m, lieŸ ich ihn nicht mehr aus dem Auge. Des Nachts horchte ich an den Verschlagbrettern seines Ladens, denn jede Minute konnte die Entscheidung fallen. - Ich glaube, durch Mauern hindurch wìrde ich das ersehnte schnalzende Ger€usch gehært haben, wenn er den Stæpsel aus der Giftflasche gezogen h€tte. Es fehlte vielleicht nur eine Stunde, und mein Lebenswerk war vollbracht. Da griff ein Unberufener ein und ermordete ihn. Mit einer Feile. Lassen Sie sich das N€here von Wenzel erz€hlen, mir wird es zu bitter, alles das niederschreiben zu mìssen. Nennen Sie es Aberglaube, - aber, wie ich sah, daŸ Blut vergossen worden war - die Dinge im Laden waren befleckt davon, - kam es mir vor, als sei mir seine Seele entwischt. Etwas in mir, - ein feiner, untrìglicher Instinkt - sagt mir, daŸ es nicht dasselbe ist, ob ein Mensch von fremder Hand stirbt oder von eigener: - daŸ Wassertrum sein Blut mit sich in die Erde h€tte nehmen mìssen, dann erst w€re meine Mission erfìllt gewesen. - Jetzt, wo es anders gekommen ist, fìhle ich mich als AusgestoŸener, als ein Werkzeug, das nicht wìrdig befunden wurde in der Hand des Todesengels. Aber ich will mich nicht auflehnen. Mein HaŸ ist von der Art, die ìbers Grab hinaus geht, und noch habe ich ja mein eigenes Blut, das ich vergieŸen kann, wie ich will, damit es dem seinigen nachgehe im Reich der Schatten auf Schritt und Tritt. - - - Jeden Tag, seit sie Wassertrum verscharrt haben, sitze ich drauŸen bei ihm auf dem Friedhof und horche in meine Brust hinein, was ich tun soll. Ich glaube, ich weiŸ es bereits, aber ich will noch warten, bis das innere Wort, das zu mir spricht, klar wird wie eine Quelle. - Wir Menschen sind unrein, und oft bedarf es langen Fastens und Wachens, bis wir das Flìstern unserer Seele verstehen. - - - In der verflossenen Woche wurde mir offiziell vom Gericht mitgeteilt, daŸ mich Wassertrum zum Universalerben eingesetzt hat. DaŸ ich fìr mich keinen Kreuzer davon anrìhre, brauche ich Ihnen wohl nicht zu versichern, Herr Pernath. - Ich werde mich hìten, ›ihm‹ - fìr ›drìben‹ eine Handhabe zu geben. Die H€user, die er besessen hat, lasse ich versteigern, die Gegenst€nde, die er berìhrt hat, werden verbrannt, und was an Geld und Geldeswert sich dann ergibt, f€llt nach meinem Tode zu einem Drittel Ihnen zu. - Ich sehe im Geiste, wie Sie aufspringen und protestieren, aber ich kann Sie beruhigen. Was Sie bekommen, ist Ihr rechtm€Ÿiges Eigentum mit Zinsen und Zinseszinsen. Schon lange wuŸte ich, daŸ Wassertrum vor Jahren Ihren Vater und seine Familie um alles gebracht hat, - erst jetzt bin ich in der Lage, es aktenm€Ÿig nachweisen zu kænnen. Ein zweites Drittel wird unter die zwælf Mitglieder des "Bataillons" verteilt, die den Dr. Hulbert noch persænlich gekannt haben. Ich will, daŸ jeder von ihnen reich wird und Zutritt bekommt zur Prager - "guten Gesellschaft". Das letzte Drittel gehært zu gleichen Teilen den n€chsten sieben Raubmærdern des Landes, die mangels zureichender Beweise freigesprochen werden mìssen. Ich bin das dem æffentlichen „rgernis schuldig. So. Das w€re wohl alles. Und jetzt, mein lieber, lieber Freund, leben Sie wohl und gedenken Sie zuweilen Ihres aufrichtigen und dankbaren Innocenz Charousek." Tief erschìttert legte ich den Brief aus der Hand. Ich konnte mich nicht freuen ìber die Nachricht von meiner bevorstehenden Enthaftung. Charousek! Armer Mensch! Wie ein Bruder kìmmerte er sich um mein Schicksal. BloŸ, weil ich ihm einst 100 fl geschenkt hatte. Wenn ich ihm nur einmal noch die Hand drìcken kænnte! Ich fìhlte: ja, er hatte recht; der Tag wìrde nie kommen. Ich sah ihn vor mir: seine flackernden Augen, die schwindsìchtigen Schultern, die hohe, noble Stirn. Vielleicht, daŸ alles ganz anders gekommen w€re, wenn eine hilfreiche Hand rechtzeitig in dies verdorrte Leben eingegriffen h€tte. Noch einmal las ich den Brief durch. Wieviel Methode in Charouseks Irrsinn lag! Ob er ìberhaupt irrsinnig war? Ich sch€mte mich beinahe, diesen Gedanken auch nur einen Augenblick geduldet zu haben. Sagten seine Anspielungen nicht genug? Er war ein Mensch wie Hillel, wie Mirjam, wie ich selbst; ein Mensch, ìber den die eigene Seele Gewalt gewonnen hatte, - den sie durch die wilden Schluchten und Klìfte des Lebens emporfìhrte in die Firnenwelt eines unbetreten Landes. Er, der doch ein ganzes Leben auf Mord gesonnen, stand er nicht reiner da, als irgendeiner von denen, die naserìmpfend umhergehen und angelernte Gebote eines unbekannten, mythischen Propheten zu befolgen vorgeben? Er hielt das Gebot, das ihm ein ìberm€chtiger Trieb diktierte, ohne an eine "Belohnung" hier oder jenseits auch nur zu denken. Was er getan hatte, war es etwas anderes als fræmmste Pflichterfìllung in des Wortes verborgenster Bedeutung? "Feig, hinterlistig, mordgierig, krank, eine problematische - eine Verbrechernatur" - ich hærte færmlich, wie das Urteil der Menge ìber ihn lauten muŸte, wenn sie mit ihren blinden Stallaternen in seine Seele hineinzuleuchten k€me, - dieser geifernden Menge, die nie und nimmer begreifen wird, daŸ die giftige Herbstzeitlose tausendfach schæner und edler ist als der nìtzliche Schnittlauch. - - - Wieder ging das TìrschloŸ drauŸen, und ich hærte, daŸ man einen Menschen hereinschob. Ich drehte mich nicht einmal um, so sehr war ich erfìllt von dem Eindruck des Briefes. Kein Wort ìber Angelina, nichts von Hillel stand darin. Freilich: Charousek muŸte in græŸter Eile geschrieben haben, die Schrift verriet es mir. Ob mir wohl noch ein Brief von ihm heimlich ìberbracht werden wìrde? Ich hoffte heimlich auf den morgigen Tag, auf den gemeinsamen Rundgang der Gefangenen im Hof. - Da war es noch am leichtesten, daŸ mir irgendeiner vom "Bataillon" etwas zusteckte. Eine leise Stimme schreckte mich aus meinen Grìbeleien: "Wìrden Sie gestatten, mein Herr, daŸ ich mich Ihnen vorstelle? Mein Name ist Laponder. Amadeus Laponder". Ich drehte mich um. Ein kleiner, schm€chtiger, noch ziemlich junger Mann in gew€hlter Kleidung, nur ohne Hut, wie alle Untersuchungsgefangenen, verbeugte sich korrekt vor mir. Er war glattrasiert wie ein Schauspieler, und seine groŸen, hellgrìn gl€nzenden, mandelfærmigen Augen hatten das Eigentìmliche an sich, daŸ, so geradeaus sie auch auf mich gerichtet waren, sie mich doch nicht zu sehen schienen. - Es lag so etwas wie - Geistesabwesenheit darin. Ich murmelte meinen Namen und verbeugte mich ebenfalls und wollte mich wieder umdrehen, konnte aber lange den Blick von dem Menschen nicht wenden, so fremdartig wirkte er auf mich mit dem pagodenhaften L€cheln, das die aufw€rts gezogenen Mundwinkel der feingeschwungenen Lippen best€ndig seinem Gesicht aufdrìckten. Er sah fast aus wie eine chinesische Buddhastatue aus Rosenquarz, mit seiner faltenlosen, durchsichtigen Haut, der m€dchenhaft schmalen Nase und den zarten Nìstern. "Amadeus Laponder, Amadeus Laponder", wiederholte ich vor mich hin. "Was er wohl begangen haben mag?" Mond "Waren Sie schon beim Verhær", fragte ich nach einer Weile. "Ich komme soeben von dort. - Hoffentlich werde ich Sie hier nicht lange inkommodieren mìssen", antwortete Herr Laponder liebenswìrdig. "Armer Teufel," dachte ich mir, "er ahnt nicht, was einem Untersuchungsgefangenen bevorsteht." Ich wollte ihn langsam vorbereiten: "Man gewæhnt sich allm€hlich an das Stillsitzen, wenn einmal die ersten, schlimmsten Tage vorìber sind." - - - Er machte ein verbindliches Gesicht. Pause. "Hat das Verhær lange gedauert, Herr Laponder?" Er l€chelte zerstreut: "Nein. Ich wurde bloŸ gefragt, ob ich gest€ndig sei, und muŸte das Protokoll unterschreiben." "Sie haben unterschrieben, daŸ Sie gest€ndig sind?" fuhr es mir heraus. "Allerdings." Er sagte es, als ob es sich von selbst verstìnde. Es kann nichts Schlimmes sein, legte ich mir zurecht, weil er so gar keine Aufregung zeigt. Wahrscheinlich eine Herausforderung zum Duell oder etwas „hnliches. "Ich bin leider schon so lange hier, daŸ es mir wie ein Menschenleben vorkommt"; - ich seufzte unwillkìrlich, und er machte sofort eine teilnehmende Miene. "Ich wìnsche Ihnen, daŸ Sie das nicht mitzumachen brauchen, Herr Laponder. Nach allem, was ich sehe, werden Sie bald auf freiem FuŸ sein." "Wie man's nimmt", antwortete er ruhig, aber es klang wie ein versteckter Doppelsinn. "Sie glauben nicht?", fragte ich l€chelnd. Er schìttelte den Kopf. "Wie soll ich das verstehen? - Was haben Sie denn gar so Schreckliches begangen? Verzeihen Sie, Herr Laponder, es ist nicht Neugierde von mir, - lediglich Teilnahme, daŸ ich frage." Er zægerte einen Augenblick, dann sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken: "Lustmord." Mir war, als h€tte er mich mit einem Stock ìber den Kopf geschlagen. Vor Abscheu und Grausen konnte ich keinen Ton herausbringen. Er schien es zu bemerken und blickte diskret zur Seite, aber nicht das leiseste Minenspiel in seinem automatenhaft l€chelnden Gesicht verriet, daŸ er ìber mein plætzlich ver€ndertes Benehmen verletzt gewesen w€re. Wir wechselten kein Wort weiter und blickten stumm aneinander vorbei. - - - Als ich mich nach Einbruch der Dunkelheit niederlegte, folgte er sogleich meinem Beispiel, entkleidete sich, h€ngte sorgsam seine Kleider an den Wandnagel, streckte sich aus und schien, nach seinen ruhigen, tiefen Atemzìgen zu schlieŸen, unmittelbar darauf fest eingeschlafen zu sein. Die ganze Nacht konnte ich nicht zur Ruhe kommen. Das best€ndige Gefìhl, ein solches Scheusal in meiner n€chsten N€he zu haben und dieselbe Luft mit ihm atmen zu mìssen, war mir so gr€Ÿlich und aufregend, daŸ die Eindrìcke des Tages, Charouseks Brief und all das erlebte Neue tief in den Hintergrund traten. Ich hatte mich so gelegt, daŸ ich den Mærder best€ndig im Auge behielt, denn ich wìrde es nicht haben ertragen kænnen, ihn hinter mir zu wissen. Die Zelle war vom Schimmer des Mondes matt durchd€mmert, und ich konnte sehen, daŸ Laponder regungslos, fast starr, dalag. Seine Zìge hatten etwas Leichenhaftes bekommen, und der halbgeæffnete Mund erhæhte diesen Eindruck. Viele Stunden hindurch €nderte er nicht ein einziges Mal seine Lage. Erst sp€t nach Mitternacht, als ein dìnner Mondstrahl auf sein Gesicht fiel, kam eine leise Unruhe ìber ihn und er bewegte unaufhærlich die Lippen, wie jemand, der im Schlaf spricht. Es schien immer dasselbe Wort zu sein, - ein zweisilbiger Satz vielleicht, - so wie: "LaŸ mich. LaŸ mich, LaŸ mich." 0x01 graphic Die n€chsten paar Tage vergingen, ohne daŸ ich Notiz von ihm genommen h€tte, und auch er brach niemals das Schweigen. Sein Benehmen blieb nach wie vor gleich liebenswìrdig. Sooft ich auf und ab gehen wollte, sah er es mir sofort an und zog hæflich, wenn er auf der Pritsche saŸ, die FìŸe zurìck, um mir nicht im Wege zu sein. Ich fing an, mir Vorwìrfe wegen meiner Schroffheit zu machen, konnte aber den Abscheu vor ihm beim besten Willen nicht loswerden. So sehr ich gehofft hatte, mich an seine N€he gewæhnen zu kænnen, - es ging nicht. Selbst in den N€chten hielt es mich wach. Kaum eine Viertelstunde verbrachte ich im Schlaf. Abend fìr Abend wiederholte sich haargenau derselbe Vorgang: Er wartete respektvoll, bis ich mich ausstreckte, zog dann seine Kleider aus, legte sie pedantisch in Falten, h€ngte sie auf, und so weiter und so weiter. 0x01 graphic Eines Nachts - es mochte um die zweite Stunde sein - stand ich schlaftrunken vor Mìdigkeit wieder auf dem Wandbrett, starrte in den Vollmond, dessen Strahlen sich wie glitzerndes –l auf dem kupfernen Gesicht der Turmuhr spiegelten, und dachte voll Trauer an Mirjam. Da hærte ich plætzlich leise ihre Stimme hinter mir. Sofort war ich wach, ìberwach, - fuhr herum und horchte. Eine Minute verging. Schon glaubte ich, ich h€tte mich get€uscht, da kam es wieder. Ich konnte die Worte nicht genau verstehen, aber es klang wie: "Frag' mich. Frag' mich." Es war bestimmt Mirjams Stimme. Schlotternd vor Aufregung stieg ich, so leise ich konnte, herab und trat an das Bett Laponders. Das Mondlicht schien voll auf sein Gesicht, und ich konnte deutlich unterscheiden, daŸ er die Lider offen hatte, doch nur das WeiŸe der Aug€pfel war sichtbar. An der Starre der Wangenmuskeln sah ich, daŸ er im Tiefschlaf lag. Nur die Lippen bewegten sich wieder wie neulich. Und allm€hlich verstand ich die Worte, die hinter seinen Z€hnen hervordrangen: "Frag' mich. Frag' mich." Die Stimme war der von Mirjam t€uschend €hnlich. "Mirjam? Mirjam?" rief ich unwillkìrlich, d€mpfte aber sofort den Ton, um den Schl€fer nicht zu erwecken. Ich wartete, bis sein Gesicht wieder starr geworden war, dann wiederholte ich leise: "Mirjam? Mirjam?" Sein Mund formte ein kaum vernehmbares, aber doch deutliches: "Ja." Ich legte mein Ohr dicht an seine Lippen. Nach einer Weile hærte ich Mirjams Stimme flìstern - so unverkennbar ihre Stimme, daŸ mir K€lteschauer ìber die Haut liefen. Ich trank die Worte so gierig, daŸ ich nur den Sinn begriff. Sie sprach von Liebe zu mir und von dem unsagbaren Glìck, daŸ wir uns endlich gefunden h€tten - und uns nie wieder trennen wìrden - hastig - ohne Pause, wie jemand, der fìrchtet, unterbrochen zu werden und jede Sekunde ausnìtzen will. Dann wurde die Stimme stockend - erlosch zeitweilig ganz. "Mirjam?" fragte ich, bebend vor Angst und mit eingezogenem Atem, "Mirjam, bist du gestorben?" Lange keine Antwort. Dann fast unverst€ndlich: "Nein. - Ich lebe. - Ich schlafe." Nichts mehr. Ich lauschte und lauschte. Vergebens. Nichts mehr. Vor Ergriffenheit und Zittern muŸte ich mich auf die Kante der Pritsche stìtzen, um nicht vornìber auf Laponder zu fallen. Die T€uschung war so vollst€ndig gewesen, daŸ ich Mirjam momentelang tats€chlich vor mir liegen zu sehen glaubte und alle meine Kraft zusammennehmen muŸte, um nicht einen KuŸ auf die Lippen des Mærders zu drìcken. "Henoch! Henoch!" - hærte ich ihn plætzlich lallen, dann immer klarer und artikulierter: "Henoch! Henoch!" Sofort erkannte ich Hillel. "Bist du es, Hillel?" Keine Antwort. Ich erinnerte mich, gelesen zu haben, daŸ man Schlafenden, um sie zum Reden zu bringen, die Fragen nicht ins Ohr stellen dìrfe, sondern gegen das Nervengeflecht in der Magengrube richten mìsse. Ich tat es: "Hillel?" "Ja, ich hære dich!" "Ist Mirjam gesund? WeiŸt du alles?" fragte ich schnell. "Ja. Ich weiŸ alles. WuŸte es l€ngst. - Sei ohne Sorge, Henoch, und fìrchte dich nicht!" "Kannst du mir verzeihen, Hillel?" "Ich sage dir doch: sei ohne Sorge." "Werden wir uns bald wiedersehen?" - Ich fìrchtete, die Antwort nicht mehr verstehen zu kænnen; schon der letzte Satz war nur noch gehaucht worden. "Ich hoffe es. Ich will warten - auf dich - wenn ich kann - dann muŸ ich - Land -" "Wohin? In welches Land?" - ich fiel beinahe auf Laponder - "In welches Land? In welches Land?" "- Land - Gad - sìdlich - Pal€stina -" Die Stimme erstarb. Hundert Fragen schæssen mir in der Verwirrung durch den Kopf: Warum nennt er mich Henoch? Zwakh, Jaromir, die Uhr, Vrieslander, Angelina, Charousek. "Leben Sie wohl und gedenken Sie meiner zuweilen", kam es plætzlich wieder laut und deutlich von den Lippen des Mærders. Diesmal in Charouseks Tonfall, aber €hnlich so, als h€tte ich selbst es gesagt. Ich erinnerte mich: es war wærtlich der SchluŸsatz aus Charouseks Brief. - Das Gesicht Laponders lag bereits im Dunkel. Das Mondlicht fiel auf die Kopfenden des Strohsacks. In einer Viertelstunde muŸte es aus der Zelle verschwunden sein. Ich stellte Frage auf Frage, bekam aber keine Antwort mehr: Der Mærder lag unbeweglich da wie eine Leiche und hatte die Lider geschlossen. Ich machte mir die heftigsten Vorwìrfe, alle die Tage ìber in Laponder nur den Verbrecher und niemals den Menschen gesehen zu haben. - Nach dem, was ich soeben erlebt, war er offenbar ein Somnambuler - ein Geschæpf, das unter dem EinfluŸ des Vollmonds stand. Vielleicht hatte er den Lustmord in einer Art D€mmerzustand begangen. Bestimmt sogar. - Jetzt, wo der Morgen graute, war die Starrheit aus seinen Zìgen gewichen und hatte dem Ausdruck seligen Friedens Platz gemacht. So ruhig kann ein Mensch doch nicht schlummern, der einen Mord auf dem Gewissen hat, sagte ich mir. Ich konnte den Moment, wo er aufwachen wìrde, kaum erwarten. Ob er wohl wìŸte, was geschehen war? Endlich schlug er die Augen auf, begegnete meinem Blick und sah zur Seite. Sofort trat ich zu ihm und ergriff seine Hand: "Verzeihen Sie mir, Herr Laponder, daŸ ich bisher so unfreundlich zu Ihnen gewesen bin. Es war das Ungewohnte, das -" "Seien Sie ìberzeugt, mein Herr, ich begreife vollkommen," unterbrach er mich lebhaft, "daŸ es ein scheuŸliches Gefìhl sein muŸ, mit einem Lustmærder beisammen zu sein." "Reden Sie nicht mehr davon", bat ich. "Es ist mir heute nacht so mancherlei durch den Kopf gegangen, und ich werde den Gedanken nicht los, Sie kænnten vielleicht - - -" ich suchte nach Worten. "Sie halten mich fìr krank", half er mir heraus. Ich bejahte: "Ich glaube es aus gewissen Anzeichen schlieŸen zu dìrfen. Ich - ich - darf ich Ihnen eine direkte Frage stellen, Herr Laponder?" "Ich bitte darum." "Es klingt etwas merkwìrdig, - aber - wìrden Sie mir sagen, was Sie heute getr€umt haben?" Er schìttelte l€chelnd den Kopf: "Ich tr€ume nie." "Aber Sie haben aus dem Schlaf gesprochen." Er blickte ìberrascht auf. Dachte eine Weile nach. Dann sagte er bestimmt: "Das kann nur geschehen sein, wenn Sie mich etwas gefragt haben." - Ich gab es zu. "Denn wie gesagt, ich tr€ume nie. Ich - ich wandere", setzte er nach einer Pause halblaut hinzu. "Sie wandern? Wie soll ich das verstehen?" Er schien nicht recht mit der Sprache heraus zu wollen, und ich hielt es fìr angezeigt, ihm die Grìnde zu nennen, die mich bewogen hatten, in ihn zu dringen, und erz€hlte ihm in Umrissen, was nachts geschehen war. "Sie kænnen sich fest darauf verlassen," sagte er ernst, als ich zu Ende war, "daŸ alles auf Richtigkeit beruht, was ich im Schlaf gesprochen habe. Wenn ich vorhin bemerkte, daŸ ich nicht tr€ume, sondern ›wandere‹, so meine ich damit, daŸ mein Traumleben anders beschaffen ist als das - sagen wir: normaler Menschen. Nennen Sie es, wenn Sie wollen, ein Austreten aus dem Kærper. - - So war ich z. B. heute nacht in einem hæchst sonderbaren Zimmer, zu dem der Eingang von unten herauf durch eine Falltìr fìhrte." "Wie sah es aus?" fragte ich rasch. "War es unbewohnt? Leer?" "Nein; es standen Mæbel darin; aber nicht viele. Und ein Bett, in dem ein junges M€dchen schlief - oder wie scheintot lag, - und ein Mann saŸ neben ihr und hielt seine Hand ìber ihre Stirn." - Laponder schilderte die Gesichter der beiden. Kein Zweifel, es waren Hillel und Mirjam. Ich wagte vor Spannung kaum zu atmen. "Bitte, erz€hlen Sie weiter. War sonst noch jemand im Zimmer?" "Sonst noch jemand? Warten Sie - - - nein: sonst war niemand mehr im Zimmer. Ein siebenflammiger Leuchter brannte auf dem Tisch. - Dann ging ich eine Wendeltreppe hinunter." "Sie war zerbrochen?" fiel ich ein. "Zerbrochen? Nein, nein; sie war ganz in Ordnung. Und von ihr zweigte seitlich eine Kammer ab, darin saŸ ein Mann mit silbernen Schnallen an den Schuhen und von fremdartigem Typus, wie ich noch nie einen Menschen gesehen habe: von gelber Gesichtsfarbe und mit schr€gstehenden Augen; - er war vornìber gebeugt und schien auf etwas zu warten. Auf einen Auftrag vielleicht." "Ein Buch - ein altes groŸes Buch haben Sie nirgends gesehen?", forschte ich. Er rieb sich die Stirn: "Ein Buch sagen Sie? - Ja. Sehr richtig: ein Buch lag auf dem Boden. Es war aufgeschlagen, ganz aus Pergament, und mit einem groŸen, goldenen ›A‹ fing die Seite an." "Mit einem ›I‹, meinen Sie wohl?" "Nein, mit einem ›A‹." "Wissen Sie das bestimmt? War es nicht ein ›I‹?" "Nein, es war bestimmt ein ›A‹." Ich schìttelte den Kopf und fing an zu zweifeln. Offenbar hatte Laponder im Halbschlaf in meinem Vorstellungsinhalt gelesen und alles wirr durcheinander gebracht: Hillel, Mirjam, den Golem, das Buch Ibbur und den unterirdischen Gang. "Haben Sie die Gabe zu ›wandern‹, wie Sie es nennen, schon lang?", fragte ich. "Seit meinem 21. Jahr - - -", er stockte, schien nicht gern davon zu reden; da nahm seine Miene plætzlich den Ausdruck grenzenlosen Erstaunens an, und er starrte auf meine Brust, als ob er dort etwas s€he. Ohne auf meine Verwunderung zu achten, ergriff er hastig meine Hand und bat - fast flehentlich: "Um Himmels willen, sagen Sie mir alles. Es ist heute der letzte Tag, den ich bei Ihnen verbringen darf. Vielleicht schon in einer Stunde werde ich abgeholt, um mein Todesurteil anzuhæren - -." Ich unterbr€che ihn entsetzt: "Dann mìssen Sie mich mitnehmen als Zeugen! Ich werde beschwæren, daŸ Sie krank sind. - Sie sind mondsìchtig. Es darf nicht sein, daŸ man Sie hinrichtet, ohne Ihren Geisteszustand untersucht zu haben. So nehmen Sie doch Vernunft an!" Er wehrte nervæs ab: "Das ist doch so nebens€chlich, - bitte, sagen Sie mir alles!" "Aber was soll ich Ihnen denn sagen? - Reden wir doch lieber von Ihnen und - -" "Sie mìssen, ich weiŸ das jetzt, gewisse, seltsame Dinge erlebt haben, die mich nah angehen, - n€her als Sie ahnen kænnen; - - ich bitte Sie, sagen Sie mir alles!", flehte er. Ich konnte es nicht fassen, daŸ ihn mein Leben mehr interessierte als seine eigenen, doch wahrhaftig genìgend dringenden Angelegenheiten; um ihn aber zu beruhigen, erz€hlte ich ihm alles, was mir an Unbegreiflichem geschehen war. Bei jedem græŸeren Abschnitt nickte er zufrieden, wie jemand, der eine Sache bis zum Grund durchschaut. Als ich zu der Stelle kam, wo die Erscheinung ohne Kopf vor mir gestanden und mir die schwarzroten Kærner hingehalten hatte, konnte er es kaum erwarten, den SchluŸ zu erfahren. "Also, aus der Hand geschlagen haben Sie sie ihm", murmelte er sinnend. "Ich h€tte nie gedacht, daŸ es einen dritten ›Weg‹ geben kænnte. "Es war das kein dritter Weg", sagte ich, "es war derselbe, wie wenn ich die Kærner abgelehnt h€tte." Er l€chelte. "Glauben Sie nicht, Herr Laponder?" "Wenn Sie sie abgelehnt h€tten, w€ren Sie wohl auch den ›Weg des Lebens‹ gegangen, aber die Kærner, die magische Kr€fte bedeuten, w€ren nicht zurìckgeblieben. - So sind sie auf den Boden gerollt, wie Sie sagen. Das heiŸt: sie sind hiergeblieben und werden von Ihren Vorfahren so lange gehìtet, bis die Zeit des Keimens da ist. Dann werden die Kr€fte, die in Ihnen jetzt noch schlummern, lebendig werden." Ich verstand nicht: "Von meinen Vorfahren werden die Kærner behìtet?" "Sie mìssen es teilweise symbolisch auffassen, was Sie erlebt haben", erkl€rte Laponder. "Der Kreis der bl€ulich strahlenden Menschen, der Sie umstand, war die Kette der ererbten ›Iche‹, die jeder von einer Mutter Geborene mit sich herumschleppt. Die Seele ist nichts ›Einzelnes‹, - sie soll es erst werden, und das nennt man dann: ›Unsterblichkeit‹; Ihre Seele ist noch zusammengesetzt aus vielen ›Ichen‹ - so, wie ein Ameisenstaat aus vielen Ameisen; Sie tragen die seelischen Reste vieler tausend Vorfahren in sich: - die H€upter Ihres Geschlechtes. Bei allen Wesen ist es so. Wie kænnte denn ein Huhn, das aus einem Ei kìnstlich erbrìtet wurde, sich sogleich die richtige Nahrung suchen, wenn nicht die Erfahrung von Jahrmillionen in ihm st€ke? - Das Vorhandensein des ›Instinkts‹ verr€t die Gegenwart der Vorfahren im Leib und in der Seele. - Aber, verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht unterbrechen." Ich erz€hlte zu Ende. Alles. Auch das, was Mirjam ìber den "Hermaphroditen" gesagt hatte. Als ich innehielt und aufblickte, bemerkte ich, daŸ Laponder weiŸ geworden war wie der Kalk an der Wand und Tr€nen ìber seine Wangen liefen. Rasch stand ich auf, tat, als s€he ich es nicht, und ging in der Zelle auf und nieder, um abzuwarten, bis er sich beruhigt haben wìrde. Dann setzte ich mich ihm gegenìber und bot meine ganze Beredsamkeit auf, ihn zu ìberzeugen, wie dringend nætig es w€re, den Richtern gegenìber auf seinen krankhaften Geisteszustand hinzuweisen. "Wenn Sie wenigstens den Mord nicht eingestanden h€tten!", schloŸ ich. "Aber ich muŸte doch! Man hat mich auf mein Gewissen gefragt", sagte er naiv. "Halten Sie denn eine Lìge fìr schlimmer als - als einen Lustmord?", fragte ich verblìfft. "Im allgemeinen vielleicht nicht, in meinem Fall gewiŸ. - Sehen Sie: als ich vom Untersuchungsrichter gefragt wurde, ob ich gestìnde, hatte ich die Kraft, die Wahrheit zu sagen. Es stand also in meiner Wahl, zu lìgen oder nicht zu lìgen. - Als ich den Lustmord beging - - bitte, ersparen Sie mir die Details: es war so gr€Ÿlich, daŸ ich die Erinnerung nicht wieder aufleben lassen mæchte - - als ich den Lustmord beging, da hatte ich keine Wahl. Wenn ich auch bei vollkommen klarem BewuŸtsein handelte, so hatte ich dennoch keine Wahl: irgend etwas, dessen Vorhandensein in mir ich nie geahnt hatte, wachte auf und war st€rker als ich. Glauben Sie, wenn ich die Wahl gehabt haben wìrde, ich h€tte gemordet? - Nie habe ich getætet - nicht einmal das kleinste Tier, - und jetzt w€re ich es schon gar nicht mehr imstande. Nehmen Sie an, es w€re Menschengesetz: zu morden, und auf die Unterlassung stìnde der Tod - €hnlich, wie es im Krieg der Fall ist, - augenblicklich h€tte ich mir den Tod verdient. - Weil mir keine Wahl bliebe. Ich kænnte ganz einfach nicht morden. Damals, als ich den Lustmord beging, lag die Sache umgekehrt." "Um so mehr, wo Sie sich jetzt quasi als ein anderer fìhlen, mìssen Sie alles aufbieten, dem Richterspruch zu entgehen!", wandte ich ein. Laponder machte eine abwehrende Handbewegung: "Sie irren! Die Richter haben von ihrem Standpunkt aus ganz recht. Sollen sie einen Menschen wie mich vielleicht frei umherlaufen lassen? Damit morgen oder ìbermorgen wieder das Unheil losbricht?" "Nein; aber in einer Heilanstalt fìr Geisteskranke sollte man Sie internieren. Das ist es doch, was ich sage!" "Wenn ich irrsinnig w€re, h€tten Sie recht", erwiderte Laponder gleichmìtig. "Aber ich bin nicht irrsinnig. Ich bin etwas ganz anderes, - etwas, was dem Irrsinn sehr €hnlich sieht, aber gerade das Gegenteil ist. Bitte, hæren Sie zu. Sie werden mich sogleich verstehen. - - - Was Sie mir vorhin von dem Phantom ohne Kopf - ein Symbol natìrlich: dieses Phantom; den Schlìssel kænnen Sie leicht finden, wenn Sie darìber nachdenken - erz€hlten, ist mir einst genauso passiert. Nur habe ich die Kærner angenommen. Ich gehe also den ›Weg des Todes‹! - Fìr mich ist das Heiligste, das ich denken kann: meine Schritte vom Geistigen in mir lenken zu lassen. Blind, vertrauensvoll, wohin der Weg auch fìhren mag: ob zum Galgen oder zum Thron, ob zur Armut oder zum Reichtum. Niemals habe ich gezægert, wenn die Wahl in meine Hand gelegt war. Darum habe ich auch nicht gelogen, als die Wahl in meiner Hand lag. Kennen Sie die Worte des Propheten Micha: "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was der Herr von dir fordert,"? Wìrde ich gelogen haben, h€tte ich eine Ursache geschaffen, weil ich die Wahl hatte; - - als ich den Mord beging, schuf ich keine Ursache; nur die Wirkung einer in mir schlummernden, l€ngst gelegten Ursache, ìber die ich keine Gewalt mehr besaŸ, wurde frei. Also sind meine H€nde rein. Dadurch, daŸ das Geistige in mir mich zum Mærder werden lieŸ, hat es eine Hinrichtung an mir vollzogen; dadurch, daŸ mich die Menschen an den Galgen knìpfen, wird mein Schicksal losgelæst von dem ihrigen: - ich komme zur Freiheit." Er ist ein Heiliger, fìhlte ich, und das Haar str€ubte sich mir vor Schauder ìber meine eigene Kleinheit. "Sie haben mir erz€hlt, daŸ Sie durch den hypnotischen Eingriff eines Arztes in Ihr BewuŸtsein lange die Erinnerung an Ihre Jugendzeit vergessen hatten", fuhr er fort. "Es ist das das Kennzeichen - das Stigma - aller derer, die von der ›Schlange des geistigen Reiches‹ gebissen sind. Es scheint fast, als mìŸten in uns zwei Leben aufeinandergepfropft werden, wie ein Edelreis auf den wilden Baum, ehe das Wunder der Erweckung geschehen kann; - was sonst durch den Tod getrennt wird, geschieht hier durch Erlæschen der Erinnerung - manchmal nur durch eine plætzliche innere Umkehr. Bei mir war es so, daŸ ich scheinbar ohne €uŸere Ursache in meinem 21. Jahr eines Morgens wie ver€ndert erwachte. Was mir bis dahin lieb gewesen, erschien mir mit einemmal gleichgìltig: Das Leben kam mir dumm vor wie eine Indianergeschichte und verlor an Wirklichkeit; die Tr€ume wurden zu GewiŸheit - zu apodiktischer, beweiskr€ftiger GewiŸheit, verstehen Sie wohl: zu beweiskr€ftiger, realer GewiŸheit, und das Leben des Tages wurde zum Traum. Alle Menschen kænnten das, wenn sie den Schlìssel h€tten. Und der Schlìssel liegt einzig und allein darin, daŸ man sich seiner ›Ichgestalt‹, sozusagen seiner Haut, im Schlaf bewuŸt wird, - die schmale Ritze findet, durch die sich das BewuŸtsein zw€ngt zwischen Wachsein und Tiefschlaf. Darum sagte ich vorhin: ›ich wandere‹ und nicht: ›ich tr€ume‹. Das Ringen nach der Unsterblichkeit ist ein Kampf um das Zepter gegen die uns innewohnenden Kl€nge und Gespenster; und das Warten auf das Kænigwerden des eigenen ›Ichs‹ ist das Warten auf den Messias. Der schemenhafte Habal Garmin, den Sie gesehen haben, der ›Hauch der Knochen‹ der Kabbala, das war der Kænig. Wenn er gekrænt sein wird, dann - reiŸt der Strick entzwei, mit dem Sie durch die €uŸeren Sinne und den Schornstein des Verstandes an die Welt gebunden sind. Wieso es kommen konnte, daŸ ich trotz meinem Losgetrenntsein vom Leben ìber Nacht zum Lustmærder werden konnte, fragen Sie mich? Der Mensch ist wie ein Glasrohr, durch das bunte Kugeln laufen: bei fast allen im Leben nur die eine. Ist die Kugel rot, heiŸt der Mensch: ›schlecht‹. Ist sie gelb, dann ist der Mensch: ›gut‹. Laufen zwei hintereinander - eine rote und eine gelbe, dann hat ›man‹ einen ›ungefestigten‹ Charakter. Wir von der ›Schlange Gebissenen‹, machen in einem Leben durch, was sonst an der ganzen Rasse in einem Weltenalter geschieht: die farbigen Kugeln rasen hintereinander her durch das Glasrohr, und wenn sie zu Ende sind - - dann sind wir Propheten, - sind die Spiegel Gottes geworden." Laponder schwieg. Lange konnte ich kein Wort sprechen. Seine Rede hatte mich fast bet€ubt. "Weshalb fragten Sie mich vorhin so €ngstlich nach meinen Erlebnissen, wo Sie doch so viel, viel hæher stehen als ich?", fing ich endlich wieder an. "Sie irren," sagte Laponder, "ich stehe weit unter Ihnen. - Ich fragte Sie, weil ich fìhlte, daŸ Sie den Schlìssel besitzen, der mir noch fehlte." "Ich? Einen Schlìssel. O Gott!" "Jawohl Sie! Und Sie haben ihn mir gegeben. - Ich glaube nicht, daŸ es einen glìcklicheren Menschen auf Erden gibt, als ich es heute bin." DrauŸen entstand ein Ger€usch; die Riegel wurden zurìckgeschoben, - Laponder achtete kaum darauf: "Das mit dem Hermaphroditen war der Schlìssel. Jetzt habe ich die GewiŸheit. Schon deshalb bin ich froh, daŸ man mich holen kommt, denn bald bin ich am Ziel." Vor Tr€nen konnte ich Laponders Gesicht nicht mehr unterscheiden, ich hærte nur das L€cheln in seiner Stimme. "Und jetzt: Leben Sie wohl, Herr Pernath, und denken Sie: das, was man morgen aufhenkt, sind nur meine Kleider; Sie haben mir das Schænste eræffnet, - das Letzte, was ich noch nicht wuŸte. Jetzt geht's zur Hochzeit - - -," er stand auf und folgte dem Gefangenw€rter - "es h€ngt mit dem Lustmord eng zusammen", waren die letzten Worte, die ich hærte und nur dunkel begriff. 0x01 graphic Sooft seit jener Nacht der Vollmond am Himmel stand, glaubte ich immer wieder Laponders schlafendes Gesicht auf der grauen Leinwand des Bettes liegen zu sehen. In den n€chsten Tagen, nachdem er weggefìhrt worden war, hatte ich ein H€mmern und Zimmern aus dem Hinrichtungshof heraufdræhnen hæren, das manchmal bis zum Morgengrauen dauerte. Ich erriet, was es bedeutete, und hielt mir stundenlang die Ohren zu vor Verzweiflung. Monat um Monat verfloŸ. Ich sah, wie der Sommer zerrann, am Krankwerden des kìmmerlichen Laubs im Hof; roch es an dem pelzigen Hauch, der aus den Mauern drang. Wenn mein Blick bei den Rundg€ngen auf den sterbenden Baum fiel und das eingewachsene Glasbild der Heiligen in seiner Rinde, zog ich unwillkìrlich jedesmal den Vergleich, wie tief sich auch Laponders Gesicht in mich eingegraben hatte. Best€ndig trug ich es in mir herum, dieses Buddhagesicht mit der faltenlosen Haut und dem seltsamen, immerw€hrenden L€cheln. Ein einziges Mal noch - im September - hatte mich der Untersuchungsrichter holen lassen und miŸtrauisch gefragt, wie ich es begrìnden kænne, daŸ ich bei dem Bankschalter gesagt, ich mìsse dringend verreisen, und warum ich in den Stunden vor meiner Verhaftung so unruhig gewesen w€re und meine s€mtlichen Edelsteine zu mir gesteckt h€tte. Auf meine Antwort, ich sei mit der Absicht umgegangen, mir das Leben zu nehmen, hatte es wieder hinter dem Schreibtisch hæhnisch gemeckert. - Bis dahin war ich allein in meiner Zelle gewesen und konnte meinen Gedanken, meiner Trauer um Charousek, der, wie ich fìhlte, l€ngst tot sein muŸte, und Laponder und meiner Sehnsucht nach Mirjam nachh€ngen. Dann kamen wieder neue Gefangene: diebische Kommis mit verlebten Gesichtern, dickwanstige Bankkassierer, - "Waisenkinder", wie der schwarze Vãssatka sie genannt haben wìrde, - und verpesteten mir die Luft und die Stimmung. Eines Tages gab einer von ihnen voll Entrìstung zum besten, daŸ vor geraumer Zeit ein Lustmord in der Stadt geschehen sei. Zum Glìck h€tte man den T€ter sogleich erwischt und kurzen ProzeŸ mit ihm gemacht. "Laponder hat er geheiŸen, der Schuft, der gottserb€rmliche", schrie ein Kerl mit einer Raubtierschnauze, der wegen KindsmiŸhandlung zu - 14 Tagen Gef€ngnis verurteilt worden war, dazwischen. "Auf frischer Tat habn's'n g'faŸt. Die Lampen is umg'fallen bei dem Krawall und's Zimmer is ausbrennt. Die Leich' von dem M€del is dabei so verkohlt, daŸ mer bis zum heutigen Tage noch næt hat rausbringen kænnen, wer sie eigentlich war. Schwarze Haar hat's g'habt und a schmal's G'sicht, dæs is alls, was mer weiŸ. Und der Laponder hat net ums Verrecken rausg'rìckt mit ihrem Namen. - Wann's nach mir gangen w€r, i h€tt ihm d'Haut ab'zogen und Pfeffer drauf g'streut. - Dæs san halt die feinen Herren! Mærder san's, alle z'samm. - - - - Als ob's net anderne Mittel g'nua gebet, wann aner a M€del los sein wìll", setzte er mit zynischem L€cheln hinzu. Die Wut kochte in mir, und am liebsten h€tte ich den Halunken zu Boden geschlagen. Nacht fìr Nacht schnarchte er in dem Bett, auf dem Laponder gelegen. Ich atmete auf, als er endlich freigelassen wurde. Aber selbst da war ich ihn noch nicht los: seine Rede hatte sich wie ein Pfeil mit Widerhaken in mich eingebohrt. Fast best€ndig, haupts€chlich in der Dunkelheit, nagte jetzt in mir der grausige Verdacht, Mirjam kænnte das Opfer Laponders gewesen sein. Je mehr ich dagegen ank€mpfte, desto tiefer verstrickte ich mich in dem Gedanken, bis er beinahe zur fixen Idee wurde. Manchmal, besonders wenn der Mond grell durchs Gitter schien, wurde es besser: ich konnte mir die Stunden, die ich mit Laponder verlebt, dann lebendig machen, und das tiefe Gefìhl fìr ihn verscheuchte mir die Qual, - aber nur zu oft kamen die gr€Ÿlichen Minuten wieder, wo ich Mirjam ermordet und verkohlt im Geiste vor mir sah und glaubte, vor Angst den Verstand verlieren zu mìssen. Die schwachen Anhaltspunkte, die ich fìr meinen Verdacht hatte, verdichteten sich in solchen Zeiten zu einem geschlossenen Ganzen, - zu einem Gem€lde voll unbeschreiblich entsetzenerregender Einzelheiten. Anfang November gegen 10 Uhr abends, es war bereits stockfinster und die Verzweiflung in mir hatte einen derartigen Hæhepunkt erreicht, daŸ ich mich, um nicht laut aufzuschreien, in meinen Strohsack verbiŸ wie ein verdurstendes Tier, æffnete plætzlich der Gefangenw€rter die Zelle und forderte mich auf, mit ihm zum Untersuchungsrichter zu kommen. Ich fìhlte mich so schwach, daŸ ich mehr taumelte als ging. Die Hoffnung, jemals dieses schreckliche Haus verlassen zu dìrfen, war l€ngst in mir gestorben. Ich machte mich darauf gefaŸt, wieder eine kalte Frage gestellt zu bekommen, das stereotype Gemecker hinter dem Schreibtisch zu hæren und dann zurìck in die Finsternis zu mìssen. Der Herr Baron Leisetreter war bereits nach Hause gegangen und nur ein alter, buckliger Schreiber mit Spinnenfingern stand im Zimmer. Dumpf wartete ich, was mit mir geschehen wìrde. Es fiel mir auf, daŸ der Gefangenw€rter mit hereingekommen war und mir gutmìtig zublinzelte, aber ich war viel zu niedergeschlagen, als daŸ ich mir ìber die Bedeutung alles dessen h€tte klarwerden kænnen. "Die Untersuchung hat ergeben", fing der Schreiber an, meckerte, stieg auf einen Sessel und kramte erst lange auf dem Bìcherbord nach Schriftstìcken, ehe er fortfuhr: "hat ergeben, daŸ der in Frage kommende Karl Zottmann vor seinem Tode anl€Ÿlich einer heimlichen Zusammenkunft mit der unverehelichten ehemaligen Prostituierten Rosina Metzeles, die damaliger Zeit den Spitznamen ›die rote Rosina‹ fìhrte, dann sp€ter von einem taubstummen, nunmehr unter polizeilicher Aufsicht stehenden Silhubettenschneider namens Jaromir Kw¡Ÿnitschka aus dem Weinsalon ›Kautsky‹ losgekauft wurde und seit einigen Monaten mit Seiner Durchlaucht dem Fìrsten Ferri Athenst€dt im gemeinsamen, wilden Konkubinate als Maiteresse lebt, von hinterlistiger Hand in ein unterirdisches, aufgelassenes Kellergewælbe des Hauses Nummer conscriptionis 21873, gebrochen durch ræmisch III, der HahnpaŸgasse, laufende Numero sieben, gelockt, dortselbst eingeschlossen und sich selbst, beziehungsweise dem Tode durch Verhungern oder Erfrieren ìberlassen wurde. - - Der obenerw€hnte Zottmann n€mlich", erkl€rte der Schreiber mit einem Blick ìber die Brille hinweg und bl€tterte ein paarmal um. "Die Untersuchung hat weiters ergeben, daŸ der obenerw€hnte Karl Zottmann allem Anscheine nach - nach eingetretenem Ableben - seiner s€mtlichen bei ihm getragenen Habseligkeiten, insbesondere seiner sub faszikel ræmisch P gebrochen durch ›B€h‹ beigeschlossenen doppelmanteligen Taschenuhr" - der Schreiber hob die Uhr an der Kette in die Hæhe - "beraubt wurde. Der eidesstattlichen Aussage des Silhubettenschnitzers Jaromir Kw¡Ÿnitschka, verwaisten Sohnes des vor 17 Jahren verstorbenen Hostienb€ckers gleichen Namens: die Uhr im Bette seines inzwischen flìchtig gegangenen Bruders Loisa gefunden und