in Nachdenken, und ich hærte ihn einen hebr¤ischen Satz murmeln: "Lischuos¨cho Kiwisi Adoschem." Dann drang seine Stimme wieder klar an mein Ohr: "Du bist zu mir gekommen in tiefem Schlaf und ich habe dich wach gemacht. Im Psalm David heiŸt es: "Da sprach ich in mir selbst: jetzt fange ich an: Die Rechte Gottes ist es, welche diese Ver¤nderung gemacht hat." Wenn die Menschen aufstehen von ihren Lagerst¤tten, so w¤hnen sie, sie h¤tten den Schlaf abgeschìttelt, und wissen nicht, daŸ sie ihren Sinnen zum Opfer fallen und die Beute eines neuen viel tieferen Schlafes werden, als der war, dem sie soeben entronnen sind. Es gibt nur ein wahres Wachsein und das ist das, dem Du dich jetzt n¤herst. Sprich den Menschen davon und sie werden sagen, Du seist krank, denn sie kænnen dich nicht verstehen. Darum ist es zwecklos und grausam, ihnen davon zu reden. Sie fahren dahin wie ein Strom - Und sind wie ein Schlaf, Gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird - Das des Abends abgehauen wird und verdorret." 0x01 graphic "Wer war der Fremde, der mich in meiner Kammer aufgesucht hat und mir das Buch "Ibbur" gab? Habe ich ihn im Wachen oder im Traum gesehen?", wollte ich fragen, doch Hillel antwortete mir, noch ehe ich den Gedanken in Worte fassen konnte: "Nimm an, der Mann, der zu Dir kam und den Du den Golem nennst, bedeute die Erweckung des Toten durch das innerste Geistesleben. Jedes Ding auf Erden ist nichts als ein ewiges Symbol in Staub gekleidet! Wie denkst Du mit dem Auge? Jede Form, die Du siehst, denkst Du mit dem Auge. Alles, was zur Form geronnen ist, war vorher ein Gespenst." Ich fìhlte, wie Begriffe, die bisher in meinem Hirn verankert gewesen, sich losrissen und gleich Schiffen ohne Steuer hinaustrieben in ein uferloses Meer. Ruhevoll fuhr Hillel fort: "Wer aufgeweckt worden ist, kann nicht mehr sterben; Schlaf und Tod sind dasselbe." "- - kann nicht mehr sterben?" - Ein dumpfer Schmerz ergriff mich. "Zwei Pfade laufen nebeneinander hin: der Weg des Lebens und der Weg des Todes. Du hast das Buch "Ibbur" genommen und darin gelesen. Deine Seele ist schwanger geworden vom Geist des Lebens", hærte ich ihn reden. "Hillel, Hillel, laŸ mich den Weg gehen, den alle Menschen gehen: den des Sterbens!", schrie alles wild in mir auf. Schemajah Hillels Gesicht wurde starr vor Ernst. "Die Menschen gehen keinen Weg, weder den des Lebens, noch den des Todes. Sie treiben daher wie Spreu im Sturm. Im Talmud steht: "Ehe Gott die Welt schuf, hielt er den Wesen einen Spiegel vor; darin sahen sie die geistigen Leiden des Daseins und die Wonnen, die darauf folgten. Da nahmen die einen die Leiden auf sich. Die anderen aber weigerten sich, und diese strich Gott aus dem Buche der Lebenden." Du aber gehst einen Weg und hast ihn aus freiem Willen beschritten, - wenn Du es jetzt auch selbst nicht mehr weiŸt: Du bist berufen von dir selbst. Gr¤m' dich nicht: allm¤hlich, wenn das Wissen kommt, kommt auch die Erinnerung. Wissen und Erinnerung sind dasselbe." Der freundliche, fast liebenswìrdige Ton, in den Hillels Rede ausgeklungen war, gab mir meine Ruhe wieder, und ich fìhlte mich geborgen wie ein krankes Kind, das seinen Vater bei sich weiŸ. Ich blickte auf und sah, daŸ mit einemmal viele Gestalten im Zimmer waren und uns im Kreis umstanden: einige in weiŸen Sterbegew¤ndern, wie sie die alten Rabbiner trugen, andere mit dreieckigem Hut und Silberschnallen an den Schuhen - aber Hillel fuhr mir mit der Hand ìber die Augen, und die Stube war wieder leer. Dann geleitete er mich hinaus zur Treppe und gab mir eine brennende Kerze mit, damit ich mir hinaufleuchten kænne in mein Zimmer. 0x01 graphic Ich legte mich zu Bett und wollte schlafen, aber der Schlummer kam nicht, und ich geriet stattdessen in einen sonderbaren Zustand, der weder Tr¤umen war, noch Wachen, noch Schlafen. Das Licht hatte ich ausgelæscht, aber trotzdem war alles in der Stube so deutlich, daŸ ich jede einzelne Form genau unterscheiden konnte. Dabei fìhlte ich mich vollkommen behaglich und frei von der gewissen qualvollen Unruhe, die einen foltert, wenn man sich in ¤hnlicher Verfassung befindet. Nie vorher in meinem Leben w¤re ich imstande gewesen, so scharf und pr¤zis zu denken wie eben jetzt. Der Rhythmus der Gesundheit durchstræmte meine Nerven und ordnete meine Gedanken in Reih' und Glied wie eine Armee, die nur auf meine Befehle wartete. Ich brauchte bloŸ zu rufen, und sie traten vor mich und erfìllten, was ich wìnschte. Eine Gemme, die ich in den letzten Wochen aus Aventurinstein zu schneiden versucht hatte, - ohne damit zurechtzukommen, da sich die vielen zerstreuten Flimmer in dem Mineral niemals mit den Gesichtszìgen decken wollten, die ich mir vorgestellt, - fiel mir ein, und im Nu sah ich die Læsung vor mir und wuŸte genau, wie ich den Stichel zu fìhren hatte, um der Struktur der Masse gerecht zu werden. Ehedem Sklave einer Horde phantastischer Eindrìcke und Traumgesichter, von denen ich oft nicht gewuŸt: waren es Ideen oder Gefìhle, sah ich mich jetzt plætzlich als Herr und Kænig im eigenen Reich. Rechenexempel, die ich frìher nur mit „chzen und auf dem Papier h¤tte bew¤ltigen kænnen, fìgten sich mir mit einem Mal im Kopf spielend zum Resultat. Alles mit Hilfe einer neuen, in mir erwachten F¤higkeit, das zu sehen und festzuhalten, was ich gerade brauchte: Ziffern, Formen, Gegenst¤nde oder Farben. Und wenn es sich um Fragen handelte, die durch derlei Werkzeuge nicht zu læsen waren: - philosophische Probleme und ¤hnliches -, so trat an Stelle des inneren Sehens das Gehær, wobei die Stimme Schemajah Hillels die Rolle des Sprechers ìbernahm. Erkenntnisse seltsamster Art wurden mir zuteil. Was ich tausendmal im Leben achtlos als bloŸes Wort an meinem Ohr hatte vorìbergehen lassen, stand wertgetr¤nkt bis in die tiefste Faser vor mir; was ich "auswendig" gelernt, "erfaŸte" ich mit einem Schlag als mein "Eigen"tum. Der Wortbildung Geheimnisse, die ich nie geahnt, lagen nackt vor mir. Die "hohen" Ideale der Menschheit, die vordem mit kommerzienr¤tlich biederer Miene, die Pathosbrust mit Orden bekleckst, mich von oben herab behandelt hatten, - demìtig nahmen sie jetzt die Maske von der Fratze und entschuldigten sich: sie seien selber ja nur Bettler, aber immerhin Krìcken fìr - einen noch frecheren Schwindel. Tr¤umte ich nicht vielleicht doch? Hatte ich etwa gar nicht mit Hillel gesprochen? Ich griff nach dem Sessel neben meinem Bett. Richtig: dort lag die Kerze, die mir Schemajah mitgegeben hatte; und selig wie ein kleiner Junge in der Christfestnacht, der sich ìberzeugt hat, daŸ der wundervolle Hampelmann wirklich und leibhaftig vorhanden ist, wìhlte ich mich wieder in die Kissen. Und wie ein Spìrhund drang ich weiter vor in das Dickicht der geistigen R¤tsel, die mich rings umgaben. Zuerst versuchte ich zu dem Punkt in meinem Leben zurìckzugelangen, bis zu dem meine Erinnerung reichte. Nur von dort aus - glaubte ich - kænnte es mir mæglich sein, jenen Teil meines Daseins zu ìberblicken, der fìr mich, durch eine seltsame Fìgung des Schicksals in Finsternis gehìllt lag. Aber wie sehr ich mich auch bemìhte, ich kam nicht weiter, als daŸ ich mich wie einst in dem dìsteren Hofe unseres Hauses stehen sah und durch den Torbogen den Trædlerladen des Aaron Wassertrum unterschied - als ob ich ein Jahrhundert lang als Gemmenschneider in diesem Hause gewohnt h¤tte, immer gleich alt und ohne jemals ein Kind gewesen zu sein! Schon wollte ich es als hoffnungslos aufgeben, weiter zu schìrfen in den Sch¤chten der Vergangenheit, da begriff ich plætzlich mit leuchtender Klarheit, daŸ in meiner Erinnerung wohl die breite HeerstraŸe der Geschehnisse mit dem gewissen Torbogen endete, nicht aber eine Menge winzig schmaler FuŸsteige, die wohl bisher den Hauptpfad st¤ndig begleitet hatten, von mir jedoch nicht beachtet worden waren. "Woher", schrie es mir fast in die Ohren, "hast du denn die Kenntnisse, dank derer du jetzt dein Leben fristest? Wer hat dich Gemmenschneiden gelehrt - und Gravieren und all das andere? Lesen, schreiben, sprechen - und essen - und gehen, atmen, denken und fìhlen?" Sofort griff ich den Rat meines Innern auf. Systematisch ging ich mein Leben zurìck. Ich zwang mich in verkehrter aber ununterbrochener Reihenfolge zu ìberlegen: was ist soeben geschehen, was war der Ausgangspunkt dazu, was lag vor diesem und so weiter? Wieder war ich bei dem gewissen Torbogen angelangt - - jetzt! Jetzt! Nur ein kleiner Sprung ins Leere und der Abgrund, der mich von dem Vergessen trennte, muŸte ìberflogen sein - da trat ein Bild vor mich, das ich auf der Rìckwanderung meiner Gedanken ìbersehen hatte: Schemajah Hillel fuhr mir mit der Hand ìber die Augen - genau wie vorhin unten in seinem Zimmer. Und weggewischt war alles. Sogar der Wunsch, weiter zu forschen. Nur eins stand fest als bleibender Gewinn: die Erkenntnis: die Reihe der Begebenheiten im Leben ist eine Sackgasse, so breit und gangbar sie auch zu sein scheint. Die schmalen, verborgenen Steige sind's, die in die verlorene Heimat zurìckfìhren: das, was mit feiner, kaum sichtbarer Schrift in unserem Kærper eingraviert ist, und nicht die scheuŸliche Narbe, die die Raspel des ¤uŸeren Lebens hinterlaŸt, - birgt die Læsung der letzten Geheimnisse. So, wie ich zurìckfinden kænnte in die Tage meiner jugend, wenn ich in der Fibel das Alphabet in verkehrter Folge vorn¤hme von Z bis A, um dort anzulangen, wo ich in der Schule zu lernen begonnen, - so, begriff ich, muŸte ich auch wandern kænnen in die andere ferne Heimat, die jenseits allen Denkens liegt. Eine Weltkugel an Arbeit w¤lzte sich auf meine Schultern. Auch Herkules trug eine Zeitlang das Gewælbe des Himmels auf seinem Haupte, fiel mir ein, und versteckte Bedeutung schimmerte mir aus der Sage entgegen. Und wie Herkules wieder loskam durch eine List, indem er den Riesen Atlas bat: "LaŸ mich nur einen Bausch von Stricken um den Kopf binden, damit mir die entsetzliche Last nicht das Gehirn zersprengt", so g¤be es vielleicht einen dunklen Weg - d¤mmerte mir - von dieser Klippe weg. Ein tiefer Argwohn, der Fìhrerschaft meiner Gedanken weiter blind zu vertrauen, beschlich mich plætzlich. Ich legte mich gerade und verschloŸ mit den Fingern Augen und Ohren, um nicht abgelenkt zu werden durch die Sinne. Um jeden Gedanken zu tæten. Doch mein Wille zerschellte an dem ehernen Gesetz: Ich konnte immer nur einen Gedanken durch einen anderen vertreiben, und starb der eine, schon m¤stete sich der n¤chste an seinem Fleische. Ich flìchtete in den brausenden Strom meines Blutes, aber die Gedanken folgten mir auf dem FuŸ; ich verbarg mich im H¤mmerwerk meines Herzens: nur eine kleine Weile, und sie hatten mich entdeckt. Abermals kam mir da Hillels freundliche Stimme zu Hilfe und sagte: "Bleib auf deinem Weg und wanke nicht! Der Schlìssel zur Kunst des Vergessens gehært unseren Brìdern, die den Pfad des Todes wandeln; du aber bist geschw¤ngert vom Geiste des - Lebens." Das Buch Ibbur erschien vor mir, und zwei Buchstaben flammten darin auf: der eine, der das erzene Weib bedeutete, mit dem Pulsschlag, m¤chtig, gleich einem Erdbeben, - der andere in unendlicher Ferne: der Hermaphrodit auf dem Thron von Perlmutter, auf dem Haupte die Krone aus rotem Holz. Dann fuhr Schemajah Hillel ein drittes Mal mit der Hand ìber meine Augen, und ich schlummerte ein. Schnee "Mein lieber und verehrter Meister Pernath! Ich schreibe Ihnen diesen Brief in fliegender Eile und hæchster Angst. Bitte, vernichten Sie ihn sofort, nachdem Sie ihn gelesen haben, - oder besser noch, bringen Sie ihn mir samt Kuvert mit. - Ich h¤tte keine Ruhe sonst. Sagen Sie keiner Menschenseele, daŸ ich Ihnen geschrieben habe. Auch nicht, wohin Sie heute gehen werden! Ihr ehrliches gutes Gesicht hat mir - "neulich" - (Sie werden durch diese kurze Anspielung auf ein Ereignis, dessen Zeuge Sie waren, erraten, wer Ihnen diesen Brief schreibt, denn ich fìrchte mich, meinen Namen darunter zu setzen) - so viel Vertrauen eingeflæŸt, und weiter, daŸ Ihr lieber, seliger Vater mich als Kind unterrichtet hat, - alles das gibt mir den Mut, mich an Sie, als vielleicht den einzigen Menschen, der noch helfen kann, zu wenden. Ich flehe Sie an, kommen Sie heute, abends um 5 Uhr, in die Domkirche auf dem Hradschin." Eine Ihnen bekannte Dame. 0x01 graphic Wohl eine Viertelstunde lang saŸ ich da und hielt den Brief in der Hand. Die seltsame, weihevolle Stimmung, die mich von gestern nacht her umfangen gehalten, war mit einem Schlag gewichen, - weggeweht von dem frischen Windhauch eines neuen irdischen Tages. Ein junges Schicksal kam l¤chelnd und verheiŸungsvoll - ein Frìhlingskind - auf mich zu. Ein Menschenherz suchte Hilfe bei mir. - Bei mir! Wie sah meine Stube plætzlich so anders aus! Der wurmstichige, geschnitzte Schrank blickte so zufrieden drein, und die vier Sessel kamen mir vor wie alte Leute, die um den Tisch herumsitzen und behaglich kichernd Tarock spielen. Meine Stunden hatten einen Inhalt bekommen, einen Inhalt voll Reichtum und Glanz. So sollte der morsche Baum noch Frìchte tragen? Ich fìhlte, wie mich eine lebendige Kraft durchrieselte, die bisher schlafen gelegen in mir - verborgen gewesen in den Tiefen meiner Seele, verschìttet von dem Geræll, das der Alltag h¤uft, wie eine Quelle losbricht aus dem Eis, wenn der Winter zerbricht. Und ich wuŸte so gewiŸ, wie ich den Brief in der Hand hielt, daŸ ich wìrde helfen kænnen, um was es auch ginge. Der Jubel in meinem Herzen gab mir die Sicherheit. Wieder und wieder las ich die Stelle: "und weiter, daŸ Ihr lieber seliger Vater mich als Kind unterrichtet hat - - -"; - mir stand der Atem still. Klang das nicht wie VerheiŸung: "Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein?" Die Hand, die sich mir hinstreckte, Hilfe suchend, hielt mir das Geschenk entgegen: die Rìckerinnerung, nach der ich dìrstete, - wìrde mir das Geheimnis offenbaren, den Vorhang heben helfen, der sich hinter meiner Vergangenheit geschlossen hatte! "Ihr lieber seliger Vater" - -, wie fremdartig die Worte klangen, als ich sie mir vorsagte! - Vater! - Einen Augenblick sah ich das mìde Gesicht eines alten Mannes mit weiŸem Haar in dem Lehnstuhl neben meiner Truhe auftauchen - fremd, ganz fremd und doch so schauerlich bekannt; - - dann kamen meine Augen wieder zu sich, und die Hammerlaute meines Herzens schlugen die greifbare Stunde der Gegenwart. Erschreckt fuhr ich auf: hatte ich die Zeit vertr¤umt? Ich blickte auf die Uhr: Gott sei Lob, erst halb fìnf. Ich ging in meine Schlafkammer nebenan, holte Hut und Mantel und schritt die Treppen hinab. Was kìmmerte mich heute das Geraune der dunklen Winkel, die bæsartigen, engherzigen, verdrossenen Bedenken, die immer von ihnen aufstiegen: "Wir lassen dich nicht, - du bist unser, - wir wollen nicht, daŸ du dich freust - das w¤re noch schæner, Freude hier im Haus!" Der feine, vergiftete Staub, der sich sonst aus allen diesen G¤ngen und Ecken her um mich gelegt mit wìrgenden H¤nden: heute wich er vor dem lebendigen Hauch meines Mundes. Einen Augenblick blieb ich stehen an Hillels Tìr. Sollte ich eintreten? Eine heimliche Scheu hielt mich ab zu klopfen. Mir war so ganz anders heute, - so, als dìrfe ich gar nicht hinein zu ihm. Und schon trieb mich die Hand des Lebens vorw¤rts, die Stiegen hinab. - - Die Gasse lag weiŸ im Schnee. Ich glaube, daŸ viele Leute mich gegrìŸt haben; ich erinnere mich nicht, ob ich ihnen gedankt. Immer wieder fìhlte ich an die Brust, ob ich den Brief auch bei mir trìge: Es ging eine W¤rme von der Stelle aus. - - 0x01 graphic Ich wanderte durch die Bogen der gequaderten Laubeng¤nge auf dem Altst¤dter Ring und an dem Erzbrunnen vorbei, dessen barockes Gitter voll Eiszapfen hing, hinìber ìber die steinerne Brìcke mit ihren Heiligenstatuen und dem Standbild des Johannes von Nepomuk. Unten sch¤umte der FluŸ voll HaŸ gegen die Fundamente. Halb im Traum fiel mein Blick auf den gehæhlten Sandstein der heiligen Luitgard mit "den Qualen der Verdammten" darin: dicht lag der Schnee auf den Lidern der BìŸenden und den Ketten an ihren betend erhobenen H¤nden. Torbogen nahmen mich auf und entlieŸen mich, Pal¤ste zogen langsam an mir vorìber, mit geschnitzten, hochmìtigen Portalen, darinnen Læwenkæpfe in bronzene Ringe bissen. Auch hier ìberall Schnee, Schnee. Weich, weiŸ wie das Fell eines riesigen Eisb¤ren. Hohe, stolze Fenster, die Simse beglitzert und vereist, schauten teilnahmslos zu den Wolken empor. Ich wunderte mich, wie der Himmel so voll ziehender Vægel war. Als ich die unz¤hligen Granitstufen emporstieg zum Hradschin, jede so breit, wie wohl vier Menschenleiber lang sind, versank Schritt um Schritt die Stadt mit ihren D¤chern und Giebeln vor meinem Sinn. - - - 0x01 graphic Schon schlich die D¤mmerung die H¤userreihen entlang, da trat ich auf den einsamen Platz, aus dessen Mitte der Dom aufragt zum Thron der Engel. FuŸstapfen - die R¤nder mit Krusten aus Eis - fìhrten hin zum Nebentor. Von irgendwo aus einer fernen Wohnung klangen leise, verlorene Tæne eines Harmoniums in die Abendstille hinaus. Wie Tr¤nentropfen der Schwermut fielen sie in die Verlassenheit. Ich hærte hinter mir das Seufzen des Schlagpolsters, wie die Kirchentìre mich aufnahm, dann stand ich im Dunkel, und der goldene Altar blinkte in starrer Ruhe herìber zu mir durch den grìnen und blauen Schimmer sterbenden Lichtes, das durch die farbigen Fenster auf die Betstìhle niedersank. Funken sprìhten aus roten, gl¤sernen Ampeln. Welker Duft von Wachs und Weihrauch. Ich lehnte mich in eine Bank. Mein Blut ward seltsam still in diesem Reich der Regungslosigkeit. Ein Leben ohne Herzschlag erfìllte den Raum - ein heimliches, geduldiges Warten. Die silbernen Reliquienschreine lagen im ewigen Schlaf. Da! - Aus weiter, weiter Ferne drang das Ger¤usch von Pferdehufen ged¤mpft, kaum merklich an mein Ohr, wollte n¤her kommen und verstummte. Ein matter Schall, wie wenn ein Wagenschlag zuf¤llt. - - - 0x01 graphic Das Rauschen eines seidenen Kleides war auf mich zugekommen, und eine zarte, schmale Damenhand hatte leicht meinen Arm berìhrt. "Bitte, bitte, gehen wir doch dort neben den Pfeiler; es widerstrebt mir, hier in den Betstìhlen von den Dingen zu sprechen, die ich Ihnen sagen muŸ." Die weihevollen Bilder ringsum zerrannen zu nìchterner Klarheit. Der Tag hatte mich plætzlich angefaŸt. "Ich weiŸ gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, Meister Pernath, daŸ Sie mir zuliebe bei dem schlechten Wetter den langen Weg hier herauf gemacht haben." Ich stotterte ein paar banale Worte. "- - Aber ich wuŸte keinen andern Ort, wo ich sicherer vor Nachforschung und Gefahr bin, als diesen. Hierher, in den Dom, ist uns gewiŸ niemand nachgegangen." Ich zog den Brief hervor und reichte ihn der Dame. Sie war fast ganz vermummt in einen kostbaren Pelz, aber schon am Klang ihrer Stimme hatte ich sie wiedererkannt als dieselbe, die damals voll Entsetzen vor Wassertrum in mein Zimmer in der HahnpaŸgasse flìchtete. Ich war auch nicht erstaunt darìber, denn ich hatte niemand anderen erwartet. Meine Augen hingen an ihrem Gesicht, das in der D¤mmerung der Mauernische wohl noch blasser schien, als es in Wirklichkeit sein mochte. Ihre Schænheit benahm mir fast den Atem, und ich stand wie gebannt. Am liebsten w¤re ich vor ihr niedergefallen und h¤tte ihre FìŸe gekìŸt, daŸ sie es war, der ich helfen sollte, daŸ sie mich dazu erw¤hlt hatte. 0x01 graphic "Vergessen Sie, ich bitte Sie von Herzen darum, - wenigstens solange wir hier sind - die Situation, in der Sie mich damals gesehen haben", sprach sie gepreŸt weiter, "ich weiŸ auch gar nicht, wie Sie ìber solche Dinge denken - -" "Ich bin ein alter Mann geworden, aber kein einziges Mal in meinem Leben war ich so vermessen, daŸ ich mich Richter gedìnkt h¤tte ìber meine Mitmenschen", war das einzige, was ich hervorbrachte. "Ich danke Ihnen, Meister Pernath", sagte sie warm und schlicht. "Und jetzt hæren Sie mich geduldig an, ob Sie mir in meiner Verzweiflung nicht helfen oder wenigstens einen Rat geben kænnen." - Ich fìhlte, wie eine wilde Angst sie packte, und hærte ihre Stimme zittern. - "Damals - - im Atelier - - - damals brach die schreckliche GewiŸheit ìber mich herein, daŸ jener grauenhafte Oger mir mit Vorbedacht nachgespìrt hat. - Schon durch Monate war mir aufgefallen, daŸ, wohin ich auch immer ging, - ob allein, oder mit meinem Gatten, oder mit - - - mit - mit Dr. Savioli, - stets das entsetzliche Verbrechergesicht dieses Trædlers irgendwo in der N¤he auftauchte. Im Schlaf und im Wachen verfolgten mich seine schielenden Augen. Noch macht sich ja kein Zeichen bemerkbar, was er vorhat, aber um so qualvoller drosselt mich nachts die Angst: wann wirft er mir die Schlinge um den Hals! Anfangs wollte mich Dr. Savioli damit beruhigen, was denn so ein armseliger Trædler wie dieser Aaron Wassertrum ìberhaupt vermæchte - schlimmsten Falles kænnte es sich nur um eine geringfìgige Erpressung oder dergleichen handeln, aber jedesmal wurden seine Lippen weiŸ, wenn der Name Wassertrum fiel. Ich ahne: Dr. Savioli h¤lt mir etwas geheim, um mich zu beruhigen, - irgend etwas Furchtbares, was ihn oder mich das Leben kosten kann. Und dann erfuhr ich, was er mir sorgsam verheimlichen wollte: daŸ ihn der Trædler mehrere Male des Nachts in seiner Wohnung besucht hat! - Ich weiŸ es, ich spìre es in jeder Faser meines Kærpers: es geht etwas vor, das sich langsam um uns zusammenzieht wie die Ringe einer Schlange. - Was hat dieser Mærder dort zu suchen? Warum kann Dr. Savioli ihn nicht abschìtteln? Nein, nein, ich sehe das nicht l¤nger mit an; ich muŸ etwas tun. Irgend etwas, ehe es mich in den Wahnsinn treibt." Ich wollte ihr ein paar Worte des Trostes entgegnen, aber sie lieŸ mich nicht zu Ende sprechen. "Und in den letzten Tagen nahm der Alp, der mich zu erwìrgen droht, immer greifbarere Formen an. Dr. Savioli ist plætzlich erkrankt, - ich kann mich nicht mehr mit ihm verst¤ndigen - darf ihn nicht besuchen, wenn ich nicht stìndlich gew¤rtigen soll, daŸ meine Liebe zu ihm entdeckt wird -; er liegt in Delirien, und das einzige, was ich erkunden konnte, ist, daŸ er sich im Fieber von einem Scheusal verfolgt w¤hnt, dessen Lippen von einer Hasenscharte gespalten sind: - Aaron Wassertrum! Ich weiŸ, wie mutig Dr. Savioli ist; um so entsetzlicher - kænnen Sie sich das vorstellen? - wirkt es auf mich, ihn jetzt gel¤hmt vor einer Gefahr, die ich selbst nur wie die dunkle N¤he eines grauenhaften Wìrgengels empfinde, zusammengebrochen zu sehen. Sie werden sagen, ich sei feige, und warum ich mich denn nicht offen zu Dr. Savioli bekenne, alles von mir wìrfe, wenn ich ihn doch so liebe -: alles, Reichtum, Ehre, Ruf und so weiter, aber -" sie schrie es færmlich heraus, daŸ es widerhallte von den Chorgalerien, - "ich kann nicht! - Ich hab' doch mein Kind, mein liebes, blondes, kleines M¤del! Ich kann doch mein Kind nicht hergeben! - Glauben Sie denn, mein Mann lieŸe es mir?! Da, da, nehmen Sie das, Meister Pernath" - sie riŸ im Wahnwitz ein T¤schchen auf, das vollgestopft war mit Perlenschnìren und Edelsteinen - "und bringen Sie es dem Verbrecher; - ich weiŸ, er ist habsìchtig - er soll sich alles holen, was ich besitze, aber mein Kind soll er mir lassen. - Nicht wahr, er wird schweigen? - So reden Sie doch um Jesu Christi willen, sagen Sie nur ein Wort, daŸ Sie mir helfen wollen!" Es gelang mir mit græŸter Mìhe, die Rasende wenigstens so weit zu beruhigen, daŸ sie sich auf eine Bank niederlieŸ. Ich sprach zu ihr, wie es mir der Augenblick eingab. Wirre, zusammenhanglose S¤tze. Gedanken jagten dabei in meinem Hirn, so daŸ ich selbst kaum verstand, was mein Mund redete, - Ideen phantastischer Art, die zusammenbrachen, kaum daŸ sie geboren waren. Geistesabwesend haftete mein Blick auf einer bemalten Mænchsstatue in der Wandnische. Ich redete und redete. Allm¤hlich verwandelten sich die Zìge der Statue, die Kutte wurde ein fadenscheiniger œberzieher mit hochgeklapptem Kragen, und ein jugendliches Gesicht mit abgezehrten Wangen und hektischen Flecken wuchs daraus empor. Ehe ich die Vision verstehen konnte, war der Mænch wieder da. Meine Pulse schlugen zu laut. Die unglìckliche Frau hatte sich ìber meine Hand gebeugt und weinte still. Ich gab ihr von der Kraft, die in mich eingezogen war in der Stunde, als ich den Brief gelesen hatte, und mich jetzt abermals ìberm¤chtig erfìllte, und ich sah, wie sie langsam daran genas. "Ich will Ihnen sagen, warum ich mich gerade an Sie gewendet habe, Meister Pernath", fing sie nach langem Schweigen leise wieder an. "Es waren ein paar Worte, die Sie mir einmal gesagt haben - und die ich nie vergessen konnte die vielen Jahre hindurch - -" Vor vielen Jahren? Mir gerann das Blut. "- - Sie nahmen Abschied von mir - ich weiŸ nicht mehr, weshalb und wieso, ich war ja noch ein Kind, - und Sie sagten so freundlich und doch so traurig: ›Es wird wohl nie die Zeit kommen, aber gedenken Sie meiner, wenn Sie je im Leben nicht aus noch ein wissen. Vielleicht gibt mir Gott der Herr, daŸ ich es dann sein darf, der Ihnen hilft.‹ - Ich habe mich damals abgewendet und rasch meinen Ball in den Springbrunnen fallen lassen, damit Sie meine Tr¤nen nicht sehen sollten. Und dann wollte ich Ihnen das rote Korallenherz schenken, das ich an einem Seidenband um den Hals trug, aber ich sch¤mte mich, weil das gar so l¤cherlich gewesen w¤re." - - - Erinnerung! - Die Finger des Starrkrampfes tasteten nach meiner Kehle. Ein Schimmer wie aus einem vergessenen, fernen Land der Sehnsucht trat vor mich - unvermittelt und schreckhaft: Ein kleines M¤dchen in weiŸem Kleid und ringsum die dunkle Wiese eines SchloŸparks, von alten Ulmen ums¤umt. Deutlich sah ich es wieder vor mir. - - 0x01 graphic Ich muŸte mich verf¤rbt haben; ich merkte es an der Hast, mit der sie fortfuhr: "Ich weiŸ ja, daŸ Ihre Worte damals nur der Stimmung des Abschieds entsprangen, aber sie waren mir oft ein Trost und - und ich danke Ihnen dafìr." Mit aller Kraft biŸ ich die Z¤hne zusammen und jagte den heulenden Schmerz, der mich zerfetzte, in die Brust zurìck. Ich verstand: Eine gn¤dige Hand war es gewesen, die die Riegel vor meiner Erinnerung zugeschoben hatte. Klar stand jetzt in meinem BewuŸtsein geschrieben, was ein kurzer Schimmer aus alten Tagen herìbergetragen: Eine Liebe, die fìr mein Herz zu stark gewesen, hatte fìr Jahre mein Denken zernagt, und die Nacht des Irrsinns war damals der Balsam fìr meinen wunden Geist geworden. Allm¤hlich senkte sich die Ruhe des Erstorbenseins ìber mich und kìhlte die Tr¤nen hinter meinen Augenlidern. Der Hall von Glocken zog ernst und stolz durch den Dom, und ich konnte freudig l¤chelnd der in die Augen sehen, die gekommen war, Hilfe bei mir zu suchen. 0x01 graphic Wieder hærte ich das dumpfe Fallen des Wagenschlags und das Trappen der Hufe. - - - 0x01 graphic Durch nachtblauglitzernden Schnee ging ich hinab in die Stadt. Die Laternen staunten mich an mit zwinkernden Augen, und aus geschichteten Bergen von Tannenb¤umen raunte es von Flitter und silbernen Nìssen und vom kommenden Christfest. Auf dem Rathausplatz an der Mariens¤ule murmelten bei Kerzenglanz die alten Bettelweiber mit den grauen Kopftìchern der Muttergottes ihren Rosenkranz. Vor dem dunklen Eingang zur Judenstadt hockten die Buden des Weihnachtsmarktes. Mitten darin, mit rotem Tuch bespannt, leuchtete grell, von schwelenden Fackeln beschienen, die offene Bìhne eines Marionettentheaters. Zwakhs Policcinell in Purpur und Violett, die Peitsche in der Hand und daran an der Schnur einen Totensch¤del, ritt klappernd auf hælzernem Schimmel ìber die Bretter. In Reihen fest aneinander gedr¤ngt starrten die Kleinen - die Pelzmìtzen tief ìber die Ohren gezogen - mit offenem Munde hinauf und lauschten gebannt den Versen des Prager Dichters Oskar Wiener, die mein Freund Zwakh da drinnen im Kasten sprach: "Ganz vorne schritt ein Hampelmann, Der Kerl war mager wie ein Dichter Und hatte bunte Lappen an Und torkelte und schnitt Gesichter." - - - 0x01 graphic Ich bog in die Gasse ein, die schwarz und winklig auf den Platz mìndete. Dicht, Kopf an Kopf, stand lautlos eine Menschenmenge da in der Finsternis vor einem Anschlagzettel. Ein Mann hatte ein Streichholz angezìndet, und ich konnte einige Zeilen bruchstìckweise lesen. Mit dumpfen Sinnen nahm mein BewuŸtsein ein paar Worte auf: VermiŸt! 1000 fl Belohnung „lterer Herr... schwarz gekleidet... ......... Signalement: ... fleischiges, glattrasiertes Gesicht...... ...... Haarfarbe: weiŸ......... .. Polizeidirektion... Zimmer Nr.... Wunschlos, teilnahmslos, ein lebender Leichnam, ging ich langsam hinein in die lichtlosen H¤userreihen. Eine Handvoll winziger Sterne glitzerte auf dem schmalen, dunklen Himmelsweg ìber den Giebeln. Friedvoll schweiften meine Gedanken zurìck in den Dom, und die Ruhe meiner Seele wurde noch beseligender und tiefer, da drang vom Platz herìber, schneidend klar - als stìnde sie dicht an meinem Ohr - die Stimme des Marionettenspielers durch die Winterluft: "Wo ist das Herz aus rotem Stein? Es hing an einem Seidenbande Und funkelte im Frìhrotschein." - - - Spuk Bis tief in die Nacht hatte ich ruhelos mein Zimmer durchmessen und mir das Gehirn zermartert, wie ich "ihr" Hilfe bringen kænnte. Oft war ich nahe daran gewesen, hinunter zu Schemajah Hillel zu gehen, ihm zu erz¤hlen, was mir anvertraut worden, und ihn um Rat zu bitten. Aber jedesmal verwarf ich den EntschluŸ. Er stand im Geist so riesengroŸ vor mir, daŸ es eine Entweihung schien, ihn mit Dingen, die das ¤uŸere Leben betrafen, zu behelligen, dann wieder kamen Momente, wo mich brennende Zweifel befielen, ob ich in Wirklichkeit alles das erlebt h¤tte, was nur eine kurze Spanne Zeit zurìcklag und doch so seltsam verblaŸt schien, verglichen mit den lebenstrotzenden Erlebnissen des verflossenen Tages. Hatte ich nicht doch getr¤umt? Durfte ich - ein Mensch, dem das Unerhærte geschehen war, daŸ er seine Vergangenheit vergessen hatte, - auch nur eine Sekunde lang als GewiŸheit annehmen, wofìr als einziger Zeuge bloŸ meine Erinnerung die Hand aufhob? Mein Blick fiel auf die Kerze Hillels, die immer noch auf dem Sessel lag. Gott sei Dank, wenigstens das eine stand fest: ich war mit ihm in persænlicher Berìhrung gewesen! Sollte ich nicht ohne Besinnen hinunterlaufen zu ihm, seine Knie umfassen und wie Mensch zu Mensch ihm klagen, daŸ ein uns¤gliches Weh an meinem Herzen fraŸ? Schon hielt ich die Klinke in der Hand, da lieŸ ich wieder los; ich sah voraus, was kommen wìrde: Hillel wìrde mir mild ìber die Augen fahren und - - - nein, nein, nur das nicht! Ich hatte kein Recht, Linderung zu begehren. "Sie" vertraute auf mich und meine Hilfe, und wenn die Gefahr, in der sie sich fìhlte, mir in Momenten auch klein und nichtig erscheinen mochte, - sie empfand sie sicherlich als riesengroŸ! Hillel um Rat zu bitten, blieb morgen Zeit - ich zwang mich, kalt und nìchtern zu denken; - ihn jetzt - mitten in der Nacht zu stæren? - es ging nicht an. So wìrde nur ein Verrìckter handeln. Ich wollte die Lampe anzìnden; dann lieŸ ich es wieder sein: der Abglanz des Mondlichts fiel von den D¤chern gegenìber herein in mein Zimmer und gab mehr Helle, als ich brauchte. Und ich fìrchtete, die Nacht kænnte noch langsamer vergehen, wenn ich Licht machte. Es lag so viel Hoffnungslosigkeit in dem Gedanken, die Lampe anzuzìnden, nur um den Tag zu erwarten, - eine leise Angst sagte mir, der Morgen rìcke dadurch in unerlebbare Ferne. Ich trat ans Fenster: Wie ein gespenstischer, in der Luft schwebender Friedhof lagen die Reihen verschnærkelter Giebel dort oben - Leichensteine mit verwitterten Jahreszahlen, getìrmt ìber die dunklen Modergrìfte, diese "Wohnst¤tten", darein sich das Gewimmel der Lebenden Hæhlen und G¤nge genagt. Lange stand ich so und starrte hinauf, bis ich mich leise, ganz leise zu wundern begann, warum ich denn nicht aufschr¤ke, wo doch ein Ger¤usch von verhaltenen Schritten durch die Mauern neben mir deutlich an mein Ohr drang. Ich horchte hin: Kein Zweifel, wieder ging da ein Mensch. Das kurze „chzen der Dielen verriet, wie seine Sohle zægernd schlich. Mit einem Schlage war ich ganz bei mir. Ich wurde færmlich kleiner, so preŸte sich alles in mir zusammen unter dem Druck des Willens, zu hæren. Jedes Zeitempfinden gerann zu Gegenwart. Noch ein rasches Knistern, das vor sich selbst erschrak und hastig abbrach. Dann Totenstille. Jene lauernde, grauenhafte Stille, die ihr eigener Verr¤ter ist und Minuten ins Ungeheuerliche wachsen macht. Regungslos stand ich, das Ohr an die Wand gedrìckt, das drohende Gefìhl in der Kehle, daŸ drìben einer stand, genauso wie ich und dasselbe tat. Ich lauschte und lauschte: Nichts. Der Atelierraum nebenan schien wie abgestorben. Lautlos - auf den Zehenspitzen - stahl ich mich an den Sessel bei meinem Bett, nahm Hillels Kerze und zìndete sie an. Dann ìberlegte ich: Die eiserne Speichertìre drauŸen auf dem Gang, die zum Atelier Saviolis fìhrte, ging nur von drìben aufzuklinken. Aufs Geratewohl ergriff ich ein hakenfærmiges Stìck Draht, das unter meinen Graviersticheln auf dem Tische lag: derlei Schlæsser springen leicht auf. Schon beim ersten Druck auf die Riegelfeder! Und was wìrde dann geschehen? Nur Aaron Wassertrum konnte es sein, der da nebenan spionierte, - vielleicht in K¤sten wìhlte, um neue Waffen und Beweise in die Hand zu bekommen, legte ich mir zurecht. Ob es viel nìtzen wìrde, wenn ich dazwischen trat? Ich besann mich nicht lang: handeln, nicht denken! Nur dies furchtbare Warten auf den Morgen zerfetzen! Und schon stand ich vor der eisernen Bodentìre, drìckte dagegen, schob vorsichtig den Haken ins SchloŸ und horchte. Richtig: Ein schleifendes Ger¤uch drinnen im Atelier, wie wenn jemand eine Schublade aufzieht. Im n¤chsten Augenblick schnellte der Riegel zurìck. Ich konnte das Zimmer ìberblicken und sah, obwohl es fast finster war und meine Kerze mich nur blendete, wie ein Mann in langem schwarzem Mantel entsetzt vor einem Schreibtisch aufsprang, - eine Sekunde lang unschlìssig, wohin sich wenden, - eine Bewegung machte, als wolle er auf mich losstìrzen, sich dann den Hut vom Kopf riŸ und hastig damit sein Gesicht bedeckte. "Was suchen Sie hier!" wollte ich rufen, doch der Mann kam mir zuvor: "Pernath! Sie sind's? Gotteswillen! Das Licht weg!" Die Stimme kam mir bekannt vor, war aber keinesfalls die des Trædlers Wassertrum. Automatisch blies ich die Kerze aus. Das Zimmer lag halbdunkel da - nur von dem schimmrigen Dunst, der aus der Fensternische hereindrang, matt erhellt - genau wie meines, und ich muŸte meine Augen aufs ¤uŸerste anstrengen, ehe ich in dem abgezehrten, hektischen Gesicht, das plætzlich ìber dem Mantel auftauchte, die Zìge des Studenten Charousek erkennen konnte. "Der Mænch!" dr¤ngte es sich mir auf die Zunge und ich verstand mit einem Mal die Vision, die ich gestern im Dom gehabt! Charousek! Das war der Mann, an den ich mich wenden sollte! - Und ich hærte seine Worte wieder, die er damals im Regen unter dem Torbogen gesagt hatte: "Aaron Wassertrum wird es schon erfahren, daŸ man mit vergifteten, unsichtbaren Nadeln durch Mauern stechen kann. Genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will." Hatte ich an Charousek einen Bundesgenossen? WuŸte er ebenfalls, was sich zugetragen? Sein Hiersein zu so ungewæhnlicher Stunde lieŸ fast darauf schlieŸen, aber ich scheute mich, die direkte Frage an ihn zu richten. Er war ans Fenster geeilt und sp¤hte hinter dem Vorhang hinunter auf die Gasse. Ich erriet: er fìrchtete, Wassertrum kænne den Lichtschein meiner Kerze wahrgenommen haben. "Sie denken gewiŸ, ich sei ein Dieb, daŸ ich nachts hier in einer fremden Wohnung herumsuche, Meister Pernath," fing er nach langem Schweigen mit unsicherer Stimme an, "aber ich schwære Ihnen - -" Ich fiel ihm sofort in die Rede und beruhigte ihn. Und um ihm zu zeigen, daŸ ich keinerlei MiŸtrauen gegen ihn hegte, in ihm vielmehr einen Bundesgenossen sah, erz¤hlte ich ihm mit kleinen Einschr¤nkungen, die ich fìr nætig hielt, welche Bewandtnis es mit dem Atelier habe, und daŸ ich fìrchte, eine Frau, die mir nahestehe, sei in Gefahr, den erpresserischen Gelìsten des Trædlers in irgendwelcher Art zum Opfer zu fallen. Aus der hæflichen Weise, mit der er mir zuhærte, ohne mich mit Fragen zu unterbrechen, entnahm ich, daŸ er das meiste bereits wuŸte, wenn auch vielleicht nicht in Einzelheiten. "Es stimmt schon", sagte er grìbelnd, als ich zu Ende gekommen war. "Habe ich mich also doch nicht geirrt! Der Kerl will Savioli an die Gurgel fahren, das ist klar, aber offenbar hat er noch nicht genug Material beisammen. Weshalb wìrde er sich sonst noch hier immerw¤hrend herumdrìcken! Ich ging n¤mlich gestern, sagen wir mal: ›zuf¤llig‹ durch die HahnpaŸgasse," erklarte er, als er meine fragende Miene bemerkte, "da fiel mir auf, daŸ Wassertrum erst lange - scheinbar unbefangen - vor dem Tor unten auf und ab schlenderte, dann aber, als er sich unbeobachtet glaubte, rasch ins Haus bog. Ich ging ihm sofort nach und tat so, als wollte ich Sie besuchen, das heiŸt, ich klopfte bei Ihnen an, und dabei ìberraschte ich ihn, wie er drauŸen an der eisernen Bodentìr mit einem Schlìssel herumhantierte. Natìrlich gab er es augenblicklich auf, als ich kam, und klopfte ebenfalls als Vorwand bei Ihnen an. Sie schienen ìbrigens nicht zu Hause gewesen zu sein, denn es æffnete niemand. Als ich mich dann vorsichtig in der Judenstadt erkundigte, erfuhr ich, daŸ jemand, der nach den Schilderungen nur Dr. Savioli sein konnte, hier heimlich ein Absteigequartier bes¤Ÿe. Da Dr. Savioli schwerkrank liegt, reimte ich mir das ìbrige zurecht. Sehen Sie: und das da habe ich aus den Schubladen zusammengesucht, um Wassertrum fìr alle F¤lle zuvorzukommen", schloŸ Charousek und deutete auf ein Paket Briefe auf dem Schreibtisch; "es ist alles, was ich an Schriftstìcken finden konnte. Hoffentlich ist sonst nichts mehr vorhanden. Wenigstens habe ich in s¤mtlichen Truhen und Schr¤nken gestæbert, so gut das in der Finsternis ging." Meine Augen durchforschten bei seiner Rede das Zimmer und blieben unwillkìrlich auf einer Falltìre am Boden haften. Ich entsann mich dabei dunkel, daŸ Zwakh mir irgendwann erz¤h