aber dachte er
nichts mehr. Er kam gar nicht mehr dazu, er hatte einfach zu viel zu tun. Er
hatte so viel zu tun, dass er abends vor Erschupfung kaum noch in der Lage
war, die pralle Kasse auszuleeren und sich seinen Anteil abzuzweigen. Er kam
nicht im Traum darauf zu zweifeln, dass es mit rechten Dingen zuging, wenn
Baldini beinahe tuglich mit irgendeinem neuen Duft aus seiner Werkstatt
trat.
Und was fur Dufte waren das! Nicht nur Parfums der huchsten,
allerhuchsten Schule, sondern auch Cremes und Puder, Seifen, Haarlotionen,
Wusser, ule ... Alles, was zu duften hatte, duftete jetzt neu und anders und
herrlicher als je zuvor. Und auf alles, aber wirklich alles, selbst auf die
neuartigen Dufthaarbunder, die Baldinis kuriose Laune eines Tages
hervorbrachte, sprang das Publikum los wie behext, und Preise spielten keine
Rolle. Alles, was Baldini produzierte, wurde ein Erfolg. Und der Erfolg war
dermaßen uberwultigend, dass Chenier ihn wie ein Naturereignis hinnahm
und nicht mehr nach seinen Ursachen forschte. Dass etwa der neue Lehrling,
der unbeholfene Gnom, der in der Werkstatt hauste wie ein Hund und den man
manchmal, wenn der Meister heraustrat, im Hintergrund stehen und Gluser
wischen und Murser putzen sah - dass dieses Nichts von Mensch etwas zu tun
haben sollte mit dem sagenhaften Aufbluhen des Geschufts, das hutte Chenier
nicht einmal dann geglaubt, wenn man es ihm gesagt hutte.
Naturlich hatte der Gnom alles damit zu tun. Das, was Baldini in den
Laden brachte und Chenier zum Verkauf uberließ, war nur ein Bruchteil
dessen, was Grenouille hinter verschlossenen Turen zusammenmischte. Baldini
kam mit dem Riechen nicht mehr nach. Es war ihm manchmal eine regelrechte
Qual, unter den Herrlichkeiten, die Grenouille hervorbrachte, eine Wahl zu
treffen. Dieser Zauberlehrling hutte alle Parfumeure Frankreichs mit
Rezepten versorgen kunnen, ohne sich zu wiederholen, ohne auch nur ein Mal
etwas Minderwertiges oder auch nur Mittelmußiges hervorzubringen. -
Das heisst, mit Rezepten, also Formeln, hutte er sie eben nicht versorgen
kunnen, denn zunuchst komponierte Grenouille seine Dufte noch auf jene
chaotische und vullig unprofessionelle Manier, die Baldini schon kannte,
indem er numlich aus der freien Hand in scheinbar wildem Durcheinander
Ingredienzien mischte. Um das verruckte Geschuft, wenn nicht zu
kontrollieren, so doch wenigstens begreifen zu kunnen, verlangte Baldini
eines Tages von Grenouille, er muge sich, auch wenn er das fur unnutig
halte, beim Ansetzen seiner Mischungen der Waage, des Messbechers und der
Pipette bedienen; er muge sich ferner angewuhnen, den Weingeist nicht als
Duftstoff zu begreifen, sondern als Lusungsmittel, welches erst im
nachhinein zuzusetzen sei; und ermuge schließlich um Gottes willen
langsam hantieren, gemuchlich und langsam, wie es sich fur einen Handwerker
gehure.
Grenouille tat das. Und zum ersten Mal war Baldini in der Lage, die
einzelnen Handhabungen des Hexenmeisters zu verfolgen und zu dokumentieren.
Mit Feder und Papier saß er neben Grenouille und notierte, immer
wieder zur Langsamkeit mahnend, wie viel Gramm von diesem, wie viel
Messstriche von jenem, wie viel Tropfen von einem dritten Ingredienz in die
Mischflasche wanderten. Auf diese sonderbare Weise, indem er numlich einen
Vorgang nachtruglich mit eben jenen Mitteln analysierte, ohne deren
vorherigen Gebrauch er eigentlich gar nicht hutte stattfinden durfen,
gelangte Baldini endlich doch in den Besitz der synthetischen Vorschrift.
Wie Grenouille ohne diese in der Lage war, seine Parfums zu mixen, blieb fur
Baldini zwar weiterhin ein Rutsel, vielmehr ein Wunder, aber wenigstens
hatte er das Wunder jetzt auf eine Formel gebracht und damit seinen nach
Regeln durstenden Geist einigermaßen befriedigt und sein
parfumistisches Weltbild vor dem vollstundigen Kollaps bewahrt.
Nach und nach entlockte er Grenouille die Rezepturen sumtlicher
Parfums, die dieser bisher erfunden hatte, und er verbot ihm
schließlich sogar, neue Dufte anzusetzen, ohne dass er, Baldini, mit
Feder und Papier zugegen war, den Prozess mit Argusaugen beobachtete und
Schritt fur Schritt dokumentierte. Seine Notizen, bald viele Dutzende von
Formeln, ubertrug er dann penibel mit gestochener Schrift in zwei
verschiedene Buchlein, deren eines er in seinen feuerfesten Geldschrank
einschloss und deren anderes er stundig bei sich trug und mit dem er nachts
auch schlafen ging. Das gab ihm Sicherheit. Denn nun konnte er, wenn er
wollte, Grenouilles Wunder selber nachvollziehen, die ihn, als er sie zum
erstenmal erlebte, tief erschuttert hatten. Mit seiner schriftlichen
Formelsammlung glaubte er, das entsetzliche schupferische Chaos, welches aus
dem Innern seines Lehrlings hervorquoll, bannen zu kunnen. Auch hatte die
Tatsache, dass er nicht mehr bloß blude staun