/u>tliche  Helle steht am Horizont  von einem  Ende zum
andern.  Sie  ist in stundiger  Bewegung,  durchzuckt  vom Mundungsfeuer der
Batterien. Leuchtkugeln steigen daruber  hoch, silberne  und rote Bulle, die
zerplatzen  und in  weißen,  grunen  und  roten Sternen  niederregnen.
Franzusische Raketen schießen auf, die in der Luft einen  Seidenschirm
entfalten und ganz langsam niederschweben. Sie erleuchten alles taghell, bis
zu  uns  dringt ihr Schein, wir  sehen  unsere  Schatten  scharf  am  Boden.
Minutenlang  schweben  sie, ehe  sie ausgebrannt sind.  Sofort  steigen neue
hoch, uberall, und dazwischen wieder die grunen, roten und blauen.
     "Schlamassel", sagt Kat.
     Das  Gewitter der Geschutze  versturkt  sich  zu einem einzigen dumpfen
Druhnen und zerfullt dann wieder in  Gruppeneinschluge. Die trockenen Salven
der Maschinengewehre knarren. uber uns ist die Luft erfullt von unsichtbarem
Jagen, Heulen, Pfeifen und Zischen. Es sind kleinere Geschosse; - dazwischen
orgeln aber  auch die  großen Kohlenkusten,  die ganz schweren Brocken
durch die  Nacht und  landen  weit  hinteruns.  Sie  haben  einen ruhrenden,
heiseren, entfernten  Ruf, wie Hirsche in  der  Brunft, und ziehen hoch uber
dem Geheul und Gepfeife der kleineren Geschosse ihre Bahn.
     Die Scheinwerfer beginnen den schwarzen Himmel abzusuchen. Sie rutschen
daruber hin wie riesige, am Ende  dunner werdende Lineale. Einer steht still
und zittert nur wenig. Sofort ist ein zweiter bei ihm, sie kreuzen sich, ein
schwarzes  Insekt ist zwischen ihnen und versucht zu entkommen: der Flieger.
Er wird unsicher, geblendet und taumelt.
     Wir rammen die Eisenpfuhle in  regelmußigen Abstunden fest. Immer
zwei Mann halten eine Rolle,  die andern spulen den Stacheldraht ab.  Es ist
der ekelhafte  Draht mit  den  dichtstehenden, langen Stacheln.  Ich bin das
Abrollen nicht mehr gewuhnt und reiße mir die Hand auf.
     Nach einigen Stunden sind wir fertig Aber  wir haben noch Zeit, bis die
Lastwagen  kommen.  Die meisten  von uns legen  sich hin  und  schlafen. Ich
versuche es auch.  Doch es  wird zu kuhl.  Man merkt, daß wir nahe  am
Meere sind, man wacht vor Kulte immer wieder auf.
     Einmal  schlafe ich fest. Als  ich plutzlich mit einem Ruck hochfliege,
weiß ich nicht, wo ich bin. Ich sehe die  Sterne, ich sehe die Raketen
und  habe  einen   Augenblick  den  Eindruck,  auf   einem  Fest  im  Garten
eingeschlafen zu sein. Ich  weiß nicht, ob es  Morgen oder Abend  ist,
ich  liege in der bleichen Wiege  der Dummerung und warte  auf weiche Worte,
die kommen  mussen,  weich und geborgen - weine ich? Ich  fasse nach  meinen
Augen, es ist  so wunderlich,  bin ich ein  Kind? Sanfte  Haut;  -  nur eine
Sekunde  wuhrt es,  dann erkenne  ich die Silhouette  Katczinskys. Er  sitzt
ruhig, der alte Soldat, und raucht eine Pfeife, eine Deckelpfeife naturlich.
Als er  bemerkt,  daß  ich wach  bin,  sagt  er  nur: "Du  bist  schun
zusammengefahren. Es war nur ein Zunder, er ist da ins Gebusch gesaust."
     Ich setze mich hoch,  ich  fuhle  mich sonderbar  allein.  Es ist  gut,
daß  Kat  da  ist. Er sieht gedankenvoll  zur Front  und  sagt:  "Ganz
schunes Feuerwerk, wenn's nicht so gefuhrlich wure."
     Hinter uns  schlugt es ein.  Ein paar  Rekruten fahren  erschreckt auf.
Nach ein paar Minuten funkt es wieder heruber,  nuher als vorher. Kat klopft
seine Pfeife aus. "Es gibt Zunder."
     Schon geht es  los. Wir kriechen weg,  so gut es in  der Eile geht. Der
nuchste Schuß sitzt bereits zwischen  uns. Ein paar Leute schreien. Am
Horizont steigen grune Raketen auf. Der  Dreck fliegt hoch, Splitter surren.
Man hurt sie  noch  aufklatschen, wenn der Lurm der Einschluge lungst wieder
verstummt ist.
     Neben uns liegt ein verungstigter  Rekrut,  ein  Flachskopf. Er hat das
Gesicht  in die Hunde gepreßt. Sein Helm ist weggepurzelt.  Ich fische
ihn heran und will ihn auf seinen Schudel stulpen. Er sieht auf, stußt
den Helm fort und kriecht wie ein Kind mit dem Kopf unter  meinen Arm, dicht
an  meine Brust. Die schmalen Schultern zucken. Schultern, wie Kemmerich sie
hatte.
     Ich lasse ihn  gewuhren. Damit  der Helm aber wenigstens zu etwas nutze
ist,  packe  ich ihn auf  seinen Hintern, nicht aus  Bludsinn,  sondern  aus
uberlegung, denn das ist der huchste Fleck. Wenn da zwar auch dickes Fleisch
sitzt,  Schusse  hinein  sind  doch  verflucht  schmerzhaft,  außerdem
muß  man monatelang  im  Lazarett  auf  dem Bauch  liegen und  nachher
ziemlich sicher hinken.
     Irgendwo  hat  es  muchtig eingehauen. Man  hurt Schreien  zwischen den
Einschlugen.
     Endlich wird  es ruhig. Das Feuer ist  uber  uns hinweggefegt und liegt
nun auf den letzten Reservegruben. Wir riskieren einen  Blick.  Rote Raketen
flattern am Himmel. Wahrscheinlich kommt ein Angriff.
     Bei uns bleibt es ruhig. Ich setze mich auf und ruttele den Rekruten an
der Schulter. "Vorbei, Kleiner! Ist noch mal gutgegangen."
     Er sieht  sich  versturt  um.  Ich  rede  ihm  zu:  "Wirst  dich  schon
gewuhnen."
     Er bemerkt  seinen Helm und  setzt  ihn auf. Langsam kommt er zu  sich.
Plutzlich wird er feuerrot und hat ein verlegenes Aussehen. Vorsichtig langt
er  mit der Hand nach hinten und sieht mich gequult an. Ich verstehe sofort:
Kanonenfieber.  Dazu  hatte   ich  ihm  eigentlich  den  Helm  nicht  gerade
dorthingepackt - aber ich truste ihn doch:  "Das ist keine Schande, es haben
schon  ganz  andere Leute als  du nach ihrem  ersten Feueruberfall die Hosen
voll gehabt. Geh hinter den Busch da und schmeiß  deine Unterhose weg.
Erledigt -"
     Er trollt sich. Es wird stiller, doch das Schreien hurt nicht auf. "Was
ist los, Albert?" frage ich.
     "Druben haben ein paar Kolonnen Volltreffer gekriegt."
     Das  Schreien  dauert an. Es sind keine  Menschen, sie  kunnen nicht so
furchtbar schreien.
     Kat sagt: "Verwundete Pferde."
     Ich  habe noch nie Pferde schreien gehurt  und kann es kaum glauben. Es
ist  der  Jammer  der  Welt,  es  ist  die gemarterte  Kreatur, ein  wilder,
grauenvoller Schmerz,  der da stuhnt. Wir sind bleich. Detering richtet sich
auf. "Schinder, Schinder! Schießt sie doch ab!"
     Er ist Landwirt  und mit Pferden vertraut. Es geht  ihm  nahe. Und  als
wure es Absicht, schweigt das Feuer jetzt beinahe. Um so deutlicher wird das
Schreien der  Tiere.  Man  weiß nicht mehr, woher  es  kommt in dieser
jetzt  so stillen,  silbernen  Landschaft,  es ist  unsichtbar, geisterhaft,
uberall,  zwischen  Himmel und  Erde,  es  schwillt  unermeßlich  an -
Detering wird wutend  und brullt: "Erschießt  sie, erschießt sie
doch, verflucht noch mal!"
     "Sie mussen doch erst die Leute holen", sagt Kat.
     Wir  stehen auf  und  suchen, wo die Stelle  ist.  Wenn  man die  Tiere
erblickt, wird es besser auszuhalten sein. Meyer  hat ein Glas bei sich. Wir
sehen  eine  dunkle   Gruppe   Sanituter   mit  Tragbahren   und   schwarze,
grußere  Klumpen, die sich  bewegen. Das  sind die verwundeten Pferde.
Aber  nicht alle.  Einige galoppieren  weiter  entfernt, brechen nieder  und
rennen  weiter. Einem ist  der Bauch aufgerissen,  die  Gedurme  hungen lang
heraus. Es verwickelt sich darin und sturzt, doch es steht wieder auf.
     Detering reißt das Gewehr hoch und zielt.  Kat schlugt es  in die
Luft. "Bist du verruckt -?"
     Detering zittert und wirft sein Gewehr auf die Erde.
     Wir  setzen  uns  hin  und   halten  uns  die  Ohren  zu.  Aber  dieses
entsetzliche  Klagen und  Stuhnen  und  Jammern schlugt  durch,  es  schlugt
uberall durch.
     Wir kunnen alle etwas vertragen. Hier aber bricht uns der Schweiß
aus.  Man  muchte  aufstehen und  fortlaufen,  ganz gleich wohin, nur um das
Schreien nicht mehr zu huren. Dabei sind es doch keine Menschen, sondern nur
Pferde.
     Von  dem  dunklen  Knuuel  lusen sich wieder Tragbahren.  Dann  knallen
einzelne  Schusse.  Die  Klumpen zucken und werden flacher. Endlich! Aber es
ist  noch  nicht zu Ende. Die  Leute kommen  nicht  an die verwundeten Tiere
heran, die in ihrer Angst fluchten,  allen Schmerz in den weit aufgerissenen
Muulern. Eine  der Gestalten  geht  aufs Knie,  ein Schuß -  ein Pferd
bricht nieder, - noch eins.  Das letzte stemmt sich  auf die Vorderbeine und
dreht  sich im  Kreise wie  ein  Karussell,  sitzend dreht es sich  auf  den
hochgestemmten   Vorderbeinen  im  Kreise,  wahrscheinlich  ist  der  Rucken
zerschmettert.  Der Soldat rennt hin und schießt es  nieder.  Langsam,
demutig rutscht es zu Boden.
     Wir nehmen die Hunde von den Ohren. Das Schreien ist verstummt. Nur ein
langgezogener, ersterbender Seufzer hungt noch in der Luft. Dann sind wieder
nur die  Raketen, das Granatensingen und  die Sterne da - und das  ist  fast
sonderbar.
     Detering geht und flucht: "Muchte wissen, was die fur Schuld haben." Er
kommt nachher noch einmal heran. Seine Stimme ist erregt, sie klingt beinahe
feierlich, als er sagt: "Das  sage ich  euch, es  ist die  allergrußte
Gemeinheit, daß Tiere im Krieg sind."
     Wir gehen zuruck. Es ist Zeit, zu unseren Wagen zu gelangen. Der Himmel
ist eine Spur heller geworden. Drei Uhr morgens. Der
     Wind ist frisch und kuhl, die fahle Stunde macht unsere Gesichter
     Wir tappen  uns  vorwurts im Gunsemarsch durch die  Gruben und Trichter
und gelangen wieder in die  Nebelzone. Katczinsky ist unruhig,  das ist  ein
schlechtes Zeichen.
     "Was hast du, Kat?" fragt Kropp.
     "Ich  wollte,  wir  wuren  erst zu Hause."  -  Zu  Hause," er meint die
Baracken.
     "Dauert nicht mehr lange, Kat."
     Er ist nervus.
     "Ich weiß nicht, ich weiß nicht -"
     Wir  kommen in  die Laufgruben und  dann  in  die Wiesen.  Das Wuldchen
taucht auf; wir kennen hier  jeden  Schritt  Boden. Da ist der Jugerfriedhof
schon mit den Hugeln und den schwarzen Kreuzen.
     In diesem Augenblick pfeift  es hinter uns, schwillt, kracht,  donnert.
Wir haben uns gebuckt  - hundert Meter vor uns schießt eine Feuerwolke
empor.
     In der  nuchsten  Minute hebt sich ein Stuck  Wald unter einem  zweiten
Einschlag  langsam uber die  Gipfel, drei, vier Buume segeln mit und brechen
dabei in  Stucke.  Schon zischen  wie  Kesselventile die  folgenden Granaten
heran - scharfes Feuer -
     "Deckung!" brullt jemand - "Deckung!" -
     Die Wiesen sind flach, der Wald ist zu weit und  gefuhrlich; -  es gibt
keine andere  Deckung als den Friedhof und die  Gruberhugel. Wir stolpern im
Dunkel hinein, wie hingespuckt klebt jeder gleich hinter einem Hugel.
     Keinen Moment zu fruh. Das Dunkel wird wahnsinnig.  Es wogt  und  tobt.
Schwurzere  Dunkelheiten als die Nacht rasen mit Riesenbuckeln auf uns  los,
uber  uns  hinweg.  Das Feuer  der  Explosionen  uberflackert  den Friedhof.
Nirgendwo  ist  ein  Ausweg. Ich wage im Aufblitzen der Granaten einen Blick
auf  die  Wiesen.  Sie  sind  ein  aufgewuhltes  Meer, die Stichflammen  der
Geschosse springen  wie Fontunen heraus.  Es  ist ausgeschlossen,  daß
jemand daruber hinwegkommt.
     Der Wald verschwindet,  er  wird  zerstampft, zerfetzt,  zerrissen. Wir
mussen hier auf dem Friedhof bleiben.
     Vor uns birst die Erde. Es regnet  Schollen. Ich spure einen Ruck. Mein
urmel  ist  aufgerissen  durch  einen Splitter. Ich balle  die Faust.  Keine
Schmerzen. Doch das beruhigt mich nicht, Verletzungen schmerzen  stets  erst
sputer.  Ich fahre uber  den Arm. Er ist angekratzt, aber heil. Da knallt es
gegen meinen  Schudel, daß mir das Bewußtsein  verschwimmt.  Ich
habe  den  blitzartigen  Gedanken:  Nicht  ohnmuchtig  werden!, versinke  in
schwarzem Brei und komme sofort wieder  hoch.  Ein Splitter ist gegen meinen
Helm gehauen, er kam so weit her, daß er nicht durchschlug. Ich wische
mir den  Dreck aus den Augen.  Vor mir ist ein Loch aufgerissen, ich erkenne
es undeutlich. Granaten treffen nicht leicht  in denselben Trichter, deshalb
will ich hinein.  Mit einem Satze schnelle ich mich  lang vor, flach wie ein
Fisch  uber den  Boden,  da pfeift es wieder,  rasch  krieche  ich zusammen,
greife  nach  der Deckung,  fuhle links etwas, presse mich daneben,  es gibt
nach, ich stuhne, die Erde  zerreißt, der Luftdruck donnert in  meinen
Ohren, ich krieche unter das Nachgebende, decke es uber mich, es  ist  Holz,
Tuch, Deckung, Deckung, armselige Deckung vor herabschlagenden Splittern.
     Ich uffne die Augen, meine Finger halten einen urmel umklammert,  einen
Arm. Ein Verwundeter? Ich schreie ihm zu, keine  Antwort - ein  Toter. Meine
Hand faßt weiter, in Holzsplitter, da weiß ich wieder, daß
wir auf dem Friedhof liegen.
     Aber  das  Feuer  ist  sturker  als alles  andere.  Es  vernichtet  die
Besinnung, ich  krieche  nur  noch  tiefer  unter  den  Sarg,  er soll  mich
schutzen, und wenn der Tod selber in ihm liegt.
     Vor  mir klafft der Trichter. Ich  fasse  ihn  mit den  Augen  wie  mit
Fuusten, ich muß mit einem  Satz hinein. Da  erhalte ich einen  Schlag
ins Gesicht, eine Hand klammert sich um meine Schulter - ist der Tote wieder
erwacht?  - Die Hand schuttelt mich, ich wende  den  Kopf, in sekundenkurzem
Licht starre ich in das Gesicht Katczinskys,  er hat den Mund weit offen und
brullt, ich hure nichts, er ruttelt mich, nuhert sich; in  einem Moment  des
Abschwellens  erreicht  mich   seine   Stimme:   "Gas  -  Gaaas   -   Gaaas!
-Weitersagen!"
     Ich  reiße  die  Gaskapsel  heran. Etwas entfernt  von mir  liegt
jemand. Ich denke an nichts mehr  als an dies: Der dort muß es wissen:
"Gaaas - Gaaas -!"
     Ich rufe, schiebe mich heran, schlage mit der Kapsel nach ihm, er merkt
nichts  - noch einmal, noch einmal - er duckt sich nur - es ist ein Rekrut -
ich sehe verzweifelt nach Kat, er hat die  Maske vor - ich reiße meine
auch heraus,  der Helm fliegt beiseite,  sie streift sich uber mein Gesicht,
ich erreiche den  Mann, am  nuchsten liegt mir  seine  Kapsel, ich fasse die
Maske, schiebe sie  uber seinen Kopf, er  greift  zu - ich  lasse los -  und
liege plutzlich mit einem Ruck im Trichter.
     Der  dumpfe  Knall  der  Gasgranaten  mischt  sich  in das  Krachen der
Explosivgeschosse.  Eine  Glocke  druhnt  zwischen die  Explosionen,  Gongs,
Metallklappern kunden uberallhin - Gas - Gas - Gaas -
     Hinter mir plumpst  es, einmal, zweimal.  Ich wische  die Augenscheiben
meiner Maske vom Atemdunst sauber. Es  sind Kat, Kropp und noch  jemand. Wir
liegen zu viert in schwerer,  lauernder Anspannung und atmen so schwach  wie
muglich.
     Die ersten  Minuten mit der Maske entscheiden uber  Leben und  Tod: ist
sie dicht? Ich kenne die furchtbaren Bilder aus dem Lazarett: Gaskranke, die
m tagelangem Wurgen die verbrannten Lungen stuckweise auskotzen.
     Vorsichtig,  den  Mund  auf  die  Patrone  gedruckt,  atme  ich.  Jetzt
schleicht der Schwaden  uber  den Boden und sinkt  in alle Vertiefungen. Wie
ein weiches, breites Quallentier legt er  sich  in unseren  Trichter, rukelt
sich hinein. Ich stoße Kat an: es ist besser herauszukriechen und oben
zu liegen,  als hier, wo das  Gas sich  am  meisten sammelt. Doch wir kommen
nicht dazu, ein zweiter Feuerhagel beginnt. Es ist, als  ob nicht  mehr  die
Geschosse brullen; es ist, als ob die Erde selbst tobt.
     Mit  einem Krach  saust etwas  Schwarzes  zu uns  herab. Hart neben uns
schlugt es ein, ein hochgeschleuderter Sarg.
     Ich sehe Kat sich bewegen und krieche hinuber. Der Sarg ist dem vierten
in  unserem Loch auf den ausgestreckten  Arm geschlagen. Der Mann  versucht,
mit der andern Hand  die Gasmaske abzureißen. Kropp greift rechtzeitig
zu, biegt ihm die Hand hart auf den Rucken und hult sie fest.
     Kat  und  ich gehen  daran,  den verwundeten  Arm  frei  zu machen. Der
Sargdeckel ist lose und geborsten, wir kunnen ihn leicht abreißen, den
Toten  werfen  wir  hinaus,  er sackt nach  unten,  dann versuchen  wir, den
unteren Teil zu lockern.
     Zum Gluck wird der  Mann bewußtlos,  und Albert kann  uns helfen.
Wir  brauchen nun  nicht  mehr  so  behutsam zu sein und arbeiten,  was  wir
kunnen, bis der Sarg mit einem Seufzer nachgibt unter dem daruntergesteckten
Spaten.
     Es ist heller geworden. Kat nimmt ein  Stuck des Deckels, legt es unter
den zerschmetterten  Arm, und wir binden alle unsere Verbandspuckchen darum.
Mehr kunnen wir im Moment nicht tun.
     Mein Kopf brummt  und druhnt in der Gasmaske, er  ist nahe am  Platzen.
Die  Lungen  sind  angestrengt,   sie  haben  nur   immer  wieder  denselben
heißen, verbrauchten Atem,  die Schlufenadern schwellen, man glaubt zu
ersticken -
     Graues  Licht sickert zu uns herein. Wind fegt  uber den  Friedhof. Ich
schiebe mich uber den Rand des Trichters. In der schmutzigen Dummerung liegt
vor mir ein ausgerissenes Bein, der  Stiefel ist vollkommen  heil, ich  sehe
das alles  ganz deutlich  im Augenblick. Aber jetzt erhebt sich wenige Meter
weiter  jemand,  ich  putze  die  Fenster, sie beschlagen mir vor  Aufregung
sofort wieder, ich starre hinuber - der Mann dort trugt keine Gasmaske mehr.
     Noch Sekunden warte ich  - er  bricht nicht zusammen, er blickt suchend
umher und macht einige Schritte - der Wind  hat das Gas zerstreut,  die Luft
ist frei - da zerre ich ruchelnd ebenfalls die Maske weg und  falle hin, wie
kaltes Wasser strumt die Luft  in mich hinein, die Augen wollen brechen, die
Welle uberschwemmt mich und luscht mich dunkel aus.
     Die  Einschluge haben aufgehurt. Ich  drehe mich zum Trichter und winke
den  andern. Sie klettern  herauf und reißen sich die Masken herunter.
Wir umfassen  den  Verwundeten,  einer  nimmt  seinen  geschienten  Arm.  So
stolpern wir hastig davon.
     Der Friedhof  ist ein  Trummerfeld. Surge und Leichen liegen verstreut.
Sie  sind noch  einmal  getutet  worden; aber jeder von ihnen,  der zerfetzt
wurde, hat einen von uns gerettet.
     Der   Zaun  ist  verwustet,  die  Schienen  der  Feldbahn  druben  sind
aufgerissen, sie starren hochgebogen in die Luft. Vor uns liegt jemand.  Wir
halten an, nur Kropp geht mit dem Verwundeten weiter.
     Der am Boden ist ein Rekrut. Seine Hufte ist blutverschmiert; er ist so
erschupft, daß ich nach meiner  Feldflasche greife, in der ich Rum mit
Tee habe. Kat hult meine Hand zuruck und beugt sich uber ihn: "Wo hat's dich
erwischt, Kamerad?"
     Er bewegt die Augen; er ist zu schwach zum Antworten.
     Wir  schneiden vorsichtig  die Hose auf.  Er stuhnt.  "Ruhig, ruhig, es
wird ja besser -"
     Wenn er einen  Bauchschuß  hat, darf  er nichts trinken.  Er  hat
nichts erbrochen, das  ist gunstig. Wir legen die Hufte bloß. Sie  ist
ein  einziger  Fleischbrei mit Knochensplittern. Das  Gelenk  ist getroffen.
Dieser Junge wird nie mehr gehen kunnen.
     Ich wische ihm  mit dem  befeuchteten Finger  uber die Schlufe und gebe
ihm einen  Schluck. In  seine Augen  kommt Bewegung.  Jetzt erst sehen  wir,
daß auch der rechte Arm blutet.
     Kat zerfasert zwei Verbandspuckchen so breit wie muglich, damit sie die
Wunde decken. Ich suche nach Stoff,  um ihn lose daruberzuwickeln. Wir haben
nichts mehr,  deshalb schlitze ich dem Verwundeten das Hosenbein weiter auf,
um ein Stuck seiner Unterhose als Binde zu verwenden.  Aber  er trugt keine.
Ich sehe ihn genauer an: es ist der Flachskopf von vorhin.
     Kat hat  inzwischen  aus den Taschen eines Toten  noch Puckchen geholt,
die wir vorsichtig  an die Wunde  schieben.  Ich  sage  dem  Jungen, der uns
unverwandt ansieht: "Wir holen jetzt eine Bahre."
     Da uffnet er den Mund und flustert: "Hierbleiben -"
     Kat sagt: "Wir kommen ja gleich wieder. Wir holen fur dich eine Bahre."
     Man kann  nicht erkennen, ob er verstanden hat; er wimmert wie ein Kind
hinter uns her: "Nicht weggehen -"
     Kat  sieht sich  um und flustert:  "Sollte  man da nicht einfach  einen
Revolver nehmen, damit es aufhurt?"
     Der Junge  wird den  Transport  kaum uberstehen, und huchstens  kann es
noch einige Tage  mit ihm dauern. Alles  bisher  aber wird nichts sein gegen
diese Zeit, bis er stirbt. Jetzt ist  er noch  betuubt  und fuhlt nichts. In
einer  Stunde  wird er  ein  kreischendes  Bundel  unertruglicher  Schmerzen
werden.  Die Tage, die er noch  leben kann, bedeuten  fur  ihn  eine einzige
rasende Qual. Und wem nutzt es, ob er sie noch hat oder nicht -
     Ich nicke. "Ja, Kat, man sollte einen Revolver nehmen."
     " Gib her", sagt er  und  bleibt stehen.  Er ist entschlossen, ich sehe
es. Wir  blicken  uns um, aber wir  sind  nicht mehr allein. Vor uns sammelt
sich  ein Huuflein,  aus den Trichtern und Grubern kommen  Kupfe.  Wir holen
eine Bahre.
     Kat schuttelt  den Kopf. "  So junge  Kerle" -  Er  wiederholt  es: "So
junge, unschuldige Kerle -"
     Unsere Verluste sind  geringer, als anzunehmen war: funf Tote und  acht
Verwundete.  Es war nur  ein  kurzer  Feueruberfall. Zwei von  unseren Toten
liegen  in  einem der  aufgerissenen  Gruber; wir  brauchen  sie  bloß
zuzubuddeln.
     Wir gehen zuruck. Schweigend trotten wir im  Gunsemarsch hintereinander
her.  Die  Verwundeten  werden zur Sanitutsstation gebracht. Der Morgen  ist
trube,  die  Krankenwurter laufen mit Nummern und  Zetteln,  die  Verletzten
wimmern. Es beginnt zu regnen.
     Nach einer Stunde haben wir unsere Wagen  erreicht und klettern hinauf.
Jetzt ist mehr Platz als vorher da.
     Der  Regen wird sturker.  Wir breiten Zeltbahnen aus und legen sie  auf
unsere Kupfe. Das Wasser trommelt darauf nieder. An den Seiten fließen
die Regenstruhnen  ab. Die Wagen platschen durch die  Lucher, und wir wiegen
uns im Halbschlaf hin und her.
     Zwei Mann vorn im  Wagen  haben  lange gegabelte  Stucke bei sich.  Sie
achten  auf  die Telefondruhte,  die quer uber die Straße  hungen,  so
tief, daß  sie  unsere Kupfe wegreißen kunnen. Die beiden  Leute
fangen sie mit  ihren  gegabelten Stucken auf und heben sie uber uns hinweg.
Wir huren ihren Ruf: "Achtung - Draht", und  im Halbschlaf gehen  wir in die
Kniebeuge und richten uns wieder auf.
     Monoton  pendeln die Wagen,  monoton sind  die Rufe, monoton rinnt  der
Regen. Er rinnt auf unsere Kupfe  und auf die  Kupfe der Toten vorn, auf den
Kurper des kleinen Rekruten mit der Wunde, die viel zu groß fur  seine
Hufte ist, er rinnt auf das Grab Kemmerichs, er rinnt auf unsere Herzen.
     Ein Einschlag hallt irgendwo. Wir zucken  auf, die Augen sind gespannt,
die  Hunde wieder  bereit,  um die Kurper uber die  Wunde  des Wagens in den
Straßengraben zu werfen.
     Es kommt nichts weiter. - Monoton nur die Rufe: "Achtung - Draht" - wir
gehen in die Knie, wir sind wieder im Halbschlaf.
        5
     Es ist beschwerlich, die einzelne Laus zu tuten, wenn man Hunderte hat.
Die Tiere sind etwas hart,  und das ewige Knipsen mit den Fingernugeln  wird
langweilig. Tjaden hat deshalb den Deckel einer Schuhputzschachtel mit Draht
uber einem brennenden Kerzenstumpf  befestigt. In diese kleine Pfanne werden
die Luuse einfach hineingeworfen - es knackt, und sie sind erledigt.
     Wir sitzen rundherum, die Hemden auf den Knien, den Oberkurper nackt in
der warmen Luft, die Hunde bei der Arbeit. Haie hat eine besonders feine Art
von  Luusen:  sie haben ein rotes Kreuz auf dem  Kopf. Deshalb behauptet er,
sie  aus dem Lazarett inThourhout mitgebracht zu  haben, sie seien von einem
Oberstabsarzt persunlich.  Er will auch das sich langsam in  dem Blechdeckel
ansammelnde Fett zum Stiefelschmieren benutzen und brullte eine halbe Stunde
lang vor Lachen uber seinen Witz.
     Doch heute hat er wenig Erfolg; etwas anderes beschuftigt uns zu sehr.
     Das Gerucht ist Wahrheit geworden. Himmelstoß ist da. Gestern ist
er erschienen, wir haben seine wohlbekannte Stimme schon gehurt. Er soll  zu
Hause ein paar junge  Rekruten zu  kruftig im  Sturzacker gehabt haben. Ohne
daß er es wußte,  war der Sohn des Regierungsprusidenten  dabei.
Das brach ihm das Genick.
     Hier   wird  er  sich  wundern.  Tjaden  erurtert  seit   Stunden  alle
Muglichkeiten,  wie  er  ihm  antworten will. Haie  sieht nachdenklich seine
große  Flosse  an  und  kneift mir  ein  Auge.  Die  Prugelei  war der
Huhepunkt  seines Daseins;  er  hat mir erzuhlt,  daß er noch manchmal
davon truumt.
     Kropp  und  Muller  unterhalten  sich.  Kropp   hat  als  einziger  ein
Kochgeschirr  voll  Linsen erbeutet, wahrscheinlich  bei  der  Pionierkuche.
Muller schielt gierig hin, beherrscht sich aber und fragt: ,.....
     "Albert, was wurdest du tun, wenn jetzt mit einemmal Frieden wure?"
     "Frieden gibt's nicht!" uußert Albert kurz.
     "Na, aber wenn -", beharrt Muller, "was wurdest du machen?"
     "Abhauen!" knurrt Kropp.
     "Das ist klar. Und dann?"
     "Mich besaufen", sagt Albert.
     "Rede keinen Quatsch, ich meine es ernst -"
     "Ich auch", sagt Albert, "was soll man denn anders machen."
     Kat interessiert sich fur die Frage. Er fordert von Kropp seinen Tribut
an den Linsen, erhult ihn, uberlegt dann lange  und meint: "Besaufen  kunnte
man  sich  ja, sonst aber auf  die nuchste Eisenbahn  - und ab nach Muttern.
Mensch, Frieden, Albert -"
     Er kramt in seiner Wachstuchbrieftasche nach einer Fotografie und zeigt
sie stolz herum. "Meine Alte!" Dann packt er sie weg und flucht: "Verdammter
Lausekrieg -"
     "Du  kannst  gut reden",  sage ich. "Du hast  deinen  Jungen und  deine
Frau."
     "Stimmt", nickt er, "ich muß  dafur  sorgen, daß sie was zu
essen haben."
     Wir  lachen.  "Daran wird's  nicht fehlen,  Kat, sonst  requierierst du
eben."
     Muller ist hungrig und gibt sich noch nicht zufrieden. Er schreckt Haie
Westhus aus seinen Verprugeltruumen. "Haie, was wurdest du denn machen, wenn
jetzt Frieden wure?"
     "Er mußte dir den  Arsch vollhauen,  weil du hier  von  so  etwas
uberhaupt anfungst", sage ich, "wie kommt das eigentlich?"
     "Wie kommt Kuhscheiße aufs  Dach?" antwortet Muller lakonisch und
wendet sich wieder an Haie Westhus. Es ist zu schwer auf einmal fur Haie. Er
wiegt seinen sommersprossigen  Schudel:  "Du  meinst,  wenn kein Krieg  mehr
ist?"
     "Richtig. Du merkst auch alles."
     "Dann kumen doch wieder Weiber, nicht?" - Haie leckt sich das Maul.
     "Das auch."
     "Meine Fresse noch mal", sagt Haie, und  sein Gesicht  taut auf, " dann
wurde  ich  mir  so  einen  strammen  Feger  schnappen, so  einen  richtigen
Kuchendragoner, weißt du, mit ordentlich was dran zum Festhalten,  und
sofort  nichts  wie  'rin  in  die  Betten!  Stell  dir  mal  vor,  richtige
Federbetten  mit Sprungmatratzen, Kinners, acht Tage lang  wurde  ich  keine
Hose wieder anziehen."
     Alles schweigt. Das Bild ist  zu wunderbar. Schauer laufen uns uber die
Haut. Endlich ermannt sich Muller und fragt: "Und danach?"
     Pause. Dann erklurt Haie etwas verzwickt: "Wenn ich Unteroffizier wure,
wurde ich erst noch bei den Preußen bleiben und kapitulieren."
     "Haie, du hast glatt einen Vogel", sage ich.
     Er fragt gemutlich zuruck: "Hast du schon mal Torf gestochen? Probier's
mal."
     Damit zieht er  seinen Luffel aus dem Stiefelschaft  und langt damit in
Alberts Eßnapf.
     "Schlimmer als  Schanzen  in der  Champagne  kann's  auch nicht  sein",
erwiderte ich.
     Haie kaut und grinst: "Dauert  aber  lunger.  Kannst  dich  auch  nicht
drucken."
     "Aber, Mensch, zu Hause ist es doch besser, Haie."
     "Teils, teils", sagt er und versinkt mit offenem Munde in Grubelei.
     Man kann auf  seinen  Zugen  lesen,  was  er denkt.  Da  ist  eine arme
Moorkate, da ist schwere Arbeit in der Hitze der Heide vom fruhen Morgen bis
zum Abend, da ist spurlicher Lohn, da ist ein schmutziger Knechtsanzug --
     "Hast beim Kommiß in Frieden keine Sorgen", teilt er  mit, "jeden
Tag  ist  dein Futter da, sonst machst  du Krach,  hast dein Bett, alle acht
Tage reine Wusche wie ein Kavalier, machst deinen Unteroffiziersdienst, hast
dein schunes  Zeug; -  abends  bist  du  ein freier  Mann und gehst  in  die
Kneipe."
     Haie ist außerordentlich stolz  auf seine Idee. Er  verliebt sich
darin.  "Und  wenn  du  deine  zwulf  Jahre  um  hast,  kriegst  du   deinen
Versorgungsschein   und  wirst  Landjuger.  Den   ganzen   Tag   kannst   du
Spazierengehen."
     Er schwitzt jetzt vor Zukunft.  "  Stell dir vor, wie du dann traktiert
wirst. Hier einen Kognak, da  einen  halben Liter.  Mit einem Landjuger will
doch jeder gutstehen."
     "Du  wirst ja nie Unteroffizier, Haie", wirft Kat ein. Haie  blickt ihn
betroffen an und schweigt.  In  seinen  Gedanken sind jetzt wohl die  klaren
Abende  im  Herbst,  die  Sonntage   in  der  Heide,  die  Dorfglocken,  die
Nachmittage  und Nuchte  mit den  Mugden, die Buchweizenpfannkuchen mit  den
großen Speckaugen, die sorglos verschwatzten Stunden im Krug -
     Mit soviel Phantasie  kann er  so  rasch  nicht  fertig werden; deshalb
knurrt er nur erbost: "Was ihr immer fur Bludsinn zusammenfragt."
     Er streift sein Hemd uber den Kopf und knupft den Waffenrock zu.
     "Was wurdest du machen, Tjaden?" ruft Kropp.
     Tjaden kennt nur eins. "Aufpassen, daß mir Himmelstoß nicht
durchgeht."
     Er muchte  ihn wahrscheinlich  am liebsten in einen Kufig  sperren  und
jeden Morgen mit einem Knuppel uber ihn herfallen. Zu Kropp schwurmt er:
     "An deiner Stelle wurde ich sehen, daß ich  Leutnant wurde.  Dann
kannst du ihn schleifen, daß ihm das Wasser im Hintern kocht."
     "Und  du,  Detering?"  forscht  Muller  weiter.  Er  ist  der  geborene
Schulmeister mit seiner Fragerei.
     Detering ist wortkarg. Aber auf dieses Thema gibt  er Antwort. Er sieht
in  die  Luft und sagt nur  einen Satz: "Ich  wurde  gerade  noch  zur Ernte
zurechtkommen." Damit steht er auf und geht weg.
     Er  macht  sich Sorgen.  Seine  Frau muß  den Hof bewirtschaften.
Dabei  haben sie  ihm  noch  zwei  Pferde weggeholt.  Jeden Tag liest er die
Zeitungen, die kommen,  ob  es  in  seiner oldenburgischen  Ecke auch  nicht
regnet. Sie bringen das Heu sonst nicht fort.
     In  diesem Augenblick erscheint  Himmelstoß. Er kommt direkt  auf
unsere  Gruppe zu. Tjadens  Gesicht wird fleckig.  Er legt sich lungelang ms
Gras und schließt die Augen vor Aufregung.
     Himmelstoß  ist etwas unschlussig, sein Gang wird langsamer. Dann
marschiert  er  dennoch  zu uns heran. Niemand macht Miene, sich zu erheben.
Kropp sieht ihm interessiert entgegen.
     Er steht jetzt vor uns und wartet.  Da keiner etwas sagt, lußt er
ein "Na?" vom Stapel.
     Ein  paar Sekunden verstreichen;  Himmelstoß weiß sichtlich
nicht, wie er  sich benehmen soll. Am liebsten muchte er uns jetzt im Galopp
schleifen. Immerhin  scheint er schon gelernt zu haben, daß  die Front
kein Kasernenhof ist. Er versucht es abermals  und wendet sich nicht mehr an
alle, sondern an einen, er hofft, so leichter Antwort zu erhalten. Kropp ist
ihm am nuchsten. Ihn beehrt er deshalb. "Na, auch hier?"
     Aber Albert ist sein  Freund nicht.  Er antwortet knapp: "Bißchen
lunger als Sie, denke ich."
     Der  rutliche  Schnurrbart zittert. "Ihr  kennt  mich wohl  nicht mehr,
was?"
     Tjaden schlugt jetzt die Augen auf. "Doch."
     Himmelstoß wendet sich ihm zu: "Das ist doch Tjaden, nicht?"
     Tjaden hebt den Kopf.
     "Und weißt du, was du bist?"
     Himmelstoß  ist verblufft.  "Seit wann duzen  wir uns  denn?  Wir
haben doch nicht zusammen im Chausseegraben gelegen."
     Er weiß absolut nichts aus der Situation zu machen. Diese  offene
Feindseligkeit  hat er nicht erwartet. Aber er hutet  sich vorluufig; sicher
hat ihm jemand den Unsinn von Schussen in den Rucken vorgeschwatzt.
     Tjaden wird auf die Frage nach dem Chausseegraben vor Wut sogar witzig.
     "Nee, das warst du alleme."
     Jetzt kocht Himmelstoß auch. Tjaden kommt ihm jedoch eilig zuvor.
Er muß  seinen Spruch loswerden. "Was  du  bist, willst du wissen?  Du
bist ein Sauhund, das bist du! Das  wollt' ich dir schon  lange  mal sagen."
Die Genugtuung vieler Monate leuchtet ihm aus den blanken Schweinsaugen, als
er den Sauhund hinausschmettert.
     Auch Himmelstoß ist nun entfesselt: "Was willst du  Mistkuter, du
dreckiger  Torfdeubel?   Stehen   Sie   auf,  Knochen  zusammen,   wenn  ein
Vorgesetzter mit Ihnen spricht!"
     Tjaden winkt  großartig.  "Sie  kunnen ruhren,  Himmelstoß.
Wegtreten."
     Himmelstoß ist ein tobendes Exerzierreglement. Der  Kaiser kunnte
nicht beleidigter sein.  Er heult: "Tjaden,  ich  befehle  Ihnen dienstlich:
Stehen Sie auf!"
     "Sonst noch was?" fragt Tjaden.
     "Wollen Sie meinem Befehl Folge leisten oder nicht?"
     Tjaden erwidert gelassen und abschließend, ohne es zu wissen, mit
dem bekanntesten Klassikerzitat. Gleichzeitig luftet er seine Kehrseite.
     Himmelstoß sturmt davon: " Sie kommen vors Kriegsgericht!"
     Wir sehen ihn in der Richtung zur Schreibstube verschwinden.
     Haie und Tjaden sind ein gewaltiges  Torfstechergebrull. Haie lacht so,
daß  er  sich  die  Kinnlade ausrenkt  und mit  offenem Maul plutzlich
hilflos dasteht. Albert muß sie ihm mit einem Faustschlag erst  wieder
einsetzen.
     Kat ist besorgt. "Wenn er dich meldet, wird's buse."
     "Meinst du, daß er es tut?" fragt Tjaden.
     "Bestimmt", sage ich.
     "Das mindeste, was du kriegst, sind funf Tage Dicken", erklurt Kat.
     Das erschuttert Tjaden nicht. "Funf Tage Kahn sind funf Tage Ruhe."
     "Und wenn du auf Festung kommst?" forscht der grundlichere Muller.
     "Dann ist der Krieg fur mich so lange aus."
     Tjaden ist ein Sonntagskind. Fur ihn gibt es keine Sorgen. Mit Haie und
Leer zieht er ab, damit man ihn nicht in der ersten Aufregung findet.
     Muller ist noch  immer nicht zu  Ende. Er nimmt sich  wieder Kropp vor.
"Albert, wenn du nun tatsuchlich nach Hause kumst, was wurdest du machen?"
     Kropp ist jetzt satt und  deshalb nachgiebiger. "Wieviel Mann wuren wir
dann eigentlich in der Klasse?"
     Wir rechnen:  von zwanzig sind sieben tot, vier verwundet, einer in der
Irrenanstalt. Es kumen huchstens also zwulf Mann zusammen.
     "Drei  sind davon Leutnants", sagt  Muller. "Glaubst  du, daß sie
sich von Kantorek anschnauzen ließen?"
     "Wir glauben es nicht;  wir  wurden  uns  auch nicht  mehr  anschnauzen
lassen."
     "Was hultst du eigentlich von der dreifachen Handlung im Wilhelm Teil?"
erinnert sich Kropp mit einem Male und brullt vor Lachen.
     "Was waren  die Ziele  des  Guttinger Hainbundes?" forscht auch  Muller
plutzlich sehr streng.
     "Wieviel Kinder hatte Karl der Kuhne?" erwidere ich ruhig.
     "Aus Ihnen wird im Leben nichts, Buumer", quukt Muller.
     "Wann war die Schlacht bei Zama?" will Kropp wissen.
     "Ihnen fehlt  der sittliche Ernst, Kropp,  setzen  Sie sich, drei minus
-", winke ich ab.
     "Welche Aufgaben hielt Lykurgus fur die wichtigsten im Staate?" wispert
Muller und scheint an einem Kneifer zu rucken.
     "Heißt es: Wir Deutsche furchten Gott, sonst niemand in der Welt,
oder wir Deutschen ...?" gebe ich zu bedenken.
     "Wieviel Einwohner hat Melbourne ?" zwitschert Muller zuruck.
     "Wie wollen  Sie  bloß im  Leben bestehen,  wenn  Sie  das  nicht
wissen?" frage ich Albert empurt.
     "Was versteht man unter Kohusion?" trumpft der nun auf.
     Von  dem  ganzen Kram wissen wir nicht mehr allzuviel. Er hat  uns auch
nichts genutzt. Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht,  wie man bei
Regen und Sturm eine Zigarette anzundet, wie man ein Feuer  aus  nassem Holz
machen  kann  -  oder  daß  man ein Bajonett  am besten  in  den Bauch
stußt, weil es da nicht festklemmt wie bei den Rippen.
     Muller sagt nachdenklich: "Was nutzt es. Wir werden doch wieder auf die
Schulbank mussen."
     Ich halte es fur ausgeschlossen. "Vielleicht machen wir ein Notexamen."
     "Dazu  brauchst du  Vorbereitung.  Und wenn  du  es schon bestehst, was
dann? Student sein ist nicht viel besser. Wenn du kein Geld hast, mußt
du auch buffeln."
     "Etwas besser ist es. Aber Quatsch bleibt es  trotzdem,  was sie dir da
eintrichtern."
     Kropp trifft unsere Stimmung:
     "Wie kann  man das ernst nehmen,  wenn man  hier  draußen gewesen
ist."
     "Aber du mußt doch  einen  Beruf  haben", wendet Muller  ein, als
wure er Kantorek in Person.
     Albert reinigt sich  die Nugel  mit dem Messer. Wir sind  erstaunt uber
dieses Stutzertum. Aber es  ist nur Nachdenklichkeit. Er schiebt das  Messer
weg und erklurt: "Das ist es ja.  Kat und Detering und Haie werden wieder in
ihren  Beruf gehen, weil sie ihn schon vorher gehabt haben. Himmelstoß
auch. Wir haben keinen gehabt. Wie sollen wir uns da  nach diesem hier" - er
macht eine Bewegung zur Front - "an einen gewuhnen."
     "Man  mußte Rentier  sein und  dann  ganz allein  in  einem Walde
wohnen  kunnen  -",   sage  ich,  schume   mich  aber   sofort  uber  diesen
Grußenwahn.
     "Was soll das bloß werden, wenn wir  zuruckkommen?" meint Muller,
und selbst er ist betroffen.
     Kropp zuckt die Achseln. "Ich weiß nicht. Erst mal da sein,  dann
wird sich's ja zeigen."
     Wir  sind eigentlich  alle ratlos. "Was kunnte man  denn machen?" frage
ich.
     "Ich  habe zu nichts Lust", antwortet  Kropp mude. "Eines Tages bist du
doch tot, was hast du  da schon?  Ich glaube nicht, daß wir  uberhaupt
zuruckkommen."
     "Wenn  ich daruber nachdenke, Albert", sage ich  nach  einer Weile  und
wulze  mich auf den  Rucken, "so muchte ich, wenn ich  das Wort Friede hure,
und es wure wirklich so, irgend etwas Unausdenkbares tun,  so steigt  es mir
zu  Kopf.  Etwas,  weißt  du,  was  wert  ist, daß  man  hier im
Schlamassel geleg