en hat. Ich  kann mir bloß nichts vorstellen. Was ich
an  Muglichem sehe, diesen ganzen Betrieb mit Beruf  und Studium und  Gehalt
und so weiter -  das kotzt mich an, denn das  war ja  immer schon da und ist
widerlich. Ich finde nichts - ich finde nichts, Albert."
     Mit einemmal scheint mir alles aussichtslos und verzweifelt.
     Kropp denkt ebenfalls daruber nach. Es wird uberhaupt schwer werden mit
uns allen. Ob die sich in der Heimat eigentlich nicht manchmal Sorgen machen
deswegen? Zwei  Jahre Schießen  und  Handgranaten - das  kann man doch
nicht ausziehen wie einen Strumpf nachher -"
     Wir stimmen darin  uberein, daß es jedem uhnlich geht; nicht  nur
uns hier; uberall, jedem, der in  der gleichen Lage ist, dem einen mehr, dem
andern weniger. Es ist das gemeinsame Schicksal unserer Generation.
     Albert spricht es aus. "Der Krieg hat uns fur alles verdorben."
     Er hat recht.  Wir sind keine  Jugend  mehr. Wir  wollen die Welt nicht
mehr sturmen.  Wir sind Fluchtende. Wir fluchten vor uns. Vor unserem Leben.
Wir waren achtzehn Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben; wir
mußten darauf schießen. Die erste Granate,  die  einschlug, traf
in  unser  Herz.  Wir  sind  abgeschlossen vom  Tutigen,  vom  Streben,  vom
Fortschritt. Wir glauben nicht mehr daran; wir glauben an den Krieg.
     Die Schreibstube wird  lebendig. Himmelstoß scheint sie alarmiert
zu  haben.  An der Spitze der  Kolonne trabt  der  dicke Feldwebel. Komisch,
daß fast alle etatsmußigen Feldwebel dick sind.
     Ihm folgt der rachedurstende Himmelstoß. Seine Stiefel glunzen in
der Sonne.
     Wir erheben uns. Der Spieß schnauft:
     "Wo ist Tjaden?"
     Naturlich weiß es keiner. Himmelstoß glitzert uns buse an.
     "Bestimmt wißt ihr es. Wollt es bloß nicht  sagen. Raus mit
der Sprache."
     Der  Spieß  sieht  sich  suchend  um;  Tjaden  ist  nirgendwo  zu
erblicken. Er versucht es andersherum. "In zehn Minuten soll Tjaden sich
     auf der Schreibstube melden." Damit zieht er davon, Himmelstoß in
seinem Kielwasser.
     "Ich  habe  das  Gefuhl, daß  mir  beim  nuchsten  Schanzen  eine
Drahtrolle auf die Beine von Himmelstoß fallen wird", vermutet Kropp.
     "Wir werden an ihm  noch viel Spaß  haben", lacht Muller. Das ist
nun unser Ehrgeiz: einem Brieftruger die Meinung stoßen. -
     Ich  gehe  in  die  Baracke   und   sage  Tjaden  Bescheid,  damit   er
verschwindet.  Dann wechseln  wir  unsern Platz und  lagern uns  wieder,  um
Karten  zu spielen. Denn das  kunnen wir: Kartenspielen,  fluchen und  Krieg
fuhren. Nicht viel fur zwanzig Jahre - zuviel fur zwanzig Jahre.
     Nach einer  halben Stunde ist Himmelstoß erneut bei  uns. Niemand
beachtet ihn. Er fragt nach Tjaden. Wir zucken die Achseln.
     "Ihr solltet ihn doch suchen", beharrt er.
     "Wieso ihr?" erkundigt sich Kropp.
     "Na, ihr hier -"
     "Ich muchte Sie bitten, uns nicht zu duzen", sagt Kropp wie ein Oberst.
     Himmelstoß fullt aus den Wolken. "Wer duzt euch denn?"
     "Sie!"
     "Ich?"
     "Ja."
     Es arbeitet  in ihm.  Er  schielt Kropp mißtrauisch an,  weil  er
keine Ahnung hat, was der meint.  Immerhin traut er  sich in  diesem  Punkte
nicht ganz und kommt uns entgegen. "Habt ihr ihn nicht gefunden?"
     Kropp  legt  sich  ins  Gras  und  sagt:  "Waren  Sie  schon  mal  hier
draußen?"
     "Das geht Sie gar nichts an",  bestimmt Himmelstoß. "Ich verlange
Antwort."
     "Gemacht", erwidert Kropp und erhebt  sich. "Sehen Sie mal dorthin,  wo
die kleinen Wulkchen stehen. Das sind die Geschosse der Flaks. Da waren  wir
gestern. Funf Tote, acht Verwundete .Dabei war es eigentlich ein Spaß.
Wenn  Sie  nuchstens  mit 'rausgehen, werden  die  Mannschaften,  bevor  sie
sterben, erst vor Sie hintreten, die Knochen zusammenreißen und zackig
fragen: Bitte wegtreten zu durfen! Bitte abkratzen zu durfen! Auf  Leute wie
Sie haben wir hier gerade gewartet."
     Er setzt sich wieder, und Himmelstoß verschwindet wie ein Komet.
     "Drei Tage Arrest", vermutet Kat.
     "Das nuchstemal lege ich los", sage ich zu Albert.
     Aber  es  ist  Schluß.  Dafur  findet  abends  beim  Appell  eine
Vernehmung statt. In  der  Schreibstube  sitzt  unser Leutnant Bertinck  und
lußt einen nach dem andern rufen.
     Ich  muß ebenfalls als Zeuge erscheinen  und  klure  auf, weshalb
Tjaden   rebelliert   hat.   Die   Bettnussergeschichte    macht   Eindruck.
Himmelstoß wird herangeholt und ich wiederhole meine Aussagen.
     "Stimmt das?" fragt Bertinck Himmelstoß.
     Der windet  sich und muß es  schließlich zugeben, als Kropp
die gleichen Angaben macht.
     "Weshalb hat denn niemand das damals gemeldet?" fragt Bertinck.
     Wir schweigen;  er  muß  doch selbst wissen, was  eine Beschwerde
uber  solche Kleinigkeiten  beim Kommiß  fur Zweck  hat. Gibt es  beim
Kommiß  uberhaupt  Beschwerden ? Er  sieht  es wohl  ein  und  kanzelt
Himmelstoß zunuchst ab, indem  er ihm noch einmal energisch klarmacht,
daß  die  Front  kein  Kasernenhof  sei.  Dann  kommt  in  versturktem
Maße Tjaden an die Reihe, der eine ausgewachsene Predigt und drei Tage
Mittelarrest erhult. Kropp  diktiert  er  mit  einem Augenzwinkern einen Tag
Arrest.
     "Geht nicht anders",  sagt erbedauernd zu ihm. Er ist ein  vernunftiger
Kerl.
     Mittelarrest   ist  angenehm.  Das   Arrestlokal   ist   ein   fruherer
Huhnerstall; da  kunnen  beide  Besuch  empfangen, wir  verstehen uns  schon
darauf,  hinzukommen. Dicker Arrest wure  Keller gewesen.  Fruher wurden wir
auch an einen Baum gebunden,  doch  das ist jetzt verboten. Manchmal  werden
wir schon wie Menschen behandelt.
     Eine Stunde nachdem Tjaden und Kropp hinter  ihren Drahtgittern sitzen,
brechen wir zu ihnen auf. Tjaden begrußt uns kruhend.
     Dann spielen  wir  bis in die Nacht Skat. Tjaden gewinnt naturlich, das
dumme Luder.
     Beim Aufbrechen fragt Kat mich: "Was meinst du zu Gunsebraten?"
     "Nicht schlecht", finde ich.
     Wir  klettern  auf   eine  Munitionskolonne.   Die  Fahrt  kostet  zwei
Zigaretten.  Kat hat  sich den  Ort genau gemerkt. Der  Stall  gehurt  einem
Regimentsstab.  Ich  beschließe,  die  Gans zu  holen, und  lasse  mir
Instruktionen geben. Der Stall ist  hinter der Mauer, nur  mit  einem Pflock
verschlossen.
     Kat  hult  mir  die  Hunde hin,  ich stemme den  Fuß  hinein  und
klettere uber die Mauer. Kat steht unterdessen Schmiere.
     Einige Minuten  bleibe  ich  stehen, um  die Augen an die Dunkelheit zu
gewuhnen. Dann erkenne ich den  Stall. Leise schleiche ich mich heran, taste
den Pflock ab, ziehe ihn weg und uffne die Tur.
     Ich  unterscheide zwei  weiße Flecke. Zwei  Gunse, das  ist faul:
faßt  man die  eine, so  schreit  die andere. Also beide  -  wenn  ich
schnell bin, klappt es.
     Mit  einem Satz springe ich zu. Eine erwische ich sofort, einen  Moment
sputer die zweite. Wie verruckt haue ich die Kupfe gegen die Wand, um sie zu
betuuben.  Aber ich muß wohl  nicht genugend  Wucht haben. Die Biester
ruuspern sich und schlagen mit Fußen  und  Flugeln um sich. Ich kumpfe
erbittert, aber, Donnerwetter,  was  hat so eine Gans fur Kraft! Sie zerren,
daß ich hin und her  taumele. Im Dunkel sind diese weißen Lappen
scheußlich, meine Arme haben Flugel  gekriegt, beinahe habe ich Angst,
daß  ich mich zum  Himmel erhebe, als hutte ich ein paar Fesselballons
in den Pfoten.
     Da  geht auch schon  der Lurm  los; einer der Hulse hat Luft geschnappt
und schnarrt wie eine  Weckuhr. Ehe ich mich versehe, tappt es draußen
heran,  ich  bekomme einen Stoß, liege  am  Boden  und  hure  wutendes
Knurren. Ein Hund.
     Ich blicke zur  Seite; da schnappt er schon  nach meinem  Halse. Sofort
liege ich still und ziehe vor allem das Kinn an den Kragen.
     Es ist eine Dogge.  Nach einer  Ewigkeit nimmt sie den Kopf zuruck  und
setzt sich neben  mich. Doch wenn ich versuche, mich zu bewegen, knurrt sie.
Ich  uberlege. Das  einzige, was  ich  tun  kann, ist, daß ich  meinen
kleinen Revolver zu fassen kriege. Fort  muß ich  hier auf jeden Fall,
ehe Leute kommen. Zentimeterweise schiebe ich die Hand heran.
     Ich  habe das  Gefuhl, daß es  Stunden  dauert.  Immer eine leise
Bewegung  und ein gefuhrliches Knurren; Stilliegen und erneuter Versuch. Als
ich den Revolver in  der Hand habe, fungt sie  an zu zittern. Ich drucke sie
auf den Boden und mache mir klar: Revolver hochreißen, schießen,
ehe er zufassen kann, und turmen.
     Langsam hole  ich Atem und  werde ruhiger. Dann halte ich die Luft  an,
zucke den Revolver hoch, es knallt, die Dogge spritzt jaulend zur Seite, ich
gewinne die Tur des Stalles und purzele uber eine der gefluchteten Gunse.
     Im Galopp greife  ich  schnell noch zu,  schmeiße  sie mit  einem
Schwung uber die Mauer und klettere selbst hoch. Ich bin noch nicht hinuber,
da ist die Dogge auch  schon wieder munter und springt nach mir. Rasch lasse
ich mich fallen. Zehn Schritt  vor mir steht Kat, die Gans im Arm.  Sowie er
mich sieht, laufen wir.
     Endlich kunnen wir verschnaufen. Die Gans ist tot, Kat hat das in einem
Moment erledigt. Wir wollen sie gleich braten, damit keiner etwas merkt. Ich
hole Tupfe und Holz aus  der  Baracke,  und  wir  kriechen  in einen kleinen
verlassenen  Schuppen,  den  wir  fur  solche  Zwecke  kennen.  Die  einzige
Fensterluke  wird  dicht   verhungt.  Eine   Art  Herd  ist  vorhanden,  auf
Backsteinen liegt eine eiserne Platte. Wir zunden ein Feuer an.
     Kat rupft die Gans und bereitet sie zu. Die Federn legen wir sorgfultig
beiseite.  Wir  wollen  uns  zwei  kleine  Kissen  daraus  machen  mit   der
Aufschrift: "Ruhe sanft im Trommelfeuer!"
     Das  Artilleriefeuer der Front umsummt unsern Zufluchtsort. Lichtschein
flackert uber unsere Gesichter, Schatten tanzen auf  der Wand.  Manchmal ein
dumpfer Krach, dann  zittert der Schuppen. Fliegerbomben. Einmal  huren  wir
gedumpfte Schreie. Eine Baracke muß getroffen sein.
     Flugzeuge  surren; das  Tacktack von MaschirMßgewehren wird laut.
Aber von uns dringt kein Licht hinaus, dasrzu sehen wure.
     So sitzen wir uns gegenuber, Kat und ich, zwei Soldaten in abgeschabten
Rucken, die  eine Gans  braten, mitten in  der Nacht.  Wir reden nicht viel,
aber  wir sind  voll zarterer Rucksicht  miteinander,  als  ich  mir  denke,
daß Liebende  es  sein kunnen. Wir  sind zwei Menschen,  zwei  winzige
Funken Leben, draußen  ist die  Nacht  und  der  Kreis des  Todes. Wir
sitzen an  ihrem  Rande, gefuhrdet und geborgen,  uber  unsere Hunde  trieft
Fett, wir sind uns nahe mit unseren Herzen, und die Stunde ist wie der Raum:
uberflackert  von einem sanften  Feuer,  gehen die Lichter und Schatten  der
Empfindungen hin und her. Was weiß er von mir - was weiß ich von
ihm, fruher wure keiner unserer Gedanken uhnlich gewesen -  jetzt sitzen wir
vor einer Gans und fuhlen  unser Dasein und  sind uns so nahe, daß wir
nicht daruber sprechen mugen.
     Es dauert lange, eine Gans zu braten,  auch wenn sie jung und fett ist.
Wir wechseln uns deshalb  ab.  Einer begießt sie,  wuhrend  der andere
unterdessen schluft. Ein herrlicher Duft verbreitet sich allmuhlich.
     Die Geruusche  von  draußen werden zu einem Band, zu einem Traum,
der aber die Erinnerung nicht ganz verliert. Ich sehe im Halbschlaf  Kat den
Luffel  heben und  senken, ich  liebe ihn, seine  Schultern,  seine  eckige,
gebeugte  Gestalt  -  und zu  gleicher  Zeit sehe ich  hinter ihm Wulder und
Sterne, und  eine  gute Stimme  sagt  Worte, die mir  Ruhe geben, mir, einem
Soldaten, der  mit seinen großen Stiefeln und seinem Koppel und seinem
Brotbeutel klein unter dem hohen Himmel den Weg geht, der vor ihm liegt, der
rasch vergißt  und nur selten noch traurig  ist, der  immer weitergeht
unter dem großen Nachthimmel.
     Ein kleiner  Soldat und eine gute  Stimme, und wenn man ihn  streicheln
wurde,  kunnte  er es vielleicht  nicht  mehr verstehen, der Soldat  mit den
großen Stiefeln und dem zugeschutteten Herzen, der marschiert, weil er
Stiefel trugt, und alles vergessen  hat außer dem Marschieren. Sind am
Horizont  nicht Blumen  und eine Landschaft, die so still  ist, daß er
weinen muchte, der Soldat?  Stehen dort nicht Bilder, die  er nicht verloren
hat, weil er sie nie besessen hat, verwirrend, aber dennoch fur ihn voruber?
Stehen dort nicht seine zwanzig Jahre?
     Ist mein  Gesicht naß, und wo bin ich?  Kat steht  vor  mir, sein
riesiger  gebuckter  Schatten fullt uber mich  wie  eine  Heimat. Er spricht
leise, er luchelt und geht zum Feuer zuruck.
     Dann sagt er: "Es ist fertig."
     "Ja, Kat."
     Ich schuttele mich. In der Mitte des Raumes leuchtet der braune Braten.
Wir holen unsere  zusammenklappbaren  Gabeln und unsere Taschenmesser heraus
und schneiden uns jeder eine Keule  ab. Dazu essen wir Kommißbrot, das
wir in die Soße tunken. Wir essen langsam, mit vollem Genuß.
     "Schmeckt es, Kat?"
     "Gut! Dir auch?"
     "Gut, Kat."
     Wir  sind  Bruder und schieben  uns gegenseitig  die besten Stucke  zu.
Hinterher rauche ich  eine  Zigarette, Kat eine  Zigarre. Es  ist  noch viel
ubriggeblieben.
     "Wie wure es, Kat, wenn wir Kropp und Tjaden ein Stuck bruchten?"
     "Gemacht",  sagt er.  Wir schneiden  eine Portion  ab  und wickeln  sie
sorgfultig in  Zeitungspapier.  Den  Rest  wollen wir eigentlich  in  unsere
Baracke tragen, aber Kat lacht und sagt nur: "Tjaden."
     Ich sehe  es ein, wir mussen alles mitnehmen. So machen wir uns auf den
Weg zum Huhnerstall,  um die beiden  zu wecken. Vorher packen wir  noch  die
Federn weg.
     Kropp und Tjaden  halten uns fur eine Fata Morgana. Dann knirschen ihre
Gebisse. Tjaden hat einen Flugel mit beiden Hunden wie eine Mundharmonika im
Munde und kaut.  Er suuft das Fett aus  dem Topf und schmatzt: "Das vergesse
ich euch nie!"
     Wir gehen zu unserer  Baracke. Da ist  der  hohe Himmel  wieder mit den
Sternen und der beginnenden Dummerung, und ich gehe darunter hin, ein Soldat
mit großen Stiefeln und  vollem Magen, ein kleiner Soldat in der Fruhe
- aber neben mir, gebeugt und eckig, geht Kat, mein Kamerad.
     Die  Umrisse  der Baracke kommen in  der  Dummerung  auf uns zu wie ein
schwarzer, guter Schlaf.
        6
     Es wird von einer Offensive gemunkelt.  Wir gehen zwei Tage  fruher als
sonst an die Front. Auf dem Wege  passieren wir eine zerschossene Schule. An
ihrer  Lungsseite  aufgestapelt  steht eine  doppelte, hohe  Mauer  von ganz
neuen, hellen, unpolierten Surgen. Sie riechen  noch nach  Harz  und Kiefern
und Wald. Es sind mindestens hundert.
     "Da ist ja gut vorgesorgt zur Offensive", sagt Muller erstaunt.
     "Die sind fur uns", knurrt Detering.
     "Quatsch nicht!" fuhrt Kat ihn an.
     "Sei froh,  wenn  du  noch  einen  Sarg  kriegst",  grinst Tjaden, "dir
verpassen sie  doch  nur  eine Zeltbahn  fur  deine  Schießbudenfigur,
paß auf!"
     Auch  die andern machen Witze, unbehagliche Witze, was sollen wir sonst
tun. - Die Surge sind ja tatsuchlich fur uns.  In  solchen Dingen klappt die
Organisation.
     uberall  vorn  brodelt  es.  In der ersten  Nacht versuchen  wir uns zu
orientieren. Da es ziemlich still ist, kunnen  wir huren, wie die Transporte
hinter der gegnerischen  Front rollen,  unausgesetzt, bis  in  die Dummerung
hinein. Kat  sagt, daß sie  nicht abrollen,  sondern Truppen  bringen,
Truppen, Munition, Geschutze.
     Die englische Artillerie ist versturkt, das huren wir sofort. Es stehen
rechts  von der Ferme mindestens  vier  Batterien  20,5 mehr, und hinter dem
Pappelstumpf  sind Minenwerfer  eingebaut. Außerdem  ist  eine  Anzahl
dieser kleinen franzusischen Biester mit Aufschlagzundern hinzugekommen.
     Wir  sind  in gedruckter Stimmung. Zwei  Stunden  nachdem  wir  in  den
Unterstunden stecken, schießt uns die eigene Artillerie in den Graben.
Es  ist  das drittemal in vier  Wochen. Wenn es noch Zielfehler wuren, wurde
keiner was sagen, aber es liegt daran,  daß die  Rohre zu  ausgeleiert
sind; sie streuen bis in unsern Abschnitt, so
     unsicher werden die Schusse oft. In dieser Nacht haben wir dadurch zwei
Verwundete.
     Die  Front ist  ein Kufig, in dem man nervus  warten muß auf das,
was geschehen wird.  Wir liegen unter dem Gitter der Granatenbogen und leben
in  der  Spannung  des Ungewissen.  uber  uns schwebt  der Zufall. Wenn  ein
Geschoß kommt, kann ich mich ducken, das ist alles; wohin  es schlugt,
kann ich weder genau wissen noch beeinflussen.
     Dieser Zufall ist es, der uns gleichgultig  macht.  Ich  saß  vor
einigen Monaten in einem Unterstand und spielte Skat; nach einer Weile stand
ich auf und ging,  Bekannte in einem andern Unterstand zu besuchen. Als  ich
zuruckkam, war  von  dem  ersten nichts mehr  zu sehen,  er  war  von  einem
schweren  Treffer zerstampft. Ich  ging zum  zweiten  zuruck und kam  gerade
rechtzeitig, um zu  helfen, ihn aufzugraben.  Er  war inzwischen verschuttet
worden.
     Ebenso  zufullig, wie  ich  getroffen  werde,  bleibe ich am Leben.  Im
bombensicheren Unterstand  kann ich zerquetscht werden, und auf freiem Felde
zehn  Stunden  Trommelfeuer  unverletzt uberstehen. Jeder Soldat  bleibt nur
durch tausend  Zufulle am Leben. Und  jeder  Soldat glaubt und vertraut  dem
Zufall.
     Wir  mussen  auf  unser  Brot achtgeben.  Die Ratten  haben  sich  sehr
vermehrt in der  letzten Zeit, seit  die  Gruben nicht mehr recht in Ordnung
sind. Detering behauptet, es wure das sicherste Vorzeichen fur dicke Luft.
     Die Ratten  hier  sind  besonders widerwurtig, weil  sie so  groß
sind.   Es  ist  die   Art,  die   man  Leichenratten   nennt.   Sie   haben
scheußliche,  busartige, nackte  Gesichter,  und  es  kann einem  ubel
werden, wenn man ihre langen, kahlen Schwunze sieht.
     Sie scheinen recht  hungrig zu sein.  Bei fast allen haben sie das Brot
angefressen. Kropp  hat es unter seinem Kopf fest in die Zeltbahn gewickelt,
doch  er kann  nicht schlafen,  weil  sie ihm uber das  Gesicht  laufen,  um
heranzugelangen.  Detering wollte schlau sein; er  hatte an der  Decke einen
dunnen  Draht  befestigt  und  sein  Brot  darangehungt. Als er nachts seine
Taschenlampe  anknipst, sieht  er den Draht hin und her  schwanken. Auf  dem
Brot reitet eine fette Ratte.
     Schließlich machen  wir  ein Ende. Die Stucke Brot,  die  von den
Tieren benagt sind, schneiden  wir sorgfultig aus; wegwerfen kunnen wir  das
Brot ja auf keinen Fall, weil wir morgen sonst nichts zu essen haben.
     Die abgeschnittenen  Scheiben  legen wir  in der Mitte  auf  dem  Boden
zusammen. Jeder nimmt seinen Spaten heraus und legt  sich  schlagbereit hin.
Detering, Kropp und Kat halten ihre Taschenlampen bereit.
     Nach wenigen Minuten  huren wir  das  erste  Schlurfen und  Zerren.  Es
versturkt  sich,  nun  sind  es  viele  kleine Fuße.  Da  blitzen  die
Taschenlampen auf, und  alles schlugt  auf  den  schwarzen  Haufen ein,  der
auseinanderzischt.  Der  Erfolg ist gut. Wir  schaufeln die Rattenteile uber
den Grabenrand und legen uns wieder auf die Lauer.
     Noch einige  Male gelingt uns der Schlag.  Dann haben die  Tiere  etwas
gemerkt  oder das Blut  gerochen.  Sie kommen  nicht mehr. Trotzdem ist  der
Brotrest auf dem Boden am nuchsten Tage von ihnen weggeholt.
     Im benachbarten Abschnitt haben  sie zwei große Katzen und  einen
Hund uberfallen, totgebissen und angefressen.
     Am  nuchsten  Tage  gibt  es  Edamer  Kuse.  Jeder  erhult  fast  einen
Viertelkuse. Das  ist  teilweise gut,  denn  Edamer schmeckt  -  und  es ist
teilweise faul, denn fur uns waren die dicken  roten Bulle bislang immer ein
Anzeichen fur schweren Schlamassel.  Unsere  Ahnung steigert sich,  als noch
Schnaps ausgeteilt wird. Vorluufig trinken wir ihn; aber uns ist  nicht wohl
zumute dabei.
     Tagsuber  machen wir  Wettschießen auf Ratten und lungern  umher.
Die  Patronen  und  Handgranatenvorrute  werden reichlicher.  Die  Bajonette
revidieren  wir  selbst.  Es gibt numlich  welche, die gleichzeitig auf  der
stumpfen  Seite  als  Suge eingerichtet  sind.  Wenn die druben jemand damit
erwischen, wird er rettungslos  abgemurkst.  Im Nachbarabschnitt sind  Leute
von uns wiedergefunden worden, denen mit diesen Sugeseitengewehren die Nasen
abgeschnitten  und die  Augen ausgestochen waren. Dann hatte  man  ihnen den
Mund und Nase mit Sugespunen gefullt und sie so erstickt.
     Einige  Rekruten haben  noch Seitengewehre uhnlicher Art;  wir schaffen
sie weg und besorgen ihnen andere.
     Das Seitengewehr  hat allerdings an Bedeutung verloren. Zum Sturmen ist
es  jetzt  manchmal Mode, nur mit Handgranaten  und  Spaten  vorzugehen. Der
geschurfte  Spaten ist  eine leichtere und vielseitigere Waffe, man kann ihn
nicht nur unter das Kinn stoßen, sondern vor allem damit schlagen, das
hat grußere  Wucht;  besonders wenn man schrug zwischen  Schulter  und
Hals trifft, spaltet man leicht bis zur Brust durch. Das Seitengewehr bleibt
beim Stich oft stecken, man muß dann erst dem andern kruftig gegen den
Bauch  treten, um es loszukriegen, und  in  der Zwischenzeit hat man  selbst
leicht eins weg. Dabei bricht es noch außerdem manchmal ab.
     Nachts wird Gas abgeblasen. Wir erwarten den Angriff und liegen mit den
Masken  fertig,  bereit,  sie  abzureißen,  sowie  der erste  Schatten
auftaucht.
     Der  Morgen  graut,  ohne  daß etwas  erfolgt. Nur  immer  dieses
nervenzerreibende  Rollen druben,  Zuge,  Zuge,  Lastwagen,  Lastwagen,  was
konzentriert sich  da  nur? Unsere Artillerie funkt stundig hinuber, aber es
hurt nicht auf, es hurt nicht auf. -
     Wir haben  mude Gesichter und sehen  aneinander vorbei. "Es wird wie an
der Somme, da hatten wir nachher sieben Tage  und Nuchte Trommelfeuer", sagt
Kat  duster. Er hat gar keinen Witz mehr, seit  wir  hier  sind, und das ist
schlimm, denn Kat ist  ein  altes Frontschwein, das  Witterung besitzt.  Nur
Tjaden freut sich der  guten Portionen und  des  Rums;  er meint sogar,  wir
wurden genauso in Ruhe zuruckkehren, es wurde gar nichts passieren.
     Fast  scheint es  so. Ein Tag nach dem  andern geht voruber.  Ich sitze
nachts   im  Loch  auf  Horchposten.   uber  mir  steigen  die  Raketen  und
Leuchtschirme  auf  und nieder. Ich bin  vorsichtig und  gespannt, mein Herz
klopft. Immer wieder liegt  mein Auge auf der Uhr mit dem Leuchtzifferblatt;
der Zeiger will nicht weiter.  Der Schlaf  hungt in meinen Augenlidern,  ich
bewege die  Zehen in den Stiefeln, um  wachzubleiben.  Nichts geschieht, bis
ich  abgelust  werde;  - nur immer  das Rollen druben. Wir werden allmuhlich
ruhig und spielen stundig Skat und Mauscheln. Vielleicht haben wir Gluck.
     Der Himmel hungt tagsuber voll Fesselballons. Es heißt, daß
von   druben   jetzt  auch  hier   Tanks   eingesetzt   werden   sollen  und
Infanterieflieger  beim Angriff. Das interessiert uns aber weniger als  das,
was von den neuen Flammenwerfern erzuhlt wird.
     Mitten in der Nacht erwachen wir. Die Erde druhnt. Schweres Feuer liegt
uber  uns. Wir drucken uns in die Ecken. Geschosse aller Kaliber  kunnen wir
unterscheiden.
     Jeder greift nach seinen Sachen  und vergewissert sich alle Augenblicke
von neuem,  daß sie  da sind. Der Unterstand  bebt, die Nacht ist  ein
Brullen und Blitzen.  Wir sehen  uns bei  dem sekundenlangen  Licht  an  und
schutteln mit bleichen Gesichtern und gepreßten Lippen die Kupfe.
     Jeder  fuhlt  es mit,  wie die  schweren  Geschosse  die Grabenbrustung
wegreißen,  wie  sie   die  Buschung  durchwuhlen   und  die  obersten
Betonklutze  zerfetzen. Wir merken den dumpferen, rasenderen Schlag, der dem
Prankenhieb eines  fauchenden  Raubtiers  gleicht, wenn  der  Schuß im
Graben sitzt. Morgens sind einige Rekruten bereits grun und kotzen. Sie sind
noch zu unerfahren.
     Langsam rieselt  widerlich graues  Licht in den Stollen  und  macht das
Blitzen der Einschluge  fahler.  Der  Morgen  ist  da.  Jetzt  mischen  sich
explodierende  Minen  in  das Artilleriefeuer. Es  ist das Wahnsinnigste  an
Erschutterung, was es gibt. Wo sie niederfegen, ist ein Massengrab.
     Die Ablusungen gehen hinaus, die Beobachter taumeln herein, mit Schmutz
beworfen, zitternd. Einer legt  sich schweigend  in die  Ecke und ißt,
der  andere,  ein  Ersatzreservist,  schluchzt;  er  ist  zweimal  uber  die
Brustwehr  geflogen  durch  den  Luftdruck  der  Explosion, ohne  sich etwas
anderes zu holen als einen Nervenschock.
     Die  Rekruten sehen zu  ihm hin. So etwas steckt rasch  an, wir  mussen
aufpassen,  schon  fangen verschiedene  Lippen  an  zu  flattern.  Gut  ist,
daß es Tag wird; vielleicht erfolgt der Angriff vormittags.
     Das  Feuer schwucht  nicht ab. Es liegt auch  hinter uns.  So  weit man
sehen kann, spritzen Dreck- und Eisenfontunen. Ein  sehr breiter Gurtel wird
bestrichen.
     Der Angriff erfolgt nicht, aber die  Einschluge dauern  an. Wir  werden
langsam  taub.  Es  spricht  kaum noch  jemand.  Man  kann sich  auch  nicht
verstehen.
     Unser Graben ist fast fort. An  vielen Stellen reicht er nur noch einen
halben Meter hoch, er ist durchbrochen von Luchern, Trichtern und Erdbergen.
Direkt  vor unserm Stollen platzt  eine  Granate. Sofort ist es  dunkel. Wir
sind  zugeschuttet  und mussen uns  ausgraben.  Nach einer  Stunde  ist  der
Eingang  wieder  frei,  und wir sind etwas  gefaßter, weil  wir Arbeit
hatten.
     Unser  Kompaniefuhrer klettert herein  und  berichtet,  daß  zwei
Unterstunde  weg sind. Die Rekruten beruhigen  sich, als sie  ihn sehen.  Er
sagt, daß heute abend versucht werden soll, Essen heranzubringen.
     Das klingt trustlich. Keiner hat daran gedacht, außer Tjaden. Nun
ruckt etwas wieder von draußen nuher; - wenn Essen geholt werden soll,
kann es ja nicht so schlimm sein, denken die Rekruten. Wir sturen sie nicht,
wir wissen, daß Essen  ebenso wichtig wie Munition ist und nur deshalb
herangeschafft werden muß.
     Aber es  mißlingt. Eine  zweite Staffel geht los. Auch  sie kehrt
um.   Schließlich   ist   Kat   dabei,   und   selbst   er   erscheint
unverrichtetersache  wieder.  Niemand  kommt durch,  kein  Hundeschwanz  ist
schmal genug fur dieses Feuer.
     Wir ziehen unsere Schmachtriemen  enger und kauen jeden  Happen dreimal
so  lange.  Doch  es  reicht  trotzdem  nicht  aus;  wir  haben  verfluchten
Kohldampf. Ich bewahre mir eine Kante  auf; das  Weiche esse ich heraus, die
Kante bleibt im Brotbeutel; ab und zu knabbere ich mal daran.
     Die Nacht ist unertruglich. Wir kunnen nicht schlafen, wir stieren  vor
uns  hin  und duseln. Tjaden bedauert,  daß  wir unsere  angefressenen
Brotstucke fur die  Ratten vergeudet haben.  Wir  hutten sie ruhig  aufheben
sollen. Jeder wurde sie jetzt essen. Wasser fehlt uns  auch, aber noch nicht
so sehr.
     Gegen  Morgen,  als  es noch dunkel ist, entsteht Aufregung.  Durch den
Eingang sturzt ein Schwurm fluchtender Ratten und jagt die Wunde hinauf. Die
Taschenlampen  beleuchten  die  Verwirrung.  Alle  schreien  und fluchen und
schlagen  zu.  Es ist  der Ausbruch  der  Wut  und  der Verzweiflung  vieler
Stunden, der sich entludt. Die Gesichter sind  verzerrt, die Arme  schlagen,
die Tiere quietschen, es fullt schwer,  daß wir aufhuren,  fast  hutte
einer den anderen angefallen.
     Der  Ausbruch hat uns  erschupft. Wir  liegen und warten wieder. Es ist
ein Wunder, daß unser Unterstand noch keine Verluste hat. Er ist einer
der wenigen tiefen Stollen, die es jetzt noch gibt.
     Ein Unteroffizier  kriecht  herein;  der hat ein  Brot  bei  sich. Drei
Leuten ist  es doch gegluckt,  nachts durchzukommen  und  etwas  Proviant zu
holen. Sie haben erzuhlt, daß das Feuer in  unverminderter Sturke  bis
zu  den Artilleriestunden luge. Es sei ein Rutsel,  wo  die druben  so viele
Geschutze hernuhmen.
     Wir mussen  warten,  warten.  Mittags passiert  das,  womit  ich  schon
rechnete. Einer der  Rekruten hat einen Anfall.  Ich  habe ihn  schon  lange
beobachtet, wie  er  ruhelos  die  Zuhne  bewegte und die  Fuuste ballte und
schloß. Diese gehetzten, herausspnngenden Augen kennen wir zur Genuge.
In den letzten Stunden ist er nur scheinbar stiller geworden. Er ist in sich
zusammengesunken wie ein morscher Baum.
     Jetzt  steht  er auf, unauffullig kriecht er durch den  Raum,  verweilt
einen Augenblick und rutscht dann  dem  Ausgang zu. Ich lege  mich herum und
frage: "Wo willst du hin?"
     "Ich bin gleich wieder da", sagt er und will an mir vorbei. "Warte doch
noch, das Feuer lußt schon nach."
     Er horcht auf, und das Auge wird einen Moment klar.  Dann hat es wieder
den truben Glanz wie bei einem tollwutigen Hund, er schweigt und drungt mich
fort. "Eine Minute, Kamerad!" rufe ich.
     Kat wird aufmerksam. Gerade als der  Rekrut mich fortstußt, packt
er zu, und wir halten ihn fest.
     Sofort  beginnt  er zu toben:  "Laßt  mich los,  laßt  mich
'raus, ich will hier'raus!"
     Er hurt  auf nichts  und schlugt  um sich,  der  Mund ist naß und
spruht  Worte,  halbverschluckte, sinnlose Worte.  Es  ist  ein  Anfall  von
Unterstandsangst, er hat das  Gefuhl, hier zu ersticken,  und kennt nur  den
einen Trieb: hinauszugelangen.  Wenn  man ihn  laufen ließe,  wurde er
ohne Deckung irgendwohin rennen. Er ist nicht der erste.
     Da er  sehr  wild ist und  die Augen sich schon verdrehen, so  hilft es
nichts, wir  mussen ihn  verprugeln,  damit er vernunftig wird. Wir  tun  es
schnell und erbarmungslos und erreichen, daß er vorluufig wieder ruhig
sitzt.  Die  andern  sind bleich bei  der  Geschichte geworden;  hoffentlich
schreckt es sie ab. Dieses Trommelfeuer ist  zuviel fur die armen Kerle; sie
sind  vom Feldrekrutendepot gleich in  einen Schlamassel geraten, der selbst
einem alten Mann graue Haare machen kunnte.
     Die  stickige  Luft  fullt uns nach  diesem Vorgang noch mehr  auf  die
Nerven. Wir sitzen  wie in unserm Grabe und warten nur darauf, daß wir
zugeschuttet werden. Plutzlich heult und blitzt es ungeheuer, der Unterstand
kracht  in allen Fugen unter einem Treffer, glucklicherweise einem leichten,
dem  die   Betonklutze  standgehalten   haben.  Es  klirrt   metallisch  und
furchterlich,  die Wunde wackeln,  Gewehre,  Helme,  Erde,  Dreck und  Staub
fliegen.  Schwefeliger  Qualm dringt  ein. Wenn  wir  statt  in  dem  festen
Unterstand  in  einem  der leichten Dinger sußen,  wie sie  neuerdings
gebaut werden, lebte jetzt keiner mehr.
     Die Wirkung ist aber auch so schlimm  genug. Der Rekrut von vorhin tobt
schon wieder, und zwei andere schließen sich an. Einer reißt aus
und  luuft weg. Wir haben Muhe mit den beiden andern. Ich sturze hinter  dem
Fluchtenden her und uberlege, ob ich ihm in die Beine schießen soll; -
da  pfeift es heran, ich werfe  mich hin,  und als  ich  aufstehe,  ist  die
Grabenwand  mit  heißen  Splittern,  Fleischfetzen  und  Uniformlappen
bepflastert. Ich klettere zuruck.
     Der erste scheint wirklich verruckt geworden zu sein. Er  rennt mit dem
Kopf wie ein  Bock  gegen die Wand, wenn man  ihn  loslußt. Wir werden
nachts  versuchen mussen, ihn nach  hinten zu bringen.  Vorluufig binden wir
ihn so fest, daß man ihn beim Angriff sofort wieder losmachen kann.
     Kat schlugt vor, Skat zu spielen; - was soll man tun, vielleicht ist es
leichter dann. Aber es wird nichts daraus, wir lauschen auf jeden Einschlag,
der  nuher ist, und  verzuhlen uns  bei den Stichen  oder bedienen nicht die
Farbe. Wir mussen es lassen. Wie in einem gewaltig  druhnenden Kessel sitzen
wir, auf den von allen Seiten losgeschlagen wird.
     Noch  eine  Nacht. Wir sind  jetzt  stumpf vor  Spannung. Es  ist  eine
tudliche  Spannung,  die wie ein schartiges  Messer unser Ruckenmark entlang
kratzt. Die Beine wollen nicht mehr, die Hunde zittern, der  Kurper ist eine
dunne Haut uber muhsam unterdrucktem Wahnsinn, uber einem gleich hemmungslos
ausbrechenden Gebrull  ohne Ende. Wir haben kein Fleisch  und keine  Muskeln
mehr,   wir   kunnen  uns   nicht  mehr   ansehen,   aus  Furcht  vor  etwas
Unberechenbarem.   So  pressen  wir  die  Lippen  aufeinander   -  es   wird
vorubergehen - es wird vorubergehen - vielleicht kommen wir durch.
     Mit  einem Male huren  die nahen Einschluge auf. Das  Feuer dauert  an,
aber  es  ist zuruckverlegt, unser  Graben ist  frei.  Wir  greifen nach den
Handgranaten,  werfen  sie  vor  den  Unterstand  und springen  hinaus.  Das
Trommelfeuer hat aufgehurt, dafur liegt hinter uns ein  schweres Sperrfeuer.
Der Angriff ist da.
     Niemand  wurde  glauben,  daß in  dieser  zerwuhlten  Wuste  noch
Menschen  sein  kunnten;  aber  jetzt  tauchen uberall  aus  dem  Graben die
Stahlhelme  auf,  und   funfzig  Meter  von   uns  entfernt  ist  schon  ein
Maschinengewehr in Stellung gebracht, das gleich losbellt.
     Die Drahtverhaue sind zerfetzt. Immerhin halten sie noch etwas auf. Wir
sehen die  Sturmenden  kommen.  Unsere  Artillerie  funkt.  Maschinengewehre
knarren,  Gewehre knattern.  Von druben  arbeiten sie sich  heran. Haie  und
Kropp beginnen mit  den Handgranaten. Sie werfen,  so  rasch sie kunnen, die
Stiele werden ihnen  abgezogen zugereicht. Haie  wirft sechzig  Meter  weit,
Kropp funfzig,  das  ist ausprobiert und wichtig. Die  von  druben kunnen im
Laufen nicht viel eher etwas machen,  als  bis sie  auf dreißig  Meter
heran sind.
     Wir erkennen  die verzerrten  Gesichter,  die  flachen  Helme,  es sind
Franzosen.  Sie  erreichen  die  Reste  des  Drahtverhaus  und  haben  schon
sichtbare Verluste. Eine ganze Reihe wird von dem Maschinengewehr neben  uns
umgelegt; dann haben wir viele Ladehemmungen, und sie kommen nuher.
     Ich  sehe  einen  von ihnen in einen  spanischen  Reiter  sturzen,  das
Gesicht hoch erhoben. Der  Kurper sackt zusammen, die Hunde  bleiben hungen,
als  wollte er beten.  Dann fullt der  Kurper ganz  weg,  und  nur noch  die
abgeschossenen Hunde mit den Armstumpfen hungen im Draht.
     Im Augenblick, als wir  zuruckgehen, heben sich vorn drei Gesichter vom
Boden. Unter einem der Helme  ein dunkler Spitzbart und zwei Augen, die fest
auf  mich  gerichtet  sind. Ich hebe die Hand, aber ich kann nicht werfen in
diese  sonderbaren  Augen,  einen  verruckten  Moment lang  rast  die  ganze
Schlacht  wie  ein  Zirkus  um  mich  und  diese  beiden  Augen,  die allein
bewegungslos sind, dann reckt  sich druben der  Kopf  auf, eine  Hand,  eine
Bewegung, und meine Handgranate fliegt hinuber, hinein.
     Wir  laufen zuruck,  reißen  spanische Reiter in  den Graben  und
lassen  abgezogene Handgranaten  hinter uns fallen,  die uns  einen feurigen
Ruckzug sichern. Von der nuchsten Stellung aus feuern die Maschinengewehre.
     Aus  uns  sind gefuhrliche  Tiere  geworden.  Wir  kumpfen  nicht,  wir
verteidigen uns vor der Vernichtung. Wir schleudern die Granaten nicht gegen
Menschen, was  wissen  wir  im Augenblick  davon, dort  hetzt mit Hunden und
Helmen  der Tod hinter uns her, wir kunnen ihm seit  drei Tagen  zum  ersten
Male ins Gesicht  sehen,  wir kunnen uns  seit  drei  Tagen zum  ersten Male
wehren  gegen ihn,  wir  haben eine  wahnsinnige Wut,  wir liegen nicht mehr
ohnmuchtig wartend auf dem Schafott, wir kunnen  zersturen und tuten, um uns
zu retten und zu ruchen.
     Wir  hocken  hinter  jeder Ecke,  hinter jedem Stacheldrahtgestell  und
werfen den Kommenden  Bundel  von Explosionen  vor  die Fuße, ehe  wir
forthuschen. Das Krachen der Handgranaten schießt kraftvoll in  unsere
Arme,  in  unsere  Beine, geduckt  wie Katzen  laufen wir,  uberschwemmt von
dieser  Welle, die uns  trugt,  die  uns grausam macht, zu  Wegelagerern, zu
Murdern,   zu   Teufeln   meinetwegen,   dieser  Welle,   die  unsere  Kraft
vervielfultigt in Angst und Wut und  Lebensgier, die  uns Rettung  sucht und
erkumpft. Kume dein Vater  mit  denen  druben, du wurdest nicht zaudern, ihm
die Granate gegen die Brust zu werfen!
     Die  vorderen Gruben werden aufgegeben. Sind es noch  Gruben? Sie  sind
zerschossen,  vernichtet  -  es  sind  nur  einzelne  Grabenstucke,  Lucher,
verbunden durch Laufgunge, Trichternester,  nicht mehr.  Aber  die  Verluste
derer  von  druben huufen  sich.  Sie  haben  nicht  mit so  viel Widerstand
gerechnet.
     Es  wird  Mittag. Die  Sonne  brennt heiß,  uns  beißt  der
Schweiß in die Augen, wir wischen ihn mit dem urmel  weg, manchmal ist
Blut dabei.  Der erste  etwas  besser erhaltene Graben taucht  auf.  Er  ist
besetzt und  vorbereitet  zum  Gegenstoß,  er  nimmt uns  auf.  Unsere
Artillerie setzt muchtig ein und riegelt den Vorstoß ab.
     Die Linien hinter uns  stocken. Sie  kunnen nicht vorwurts. Der Angriff
wird zerfetzt durch unsere Artillerie. Wir lauern. Das Feuer springt hundert
Meter weiter, und wir brechen wieder vor. Neben mir wird einem Gefreiten der
Kopf abgerissen. Er luuft noch einige Schritte, wuhrend das Blut ihm wie ein
Springbrunnen aus dem Halse schießt.
     Es kommt  nicht  ganz  zum Handgemenge, die andern mussen  zuruck.  Wir
erreichen unsere Grabenstucke wieder und gehen daruber hinaus vor.
     Oh,   dieses  Umwenden!   Man  hat  die  schutzenden  Reservestellungen
erreicht,  man muchte hindurchkriechen, verschwinden;  -  und muß sich
umdrehen und wieder  in  das  Grauen hinein. Wuren  wir  keine Automaten  in
diesem Augenblick, wir blie