end, sondern beobachtend
und registrierend an den Schupfungsakten teilnahm, auf Baldini eine
beruhigende Wirkung und sturkte sein Selbstvertrauen. Nach einer Weile
glaubte er gar von sich, zum Gelingen der sublimen Dufte nicht unwesentlich
beizutragen. Und wenn er sie erst einmal in seine Buchlein eingetragen hatte
und im Tresor und dicht am eigenen Busen verwahrte, zweifelte er sowieso
nicht mehr daran, dass sie nun ganz und gar sein eigen seien.
Aber auch Grenouille profitierte von dem disziplinierenden Verfahren,
das ihm von Baldini aufgezwungen wurde. Er selbst war zwar nicht darauf
angewiesen. Er musste nie eine alte Formel nachschlagen, um ein Parfum nach
Wochen oder Monaten zurekonstruieren, denn er vergaß Geruche nicht.
Aber er erlernte mit der obligatorischen Verwendung von Messbecher und Waage
die Sprache der Parfumerie, under spurte instinktiv, dass ihm die Kenntnis
dieser Sprache von Nutzen sein konnte. Nach wenigen Wochen beherrschte
Grenouille nicht nur die Namen sumtlicher Duftstoffe in Baldinis Werkstatt,
sondern er war auch in der Lage, die Formel seiner Parfums selbst
niederzuschreiben und umgekehrt, fremde Formeln und Anweisungen in Parfums
und sonstige Riecherzeugnisse zu verwandeln. Und mehr noch! Nachdem er
einmal gelernt hatte, seine parfumistischen Ideen in Gramm und Tropfen
auszudrucken, bedurfte er nicht einmal mehr des experimentellen
Zwischenschritts. Wenn Baldini ihm auftrug, einen neuen Duft, sei es fur ein
Taschentuchparfum, fur ein Sachet, fur eine Schminke zu kreieren, so griff
Grenouille nicht mehr zu Flakons und Pulvern, sondern er setzte sich einfach
an den Tisch und schrieb die Formel direkt nieder. Er hatte gelernt, den Weg
von seiner inneren Geruchsvorstellung zum fertigen Parfum um die Herstellung
der Formel zu erweitern. Fur ihn war das ein Umweg. In den Augen der Welt,
das heisst in Baldinis Augen, jedoch war es ein Fortschritt. Grenouilles
Wunder blieben dieselben. Aber die Rezeptur, mit denen er sie nun versah,
nahmen ihnen den Schrecken, und das war von Vorteil. Je besser Grenouille
die handwerklichen Griffe und Verfahrensweisen beherrschte, je normaler er
sich in der konventionellen Sprache der Parfumerie auszudrucken wusste,
desto weniger furchtete und beargwuhnte ihn der Meister. Bald hielt Baldini
ihn zwar noch fur einen ungewuhnlich begabten Geruchsmenschen, nicht mehr
aber fur einen zweiten Frangipani oder gar fur einen unheimlichen
Hexenmeister, und Grenouille war das nur recht. Der handwerkliche Komment
diente ihm als willkommene Tarnung. Er lullte Baldini geradezu ein durch
sein vorbildliches Verfahren beim Wugen der Zutaten, beim Schwenken der
Mischflasche, beim Betupfen des weißen Probiertuchleins. Er konnte es
fast schon so zierlich schutteln, so elegant an der Nase voruberfliegen
lassen wie der Meister. Und gelegentlich, in wohldosierten Intervallen,
beging er Fehler, die so beschaffen waren, dass Baldini sie bemerken musste:
Vergaß zu filtrieren, stellte die Waage falsch ein, schrieb einen
unsinnig hohen Prozentsatz von Ambertinktur in eine Formel... und ließ
sich den Fehler verweisen, um ihn dann geflissentlichst zu korrigieren. So
gelang es ihm, Baldini in der Illusion zu wiegen, es gehe letzten Endes
alles doch mit rechten Dingen zu. Er wollte den Alten ja nicht verprellen.
Er wollte ja wirklich von ihm lernen. Nicht das Mischen von Parfums, nicht
die rechte Komposition eines Duftes, naturlich nicht! Auf diesem Gebiet gab
es niemand auf der Welt, der ihn etwas hutte lehren kunnen, und die in
Baldinis Laden vorhandenen Ingredienzien hutten auch bei weitem nicht
ausgereicht, seine Vorstellungen eines wirklich großen Parfums zu
verwirklichen. Was er bei Baldini an Geruchen realisieren konnte, waren
Spielereien verglichen mit den Geruchen, die er in sich trug und die er
eines Tages zu realisieren gedachte. Dazu aber, das wusste er, bedurfte es
zweier unabdingbarer Voraussetzungen: Die eine war der Mantel einer
burgerlichen Existenz; mindestens des Gesellentums, in dessen Schutz er
seinen eigentlichen Leidenschaften frunen und seine eigentlichen Ziele
ungesturt verfolgen konnte. Die andre war die Kenntnis jener handwerklichen
Verfahren, nach denen man Duftstoffe herstellte, isolierte, konzentrierte,
konservierte und somit fur eine huhere Verwendung uberhaupt erst verfugbar
machte. Denn Grenouille besaß zwar in der Tat die beste Nase der Welt,
sowohl analytisch als auch visionur, aber er besaß noch nicht die
Fuhigkeit, sich der Geruche dinglich zu bemuchtigen.
18
Und so ließ er sich denn willig unterweisen in der Kunst des
Seifenkochens aus Schweinefett, des Handschuhnuhens aus Waschleder, des
Pudermischens aus Weizenmehl und Mandelkleie und gepulverten
Veilchenwurzeln. Rollte Duftkerzen aus Holzkohle, Salpeter und
Sandelholzspunen. Presste orientalische Pastillen aus Myrrhe, Benzoe und
Bernsteinpulver. Knetete Weihrauch, Schellack, Vetiver und Zimt zu
Ruucherkugelchen. Siebte und spaltete Poudre Imperiale aus gemahlenen
Rosenbluttern, Lavendelblute, Kaskarillarinde. Ruhrte Schminken, weiß
und aderblau, und formte Fettstifte, karmesinrot, fur die Lippen. Schlummte
feinste Fingernagelpulver und Zahnkreiden, die nach Minze schmeckten. Mixte
Kruuselflussigkeit fur das Peruckenhaar und Warzentropfen fur die
Huhneraugen, Sommersprossenbleiche fur die Haut und Belladonnaauszug fur die
Augen, Spanischfliegensalbe fur die Herren und Hygieneessig fur die Damen...
Die Herstellung sumtlicher Wusserchen und Pulverchen, Toilette- und
Schunheitsmittelchen, aber auch von Tee- und Wurzmischungen, von Likuren,
Marinaden und dergleichen, kurz, alles, was Baldini ihn mit seinem
großen uberkommenen Wissen zu lehren hatte, lernte Grenouille, ohne
sonderliches Interesse zwar, doch klaglos und mit Erfolg.
Mit besonderem Eifer war er hingegen bei der Sache, wenn Baldini ihn im
Anfertigen von Tinkturen, Auszugen und Essenzen unterwies. Unermudlich
konnte er Bittermandelkerne in der Schraubenpresse quetschen oder
Moschuskurner stampfen oder fette graue Amberknollen mit dem Wiegemesser
hacken oder Veilchenwurzeln raspeln, um die Spune dann in feinstem Alkohol
zu digerieren. Er lernte den Gebrauch des Scheidetrichters kennen, mit
welchem man das reine ul gepresster Limonenschalen von der truben
Ruckstandsbruhe trennte. Er lernte Kruuter und Bluten zu trocknen, auf
Rosten in schattiger Wurme, und das raschelnde Laub in wachsversiegelten
Tupfen und Truhen zu konservieren. Er erlernte die Kunst, Pomaden
auszuwaschen, Infusionen herzustellen, zu filtrieren, zu konzentrieren, zu
klarifizieren und zu rektifizieren.
Freilich war Baldinis Werkstatt nicht dazu geeignet, dass man darin in
großem Stile Bluten- oder Kruuterule fabrizierte. Es hutte in Paris ja
auch die notwendigen Mengen frischer Pflanzen kaum gegeben. Gelegentlich
jedoch, wenn frischer Rosmarin, wenn Salbei, Minze oder Anissamen am Markt
billig zu haben waren oder wenn ein grußerer Posten Irisknollen oder
Baldrianwurzel, Kummel, Muskatnuss oder trockne Nelkenblute eingetroffen
war, dann regte sich Baldinis Alchimistenader, und er holte seinen
großen Alambic hervor, einen kupfernen Destillierbottich mit oben
aufgesetztem Kondensiertopf - einen sogenannten Maurenkopfalambic, wie er
stolz verkundete -, mit dem er schon vor vierzig Jahren an den sudlichen
Hungen Liguriens und auf den Huhen des Luberon auf freiem Felde Lavendel
destilliert habe. Und wuhrend Grenouille das Destilliergut zerkleinerte,
heizte Baldini in hektischer Eile - denn rasche Verarbeitung war das A und O
des Geschufts - eine gemauerte Feuerstelle ein, auf die er den kupfernen
Kessel, mit einem guten Bodensatz Wasser gefullt, postierte. Er warf die
Pflanzenteile hinein, stopfte den doppelwandigen Maurenkopf auf den Stutzen
und schloss zwei Schluuchlein fur zu- und abfließendes Wasser daran
an. Diese raffinierte Wasserkuhlungskonstruktion, so erklurte er, sei erst
nachtruglich von ihm eingebaut worden, denn seinerzeit auf dem Felde habe
man selbstverstundlich mit bloßer zugefuchelter Luft gekuhlt. Dann
blies er das Feuer an.
Allmuhlich begann es, im Kessel zu brodeln. Und nach einer Weile, erst
zaghaft trupfchenweise, dann in fadendunnem Rinnsal, floss Destillat aus der
dritten Ruhre des Maurenkopfs in eine Florentinerflasche, die Baldini
untergestellt hatte. Es sah zunuchst recht unansehnlich aus, wie eine dunne,
trube Suppe. Nach und nach aber, vor allem wenn die gefullte Flasche durch
eine neue ausgetauscht und ruhig beiseite gestellt worden war, schied sich
die Bruhe in zwei verschiedene Flussigkeiten: unten stand das Bluten- oder
Kruuterwasser, obenauf schwamm eine dicke Schicht von ul. Goss man nun
vorsichtig durch den unteren Schnabelhals der Florentinerflasche das nur
zart duftende Blutenwasser ab, so blieb das reine ul zuruck, die Essenz, das
starke riechende Prinzip der Pflanze. Grenouille war von dem Vorgang
fasziniert. Wenn je etwas im Leben Begeisterung in ihm entfacht hatte
freilich keine uußerlich sichtbare, sondern eine verborgene, wie in
kalter Flamme brennende Begeisterung -, dann war es dieses Verfahren, mit
Feuer, Wasser und Dampf und einer ausgeklugelten Apparatur den Dingen ihre
duftende Seele zu entreißen. Diese duftende Seele, das utherische ul,
war ja das Beste an ihnen, das einzige, um dessentwillen sie ihn
interessierten. Der blude Rest: Blute, Blutter, Schale, Frucht, Farbe,
Schunheit, Lebendigkeit und was sonst noch an uberflussigem in ihnen
steckte, das kummerte ihn nicht. Das war nur Hulle und Ballast. Das gehurte
weg.
Von Zeit zu Zeit, wenn das Destillat wussrig klar geworden war, nahmen
sie den Alambic vom Feuer, uffneten ihn und schutteten das zerkochte Zeug
heraus. Es sah schlapp aus und blass wie aufgeweichtes Stroh, wie gebleichte
Knochen kleiner Vugel, wie Gemuse, das zu lang gekocht hat, fad und fasrig,
matschig, kaum noch als es selbst erkenntlich, eklig leichenhaft und so gut
wie vollstundig des eigenen Geruchs beraubt. Sie warfen es zum Fenster
hinaus in den Fluss. Dann beschickten sie mit neuen frischen Pflanzen,
fullten Wasser nach und setzten den Alambic zuruck auf die Feuerstelle. Und
wieder begann der Kessel zu brodeln, und wieder rann der Lebenssaft der
Pflanzen in die Florentinerflaschen. So ging es oft die ganze Nacht
hindurch. Baldini besorgte den Ofen, Grenouille behielt die Flaschen im
Auge, mehr war nicht zu tun in der Zeit zwischen den Wechseln.
Sie saßen auf Schemeln ums Feuer, im Banne des plumpen Bottichs,
beide gebannt, wenn auch aus sehr verschiedenen Grunden. Baldini genoss die
Glut des Feuers und das flackernde Rot der Flammen und des Kupfers, er
liebte das Knistern des brennenden Holzes, das Gurgeln des Alambics, denn
das war wie fruher. Da konnte man ins Schwurmen kommen! Er holte eine
Flasche Wein aus dem Laden, denn die Hitze machte ihn durstig, und
Weintrinken, das war auch wie fruher. Und dann fing er an, Geschichten zu
erzuhlen, von damals, endlos. Vom spanischen Erbfolgekrieg, an dessen
Verlauf er, gegen die usterreicher kumpfend, maßgeblich beteiligt
gewesen sei; von den Camisards, mit denen er die Cevennen unsicher gemacht
habe; von der Tochter eines Hugenotten im Esterei, die vom Lavendelduft
berauscht ihm zu Willen gewesen sei; von einem Waldbrand, den er dabei um
ein Haar entfacht und der dann wohl die gesamte Provence in Brand gesteckt
hutte, so sicher wie das Amen in der Kirche, denn es ging ein scharfer
Mistral; und vom Destillieren erzuhlte er, immer wieder davon, auf freiem
Feld, nachts, beim Mondschein, bei Wein und bei Zikadengeschrei, und von
einem Lavendelul, das er dabei erzeugt habe, so fein und kruftig, dass man
es ihm mit Silber auf gewogen habe; von seiner Lehrzeit in Genua, von seinen
Wanderjahren und von der Stadt Grasse, in der es so viele Parfumeure gebe
wie anderswo Schuster, und so reiche darunter, dass sie lebten wie Fursten,
in pruchtigen Huusern mit schattigen Gurten und Terrassen und holzgetufelten
Esszimmern, in denen sie speisten von porzellanenen Tellern mit Goldbesteck,
und so fort...
Solche Geschichten erzuhlte der alte Baldini und trank Wein dazu und
bekam vom Wein und von der Feuerglut und von der Begeisterung uber seine
eignen Geschichten ganz feuerrote Buckchen. Grenouille aber, der etwas mehr
im Schatten saß, hurte gar nicht zu. Ihn interessierten keine alten
Geschichten, ihn interessierte ausschließlich der neue Vorgang. Er
starrte unausgesetzt auf das Ruhrchen am Kopf des Alambics, aus dem in
dunnem Strahl das Destillat rann. Und indem er es anstarrte, stellte er sich
vor, er selbst sei so ein Alambic, in dem es brodele wie in diesem und aus
dem ein Destillat hervorquelle wie hier, nur eben besser, neuer,
ungewohnter, ein Destillat von jenen exquisiten Pflanzen, die er selbst in
seinem Innern gezogen hatte, die dort bluhten, ungerochen außer von
ihm selbst, und die mit ihrem einzigartigen Parfum die Welt in einen
duftenden Garten Eden verwandeln kunnten, in welchem fur ihn das Dasein
olfaktorisch einigermaßen ertruglich wure. Ein großer Alambic zu
sein, der alle Welt mit seinen selbsterzeugten Destillaten uberschwemmte,
das war der Wunschtraum, dem Grenouille sich hingab.
Wuhrend aber Baldini, vom Wein entzundet, immer ausschweifendere
Geschichten davon erzuhlte, wie es fruher gewesen war, und sich immer
hemmungsloser in die eigenen Schwurmereien verstrickte, ließ
Grenouille bald ab von seiner bizarren Phantasie. Er verbannte die
Vorstellung vom großen Alambic furs erste aus seinem Kopf und
uberlegte stattdessen, wie er sich seine neuerworbenen Kenntnisse fur
nuherliegende Ziele nutzbar machen kunnte.
19
Nicht lang, und er war ein Spezialist auf dem Gebiet des Destillierens.
Er fand heraus - und seine Nase half ihm dabei mehr als Baldinis Regelwerk
-, dass die Hitze des Feuers von entscheidendem Einfluss auf die Gute des
Destillates war. Jede Pflanze, jede Blute, jedes Holz und jede ulfrucht
verlangten eine besondere Prozedur. Mal musste schurfster Dampf entwickelt,
mal nur mußig stark gebrodelt werden, und manche Blute gab ihr Bestes
erst, wenn man sie auf kleinster Flamme schwitzen ließ.
uhnlich wichtig war die Aufbereitung. Minze und Lavendel konnte man in
ganzen Buscheln destillieren. Andres wollte fein verlesen sein, zerpfluckt,
gehackt, geraspelt, gestampft oder sogar als Maische angesetzt, bevor es in
den Kupferkessel kam. Manches aber ließ sich uberhaupt nicht
destillieren, und das erbitterte Grenouille aufs uußerste.
Baldini hatte ihm, als er sah, wie sicher Grenouille die Apparatur
beherrschte, freie Hand im Umgang mit dem Alambic gelassen, und Grenouille
hatte diese Freiheit weidlich genutzt. Wuhrend er tagsuber Parfums mischte
und sonstige Duft- und Wurzprodukte fertigte, beschuftigte er sich nachts
ausschließlich mit der geheimnisvollen Kunst des Destillierens. Sein
Plan war, vollkommen neue Geruchsstoffe zu produzieren, um damit wenigstens
einige der Dufte, die er in seinem Innern trug, herstellen zu kunnen.
Zunuchst hatte er auch kleine Erfolge. Es gelang ihm, ein ul von
Brennesselbluten und von Kressesamen zu erzeugen, ein Wasser von der
frischgeschulten Rinde des Holunder-Strauchs und von Eibenzweigen. Die
Destillate uhnelten zwar im Duft den Ausgangsstoffen kaum noch, waren aber
immerhin noch interessant genug, um fur weitere Verarbeitung zu taugen. Dann
allerdings gab es Stoffe, bei denen das Verfahren vollstundig versagte.
Grenouille versuchte etwa, den Geruch von Glas zu destillieren, den
lehmig-kuhlen Geruch glatten Glases, der von normalen Menschen gar nicht
wahrzunehmen ist. Er besorgte sich Fensterglas und Flaschenglas und
verarbeitete es in großen Stucken, in Scherben, in Splittern, als
Staub - ohne den geringsten Erfolg. Er destillierte Messing, Porzellan und
Leder, Korn und Kieselsteine. Schiere Erde destillierte er. Blut und Holz
und frische Fische. Seine eigenen Haare. Am Ende destillierte er sogar
Wasser, Wasser aus der Seine, dessen eigentumlicher Geruch ihm wert schien,
aufbewahrt zu werden. Er glaubte, mit Hilfe des Alambics kunne er diesen
Stoffen ihren charakteristischen Duft entreißen, wie das bei Thymian,
bei Lavendel und beim Kummelsamen muglich war. Er wusste ja nicht, dass die
Destillation nichts anderes war als ein Verfahren zur Trennung gemischter
Substanzen in ihre fluchtigen und weniger fluchtigen Einzelteile und dass
sie fur die Parfumerie nur insofern von Nutzen war, als sie das fluchtige
utherische ul gewisser Pflanzen von ihren duftlosen oder duftarmen Resten
absondern konnte. Bei Substanzen, denen dieses utherische ul abging, war das
Verfahren der Destillation naturlich vullig sinnlos. Uns heutigen Menschen,
die wir physikalisch ausgebildet sind, leuchtet das sofort ein. Fur
Grenouille jedoch war diese Erkenntnis das muhselig errungene Ergebnis einer
langen Kette von enttuuschenden Versuchen. uber Monate hinweg hatte er Nacht
fur Nacht am Alambic gesessen und auf jede erdenkliche Weise versucht,
mittels Destillation radikal neue Dufte zu erzeugen, Dufte, wie es sie in
konzentrierter Form auf Erden noch nicht gegeben hatte. Und bis auf ein paar
lucherliche Pflanzenule war nichts dabei herausgekommen. Aus dem tiefen,
unermesslich reichen Brunnen seiner Vorstellung hatte er keinen einzigen
Tropfen konkreter Duftessenz gefurdert, von allem, was ihm geruchlich
vorgeschwebt hatte, nicht ein Atom realisieren kunnen.
Als er sich uber sein Scheitern klargeworden war, stellte er die
Versuche ein und wurde lebensbedrohlich krank.
20
Er bekam hohes Fieber, das in den ersten Tagen von Ausschwitzungen
begleitet war und sputer, als genugten die Poren der Haut nicht mehr,
unzuhlige Pusteln erzeugte. Grenouilles Kurper war ubersut von diesenroten
Bluschen. Viele von ihnen platzten auf und ergossen ihren wussrigen Inhalt,
um sich dann wieder von neuem zu fullen. Andere wuchsen sich zu wahren
Furunkeln aus, schwollen dick rot an und rissen wie Krater auf und spieen
dickflussigen Eiter aus und mit gelben Schlieren durchsetztes Blut. Nach
einer Weile sah Grenouille aus wie ein von innen gesteinigter Murtyrer, aus
hundert Wunden schwurend. Da machte sich Baldini naturlich Sorgen. Es wure
ihm sehr unangenehm gewesen, seinen kostbaren Lehrling ausgerechnet in einem
Augenblick zu verlieren, wo er sich anschickte, seinen Handel uber die
Grenzen der Hauptstadt, ja sogar des ganzen Landes auszudehnen. Denn in der
Tat geschah es immer huufiger, dass nicht nur aus der Provinz, sondern auch
von auslundischen Hufen Bestellungen eingingen fur jene neuartigen Dufte,
nach denen Paris verruckt war; und Baldini trug sich mit dem Gedanken, zur
Bewultigung dieser Nachfrage eine Filiale im Faubourg Saint-Antoine zu
grunden, eine veritable kleine Manufaktur, wo die gungigsten Dufte en gros
gemischt und en gros in nette kleine Flakons gefullt, von netten kleinen
Mudchen verpackt nach Holland, England und ins Deutsche Reich verschickt
werden sollten. Fur einen in Paris ansussigen Meister war ein solches
Unterfangen nicht gerade legal, aber neuerdings verfugte Baldini ja uber
Protektion huheren Orts, seine raffinierten Dufte hatten sie ihm verschafft,
nicht nur beim Intendanten, sondern auch bei so wichtigen Persunlichkeiten
wie Monsieur dem Zollpuchter von Paris und einem Mitglied des kuniglichen
Finanzkabinetts und Furderer wirtschaftlich florierender Unternehmen wie dem
Herrn Feydeau de Brou. Dieser hatte sogar kunigliches Privileg in Aussicht
gestellt, das Beste, was man sich uberhaupt wunschen konnte, war es doch
eine Art Passepartout zur Umgehung sumtlicher staatlicher und stundischer
Bevormundung, das Ende aller geschuftlichen Sorgen und eine ewige Garantie
fur sicheren, unangefochtenen Wohlstand.
Und dann gab es noch einen anderen Plan, mit dem Baldini schwanger
ging, einen Lieblingsplan, eine Art Gegenprojekt zu der Manufaktur im
Faubourg Saint-Antoine, die, wenn nicht Massenware, so doch fur jedermann
kuufliche produzierte: Er wollte fur eine ausgewuhlte Zahl hoher und
huchster Kundschaft persunliche Parfums kreieren, vielmehr kreieren lassen,
Parfums, die, wie angeschneiderte Kleider, nur zu einer Person passten, nur
von dieser verwendet werden durften und allein ihren erlauchten Namen
trugen. Er stellte sich ein >Parfum de la Marquise de Cernay< vor, ein
>Parfum de la Marechale de Villars<, ein >Parfum du Duc
d'Aiguillon< und so fort. Er truumte von einem >Parfum de Madame la
Marquise de Pompadour<, ja sogar von einem >Parfum de Sa Majeste le
Roi< im kustlichgeschliffenen achatenen Flakon mit ziselierter
Goldfassung und dem auf der Innenseite des Fußes verborgen
eingravierten Namen >Giuseppe Baldini, Parfumeur<. Des Kunigs Namen
und sein eigener auf ein und demselben Gegenstand. Zu solch herrlichen
Vorstellungen hatte sich Baldini verstiegen! Und nun war Grenouille krank
geworden. Wo doch Grimal, Gott hab ihn selig, geschworen hatte, dem fehle
nie etwas, der halte alles aus, sogar die schwarze Pest stecke der weg. War
mir nichts, dir nichts krank auf den Tod. Wenn er sturbe? Entsetzlich! Dann
sturben mit ihm die herrlichen Plune von der Manufaktur, von den netten
kleinen Mudchen, vom Privilegium und vom Parfum des Kunigs.
Also beschloss Baldini, nichts unversucht zu lassen, um das teure Leben
seines Lehrlings zu retten. Er ordnete eine Umsiedlung von der
Werkstattpritsche in ein sauberes Bett im Obergeschoß des Hauses an.
Er ließ das Bett mit Damast beziehen. Er half eigenhundig mit, den
Kranken die enge Stiege hinaufzutragen, obwohl ihn unsuglich vor den Pusteln
und den schwurenden Furunkeln ekelte. Er befahl seiner Frau, Huhnerbruhe mit
Wein zu kochen. Er schickte nach dem renommiertesten Arzt im Quartier, einem
gewissen Procope, der im voraus bezahlt werden musste, zwanzig Franc! damit
er sich uberhaupt herbemuhte.
Der Doktor kam, hob mit spitzen Fingern das Laken hoch, warf einen
einzigen Blick auf Grenouilles Kurper, der wirklich aussah wie von hundert
Kugeln zerschossen, und verließ das Zimmer, ohne seine Tasche, die der
Assistent ihm stundig nachtrug, auch nur geuffnet zu haben. Der Fall, begann
er zu Baldini, sei vullig klar. Es handle sich um eine syphilitische
Spielart der schwarzen Blattern untermischt mit eiternden Masern in stadio
ultimo. Eine Behandlung sei schon deshalb nicht vonnuten, da ein Schnepper
zum Aderlass an dem sich zersetzenden Leib, der einer Leiche uhnlicher sei
als einem lebenden Organismus, gar nicht mehr ordnungsgemuß angebracht
werden kunne. Und obwohl der fur den Krankheitsverlauf charakteristische
pestilenzartige Gestank noch nicht wahrzunehmen sei - was allerdings
verwundere und vom streng wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen ein
kleines Kuriosum darstelle -, kunne am Ableben des Patienten innerhalb der
kommenden achtundvierzig Stunden nicht der geringste Zweifel herrschen, so
wahr er Doktor Procope heiße. Worauf er sich abermals zwanzig Franc
auszahlen ließ fur absolvierten Besuch und erstellte Prognose - funf
Franc davon ruckzahlbar fur den Fall, dass man ihm den Kadaver mit der
klassischen Symptomatik zu Demonstrationszwecken uberließ - und sich
empfahl. Baldini war außer sich. Er klagte und schrie vor
Verzweiflung. Er biss sich in die Finger vor Wut uber sein Schicksal. Wieder
einmal wurden ihm die Plune fur den ganz, ganz großen Erfolg kurz vor
dem Ziel vermasselt. Seinerzeit, da waren's Pelissier und seine
Spießgesellen mit ihrem Erfindungsreichtum gewesen. Jetzt war's dieser
Junge mit seinem unerschupflichen Fundus an neuen Geruchen, dieser mit Gold
gar nicht aufzuwiegende kleine Dreckskerl, der ausgerechnet jetzt, in der
geschuftlichen Aufbauphase, die syphilitischen Blattern bekommen musste und
die eitrigen Masern in stadio ultimo! Ausgerechnet jetzt! Warum nicht in
zwei Jahren? Warum nicht in einem? Bis dahin hutte man ihn ausplundern
kunnen wie eine Silbermine, wie einen Goldesel. In einem Jahr hutte er
getrost sterben durfen. Aber nein! Er starb jetzt, Herrgottsakrament, binnen
achtundvierzig Stunden!
Fur einen kurzen Moment erwog Baldini den Gedanken, nach Notre-Dame
hinuberzupilgern, eine Kerze anzuzunden und von der Heiligen Mutter Gottes
Genesung fur Grenouille herbeizuflehen. Aber dann ließ er den Gedanken
fallen, denn die Zeit drungte zu sehr. Er lief um Tinte und Papier und
verscheuchte seine Frau aus dem Zimmer des Kranken. Er wolle selbst die
Wache halten. Dann ließ er sich auf einem Stuhl neben dem Bett nieder,
die Notizblutter auf den Knien, die tintenfeuchte Feder in der Hand, und
versuchte, Grenouille eine parfumistische Beichte abzunehmen. Er muge doch
um Gottes willen die Schutze, die er in seinem Innern trage, nicht sang- und
klanglos mit sich nehmen! Er muge doch jetzt in seinen letzten Stunden ein
Testament zu treuen Hunden hinterlassen, damit der Nachwelt nicht die besten
Dufte aller Zeiten vorenthalten blieben! Er, Baldini, werde dieses
Testament, diesen Formelkanon der sublimsten aller je gerochnen Dufte, treu
verwalten und zum Bluhen bringen. Er werde unsterblichen Ruhm an Grenouilles
Namen heften, ja, er werde - und hiermit schwure er's bei allen Heiligen -
den besten dieser Dufte dem Kunig selbst zu Fußen legen, in einem
achatenen Flakon mit ziseliertem Gold und eingravierter Widmung >Von
Jean-Baptiste Grenouille, Parfumeur in Paris<. - So sprach, oder besser:
so flusterte Baldini in Grenouilles Ohr, beschwurend, flehentlich,
schmeichelnd und unausgesetzt.
Aber es war alles umsonst. Grenouille gab nichts von sich als wussriges
Sekret und blutigen Eiter. Stumm lag er im Damast und entuußerte sich
dieser ekelhaften Sufte, nicht aber seiner Schutze, seines Wissens, nicht
der geringsten Formel eines Dufts. Baldini hutte ihn erwurgen mugen,
erschlagen hutte er ihn mugen, herausgeprugelt aus dem moribunden Kurper
hutte er am liebsten die kostbaren Geheimnisse, wenn's Aussicht auf Erfolg
gehabt... und wenn es seiner Auffassung von christlicher Nuchstenliebe nicht
so eklatant widersprochen hutte.
Und so suuselte und flutete er denn weiter in den sußesten Tunen
und umhutschelte den Kranken und tupfte ihm mit kuhlen Tuchern - wiewohl es
ihn grauenhafte uberwindung kostete - die schweißnasse Stirn und die
gluhenden Vulkane der Wunden, und luffelte ihm Wein in den Mund, um seine
Zunge zum Sprechen zu bringen, die ganze Nacht hindurch - vergebens. Im
Morgengrauen gab er es auf. Er fiel erschupft in einen Sessel am anderen
Ende des Zimmers und starrte, nicht einmal mehr wutend, sondern nur noch
stiller Resignation ergeben, auf den kleinen sterbenden Kurper Grenouilles
druben im Bett, den er weder retten noch berauben konnte, aus dem er nichts
mehr fur sich bergen konnte, dessen Untergang er nur noch tatenlos
mitansehen musste wie ein Kapitun den Untergang des Schiffs, das seinen
ganzen Reichtum mit in die Tiefe reißt.
Da uffneten sich mit einem Mal die Lippen des Todkranken, und mit einer
Stimme, die in ihrer Klarheit und Festigkeit von bevorstehendem Untergang
wenig ahnen ließ, sprach er: "Sagen Sie, Maitre: Gibt es noch andre
Mittel als das Pressen oder Destillieren, um aus einem Kurper Duft zu
gewinnen?"
Baldini, der glaubte, dass die Stimme seiner Einbildung oder dem
Jenseits entsprungen war, antwortete mechanisch: "Ja, die gibt es."
"Welche?" fragte es vom Bett her, und Baldini riss die muden Augen auf.
Regungslos lag Grenouille in den Kissen. Hatte die Leiche gesprochen?
"Welche?" fragte es wieder, und diesmal erkannte Baldini die Bewegung auf
Grenouilles Lippen. "Jetzt ist es aus", dachte er, "jetzt geht's dahin, das
ist der Fieberwahn oder die Todesagonie." Und er stand auf, ging zum Bett
hinuber und beugte sich uber den Kranken. Der hatte die Augen geuffnet und
sah Baldini mit dem gleichen seltsam lauernden Blick an, mit dem er ihn bei
der ersten Begegnung fixiert hatte.
"Welche?" fragte er.
Da gab Baldini seinem Herzen einen Stoß - er wollte einem
Sterbenden den letzten Willen nicht versagen - und antwortete: "Es gibt
deren drei, mein Sohn: Die enfleurage u chaud, die enfleurage u froid und
die enfleurage u l'huile. Sie sind dem Destillieren in vieler Hinsicht
uberlegen, und man bedient sich ihrer zur Gewinnung der feinsten aller
Dufte: des Jasmins, der Rose und der Orangenblute."
"Wo?" fragte Grenouille.
"Im Suden", antwortete Baldini. "Vor allem in der Stadt Grasse."
"Gut", sagte Grenouille.
Und damit schloss er die Augen. Baldini richtete sich langsam auf. Er
war sehr deprimiert. Er suchte seine Notizblutter zusammen, auf die er keine
einzige Zeile geschrieben hatte, und blies die Kerze aus. Draußen
tagte es schon. Er war hundemude. Man hutte einen Priester kommen lassen
sollen, dachte er. Dann machte er mit der Rechten ein fluchtiges Zeichen des
Kreuzes und ging hinaus.Grenouille aber war alles andere als tot. Er schlief
nur sehr fest und truumte tief und zog seine Sufte in sich zuruck. Schon
begannen die Bluschen auf seiner Haut zu verdorren, die Eiterkrater zu
versiegen, schon begannen sich seine Wunden zu schließen. Im Verlauf
einer Woche war er genesen.
21
Am liebsten wure er gleich weggegangen nach Suden, dorthin, wo man die
neuen Techniken lernen konnte, von denen ihm der Alte gesprochen hatte. Aber
daran war naturlich gar nicht zu denken. Er war ja nur ein Lehrling, das
heißt ein Nichts. Strenggenommen, so erklurte ihm Baldini - nachdem er
seine anfungliche Freude uber Grenouilles Wiederauferstehung uberwunden
hatte -, strenggenommen war er noch weniger als ein Nichts, denn zum
ordentlichen Lehrling gehurten tadellose, numlich eheliche Abkunft,
standesgemuße Verwandtschaft und ein Lehrvertrag, was er alles nicht
besitze. Wenn er, Baldini, ihm dennoch eines Tages zum Gesellenbrief
verhelfen wolle, so nur in Anbetracht von Grenouilles nicht alltuglicher
Begabung, eines tadellosen kunftigen Verhaltens und wegen seiner, Baldinis,
unendlichen Gutherzigkeit, die er, auch wenn sie ihm oft zum Schaden
gereicht habe, niemals verleugnen kunne.
Es hatte freilich mit der Einlusung dieses Versprechens der
Gutmutigkeit gute Weile, numlich knappe drei Jahre. In dieser Zeit erfullte
sich Baldini mit Grenouilles Hilfe seine hochfliegenden Truume. Er grundete
die Manufaktur im Faubourg Saint-Antoine, setzte sich mit seinen exklusiven
Parfums bei Hofe durch, bekam kunigliches Privileg. Seine feinen
Duftprodukte wurden bis nach Petersburg verkauft, bis nach Palermo, bis nach
Kopenhagen. Eine moschusschwangere Note war sogar in Konstantinopel begehrt,
wo man doch weiß Gott genug eigene Dufte besaß. In den feinen
Kontoren der Londoner City duftete es ebenso nach Baldinis Parfums wie am
Hofe von Parma, im Warschauer Schloss nicht anders als im Schlusschen des
Grafen von und zur Lippe-Detmold. Baldini war, nachdem er sich bereits damit
abgefunden hatte, sein Alter in bitterer Armut bei Messina zu verbringen,
mit siebzig Jahren zum unumstritten grußten Parfumeur Europas
aufgestiegen und zu einem der reichsten Burger von Paris.
Anfang des Jahres 1756 - er hatte sich unterdessen das Nebenhaus auf
dem Pont au Change zugelegt, ausschließlich zum Wohnen, denn das alte
Haus war nun buchstublich bis unters Dach mit Duftstoffen und Spezereien
vollgestopft - eruffnete er Grenouille, dass er nun gewillt sei, ihn
freizusprechen, allerdings nur unter drei Bedingungen: Erstens durfe er
sumtliche unter Baldinis Dach entstandenen Parfums kunftig weder selbst
herstellen noch ihre Formel an Dritte weitergeben; zweitens musse er Paris
verlassen und durfe es zu Baldinis Lebzeiten nicht wieder betreten; und
drittens habe er uber die beiden ersten Bedingungen absolutes Stillschweigen
zu bewahren. Dies alles solle er beschwuren bei sumtlichen Heiligen, bei der
armen Seele seiner Mutter und bei seiner eigenen Ehre.
Grenouille, der weder eine Ehre hatte noch an Heilige oder gar an die
arme Seele seiner Mutter glaubte, schwor. Er hutte alles geschworen. Er
hutte jede Bedingung Baldinis akzeptiert, denn er wollte diesen lucherlichen
Gesellenbrief haben, der es ihm ermuglichte, unauffullig zu leben und
unbehelligt zu reisen und Anstellung zu finden. Das andere war ihm
gleichgultig. Was waren das auch schon fur Bedingungen! Paris nicht mehr
betreten? Wozu brauchte er Paris! Er kannte es ja bis in den letzten
stinkenden Winkel, er fuhrte es mit sich, wohin immer er ging, er
besaß Paris, seit Jahren. - Keinen von Baldinis Erfolgsduften
herstellen, keine Formeln weitergeben? Als ob er nicht tausend andere
erfinden kunnte, ebenso gute und bessere, wenn er nur wollte! Aber er wollte
ja gar nicht. Er hatte ja gar nicht vor, in Konkurrenz zu Baldini oder zu
irgendeinem anderen der burgerlichen Parfumeure zu treten. Er war nicht
darauf aus, mit seiner Kunst das große Geld zu machen, nicht einmal
leben wollte er von ihr, wenn's anders muglich war zu leben. Er wollte
seines Innern sich entuußern, nichts anderes, seines Innern, das er
fur wunderbarer hielt als alles, was die uußere Welt zu bieten hatte.
Und deshalb waren Baldinis Bedingungen fur Grenouille keine Bedingungen.
Im Fruhjahr zog er los, an einem Tag im Mai, fruhmorgens. Er hatte von
Baldini einen kleinen Rucksack bekommen, ein zweites Hemd, zwei Paar
Strumpfe, eine große Wurst, eine Pferdedecke und funfundzwanzig Franc.
Das sei weit mehr, als er zu geben verpflichtet sei, sagte Baldini, zumal
Grenouille fur die profunde Ausbildung, die er genossen, keinen Sol Lehrgeld
bezahlt habe. Verpflichtet sei er zu zwei Franc Weggeld, zu sonst gar
nichts. Aber er kunne eben seine Gutmutigkeit so wenig verleugnen wie die
tiefe Sympathie, die sich im Lauf der Jahre in seinem Herzen fur den guten
Jean-Baptiste angesammelt habe. Er wunsche ihm viel Gluck auf seiner
Wanderschaft und ermahne ihn noch einmal eindringlich, seines Schwurs nicht
zu vergessen. Damit brachte er ihn an die Tur des Dienstboteneingangs, wo er
ihn einst empfangen hatte, und entließ ihn.
Die Hand gab er ihm nicht, so weit war es mit der Sympathie auch wieder
nicht her. Er hatte ihm noch nie die Hand gegeben. Er hatte uberhaupt immer
vermieden, ihn zu beruhren, aus einer Art frommem Ekel, so, als bestunde die
Gefahr, dass er sich anstecke an ihm, sich besudele. Er sagte nur kurz
adieu. Und Grenouille nickte und duckte sich weg und ging davon. Die
Straße war menschenleer.
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Baldini schaute ihm nach, wie er die Brucke hinunterhatschte, zur Insel
hinuber, klein, gebuckt, den Rucksack wie einen Buckel tragend, von hinten
aussehend wie ein alter Mann. Druben am Parlamentspalast, wo die Gasse eine
Biegung machte, verlor er ihn aus den Augen und war außerordentlich
erleichtert.
Er hatte den Kerl nie gemocht, nie, jetzt konnte er es sich endlich
eingestehen. Die ganze Zeit, die er ihn unter seinem Dach beherbergt und
ausgeplundert hatte, war ihm nicht wohl gewesen. Ihm war zumute gewesen wie
einem unbescholtenen Menschen, der zum ersten Mal etwas Verbotenes tut, ein
Spiel mit unerlaubten Mitteln spielt. Gewiss, das Risiko, dass man ihm auf
die Schliche kam, war klein und die Aussicht auf den Erfolg war
riesengroß gewesen; aber ebenso groß waren auch Nervositut und
schlechtes Gewissen. Tatsuchlich war in all den Jahren kein Tag vergangen,
an dem er nicht von der unangenehmen Vorstellung verfolgt gewesen wure, er
musse auf irgendeine Weise dafur bezahlen, dass er sich mit diesem Menschen
eingelassen hatte. Wenn's nur gutgeht! so hatte er sich immer wieder
ungstlich vorgebetet, wenn's mir nur geli