Эрих Мария Ремарк. На западном фронте без перемен (germ)
     OCR, Spellcheck: Илья Франк, http://franklang.ru (мультиязыковой проект. Ильи Франка)
     Erich Maria Remarque
     Im Westen nichts Neues
     Dieses Buch soll weder eine Anklage
     noch ein Bekenntnis sein.
     Es soll nur den Versuch machen,
     uber eine Generation zu berichten,
     die vom Kriege zersturt wurde -
     auch wenn sie seinen Granaten entkam.
        I
     Wir  liegen  neun  Kilometer  hinter  der  Front.  Gestern  wurden  wir
abgelust; jetzt haben wir den Magen voll weißer Bohnen mit Rindfleisch
und  sind  satt  und  zufrieden.  Sogar  fur  abends  hat   jeder  noch  ein
Kochgeschirr voll fassen kunnen; dazu gibt es außerdem doppelte Wurst-
und Brotportionen  - das  schafft.  So ein  Fall ist schon  lange nicht mehr
dagewesen:  der  Kuchenbulle  mit seinem roten Tomatenkopf bietet  das Essen
direkt  an; jedem, der  vorbeikommt, winkt er mit seinem Luffel zu und fullt
ihm  einen kruftigen Schlag ein.  Er ist  ganz verzweifelt,  weil  er  nicht
weiß, wie er seine Gulaschkanone leer  kriegen soll. Tjaden und Muller
haben  ein paar Waschschusseln  aufgetrieben  und  sie  sich  bis  zum  Rand
gestrichen  voll   geben  lassen,   als   Reserve.  Tjaden  macht  das   aus
Freßsucht, Muller aus Vorsicht. Wo Tjaden es lußt, ist allen ein
Rutsel. Er ist und bleibt ein magerer Hering.
     Das Wichtigste  aber  ist, daß  es auch  doppelte  Rauchportionen
gegeben hat. Fur  jeden zehn  Zigarren,  zwanzig  Zigaretten und  zwei Stuck
Kautabak, das ist sehr  anstundig. Ich habe  meinen Kautabak  mit Katczinsky
gegen seine  Zigaretten getauscht,  das macht  fur mich vierzig  Zigaretten.
Damit langt man schon einen Tag.
     Dabei steht uns diese ganze Bescherung eigentlich nicht zu. So splendid
sind die Preußen nicht. Wir haben sie nur einem Irrtum zu verdanken.
     Vor  vierzehn Tagen mußten  wir  nach vorn, um  abzulusen. Es war
ziemlich ruhig in unserm Abschnitt, und der Furier hatte deshalb fur den Tag
unserer  Ruckkehr  das  normale Quantum  Lebensmittel erhalten und  fur  die
hundertfunfzig Mann starke Kompanie vorgesorgt.  Nun  aber  gab es gerade am
letzten Tage bei uns uberraschend viel Langrohr und dicke Brocken, englische
Artillerie,  die  stundig  auf  unsere Stellung trommelte, so daß  wir
starke Verluste hatten und nur mit achtzig Mann zuruckkamen.
     Wir waren nachts eingeruckt und hatten uns gleich hingehauen,  um  erst
einmal anstundig zu schlafen; denn Katczinsky hat recht: es wure alles nicht
so schlimm mit dem Krieg, wenn man nur mehr Schlaf haben wurde. Vorne ist es
doch nie etwas damit, und vierzehn Tage jedes mal sind eine lange Zeit.
     Es war schon  Mittag, als die ersten von uns aus den  Baracken krochen.
Eine halbe Stunde  sputer  hatte jeder  sein Kochgeschirr gegriffen, und wir
versammelten uns  vor der Gulaschmarie, die fettig und nahrhaft roch. An der
Spitze naturlich die  Hungrigsten: der kleine  Albert Kropp,  der von uns am
klarsten denkt und  deshalb  erst  Gefreiter  ist;  -  Muller  V,  der  noch
Schulbucher mit sich herumschleppt und vom Notexamen truumt; im Trommelfeuer
buffelt er  physikalische  Lehrsutze; - Leer, der einen Vollbart  trugt  und
große Vorliebe  fur Mudchen  aus den Offizierspuffs  hat;  er  schwurt
darauf, daß sie  durch Armeebefehl verpflichtet wuren, seidene  Hemden
zu tragen  und bei Gusten vom Hauptmann aufwurts vorher zu baden; - und  als
vierter  ich,  Paul Buumer. Alle  vier neunzehn Jahre  alt,  alle  vier  aus
derselben Klasse in den Krieg gegangen.
     Dicht hinter uns unsere  Freunde. Tjaden, ein magerer Schlosser, so alt
wie wir, der grußte Fresser der  Kompanie. Er  setzt  sich schlank zum
Essen  hin  und  steht dick  wie eine  schwangere Wanze wieder auf;  -  Haie
Westhus,  gleich alt, Torfstecher,  der bequem ein  Kommißbrot in eine
Hand  nehmen  und  fragen kann:  Ratet mal, was ich  in der  Faust  habe;  -
Detering, ein Bauer, der nur an seinen  Hof  und an  seine Frau denkt; - und
endlich  Stanislaus  Katczinsky,  das  Haupt  unserer  Gruppe, zuh,  schlau,
gerissen, vierzig Jahre alt, mit einem Gesicht  aus  Erde, mit blauen Augen,
hungenden  Schultern und einer wunderbaren  Witterung fur dicke Luft,  gutes
Essen und schune Druckposten. Unsere Gruppe bildete die  Spitze der Schlange
vor   der  Gulaschkanone.  Wir  wurden  ungeduldig,   denn  der  ahnungslose
Kuchenkarl stand noch immer  und wartete.  Endlich  rief Katczinsky  ihm zu:
"Nun  mach  deinen  Bouillonkeller  schon  auf, Heinrich!  Man  sieht  doch,
daß die Bohnen gar sind."
     Der schuttelte schlufrig den Kopf: "Erst mußt ihr alle da sein."
     Tjaden grinste: "Wir sind alle da."
     Der Unteroffizier merkte  noch nichts.  "Das kunnte euch so  passen! Wo
sind denn die andern?"
     "Die   werden  heute   nicht   von  dir   verpflegt!  Feldlazarett  und
Massengrab."
     Der Kuchenbulle war erschlagen, als er die Tatsachen erfuhr. Er wankte.
     "Und ich habe fur hundertfunfzig Mann gekocht."
     Kropp stieß ihm in die Rippen. "Dann werden wir endlich mal satt.
Los, fang an!"
     Plutzlich  aber  durchfuhr   Tjaden  eine   Erleuchtung.  Sein  spitzes
Mausegesicht  fing ordentlich an  zu  schimmern, die Augen wurden klein  vor
Schlauheit, die Backen  zuckten, und er trat dichter  heran: "Menschenskind,
dann hast  du ja auch  fur  hundertfunfzig  Mann  Brot  empfangen, was?" Der
Unteroffizier  nickte verdattert und  geistesabwesend.  Tjaden packte ihn am
Rock. "Und Wurst auch?"
     Der Tomatenkopf nickte wieder.
     Tjadens Kiefer bebten. "Tabak auch?"
     "Ja, alles."
     Tjaden  sah  sich strahlend  um.  "Donnerwetter, das nennt  man Schwein
haben! Das  ist dann  ja  alles fur  uns! Da kriegt  jeder ja - wartet mal -
tatsuchlich, genau doppelte Portionen!"
     Jetzt aber erwachte die Tomate wieder zum Leben und erklurte: "Das geht
nicht."
     Doch nun wurden auch wir munter und schoben uns heran.
     "Warum geht das denn nicht, du Mohrrube?" fragte Katczinsky.
     "Was fur hundertfunfzig Mann ist, kann doch nicht fur achtzig sein."
     "Das werden wir dir schon zeigen", knurrte Muller.
     "Das  Essen meinetwegen, aber  Portionen kann ich  nur fur achtzig Mann
ausgeben", beharrte die Tomate.
     Katczinsky wurde  urgerlich. "Du mußt  wohl mal  abgelust werden,
was? Du  hast  nicht  fur achtzig Mann, sondern fur die  2. Kompanie  Furage
empfangen, fertig. Die gibst du aus! Die 2. Kompanie sind wir."
     Wir ruckten dem Kerl auf den Leib. Keiner konnte ihn gut leiden, er war
schon ein paarmal schuld daran  gewesen, daß  wir im Graben das  Essen
viel  zu  sput und kalt bekommen hatten, weil er sich  bei etwas Granatfeuer
mit  seinem  Kessel  nicht  nahe  genug  herantraute,  so  daß  unsere
Essenholer einen viel  weiteren Weg machen mußten als  die  der andern
Kompanien.  Da war  Bulcke von  der ersten ein besserer Bursche. Er war zwar
fett wie  ein Winterhamster, aber er  schleppte, wenn es  darauf ankam,  die
Tupfe selbst bis zur vordersten Linie.
     Wir  waren  gerade  in  der  richtigen Stimmung,  und es hutte bestimmt
Kleinholz gegeben,  wenn  nicht unser  Kompaniefuhrer aufgetaucht  wure.  Er
erkundigte  sich nach dem Streitfall und sagte vorluufig nur: "Ja, wir haben
gestern starke Verluste gehabt -"
     Dann guckte er in den Kessel. "Die Bohnen scheinen gut zu sein."
     Die Tomate nickte. "Mit Fett und Fleisch gekocht."
     Der Leutnant sah uns an.  Er  wußte, was wir dachten.  Auch sonst
wußte er noch manches, denn  er war zwischen uns  groß  geworden
und  als Unteroffizier zur Kompanie gekommen. Er hob den  Deckel noch einmal
vom Kessel  und schnupperte. Im  Weggehen sagte er: "Bringt  mir auch  einen
Teller  voll.  Und  die  Portionen  werden  alle  verteilt.  Wir  kunnen sie
brauchen."
     Die Tomate machte ein dummes Gesicht. Tjaden tanzte um sie herum.
     "Das schadet dir gar nichts! Als ob ihm das  Proviantamt gehurt, so tut
er. Und nun fang an, du alter Speckjuger, und verzuhle dich nicht -"
     "Hung  dich auf!"  fauchte die  Tomate. Sie war geplatzt, so etwas ging
ihr gegen den Verstand. Sie begriff die Welt nicht mehr. Und als  wollte sie
zeigen,  daß  nun  schon  alles  egal  sei,  verteilte  sie  pro  Kopf
freiwillig noch ein halbes Pfund Kunsthonig.
     Der Tag  ist wirklich  gut heute. Sogar Post ist da, fast jeder hat ein
paar  Briefe  und  Zeitungen.  Nun schlendern  wir zu der Wiese  hinter  den
Baracken  hinuber. Kropp hat den runden Deckel eines  Margarinefasses unterm
Arm.
     Am rechten  Rande der Wiese ist  eine große Massenlatrine erbaut,
ein uberdachtes,  stabiles Gebuude. Doch das ist was fur Rekruten, die  noch
nicht  gelernt haben, aus  jeder Sache  Vorteil zu ziehen.  Wir suchen etwas
Besseres.  uberall  verstreut stehen  numlich noch  kleine Einzelkusten  fur
denselben  Zweck.  Sie sind viereckig,  sauber,  ganz aus  Holz getischlert,
rundum  geschlossen,   mit   einem   tadellosen,  bequemen  Sitz.   An   den
Seitenfluchen befinden sich Handgriffe, so daß  man sie transportieren
kann.
     Wir rucken drei im Kreise zusammen und nehmen gemutlich Platz. Vor zwei
Stunden werden wir hier nicht wieder aufstehen.
     Ich weiß  noch, wie wir uns anfangs genierten als Rekruten in der
Kaserne, wenn wir die Gemeinschaftslatrine benutzen mußten. Turen gibt
es da nicht, es sitzen zwanzig Mann nebeneinander  wie in der Eisenbahn. Sie
sind mit einem Blick zu  ubersehen; -  der  Soldat soll  eben  stundig unter
Aufsicht sein.
     Wir  haben  inzwischen  mehr  gelernt, als  das bißchen Scham  zu
uberwinden. Mit der Zeit wurde uns noch ganz anderes geluufig.
     Hier  draußen ist die Sache  aber geradezu ein  Genuß.  Ich
weiß nicht  mehr,  weshalb wir fruher  an  diesen  Dingen immer  scheu
vorbeigehen  mußten, sie  sind  ja  ebenso  naturlich  wie  Essen  und
Trinken.  Und man brauchte  sich vielleicht auch nicht besonders  daruber zu
uußern, wenn sie nicht so eine wesentliche  Rolle bei uns spielten und
gerade   uns   neu   gewesen  wuren  -  den   ubrigen   waren   sie   lungst
selbstverstundlich.
     Dem Soldaten ist sein Magen und seine Verdauung ein vertrauteres Gebiet
als jedem anderen  Menschen.  Drei  Viertel  seines  Wortschatzes  sind  ihm
entnommen, und sowohl der  Ausdruck huchster Freude als  auch  der  tiefster
Entrustung findet hier seine kernige Untermalung. Es ist unmuglich, sich auf
eine andere  Art so  knapp  und  klar  zu  uußern. Unsere Familien und
unsere Lehrer werden sich schun wundern, wenn wir nach Hause kommen, aber es
ist hier nun einmal die Universalsprache.
     Fur  uns  haben  diese  ganzen  Vorgunge  den  Charakter  der  Unschuld
wiedererhalten durch ihre zwangsmußige  uffentlichkeit. Mehr noch: sie
sind uns so selbstverstundlich, daß ihre gemutliche
     Erledigung   ebenso   gewertet   wird   wie   meinetwegen   ein   schun
durchgefuhrter,  bombensicherer  Grand  ohne  viere. Nicht umsonst  ist  fur
Geschwutz aller Art  das  Wort  "Latrinenparole" entstanden; diese Orte sind
die Klatschecken und der Stammtischersatz beim Kommiß.
     Wir  fuhlen  uns  augenblicklich  wohler  als  im  noch  so  weiß
gekachelten Luxuslokus. Dort kann es  nur hygienisch sein;  hier aber ist es
schun.
     Es  sind  wunderbar  gedankenlose Stunden.  uber uns  steht  der  blaue
Himmel.  Am  Horizont hungen  hellbestrahlte  gelbe  Fesselballons  und  die
weißen Wulkchen  der  Flakgeschosse. Manchmal schnellen sie  wie  eine
Garbe hoch, wenn sie einen Flieger verfolgen.
     Nur wie  ein  sehr fernes Gewitter  huren wir das gedumpfte Brummen der
Front. Hummeln, die vorubersummen, ubertunen es schon.
     Und rund um  uns liegt die bluhende Wiese. Die zarten Rispen der Gruser
wiegen sich, Kohlweißlinge  taumeln heran,  sie schweben  im  weichen,
warmen Wind des Sputsommers, wir lesen Briefe und Zeitungen und rauchen, wir
setzen  die Mutzen ab und  legen  sie neben uns, der Wind spielt mit unseren
Haaren, er spielt mit unseren Worten und Gedanken.
     Die drei Kusten stehen mitten im leuchtenden, roten Klatschmohn. -
     Wir legen den Deckel des Margarinefasses auf unsere Knie.  So haben wir
eine  gute  Unterlage zum Skatspielen. Kropp hat die Karten  bei sich.  Nach
jedem Nullouvert  wird eine Partie Schieberamsch eingelegt. Man kunnte  ewig
so sitzen.
     Die Tune  einer Ziehharmonika klingen von  den Baracken  her.  Manchmal
legen wir die  Karten hin und sehen uns an. Einer sagt dann: "Kinder, Kinder
-",  oder:  "Das  hutte  schiefgehen kunnen  -",  und  wir  versinken  einen
Augenblick in  Schweigen. In uns  ist ein starkes, verhaltenes Gefuhl, jeder
spurt  es,  das  braucht  nicht  viele Worte.  Leicht hutte es  sein kunnen,
daß  wir heute  nicht auf unsern Kusten  sußen, es war  verdammt
nahe daran. Und darum ist alles neu  und stark -  der rote Mohn und das gute
Essen, die Zigaretten und der Sommerwind.
     Kropp fragt: "Hat einer von euch Kemmerich noch mal gesehen?"
     "Er liegt in St. Joseph", sage ich.
     Muller meint, er habe einen  Oberschenkeldurchschuß,  einen guten
Heimatpaß.
     Wir beschließen, ihn nachmittags zu besuchen.
     Kropp  holt  einen  Brief  hervor.  "Ich  soll  euch  grußen  von
Kantorek."
     Wir lachen. Muller wirft seine Zigarette weg und sagt: "Ich wollte, der
wure hier."
     Kantorek  war unser Klassenlehrer, ein strenger, kleiner Mann in grauem
Schoßrock,  mit  einem  Spitzmausgesicht. Er  hatte ungefuhr  dieselbe
Statur   wie   der  Unteroffizier  Himmelstoß,   der  "Schrecken   des
Klosterberges".  Es ist ubrigens komisch,  daß das Ungluck der Welt so
oft   von   kleinen  Leuten   herruhrt,  sie  sind  viel   energischer   und
unvertruglicher  als  großgewachsene.  Ich habe mich stets gehutet, in
Abteilungen  mit  kleinen  Kompaniefuhrern  zu  geraten;  es  sind  meistens
verfluchte Schinder.
     Kantorek hielt uns in den  Turnstunden  so  lange  Vortruge, bis unsere
Klasse unter seiner Fuhrung  geschlossen  zum Bezirkskommando  zog und  sich
meldete. Ich  sehe ihn noch  vor  mir, wie er uns durch seine  Brillengluser
anfunkelte  und  mit  ergriffener  Stimme  fragte:   "Ihr   geht  doch  mit,
Kameraden?"
     Diese Erzieher haben ihr Gefuhl  so oft in der Westentasche parat;  sie
geben es ja  auch stundenweise aus. Doch daruber machten wir uns damals noch
keine Gedanken.
     Einer  von uns allerdings  zugerte und wollte nicht recht mit.  Das war
Josef Behm, ein dicker, gemutlicher  Bursche. Er  ließ  sich dann aber
uberreden, er hutte sich  auch  sonst unmuglich gemacht. Vielleicht  dachten
noch mehrere so wie er; aber es konnte  sich niemand gut ausschließen,
denn mit dem Wort "feige"  waren  um  diese Zeit sogar Eltern rasch bei  der
Hand.  Die  Menschen  hatten  eben alle keine  Ahnung von  dem, was kam.  Am
vernunftigsten waren eigentlich die armen  und  einfachen Leute; sie hielten
den Krieg  gleich fur ein Ungluck,  wuhrend die bessergestellten  vor Freude
nicht aus  noch ein  wußten, obschon gerade sie sich  uber die  Folgen
viel eher hutten klarwerden kunnen.
     Katczinsky behauptet, das kume von der Bildung, sie mache dumlich.  Und
was Kat sagt, das hat er sich uberlegt.
     Sonderbarerweise war Behm einer der ersten,  die fielen. Er erhielt bei
einem Sturm einen Schuß in die Augen, und wir ließen ihn fur tot
liegen.  Mitnehmen  konnten  wir  ihn  nicht,  weil  wir  ubersturzt  zuruck
mußten. Nachmittags  hurten wir  ihn  plutzlich rufen  und  sahen  ihn
draußen  herumkriechen.  Er war  nur bewußtlos gewesen.  Weil er
nichts  sah  und  wild vor  Schmerzen war, nutzte  er keine Deckung  aus, so
daß er von druben abgeschossen wurde,  ehe jemand herankam, um ihn  zu
holen.
     Man  kann Kantorek naturlich nicht damit in  Zusammenhang bringen; - wo
bliebe  die Welt sonst, wenn man das  schon Schuld nennen wollte. Es  gab ja
Tausende  von Kantoreks, die alle uberzeugt waren, auf eine fur sie  bequeme
Weise das Beste zu tun.
     Darin liegt aber gerade fur uns ihr Bankerott.
     Sie  sollten uns Achtzehnjuhrigen  Vermittler und  Fuhrer zur  Welt des
Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der  Kultur und des
Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie  manchmal und spielten ihnen
Meine  Streiche, aber im Grunde  glaubten  wir  ihnen.  Mit  dem Begriff der
Autoritut,  dessen  Truger  sie  waren,  verband  sich  m  unseren  Gedanken
grußere Einsicht und  menschlicheres Wissen.  Doch der erste Tote, den
wir  sahen,  zertrummerte  diese  uberzeugung.  Wir  mußten  erkennen,
daß unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die
Phrase  und die Geschicklichkeit voraus. Das  erste Trommelfeuer  zeigte uns
unseren Irrtum, und unter  ihm sturzte  die Weltanschauung zusammen, die sie
uns gelehrt hatten.
     Wuhrend  sie  noch  schrieben  und  redeten,  sahen  wir  Lazarette und
Sterbende;  -  wuhrend  sie  den  Dienst  am  Staate  als  das  Grußte
bezeichneten,  wußten  wir  bereits,  daß die Todesangst sturker
ist.  Wir wurden darum keine Meuterer,  keine Deserteure, keine  Feiglinge -
alle diese Ausdrucke waren ihnen ja so leicht zur Hand -, wir liebten unsere
Heimat genauso wie sie, und wir  gingen bei  jedem Angriff mutig vor; - aber
wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen  gelernt.  Und  wir
sahen, daß nichts von ihrer Welt ubrig blieb. Wir waren plutzlich  auf
furchtbare Weise allein; - und wir mußten allein damit fertig werden.
     Bevor wir zu Kemmerich aufbrechen, packen wir seine Sachen ein; er wird
sie unterwegs gut brauchen kunnen.
     Im Feldlazarett  ist  großer  Betrieb; es riecht wie  immer  nach
Karbol, Eiter und Schweiß. Man ist  aus  den Baracken manches gewohnt,
aber hier kann einem doch flau  werden. Wir fragen uns nach Kemmerich durch;
er liegt in  einem Saal und empfungt uns  mit einem  schwachen Ausdruck  von
Freude und hilfloser Aufregung.  Wuhrend er bewußtlos war, hat man ihm
seine Uhr gestohlen.
     Muller schuttelt den Kopf: "Ich habe dir ja immer gesagt, daß man
eine so gute Uhr nicht mitnimmt."
     Muller ist  etwas  tapsig und  rechthaberisch. Sonst  wurde er den Mund
halten, denn jeder  sieht, daß  Kemmerich nicht mehr  aus diesem  Saal
herauskommt.  Ob  er  seine  Uhr  wiederfindet, ist  ganz  egal,  huchstens,
daß man sie nach Hause schicken kunnte.
     "Wie geht's denn, Franz?" fragt Kropp.
     Kemmerich lußt den Kopf sinken. "Es geht ja - ich habe bloß
so verfluchte Schmerzen im Fuß."
     Wir sehen auf seine Decke. Sein Bein  liegt  unter einem Drahtkorb, das
Deckbett  wulbt  sich dick daruber.  Ich trete Muller gegen  das Schienbein,
denn  er  bruchte  es  fertig, Kemmerich  zu  sagen,  was  uns die Sanituter
draußen schon erzuhlt haben: daß Kemmerich keinen Fuß mehr
hat. Das Bein ist amputiert.
     Er sieht schrecklich  aus,  gelb und fahl,  im Gesicht sind  schon  die
fremden  Linien,  die wir so  genau  kennen,  weil wir sie schon  hundertmal
gesehen haben. Es sind eigentlich keine  Linien, es sind mehr Zeichen. Unter
der Haut pulsiert kein Leben mehr; es ist bereits herausgedrungt  bis an den
Rand  des  Kurpers,  von  innen  arbeitet  sich  der  Tod durch,  die  Augen
beherrscht er schon.  Dort liegt unser  Kamerad Kemmerich,  der mit uns  vor
kurzem noch Pferdefleisch gebraten und im Trichter gehockt hat; - er  ist es
noch,  und er ist  es doch nicht mehr, verwaschen, unbestimmt ist sein  Bild
geworden,  wie  eine fotografische  Platte, auf der  zwei Aufnahmen  gemacht
worden sind. Selbst seine Stimme klingt wie Asche.
     Ich  denke daran,  wie wir damals abfuhren.  Seine  Mutter, eine  gute,
dicke Frau, brachte ihn zum Bahnhof. Sie weinte  ununterbrochen, ihr Gesicht
war davon  gedunsen und geschwollen. Kemmerich genierte sich  deswegen, denn
sie war am  wenigsten gefaßt von allen, sie  zerfloß furmlich in
Fett und Wasser. Dabei hatte sie es auf mich abgesehen, immer wieder ergriff
sie meinen Arm  und  flehte mich an, auf Franz draußen achtzugeben. Er
hatte allerdings  auch  ein  Gesicht wie  ein Kind  und so  weiche  Knochen,
daß er nach vier  Wochen Tornistertragen  schon Plattfuße bekam.
Aber wie kann man im Felde auf jemand achtgeben!
     "Du wirst ja nun nach Hause kommen", sagt Kropp, "auf Urlaub huttest du
mindestens noch drei, vier Monate warten mussen."
     Kemmerich nickt. Ich  kann seine Hunde nicht gut ansehen, sie sind  wie
Wachs. Unter den  Nugeln sitzt der Schmutz des Grabens, er sieht blauschwarz
aus  wie Gift.  Mir fullt ein,  daß  diese Nugel weiterwachsen werden,
lange  noch,  gespenstische Kellergewuchse, wenn Kemmerich lungst nicht mehr
atmet. Ich sehe das  Bild vor  mir: sie krummen  sich  zu  Korkenziehern und
wachsen und wachsen,  und mit  ihnen die Haare auf dem zerfallenden Schudel,
wie Gras auf gutem Boden, genau wie Gras, wie ist das nur muglich -?
     Muller buckt sich. "Wir haben deine Sachen mitgebracht, Franz."
     Kemmerich zeigt mit der Hand. "Legt sie unters Bett."
     Muller tut es. Kemmerich fungt wieder von der  Uhr an. Wie soll man ihn
nur beruhigen, ohne ihn mißtrauisch zu machen!
     Muller  taucht  mit einem  Paar  Fliegerstiefel  wieder  auf.  Es  sind
herrliche  englische Schuhe  aus weichem,  gelbem Leder, die  bis  zum  Knie
reichen  und ganz hinauf geschnurt  werden, eine begehrte Sache. Muller  ist
von ihrem  Anblick  begeistert,  er hult  ihre Sohlen  gegen  seine  eigenen
klobigen Schuhe und fragt: "Willst du denn die Stiefel mitnehmen, Franz?"
     Wir denken alle  drei das  gleiche: selbst wenn er gesund wurde, kunnte
er nur  einen gebrauchen, sie wuren fur ihn also wertlos. Aber wie  es jetzt
steht,  ist es ein Jammer, daß sie  hierbleiben;  - denn die Sanituter
werden sie naturlich sofort wegschnappen, wenn er tot ist.
     Muller wiederholt: "Willst du sie nicht hier lassen?"
     Kemmerich will nicht. Es sind seine besten Stucke.
     "Wir  kunnen sie  ja  umtauschen",  schlugt Muller  wieder  vor,  "hier
draußen kann man so was brauchen."
     Doch Kemmerich ist nicht zu bewegen.
     Ich trete Muller auf den Fuß; er legt die schunen Stiefel zugernd
wieder unter das Bett.
     Wir reden noch einiges und verabschieden uns dann. "Mach's gut, Franz."
     Ich  verspreche  ihm,  morgen wiederzukommen.  Muller  redet  ebenfalls
davon; er denkt an die Schnurschuhe und will deshalb auf dem Posten sein.
     Kemmerich  stuhnt.  Er  hat  Fieber.  Wir  halten  draußen  einen
Sanituter an und reden ihm zu, Kemmerich eine Spritze zu geben.
     Er lehnt ab. "Wenn wir jedem Morphium geben  wollten,  mußten wir
Fusser voll haben -"
     "Du bedienst wohl nur Offiziere", sagt Kropp gehussig.
     Rasch lege ich mich ins Mittel und gebe dem Sanituter zunuchst mal eine
Zigarette. Er  nimmt sie.  Dann  frage ich:  "Darfst du denn  uberhaupt eine
machen?"
     Er ist beleidigt. "Wenn ihr's nicht glaubt, was fragt ihr mich -"
     Ich  drucke  ihm  noch  ein  paar Zigaretten  in die Hand.  "Tu uns den
Gefallen -"
     "Na, schun",  sagt er. Kropp geht mit  hinein, er  traut ihm  nicht und
will zusehen. Wir warten draußen.
     Muller fungt  wieder  von  den Stiefeln an." Sie  wurden  mir  tadellos
passen. In  diesen Kuhnen  laufe ich  mir Blasen  uber Blasen.  Glaubst  du,
daß  er durchhult  bis morgen nach dem Dienst?  Wenn er nachts abgeht,
haben wir die Stiefel gesehen -"
     Albert kommt zuruck. "Meint ihr -?" fragt er.
     "Erledigt", sagt Muller abschließend.
     Wir  gehen zu unsern Baracken zuruck. Ich denke  an den  Brief, den ich
morgen  schreiben  muß  an Kemmerichs Mutter. Mich friert.  Ich muchte
einen Schnaps trinken. Muller rupft  Gruser aus  und kaut  daran.  Plutzlich
wirft  der  kleine Kropp seine  Zigarette weg, trampelt  wild  darauf herum,
sieht sich um, mit  einem aufgelusten und versturten Gesicht, und  stammelt:
"Verfluchte Scheiße, diese verfluchte Scheiße."
     Wir gehen  weiter, eine lange Zeit. Kropp hat sich beruhigt, wir kennen
das, es ist der  Frontkoller, jeder hat  ihn mal. Muller fragt ihn: "Was hat
dir der Kantorek eigentlich geschrieben?"
     Er lacht: "Wir wuren die eiserne Jugend."
     Wir lachen  alle drei urgerlich. Kropp schimpft; er ist froh, daß
er reden kann. -
     Ja, so denken sie, so denken sie, die hunderttausend Kantoreks! Eiserne
Jugend.  Jugend! Wir sind alle  nicht  mehr  als zwanzig  Jahre. Aber  jung?
Jugend? Das ist lange her. Wir sind alte Leute.
        2
     Es ist fur mich sonderbar,  daran  zu  denken,  daß zu  Hause, in
einer Schreibtischlade,  ein  angefangenes Drama "Saul"  und ein  Stoß
Gedichte liegen. Manchen Abend habe ich daruber verbracht, wir haben ja fast
alle  so etwas  uhnliches gemacht;  aber  es ist mir so unwirklich geworden,
daß ich es mir nicht mehr richtig vorstellen kann.
     Seit  wir  hier  sind, ist  unser  fruheres  Leben abgeschnitten,  ohne
daß  wir  etwas  dazu  getan  haben.  Wir  versuchen  manchmal,  einen
uberblick und  eine Erklurung  dafur zu gewinnen, doch  es gelingt uns nicht
recht. Gerade fur uns  Zwanzigjuhrige ist alles besonders unklar, fur Kropp,
Muller, Leer, mich, fur uns, die Kantorek als eiserne Jugend bezeichnet. Die
ulteren Leute sind alle  fest mit  dem Fruheren verbunden, sie  haben Grund,
sie  haben  Frauen, Kinder,  Berufe und Interessen, die schon so stark sind,
daß der Krieg sie nicht zerreißen kann. Wir Zwanzigjuhrigen aber
haben nur unsere Eltern und manche ein Mudchen. Das ist nicht viel - denn in
unserm  Alter ist die Kraft der Eltern am  schwuchsten, und die Mudchen sind
noch nicht beherrschend. Außer diesem  gab es ja  bei uns  nicht  viel
anderes  mehr;  etwas  Schwurmertum,  einige Liebhabereien  und die  Schule;
weiter reichte unser Leben noch nicht. Und davon ist nichts geblieben.
     Kantorek  wurde sagen,  wir  hutten gerade an  der Schwelle des Daseins
gestanden. So uhnlich ist es  auch. Wir  waren noch nicht eingewurzelt.  Der
Krieg hat  uns  weggeschwemmt.  Fur  die andern,  die ulteren,  ist  er eine
Unterbrechung, sie  kunnen  uber ihn  hinausdenken.  Wir aber  sind  von ihm
ergriffen worden und wissen  nicht,  wie das enden soll. Was wir wissen, ist
vorluufig  nur,  daß wir  auf eine sonderbare und  schwermutige  Weise
verroht sind, obschon wir nicht einmal oft mehr traurig werden.
     Wenn Muller gern Kemmerichs Stiefel haben will, so ist er deshalb nicht
weniger teilnahmsvoll als  jemand,  der vor  Schmerz nicht  daran  zu denken
wagte. Er  weiß  nur  zu unterscheiden. Wurden  die  Stiefel Kemmerich
etwas nutzen, dann  liefe Muller lieber barfuß  uber Stacheldraht, als
groß zu uberlegen, wie er sie bekommt. So aber sind die Stiefel etwas,
das gar  nichts mit Kemmerichs Zustand zu  tun  hat, wuhrend Muller sie  gut
verwenden kann. Kemmerich wird sterben, einerlei, wer sie erhult. Warum soll
deshalb Muller nicht dahinter her sein, er hat doch mehr Anrecht  darauf als
ein  Sanituter!  Wenn Kemmerich  erst tot  ist,  ist  es  zu  sput.  Deshalb
paßt Muller eben jetzt schon auf.
     Wir  haben  den  Sinn  fur  andere  Zusammenhunge  verloren,  weil  sie
kunstlich sind. Nur die Tatsachen sind richtig und wichtig fur uns. Und gute
Stiefel sind selten.
     Fruher  war auch  das anders. Als wir zum Bezirkskommando gingen, waren
wir  noch  eine  Klasse von zwanzig jungen Menschen,  die  sich,  manche zum
ersten  Male,  ubermutig  gemeinsam  rasieren  ließ,  bevor  sie   den
Kasernenhof betrat.  Wir hatten keine festen Plune fur die Zukunft, Gedanken
an Karriere und Beruf waren bei den wenigsten praktisch bereits so bestimmt,
daß sie eine Daseinsform bedeuten konnten; - dafur jedoch steckten wir
voll Ungewisser Ideen, die dem  Leben und  auch dem Kriege in  unseren Augen
einen idealisierten und fast romantischen Charakter verliehen.
     Wir wurden  zehn  Wochen  militurisch ausgebildet  und  in  dieser Zeit
entscheidender  umgestaltet als  in  zehn  Jahren  Schulzeit.  Wir  lernten,
daß ein  geputzter Knopf  wichtiger ist  als vier Bunde  Schopenhauer.
Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließlich gleichgultig erkannten
wir, daß nicht  der Geist ausschlaggebend zu sein  schien, sondern die
Wichsburste,  nicht  der Gedanke,  sondern das  System, nicht die  Freiheit,
sondern  der Drill.  Mit Begeisterung  und gutem Willen  waren wir  Soldaten
geworden; aber man tat alles, um uns das auszutreiben. Nach drei Wochen  war
es uns nicht mehr unfaßlich, daß ein betreßter Brieftruger
mehr Macht uber uns besaß als fruher unsere Eltern, unsere Erzieherund
sumtliche  Kulturkreise  von Plato bis Goethe zusammen. Mit  unseren jungen,
wachen  Augen  sahen wir, daß der klassische Vaterlandsbegriff unserer
Lehrer sich hier vorluufig realisierte zu einem Aufgeben der Persunlichkeit,
wie  man  es   dem  geringsten   Dienstboten  nie  zugemutet   haben  wurde.
Grußen,  Strammstehen,  Parademarsch,  Gewehrprusentieren,   Rechtsum,
Linksum,  Hackenzusammenschlagen,  Schimpfereien und  tausend Schikanen: wir
hatten  uns unsere Aufgabe anders gedacht  und fanden, daß wir auf das
Heldentum wie Zirkuspferde vorbereitet wurden.  Aber wir  gewuhnten uns bald
daran. Wir begriffen sogar, daß  ein Teil dieser Dinge  notwendig, ein
anderer aber ebenso uberflussig war. Der Soldat hat dafur eine feine Nase.
     Zu  dreien und  vieren  wurde unsere  Klasse  uber die Korporalschaften
verstreut,   zusammen  mit   friesischen  Fischern,  Bauern,  Arbeitern  und
Handwerkern,  mit   denen  wir  uns  schnell  anfreundeten.  Kropp,  Muller,
Kemmerich und  ich  kamen zur  neunten Korporalschaft, die der Unteroffizier
Himmelstoß fuhrte.
     Er galt als  der schurfste Schinder des Kasernenhofes, und das war sein
Stolz. Ein kleiner,  untersetzter  Kerl,  der zwulf Jahre gedient hatte, mit
fuchsigem, aufgewirbeltem Schnurrbart, im Zivilberuf Brieftruger. Auf Kropp,
Tjaden,  Westhus  und mich hatte er es  besonders abgesehen,  weil er unsern
stillen Trotz spurte.
     Ich  habe an  einem Morgen vierzehnmal sein  Bett gebaut. Immer  wieder
fand  er etwas  daran  auszusetzen und  riß es herunter.  Ich habe  in
zwanzigstundiger Arbeit - mit Pausen naturlich - ein Paar uralte, steinharte
Stiefel so  butterweich geschmiert, daß selbst Himmelstoß nichts
mehr  daran  auszusetzen  fand;  -  ich  habe  auf  seinen  Befehl mit einer
Zahnburste die Korporalschaftsstube sauber geschrubbt; - Kropp und ich haben
uns  mit einer Handburste  und  einem  Fegeblech an den Auftrag gemacht, den
Kasernenhof  vom Schnee reinzufegen,  und  wir hutten  durchgehalten bis zum
Erfrieren,  wenn  nicht  zufullig  ein  Leutnant aufgetaucht  wure, der  uns
fortschickte und Himmelstoß  muchtig anschnauzte. Die Folge war leider
nur, daß Himmelstoß um so wutender auf uns wurde. Ich habe  vier
Wochen  hintereinander  jeden  Sonntag  Wache   geschoben  und   ebensolange
Stubendienst gemacht;  -  ich habe  in vollem  Gepuck mit  Gewehrauf  losem,
nassem Sturzacker "Sprung auf, marsch, marsch" und "Hinlegen" geubt, bis ich
ein  Dreckklumpen  war und  zusammenbrach;  -  ich  habe vier Stunden sputer
Himmelstoß mein tadellos gereinigtes Zeug vorgezeigt,  allerdings  mit
blutig geriebenen  Hunden; - ich  habe mit  Kropp,  Westhus und Tjaden  ohne
Handschuhe bei scharfem Frost eine Viertelstunde "Stillgestanden" geubt, die
bloßen   Finger  am   eisigen  Gewehrlauf,  lauernd   umschlichen  von
Himmelstoß, der auf  die geringste  Bewegung wartete, um  ein Vergehen
festzustellen; - ich bin nachts um zwei Uhr achtmal  im Hemd  vom  ob ersten
Stock der Kaserne  heruntergerannt  bis auf  den  Hof,  weil meine Unterhose
einige Zentimeter uber  den  Rand  des Schemels  hinausragte,  auf dem jeder
seine Sachen aufschichten mußte.  Neben mir lief der Unteroffizier vom
Dienst,  Himmelstoß, und  trat  mir auf  die  Zehen;  -  ich habe beim
Bajonettieren  stundig mit  Himmelstoß fechten  mussen,  wobei ich ein
schweres Eisengestell und er ein handliches Holzgewehr hatte,  so  daß
er mir bequem die Arme braun und blau schlagen konnte; allerdings geriet ich
dabei einmal so in Wut,  daß  ich  ihn  blindlings uberrannte und  ihm
einen derartigen Stoß vor  den Magen gab, daß er umfiel. Als  er
sich beschweren wollte, lachte  ihn der  Kompaniefuhrer  aus  und  sagte, er
solle doch  aufpassen; erkannte  seinen Himmelstoß und schien  ihm den
Reinfall  zu  gunnen.  - Ich  habe mich zu einem perfekten Kletterer auf die
Spinde  entwickelt;  -  ich  suchte  allmuhlich  auch  im Kniebeugen  meinen
Meister; -  wir  haben gezittert,  wenn  wir nur seine  Stimme hurten,  aber
kleingekriegt hat uns dieses wildgewordene Postpferd nicht.
     Als Kropp  und ich  im  Barackenlager  sonntags  an  einer  Stange  die
Latrineneimer  uber  den Hof  schleppten  und  Himmelstoß,  blitzblank
geschniegelt, zum Ausgehen bereit, gerade vorbeikam, sich vor uns hinstellte
und  fragte,  wie  uns  die Arbeit  gefiele, markierten  wir trotz allem ein
Stolpern und  gussen ihm  den  Eimer  uber die  Beine.  Er  tobte,  aber das
Maß war voll.
     "Das setzt Festung", schrie er.
     Kropp  hatte genug. "Vorher  aber eine Untersuchung, und  da werden wir
auspacken", sagte er.
     "Wie reden  Sie  mit einem  Unteroffizier!"  brullte  Himmelstoß,
"sind Sie verruckt geworden? Warten Sie,  bis Sie gefragt werden! Was wollen
Sie tun?"
     "uber Herrn Unteroffizier auspacken!"  sagte Kropp und nahm die  Finger
an die Hosennaht.
     Himmelstoß merkte nun doch, was los war, und  schob ohne ein Wort
ab.  Bevor  er  verschwand,  krakehlte er  zwar noch:  "Das  werde  ich euch
eintrunken",  - aber  es war vorbei mit  seiner Macht. Er versuchte  es noch
einmal  in den Sturzuckern mit "Hinlegen" und "Sprung auf,  marsch, marsch".
Wir befolgten  zwar  jeden Befehl;  denn  Befehl ist  Befehl,  er  muß
ausgefuhrt  werden.  Aber  wir  fuhrten  ihn   so  langsam   aus,  daß
Himmelstoß in Verzweiflung geriet.
     Gemutlich gingen wir  auf die Knie,  dann auf  die  Arme  und so  fort;
inzwischen hatte  er  schon wutend ein anderes  Kommando gegeben. Bevor  wir
schwitzten, war er heiser. Er ließ uns dann in Ruhe. Zwar  bezeichnete
er uns immer noch als Schweinehunde. Aber es lag Achtung darin.
     Es gab auch  viele  anstundige Korporale, die vernunftiger  waren;  die
anstundigen  waren sogar in der uberzahl. Aber vor allem wollte jeder seinen
guten  Posten hier in der Heimat  so lange  behalten  wie  muglich, und  das
konnte er nur, wenn er stramm mit den Rekruten war.
     Uns  ist  dabei wohl  jeder  Kasernenhofschliff  zuteil  geworden,  der
muglich war, und  oft haben wir vor Wut geheult. Manche  von  uns  sind auch
krank dadurch geworden. Wolf  ist sogar an  Lungenentzundung gestorben. Aber
wir wuren  uns lucherlich vorgekommen, wenn wir klein beigegeben hutten. Wir
wurden hart, mißtrauisch, mitleidlos, rachsuchtig,  roh  - und das war
gut; denn diese  Eigenschaften fehlten uns gerade. Hutte man  uns ohne diese
Ausbildungszeit in den Schutzengraben geschickt, dann wuren wohl die meisten
von uns  verruckt geworden. So aber  waren wir vorbereitet fur das, was  uns
erwartete.
     Wir  zerbrachen nicht, wir  paßten uns  an; unsere zwanzig Jahre,
die uns manches andere  so schwer machten, halfen uns dabei.  Das Wichtigste
aber war, daß in uns ein festes, praktisches Zusammen
     gehurigkeitsgefuhl  erwachte,  das  sich  im  Felde   dann  zum  Besten
steigerte, was der Krieg hervorbrachte: zur Kameradschaft!
     Ich sitze  am Bette Kemmerichs. Er verfullt mehr  und mehr. Um  uns ist
viel  Radau.  Ein  Lazarettzug  ist  angekommen,  und  die  transportfuhigen
Verwundeten werden ausgesucht.  An Kemmerichs Bett geht der Arzt  vorbei, er
sieht ihn nicht einmal an.
     "Das nuchstemal, Franz", sage ich.
     Er  hebt  sich  in  den  Kissen  auf  die  Ellbogen.  "Sie  haben  mich
amputiert."
     Das weiß er also doch jetzt. Ich nicke und antworte:
     "Sei froh, daß du so weggekommen bist."
     Er schweigt.
     Ich rede weiter: "Es konnten auch beide Beine sein, Franz.  Wegeler hat
den rechten  Arm  verloren. Das ist viel  schlimmer.  Du kommst ja auch nach
Hause."
     Er sieht mich an. "Meinst du?"
     "Naturlich."
     Er wiederholt: "Meinst du?"
     "  Sicher,  Franz.  Du  mußt  dich nur  erst  von  der  Operation
erholen."
     Er winkt mir, heranzurucken. Ich beuge mich uber  ihn, und er flustert:
"Ich glaube es nicht."
     "Rede keinen  Quatsch,  Franz,  in ein paar Tagen wirst  du  es  selbst
einsehen.  Was ist das schon  groß: ein amputiertes  Bein; hier werden
ganz andere Sachen wieder zurechtgepflastert."
     Er hebt eine Hand hoch. "Sieh dir das mal an, diese Finger."
     "Das  kommt  von der Operation. Futtere nur ordentlich, dann  wirst  du
schon aufholen. Habt ihr anstundige Verpflegung?"
     Er  zeigt auf eine  Schussel,  die noch  halb  voll ist. Ich  gerate in
Erregung. "Franz,  du mußt essen. Essen ist die  Hauptsache.  Das  ist
doch ganz gut hier."
     Er  wehrt ab.  Nach  einer  Pause  sagt  er  langsam:  "Ich  wollte mal
Oberfurster werden."
     "Das kannst du noch immer", truste ich. "Es gibt jetzt großartige
Prothesen, du merkst  damit gar nicht, daß dir etwas fehlt. Sie werden
an die Muskeln angeschlossen.  Bei Handprothesen kann man die Finge