rancesco Marini." "Nein. -" "Oder Stepanow." "Stepanow?" "Ossip Stepanow." "Nein!" "Oder Espinel." "Nein!" sagt Schinz. "Roderigo Espinel." "Nein!" sagt Schinz. "Seine Namen tun nichts zur Sache", sagt der Kommissar: "Aber wenn Sie ihn kennen, erinnern Sie sich an sein Gesicht - ein sehr markantes Gesicht, das hat noch keiner vergessen, der ihn einmal gesehen hat." Und damit gibt er das Foto: "Ein fertiger Christuskopf!" Schinz erbleicht... "Sie erinnern sich, Herr Doktor?" Schinz halt das Foto: der Forster, der Lodenmantel - Man will mich wahnsinnig machen, denkt er, man will mich wahnsinnig machen! - Er steht in dem Lodenmantel, ein Forster am Sonntag, der sich vor seine Stamme stellt und eine Aufnahme machen lasst, etwas verlegen, ein schlechtes Foto, aber deutlich, ein dilettantisches Foto. Schinz legt es auf den Tisch zuruck, unwillkurlich und etwas rasch, so, als verbrenne es seine Finger oder als ware es schwer wie ein Stein... Der Kommissar hat sich unterdessen eine Zigarette genommen, zundet an; jetzt sagt er: "Kennen Sie den Menschen?" Die Zelle, die Schinz bekommt, ist ganz ordentlich. Sie hat sogar Sonne, ein etwas hochgelegenes Fenster, so dass man nichts von der Welt sieht, nur einen Kamin, namlich wenn Schinz auf seiner Pritsche steht. Die Pritsche ist hart, aber sauber, nicht unwurdig. Drei Uhr mittags verschwindet die Sonne; kurz danach hort man eine Turmuhr. Schinz findet es schon viel, dass er nicht gegen eine Mauer sieht, womoglich lloch eine Schattenmauer, sondern gegen den Himmel. Seine Zelle ist offenbar im obersten Stockwerk; jedenfalls hort man oft das Geflatter der Tauben, hin und wieder schwirrt eine vor dem Gitter vorbei. Manchmal ist Schinz ganz heiter: Man muss halt nicht uber die Grenze schleichen! sagt er sich. Die Zelle ist klein; es erinnert ihn an das bekannte Kloster in Fiesole. Uberhaupt die Erinnerungen! Seine erste Angst, als er an dieser Stelle sitzt: Jetzt nicht den Glauben an deine Unschuld verlieren! Das Foto mit dem Forster, sagt er sich, ist eine Hysterie gewesen; er hat es ja kaum wirklich betrachtet; er ist erschrocken und hat es weggelegt. Erschrocken uber einen Lodenmantel, wie es Tausende gibt! Das Gesicht, sagt Schinz sich mit Recht, hat er damals gar nicht so deutlich gesehen; es war ja schon Dammerung, dann sogar Nacht. Lass dich nicht irrsinnig machen! Und wenn schon, denkt er ein anderes Mal, wenn er es wirklich gewesen ware: was habe ich verbrochen? Ich habe ihn gesehen, gut, ich habe mit ihm geplaudert, gut, vor allem hat er geplaudert. Was weiter? sagt Schinz, indem er plotzlich in seinem Hin und Her wieder stehen bleibt: Was geht dieser Marini mich an oder dieser Stepanow oder wie er hei?t? Dann legt er sich auf die Pritsche: Man will mich irrsinnig machen, sagt er sich ziemlich gelassen, man will mich irrsinnig machen. Drau?en hort man das Gackern von Huhnern. Irgendwie schon. Ein Fenster voll Himmel; das Gitter davor ist nicht so schlimm; Schinz hat ja keine Absicht, hinunterzuspringen in den Tod oder hinauszufliegen uber die Kamine. Einmal, denkt er, wird ein Gericht stattfinden. Hin und wieder hort man auch das Hupen von Wagen, aber ziemlich ferne; jenseits von Baumen, jenseits eines Hofes oder so. Das ganze Gebaude, wer wei?, war vielleicht einmal ein Kloster; Schinz hat auf seinen Reisen so viele alte Kloster besucht, sich manchmal vorzustellen versucht: Wenn du in einer solchen Zelle leben musstest? und dann ist Bimba gekommen, begeistert von einem Kreuzgang, man ist hinuntergegangen, hat Fresken bewundert, langsam ist man hinausgegangen, Sonne auf einer Piazza, gegenuber ein kleines Ristorante. Die Fresken: Sebastiano mit den Pfeilen im Leib, ein Kindermord zu Bethlehem, ein Christophorus, die drei bekannten Kreuze auf Golgatha, viel bittere Geschichten, aber schon. Wolfflin fallt ihm ein! Und so weiter. Zum Gluck sind die Kinder schon gro?. Manchmal steht Schinz einfach an der Wand, die Arme an der Wand, den Kopf in den Armen, so dass er nichts sieht; mit offenen Augen. Der Himmel ist zum Verzweifeln. Schlafen geht nicht. Traume machen alles so ma?los. EinmaI wird das Essen kommen. Dann wird es sich zeigen! ob es Gendarmen sind oder Warterinnen, Gefangnis oder Irrenhaus. Das ist seine einzige Angst. Wenn du nirgends auf der Welt ein voller Zeuge mehr bist. Als sie kommen, die Schritte, nimmt er den Kopf nicht von der Wand; die Ture geht auf, Schinz bleibt so, die Ture geht zu. Schinz schaut: ein Geschirr ist da, ein blechernes, aber sauber, Kartoffelsuppe und Brot, ein etwas komisches Gefa? mit frischem Wasser... Wochen wie Jahre, Jahre wie Wochen, Verhore, die sich wortlich wiederholen, Namen, die Schinz nicht kennt, hin und wieder ist er durchdrungen vom Bewusstsein, dass alles nur ein Traum ist, aber das andert nichts daran; sooft er erwacht, sieht er das Gitter von dem Himmel, und jeden Morgen, wenn es grau wird, hort er, wie die Hahne krahen -. Endlich ist es soweit. Eines Tages sieht sich Schinz, wie er es von Bildern kennt, in Hemd und Hose und mit einem kleinen Strick um die Handgelenke. Er ist nicht allein. Sie stehen in einem Schulhaushof, Kies, die Kastanien bluhen mit wei?en und roten Kerzen. Stunden ohne Ahnung. Die Soldaten, die sie bewachen, tragen eine Uniform, die Schinz noch nie gesehen hat; die Historie, scheint es, hat sich wieder einmal gewendet, die Mutzen sind anders, der Schnitt der Hosen, anders ist auch die Art, das Gewehr zu tragen. Es ist schon ziemlich hell, aber vor Sonnenaufgang. Was Schinz, ubrigens der einzige Deutschsprechende in seiner Gruppe, mehr beschaftigt als die unbekannten Uniformen, ist der kleine Huhnerhof des Hauswartes, wo er zum ersten Male die beiden bekannten Hahne sieht, die er jeden Morgen gehort hat! noch haben sie nicht gekraht... Auf der Treppe der Turnhalle erscheint ein Mann ohne Uniform, ein ziemlich junger Bursche, der eine Armbinde tragt; eine Liste verlesend: "Stepanow, Ossip." "Hier." "Becker, Alexis." "Hier." "Schinz, Heinrich Gottlieb." "Hier." Die ubrigen blicken auf den Kies. Je ein Soldat fuhrt die eben Gerufenen aus ihrer Gruppe. Hinuber in die Turnhalle, die immer noch, obschon es tagt, hell erleuchtet ist. Naturlich wird nicht gekreuzigt, sondern erhangt. Die Vorrichtung ist lacherlich einfach, fast schulbubenhaft; drei Ringseile sind heruntergelassen, daran je ein ziemlich dunner Strick mit einer Schlaufe. Darunter je ein fluchtig genagelter Holzblock mit drei Stufen. Schinz denkt: Das kann aber nicht euer Ernst sein! ohne sich jedoch eine Hoffnung zu machen, dass es deswegen nicht stattfinden werde. Auch daruber ist Schinz sich klar, dass er nie mehr erfahren wird, worin sein Verbrechen eigentlich bestanden hat. Irgendwie spielt es wirklich keine Rolle; so weit ist er schon gekommen. Wieder vergeht eine Weile. Die drei Gerufenen sind so gestellt, dass sie sich den Rucken zuwenden, einander nicht sprechen und nicht sehen konnen. Schinz sieht einen Tisch, gemacht aus zwei Hurden und einem Brett, darauf ein Eisenstab, zwei Handschuhe, wie die Schwei?er sie haben, drei kleine Schnappzangen, ein Bunsenbrenner, ein vielfach vergluhter Draht, das genugt, damit lasst sich foltern, so viel man nur will. Eine Uniform spricht mit einer Art von Arzt, der mehrmals die Achseln zuckt. Dann, da die bei den offenbar zu keinem Ende kommen, wendet sich die Uniform, drei Fotos in der Hand; jeder wird nochmals mit seinem Foto verglichen. Dann kommt der junge Bursche mit der Armbinde, weist ihnen die Platze an. Links Becker, Stepanow in der Mitte, rechts Schinz. Die Schlaufe sollen sie sich selber um den Hals legen - es ist wirklich der Forster. Er sagt: "Warum haben Sie mich verraten?" Schinz hat keine Stimme. "Warum haben Sie mich verraten?" Der Forster hilft ihm, vorwurfslos, so wie er dem armen Becker schon geholfen hat, so, als ware er schon unzahlige Male gehangt worden, er selber. Schinz schaut ihn an und sagt: "Ich verstehe kein Wort." Der Forster lachelt. "Ich habe Sie nicht angesprochen, Herr Doktor, Sie haben mich angesprochen, Sie haben mich nach dem Weg gefragt -." "Nein", sagt Schinz. "Tragen wir es." Da, sein Christus-Gesicht vor Augen, kann Schinz es nicht ertragen, schreit, als konne er daran erwachen, schreit, wie ein Mensch nur schreien kann, schreit: "Nein! Nein! Nein!" Das ist das letzte Mal gewesen, dass Schinz seine eigene Stimme gehort hat - - - Erwacht, schwei?uberstromt, die eigene Hand an seinem Hals, der unversehrt ist, merkt er es nicht sogleich, Bimba streicht ihm die Stirne, Bimba ist alt, Bimba lachelt, der Arzt steht am Fu?ende des Bettes, Bimba bewegt die Lippen, aber sie sagt kein Wort, auch der Arzt bewegt die Lippen, aber niemand sagt ein Wort. Schinz ist taub. Als er es wei?, schlie?t er die Augen; als musste, wenn er sie dann abermals aufmacht, alles verandert sein. Nichts ist verandert, sie bewegen die Lippen. Als er es sagen will, dass er sie nicht mehr horen kann, merkt er, dass er auch stumm ist. Schinz hat nach diesem Ereignis noch sieben Jahre gelebt, ohne seine Vaterstadt zu verlassen. Mit dreiundsechzig Jahren stirbt er eines naturlichen Todes. Und nicht ohne Ansehen. Sein sonderbarer Fauxpas ist zwar nicht vergessen worden, aber verziehen; man hat den taubstummen Herrn auch auf der Stra?e immer zuvorkommend begru?t; die Au?enwelt, ausgenommen Bimba, hat das Ganze, wie schon gesagt, durchaus als einen klinischen Fall betrachtet, aufsehenerregend auch so, erschutternd auch so, aber fur die Au?enwelt ohne jede Folge. OCR, Spellcheck: Èëüÿ Ôðàíê, http://frank.deutschesprache.ru