alle frìhzeitig under die Erde gebracht. Ich erinnere mich aus jener Zeit ìberhaupt nur noch an kurze Episoden, die wie verblichene Bilder durch mein Ged€chtnis treiben. So hat es damals einen halbblædsinnigen Menschen gegeben, der nachts von Schenke zu Schenke zog und den G€sten gegen ein paar Kreuzer Silhouetten aus schwarzem Papier schnitt. Und wenn man ihn betrunken machte, geriet er in eine uns€gliche Traurigkeit, und unter Tr€nen und Schluchzen schnitzelte er, ohne aufzuhæren, immer das gleiche scharfe M€dchenprofil, bis sein ganzer Papiervorrat verbraucht war. Aus Zusammenh€ngen zu schlieŸen, die ich l€ngst vergessen, hatte er - fast ein Kind noch - eine gewisse Rosina, wohl die GroŸmutter der heutigen, so heftig geliebt, daŸ er den Verstand darìber verlor. Wenn ich die Jahre zurìckz€hle, kann es keine andere als die GroŸmutter der jetzigen Rosina gewesen sein." - - - Zwakh schwieg und lehnte sich zurìck. Das Schicksal in diesem Haus irrt im Kreise umher und kehrt immer wieder zum selben Punkt zurìck, fuhr es mir durch den Sinn, und ein h€Ÿliches Bild, das ich einmal mit angesehen - eine Katze mit verletzter Gehirnh€lfte im Kreise herumtaumelnd - trat vor mein Auge. 0x01 graphic "Jetzt kommt der Kopf", hærte ich plætzlich den Maler Vrieslander mit heller Stimme sagen. Und er nahm einen runden Holzklotz aus der Tasche und begann an ihm zu schnitzen. Eine schwere Mìdigkeit legte sich mir ìber die Augen, und ich rìckte meinen Lehnstuhl aus dem Lichtschein in den Hintergrund. Das Wasser fìr den Punsch brodelte im Kessel, und Josua Prokop fìllte wiederum die Gl€ser. Leise, ganz leise klangen die Kl€nge der Tanzmusik durch das geschlossene Fenster; - manchmal verstummten sie vollends, dann wiederum wachten sie ein wenig auf, wie sie der Wind unterwegs verlor oder zu uns von der Gasse emportrug. Ob ich denn nicht anstoŸen wolle, fragte mich nach einer Weile der Musiker. Ich aber gab keine Antwort, - so vollkommen war mir der Wille, mich zu bewegen, abhanden gekommen, daŸ ich gar nicht auf den Gedanken, den Mund zu æffnen, verfiel. Ich dachte ich schliefe, so steinern war die innere Ruhe, die sich meiner bem€chtigt hatte. Und ich muŸte hinìber auf Vrieslanders funkelndes Messer blinzeln, das ruhelos aus dem Holz kleine Sp€ne biŸ, - um die GewiŸheit zu erlangen, daŸ ich wach sei. In weiter Ferne brummte Zwakhs Stimme und erz€hlte wieder allerlei wunderliche Geschichten ìber Marionetten und krause M€rchen, die er fìr seine Puppenspiele erdacht. Auch von Dr. Savioli war die Rede und von der vornehmen Dame, der Gattin eines Adeligen, die in das versteckte Atelier heimlich zu Savioli zu Besuch komme. Und wiederum sah ich im Geiste Aaron Wassertrums hæhnische, triumphierende Miene. - Ob ich Zwakh nicht mitteilen sollte, was sich damals ereignet hatte, ìberlegte ich, - dann hielt ich es nicht der Mìhe fìr wert und fìr belanglos. Auch wuŸte ich, daŸ mein Wille versagen wìrde, wollte ich jetzt den Versuch machen zu sprechen. Plætzlich sahen die drei am Tisch aufmerksam zu mir herìber, und Prokop sagte ganz laut: "Er ist eingeschlafen", - so laut, daŸ es fast klang, als ob es eine Frage sein sollte. Sie redeten mit ged€mpfter Stimme weiter, und ich erkannte, daŸ sie von mir sprachen. Vrieslanders Schnitzmesser tanzte hin und her und fing das Licht auf, das von der Lampe niederfloŸ, und der spiegelnde Schein brannte mir in den Augen. Es fiel ein Wort wie: "irr sein", und ich horchte auf die Rede, die in der Runde ging. "Gebiete, wie das vom ›Golem‹ sollte man vor Pernath nie berìhren," sagte Josua Prokop vorwurfsvoll, "als er vorhin von dem Buche Ibbur erz€hlte, schwiegen wir still und fragten nicht weiter. Ich mæchte wetten, er hat alles nur getr€umt." Zwakh nickte: "Sie haben ganz recht. Es ist, wie wenn man mit offenem Lichte eine verstaubte Kammer betreten wollte, in der morsche Tìcher Decke und W€nde bespannen und der dìrre Zunder der Vergangenheit fuŸhoch den Boden bedeckt; ein flìchtiges Berìhren nur und schon schl€gt das Feuer aus allen Ecken." "War Pernath lange im Irrenhaus? Schade um ihn, er kann doch erst vierzig sein", sagte Vrieslander. "Ich weiŸ es nicht, ich habe auch keine Vorstellung, woher er stammen mag und was frìher sein Beruf gewesen ist. Aussehen tut er ja wie ein altfranzæsischer Edelmann mit seiner schlanken Gestalt und dem Spitzbart. Vor vielen vielen Jahren hat mich ein befreundeter alter Arzt gebeten, ich mæchte mich seiner ein wenig annehmen und ihm eine kleine Wohnung hier in diesen Gassen, wo sich niemand um ihn kìmmern und mit Fragen nach frìheren Zeiten beunruhigen wìrde, aussuchen." - Wieder sah Zwakh bewegt zu mir herìber. - "Seit jener Zeit lebt er hier, bessert Antiquit€ten aus und schneidet Gemmen und hat sich damit einen kleinen Wohlstand gegrìndet. Es ist ein Glìck fìr ihn, daŸ er alles, was mit seinem Wahnsinn zusammenh€ngt, vergessen zu haben scheint. Fragen Sie ihn beileibe nur niemals nach Dingen, die die Vergangenheit in seiner Erinnerung wachrufen kænnten, - wie oft hat mir das der alte Arzt ans Herz gelegt! Wissen Sie, Zwakh, sagte er immer, wir haben so eine gewisse Methode; wir haben seine Krankheit mit vieler Mìhe eingemauert, mæchte ich's nennen, - so wie man eine Unglìcksst€tte einfriedet, weil sich an sie eine traurige Erinnerung knìpft." - - - Die Rede des Marionettenspielers war auf mich zugekommen wie ein Schl€chter auf ein wehrloses Tier und preŸte mir mit rohen, grausamen H€nden das Herz zusammen. Von jeher hatte eine dumpfe Qual an mir genagt, - ein Ahnen, als w€re mir etwas genommen worden und als h€tte ich in meinem Leben eine lange Strecke Wegs an einem Abgrunde hin durchschritten wie ein Schlafwandler. Und nie war es mir gelungen, die Ursache zu ergrìnden. Jetzt lag des R€tsels Læsung offen vor mir und brannte mich unertr€glich wie eine bloŸgelegte Wunde. Mein krankhafter Widerwillen, der Erinnerung an verflossene Ereignisse nachzuh€ngen, - dann der seltsame, von Zeit zu Zeit immer wiederkehrende Traum, ich sei in ein Haus mit einer Flucht mir unzug€nglicher Gem€cher gesperrt, - das be€ngstigende Versagen meines Ged€chtnisses in Dingen, die meine Jugendzeit betrafen, - alles das fand mit einem Male seine furchtbare Erkl€rung: ich war wahnsinnig gewesen und man hatte Hypnose angewandt, hatte das - "Zimmer" verschlossen, das die Verbindung zu jenen Gem€chern meines Gehirns bildete, und mich zum Heimatlosen inmitten des mich umgebenden Lebens gemacht. Und keine Aussicht, die verlorene Erinnerung je wieder zu gewinnen! Die Triebfedern meines Denkens und Handelns liegen in einem andern, vergessenen Dasein verborgen, begriff ich, - nie wìrde ich sie erkennen kænnen: eine verschnittene Pflanze bin ich, ein Reis, das aus einer fremden Wurzel sproŸt. Gel€nge es mir auch, den Eingang in jenes verschlossene "Zimmer" zu erzwingen, mìŸte ich nicht abermals den Gespenstern, die man darein gebannt, in die H€nde fallen?! Die Geschichte von dem Golem, die Zwakh vor einer Stunde erz€hlte, zog mir durch den Sinn, und plætzlich erkannte ich einen riesengroŸen, geheimnisvollen Zusammenhang zwischen dem sagenhaften Gemach ohne Zugang, in dem jener Unbekannte wohnen sollte, und meinem bedeutungsvollen Traum. Ja! auch in meinem Falle "wìrde der Strick reiŸen", wollte ich versuchen, in das vergitterte Fenster meines Innern zu blicken. Der seltsame Zusammenhang wurde mir immer deutlicher und nahm etwas unbeschreiblich Erschreckendes fìr mich an. Ich fìhlte: es sind da Dinge - unfaŸbare - zusammengeschmiedet und laufen wie blinde Pferde, die nicht wissen wohin der Weg fìhrt, nebeneinander her. Auch im Getto: ein Zimmer, ein Raum, dessen Eingang niemand finden kann, - ein schattenhaftes Wesen, das darin wohnt und nur zuweilen durch die Gassen tappt, um Grauen und Entsetzen unter die Menschen zu tragen! - - - Immer noch schnitzte Vrieslander an dem Kopfe, und das Holz knirschte unter der Klinge des Messers. Es tat mir fast weh, wie ich es hærte, und ich sah hin, ob es denn nicht bald zu Ende sei. Wie der Kopf sich in des Malers Hand hin und her wandte, war es, als habe er BewuŸtsein und sp€he von Winkel zu Winkel. Dann ruhten seine Augen lange auf mir, befriedigt, daŸ sie mich endlich gefunden. Auch ich vermochte meine Blicke nicht mehr abzuwenden und starrte unverwandt auf das hælzerne Antlitz. Eine Weile schien das Messer des Malers zægernd etwas zu suchen, dann ritzte es entschlossen eine Linie ein, und plætzlich gewannen die Zìge des Holzklotzes schreckhaftes Leben. Ich erkannte das gelbe Gesicht des Fremden, der mir damals das Buch gebracht. Dann konnte ich nichts mehr unterscheiden, der Anblick hatte nur eine Sekunde gedauert, und ich spìrte, daŸ mein Herz zu schlagen aufhærte und €ngstlich flatterte. Dennoch blieb ich mir - wie damals - des Gesichtes bewuŸt. Ich war es selber geworden und lag auf Vrieslanders SchoŸ und sp€hte umher. Meine Augen wanderten im Zimmer umher, und eine fremde Hand bewegte meinen Sch€del. Dann sah ich mit einem Male Zwakhs aufgeregte Miene und hærte seine Worte: Um Gottes willen, das ist ja der Golem! Und ein kurzes Ringen entstand, und man wollte Vrieslander mit Gewalt das Schnitzwerk entreiŸen, doch der wehrte sich und rief lachend: "Was wollt ihr, es ist doch ganz und gar miŸlungen." Und er wand sich los, æffnete das Fenster und warf den Kopf auf die Gasse hinunter. Da schwand mein BewuŸtsein, und ich tauchte in eine tiefe Finsternis, die von schimmernden Goldf€den durchzogen war, und als ich, wie es mir schien, nach einer langen, langen Zeit erwachte, da erst hærte ich das Holz klappernd auf das Pflaster fallen. - - - 0x01 graphic "Sie haben so fest geschlafen, daŸ Sie nicht merkten, wie wir Sie schìttelten," - sagte Josua Prokop zu mir, "der Punsch ist aus, und Sie haben alles vers€umt." Der heiŸe Schmerz ìber das, was ich vorhin mitangehært, ìbermannte mich wieder, und ich wollte aufschreien, daŸ ich nicht getr€umt habe, als ich ihnen von dem Buche Ibbur erz€hlte - und es aus der Kassette nehmen und ihnen zeigen kænne. Aber diese Gedanken kamen nicht zu Wort und konnten die Stimmung allgemeinen Aufbruches, die meine G€ste ergriffen hatte, nicht durchdringen. Zwakh h€ngte mir mit Gewalt den Mantel und und rief: "Kommen Sie nur mit zum Loisitschek, Meister Pernath, es wird Ihre Lebensgeister erfrischen." Nacht Willenlos hatte ich mich von Zwakh die Treppe hinunterfìhren lassen. Ich spìrte den Geruch des Nebels, der von der StraŸe ins Haus drang, deutlicher und deutlicher werden. Josua Prokop und Vrieslander waren einige Schritte vorausgegangen, und man hærte, wie sie drauŸen vor dem Torweg mitsammen sprachen. "Er muŸ rein in das Kanalgitter gefallen sein. Es ist doch zum Teufelholen." Wir traten hinaus auf die Gasse, und ich sah, wie Prokop sich bìckte und die Marionette suchte. "Freut mich, daŸ du den dummen Kopf nicht finden kannst", brummte Vrieslander. Er hatte sich an die Mauer gestellt und sein Gesicht leuchtete grell auf und erlosch wieder in kurzen Intervallen - wie er das Feuer eines Streichholzes zischend in seine kurze Pfeife sog. Prokop machte eine heftig abwehrende Bewegung mit dem Arm und beugte sich noch tiefer hinab. Er kniete beinahe auf dem Pflaster: "Still doch! Hært ihr denn nichts?" Wir traten an ihn heran. Er deutete stumm auf das Kanalgitter und legte horchend die Hand ans Ohr. Eine Weile standen wir unbeweglich und lauschten in den Schacht hinab. Nichts. "Was war's denn?" flìsterte endlich der alte Marionettenspieler; doch sofort packte ihn Prokop heftig beim Handgelenk. Einen Augenblick - kaum einen Herzschlag lang - hatte es mir geschienen, als klopfte da unten eine Hand gegen eine Eisenplatte - fast unhærbar. Wie ich eine Sekunde sp€ter darìber nachdachte, war alles vorbei; nur in meiner Brust hallte es wie ein Erinnerungsecho weiter und læste sich langsam in ein unbestimmtes Gefìhl des Grauens auf. Schritte, die die Gasse heraufkamen, verscheuchten den Eindruck. "Gehen wir; was stehen wir da herum!" mahnte Vrieslander. Wir schritten die H€userreihe entlang. Prokop folgte nur widerwillig. "Meinen Hals mæcht ich wetten, da unten hat jemand geschrien in Todesangst." Niemand von uns antwortete ihm, aber ich fìhlte, daŸ etwas wie leise d€mmernde Angst uns die Zunge in Fesseln hielt. Bald darauf standen wir vor einem rotverh€ngten Schenkenfenster. "SALON LOISITSCHEK". "Heinte groŸes Konzehr" stand auf einem Pappendeckel geschrieben, dessen Rand mit verblichenen Photographien von Frauenzimmern bedeckt war. Ehe noch Zwakh die Hand auf die Klinke legen konnte, æffnete sich die Eingangstìr nach innen, und ein vierschrætiger Kerl mit gewichstem schwarzem Haar, ohne Kragen - eine grìnseidene Krawatte um den bloŸen Hals geschlungen und die Frackweste mit einem Klumpen aus Schweinsz€hnen geschmìckt - empfing uns mit Bìcklingen. "J€, j€, das sin mir G€st€h. - - - Pane Schaffranek, rasch einen Tusch!" setzte er, ìber die Schulter in das von Menschen ìberfìllte Lokal gewendet, hastig seinem WillkommensgruŸ hinzu. Ein klimperndes Ger€usch, wie wenn eine Ratte ìber Klaviersaiten liefe, war die Antwort. "J€, j€, das sin mir G€st€h, das sin mir G€st€h. Da schaut man", murmelte der Vierschrætige immerw€hrend eifrig vor sich hin, w€hrend er uns aus den M€nteln half. "Ja, ja, heinte ist der ganze verehrliche Hochadel des Landes bei mir versammelt", beantwortete er triumphierend Vrieslanders erstaunte Miene, als im Hintergrund auf einer Art Estrade, die durch Gel€nder und eine zweistufige Treppe vom vorderen Teil der Schenke getrennt war, ein paar vornehme junge Herren in Abendtoilette sichtbar wurden. Schwaden beiŸenden Tabakrauches lagerten ìber den Tischen, hinter denen die langen Holzb€nke an den W€nden vollbesetzt von zerlumpten Gestalten waren: Dirnen von den Schanzen, ungek€mmt, schmutzig, barfuŸ, die festen Brìste kaum verhìllt von miŸfarbigen Umh€ngetìchern, Zuh€lter daneben mit blauen Milit€rmìtzen und Zigaretten hinter dem Ohr, Viehh€ndler mit haarigen F€usten und schwerf€lligen Fingern, die bei jeder Bewegung eine stumme Sprache der Niedertracht redeten, vazierende Kellner mit frechen Augen und blatternarbige Kommis mit karierten Hosen. "Ich stell' ich Ihnen spanische Plente umadum, damit Sie schæn ungestært sein", kr€chzte die feiste Stimme des Vierschrætigen, und eine Rollwand, beklebt mit kleinen, tanzenden Chinesen, schob sich langsam vor den Ecktisch, an den wir uns gesetzt hatten. Schnarrende Kl€nge einer Harfe machten das Stimmengewirr im Zimmer verlæschen. Eine Sekunde eine rhythmische Pause. Totenstille, als hielte alles den Atem an. Mit erschreckender Deutlichkeit hærte man plætzlich wie die eisernen Gasst€be fauchend die flachen herzfærmigen Flammen aus ihren Mìndern in die Luft bliesen - - dann fiel die Musik ìber das Ger€usch her und verschlang es. Als w€ren sie soeben erst entstanden, tauchten da zwei seltsame Gestalten aus dem Tabakqualm vor meinem Blick empor. Mit langem, wallendem, weiŸen Prophetenbart, ein schwarzseidenes K€ppchen - wie es die alten jìdischen Familienv€ter tragen - auf dem Kahlkopf, die blinden Augen milchbl€ulich und gl€sern - starr zur Decke gerichtet - saŸ dort ein Greis, bewegte lautlos die Lippen und fuhr mit dìrren Fingern wie mit Geierkrallen in die Saiten einer Harfe. Neben ihm in speckgl€nzendem, schwarzen Taffetkleid, Jettschmuck und Jettkreuz an Hals und Armen - ein Sinnbild erheuchelter Bìrgermoral - ein schwammiges Weibsbild, die Ziehharmonika auf dem SchoŸ. Ein wildes Gestolper von Kl€ngen dr€ngte sich aus den Instrumenten, dann sank die Melodie ermattet zur bloŸen Begleitung herab. Der Greis hatte ein paarmal in die Luft gebissen und riŸ den Mund weit auf, daŸ man die schwarzen Zahnstumpen sehen konnte. Langsam aus der Brust herauf rang sich ihm, von seltsamen hebr€ischen Ræchellauten begleitet, ein wilder BaŸ: "Roo - n - te, blau - we Stern - -" "Rititit" (schrillte das Weibsbild dazwischen und schnappte sofort die keifigen Lippen zusammen, als habe sie schon zuviel gesagt) "Roonte blaue Steern Hærndlach ess i' ach geern"; "Rititit" "Rotboart, Grienboart allerlaj Stern" - - "Rititit, rititit." 0x01 graphic Die Paare traten zum Tanze an. "Es ist das Lied vom ›chomezigen Borchu‹", erkl€rte uns l€chelnd der Marionettenspieler und schlug leise mit dem Zinnlæffel, der sonderbarerweise mit einer Kette am Tisch befestigt war, den Takt. "Vor wohl hundert Jahren oder mehr noch hatten zwei B€ckergesellen, Rotbart und Grìnbart, am Abend des ›Schabbes Hagodel‹ das Brot - Sterne und Hærnchen - vergiftet, um ein ausgiebiges Sterben in der Judenstadt hervorzurufen; aber der ›Meschores‹ - der Gemeindediener - war infolge gættlicher Erleuchtung noch rechtzeitig draufgekommen und konnte die beiden Verbrecher der Stadtpolizei ìberliefern. Zur Erinnerung an die wundersame Errettung aus Todesgefahr dichteten damals die ›Landonim‹ und ›Bocherlech‹ jenes seltsame Lied, das wir hier jetzt als Bordellquadrille hæren." "Rititit - Rititit" "Roote blaue Steern - - - -" immer hohler und fanatischer erscholl das Gebell des Greises. Plætzlich wurde die Melodie konfuser und ging allm€hlich in den Rhythmus des bæhmischen "Schlapak" - eines schleifenden Schiebetanzes - ìber, bei dem die Paare die schwitzigen Wangen innig aneinander preŸten. "So recht. Bravo. „h da! fang, hep, hep!" rief von der Estrade ein schlanker, junger Kavalier im Frack, das Monokel im Auge, dem Harfenisten zu, griff in die Westentasche und warf ein Silberstìck in der Richtung. Es erreichte sein Ziel nicht: ich sah noch, wie es ìber das Tanzgewìhl hinblitzte; da war es plætzlich verschwunden. Ein Strolch - sein Gesicht kam mir so bekannt vor; ich glaube, es muŸ derselbe gewesen sein, der neulich bei dem RegenguŸ neben Charousek gestanden - hatte seine Hand hinter dem Busentuch seiner T€nzerin, wo er sie bisher hartn€ckig ruhen gehabt, hervorgezogen - ein Griff in die Luft mit affenhafter Geschwindigkeit, ohne auch nur einen Takt der Musik auszulassen, und die Mìnze war geschnappt. Nicht ein Muskel zuckte im Gesicht des Burschen auf, nur zwei, drei Paare in der N€he grinsten leise. "Wahrscheinlich einer vom ›Bataillon‹, nach der Geschicklichkeit zu schlieŸen", sagte Zwakh lachend. "Meister Pernath hat sicherlich noch nie etwas vom ›Bataillon‹ gehært", fiel Vrieslander auffallend rasch ein und zwinkerte heimlich dem Marionettenspieler zu, daŸ ich es nicht sehen sollte. - Ich verstand gar wohl: es war wie vorhin, oben auf meinem Zimmer. Sie hielten mich fìr krank. Wollten mich aufheitern. Und Zwakh sollte etwas erz€hlen. Irgend etwas. Wie mich der gute Alte so mitleidig ansah, stieg es mir heiŸ vom Herzen in die Augen. Wenn er wìŸte, wie weh mir sein Mitleid tat! Ich ìberhærte die ersten Worte, mit denen der Marionettenspieler seine Worte einleitete, - ich weiŸ nur, mir war, als verblute ich langsam. Mir wurde immer k€lter und starrer, wie vorhin, als ich als hælzernes Gesicht auf Vrieslanders SchoŸ gelegen hatte. Dann war ich plætzlich mitten drin in der Erz€hlung, die mich fremdartig umfing, - einhìllte, wie ein lebloses Stìck aus einem Lesebuch. Zwakh begann: "Die Erz€hlung vom Rechtsgelehrten Dr. Hulbert und seinem Bataillon. - - - No, was soll ich Ihnen sagen: Das Gesicht hatte er voller Warzen und krumme Beine wie ein Dachshund. Schon als Jìngling kannte er nichts als Studium. Trockenes, entnervendes Studium. Von dem, was er sich durch Stundengeben mìhsam erwarb, muŸte er noch seine kranke Mutter erhalten. Wie grìne Wiesen aussehen und Hecken und Hìgel voll Blumen und W€lder, erfuhr er, glaube ich, nur aus Bìchern. Und wie wenig von Sonnenschein in Prags schwarze Gassen f€llt, wissen Sie ja selbst. Sein Doktorat hatte er mit Auszeichnung gemacht; das war eigentlich selbstverst€ndlich. Nun, und mit der Zeit wurde er ein berìhmter Rechtsgelehrter. So berìhmt, daŸ alle Leute - Richter und alte Advokaten - zu ihm fragen kamen, wenn sie irgend etwas nicht wuŸten. Dabei lebte er €rmlich wie ein Bettler in einer Dachkammer, deren Fenster hinaus auf den Teinhof schaute. So vergingen Jahre um Jahre und Dr. Hulberts Ruf als Leuchte seiner Wissenschaft wurde allm€hlich Sprichwort im ganzen Lande. DaŸ ein Mann wie er weichen Herzensempfindungen zug€nglich sein konnte, zumal sein Haar schon anfing weiŸ zu werden und sich niemand erinnerte, ihn je von etwas anderem als von Jurisprudenz sprechen gehort zu haben, hatte wohl keiner geglaubt. Doch gerade in solchen verschlossenen Herzen glìht die Sehnsucht am heiŸesten. An dem Tage, als Dr. Hulbert das Ziel erreichte, das ihm wohl schon als Hæchstes seit seiner Studentenzeit vorgeschwebt hatte: - als n€mlich Seine Majest€t der Kaiser von Wien aus ihn zum Rector magnificus an unserer Universit€t ernannte, da ging es von Mund zu Mund, er habe sich mit einem jungen, bildschænen Fr€ulein aus zwar armer, aber adliger Familie verlobt. Und wirklich schien von da an das Gluck bei Dr. Hulbert eingezogen zu sein. Wenn auch seine Ehe kinderlos blieb, so trug er doch seine junge Gattin auf H€nden, und jeden Wunsch zu erfìllen, den er ihr nur irgend von den Augen abzulesen vermochte, war seine hæchste Freude. In seinem Gluck vergaŸ er jedoch keineswegs, wie es wohl so mancher andere getan hatte, seine leidenden Mitmenschen. "Mir hat Gott meine Sehnsucht gestillt," soll er einmal gesagt haben, - "er hat mir ein Traumgesicht zur Wahrheit werden lassen, das wie ein Glanz vor mir hergegangen ist seit Kindheit an: er hat mir das lieblichste Wesen zu eigen gegeben, das die Erde tragt. Und so will ich, daŸ ein Schimmer von diesem Gluck, soweit es in meiner Macht steht, auch auf andere fallt." - - - Und so kam es, daŸ er sich bei Gelegenheit eines armen Studenten annahm wie seines eigenen Sohnes. Vermutlich in der Erw€gung, wie wohl ihm selbst ein solch gutes Werk getan hatte, w€re es ihm am eigenen Leib und Leben in den Tagen seiner kummervollen Jugendzeit passiert. Wie aber nun auf Erden manche Tat, die dem Menschen gut und edel scheint, Folgen nach sich zieht gleich der einer fluchwìrdigen, weil wir wohl doch nicht richtig unterscheiden kænnen zwischen dem, was giftigen Samen in sich tragt und was heilsamen, so begab es sich auch hier, daŸ aus Dr. Hulberts mitleidsvollem Werk das bitterste Leid fìr ihn selbst sproŸ. Die junge Frau entbrannte gar bald in heimlicher Liebe zu dem Studenten, und ein erbarmungsloses Schicksal wollte, daŸ sie der Rektor gerade in dem Augenblicke, als er unerwartet nach Hause kam, um sie zum Zeichen seiner Liebe mit einem StrauŸ Rosen als Geburtstagspr€sent zu ìberraschen, in den Armen dessen antraf, auf den er Wohltat ìber Wohltat geh€uft hatte. Man sagt, daŸ die blaue Muttergottesblume fìr immer ihre Farbe verlieren kann, wenn der fahle, schweflige Schein eines Blitzes, der ein Hagelwetter verkìndet, plætzlich auf sie f€llt; gewiŸ ist, daŸ die Seele des alten Mannes fìr immer erblindete an dem Tage, wo sein Gluck in Scherben ging. Am selben Abend noch saŸ er, er, der bis dahin nicht gewuŸt, was Unm€Ÿigkeit ist, hier beim "Loisitschek" - fast bewuŸtlos vom Fusel - bis zum Morgengrauen. Und der "Loisitschek" wurde seine Heimst€tte fìr den Rest seines zerstærten Lebens. Im Sommer schlief er irgendwo auf dem Schutt eines Neubaus, im Winter hier auf den hælzernen B€nken. Den Titel eines Professors und Doktors beider Rechte belieŸ man ihm stillschweigend. Niemand hatte das Herz dazu, gegen ihn, den einst berìhmten Gelehrten, den Vorwurf zu erheben, daŸ man „rgernis n€hme an seinem Wandel. Allm€hlich sammelte sich um ihn, was an lichtscheuem Gesindel in der Judenstadt sein Wesen trieb, und so kam es zur Grìndung jener seltsamen Gemeinschaft, die man noch heutigentags "das Bataillon" nennt. Dr. Hulberts umfassende Gesetzeskenntnis wurde das Bollwerk fìr alle die, denen die Polizei zu scharf auf die Finger sah. War irgendein entlassener Str€fling daran zu verhungern, schickte ihn Dr. Hulbert splitternackt hinaus auf den Altstadter Ring - und das Amt auf der sogenannten "Fischbanka" sah sich genætigt, einen Anzug beizustellen. Sollte eine unterstandslose Dirne aus der Stadt gewiesen werden, so heiratete sie schnell einen Strolch, der bezirkszust€ndig war, und wurde dadurch ans€ssig. Hundert solcher Auswege wuŸte Dr. Hulbert, und seinem Rate gegenìber stand die Polizei machtlos da. - Was diese AusgestoŸenen der menschlichen Gesellschaft "verdienten", ìbergaben sie getreulich auf Heller und Kreuzer der gemeinsamen Kassa, aus der der nætige Lebensunterhalt bestritten wurde. Niemals lieŸ sich auch nur einer die geringste Unehrlichkeit zuschulden kommen. Mag sein, daŸ angesichts dieser eisernen Disziplin der Name "das Bataillon" entstand. Pìnktlich am ersten Dezember, wo sich der Tag des Unglìcks j€hrte, das den alten Mann betroffen hatte, fand jedesmal nachts beim "Loisitschek" eine seltsame Feier statt. Kopf an Kopf gedr€ngt standen sie hier: Bettler, Vagabunden, Zuh€lter und Dirnen, Trunkenbolde und Lumpensammler, und eine lautlose Stille herrschte wie beim Gottesdienst. - Und dann erz€hlte ihnen Dr. Hulbert dort von der Ecke aus, wo jetzt die beiden Musikanten sitzen, gerade unter dem Krænungsbilde Seiner Majest€t des Kaisers, seine Lebensgeschichte: - wie er sich emporgerungen, den Doktortitel erworben und sp€ter Rektor magnificus geworden war. Wenn er zu der Stelle kam, wo er mit dem Busch Rosen in der Hand ins Zimmer seiner jungen Frau trat, - zur Feier ihres Geburtstages und zugleich zum Ged€chtnis jener Stunde, da er dereinst um sie anhalten gekommen und sie seine liebe Braut geworden war, - da versagte ihm jedesmal die Stimme, und weinend sank er am Tisch zusammen. Dann geschah es wohl zuweilen, daŸ irgendein liederliches Frauenzimmer ihm versch€mt und heimlich, damit es keiner sehen sollte, eine halbwelke Blume in die Hand legte. Von den Zuhærern rìhrte sich dann noch lange Zeit keiner. Zum Weinen sind diese Menschen zu hart, aber an ihren Kleidern blickten sie herunter und drehten unsicher die Finger. Eines Morgens fand man Dr. Hulbert tot auf einer Bank unten an der Moldau. Er wird, denke ich, erfroren sein. Sein Leichenbeg€ngnis sehe ich noch heute vor mir. Das "Bataillon" hatte sich fast zerfleischt, um alles so prunkvoll wie mæglich zu gestalten. Voran ging der Pedell der Universit€t in vollem Ornat: in den H€nden das purpurne Kissenpolster mit der gìldenen Kette darauf und hinter dem Leichenwagen in unabsehbarer Reihe - - das "Bataillon" barfuŸ, schmutzstarrend, zerlumpt und zerfetzt. Einer von ihnen hatte sein Letztes verkauft und ging daher: Leib, Beine und Arme mit Lagen aus altem Zeitungspapier umwickelt und umbunden. So erwiesen sie ihm die letzte Ehre. Auf seinem Grabe, drauŸen im Friedhof, steht ein weiŸer Stein, darein sind drei Figuren gemeiŸelt: Der Heiland gekreuzigt zwischen zwei R€ubern. Von unbekannter Hand gestiftet. Man munkelt, Dr. Hulberts Frau habe das Denkmal errichtet. - - - Im Testament des toten Rechtsgelehrten aber war ein Legat vorgesehen, danach bekommt jeder vom "Bataillon" mittags "beim Loisitschek" umsonst eine Suppe; zu diesem Zwecke h€ngen hier am Tisch die Læffel an den Ketten, und die ausgehæhlten Mulden in der Tischplatte sind die Teller. Um 12 Uhr kommt die Kellnerin und spritzt mit einer groŸen, blechernen Spritze die Brìhe hinein und, wenn sich einer nicht ausweisen kann als "vom Bataillon", so zieht sie die Suppe mit der Spritze wieder zurìck. Von diesem Tisch aus machte die Gepflogenheit als Witz die Runde durch die ganze Welt." 0x01 graphic Der Eindruck eines Tumultes im Lokal weckte mich aus meiner Lethargie. Die letzten S€tze, die Zwakh gesprochen, wehten ìber mein BewuŸtsein hinweg. Ich sah noch, wie er seine H€nde bewegte, um das Vor- und Zurìckschieben eines Spritzenkolbens klarzumachen, dann jagten die Bilder, die sich rings um uns abrollten, so rasch und automatenhaft und dennoch mit so gespenstischer Deutlichkeit an meinem Auge vorìber, daŸ ich in Momenten ganz mich selbst vergaŸ und mir wie ein Rad vorkam in einem lebendigen Uhrwerk. Das Zimmer war ein einziges Menschengewìhl geworden. Oben auf der Estrade: dutzende Herren in schwarzen Fr€cken. WeiŸe Manschetten, blitzende Ringe. Eine Dragoneruniform mit Rittmeisterschnìren. Im Hintergrund ein Damenhut mit lachsfarbigen StrauŸenfedern. Durch die St€be des Gel€nders stierte das verzerrte Gesicht Loisas hinauf. Ich sah: er konnte sich kaum aufrecht halten. Auch Jaromir war da und schaute unverwandt hinauf, mit dem Rìcken dicht, ganz dicht, an der Seitenwand, als presse ihn eine unsichtbare Hand dagegen. Die Gestalten hielten plætzlich im Tanzen inne: der Wirt muŸte ihnen etwas zugerufen haben, was sie erschreckt hatte. Die Musik spielte noch, aber leise; sie traute sich nicht mehr recht. Sie zitterte; man fìhlte es deutlich. Und doch lag der Ausdruck h€mischer wilder Freude in dem Gesicht des Wirtes. - - - - In der Eingangstìr steht mit einem Mal der Polizeikommiss€r in Uniform. Er hatte die Arme ausgebreitet, um niemand hinauszulassen. Hinter ihm ein Kriminalschutzmann. "Wird also doch hier getanzt? Trotz Verbotes? Ich sperre die Spelunke. Sie kommen mit, Wirt! Und was hier ist, marsch auf die Wachstube!" Es klingt wie Kommandos. Der Vierschrætige gibt keine Antwort, aber das h€mische Grinsen bleibt in seinen Zìgen. BloŸ starrer ist es geworden. Die Harmonika hat sich verschluckt und pfeift nur noch. Auch die Harfe zieht den Schwanz ein. Die Gesichter sind plætzlich alle im Profil zu sehen: sie glotzen erwartungsvoll hinauf auf die Estrade. Und da kommt eine vornehme schwarze Gestalt gelassen die paar Stufen herab und geht langsam auf den Kommiss€r zu. Die Augen des Kriminalschutzmannes h€ngen gebannt an den heranschlendernden schwarzen Lackschuhen. Der Kavalier ist einen Schritt vor dem Polizeibeamten stehen geblieben und l€Ÿt den Blick gelangweilt ihm von Kopf bis zu den FìŸen und wieder zurìck schweifen. Die andern jungen Adligen oben auf der Estrade haben sich ìber das Gel€nder gebeugt und verbeiŸen das Lachen hinter ihren grauseidenen Taschentìchern. Der Dragonerrittmeister klemmt ein Goldstìck ins Auge und spuckt einem M€dchen, das unter ihm lehnt, seinen Zigarettenstummel ins Haar. Der Polizeikommiss€r hat sich verf€rbt und starrt in der Verlegenheit immerw€hrend auf die Perle in der Hemdbrust des Aristokraten. Er kann den gleichgìltigen, glanzlosen Blick dieses glattrasierten, unbeweglichen Gesichtes mit der Hakennase nicht ertragen. Er bringt ihn aus der Ruhe. Schmettert ihn nieder. Die Totenstille im Lokal wird immer qu€lender. "So sehen die Ritterstatuen aus, die mit gefalteten H€nden auf den Steins€rgen liegen in den gotischen Kirchen", flìstert der Maler Vrieslander mit einem Blick auf den Kavalier. Da bricht der Aristokrat endlich das Schweigen: "„h - Hm." - - - er kopiert die Stimme des Wirtes: "J€, j€, das sin mir G€st€h - da schaut man." Ein schallendes Gejohle explodiert im Lokal, daŸ die Gl€ser klirren; die Strolche halten sich den Bauch vor Lachen. Eine Flasche fliegt an die Wand und zerschellt. Der vierschrætige Wirt meckert uns erl€uternd und ehrfurchtsvoll zu: "Seine Durchlaucht Exzellenz Fìrst Ferri Athenst€dt." Der Fìrst hat dem Beamten eine Visitkarte hingehalten. Der „rmste nimmt sie, salutiert wiederholt und schl€gt die Hacken zusammen. Es wird von neuem still, die Menge lauscht atemlos, was weiter geschehen wird. Der Kavalier spricht wieder: "Die Damen und Herren, die Sie hier versammelt sehen, - €h - sind meine lieben G€ste." Seine Durchlaucht deutet mit einer nachl€ssigen Armbewegung auf das Gesindel, "wìnschen Sie, Herr Kommiss€r, - €h - vielleicht vorgestellt zu werden?" Der Kommiss€r verneint mit erzwungenem L€cheln, stottert verlegen etwas von "leidiger Pflichterfìllung" und rafft sich schlieŸlich zu den Worten auf: "Ich sehe ja, daŸ es hier anst€ndig zugeht." Das bringt Leben in den Dragonerrittmeister: er eilt in den Hintergrund auf den Damenhut mit der StrauŸenfeder zu und zerrt im n€chsten Augenblick unter dem Jubel der jungen Adligen - Rosina am Arm herunter in den Saal. Sie schwankt vor Trunkenheit und h€lt die Augen geschlossen. Der groŸe, kostbare Hut sitzt ihr schief, und sie hat nichts an als lange rosa Strìmpfe und - einen Herrenfrack auf dem bloŸen Kærper. Ein Zeichen: Die Musik fallt ein wie rasend - - - "Rititit - Rititit" - - - und schwemmt den gurgelnden Schrei fort, den der taubstumme Jaromir, als er Rosina gesehen, an der Wand drìben ausgestoŸen hat. - - Wir wollen gehen. Zwakh ruft nach der Kellnerin. Der allgemeine L€rm verschlingt seine Worte. Die Szenen vor mir werden phantastisch wie ein Opiumrausch. Der Rittmeister h€lt die halbnackte Rosina im Arm und dreht sich langsam mit ihr im Takt. Die Menge hat respektvoll Platz gemacht. Dann murmelt es von den B€nken: "Der Loisitschek, der Loisitschek", die H€lse werden lang und zu dem tanzenden Paar gesellt sich ein zweites noch seltsameres. Ein weibisch aussehender Bursche in rosa Trikots, mit langem blondem Haar bis zu den Schultern, Lippen und Wangen geschminkt wie eine Dirne und die Augen niedergeschlagen in koketter Verwirrung, - h€ngt schmachtend an der Brust des Fìrsten Athenst€dt. Ein sìŸlicher Walzer quillt aus der Harfe. Wilder Ekel vor dem Leben schnìrt mir die Kehle zusammen. Mein Blick sucht voll Angst die Ture: der Kommiss€r steht dort abgewendet, um nichts zu sehen, und flìstert hastig mit dem Kriminalschutzmann, der etwas einsteckt. Es klirrt wie Handschellen. Die beiden sp€hen hinìber auf den blatternarbigen Loisa, der einen Augenblick sich zu verstecken sucht und dann gel€hmt - das Gesicht kalkweiŸ und verzerrt vor Entsetzen - stehen bleibt. Ein Bild zuckt in der Erinnerung vor mir auf und erlischt sofort: Das Bild, wie "Prokop lauscht, wie ich es vor einer Stunde gesehen, - ìber das Kanalgitter gebeugt - und ein Todesschrei gellt aus der Erde empor." 0x01 graphic Ich will rufen und kann nicht. Kalte Finger greifen mir in den Mund und biegen mir die Zunge nach unten gegen die Vorderz€hne, daŸ es wie ein Klumpen meinen Gaumen erfìllt und ich kein Wort hervorbringen kann. Ich kann die Finger nicht sehen, weiŸ, daŸ sie unsichtbar sind, und doch empfinde ich sie wie etwas Kærperliches. Und klar steht es in meinem BewuŸtsein: sie gehæren zu der gespenstischen Hand, die mir in meinem Zimmer in der HahnpaŸgasse das Buch "Ibbur" gegeben hat. "Wasser, Wasser!" schreit Zwakh neben mir. Sie halten mir den Kopf und leuchten mir mit einer Kerze in die Pupillen. "In seine Wohnung schaffen, Arzt holen - der Archivar Hillel kennt sich aus in solchen Dingen - - zu ihm bringen!" beraten sie murmelnd. Dann liege ich starr wie eine Leiche auf einer Bahre und Prokop und Vrieslander tragen mich hinaus. Wach Zwakh war vor uns die Treppen hinaufgelaufen, und ich hærte, wie Mirjam, die Tochter des Archivars Hillel, ihn €ngstlich ausfragte und er sie zu beruhigen trachtete. Ich gab mir keine Mìhe hinzuhorchen, was sie miteinander sprachen, und erriet mehr, als ich es in Worten verstand, daŸ Zwakh erz€hlte, mir sei ein Unfall zugestoŸen und sie k€men bitten, mir die erste Hilfe zu leisten und mich wieder zu BewuŸtsein zu bringen. Noch immer konnte ich kein Glied rìhren, und die unsichtbaren Finger hielten meine Zunge; aber mein Denken war fest und sicher und das Gefìhl des Grauens hatte von mir abgelassen. Ich wuŸte genau, wo ich war und was mit mir geschah, und empfand es nicht einmal als absonderlich, daŸ man mich wie einen Toten hinauftrug, samt der Bahre im Zimmer Schemajah Hillels niedersetzte und - allein lieŸ. Eine ruhige, natìrliche Zufriedenheit, wie man sie beim Heimkommen nach einer langen Wanderung genieŸt, erfìllte mich. Es war finster in der Stube, und mit verschwimmenden Umrissen hoben sich die Fensterrahmen in Kreuzesformen von dem mattleuchtenden Dunst ab, der von der Gasse heraufschimmerte. Alles kam mir selbstverst€ndlich vor und ich wunderte mich weder darìber, daŸ Hillel mit einem jìdischen siebenflammigen Sabbatleuchter eintrat, noch, daŸ er mir gelassen "guten Abend" wìnschte wie jemandem, dessen Kommen er erwartet hatte. Was ich die ganze Zeit, die ich im Hause wohnte, nie als etwas Besonderes bemerkt hatte, - trotzdem wir einander oft drei- bis viermal in der Woche auf den Stiegen begegnet waren, - fiel mir plætzlich stark an ihm auf, wie er so hin und her ging, einige Gegenst€nde auf der Kommode zurechtrìckte und schlieŸlich mit dem Leuchter einen zweiten, gleichfalls siebenflammigen anzìndete. N€mlich: sein EbenmaŸ an Leib und Gliedern und der schmale, feine Schnitt des Gesichtes mit dem edlen Stirnaufbau. Er konnte, wie ich jetzt beim Schein der Kerzen sah, nicht €lter sein als ich: hæchstens 45 Jahre z€hlen. "Du bist um einige Minuten frìher gekommen", - begann er nach einer Weile - "als anzunehmen war, sonst h€tte ich die Lichter schon vorher angezìndet." - Er deutete auf die beiden Leuchter, trat an die Bahre und richtete seine dunklen, tiefliegenden Augen, wie es schien, auf jemand, der mir zu H€upten stand oder kniete, den ich aber nicht zu sehen vermochte. Dabei bewegte er seine Lippen und sprach lautlos einen Satz. Sofort lieŸen die unsichtbaren Finger meine Zunge los und der Starrkrampf wich von mir. Ich richtete mich auf und blickte hinter mich: Niemand auŸer Schemajah Hillel und mir war im Zimmer. Sein "Du" und die Bemerkung, daŸ er mich erwartet habe, hatten also mir gegolten!? Viel befremdender als diese beiden Umst€nde an sich wirkte es auf mich, daŸ ich nicht imstande war, auch nur die geringste Verwunderung darìber zu empfinden. Hillel erriet offenbar meine Gedanken, denn er l€chelte freundlich, wobei er mir von der Bahre aufstehen half und mit der Hand auf einen Sessel wies, und sagte: "Es ist auch nichts Wunderbares dabei. Schreckhaft wirken nur die gespenstischen Dinge - die Kischuph - auf den Menschen; das Leben kratzt und brennt wie ein h€rener Mantel, aber die Sonnenstrahlen der geistigen Welt sind mild und erw€rmend." Ich schwieg, da mir nichts einfiel, was ich ihm h€tte erwidern sollen. Er schien auch keine Gegenrede erwartet zu haben, setzte sich mir gegenìber und fuhr gelassen fort: "Auch ein silberner Spiegel, h€tte er Empfindung, litte nur Schmerzen, wenn er poliert wird. Glatt und gl€nzend geworden, gibt er alle Bilder wieder, die auf ihn fallen, ohne Leid und Erregung." "Wohl dem Menschen", setzte er leise hinzu, "der von sich sagen kann: Ich bin geschliffen." - Einen Augenblick versank er