r bewegen
und  arbeiten,  sogar schreiben. Und außerdem wird  da immer noch mehr
erfunden werden."
     Er liegt  eine  Zeitlang  still.  Dann  sagt  er:  "  Du  kannst  meine
Schnurschuhe fur Muller mitnehmen.
     Ich nicke und denke nach, was ich ihm  Aufmunterndes sagen  kann. Seine
Lippen  sind weggewischt,  sein Mund  ist  grußer geworden,  die Zuhne
stechen hervor, als wuren sie aus Kreide. Das Fleisch zerschmilzt, die Stirn
wulbt sich sturker,  die Backenknochen stehen vor. Das Skelett arbeitet sich
durch. Die Augen versinken schon. In ein paar Stunden wird es vorbei sein.
     Er ist  nicht  der  erste, den  ich  so sehe;  aber wir  sind  zusammen
aufgewachsen, da ist es doch immer  etwas anders. Ich habe  die Aufsutze von
ihm  abgeschrieben. Er trug in  der Schule meistens einen braunen Anzug  mit
Gurtel, der an den urmeln blankgewetzt war. Auch war er der einzige von uns,
der die große Riesenwelle am Reck konnte. Das Haar  flog ihm wie Seide
ms Gesicht, wenn er sie  machte. Kantorek war  deshalb  stolz auf ihn.  Aber
Zigaretten  konnte  er nicht vertragen.  Seine Haut war sehr  weiß, er
hatte etwas von einem Mudchen.
     Ich blicke auf meine Stiefel. Sie sind groß  und klobig, die Hose
ist hineingeschoben; wenn man aufsteht, sieht man dick und kruftig in diesen
breiten Ruhren  aus. Aber wenn wir  baden gehen und uns ausziehen, haben wir
plutzlich  wieder schmale Beine und  schmale Schultern. Wir sind dann  keine
Soldaten  mehr,  sondern  beinahe Knaben,  man  wurde  auch  nicht  glauben,
daß wir Tornister schleppen kunnen. Es ist ein sonderbarer Augenblick,
wenn wir  nackt sind; dann  sind wir Zivilisten und fuhlen  uns auch beinahe
so.
     Franz Kemmerich sah beim Baden klein  und schmal aus wie  ein  Kind. Da
liegt  er  nun,  weshalb nur?  Man sollte  die  ganze  Welt an  diesem Bette
vorbeifuhren und sagen:  Das ist Franz Kemmerich, neunzehneinhalb Jahre alt,
er will nicht sterben. Laßt ihn nicht sterben!
     Meine Gedanken  gehen durcheinander.  Diese  Luft von Karbol  und Brand
verschleimt die Lungen, sie ist ein truger Brei, der erstickt.
     Es  wird dunkel.  Kemmerichs Gesicht  verbleicht, es  hebt sich von den
Kissen  und ist so blaß, daß es schimmert.  Der Mund bewegt sich
leise. Ich nuhere mich ihm. Er flustert: "Wenn ihr meine Uhr findet, schickt
sie nach Hause."
     Ich  widerspreche  nicht. Es hat keinen Zweck mehr. Man  kann ihn nicht
uberzeugen.  Mir  ist  elend   vor  Hilflosigkeit.  Diese  Stirn   mit   den
eingesunkenen Schlufen, dieser  Mund,  der nur  noch Gebiß ist,  diese
spitze Nase!  Und die  dicke weinende Frau  zu Hause,  an die ich  schreiben
muß. Wenn ich nur den Brief schon weg hutte.
     Lazarettgehilfen  gehen  herum  mit  Flaschen  und Eimern. Einer  kommt
heran, wirft Kemmerich einen forschenden Blick zu  und entfernt sich wieder.
Man sieht, daß er wartet, wahrscheinlich braucht er das Bett.
     Ich  rucke nahe an Franz heran und spreche,  als kunnte ihn das retten:
"Vielleicht kommst  du in das Erholungsheim am  Klosterberg, Franz, zwischen
den Villen. Du kannst dann vom Fenster aus uber die Felder sehen bis zu  den
beiden  Buumen am  Horizont. Es ist jetzt die  schunste Zeit, wenn  das Korn
reift, abends in der Sonne sehen die Felder dann aus wie Perlmutter. Und die
Pappelauee am Klosterbach, in  dem  wir Stichlinge gefangen haben! Du kannst
dir dann wieder ein Aquarium anlegen und Fische zuchten,  du kannst ausgehen
und  brauchst niemand  zu fragen, und Klavierspielen kannst  du  sogar auch,
wenn du willst."
     Ich beuge mich uber sein Gesicht, das im Schatten liegt. Er atmet noch,
leise. Sein Gesicht ist naß,  er weint. Da habe ich ja  schunen Unsinn
angerichtet mit meinem dummen Gerede!
     "Aber  Franz"  - ich  umfasse seine Schulter und  lege mein  Gesicht an
seins. "Willst du jetzt schlafen?"
     Er antwortet nicht. Die  Trunen  laufen ihm  die  Backen  herunter. Ich
muchte sie abwischen, aber mein Taschentuch ist zu schmutzig.
     Eine  Stunde vergeht.  Ich  sitze gespannt  und  beobachte jede  seiner
Mienen,  ob er vielleicht  noch etwas  sagen muchte. Wenn  er  doch den Mund
auftun und schreien wollte! Aber  er weint nur, den Kopf zur  Seite gewandt.
Er spricht nicht von seiner Mutter und seinen  Geschwistern, er sagt nichts,
es liegt wohl schon hinter ihm; - er ist
     jetzt allein  mit seinem kleinen neunzehnjuhrigen Leben und weint, weil
es ihn verlußt.
     Dies ist der fassungsloseste und schwerste Abschied, den ich je gesehen
habe, obwohl es beiTiedjen auch schlimm war, der nach seiner Mutter brullte,
ein  burenstarker Kerl, und  der den Arzt mit aufgerissenen Augen  angstvoll
mit einem Seitengewehr von seinem Bett fernhielt, bis er zusammenklappte.
     Plutzlich stuhnt Kemmerich und fungt an zu rucheln.
     Ich  springe auf, stolpere  hinaus und frage: "Wo ist der  Arzt? Wo ist
der Arzt?"
     Als  ich den weißen Kittel sehe, halte ich ihn  fest. "Kommen Sie
rasch, Franz Kemmerich stirbt sonst."
     Er macht sich los und fragt einen dabeistehenden Lazarettgehilfen: "Was
soll das heißen?"
     Der sagt: "Bett 26, Oberschenkel amputiert."
     Er  schnauzt: "Wie soll ich davon  etwas wissen, ich  habe  heute  funf
Beine amputiert",  schiebt mich weg, sagt dem Lazarettgehilfen:  "Sehen  Sie
nach", und rennt zum Operationssaal.
     Ich bebe vor Wut, als ich mit  dem  Sanituter gehe. Der Mann sieht mich
an und sagt: "Eine Operation nach der andern, seit morgens  funf Uhr - doll,
sage  ich  dir,  heute allein  wieder sechzehn  Abgunge  -  deiner  ist  der
siebzehnte. Zwanzig werden sicher noch voll -"
     Mir  wird schwach,  ich kann plutzlich nicht mehr. Ich will  nicht mehr
schimpfen, es  ist sinnlos,  ich muchte  mich fallen lassen und  nie  wieder
aufstehen.
     Wir  sind am  Bette  Kemmerichs.  Er  ist  tot.  Das Gesicht  ist  noch
naß  von den  Trunen. Die Augen stehen halb  offen, sie sind  gelb wie
alte Hornknupfe. -
     Der Sanituter stußt mich in die Rippen.
     "Nimmst du seine Sachen mit?"
     Ich nicke.
     Er  fuhrt  fort: "Wir mussen  ihn gleich wegbringen,  wir brauchen  das
Bett. Draußen liegen sie schon auf dem Flur."
     Ich nehme die Sachen  und knupfe Kemmerich die Erkennungsmarke ab.  Der
Sanituter fragt nach dem Soldbuch. Es ist nicht da.
     Ich sage, daß es wohl auf der Schreibstube sein musse,  und gehe.
Hinter mir zerren sie Franz schon auf eine Zeltbahn.
     Vor der Tur  fuhle ich  wie eine Erlusung das  Dunkel und den Wind. Ich
atme, so sehr  ich  es  vermag, und spure die Luft warm und weich wie nie in
meinem  Gesicht. Gedanken  an  Mudchen, an  bluhende  Wiesen, an weiße
Wolken  fliegen mir plutzlich durch den Kopf.  Meine Fuße bewegen sich
in den Stiefeln vorwurts, ich gehe schneller, ich  laufe. Soldaten kommen an
mir voruber,  ihre Gespruche erregen mich, ohne daß ich  sie verstehe.
Die Erde  ist von Kruften durchflossen, die  durch meine Fußsohlen  in
mich uberstrumen. Die Nacht  knistert elektrisch, die Front gewittert  dumpf
wie  ein  Trommelkonzert. Meine  Glieder bewegen sich geschmeidig, ich fuhle
meine Gelenke  stark, ich schnaufe und schnaube. Die Nacht lebt,  ich  lebe.
Ich spure Hunger, einen grußeren als nur vom Magen. -
     Muller  steht  vor  der Baracke  und  erwartet mich.  Ich gebe  ihm die
Schuhe. Wir gehen hinein, und er probiert sie an. Sie passen genau. -
     Er  kramt  in   seinen  Vorruten  und  bietet  mir  ein  schunes  Stuck
Zervelatwurst an. Dazu gibt es heißen Tee mit Rum.
        3
     Wir  bekommen Ersatz. Die Lucken werden  ausgefullt, und die Strohsucke
in den Baracken sind  bald belegt.  Zum Teil sind es  alte Leute, aber  auch
funfundzwanzig  Mann  junger  Ersatz aus  den  Feldrekrutendepots werden uns
uberwiesen. Sie sind fast  ein Jahr  junger  als wir. Kropp stußt mich
an: "Hast du die Kinder gesehen?"
     Ich nicke.  Wir  werfen  uns  in  die  Brust, lassen  uns  auf dem  Hof
rasieren, stecken die Hunde  in die Hosentaschen, sehen uns  die Rekruten an
und fuhlen uns als steinaltes Militur.
     Katczinsky  schließt   sich  uns   an.  Wir   wandern  durch  die
Pferdestulle und kommen zu den Ersatzleuten, die gerade Gasmasken und Kaffee
empfangen.  Kat   fragt   einen  der   jungsten:  "Habt  wohl  lange  nichts
Vernunftiges zu futtern gekriegt, was?"
     Der   verzieht  das   Gesicht.   "Morgens   Steckrubenbrot   -  mittags
Steckrubengemuse, abends Steckrubenkoteletts und Steckrubensalat."
     Katczinsky pfeift fachmunnisch. "Brot aus Steckruben? Da habt ihr Gluck
gehabt, sie machen  es  auch  schon aus  Sugespunen.  Aber  was meinst du zu
weißen Bohnen, willst du einen Schlag haben?"
     Der Junge wird rot. "Verkohlen brauchst du mich nicht."
     Katczinsky antwortet nichts als: "Nimm dein Kochgeschirr."
     Wir  folgen neugierig.  Er  fuhrt  uns  zu  einer  Tonne  neben  seinem
Strohsack.  Sie  ist   tatsuchlich   halb   voll  weißer  Bohnen   mit
Rindfleisch. Katczinsky steht vor  ihr wie  ein General und sagt: "Auge auf,
Finger lang! Das ist die Parole bei den Preußen."
     Wir sind uberrascht. Ich frage: "Meine Fresse,  Kat, wie kommst du denn
dazu?"
     "Die  Tomate war  froh,  als  ich  ihr's abnahm.  Ich  habe  drei Stuck
Fallschirmseide  dafur gegeben. Na, weiße  Bohnen schmecken kalt  doch
tadellos."
     Er gibt gunnerhaft dem  Jungen eine Portion auf und sagt: "Wenn du  das
nuchstemal  hier  antrittst mit  deinem Kochgeschirr, hast du  in der linken
Hand eine Zigarre oder einen Priem. Verstanden?"
     Dann wendet er sich zu uns. "Ihr kriegt naturlich so."
     Katczinsky ist nicht zu entbehren, weil er einen sechsten Sinn hat.  Es
gibt uberall  solche  Leute,  aber niemand sieht  ihnen  von  vornherein an,
daß es so ist. Jede Kompanie hat einen oder zwei davon. Katczinsky ist
der gerissenste, den ich kenne. Von Beruf ist er, glaube ich, Schuster, aber
das tut  nichts zur Sache, er versteht jedes Handwerk. Es ist  gut, mit  ihm
befreundet  zu sein.  Wir sind  es, Kropp und  ich, auch Haie Westhus gehurt
halb und halb dazu. Er ist allerdings schon mehr ausfuhrendes Organ, denn er
arbeitet  unter dem Kommando  Kats, wenn eine Sache geschmissen wird, zu der
man Fuuste braucht. Dafur hat er dann seine Vorteile.
     Wir kommen  zum Beispiel nachts  in  einen vullig  unbekannten Ort, ein
trubseliges Nest,  dem  man gleich ansieht, daß es ausgepowert ist bis
auf die  Mauern.  Quartier  ist  eine kleine, dunkle Fabrik,  die erst  dazu
eingerichtet worden ist. Es  stehen Betten darin, vielmehr  nur Bettstellen,
ein paar Holzlatten, die mit Drahtgeflecht bespannt sind.
     Drahtgeflecht ist hart. Eine Decke zum Unterlegen haben wir  nicht, wir
brauchen unsere zum Zudecken. Die Zeltbahn ist zu dunn.
     Kat sieht sich  die Sache an und sagt  zu Haie Westhus: "Komm mal mit."
Sie gehen  los,  in den vullig  unbekannten Ort hinein.  Eine  halbe  Stunde
sputer  sind sie  wieder  da,  die  Arme  hoch  voll  Stroh. Kat  hat  einen
Pferdestall  gefunden  und damit das Stroh. Wir kunnten jetzt warm schlafen,
wenn wir nicht noch einen so entsetzlichen Kohldampf hutten.
     Kropp  fragt einen Artilleristen, der  schon lunger in der  Gegend ist:
"Gibt es hier irgendwo eine Kantine?"
     Der lacht: "Hat  sich was! Hier ist  nichts zu holen.  Keine  Brotrinde
holst du hier."
     "Sind denn keine Einwohner mehr da?"
     Er spuckt  aus.  "Doch,  ein  paar. Aber  die  lungern selbst  um jeden
Kuchenkessel herum und betteln."
     Das ist eine buse Sache. Dann mussen  wir eben den Schmachtriemen enger
schnallen und bis morgen warten, wenn die Furage kommt.
     Ich sehe jedoch, wie Kat seine Mutze aufsetzt, und frage: "Wo willst du
hin, Kat?"
     "Mal etwas die Lage spannen." Er schlendert hinaus.
     Der Artillerist grinst huhnisch. "Spann man! Verheb dich nicht dabei."
     Enttuuscht  legen  wir  uns  hin  und  uberlegen,  ob  wir die eisernen
Portionen anknabbern sollen. Aber es  ist  uns zu  riskant. So versuchen wir
ein Auge voll Schlaf zu nehmen.
     Kropp  bricht eine  Zigarette  durch und  gibt mir  die Hulfte.  Tjaden
erzuhlt  von  seinem  Nationalgericht,  großen  Bohnen  mit  Speck. Er
verdammt  die  Zubereitung  ohne Bohnenkraut.  Vor allem aber soll man alles
durcheinander  kochen, um Gottes willen nicht die Kartoffeln, die Bohnen und
den  Speck  getrennt.  Jemand  knurrte, daß er Tjaden  zu  Bohnenkraut
verarbeiten wurde, wenn er nicht sofort still wure.  Darauf wird es ruhig in
dem großen  Raum. Nur ein paar Kerzen flackern in  den Flaschenhulsen,
und ab und zu spuckt der Artillerist aus.
     Wir duseln ein bißchen,  als die Tur aufgeht und  Kat  erscheint.
Ich glaube zu truumen: er hat zwei Brote unter dem Arm und in der Hand einen
blutigen Sandsack mit Pferdefleisch.
     Dem Artilleristen fullt die Pfeife aus dem Munde. Er betastet das Brot.
"Tatsuchlich, richtiges Brot, und noch warm."
     Kat redet  nicht weiter daruber. Er hat eben Brot, das andere ist egal.
Ich bin uberzeugt,  wenn man ihn  in der Wuste aussetzte, wurde  er in einer
Stunde ein Abendessen aus Datteln, Braten und Wein zusammenfinden.
     Er sagt kurz zu Haie: "Hack Holz."
     Dann holt er eine Bratpfanne unter  seinem Rock hervor  und  zieht eine
Handvoll Salz  und sogar eine Scheibe Fett aus der Tasche; - er hat an alles
gedacht. Haie macht auf dem Fußboden ein Feuer.  Es prasselt durch die
kahle Fabrikhalle. Wir klettern aus den Betten.
     Der  Artillerist  schwankt.  Er  uberlegt,  ob  er  loben  soll,  damit
vielleicht auch etwas fur ihn abfullt. Aber Katczinsky  sieht ihn gar nicht,
so sehr ist er Luft fur ihn. Da zieht er fluchend ab.
     Kat kennt die Art, Pferdefleisch weichzubraten. Es darf nicht gleich in
die  Pfanne,  dann  wird  es  hart.  Vorher  muß  es in  wenig  Wasser
vorgekocht werden. Wir  hocken uns mit  unsern Messern im Kreis und schlagen
uns den Magen voll.
     Das ist Kat. Wenn in  einem Jahr in  einer  Gegend nur eine Stunde lang
etwas  Eßbares aufzutreiben  wure, so wurde er genau in dieser Stunde,
wie von einer Erleuchtung  getrieben, seine  Mutze  aufsetzen,  hinausgehen,
geradewegs wie nach einem Kompaß darauf zu, und es finden.
     Er  findet  alles; - wenn es kalt  ist, kleine  Ofen und Holz, Heu  und
Stroh, Tische, Stuhle  - vor  allem  aber  Fressen.  Es ist  rutselhaft, man
sollte glauben, er zaubere es aus der Luft. Seine  Glanzleistung  waren vier
Dosen Hummer. Allerdings hutten wir lieber Schmalz dafur gehabt.
     Wir  haben uns auf der  Sonnenseite der  Baracken hingehauen. Es riecht
nach Teer, Sommer und Schweißfußen.
     Kat  sitzt  neben  mir,  denn er unterhult sich  gern.  Wir haben heute
mittag   eine  Stunde  Ehrenbezeigungen  geubt,  weil   Tjaden  einen  Major
nachlussig  gegrußt  hat.  Das  will  Kat   nicht  aus  dem  Kopf.  Er
uußert:  "Paß  auf,  wir  verlieren den Krieg,  weil  wir zu gut
grußen kunnen."
     Kropp  storcht nuher,  barfuß, die Hosen aufgekrempelt.  Er  legt
seine gewaschenen Socken zum  Trocknen aufs Gras. Kat sieht  in den  Himmel,
lußt  einen  kruftigen  Laut huren und  sagt  versonnen  dazu:  "Jedes
Buhnchen gibt ein Tunchen."
     Die beiden  fangen an zu  disputieren. Gleichzeitig wetten sie um  eine
Flasche Bier auf einen Fliegerkampf, der sich uber uns abspielt.
     Kat lußt  sich  nicht von  seiner Meinung abbringen, die  er  als
altes  Frontschwein  wieder  in  Reimen  von sich  gibt:  "Gleiche  Luhnung,
gleiches Essen, war'der Krieg schon lungst vergessen." -
     Kropp  dagegen ist  ein Denker. Er  schlugt  vor,  eine Kriegserklurung
solle  eine  Art Volksfest  werden mit  Eintrittskarten  und Musik  wie  bei
Stiergefechten. Dann mußten in der Arena die Minister und Generule der
beiden  Lunder in  Badehosen, mit Knuppeln bewaffnet,  aufeinander losgehen.
Wer ubrigbliebe, dessen  Land  hutte gesiegt. Das  wure einfacher und besser
als hier, wo die falschen Leute sich bekumpfen.
     Der Vorschlag gefullt.  Dann gleitet das Gespruch auf den Kasernendrill
uber.
     Mir fullt dabei ein Bild ein. Gluhender Mittag auf dem Kasernenhof. Die
Hitze  steht  uber dem  Platz. Die Kasernen  wirken  wie ausgestorben. Alles
schluft. Man hurt nur Trommler uben, irgendwo haben sie sich aufgestellt und
uben,   ungeschickt,   eintunig,   stumpfsinnig.   Welch    ein   Dreiklang:
Mittagshitze, Kasernenhof und Trommeluben!
     Die  Fenster  der  Kaserne  sind  leer und  dunkel. Aus  einigen hungen
trocknende Drillichhosen.  Man sieht  sehnsuchtig  hinuber. Die Stuben  sind
kuhl. -
     Oh,  ihr  dunklen,  muffigen  Korporalschaftsstuben  mit  den  eisernen
Bettgestellen, den  gewurfelten Betten, den Spindschrunken und den  Schemeln
davor! Selbst ihr  kunnt das  Ziel von Wunschen  werden; hier  draußen
seid ihr sogar ein  sagenhafter Abglanz  von  Heimat, ihr Gelasse voll Dunst
von abgestandenen Speisen, Schlaf, Rauch und Kleidern!
     Katczinsky beschreibt sie mit Farbenpracht  und  großer Bewegung.
Was wurden wir geben, wenn wir  zu  ihnen zuruck kunnten! Denn  weiter wagen
sich unsre Gedanken schon gar nicht -
     Ihr Instruktionsstunden in der Morgenfruhe - "Worin zerfullt das Gewehr
98?" - ihr  Turnstunden  am Nachmittag -  "Klavierspieler vortreten.  Rechts
heraus. Meldet euch in der Kuche zum Kartoffelschulen" -
     Wir  schwelgen in Erinnerungen.  Kropp lacht  plutzlich  und sagt:  "In
Luhne umsteigen."
     Das  war   das   liebste   Spiel   unseres  Korporals.  Luhne  ist  ein
Umsteigebahnhof. Damit  unsre Urlauber sich  dort  nicht  verlaufen sollten,
ubte  Himmelstoß  das  Umsteigen  mit  uns in  der Kasernenstube.  Wir
sollten  lernen,  daß  man  in   Luhne  durch  eine  Unterfuhrung  zum
Anschlußzug  gelangte. Die  Betten stellten die Unterfuhrung  dar, und
jeder  baute  sich  links davon  auf.  Dann  kam  das  Kommando:  "In  Luhne
umsteigen!", und wie der Blitz kroch alles unter den Betten hindurch auf die
andere Seite. Das haben wir stundenlang geubt. -
     Inzwischen ist das deutsche Flugzeug abgeschossen worden. Wie ein Komet
sturzt es in einer Rauchfahne abwurts.  Kropp hat  dadurch eine Flasche Bier
verloren und zuhlt mißmutig sein Geld.
     "Der  Himmelstoß  ist als  Brieftruger  sicher  ein  bescheidener
Mann", sagte ich, nachdem sich Alberts Enttuuschung gelegt  hat, "wie mag es
nur kommen, daß er als Unteroffizier ein solcher Schinder ist?"
     Die Frage macht Kropp wieder mobil. "Das ist nicht nur Himmelstoß
allein,  das  sind sehr viele. Sowie  sie  Tressen  oder einen Subel  haben,
werden sie andere Menschen, als ob sie Beton gefressen hutten."
     "Das macht die Uniform", vermute ich.
     "So  ungefuhr", sagt  Kat  und  setzt sich zu einer  großen  Rede
zurecht, "aber der Grund liegt anderswo. Sieh  mal, wenn du einen  Hund  zum
Kartoffelfressen  abrichtest und du legst ihm dann nachher ein Stuck Fleisch
hin,  so wird er trotzdem  danach schnappen, weil das in seiner Natur liegt.
Und  wenn du einem Menschen ein  Stuckchen  Macht  gibst, dann  geht  es ihm
ebenso; er  schnappt danach.  Das kommt ganz von selber, denn der Mensch ist
an und  fur sich  zunuchst einmal ein  Biest, und dann  erst ist  vielleicht
noch, wie bei einer Schmalzstulle, etwas Anstundigkeit draufgeschmiert.  Der
Kommiß besteht nun  darin, daß immer einer uber den andern Macht
hat. Das  Schlimme  ist  nur,  daß jeder viel  zuviel  Macht hat;  ein
Unteroffizier  kann  einen  Gemeinen, ein Leutnant einen  Unteroffizier, ein
Hauptmann  einen Leutnant derartig zwiebeln, daß er verruckt wird. Und
weil er das  weiß, deshalb gewuhnt er  es sich gleich schon etwas  an.
Nimm  nur  die  einfachste  Sache:  wir kommen  vom Exerzierplatz  und  sind
hundemude. Da  wird befohlen: Singen! Na, es wird ein schlapper Gesang, denn
jeder ist  froh,  daß  er sein  Gewehr noch schleppen  kann. Und schon
macht  die Kompanie  kehrt  und muß eine  Stunde strafexerzieren. Beim
Ruckmarsch heißt  es  wieder:  ‚Singen!', und jetzt wird gesungen. Was
hat   das  Ganze  fur  einen  Zweck?  Der  Kompaniefuhrer  hat  seinen  Kopf
durchgesetzt,  weil er die Macht  dazu  hat.  Niemand  wird  ihn tadeln,  im
Gegenteil, er gilt als stramm. Dabei ist  so  etwas nur eine Kleinigkeit, es
gibt  doch noch ganz andere Sachen, womit sie einen schinden. Nun  frage ich
euch: Mag der Mann in Zivil sein, was er will, in welchem Beruf kann er sich
so etwas leisten, ohne  daß ihm die Schnauze eingeschlagen  wird ? Das
kann er nur  beim Kommiß! Seht ihr, und das steigt  jedem zu Kopf! Und
es steigt ihm um  so  mehr  zu Kopf, je  weniger er als  Zivilist  zu  sagen
hatte."
     "Es  heißt  eben,  Disziplin  muß  sein   -",  meint  Kropp
nachlussig.
     " Grunde", knurrt Kat, "haben sie immer. Mag ja auch sein. Aber es darf
keine Schikane werden. Und mach du das mal  einem Schlosser oder Knecht oder
Arbeiter klar, erklure das mal einem Muskoten, und das sind doch die meisten
hier; der sieht nur, daß er geschunden wird und ins Feld kommt, und er
weiß  ganz  genau,  was  notwendig  ist und was nicht. Ich  sage euch,
daß  der einfache Soldat  hier  vorn so aushult,  das  ist  allerhand!
Allerhand ist das!"
     Jeder   gibt  es   zu,   denn   jeder   weiß,  daß  nur  im
Schutzengraben der Drill aufhurt,  daß er aber wenige Kilometer hinter
der Front schon wieder beginnt, und sei es mit dem grußten Unsinn, mit
Grußen  und Parademarsch.  Denn  es  ist  eisernes Gesetz: Der  Soldat
muß auf jeden Fall beschuftigt werden.
     Doch nun  erscheint Tjaden, mit roten  Flecken  im Gesicht.  Er  ist so
aufgeregt,    daß    er   stottert.    Strahlend    buchstabiert   er:
"Himmelstoß ist unterwegs nach hier. Er kommt an die Front."
     Tjaden  hat  eine  Hauptwut  auf  Himmelstoß,  weil  der  ihn  im
Barackenlager auf seine  Weise  erzogen hat. Tjaden  ist  Bettnusser, nachts
beim Schlafen  passiert  es ihm eben.  Himmelstoß  behauptet steif und
fest, es sei nur Faulheit, und er fand ein seiner wurdiges Mittel, um Tjaden
zu  heilen. Er  trieb  in der benachbarten Baracke  einen zweiten Bettnusser
auf, der Kindervater hieß. Den quartierte er mit  Tjaden zusammen.  In
den Baracken  standen die  typischen Bettgestelle, zwei Betten ubereinander,
die Bettbuden  aus  Draht.  Himmelstoß  legte  beide nun  so zusammen,
daß der  eine  das  obere,  der  andere das  darunter befindliche Bett
bekam. Der untere war dadurch naturlich scheußlich  daran. Dafur wurde
am nuchsten Abend gewechselt, der untere kam nach oben, damit er  Vergeltung
hatte. Das war Himmelstoß' Selbsterziehung.
     Der Einfall war gemein, aber in der Idee  gut. Leider nutzte er nichts,
weil die Voraussetzung nicht stimmte: es war keine Faulheit bei  den beiden.
Das konnte  jeder merken, der ihre fahle Haut ansah. Die Sache endete damit,
daß immer einer  von  beiden auf  dem Fußboden schlief. Er hutte
sich leicht dabei erkulten kunnen. -
     Haie hat sich inzwischen auch neben uns niedergelassen. Er blinzelt mir
zu und reibt anduchtig  seine Tatze. Wir haben  zusammen den  schunsten  Tag
unseres  Kommißlebens erlebt. Das  war der  Abend, bevor wir  ins Feld
fuhren. Wir waren einem  der Regimenter mit  der hohen Hausnummer zugeteilt,
vorher  aber  zur  Einkleidung   in  die  Garnison  zuruckbefurdert  worden,
allerdings  nicht  zum  Rekrutendepot,  sondern in  eine andere  Kaserne. Am
nuchsten Morgen  fruh  sollten wir  abfahren. Abends machten wir uns auf, um
mit Himmelstoß abzurechnen. Das hatten wir uns seit Wochen geschworen.
Kropp war  sogar so weit gegangen, daß er  sich vorgenommen  hatte, im
Frieden das Postfach einzuschlagen, um sputer, wenn Himmelstoß  wieder
Brieftruger  war, sein  Vorgesetzter zu werden. Er schwelgte in Bildern, wie
er  ihn schleifen  wurde. Denn  das  war  es  gerade,  weshalb  er uns nicht
kleinkriegen  konnte; wir  rechneten  stets damit,  daß wir ihn  schon
einmal schnappen wurden, sputestens am Kriegsende.
     Einstweilen wollten wir ihn grundlich  verhauen.  Was konnte  uns schon
passieren, wenn er uns nicht erkannte und wir ohnehin morgen fruh abfuhren.
     Wir wußten, in  welcher Kneipe er jeden Abend saß.  Wenn er
von  dort  zur  Kaserne ging, mußte  er  durch eine  dunkle, unbebaute
Straße. Dort lauerten wir ihm hinter einem Steinhaufen  auf. Ich hatte
einen Bettuberzug bei mir. Wir zitterten  vor Erwartung, ob  er auch  allein
sein  wurde. Endlich hurten  wir  seinen Schritt, den kannten wir genau, wir
hatten ihn oft  genug morgens gehurt, wenn die Tur aufflog  und "Aufstehen!"
gebrullt wurde.
     "Allein?" flusterte Kropp.
     "Allein!" - Ich schlich mit Tjaden um den Steinhaufen herum.
     Da blitzte schon sein Koppelschloß. Himmelstoß schien etwas
angeheitert zu sein; er sang. Ahnungslos ging er voruber.
     Wir faßten das Bettuch, machten  einen leisen Satz,  stulpten  es
ihm von hinten  uber den Kopf, rissen es  nach unten, so daß er wie in
einem weißen Sack dastand und die Arme nicht heben  konnte. Das Singen
erstarb.
     Im nuchsten Moment  war  Haie Westhus heran. Mit  ausgebreiteten  Armen
warf  er  uns  zuruck,  um  nur  ja der  erste  zu  sein.  Er  stellte  sich
genußreich in Positur,  hob den Arm wie einen Signalmast, die Hand wie
eine Kohlenschaufel und knallte einen Schlag auf  den weißen Sack, der
einen Ochsen hutte tuten kunnen.
     Himmelstoß uberschlug sich, landete funf Meter weiter und fing an
zu brullen. Auch dafur hatten  wir  gesorgt, denn wir hatten  ein Kissen bei
uns.  Haie  hockte  sich  hin,  legte  das  Kissen  auf  die   Knie,  packte
Himmelstoß da, wo der Kopf war, und druckte ihn auf das Kissen. Sofort
wurde er  im  Ton  gedumpfter. Haie  ließ  ihn  ab  und  zu  mal  Luft
schnappen,  dann kam aus dem Gurgeln  ein prachtvoller  heller  Schrei,  der
gleich wieder zart wurde.
     Tjaden knupfte jetzt Himmelstoß  die Hosentruger ab und  zog  ihm
die  Hose  herunter. Die  Klopfpeitsche  hielt er dabei mit den Zuhnen fest.
Dann erhob er sich und begann sich zu bewegen.
     Es war ein wunderbares Bild: Himmelstoß  auf der  Erde, uber  ihn
gebeugt, seinen Kopf auf  den  Knien,  Haie mit teuflisch grinsendem Gesicht
und vor Lust offenem Maul, dann  die zuckende, gestreifte Unterhose mit  den
X-Beinen,  die   in  der  heruntergeschobenen  Hose  bei  jedem  Schlag  die
originellsten  Bewegungen  machten,  und  daruber  wie  ein  Holzhacker  der
unermudliche  Tjaden.  Wir   mußten   ihn  schließlich  geradezu
wegreißen, um auch noch an die Reihe zu kommen.
     Endlich stellte Haie Himmelstoß wieder auf die Beine und  gab als
Schluß eine Privatvorstellung. Er schien Sterne pflucken zu wollen, so
holte seine Rechte aus zu einer Backpfeife. Himmelstoß kippte um. Haie
hob ihn wieder  auf, stellte  ihn  sich parat  und langte  ihm ein  zweites,
erstklassig gezieltes Ding  mit der linken Hand. Himmelstoß heulte und
fluchtete auf allen vieren. Sein gestreifter Brieftrugerhintern leuchtete im
Mond.
     Wir verschwanden im Galopp.
     Haie  sah sich noch einmal um und sagte ingrimmig,  gesuttigt und etwas
rutselhaft: "Rache ist Blutwurst." -
     Eigentlich konnte Himmelstoß froh sein; denn sein Wort, daß
immer einer den andern erziehen musse, hatte an ihm selbst Fruchte getragen.
Wir waren gelehrige Schuler seiner Methoden geworden.
     Er hat nie heraus gekriegt, wem er die Sache verdankte. Immerhin gewann
er  dabei ein  Bettuch;  denn  als  wir einige  Stunden  sputer  noch einmal
nachsahen, war es nicht mehr zu finden.
     Dieser  Abend   war  der   Grund,  daß  wir  am  nuchsten  Morgen
einigermaßen  gefaßt abfuhren. Ein wehender Vollbart bezeichnete
uns deshalb ganz geruhrt als Heldenjugend.
        4
     Wir  mussen  nach vorn  zum  Schanzen.  Beim  Dunkelwerden  rollen  die
Lastwagen  an. Wir  klettern  hinauf.  Es ist  ein  warmer  Abend,  und  die
Dummerung  erscheint uns  wie ein  Tuch,  unter dessen Schutz  wir uns  wohl
fuhlen.  Sie  verbindet  uns;  sogar der  geizige Tjaden  schenkt  mir  eine
Zigarette und gibt mir Feuer.
     Wir stehen nebeneinander, dicht an dicht, sitzen kann niemand. Das sind
wir auch nicht gewuhnt.  Muller ist endlich mal guter  Laune; er trugt seine
neuen Stiefel.
     Die  Motoren  brummen   an,  die   Wagen  klappern  und   rasseln.  Die
Straßen sind ausgefahren und voller Lucher. Es darf kein Licht gemacht
werden,  deshalb  rumpeln wir  hinein,  daß  wir  fast aus  dem  Wagen
purzeln.  Das beunruhigt uns  nicht weiter.  Was  kann  schon passieren; ein
gebrochener  Arm ist besser als ein Loch im Bauch,  und mancher wunscht sich
geradezu eine solch gute Gelegenheit, nach Hause zu kommen.
     Neben  uns  fahren in langer Reihe die Munitionskolonnen. Sie  haben es
eilig,  uberholen  uns  fortwuhrend.  Wir  rufen ihnen  Witze  zu,  und  sie
antworten.
     Eine Mauer wird sichtbar, sie gehurt  zu  einem Hause,  das abseits der
Straße liegt. Ich spitze plutzlich die Ohren. Tuusche ich mich? Wieder
hure ich deutlich  Gunsegeschnatter. Ein Blick zu Katczinsky - ein Blick von
ihm zuruck; wir verstehen uns.
     "Kat, ich hure da einen Kochgeschirraspiranten -"
     Er nickt.  "Wird gemacht, wenn wir zuruck  sind.  Ich  weiß  hier
Bescheid."
     Naturlich weiß Kat Bescheid. Er kennt bestimmt jedes Gunsebein in
zwanzig Kilometer Umkreis.
     Die Wagen erreichen  das Gebiet der Artillerie. Die Geschutzstunde sind
gegen Fliegersicht mit  Buschen  verkleidet, wie  zu einer Art militurischem
Laubhuttenfest.  Diese  Lauben  suhen lustig  und  friedlich aus, wenn  ihre
Insassen keine Kanonen wuren.
     Die Luft wird  diesig  von  Geschutzrauch und Nebel. Man  schmeckt  den
Pulverqualm bitter auf  der  Zunge. Die Abschusse  krachen, daß  unser
Wagen  bebt,  das  Echo  rollt  tosend  hinterher,  alles  schwankt.  Unsere
Gesichter verundern sich unmerklich. Wir  brauchen zwar nicht in die Gruben,
sondern nur zum Schanzen, aber in - jedem Gesicht steht jetzt: hier ist  die
Front,  wir sind in ihrem Bereich. Es ist  das noch keine  Angst. Wer so oft
nach vorn gefahren ist wie wir, der wird dickfellig. Nur die jungen Rekruten
sind  aufgeregt.  Kat belehrt  sie:  "Das  war  ein  30,5.  Ihr hurt  es  am
Abschuß; - gleich kommt der Einschlag."
     Aber der dumpfe Hall  der Einschluge  dringt nicht heruber. Er ertrinkt
im Gemurmel der Front. Kat horcht hinaus: "Die Nacht gibt es Kattun."
     Wir horchen alle. Die Front ist unruhig. Kropp sagt:
     "Die Tommys schießen schon."
     Die Abschusse sind deutlich zu huren. Es sind die englischen Batterien,
rechts von  unserm Abschnitt. Sie beginnen  eine  Stunde zu  fruh.  Bei  uns
fingen sie immer erst Punkt zehn Uhr an.
     "Was fullt denn denen ein", ruft Muller, "ihre Uhren gehen wohl vor."
     "Es gibt Kattun, sag ich euch, ich  spure es in den Knochen." Kat zieht
die Schultern hoch.
     Neben  uns druhnen drei Abschusse. Der Feuerstrahl schießt schrug
in den Nebel, die Geschutze brummen und rumoren. Wir frusteln und sind froh,
daß wir morgen fruh wieder in den Baracken sein werden.
     Unsere Gesichter sind nicht blasser und nicht ruter als sonst; sie sind
auch nicht gespannter  oder schlaffer, und doch sind sie anders. Wir fuhlen,
daß in  unserm  Blut  ein  Kontakt  angeknipst  ist.  Das  sind  keine
Redensarten;  es  ist Tatsache. Die Front ist  es,  das Bewußtsein der
Front,  das diesen Kontakt  auslust. Im Augenblick, wo die  ersten  Granaten
pfeifen,  wo die Luft unter den Abschussen zerreißt,  ist plutzlich in
unsern Adern, unsern  Hunden, unsern Augen ein geducktes Warten, ein Lauern,
ein  sturkeres  Wachsein,  eine  sonderbare Geschmeidigkeit  der  Sinne. Der
Kurper ist mit einem Schlage in voller Bereitschaft.
     Oft ist es mir, als wure es die erschutterte, vibrierende Luft, die mit
lautlosem Schwingen auf uns uberspringt; oder als wure  es die Front selbst,
von  der  eine   Elektrizitut  ausstrahlt,  die   unbekannte   Nervenspitzen
mobilisiert.
     Jedesmal  ist  es  dasselbe: wir  fahren  ab  und sind  murrische  oder
gutgelaunte Soldaten; -  dann  kommen die  ersten Geschutzstunde, und  jedes
Wort unserer Gespruche hat einen verunderten Klang. -
     Wenn Kat vor den  Baracken steht und  sagt: "Es gibt Kattun  -", so ist
das eben seine Meinung, fertig; - wenn er es aber hier sagt, so hat der Satz
eine Schurfe wie ein Bajonett nachts im Mond,  er schneidet  glatt durch die
Gedanken,  er ist nuher und spricht zu diesem  Unbewußten, das  in uns
aufgewacht ist, mit einer  dunklen Bedeutung, "es gibt Kattun" -. Vielleicht
ist  es unser  innerstes  und geheimstes Leben,  das erzittert und sich  zur
Abwehr erhebt.
     Fur  mich  ist  die Front ein unheimlicher Strudel.  Wenn man noch weit
entfernt von  seinem  Zentrum  im  ruhigen Wasser  ist,  fuhlt man schon die
Saugkraft,  die  einen  an  sich  zieht,  langsam,  unentrinnbar,  ohne viel
Widerstand. Aus der Erde, aus  der Luft aber  strumen uns Abwehrkrufte zu, -
am meisten  von  der  Erde.  Fur niemand ist die Erde so  viel  wie fur  den
Soldaten. Wenn er sich an sie preßt, lange, heftig, wenn er  sich tief
mit dem  Gesicht und den  Gliedern in sie hineinwuhlt in  der Todesangst des
Feuers,  dann ist sie  sein  einziger Freund, sein Bruder, seine Mutter,  er
stuhnt   seine  Furcht  und   seine   Schreie  in  ihr  Schweigen  und  ihre
Geborgenheit,  sie nimmt sie auf und  entlußt ihn wieder zu neuen zehn
Sekunden Lauf und Leben, faßt ihn wieder, und manchmal fur immer.
     Erde - Erde - Erde -!
     Erde, mit deinen  Bodenfalten und Luchern und Vertiefungen, in die  man
sich hineinwerfen,  hineinkauern  kann!  Erde,  du gabst uns  im Krampf  des
Grauens, im Aufspritzen der Vernichtung, im Todesbrullen der Explosionen die
ungeheure  Widerwelle  gewonnenen  Lebens!  Der  irre Sturm fast  zerfetzten
Daseins floß im Ruckstrom von dir durch unsre Hunde, so  daß wir
die geretteten in dich  gruben und  im stummen  Angstgluck der uberstandenen
Minute mit unseren Lippen in dich hineinbissen! -
     Wir  schnellen mit einem  Ruck in  einem Teil unseres Seins beim ersten
Druhnen der Granaten um Tausende  von Jahren zuruck. Es ist der Instinkt des
Tieres, der  in  uns erwacht,  der  uns leitet und beschutzt.  Er  ist nicht
bewußt, er ist viel schneller, viel sicherer, viel unfehlbarer als das
Bewußtsein. Man kann es nicht erkluren. Man geht und denkt an nichts -
plutzlich  liegt  man  in einer  Bodenmulde,  und uber  einen  spritzen  die
Splitter  hinweg; - aber  man kann sich  nicht entsinnen, die Granate kommen
gehurt oder den Gedanken  gehabt zu haben, sich  hinzulegen. Hutte man  sich
darauf verlassen sollen, man wure bereits ein Haufen verstreutes Fleisch. Es
ist  das  andere  gewesen, diese  hellsichtige  Witterung  in  uns, die  uns
niedergerissen und gerettet  hat,  ohne daß man weiß,  wie. Wenn
sie nicht wure, gube  es von  Flandern bis zu den Vogesen schon lungst keine
Menschen mehr.
     Wir fahren ab als murrische  oder gutgelaunte Soldaten, - wir kommen in
die Zone, wo die Front beginnt, und sind Menschentiere geworden.
     Ein durftiger  Wald nimmt uns auf. Wir  passieren  die  Gulaschkanonen.
Hinter  dem Walde steigen wir  ab. Die Wagen fahren  zuruck. Sie  sollen uns
morgens vor dem Hellwerden wieder abholen.
     Nebel und  Geschutzrauch stehen in Brusthuhe uber den Wiesen.  Der Mond
scheint  darauf.  Auf  der  Straße  ziehen  Truppen.   Die  Stahlhelme
schimmern mit  matten Reflexen im Mondlicht. Die Kupfe und die Gewehre ragen
aus dem weißen Nebel, nickende Kupfe, schwankende Gewehrluufe.
     Weiter vorn hurt der Nebel  auf. Die Kupfe  werden hier zu Gestalten; -
Rucke, Hosen und Stiefel kommen aus dem Nebel  wie aus einem Milchteich. Sie
formieren sich zur Kolonne. Die Kolonne marschiert, geradeaus, die Gestalten
schließen  sich zu einem Keil, man erkennt  die einzelnen  nicht mehr,
nur ein dunkler Keil schiebt  sich nach vorn, sonderbar  ergunzt  aus den im
Nebelteich  heranschwimmenden Kupfen  und  Gewehren.  Eine Kolonne  -  keine
Menschen.
     Auf einer Querstraße fahren  leichte Geschutze und Munitionswagen
heran. Die Pferde haben glunzende Rucken im Mondschein, ihre Bewegungen sind
schun, sie werfen die  Kupfe, man sieht die Augen blitzen. Die Geschutze und
Wagen  gleiten  vor  dem   verschwimmenden  Hintergrund  der  Mondlandschaft
voruber,  die  Reiter  mit  ihren Stahlhelmen  sehen aus  wie  Ritter  einer
vergangenen Zeit, es ist irgendwie schun und ergreifend.
     Wir streben dem Pionierpark zu. Ein Teil  von uns ladet  sich gebogene,
spitze Eisenstube  auf die  Schultern, der  andere steckt glatte Eisenstucke
durch Drahtrollen und zieht damit ab. Die Lasten sind unbequem und schwer.
     Das  Terrain  wird  zerrissener.   Von  vorn  kommen  Meldungen  durch:
"Achtung, links tiefer Granattrichter" - "Vorsicht, Graben" -
     Unsere Augen sind angespannt, unsere Fuße  und Stucke fuhlen vor,
ehe  sie die Last  des  Kurpers  empfangen. Mit einmal  hult der Zug; -  man
prallt mit dem Gesicht gegen die Drahtrolle des Vordermannes und schimpft.
     Einige zerschossene Wagen  sind im Wege.  Ein neuer Befehl. "Zigaretten
und Pfeifen aus." -Wir sind dicht an den Gruben.
     Es ist inzwischen ganz dunkel  geworden. Wir  umgehen ein Wuldchen  und
haben dann den Frontabschnitt vor uns.
     Eine  Ungewisse, ru<