urück.
Die müßten dann nochmals durch die verschiednen
Retorten.
Ich sagte: Da sei noch ein Bruch in den Fertigartikeln.
In jenen Menschen aus Bumkes Geburtsinstitute.
Sie seien konstant und würden sich niemals entwickeln.
Da gab er zur Antwort: "Das ist ja gerade das Gute!"
Ob ich tatsächlich vom Sichentwickeln was halte?
Professor Bumke sprach's in gestrengem Ton.
Auf seiner Stirn entstand eine tiefe Falte. -
Und dann bestellte ich mir einen vierzigjährigen Sohn.
Ankündigung einer Chansonette
Sie ist nicht sehr schön. Doch es kommt nicht drauf an.
Ohne Schönheit geht's auch.
Sie ist eine Frau. Und steht ihren Mann.
Und hat Musik im Bauch.
Sie kennt das Leben in jeder Fasson.
Sie kennt es per Du und per Sie.
Ihre Lieder passen in keinen Salon.
Höchstens die Melodie.
Sie singt, was sie weiß. Und sie weiß, was sie singt.
Man merkt das am Gesang.
Und manches, was sie zum Vortrag bringt,
behält man jahrelang.
Sie pfeift auf das mühelos hohe C.
Und ihr Ton ist nicht immer rund.
Das Herz tut ihr manchmal beim Singen weh.
Denn sie singt nicht nur mit dem Mund.
Sie kennt den Kakao, durch den man uns zieht,
genau so gut wie wir,
und sie weiß zu dem Thema so manches Lied.
Und ein paar davon singt sie hier.
Ein Kind, etwas frühreif
Ich hab mich zu einem Kinde gebückt.
(Denn ich bin in solchen Dingen nicht stolz.)
Und ich hab ihm sein Spielzeug zurechtgerückt.
Es war ein Schimmel aus Holz.
Das Kind ging mit einer schönen Frau.
Die dachte, ich dächte, sie wäre so frei...
Und sie zog ihr Kind wie einen Wauwau
an Laternen und Läden vorbei.
Sie fühlte sich schon zur Hälfte verführt
und schwenkte vergnügt ihr Gewölbe.
Das hätte mich nun nicht weiter gerührt.
Doch das Kind - ich hab es ganz deutlich gespürt -
es dachte bereits dasselbe.
Nur Geduld!
Das Leben, das die Meisten führen,
zeigt ihnen, bis sie's klar erkennen:
Man kann sich auch an offnen Türen
den Kopf einrennen!
Spaziergang nach einer Enttäuschung
Da hätte mich also wieder einmal
eine der hausschlachtenen Ohrfeigen ereilt,
die das eigens hierzu gegründete Schicksal
in beliebiger Windstärke und Zahl
an die Umstehenden gratis verteilt.
Na schön. Der Weg des Lebens ist wellig.
Man soll die Steigungen nicht noch steigern.
Es war wieder mal eine Ohrfeige fällig.
Ich konnte die Annahme schlecht verweigern.
So ein Schlag ins vergnügte Gesicht
klingt für den, der ihn kriegt, natürlich sehr laut,
weil das Schicksal mit Liebe zur Sache zuhaut.
Tödlich sind diese Ohrfeigen hingegen nicht.
Der Mensch ist entsprechend gebaut.
Jedoch, wenn ich den See betrachte
und die schneeweiß gedeckten Berge daneben,
muß ich denken, was ich schon häufig dachte:
Diese Art Ohrfeigen brauchte es nicht zu geben.
Da rennt man nun die Natur entlang
und ist froh, daß man keinem begegnet.
Die Vögel verüben Chorgesang.
Die Sonne scheint im Überschwang.
Aber innen hat's ziemlich geregnet.
Die Glockenblumen nicken verständig.
Eine Biene kratzt sich ernst hinterm Ohr.
Und der Wind und die Wellen spielen vierhändig
die Sonnenscheinsonate vor.
Das Schicksal wird mich noch öfter äffen
und schlagen, wie es mich heute schlug.
Vielleicht wird man wirklich durch Schaden klug?
Mich müssen noch viele Schläge treffen,
bevor mich der Schlag trifft! Und damit genug.
Selbstmord im Familienbad
Hier bist du. Und dort ist die Natur.
Leider ist Verschiedenes dazwischen.
Bis zu dir herüber wagt sich nur
ein Parfüm aus Blasentang und Fischen.
Zwischen deinen Augen und dem Meer,
das sich sehnt, von dir erblickt zu werden,
laufen dauernd Menschen hin und her.
Und ihr Anblick macht dir Herzbeschwerden.
Freigelaßne Bäuche und Popos
stehn und hegen kreuz und quer im Sande.
Dicke Tanten senken die Trikots
und sehn aus wie Quallen auf dem Lande.
Wo man hinschaut, wird den Augen schlecht,
und man schließt sie fest, um nichts zu sehen.
Doch dann sieht man dies und das erst recht.
Man beschließt, es müsse was geschehen.
Wütend stürzt man über tausend Leiber,
bis ans Meer, und dann sogar hinein, -
doch auch hier sind dicke Herrn und Weiber.
Fett schwimmt oben. Muß das denn so sein?
Traurig hängt man in den grünen Wellen,
vor der Nase eine Frau in Blond.
Ach, das Meer hat nirgends freie Stellen,
und der Mensch verhüllt den Horizont.
Hier bleibt keine Wahl als zu ersaufen!
Und man macht sich schwer wie einen Stein.
Langsam läßt man sich voll Wasser laufen.
Auf dem Meeresgrund ist man allein.
Wohltätigkeit
Ihm war so scheußlich mild zumute.
Er konnte sich fast nicht verstehn.
Er war entschlossen, eine gute
und schöne Handlung zu begehn.
Das mochte an den Bäumen liegen
und an dem Schatten, den er warf.
Er hätte mögen Kinder kriegen,
obwohl ein Mann das gar nicht darf.
Der Abend ging der Nacht entgegen,
und aus den Gärten kam es kühl.
Er litt, und wußte nicht weswegen,
an einer Art von Mitgefühl.
Da sah er Einen, der am Zaune
versteckt und ohne Mantel stand.
Dem drückte er, in Geberlaune,
zehn Pfennig mitten in die Hand.
Er fühlte sich enorm gehoben,
als er darauf von dannen schritt,
und blickte anspruchsvoll nach oben,
als hoffe er, Gott schreite mit.
Jedoch der Mann, dem er den Groschen
verehrte, wollte nichts in bar
und hat ihn fürchterlich verdroschen!
Warum? Weil er kein Bettler war.
Monolog mit verteilten Rollen
Geht dein Fenster auch zum Hof hinaus?
So ein Hof ist eine trübe Welt.
Wo du hinsiehst, steht ein andres Haus.
Und der Blick ist wie ein Wild umstellt.
Und wie traurig wird das erst zur Nacht!
Alle schlafen schon. Nur du schläfst nicht.
Und der Hof umgibt dich wie ein Schacht.
Und drei Sterne sind das ganze Licht.
Dann geschieht es wohl, daß du erschrickst,
wenn du, gegenüber, an der Wand,
einen Schatten, der dir winkt, erblickst.
Und du weichst zurück vor seiner Hand.
Doch wenn du zurückgewichen bist,
siehst du, daß auch er ins Dunkle trat.
Bis du merkst, daß es dein Schatten ist,
und du winktest selbst, wenn er es tat!
Und nun lächelst du. Und nickst ihm zu.
Beide Arme streckst du nach ihm aus.
Und er macht es ganz genau wie du.
Und sein Kopf ist größer als dein Haus.
Einmal bist du hier und einmal dort.
Und dir ist, als wärst du nicht allein.
Und du wagst dich nicht vom Fenster fort.
Denn dann würdst du wieder einsam sein.
Und du freust dich an dem Schattenspiel.
Und du wirst dem anderen fast gut.
Aber endlich wird's dir doch zuviel,
da er immer nur, was du tust, tut.
Keiner sah das nächtliche Duett,
nur im Hofe der verdorrte Strauch ...
Und du gähnst betrübt. Und gehst ins Bett.
Und der andre drüben auch.
Plädoyer einer Frau
Du darfst mir das, was war, nicht übelnehmen.
Ich sag es dir, obwohl du mich nicht fragst.
Sieh mich dabei nicht an! Ich will mich schämen
und tun, als ob die Toten wiederkämen.
Ich glaube nicht, daß du mich dann noch magst.
Ich will nicht sagen, daß ich mir verzeihe.
Denn darauf kommt es im Moment nicht an.
Ich wartete und kam nicht an die Reihe.
Wer keinen Mann hat, hat auf einmal zweie!
Doch fünf von diesen wären noch kein Mann.
Man fühlt: man könnte Einem was bedeuten.
Es ist nur traurig, daß es ihn nicht gibt.
Und dann umarmt man sich mit fremden Leuten
und wird zu einer von den vielen Bräuten,
die sich nur lieben läßt und selbst nicht hebt.
Die Zeit vergeht. Geduld ist keine Ware.
Man sucht nicht mehr. Man findet ab und zu.
Man sieht vom Fenster aus die Jagd der Jahre.
Man wartet nicht mehr auf das Wunderbare.
Und plötzlich kommt es doch! Denn nun kommst du!
Was war, das bleibt. Wie soll ich mich erneuen?
Mir wird ein Schmerz mit Nadeln zugenäht.
Was war, das bleibt. Man kann es nur bereuen.
Nun bist du da. Nun sollte ich mich freuen!
Ich bin nicht froh. Ist es denn schon zu spät?
Goldne Jugendzeit
Wenn sie abends von der Arbeit kommen,
fahren sie, so schnell es geht, nach Haus.
Und sie sehen ziemlich mitgenommen
und wie kleine kranke Kinder aus.
Die Büros sind keine Puppenstuben.
Die Fabriken sind kein Nadelwald.
Und auch die modernsten Kohlengruben
sind kein idealer Aufenthalt.
Aber nicht nur müde sind sie, leider
hat ihr Müdesein auch keinen Zweck.
Vielmehr ziehn sie ihre Sonntagskleider
heimlich an und laufen wieder weg.
Und dann gehn sie irgendwohin tanzen.
Ins "Orpheum" oder wie es heißt.
Und sie treiben es im großen ganzen,
mit und ohne Noten, ziemlich dreist!
Später sitzen sie in Parks auf Bänken,
und es ist aufs Haar wie einst im Mai.
Weiter können sie sich ja nichts schenken!
Und bis sie zu Hause sind, wird's Drei.
Einmal werden sie sich schon noch fügen.
Wenn ihr Schicksal die Geduld verliert.
Ach, sie glauben, daß man zum Vergnügen
(noch dazu zum eignen) existiert.
Sie sind jung und täuschen sich nach Kräften.
6 Uhr 30, wenn der Wecker klirrt,
in der Bahn und dann in den Geschäften
merken sie: sie haben sich geirrt.
Menschen werden niemals Schmetterlinge.
Nektar ist, im besten Fall, ein Wort.
Jung und froh sein, sind verschiedne Dinge.
Und die Freude stirbt auf dem Transport.
Meyer IX. im Schnee
Der Schnee hängt wie kandiertes Obst im Wald.
Es war ganz gut, daß ich gleich gestern fuhr.
Den Bäumen sind vielleicht die Füße kalt...
Doch was weiß unsereins von der Natur.
Der Schnee, das könnte klarer Zucker sein.
Als Kind hat man oft ähnliches geglaubt.
Wieso fällt mir das heute wieder ein,
und weshalb überhaupt?
Vorher sind Wolken da. Und nachher schneit's.
Wie aber kommt der Schnee da erst hinauf?
Die Welt ist, wie gesagt, von großem Reiz.
Man paßt nur gar nicht auf.
Die kleinen Flocken tanzen ein Ballett,
und viele große Berge sehen zu.
Das schneit und schneit! Die Erde liegt zu Bett.
Und kaltes Wasser hab ich auch im Schuh.
Wenn man so ganz allem im Walde steht,
begreift man nur sehr schwer,
wozu man in Büros und Kinos geht.
Und plötzlich will man alles das nicht mehr!
Ich las, es soll die ganze Woche schnein.
Für einen Menschen, der auf sich was hält,
ist es nicht leicht, im Schnee allein zu sein.
Da wackelt, eh er's denkt, die ganze Welt.
Na ja. Schon gut. Dort fließt ja auch ein Bach
und tut, als gab es weiter nichts als ihn.
Es ist so furchtbar still. Mir fehlt der Krach.
Die ersten Nächte lieg ich sicher wach
und möchte nach Berlin.
Der Blinde an der Mauer
Ohne Hoffnung, ohne Trauer
hält er seinen Kopf gesenkt.
Müde hockt er auf der Mauer.
Müde sitzt er da und denkt:
"Wunder werden nicht geschehen.
Alles bleibt so, wie es war.
Wer nichts sieht, wird nicht gesehen.
Wer nichts sieht, ist unsichtbar.
Schritte kommen, Schritte gehen.
Was das wohl für Menschen sind?
Warum bleibt denn niemand stehen?
Ich bin blind, und ihr seid blind.
Euer Herz schickt keine Grüße
aus der Seele ins Gesicht.
Hörte ich nicht eure Füße,
dächte ich, es gibt euch nicht.
Tretet näher! Laßt euch nieder,
bis ihr ahnt, was Blindheit ist.
Senkt den Kopf, und senkt die Lider,
bis ihr, was euch fremd war, wißt.
Und nun geht! Ihr habt ja Eile!
Tut, als wäre nichts geschehn.
Aber merkt euch diese Zeile:
Wer nichts sieht, wird nicht gesehn."
Existenz im Wiederholungsfälle
Man müßte wieder sechzehn Jahre sein
und alles, was seitdem geschah, vergessen.
Man müßte wieder seltne Blumen pressen
und (weil man wächst) sich an der Türe messen
und auf dem Schulweg in die Tore schrein.
Man müßte wieder nachts am Fenster stehn
und auf die Stimme der Passanten hören,
wenn sie den leisen Schlaf der Straßen stören.
Man müßte sich, wenn einer lügt, empören
und ihm fünf Tage aus dem Wege gehn.
Man müßte wieder durch den Stadtpark laufen
mit einem Mädchen, das nach Hause muß
und küssen will und Angst hat vor dem Kuß.
Man müßte ihr und sich, vor Ladenschluß,
für zwei Mark fünfzig ein paar Ringe kaufen.
Man würde seiner Mutter wieder schmeicheln,
weil man zum Jahrmarkt ein paar Groschen braucht.
Man sähe dann den Mann, der lange taucht.
Und einen Affen, der Zigarren raucht.
Und ließe sich von Riesendamen streicheln.
Man ließe sich von einer Frau verführen
und dächte stets: das ist Herrn Lehmanns Braut.
Man spürte ihre Hände auf der Haut.
Das Herz im Leibe schlüge hart und laut,
als schlügen nachts im Elternhaus die Türen.
Man sähe alles, was man damals sah.
Und alles, was seit jener Zeit geschah,
das würde nun zum zweitenmal geschehn ...
Dieselben Bilder willst du wiedersehn?
Ja!
Frau Großhennig schreibt an ihren Sohn
Mein lieber Junge! Das war natürlich sehr schade,
daß Du zu meinem Geburtstag nicht kamst. Und nur
schriebst.
Die Nelken waren sehr schön. Und Bratwurst hatten wir
grade.
Weil ich doch hoffte, Du kämst. Und Du doch Bratwurst
so liebst.
Tante Isolde hat mir eine Lackledertasche geschenkt.
Nur Vater hatte es gänzlich vergessen.
Ich war erst traurig. Wo er doch sonst stets an alles denkt.
Aber es gab viel zu tun, mit dem Kaffee, und dann mit dem
Abendessen.
Und wie geht es Dir sonst und bist Du den trockenen
Husten los?
Das macht mir Sorgen, mein Kind. Und das darf man
nicht hinhängen lassen.
Nächstens schick ich Dir Umlegekragen. Waren die
letzten zu groß?
Ja, wenn Du zu Hause wärst, dann würden die Kragen
schon passen.
Ach, Krauses älteste Tochter hat kürzlich ein Kind
gekriegt!
Wer der Vater ist, weiß kein Mensch. Und sie soll es selber
nicht wissen.
Ob denn das wirklich bloß an der Gymnasialbildung hegt?
Und schick bald die schmutzige Wäsche. Der letzte Karton
war schrecklich zerrissen.
Mein Kostüm habe ich umfärben lassen. Jetzt ist es
marineblau.
Laß Dein Zimmer heizen! Wir machen schon lange Feuer.
Das Fleisch, das kaufe ich jetzt bei unsrer Gemüsefrau,
da ist es zehn Pfennige billiger. Ich finde es trotzdem noch
teuer.
Drei Monate bist Du nun schon nicht zu Hause gewesen.
Läßt es sich wirklich nicht mal und wenn's auf zwei Tage ist
machen?
Erst vorgestern habe ich eine Berliner Zeitung gelesen.
Fritz, sieh Dich bloß vor! Da passieren ja gräßliche
Sachen!
Ist das Essen auch gut in dem Restaurant, wo Du ißt?
Laß Dir doch abends von Deiner Wirtin zwei Eier auf
Butter braten.
Das wird alles anders, wenn Du erst richtig verheiratet bist.
Ich weiß schon, Du hast keine Lust. Das ist schade, da läßt
sich nicht raten.
Unser neuer Zimmerherr, der hat eine richtige Braut.
Die ist mitunter bei ihm. Sonst bin ich mit ihm ganz
zufrieden.
Die Hausmannsfrau hat sie gesehn. Und sagte gestern
ganz laut,
das wäre nicht immer dieselbe. Ich müßte das endlich
verbieten.
Sonst geht es uns allen wenn man das schlechte nicht
rechnet famos.
Ich hoffe dasselbe von Dir. Was wollte ich gleich noch
sagen?
Das Papier ist zu Ende. Leb wohl! Bei Ehrlichs ist wieder
was los.
Ich will nur den Brief noch ganz schnell in den
Bahnhofbriefkasten tragen.
Da fällt mir noch etwas ein. Doch es geht schon gar nicht
mehr her.
Kannst Du's auch lesen? Frau Fleischer Stefan traf ich jetzt
im Theater.
Was die Erna ist, ihre Tochter. Die liebt Dich längst
schon. Und sehr.
Ich find sie recht nett. Na schon gut. Auch viele Grüße
von Vater.
Eisenbahnfahrt
Die Welt ist rund. Man geht auf Reisen,
damit sich die Nervosität verliert.
Und Bauern stehen an den Gleisen,
als würden sie fotografiert.
Man sieht ein Schloß und spiegelglatte
Gewässer und ein rotes Feld mit Mohn.
Die Landschaft kreist wie eine Platte
auf Gottes großem Grammophon.
Der Schnellzug rast und will nicht rasten.
Die Hühner nicken längs der Bahn.
Vorm Fenster wehen Telegraphenmasten
wie Maiglöckchen aus Porzellan.
Die Drähte fallen tief und steigen.
Die Masten gehen manchmal in die Knie.
Es ist, als ob sie sich vor uns verneigen.
Uns wird so eigen!
Wir ziehn den Hut und grüßen sie
und schweigen.
Kleine Führung durch die Jugend
Und plötzlich steht man wieder in der Stadt,
in der die Eltern wohnen und die Lehrer
und andre, die man ganz vergessen hat.
Mit jedem Schritte fällt das Gehen schwerer.
Man sieht die Kirche, wo man sonntags sang.
(Man hat seitdem fast gar nicht mehr gesungen.)
Dort sind die Stufen, über die man sprang.
Man blickt hinüber. Es sind andre Jungen.
Der Fleischer Kurzhals lehnt an seinem Haus.
Nun ist er alt. Man winkt ihm wie vor Jahren.
Er nickt zurück. Und sieht verwundert aus.
Man kennt ihn doch. Er ist sich nicht im klaren.
Dann fährt man Straßenbahn und hat viel Zeit.
Der Schaffner ruft die kommenden Stationen.
Es sind Stationen der Vergangenheit!
Man dachte, sie sei tot. Sie blieb hier wohnen.
Dann steigt man aus. Und zögert. Und erschrickt.
Der Wind steht still, und alle Wolken warten.
Man biegt um eine Ecke. Und erblickt
ein schwarzes Haus in einem kahlen Garten.
Das ist die Schule. Hier hat man gewohnt.
Im Schlafsaal brennen immer noch die Lichter.
Im Amselpark schwimmt immer noch der Mond.
Und an die Fenster pressen sich Gesichter.
Das Gitter blieb. Und nun steht man davor.
Und sieht dahinter neue Kinderherden.
Man fürchtet sich. Und legt den Kopf ans Tor.
(Es ist, als ob die Hosen kürzer werden.)
Hier floh man einst. Und wird jetzt wieder fliehn.
Was nützt der Mut? Hier wagt man nicht zu retten.
Man geht, denkt an die kleinen Eisenbetten
und fährt am besten wieder nach Berlin.
Ein gutes Mädchen träumt
Ihr träumte, sie träfe ihn im Café.
Er läse. Und säße beim Essen.
Und sähe sie an. Und sagte zu ihr:
"Du hast das Buch vergessen!"
Da nickte sie. Und drehte sich um.
Und lächelte verstohlen.
Und trat auf die späte Straße hinaus
und dachte: ich will es holen.
Der Weg war weit. Sie lief und lief.
Und summte ein paar Lieder.
Sie stieg in die Wohnung. Und blieb eine Zeit.
Und schließlich ging sie wieder.
Und als sie das Café betrat,
saß er noch immer beim Essen.
Er sah sie kommen. Und rief ihr zu:
"Du hast das Buch vergessen!"
Da stand sie still und erschrak vor sich.
Und konnte es nicht verstehen.
Dann nickte sie wieder. Und trat vor die Tür,
um den Weg noch einmal zu gehen.
Sie war so müde. Und ging. Und kam.
Und hätte so gerne gesessen.
Er sah kaum hoch. Und sagte bloß:
"Du hast das Buch vergessen!"
Sie kehrte um. Sie kam. Sie ging.
Schlich Treppen auf und nieder.
Und immer wieder fragte er.
Und immer ging sie wieder.
Sie lief wie durch die Ewigkeit!
Sie weinte. Und er lachte.
Ihr flossen Tränen in den Mund.
Auch noch, als sie erwachte.
Maskenball im Hochgebirge
Eines schönen Abends wurden alle
Gäste des Hotels verrückt, und sie
rannten schlagerbrüllend aus der Halle
in die Dunkelheit und fuhren Ski.
Und sie sausten über weiße Hänge.
Und der Vollmond wurde förmlich fahl.
Und er zog sich staunend in die Länge.
So etwas sah er zum erstenmal.
Manche Frauen trugen nichts als Flitter.
Andre Frauen waren in Trikots.
Ein Fabrikdirektor kam als Ritter.
Und der Helm war ihm zwei Kopf zu groß.
Sieben Rehe starben auf der Stelle.
Diese armen Tiere traf der Schlag.
Möglich, daß es an der Jazzkapelle --
denn auch die war mitgefahren - lag.
Die Umgebung glich gefrornen Betten.
Auf die Abendkleider fiel der Reif.
Zähne klapperten wie Kastagnetten.
Frau von Cottas Brüste wurden steif.
Das Gebirge machte böse Miene.
Das Gebirge wollte seine Ruh.
Und mit einer mittleren Lawine
deckte es die blöde Bande zu.
Dieser Vorgang ist ganz leicht erklärlich.
Der Natur riß einfach die Geduld.
Andre Gründe hierfür gibt es schwerlich.
Den Verkehrsverein trifft keine Schuld.
Man begrub die kalten Herrn und Damen.
Und auch etwas Gutes war dabei:
für die Gäste, die am Mittwoch kamen,
wurden endlich ein paar Zimmer frei.
Apropos, Einsamkeit!
Man kann mitunter scheußlich einsam sein!
Da hilft es nichts, den Kragen hochzuschlagen
und vor Geschäften zu sich selbst zu sagen:
Der Hut da drin ist hübsch, nur etwas klein ...
Da hilft es nichts, in ein Café zu gehn
und aufzupassen, wie die ändern lachen.
Da hilft es nichts, ihr Lachen nachzumachen.
Es hilft auch nicht, gleich wieder aufzustehn.
Da schaut man seinen eignen Schatten an.
Der springt und eilt, um sich nicht zu verspäten,
und Leute kommen, die ihn kühl zertreten.
Da hilft es nichts, wenn man nicht weinen kann.
Da hilft es nichts, mit sich nach Haus zu fliehn
und, falls man Brom zu Haus hat, Brom zu nehmen.
Da hilft es nichts, sich vor sich selbst zu schämen
und die Gardinen hastig vorzuziehn.
Da spürt man, wie es wäre: klein zu sein.
So klein, wie nagelneue Kinder sind!
Dann schließt man beide Augen und wird blind.
Und liegt allein...
Albumvers
Die Hühner fühlten sich plötzlich verpflichtet,
statt Eiern Apfeltörtchen zu legen.
Die Sache zerschlug sich. Und zwar weswegen?
Das Huhn ist auf Eier eingerichtet.
(So wurde schon manche Idee vernichtet.)
Beispiel von ewiger Liebe
Im gelben Autobus ging's durch den Ort,
schnell hinein, schnell hinaus.
Erstes Haus, letztes Haus.
Fort.
Hab ich den Namen vergessen?
Ob ich ihn überhaupt las?
Es war eine Kleinstadt in Hessen,
zwischen Reben und Gras.
Du lehntest am grünen Staket,
als du mich plötzlich erblicktest.
Dann hab ich mich umgedreht.
Du nicktest.
Darf ich nicht Du zu dir sagen?
Es war keine Zeit dazu,
erst um Erlaubnis zu fragen.
Ich sage Du.
Ich wünsche es sehnlich,
ich stände bei dir.
Ging dir's nicht ähnlich?
Ging dir's wie mir?
Der Zufall hat keinen Verstand.
Es heißt, er sei blind.
Er gab und entzog uns hastig die Hand
wie ein ängstliches Kind.
Ich bin entschlossen, fest daran zu glauben,
daß du die Richtige gewesen wärst.
Du kannst mir diese Illusion nicht rauben,
da du sie nicht erfährst.
Du lehntest lächelnd am grünen Staket.
Es war im Taunus. Es war in Hessen.
Ich habe den Namen des Ortes vergessen.
Die Liebe besteht.
Brief aus einem Herzbad
Wie geht es Dir? Es ist schon reichlich spät.
Der Doktor fände sicher, daß es schadet.
Das Pferd von Droschke 7, heißt es, badet.
Und selbst die Hunde leben hier diät.
Sogar der Luft entzieht man Koffein!
Das Atmen wird dadurch fast ungefährlich.
Es ist ja leider noch nicht ganz entbehrlich.
Wie einfach mir das Atmen früher schien...
Seit gestern nehm ich täglich zwölfmal ein.
Nichts einzunehmen, wäre das Verkehrtste.
Hier nehmen alle ein. Sogar die Ärzte!
Der eine soll so reich wie Morgan sein.
Das Schönste sind die kohlensauren Bäder.
Zehntausend Perlen sitzen auf der Haut.
Man ähnelt einer Wiese, wenn es taut.
Kann sein, es nützt. Das merkt man erst viel später.
Ich inhaliere auch. Das ist gesund.
Da sitzen Herren, meistens hochbejahrt,
mit Kinderlätzchen vor dem Rauschebart
und Porzellanzigarren fesch im Mund.
Des weiteren mach ich die Brunnenkur.
Das Wasser schmeckt wie Hering mit Lakritzen.
Und bleibt man, wie vom Blitz erschlagen, sitzen,
und die Kapelle schwelgt im "Troubadour".
Wer da nicht krank wird, darf für trotzig gelten.
Der Doktor Barthel untersucht mich oft,
weil er noch dies und das zu finden hofft.
Er ist der Chef. Wir sind die Angestellten.
Ich sehne mich nach einem Glase Bier.
Nach Dir natürlich auch. Doch ich muß baden.
Kneif Dich, in meinem Auftrag, in die Waden.
Was war denn noch? Ja so: Wie geht es Dir?
Junger Mann, 5 Uhr morgens
Wenn ich dich früh verlasse,
tret ich aus deinem Haus
still auf die kahle, blasse,
öde Straße hinaus.
In dem Geäst sind Spatzen
zänkisch beim ersten Lied.
Drunter hocken zwei Katzen,
hölzern vor Appetit.
Wirst du noch lange weinen?
Oder ob du schon schläfst?
Wenn du doch endlich einen
besseren Menschen träfst.
In dem Laden, beim Bäcker,
wird der Kuchen zu Stein.
Wütend erwacht ein Wecker,
brüllt und schläft wieder ein.
Noch ist die große Pause zwischen
der Nacht und dem Tag.
Und ich geh nach Hause,
weil ich mich nicht mag.
Noch brennt hinter deinen
Fenstern etwas Licht.
Wirst du noch lange weinen?
Bald wird die Sonne scheinen.
Aber sie scheint noch nicht.
Aufforderung zur Bescheidenheit
Wie nun mal die Dinge liegen,
und auch wenn es uns mißfällt:
Menschen sind wie Eintagsfliegen
an den Fenstern dieser Welt.
Unterschiede sind fast keine,
und was wär auch schon dabei!
Nur: die Fliege hat sechs Beine,
und der Mensch hat höchstens zwei.
Frühling auf Vorschuß
Im Grünen ist's noch gar nicht grün.
Das Gras steht ungekämmt im Wald,
als sei es tausend Jahre alt.
Hier also, denkt man, sollen bald
die Glockenblumen blühn?
Die Blätter sind im Dienst ergraut
und rascheln dort und rascheln hier,
als raschle Butterbrotpapier.
Der Wind spielt überm Wald Klavier,
mal leise und mal laut.
Doch wer das Leben kennt, der kennt's.
Und sicher wird's in diesem Jahr
so, wie's in andern Jahren war.
Im Walde sitzt ein Ehepaar
und wartet auf den Lenz.
Man soll die beiden drum nicht schelten.
Sie lieben eben die Natur
und sitzen gern in Wald und Flur.
Man kann's ganz gut verstehen, nur:
sie werden sich erkälten!
Nasser November
Ziehen Sie die ältesten Schuhe an,
die m Ihrem Schrank vergessen stehn!
Denn Sie sollten wirklich dann und wann
auch bei Regen durch die Straßen gehn.
Sicher werden Sie ein bißchen frieren,
und die Straßen werden trostlos sein.
Aber trotzdem: gehn Sie nur spazieren!
Und, wenn's irgend möglich ist, allein.
Müde fällt der Regen durch die Äste.
Und das Pflaster glänzt wie blauer Stahl.
Und der Regen rupft die Blätterreste.
Und die Bäume werden alt und kahl.
Abends tropfen hunderttausend Lichter
zischend auf den glitschigen Asphalt.
Und die Pfützen haben fast Gesichter.
Und die Regenschirme sind ein Wald.
Ist es nicht, als stiegen Sie durch Träume?
Und Sie gehn doch nur durch eine Stadt!
Und der Herbst rennt torkelnd gegen Bäume.
Und im Wipfel schwankt das letzte Blatt.
Geben Sie ja auf die Autos acht.
Gehn Sie, bitte, falls Sie friert, nach Haus!
Sonst wird noch ein Schnupfen heimgebracht.
Und, ziehn Sie sofort die Schuhe aus!
Ein Mann gibt Auskunft
Das Jahr war schön und wird nicht wiederkehren.
Du wußtest, was ich wollte, stets und gehst.
Ich wünschte zwar, ich könnte dir's erklären,
und wünsche doch, daß du mich nicht verstehst.
Ich riet dir manchmal, dich von mir zu trennen,
und danke dir, daß du bis heute bliebst.
Du kanntest mich und lerntest mich nicht kennen.
Ich hatte Angst vor dir, weil du mich liebst.
Du denkst vielleicht, ich hätte dich betrogen.
Du denkst bestimmt, ich wäre nicht wie einst.
Und dabei habe ich dich nie belogen!
Wenn du auch weinst.
Du zürntest manchmal über meine Kühle.
Ich muß dir sagen: Damals warst du klug.
Ich hatte stets die nämlichen Gefühle.
Sie waren aber niemals stark genug.
Du denkst, das klingt, als wollte ich mich loben
und stünde stolz auf einer Art Podest.
Ich stand nur fern von dir. Ich stand nicht oben.
Du bist mir böse, weil du mich verläßt.
Es gibt auch andre, die wie ich empfinden.
Wir sind um soviel ärmer, als Ihr seid.
Wir suchen nicht. Wir lassen uns bloß finden.
Wenn wir Euch leiden sehn, packt uns der Neid.
Ihr habt es gut. Denn Ihr dürft alles fühlen.
Und wenn Ihr trauert, drückt uns nur der Schuh.
Ach, unsere Seelen sitzen wie auf Stühlen
und sehn der Liebe zu.
Ich hatte Furcht vor dir. Du stelltest Fragen.
Ich brauchte dich und tat dir doch nur weh.
Du wolltest Antwort. Sollte ich denn sagen:
"Geh!"
Es ist bequem, mit Worten zu erklären.
Ich tu es nur, weil du es so verlangst.
Das Jahr war schön und wird nicht wiederkehren.
Und wer kommt nun? Leb wohl! Ich habe Angst.
Fauler Zauber
Frühmorgens in der Wanne geht es los.
Man sitzt und wünscht sich, nie mehr aufzustehen,
und ist zu faul, die Hähne zuzudrehen.
Man müßte baden. Doch man plätschert bloß.
Das Wasser steigt. Man starrt auf seine Zehen,
als wären es platonische Ideen.
Da irrt man sich. Sie sind nur etwas groß.
Man lächelt so, als röche man an Rosen,
und ist verwundert, daß man lächeln kann.
Denn man ist faul. Doch Lächeln greift nicht an.
Ach, der Verstand ist noch in Unterhosen!
Die Energie, der Kopf, der ganze Mann --
sie sind verreist, und keiner weiß, bis wann.
Man sitzt und zählt sich zu den Arbeitslosen.
Man liegt und schläft, auch wenn man ißt und geht.
Und trollt durch Straßen, summt ein dummes Zeilchen
und schäkert in den Gärten mit den Veilchen.
Fast wie ein Luftballon wird man verweht.
Man zupft den Brief von Fee in tausend Teilchen.
Und wirft ihn weg. Und wartet noch ein Weilchen,
ob wenigstens der Wind den Brief versteht.
So faul ist man! Und hat soviel zu tun.
Und Uhren ticken rings m allen Taschen.
Die Zeit entflieht und will, man soll sie haschen,
und rennt sich fast die Sohlen von den Schuhn.
Man ist zu faul, die Seele reinzuwaschen.
Man wird die Stunden wie Bonbons vernaschen
und schleicht nach Hause, um sich auszuruhn.
Faulheit strengt an, als stemme man Gewichte.
Man ist allein, und das ist kein Verkehr.
Und Steineklopfen ist nicht halb so schwer.
Man steht herum und steht dem Glück im Lichte.
Und daß man lächelt, spürt man gar nicht mehr.
Vom Nichtstun wird nicht nur der Beutel leer...
Das ist das Traurigste an der Geschichte.
Ein Buchhalter schreibt seiner Mutter
Heute erhielt ich die Wäsche, Du Gute.
Und unter Brüdern, es wurde Zeit.
Der Postbote kam in letzter Minute.
Was sagst Du, mir sind die Kragen zu weit.
Kein Wunder, fortwährend die Sache mit Hilde.
Ich heirate nicht bei diesem Gehalt.
Ich hab's ihr erklärt. Und nun ist sie im Bilde.
Sie wartet nicht länger, sonst wird sie zu alt.
Du schreibst, daß ich Deine Briefe nicht läse
und Du nur noch Postkarten schicken wirst.
Du schreibst, daß Du denkst, daß ich Dich vergäße.
Wie Du Dich irrst...
Wie gern ich Dir öfter und gründlicher schriebe
und nicht bloß den ewigen Wochenbericht!
Ich dachte, Du wüßtest, daß ich Dich liebe.
Im letzten Briefe, da weißt Du es nicht.
Da sitz ich nun ständig und rechne und buche
fünfstellige Zahlen und werde kaum satt.
Ob ich mir vielleicht mal was anderes suche?
Am besten, in einer anderen Stadt?
Ich bin doch nicht dumm, doch ich komm nicht vom
Flecke.
Ich lebe, aber man merkt es nicht sehr.
Ich lebe auf einer Nebenstrecke.
Das ist nicht nur traurig. Es fällt auch schwer.
Du schreibst, daß am Sonntag die Breslauer kommen.
Wie ist das denn übrigens, hast Du Dir,
ich bat Dich darum, eine Waschfrau genommen?
Und wenn sie kommen, dann grüße von mir!
Und schick zum Geburtstag nicht wieder Geschenke!
Du sparst es Dir ab. Denn ich kenne das schon.
Und schreib ich zu wenig, so glaub mir, ich denke
fast immer an Dich. Viele Grüße. Dein Sohn.
Ein Geizhals geht im Regen
Der Frühling gießt den Regen durch ein Sieb.
Die Veilchen stehen Hand in Hand und flennen.
Wenn die erst wüßten, was mir Dora schrieb.
Sie sei zwar äußerst sparsam im Betrieb,
doch trotzdem müßten wir uns, meint sie, trennen.
Die Bäume sind nur, wenn man hinschaut, kahl.
Die Straße blüht, als war's zum erstenmal.
Was alles grün ist, selbst die Autotaxen!
Ich laß mir keine grauen Haare wachsen.
Für so etwas ist meine Brust zu schmal.
Der Regen regnet fast wie dünner Zwirn.
Der liebe Gott näht Blumen auf den Rasen.
Ich hätte Rheumatismus im Gehirn
und eine, schreibt sie mir, plissierte Stirn.
"Und meine Seele lief sich bei dir Blasen."
Herr Ober, bitte eine andre Frau!
Ein Glück, daß Frühling wird. Die Luft weht lau.
Und von den Wunden spürt man nur die Narbe.
Die Welt ist grau, und Grau ist keine Farbe!
Jetzt sind sogar die schwarzen Wolken blau.
Die Blumen blühn, und keiner kennt den Grund.
Man atmet dreimal tief und ist gesund.
Ich kann nur sagen: "Ora et labora."
Ich ärgere mich nicht weiter über Dora
und kaufe mir am Ersten einen Hund.
Nanu, da ist ja schon der Lietzensee.
Jetzt geh ich heim und koche mir Kaffee
und freß ihn ganz allein, den guten Kuchen.
Paul hat im Kino kostenlos Entree.
Den könnte ich zum Abendbrot besuchen.
Ballade vom Mißtrauen
Plötzlich fühlte er: "Ich muß hinüber."
Und er fuhr fünf Stunden und stieg aus.
Daraufhin lief er durch viele Straßen.
Denn er hatte Furcht vor ihrem Haus.
Gegen Abend nahm er sich zusammen.
Doch in ihren Fenstern war kein Licht.
Wartend stand er auf der dunklen Straße.
Und der Mond versank im Landgericht.
Später hielt ein Taxi vor der Türe.
Und er dachte sich: "Das wird sie sein."
Und sie war's! Mit irgend einem Manne
trat sie hastig in das Haus hinein.
Wieder stand er auf der leeren Straße.
Und die Zimmer oben wurden hell.
Schatten bogen sich auf den Gardinen.
Aus entfernten Gärten klang Gebell.
Während sich die Stunden überholten,
rauchte er und saß auf einer Bank.
Gegen Morgen fing es an, zu regnen.
Trotzdem wurde ihm die Zeit nicht lang.
Als es tagte, zerrte er die Briefe,
die sie ihm geschrieben hatte, vor.
Und er las, wie innig sie ihn liebe...
Und er nickte zu dem Haus empor.
Sechs Uhr früh trat der Herr Stellvertreter
aus der Tür und ging und pfiff ein Lied.
Und der Mann, der auf der Bank saß,
dachte tief beschämt: "Wenn man mich nur nicht sieht."
Oben öffnete die Frau die Fenster,
trat auf den Balkon und gähnte sehr.
Da erhob er sich und ging zum Bahnhof.
Sie erschrak und starrte hinterher.
Vornehme Leute, 1200 Meter hoch
Sie sitzen in den Grandhotels.
Ringsum sind Eis und Schnee.
Ringsum sind Berge, Wald und Fels.
Sie sitzen in den Grandhotels
und trinken immer Tee.
Sie haben ihren Smoking an.
Im Walde klirrt der Frost.
Ein kleines Reh hüpft durch den Tann.
Sie haben ihren Smoking an
und lauern auf die Post.
Sie tanzen Blues im Blauen Saal,
wobei es draußen schneit.
Es blitzt und donnert manches Mal.
Sie tanzen Blues im Blauen Saal
und haben keine Zeit.
Sie schwärmen sehr für die Natur
und heben den Verkehr.
Sie schwärmen sehr für die Natur
und kennen die Umgebung nur
von Ansichtskarten her.
Sie sitzen in den Grandhotels
und sprechen viel von Sport.
Doch einmal treten sie, im Pelz,
sogar vors Tor der Grandhotels --
und fahren wieder fort!
Gewisse Ehepaare
Ob sie nun gehen, sitzen oder liegen,
sie sind zu zweit.
Man sprach sich aus. Man hat sich ausgeschwiegen.
Es ist soweit.
Das Haar wird dünner, und die Haut wird gelber,
von Jahr zu Jahr.
Man kennt den ändern besser als sich selber.
Der Fall liegt klar.
Man spricht durch Schweigen. Und man schweigt mit
Worten.