>hrten, fur die „Wiederherstellung der
Verfassungsordnung" in sumtlichen Gebieten der ehemaligen Union. Und jetzt
wieder einmal zersturen wir unsere, russische Erde auf den geheimen Befehl
von Irgendjemanden...
Das alles blitzte in sekundenschnelle im Kopf auf. Umgeschaut - druben,
nicht weit haben sich meine Kumpfer verschanzt, schauen herum. Die Fressen
sind schwarz, nur die Augen und die Zuhne leuchten. Ich selber bin
wahrscheinlich auch nicht besser. Ich zeige dem einen mit dem Kopf, den
anderen mit der Hand die Bewegungsrichtung - vorwurts, vorwurts zick-zack,
„Schraubenartig", rollen. In der Winterjacke kommt man nicht sehr weit
mit dem Rollen. Der Schweiß uberschwummt die Augen, von den Kleidern
steigt Dampf auf, im Mund der Blutgeschmack, in den Schlufen donnert es. Man
hat Adrenalin im Blut bis zum umfallen. Wir sprinten auf kurze Distanzen
uber zerbrochene Ziegeln, Beton, Glas, versuchen offene Stellen der Strasse
zu meiden. Sind bisher noch am Leben, Gott sei dank.
Zink, zink! Verdammte Scheiße, wirklich ein Heckenschutze? Wir
schlupfen in einen naheliegenden Keller. Die Granaten sind bereit - was oder
wer erwartet uns dort? Ein paar Leichen. Der Uniform nach sindus unsere -
Slawen. Mit einem Kopfnicken zeige ich das einer aus dem Fenster beobachten
soll, selber stelle mich beim Eingang hin. Der zweite Soldat kniet uber
einen der Getuteten nieder, nimmt seine Papiere, reißt ihm seine
Erkennungsmarke vom Hals. Das selbe macht er mit dem zweiten. Den Burschen
ist es schon egal, aber die Familien mussen unbedingt verstundigt werden.
Ansonsten werden diese „Klugscheißer" von der Regierung ihnen
keine Pension zahlen, mit der Begrundung, dass die Soldaten verschollen,
oder gar zum Feind ubergelaufen sind.
- Und hast du die Papiere? - frage ich.
- Habus, - antwortet Gefreiter Semenov, auch als „Semen" bekannt.
- Wie werden wir weiter gehen?
- Jetzt uber den Keller kommen wir auf die andere Straße, dort
ist schon das erste Bataillon. Haben wir Verbindung zu ihnen? - frage ich
den Funker, Gefreiter Harlamov. Spitzname „Kleber". Riesige Hunde hat
der, schauen aus den urmeln heraus, wenn man ihn zum ersten mal sieht,
glaubt man das diese Hunde einem Gorilla rausgerissen und einem Menschen
angenuht wurden. Aber warum er den Spitznamen „Kleber" bekommen hat,
weis niemand mehr.
Unsere Soldaten sind alle aus Sibirien. Und alle gemeinsam sind wir
„MACHRA", vom Wort Machorka (selbstgezuchtetes, billiges Tabak). Nur
in den Buchern uber den zweiten Weltkrieg und in den Filmen nennt man die
Infanterie „die Kunigin der Felder", im wirklichen Leben nennt man sie
- „MACHRA". Und ein einzelner Infanterist ist ein „MACHOR". So
istus.
- Und nimm Verbindung mit den „Schachteln" (Panzer) auf, - das
sind unsere BMPus die wir in der Nuhe des Bahnhofs gelassen haben, - frag,
wie es bei ihnen steht.
„Kleber" ging vom Fenster weg und fing an in das Funkgerut zu
nuscheln, zuerst mit der Kommandozentrale des ersten Bataillons und
anschließend mit unseren BMP`s.
- Alles klar, Herr Hauptmann - berichtet der Funker. - „Hugel"
wartet auf uns, die „Schachteln" wurden beschossen, sie haben sich um
ein Huuserblock zuruckgezogen.
- Gut, gehen wir, sonst erfrieren wir noch, - huste ich. Endlich atme
ich wieder normal, ich spuke einen gelb-grunen Schleim auf den Boden -
Folgen des jahrelangen Rauchens. - Ah, sagte doch die Mama zu mir:
„lern Englisch".
- Und zu mir sagte sie: „Du sollst nicht in den Brunnen
herumkriechen", - meldet auch der Semen.
Nachdem wir aus dem Fenster auf der anderen Seite des Hauses
rausschauten und keine Spuren der Anwesenheit des Gegners entdeckten,
rannten wir, fast vierfach geduckt, in kurzen Sprinten richtung Bahnhof.
uber der Stadt donnern die Flieger, lassen Bomben fallen und
beschießen aus unerreichbarer Huhe Positionen von Irgendwem. Hier gibt
es keine einzige Frontlinie. Die Gefechte werden stellenweise gefuhrt, und
manchmal sieht es wie ein Blutterteigkuchen aus: Duhi, unsere, wieder duhi
usw. Kurzgesagt - ein Irrenhaus, Zusammenarbeit gibt es so gut wie keine.
Besonders schwierig ist es mit den Streitkruften des Innenministeriums zu
arbeiten. Eigentlich ist es ihre Operation, uns wir - machra - machen fur
sie die ganze Arbeit. Nicht selten passiert es das wir gleichzeitig ein und
dasselbe Objekt sturmen, nichts von einander wissend. Manchmal leiten wir
die Flieger und die Artillerie auf sie, und sie auf uns. In der Dunkelheit
fangen wir miteinander Gefechte an, nehmen eigene Soldaten gefangen.
Und jetzt wiedereinmal gehen wir richtung Bahnhof, wo fast die ganze
Majkopskaja Brigade verreckt ist. Verschwand in der Silvesternacht, ohne
vorher die Zugunge, die Zusammensetzung und die Anzahl der Duhi genau zu
erkundigen. Als die Majkopzi nach dem Gefecht sicht zu entspannen anfingen
und einzuschlafen begannen - kein Wunder, mehr als eine Woche kein Schlaf,
die Soldaten hielten sich nur dank Wodka und Adrenalin wach - kamen die Duhi
ganz nah und erschossen sie aus kurzer Distanz. Alles wie beim Chapajev, der
die Wachposten zu postieren vergessen hat. Und hier sind die Wachleute
eingeschlafen, so schlitzte man sie leise auf. Es brannte alles was brennen
konnte. Von dem rausgeschuttetem Treibstoff brannte die Erde, der Asphalt,
die Huuserwunde. Die Menschen rannten in diesem Hullenfeuer umher: einige
schossen zuruck, manche halfen den Verwundeten, manche haben sich selbst
erschossen, um nur nicht in die Hunde der Duhi zu geraten, manche rannten
davon - man darf sie nicht deswegen verurteilen. Und wie huttest du dich,
Leser, in dieser Hulle verhalten? Weist es nicht? Na also, und deswegen hast
du kein Recht uber sie zu urteilen.
Niemand weis wie sie starben. Der Kommandeur der Brigade hatte beide
Beine mehrmals gebrochen, und gab bis zum Schluss Befehle, obwohl er sich in
ein sicheres Gebiet zuruckziehen konnte. Gott, bewahre ihre Seelen und
unsere Leben...
Als unsere Brigade, mit schwuren Gefechten, zu den Majkopzi
durchgedrungen ist, mussten sich die Panzer durch Haufen von Leichen
durchbrechen, durch die Leichen unserer Bruder-Slawen... Und wenn du siehst,
wie die Ketten der Panzer und der BMPus die Leibe zerbrechen, zermalen, die
Eingeweide auf die Ruder aufrollen, die Eingeweide jener, die genauso sind
wie du; wenn mit einem Knirschen ein Kopf unter der Panzerkette zerplatzt,
und alles herum furbt sich mit einer grau-roten Hirnmasse, - einer
Hirnmasse, eines vielleicht nicht zustandegekommenen Genies, Poeten,
Wissenschaftlers oder einfach eines guten Kerls, Vaters, Bruders, Sohnes,
Freundes, der nicht feige war, nicht davongerannt ist, sondern in dieses
verschissene Tschetschenien fuhr, der vielleicht bis zum Schluss nicht ganz
begriffen hat was uberhaupt passiert ist; wenn die Stiefel auf einer
blutigen Masse ausrutschen - dann ist das wichtigste uber nichts
nachzudenken, sich nur auf eins zu konzentrieren: vorwurts und uberleben,
vorwurts und uberleben, die Leute heil zuruckbringen, weil die Soldaten die
du verlierst in deinem Schlaf wiederkommen werden. Und dann wirst du
Beerdigungsbriefe und Leichenidentifikationsberichte schreiben mussen.
Dem schlimmsten Feind wunsche ich so eine Arbeit nicht. Lieber, in
einer Attacke ersaufen, mit herausdruckenden Augen, mit dem lieben AKS von
links nach rechts herumballern, als in einem Feldbunker diese schrecklichen
Dokumente zu schreiben. Wozu alle diese Kriege? Aber, ehrlich gesagt, keiner
von uns hat bis zum Ende begriffen was hier geschieht und was hier geschah.
Es gibt nur ein Ziel - uberleben und die Aufgabe ausfuhren, mit den
minimalen Verlusten. Wenn du es nicht ausfuhrst - schicken die andere her,
die vielleicht wegen deiner Unfuhigkeit, Feigheit, deines Wunsches Nachhause
zuruckzukehren, unter dem Maschienengewehrfeuer zusammenbrechen, von den
Granaten- und Minensplittern auseinandergerissen werden oder in
Gefangenschaft geraten. Und alles wegen dir. Ein ungutes Gefuhl eine solchen
Verantwortung zu tragen? Find ich auch.
„Kleber" bemerkte eine Bewegung in dem Fenster eines
funfstuckigen Hauses, das an den Bahnhofsplatz anschloss, und konnte noch
herausschreien: „DUHI!!" bevor er wegrollte. Ich und Semen
verschanzten uns hinter einem Betonhaufen. „Kleber" fing an, hinter
der Ecke auf das Fenster zu ballern, und wir machten wie verruckt die
Granatenwerfer zum schießen bereit.
Ah, was fur ein wunderbares Stuckchen dieser Granatenwerfer ist, auch
liebevoll „podstvoljnik" oder „podstvoljnitschek" genannt. Wiegt
aber nicht wenig - ca. 500g. Er wird unter dem Gewehr befestigt. Man kann
direkt oder unter einem Winkel feuern. Er Stellt ein kleines Rohr mit einem
Abzug und einer Sicherung dar. Es gibt auch ein Visier, aber in den ersten
Tagen der Kumpfe, haben wir uns so antrainiert, dass wir auch ohne ihn
auskommen. Aus dem Granatenwerfer, Marke GP-25, kann man eine Granate in ein
beliebiges Fenster reinwerfen, oder wenn nutig uber jedes Gebuude
druberschmeißen. Geradeaus schießt er auf ca. 400m Entfernung,
Splitterradius - 14m. Toll! Wie viele Leben der schon in Grozny gerettet
hat, kann man nicht mehr nachzuhlen. Wie soll man in einem rasanten Gefecht
die Hecken- und die Scharfschutzen aus den obersten Stockwerken eines
Gebuudes in der Stadt rausschlagen? Keine Ahnung. Bis du die Flieger,
Artillerie erreichst, bis du dich zuruckziehst, oder bis du deine
„Schachteln" geholt hast, die ubrigens von den Grenadieren verbrannt
werden kunnen... Aber so hat jeder Soldat einen eigenen Granatenwerfer, und
ruuchert den Gegner allein aus. Es gibt noch einen unbestrittenen Vorteil
der Granaten der Granatenwerfer, und der wure: sie explodieren beim
Aufprall. In einem Huuserkampf, wenn sich der Gegner in den oberen
Stockwerken befindet, schmeißt man eine gewuhnliche Handgranate hin,
die aber, nachdem du den Ring rausgezogen hast, eine Verzugerung von 3-4
Sekunden hat. Du ziehst den Ring raus, schmeißt sie nach oben, und die
scheiß Granate schlugt irgendwo auf und fliegt zu dir zuruck. Erst
sputer, am 15-17 Junner, brachte man uns die „Berg"- oder wie wir sie
nannten „AfganGranaten". Dieses Teil explodiert nur dann, wenn es auf
etwas hartes aufschlugt. Und noch vor dem, ist jemand auf eine Idee
draufgekommen: wenn man eine Granate von dem Granatenwerfer gegen die
Stiefelsohle aufschlagt, wird die Granate scharf - und dann schmeißt
man die Kleine weit weg. Und wenn sie auf einen Wiederstand aufstußt,
explodiert sie und luscht alles Leben in der Umgebung aus.
So fingen wir mit dem Semen an die Granaten mit dem Granatenwerfer in
das Fenster zu schießen, in dem „Kleber" eine Bewegung bemerkte.
Semen schaffte es beim ersten Versuch, ich beim zweiten. Die erste, Hure,
prallte gegen die Mauer und explodierte. Ein Teil der Wand fiel runter und
wirbelte eine riesige Staubwolke auf.
Wir nutzten dies und uberquerten zu dritt, auf das Haus blickend, die
offene Stelle. Laufend und Kriechend schafften wir es, nach zwei Huusern,
endlich bis zu den Eigenen.
Diese Vollidioten haben uns vor Schreck fast niedergeschossen, da sie
uns am Anfang fur die Duhi hielten.
Sie begleiteten uns bis zur Kommandostelle, wo wir den Kombat
(Kommandeur eines Bataillons) fanden.
Ein harter Hund ist der Kombat. Besonders groß ist er nicht, aber
als Kommandeur, als Mensch - eine Gruße. Na ja, was soll man sagen,
unsere Brigade hatte echtes Gluck mit den Kommandeuren. Ich werde nicht lang
die guten und die schlechten Seiten jedes einzelnen beschreiben, sag nur
eins - echte Munner. Der gedient, gekumpft hat, der wird verstehen was das
bedeutet.
Der Kommandopunkt des ersten Bataillons befand sich in dem Keller des
Bahnhofes. Als wir hereinkamen, beschimpfte der Kombat jemanden uber das
Feldtelefon.
- Teufel noch mal, wo willst du hin, du Idiot! Sie locken dich,
Trottel, heraus und du, mit deinen „Muchtegernkumpfern", rennst ihnen
entgegen. Fuhr eine Suuberung durch, alles rund um dich, mach sauber! Sodas
es keinen einzigen Duh in deiner Zustundigkeitszone gibt! - schrie der
Kombat in den Hurer. - Die „Schachteln" ziehst du zuruck, die machra
soll arbeiten! Selber bleibst du auf dem Beobachtungsposten und schaust
nicht mal raus!
Er schmiss den Telefonhurer und sah mich.
- Servus, - luchelte er.
- Stets zur Hilfe, - sagte ich und gab ihm die Hand.
- Was gibt's neues im Stab? Las uns essen gehen, - schlug der Kombat
vor und schaute mich mit Freude an. Ein bekanntes Gesicht in dem Krieg zu
sehen - das ist eine Freude. Das bedeutet, dass nicht nur du Gluck hast,
auch deine Kameraden.
Noch vom Gefecht, der Rennerei und der Schießerei mitgenommen,
wusste ich - wenn man jetzt nichts trinkt, wenn man sich nicht beruhigt,
bekommt man ein Nervenzittern im ganzen Kurper. Oder umgekehrt, man versetzt
sich in einen halbhysterischen Zustand, man will reden, reden... Deshalb
nahm ich dieses Angebot zu Tisch, dankend an.
Der Kombat setzte sich auf die Munitionskisten und hat rief leise:
„Ivan wir haben Guste, komm essen". Aus dem benachbarten Kellerraum
kam der Stabsleiter des ersten Bataillons, Hauptmann Iljin. Dunn, wenn nicht
mager, ein begeisterter Volleyballspieler, aber bei der Arbeit ein Pedant,
Akkuratest. Im normalen Leben immer gepflegt, gebugelt, glunzend,
unterschied er sich jetzt kaum von allen anderen. Genauso durchruuchert,
unrasiert, nicht ausgeschlafen.
- Servus, Slawa, - sagte er, und seine Augen blitzten einwenig auf. Wir
beide waren fast gleich alt, nur war ich - Offizier des Stabs der Brigade
und er, Stabsleiter eines Bataillons. Und wir beide waren Hauptmunner. Mich
und den Ivan hat eine lange Freundschaft verbunden, unsere Frauen und Kinder
waren auch befreundet.
Ich unterdruckte meine Emotionen nicht und wir umarmten uns. Nach
meinem kleinen Spaziergang meldeten sich jetzt die Nerven.
Um meine Kumpfer hatte ich keine Sorgen, sie befinden sich jetzt unter
den Eigenen, also werden sie bestimmt was zu Essen und ein warmes Platzchen
bekommen.
- Slawa, kommst du um den Heckenschutzen abzuholen? - fragte Kombat.
- Ihn, wen den sonst, - antwortete ich. - Wie habt ihr diesen Hurensohn
geschnappt?
- Dieser Arsch hat uns drei Tage keine Ruhe gegeben, - Ivan wurde
ernst. - Verschanzte sich in der Nuhe des Bahnhofs und ballerte auf uns uber
den Platz. Drei Kumpfer hat er erledigt und den ersten Stellvertretenden der
Kompanie hat er am Bein verwundet. Und eine Evakuierungsmuglichkeit gibt es
nicht. Die Sanituter haben wir hierher geholt, sie haben ihn an Ort und
Stelle operiert.
- Und, wie geht's ihm, - fragte ich, - die Geschichte mit den
Sanitutern hab ich gehurt, tolle Arbeit, gibt's nichts, aber wie ist der
Stellvertretende - wird der leben, gehen?
- Das wird er, - bestutigte der Kombat mit Freude, - nur hab ich ihn
abgesetzt, und du weist es ja, viele Zugsfuhrer gibt's nicht, also
kommandieren die „Dvuchgadjuschniki" (Eine abwertende Bezeichnung fur
die Absolventen eines Institutes, die fur 2 Jahre, im Range eines Offiziers,
einberufen wurden). Aber dieser, glaub ich, ist ein kluger Bursche. Ein
Hitzkopf vielleicht, will wie der Chapai auf dem flinken Pferd, das ganze
Tschetschenien befreien.
- Was hatte der Scharfschutze bei sich? - frage ich. - Vielleicht ist
er ja gar kein Scharfschutze, sondern irgendein verruckter, durchgeknallter
Einwohner, es rennen jetzt genug von denen in der Stadt herum.
Der Kombat war am Anfang vielleicht sogar einwenig beleidigt. Ivan
sprang auf, rannte in sein Kammerl und holte ein SKS Gewehr (russisches
Gewehr). Nur das Zielfernrohr war auslundischer Produktion, das hab ich
gleich bemerkt, - hab schon solche gesehen, wahrscheinlich ein japanisches
Zielfernrohr. Ein gutes Spielzeug.
Pal Palitsch - kombat - erzuhlt uns, wuhrend wir mit dem Ivan den
Karabiner anschauen, dass man in den Taschen des Festgenommenen zwei
Packungen mit Patronen fand, und bei seinem „Liegeplatz" - von wo er
aus die Soldaten beschoss - fand man eine Palette Bier und zwei Stangen
Zigaretten. Wuhrend Palitsch das erzuhlte, deckte er den Tisch: schnitt Brot
her, machte Dosen mit Tuschonka (Dosenfleisch), Zuckermilch, von irgendwoher
gefundenen Salaten, eingelegten Tomaten und Gurken auf. Schließlich
stellte er auf den improvisierten Tisch ein Flasche Wodka.
Wuhrenddessen habe ich die Einschnitte auf dem Gewehrkolben gezuhlt: es
waren zweiunddreißig. Zweiunddreißig abgerissene Leben. Wie die
Scharfschutzen arbeiten, haben wir selber erfahren mussen. Als wir in der
Nacht in die Stadt einmarschierten und uns nach den, noch aus der
vorkriegszeitstammenden, Karten orientieren mussten - haben die uns
empfangen. Und obwohl wir wie verruckt rassten, uns fast die Kupfe in dem
BMP einschlugen, die Zuhne von der wahnsinnigen Fahrt zermalten und jeden
und alles verfluchten, schafften es die Scharfschutzen, die hin und her
wankenden Antennen der, vorbeifahrenden Fahrzeuge wegzuschießen, und
das bei Nacht, durch die Staubwolken. Und als unsere Truppen ohne Verbindung
waren, schickten die Kommandeure die Soldaten nachzuschauen was passiert
war, - und in diesem Augenblick tutete sie der Scharfschutze. Die Duhi haben
auch einen anderen Trick: sie tuten den Menschen nicht, sie verletzten ihn,
- schießen auf die Beine, damit man nicht wegrennen kann, und warten.
Die Verwundeten schreien, und die Scharfschutzen erschießen jene die
zur Hilfe eilen, wie die Huhner. Auf diese Art hat die Brigade ca.
dreißig Leute durch die Scharfschutzen verloren, deshalb haben wir
eine besondere Rechnung mit ihnen offen. Es ist sogar komisch, dass die
Kumpfer dieses Dreckschwein lebend gefangengenommen haben.
In dem zweiten Bataillon hat man vor Tagen einen „Liegeplatz"
entdeckt, allen Anzeichen nach - von einer Frau. Alles wie ublich: ein Sofa
oder ein Sessel, alkoholfreie Getrunke, im Gegensatz zu
Scharfschutzen-Munnern, irgendein Stofftier. Nicht weit weg war das Gewehr
versteckt. Den ganzen Tag haben die Munner im Versteck verbracht, ohne sich
zu bewegen. Man kann nicht auf die Toilette, man kann nicht rauchen. Und sie
hatten Gluck. Was da los war - weis keiner, aber die Tschetschenin flog wie
ein Vugelchen vom Dach eines neunstuckigen Hauses, und auf ihrem Weg zur
Erde wurde sie von einer Granate zerfetzt. Die Munner haben danach feierlich
geschworen, dass sie den Schweißgeruch der Soldaten bewerkte und
sofort zum Dach rannte, von dem aus sie dann runtersprang. Alle haben
naturlich bemitleidend mit dem Kopf genickt und haben bedauert, dass sie ihr
bei ihrem Flug nicht geholfen haben. Niemand glaubte, dass sie sich, bei
ihrem Abschiedsflug, selber mit der Granate tutete. Soweit ich weis, begehen
die Tschetschenen kein Selbstmord, das ist unser Merkmal - die Angst vor der
Gefangenschaft, Entehrung, Folter. Nach diesem Zwischenfall hat der Kombat
des zweiten Bataillons einen Spruch gesagt, der zur Devise unserer Brigade
wurde: „Die Sibirier ergeben sich nicht, aber nehmen auch keinen
gefangen".
Wuhrenddessen hat der Kombat Wodka eingeschenkt und ich mit dem Ivan
setzten uns dazu. Wenn irgendeiner sagt, dass die Soldaten besoffen gekumpft
haben, - spuk ihm ins Gesicht. In einem Krieg trinkt man gegen die
Infektion, man kann nicht immer das Wasser aufkochen und die Hunde gut
waschen. „Rote Augen werden nicht gelb" - die Devise der
Kriegssanituter. Das Wasser fur das Essen, Trinken und Waschen mussten wir
aus der Sunzha nehmen - ist ein kleiner Fluss, der durch das ganze
Tschetschenien, und naturlich durch Grozny durchfließt. Aber es
schwammen so viele Menschen- und Tierleichen in diesem Fluss, dass man uber
die Hygiene nicht mal nachdachte. Nein, in einem Krieg wird sich keiner
besaufen - ein sicherer Tod. Und die Kameraden werden es auch nicht erlauben
- woruber wird wohl ein Besoffener, mit der Waffe in der Hand nachdenken?
Wir hoben die weißen Plastikbecher - die wir auf dem
„Severnij"-Flughafen mitgenommen haben - und schoben sie zusammen. Es
klang nicht wie ein Anstoßen mit den Glusern, er raspelte,
„damit der Kommissar nichts hurt", scherzten die Offiziere.
- Auf das Gluck, Munner - sagte der Kombat, atmete die Luft aus den
Lungen aus und schluckte ein halbes Glas Wodka.
- Darauf, seius verdammt, - meldete ich und trankt auch aus. Im Hals
wurde es gleich heiß, eine warme Welle rollte in das Innere und
stoppte im Magen. Im ganzen Kurper verteilte sich ein Gefuhl der Mattigkeit.
Alle haben sich auf das Essen geschmissen - keiner weiß wann man das
nuchste mal in Ruhe essen kann. Brot, Tuschonka, Gurken, Tomaten, alles flog
in den Magen. Diesmal schenkte Ivan ein, wir tranken und raspelten dabei mit
den Bechern. Danach zundeten wir uns eine an. Ich wollte zuerst meine
eigenen Zigaretten rausholen, die ich noch vom Zuhause mit hatte, aber
nachdem ich die „Marlboro" vom Kombat und Ivan sah, steckte ich sie
wieder ein.
- Vom Scharfschutzen? - fragte ich, und nahm mir eine Zigarette von den
beiden hingehaltenen Packungen.
- Von ihm, ja, - antwortete der Kombat.
- Was ist mit dem zweiten Bataillon? - fragte Ivan und zog kruftig an.
- Der versucht das hotel „Kavkaz" einzunehmen, jetzt werden wir
ihnen das dritte Bataillon und die Panzer zur Hilfe schicken. Die Duhi haben
sich fest verschanzt und geben es nicht so leicht her. Die Uljanovzi und die
Morpehi (Marineinfanterie) sturmen die Minutka (Hauptplatz im Grozny) und
den Dudajev-Palast, verlieren aber nur Leute. Viel Sinn hat das nicht.
- Das heißt, dass man uns auch bald ihnen zur Hilfe schicken
wird, - mischte sich der Kombat ins Gespruch ein. - Das ist schwieriger als
die Flaschen mit dem Kopf zu zerschlagen, hier muss man denken wie man die
Leute heil rausbringt und wie man die Aufgabe ausfuhrt. Niemals hab ich die
Fallschirmspringer verstanden, wie kann man freiwillig und nuchtern aus
einem Flugzeug rausspringen? - scherzte Palitsch.
- Und ich habe die Grenztruppen nie verstanden, - meldete auch der
Ivan, - vier Jahre bringt man ihnen bei wie man durchs Fernglass gucken und
wie man mit dem Hund gehen soll. Spurt mein Herz, dass wir den Asphalt auf
diesem verfickten Platz fressen werden.
Heimlich hab ich schon beschlossen, dass ich den Scharfschutzen nicht
heil, bis zum Stab der Brigade, bringen werde. Sterben wird er, Wichser,
durch eine „verirrte Kugel" oder durch einen „Fluchtversuch".
Ist doch schon egal, alles was er erzuhlen konnte, hat er bereits erzuhlt.
Nur im Kino versucht man den Gefangenen, durch psychologische Tricks,
dazu zu bringen, alles was er weis zu erzuhlen, man versucht seine Ideologie
zu brechen. Im wirklichen Leben ist alles einfacher. Alles hungt von der
Kreativitut, der Wut und der Zeit ab. Wenn man das Bedurfnis und die Zeit
hat, kann man ihm, mit Hilfe einer Feile, den Zahnbelag abschleifen, oder
mit dem Feldtelefon uberzeugen. Ist so eine braune Schachtel mit einer
Kurbel an der Seite. Man hungt zwei Druhte an den Gespruchspartner an und
kurbelt langsam los, nachdem man ihm zwei, drei Fragen gestellt hat. So
etwas macht man aber nur in einer gemutlichen Umgebung oder wenn man den
nachher in die Hunde der Staatsanwulte uberreichen soll. Es bleiben keine
Spuren. Es ist ratsam den Gefangenen vorher mit Wasser zu ubergießen.
Und damit man keine Schreie hurt, lusst man irgendein schweres
Panzerfahrzeug daneben laufen. Das ist aber nur was fur ustete.
In dem Kampfgebiet ist alles viel einfacher - mit dem Gewehr
schießt man die Zuhen nach der Reihe weg. Es gibt keinen Menschen, der
so etwas aushalten wurde. Alles was du weist und an was du dich erinnern
kannst, wirst du erzuhlen. Was ist Leser, ist dir schlecht? Und du hast zu
der Zeit Silvester gefeiert, bist zu deinen Freunden gegangen, bist,
halbbesoffen, mit deinen Kindern den Berg runtergerutscht, bist aber nicht
auf den Hauptplatz demonstrieren gegangen, mit der Forderung unsere Kumpfer
zu retten, hast nicht warme Kleider gesammelt, hast kein Geld denen Russen
gegeben, die von Tschetschenien fliehen mussten, hast nicht einen Teil
deines weggesoffenen Geldes an Zigaretten fur Soldaten ausgegeben. Deshalb
verziehe nicht das Gesicht, sondern hur die raue Wahrheit des Krieges an.
- Also gut, trinken wir den Dritten, und dann schauen wir mal euren
Schutzen an, - sagte ich, und leerte den Rest vom Wodka in die Becher ein.
Wir standen auf, nahmen die Becher, schwiegen einige Sekunden und dann,
ohne etwas zu sagen, ohne anzustoßen, tranken wir aus. Der Dritte Tost
- er ist der wichtigste bei den Militurs. Wenn bei den Zivilisten dieser
Tost auf die „Liebe" ist , bei den Studenten auf irgendwas anderes,
dann ist dieser bei den Militurs „auf die Gefallenen", und getrunken
wird dieser Tost im Stehen, schweigend, ohne anzustoßen, und fur einen
Augenblick erinnert sich jeder an jene, die er im Kampf verloren hat. Ein
schrecklicher Tost, aber auf der anderen Seite, weist du, wenn du stirbst,
dann wird in funf Jahren, irgendwo weit im Osten, in irgendeiner
gottvergessenen Garnison, ein grunschnabeliger Leutnant oder im Stab eines
angesehenen Militurbezirkes, ein fetter Oberst einen Dritten Tost heben -
und auf dich trinken.
Wir tranken aus, ich schmiss ein Stuck Tuschonka, ein paar
Knoblauchzuhen, ein Stuck „Offiziers Zitrone" - Zwiebel, in den Mund.
In einem Krieg gibt es gar keine Vitamine, der Kurper verlangt aber die
ganze Zeit danach, deshalb nannten wir den Zwiebel - „Offiziers
Zitrone". Im Krieg isst man den immer und uberall, der Geruch ist zwar
furchterlich, aber wir haben ja keine Frauen, und an den Geruch gewuhnt man
sich und bemerkt ihn nicht. Außerdem uberdeckt er den widerlichen,
dich immer verfolgenden Geruch der verwesten Leichen, der dich auseinander
nimmt. Nachdem ich das Essen verzerrt habe, trank ich aus der Dose die
Zuckermilch nach, nahm mir eine Zigarette aus der Packung des Kombats, die
auf dem Tisch lag und ging als erster raus.
Hinter mir folgten der Kombat und Ivan Iljin. Ungefuhr 30 Meter vom
Eingang in den Keller standen Kumpfer, in einer Wand aufgestellt um den
Panzer herum, und haben uber irgendetwas laut diskutiert. Ich bemerkte, dass
der Lauf des Panzers irgendwie ungewuhnlich nach oben schaute. Nachdem wir
nuher kamen, sahen wir, dass vom Lauf ein gespannter Seil runterhungt.
Die Kumpfer bemerkten uns und machten uns den Weg frei. Tja, das Bild
war naturlich „farbenpruchtig" aber schrecklich, - am Ende des Seils
hing ein Mensch, sein Gesicht war von den Schlugen geschwollen, die Augen
waren halboffen, die Zunge hing heraus, die Hunde waren am Rucken gebunden.
Obwohl ich schon viele Leichen in letzter Zeit zu Gesicht bekam, mag ich sie
trotzdem nicht, ich mag sie nicht, was soll man da machen.
Der Kombat schrie die Kumpfer an:
- Wer hat das gemacht! Wer, ihr Hurensuhne, ihr Arschgeburten?! (Die
ubrigen sprachlichen Leckebissen werde ich lieber auslassen. Bitte
irgendeinen Militurangehurigen, der nicht weniger als zehn Jahre bei der
Armee war, zu schimpfen - dein Wortschatz wird sich, durch sumtliche
Ausdrucke, enorm vergrußern).
Der Kombat wutete weiter um die Wahrheit rauszubekommen, obwohl ich
durch seinen Gesichtsausdruck verstand, dass er seine Kumpfer nicht
verurteilte. Naturlich tut es ihn leid, dass er den nicht selber aufgehungt
hat, aber man muss naturlich eine Show vor den Stabsoffizieren abziehen.
Sowohl ich, als auch die Soldaten wussten es. Genauso wissen wir, dass
keiner der Kommandanten wegen einer solchen Geschichte, die
Milituranwaltschaft verstundigen wird. Das alles blitzte in meinem Kopf auf,
wuhrend ich mir die Zigarette vom Kombat anzundete. Ist schon komisch, nur
einige Stunden zuvor gehurten diese Zigaretten diesem Aufgehungten, dessen
Beine auf der Huhe meines Gesichtes hin und her schwenken, danach dem
schreienden Kombat, und jetzt rauche ich sie, und schaue mir dieses
Spektakel an.
Langsam wurde dieser Zirkus fur mich langweilig und ich fragte die
Soldaten, bei denen ich den Semen und den Kleber bemerkte:
- Was hat er gesagt, bevor er verreckte?
Und darauf platzen fast die Kumpfer. Einander unterbrechend, erzuhlten
sie, dass „dieser Hurensohn" (der harmloseste der Ausdrucke) schrie,
dass es ihn leid tut, dass er nur zweiunddreißig von „euch"
erwischte.