ben liegen, erschupft, willenlos. Aber wir werden
wieder mit vorwurts gezogen, willenlos und  doch wahnsinnig wild und wutend,
wir  wollen tuten,  denn das dort  sind unsere Todfeinde jetzt, ihre Gewehre
und Granaten  sind  gegen  uns  gerichtet,  vernichten  wir  sie nicht, dann
vernichten sie uns!
     Die braune  Erde, die zerrissene, zerborstene braune Erde, fettig unter
den   Sonnenstrahlen   schimmernd,  ist  der   Hintergrund  rastlos  dumpfen
Automatentunis, unser Keuchen ist das Abschnarren der Feder, die Lippen sind
trocken, der Kopf ist wuster als nach einer durchsoffenen Nacht - so taumeln
wir  vorwurts, und in unsere durchsiebten, durchlucherten  Seelen bohrt sich
quulend  eindringlich das Bild der braunen Erde mit der  fettigen  Sonne und
den zuckenden und toten Soldaten, die da liegen, als mußte es so sein,
die  nach  unsern  Beinen  greifen  und  schreien,  wuhrend  wir  uber   sie
hinwegspringen.
     Wir haben alles Gefuhl fureinander  verloren, wir kennen uns kaum noch,
wenn  das  Bild  des  andern  in  unseren  gejagten  Blick  fullt.  Wir sind
gefuhllose  Tote,  die  durch einen Trick,  einen gefuhrlichen  Zauber  noch
laufen und tuten kunnen.
     Ein junger Franzose bleibt zuruck, er wird erreicht, hebt die Hunde, in
einer  hat   er   noch  den   Revolver  -  man  weiß  nicht,  will  er
schießen  oder  sich  ergeben  -,  ein  Spatenschlag spaltet  ihm  das
Gesicht. Ein zweiter sieht es und  versucht, weiterzufluchten,  ein Bajonett
zischt ihm in den Rucken. Er springt  hoch, und die Arme  ausgebreitet,  den
Mund schreiend  weit offen, taumelt  er davon, in seinem Rucken schwankt das
Bajonett. Ein  dritter wirft  das Gewehr weg, kauert sich nieder,  die Hunde
vor den Augen. Er bleibt zuruck mit einigen andern Gefangenen, um Verwundete
fortzutragen.
     Plutzlich geraten wir in der Verfolgung an die feindlichen Stellungen.
     Wir  sind  so dicht  hinter den  weichenden Gegnern,  daß es  uns
gelingt,  fast gleichzeitig mit  ihnen  anzulangen. Dadurch  haben wir wenig
Verluste.  Ein  Maschinengewehr  klufft,  wird aber  durch  eine Handgranate
erledigt.  Immerhin haben die  paar  Sekunden  fur funf Bauchschusse bei uns
ausgereicht.    Kat    schlugt    einem    der    unverwundet    gebliebenen
Maschinengewehrschutzen  mit dem Kolben  das  Gesicht  zu  Brei.  Die andern
erstechen wir, ehe  sie  ihre  Handgranaten  heraus  haben. Dann  saufen wir
durstig das Kuhlwasser aus.
     uberall knacken Drahtzangen, poltern Bretter uber die Verhaue, springen
wir  durch  die schmalen  Zugunge  in  die Gruben.  Haie  stußt  einem
riesigen  Franzosen  seinen  Spaten  in  den   Hals  und   wirft  die  erste
Handgranate; wir ducken uns einige Sekunden hinter einer Brustwehr, dann ist
das gerade Stuck des Grabens vor  uns leer. Schrug uber  die Ecke zischt der
nuchste  Wurf und  schafft freie  Bahn,  im  Vorbeilaufen  fliegen  geballte
Ladungen in die Unterstunde, die Erde ruckt, es kracht,  dampft und  stuhnt,
wir stolpern uber glitschige Fleischfetzen, uber weiche Kurper, ich falle in
einen zerrissenen Bauch, auf dem ein neues, sauberes Offizierskuppi liegt.
     Das Gefecht  stockt. Die  Verbindung mit dem Feinde  reißt ab. Da
wir uns hier nicht lange halten kunnen, werden wir unter dem Schutze unserer
Artillerie zuruckgenommen auf  unsere Stellung. Kaum wissen wir  es, als wir
in  grußter Eile  noch  in  die  nuchsten Unterstunde  sturzen, um von
Konserven  an uns zu reißen,  was  wir  gerade  sehen,  vor  allem die
Buchsen mit Corned beef und Butter, ehe wir turmen.
     Wir kommen gut zuruck. Es erfolgt  vorluufig kein weiterer  Angriff von
druben. uber eine Stunde liegen  wir, keuchen und ruhen uns aus,  ehe jemand
spricht.  Wir sind so vullig ausgepumpt, daß wir trotz unseres starken
Hungers nicht an die  Konserven denken. Erst allmuhlich werden wir wieder so
etwas wie Menschen.
     Das Corned beef  von  druben ist  an  der ganzen Front  beruhmt. Es ist
mitunter sogar  der  Hauptgrund zu  einem  uberraschenden Vorstoß  von
unserer Seite, denn unsere Ernuhrung ist im allgemeinen schlecht; wir  haben
stundig Hunger.
     Insgesamt haben wir funf Buchsen geschnappt. Die Leute druben werden ja
verpflegt,  das  ist  eine  Pracht  gegen  uns   Hungerleider  mit   unserer
Rubenmarmelade,  das Fleisch  steht  da nur so herum, man braucht bloß
danach   zu  greifen.  Haie  hat  außerdem  ein  dunnes  franzusisches
Weißbrot erwischt und  hinter sein  Koppel geschoben wie einen Spaten.
An einer  Ecke  ist  es ein bißchen  blutig,  doch das lußt sich
abschneiden.
     Es ist ein  Gluck, daß  wir  jetzt gut zu essen haben; wir werden
unsere Krufte  noch  brauchen. Sattessen ist  ebenso  wertvoll wie ein guter
Unterstand; deshalb sind wir  so gierig danach, denn  es kann uns das  Leben
retten.
     Tjaden  hat  noch zwei  Feldflaschen  Kognak  erbeutet. Wir lassen  sie
reihum gehen.
     Der Abendsegen  beginnt.  Die  Nacht  kommt, aus  den Trichtern steigen
Nebel. Es sieht  aus, als  wuren  die  Lucher von  gespenstigen Geheimnissen
erfullt. Der  weiße Dunst kriecht  angstvoll  umher, ehe er wagt, uber
den  Rand  hinwegzugleiten.  Dann ziehen  lange  Streifen  von  Trichter  zu
Trichter.
     Es ist  kuhl. Ich bin auf Posten  und starre in die Dunkelheit. Mir ist
schwach zumute,  wie  immer nach  einem  Angriff,  und deshalb  wird es  mir
schwer,  mit  meinen Gedanken  allein zu sein.  Es sind  keine  eigentlichen
Gedanken; es sind Erinnerungen, die mich in meiner Schwuche jetzt heimsuchen
und mich sonderbar stimmen.
     Die  Leuchtschirme  gehen   hoch  -   und  ich  sehe  ein  Bild,  einen
Sommerabend, wo  ich  im Kreuzgang  des Domes  bin und  auf hohe Rosenbusche
schaue,  die  in der  Mitte  des  kleinen  Kreuzgartens  bluhen, in  dem die
Domherren begraben werden. Rundum  stehen die  Steinbilder der Stationen des
Rosenkranzes. Niemand ist da; - eine große Stille hult dieses bluhende
Viereck  umfangen, die Sonne  liegt warm auf den dicken  grauen Steinen, ich
lege  meine  Hand darauf  und fuhle  die Wurme. uber der  rechten  Ecke  des
Schieferdaches  strebt  der  grune Domturm  in das matte,  weiche  Blau  des
Abends. Zwischen den beglunzten kleinen  Suulen der  umlaufenden  Kreuzgunge
ist das kuhle  Dunkel,  das nur Kirchen haben, und ich stehe  dort und denke
daran, daß ich mit zwanzig Jahren die verwirrenden Dinge kennen werde,
die von den Frauen kommen.
     Das  Bild  ist  besturzend  nahe,  es  ruhrt mich an, ehe  es unter dem
Aufflammen der nuchsten Leuchtkugel zergeht.
     Ich  fasse mein Gewehr  und rucke es  zurecht. Der Lauf ist feucht, ich
lege meine Hand fest darum und zerreibe die Feuchtigkeit mit den Fingern.
     Zwischen  den Wiesen hinter unserer Stadt erhob sich an einem Bach eine
Reihe von alten Pappeln. Sie waren weithin sichtbar, und obschon sie nur auf
einer Seite standen,  hießen sie die  Pappelallee.  Schon  als  Kinder
hatten wir eine Vorliebe fur sie, unerklurlich zogen sie uns an,  ganze Tage
verbrachten   wir  bei  ihnen  und  honen  ihrem  leisen  Rauschen  zu.  Wir
saßen  unter ihnen am Ufer des Baches und ließen  die Fuße
in die hellen,  eiligen Wellen  hungen. Der reine Duft des  Wassers  und die
Melodie des Windes in den Pappeln beherrschten unsere Phantasie. Wir liebten
sie  sehr, und das  Bild  dieser  Tage  lußt  mir jetzt noch  das Herz
klopfen, ehe es wieder geht.
     Es  ist  seltsam,  daß   alle   Erinnerungen,  die  kommen,  zwei
Eigenschaften haben.  Sie sind immer voll  Stille, das  ist  das Sturkste an
ihnen, und selbst  dann,  wenn  sie es  nicht in  dem Maße in Wahrheit
waren, wirken  sie so. Sie sind lautlose Erscheinungen, die zu mir  sprechen
mit Blicken und Geburden,  wortlos  und  schweigend, - und ihr Schweigen ist
das Erschutternde, das mich zwingt, meinen urmel anzufassen und mein Gewehr,
um  mich  nicht  vergehen zu lassen in dieser Auflusung und  Lockung, in der
mein Kurper sich ausbreiten und sanft zerfließen muchte zu den stillen
Muchten hinter den Dingen.
     Sie sind so still, weil das fur uns so unbegreiflich ist. An  der Front
gibt es keine Stille, und der Bann  der Front reicht so weit, daß  wir
nie außerhalb von ihr  sind. Auch  in den  zuruckgelegenen  Depots und
Ruhequartieren bleibt das Summen und das gedumpfte Poltern des  Feuers stets
in  unseren Ohren.  Wir sind  nie so weit fort, daß wir es  nicht mehr
huren. In diesen Tagen aber war es unertruglich.
     Die Stille ist die Ursache dafur, daß die Bilder des Fruher nicht
so  sehr  Wunsche  erwecken  als   Trauer  -  eine  ungeheure,  fassungslose
Schwermut.  Sie waren - aber sie  kehren  nicht wieder. Sie sind vorbei, sie
sind eine andere Welt, die fur uns voruber ist. Auf den Kasernenhufen riefen
sie  ein  rebellisches,  wildes Begehren  hervor, da waren sie noch  mit uns
verbunden,  wir gehurten  zu ihnen und  sie zu  uns, wenn wir  auch getrennt
waren. Sie stiegen  auf bei den Soldatenliedern,  die wir sangen,  wenn  wir
zwischen  Morgenrot  und  schwarzen Waldsilhouetten  zum Exerzieren nach der
Heide  marschierten, sie waren eine heftige  Erinnerung, die in uns war  und
aus uns kam.
     Hier in den Gruben aber ist sie  uns verlorengegangen. Sie steigt nicht
mehr  aus uns auf; - wir sind tot, und  sie steht fern am  Horizont, sie ist
eine Erscheinung, ein rutselhafter Widerschein,  der uns  heimsucht, den wir
furchten und ohne Hoffnung  lieben.  Sie  ist  stark, und unser Begehren ist
stark -  aber sie  ist  unerreichbar,  und  wir wissen  es. Sie  ist  ebenso
vergeblich wie die Erwartung, General zu werden.
     Und selbst  wenn  man  sie  uns  wiedergube,  diese Landschaft  unserer
Jugend, wir  wurden wenig  mehr mit ihr  anzufangen wissen. Die  zarten  und
geheimen Krufte, die von ihr zu uns gingen, kunnen nicht wiedererstehen. Wir
wurden  in ihr  sein  und in ihr  umgehen; wir  wurden uns erinnern  und sie
lieben und bewegt sein von ihrem Anblick. Aber es wure das gleiche, wie wenn
wir  nachdenklich werden vor  der Fotografie eines  toten Kameraden; es sind
seine  Zuge,  es ist sein Gesicht, und  die Tage, die  wir mit  ihm zusammen
waren, gewinnen ein trugerisches Leben in unserer Erinnerung; aber er ist es
nicht selbst.
     Wir wurden  nicht mehr verbunden sein mit ihr,  wie wir es waren. Nicht
die Erkenntnis  ihrer Schunheit und ihrer  Stimmung  hat  uns  ja angezogen,
sondern  das  Gemeinsame,  dieses  Gleichfuhlen  einer Bruderschaft  mit den
Dingen  und  Vorfullen unseres Seins, die  uns  abgrenzte  und  uns die Welt
unserer Eltern immer etwas unverstundlich machte; - denn wir waren irgendwie
immer zurtlich an sie verloren und hingegeben,  und das Kleinste mundete uns
einmal  immer  in  den Weg  der  Unendlichkeit.  Vielleicht  war es  nur das
Vorrecht unserer Jugend - wir sahen noch keine Bezirke,  und nirgendwo gaben
wir  ein Ende  zu; wir  hatten die Erwartung des Blutes, die uns eins machte
mit dem Verlauf unserer Tage.
     Heute  wurden wir  in  der  Landschaft  unserer Jugend  umhergehen  wie
Reisende.  Wir  sind  verbrannt von Tatsachen, wir  kennen  Unterschiede wie
Hundler und Notwendigkeiten wie Schluchter. Wir sind  nicht mehr unbekummert
-  wir sind furchterlich gleichgultig.  Wir wurden da sein; aber  wurden wir
leben?
     Wir sind verlassen wie Kinder und erfahren wie alte Leute, wir sind roh
und traurig und oberfluchlich - ich glaube, wir sind verloren.
     Meine Hunde  werden kalt,  und  meine Haut schauert; dabei ist  es eine
warme Nacht. Nur der Nebel ist kuhl, dieser unheimliche Nebel, der die Toten
vor uns beschleicht und ihnen das letzte, verkrochene Leben aussaugt. Morgen
werden sie bleich und grun sein und ihr Blut gestockt und schwarz.
     Immer   noch   steigen   die  Leuchtschirme  empor   und   werfen   ihr
erbarmungsloses Licht uber  die versteinerte Landschaft, die voll Krater und
Lichtkulte  ist wie ein  Mond. Das Blut unter meiner Haut bringt  Furcht und
Unruhe herauf in meine Gedanken. Sie werden schwach  und zittern, sie wollen
Wurme und Leben. Sie kunnen es nicht  aushaken ohne Trost und Tuuschung, sie
verwirren sich vor dem nackten Bilde der Verzweiflung.
     Ich  hure  das Klappern von Kochgeschirren und habe sofort  das heftige
Verlangen  nach warmem  Essen, es wird mir gut tun  und  mich beruhigen. Mit
Muhe zwinge ich mich, zu warten, bis ich abgelust werde.
     Dann gehe ich in den Unterstand und finde einen Becher mit Graupen vor.
Sie sind  fett gekocht  und schmecken gut, ich  esse  sie  langsam. Aber ich
bleibe  still, obschon  die andern  besser  gelaunt  sind,  weil  das  Feuer
eingeschlafen ist.
     Die  Tage  gehen   hin,   und   jede  Stunde   ist  unbegreiflich   und
selbstverstundlich. Die Angriffe wechseln  mit  Gegenangriffen,  und langsam
huufen  sich auf  dem Trichterfeld  zwischen  den  Grubern  die  Toten.  Die
Verwundeten,  die  nicht sehr  weit  weg liegen,  kunnen wir meistens holen.
Manche aber mussen lange liegen, und wir huren sie sterben.
     Einen suchen wir  vergeblich  zwei Tage hindurch. Er  muß auf dem
Bauche liegen  und sich nicht mehr umdrehen kunnen. Anders ist  es  nicht zu
erkluren,  daß wir ihn  nicht finden; denn nur wenn  man mit dem Munde
dicht auf dem Boden schreit, ist die Richtung so schwer festzustellen.
     Er  wird  einen  busen   Schuß  haben,   eine   dieser  schlimmen
Verletzungen, die nicht so stark sind, daß sie den Kurper rasch derart
schwuchen, daß man halb betuubt verdummert, und auch nicht  so leicht,
daß man die Schmerzen mit der Aussicht  ertragen kann,  wieder heil zu
werden.  Kat meint,  er hutte entweder eine Beckenzertrummerung  oder  einen
Wirbelsuulenschuß. Die Brust sei nicht verletzt, sonst besuße er
nicht so viel  Kraft  zum Schreien. Man mußte  ihn  bei einer  anderen
Verletzung sich auch bewegen sehen.
     Er wird  allmuhlich  heiser.  Die Stimme ist  so unglucklich  im Klang,
daß  sie  uberall  herkommen kunnte. In der ersten Nacht  sind dreimal
Leute von uns draußen. Aber wenn  sie glauben, die Richtung  zu haben,
und  schon hinkriechen, ist  die  Stimme beim nuchstenmal, wenn sie horchen,
wieder ganz anderswo.
     Bis in  die Dummerung  hinein suchen wir vergeblich. Tagsuber wird  das
Gelunde mit Glusern durchforscht;  nichts ist zu entdecken. Am  zweiten  Tag
wird  der  Mann  leiser; man  merkt,  daß  die  Lippen  und  der  Mund
vertrocknet sind.
     Unser Kompaniefuhrer hat  dem, der  ihn findet, Vorzugsurlaub und  drei
Tage Zusatz versprochen. Das ist ein muchtiger Anreiz, aber  wir wurden auch
ohne das  tun, was muglich ist;  denn das Rufen ist furchtbar. Kat und Kropp
gehen sogar nachmittags noch  einmal vor. Albert wird  das Ohrluppchen dabei
abgeschossen. Es ist umsonst, sie haben ihn nicht bei sich.
     Dabei ist  deutlich zu verstehen, was er ruft.  Zuerst hat er immer nur
um Hilfe geschrien - in der zweiten Nacht muß er etwas  Fieber  haben,
er  spricht mit  seiner  Frau und  seinen  Kindern, wir kunnen oft den Namen
Elise heraushuren.  Heute weint er nur noch. Abends  erlischt  die Stimme zu
einem Kruchzen. Aber er  stuhnt noch  die ganze Nacht leise. Wir huren es so
genau, weil  der Wind auf  unsern  Graben  zusteht.  Morgens,  als wir schon
glauben, er habe lungst  Ruhe, dringt  noch  einmal  ein gurgelndes  Rucheln
heruber -.
     Die Tage sind  heiß, und die Toten  liegen unbeerdigt. Wir kunnen
sie  nicht alle  holen,  wir  wissen nicht, wohin wir mit  ihnen sollen. Sie
werden von den  Granaten  beerdigt.  Manchen  treiben  die  Buuche  auf  wie
Ballons. Sie zischen, rulpsen und bewegen sich. Das Gas rumort in ihnen.
     Der Himmel ist blau und ohne Wolken.  Abends wird es  schwul, j und die
Hitze steigt aus  der Erde. Wenn der  Wind zu uns heruberweht, bringt er den
Blutdunst  mit,  der   schwer  und  widerwurtig  sußlich  ist,  diesen
Totenbrodem der Trichter, der aus Chloroform und Verwesung gemischt  scheint
und uns ubelkeiten und Erbrechen verursacht.
     Die Nuchte  werden  ruhig, und die Jagd auf die kupfernen Fuhrungsringe
der  Granaten und die Seidenschirme der franzusischen Leuchtkugeln geht los.
Weshalb  die  Fuhrungsringe  so  begehrt sind, weiß  eigentlich keiner
recht. Die Sammler behaupten einfach, sie seien wertvoll. Es gibt Leute, die
so viel davon mitschleppen, daß sie  krumm und schief  darunter gehen,
wenn wir abrucken.
     Haie gibt  wenigstens einen  Grund an;  er will  sie  seiner  Braut als
Strumpfbunderersatz  schicken.  Daruber  bricht  bei den  Friesen  naturlich
unbundige Heiterkeit aus; sie schlagen sich auf die Knie, das ist ein  Witz,
Donnerwetter, der Haie, der hat es hinter den  Ohren. Besonders Tjaden  kann
sich gar  nicht fassen;  er  hat den grußten der Ringe in der Hand und
steckt alle Augenblicke sein  Bein hindurch, um zu zeigen,  wieviel  da noch
frei  ist.  "Haie,  Mensch, die  muß  ja Beine haben,  Beine"  - seine
Gedanken klettern  etwas  huher  -, "und einen Hintern muß die dann ja
haben, wie - wie ein Elefant."
     Er kann sich  nicht genug tun.  "Mit der muchte ich mal Schinkenkloppen
spielen, meine Fresse..."
     Haie  strahlt,   weil  seine  Braut   soviel  Anerkennung  findet,  und
uußert selbstzufrieden und knapp: "Stramm isse!"
     Die Seidenschirme sind praktischer zu verwerten. Drei oder vier ergeben
eine  Bluse,  je  nach  der  Brustweite.  Kropp  und ich  brauchen  sie  als
Taschentucher. Die andern  schicken  sie nach Hause.  Wenn  die Frauen sehen
kunnten,  mit wieviel  Gefahr diese dunnen Lappen oft geholt  werden, wurden
sie einen schunen Schreck kriegen.
     Kat uberrascht Tjaden, wie er von einem Blindgunger in aller Seelenruhe
die Ringe abzuklopfen  versucht. Bei jedem andern wure  das Ding explodiert,
Tjaden hat wie stets Gluck.
     Einen  ganzen Vormittag spielen zwei Schmetterlinge  vor unserm Graben.
Es sind Zitronenfalter, ihre gelben  Flugel haben rote Punkte. Was  mag  sie
nur hierher verschlagen  haben; weit und breit  ist keine  Pflanze und keine
Blume. Sie ruhen sich auf den Zuhnen eines  Schudels aus. Ebenso sorglos wie
sie sind die Vugel, die sich lungst an den Krieg gewuhnt haben. Jeden Morgen
steigen  Lerchen zwischen  der Front auf. Vor einem Jahr  konnten  wir sogar
brutende beobachten, die ihre Jungen auch hochbekamen.
     Vor den  Ratten haben wir Ruhe im Graben. Sie sind  vorn  - wir wissen,
wozu. Sie werden fett; wo wir  eine sehen, knallen wir sie weg. Nachts huren
wir  wieder das Rollen von druben. Tagsuber haben wir nur das normale Feuer,
so daß  wir die  Gruben ausbessern kunnen.  Unterhaltung ist ebenfalls
da, die Flieger sorgen dafur. Tuglich finden zahlreiche Kumpfe ihr Publikum.
     Die    Kampfflieger    lassen    wir    uns    gefallen,    aber    die
Beobachtungsflugzeuge  hassen  wir  wie die Pest;  denn  sie  holen  uns das
Artilleriefeuer heruber. Ein paar Minuten  nachdem sie erscheinen, funkt  es
von Schrapnells und Granaten. Dadurch verlieren wir elf Leute an  einem Tag,
darunter  funf  Sanituter. Zwei  werden  so zerschmettert,  daß Tjaden
meint,  man kunne  sie mit  dem Luffel von  der Grabenwand abkratzen  und im
Kochgeschirr beerdigen.  Einem  andern  wird  der Unterleib  mit  den Beinen
abgerissen.  Er  lehnt  tot  auf  der  Brust im  Graben,  sein  Gesicht  ist
zitronengelb, zwischen dem Vollbart  glimmt  noch die Zigarette. Sie glimmt,
bis sie auf den Lippen verzischt.
     Wir legen  die Toten vorluufig in einen großen Trichter.  Es sind
bis jetzt drei Lagen ubereinander.
     Plutzlich  beginnt  das Feuer  nochmals zu trommeln.  Bald  sitzen  wir
wieder in der gespannten Starre des untutigen Wartens.
     Angriff,  Gegenangriff,  Stoß, Gegenstoß  - das sind Worte,
aber  was  umschließen sie!  Wir verlieren  viele  Leute,  am  meisten
Rekruten.  Auf  unserem  Abschnitt  wird wieder Ersatz eingeschoben. Es  ist
eines der neuen Regimenter, fast lauter junge Leute der letzten ausgehobenen
Jahrgunge. Sie haben kaum  eine Ausbildung, nur theoretisch haben  sie etwas
uben kunnen, ehe sie ins Feld ruckten. Was eine Handgranate ist,  wissen sie
zwar, aber von  Deckung haben sie  wenig Ahnung, vor allen  Dingen haben sie
keinen Blick dafur. Eine Bodenwelle muß schon einen halben Meter  hoch
sein, ehe sie von ihnen gesehen wird.
     Obschon wir notwendig Versturkung brauchen, haben  wir fast mehr Arbeit
mit den  Rekruten, als daß  sie uns nutzen. Sie sind hilflos in diesem
schweren Angriff s gebiet und fallen wie die Fliegen. Der Stellungskampf von
heute erfordert Kenntnisse  und Erfahrungen,  man  muß Verstundnis fur
das Gelunde haben, man muß die Geschosse, ihre Geruusche und Wirkungen
im Ohr haben, man muß vorausbestimmen kunnen, wo sie einbauen, wie sie
streuen und wie man sich schutzt.
     Dieser junge Ersatz weiß  naturlich  von  alledem noch  fast  gar
nichts. Er wird aufgerieben, weil er kaum ein Schrapnell von  einer  Granate
unterscheiden kann,  die Leute  werden weggemuht, weil sie angstvoll auf das
Heulen der ungefuhrlichen großen, weit hinten einbauenden Kohlenkusten
lauschen  und  das pfeifende, leise Surren  der flach zerspritzenden kleinen
Biester  uberhuren.  Wie  die  Schafe drungen  sie  sich  zusammen,  anstatt
auseinanderzulaufen, und selbst  die Verwundeten werden  noch wie  Hasen von
den Fliegern abgeknallt.
     Die blassen  Steckrubengesichter,  die  armselig gekrallten Hunde,  die
jammervolle  Tapferkeit  dieser  armen  Hunde,  die  trotzdem  vorgehen  und
angreifen, dieser braven, armen Hunde,  die so verschuchtert sind, daß
sie nicht laut zu schreien wagen und mit zerrissenen Brusten und Buuchen und
Armen und Beinen leise nach ihrer  Mutter wimmern und gleich  aufhuren, wenn
man sie ansieht!
     Ihre  toten,  flaumigen,  spitzen  Gesichter  haben  die   entsetzliche
Ausdruckslosigkeit gestorbener Kinder.
     Es sitzt einem in der Kehle, wenn man sie ansieht,  wie sie aufspringen
und laufen und fallen. Man muchte sie verprugeln, weil sie so
     dumm sind, und sie auf die Arme nehmen und  wegbringen von hier, wo sie
nichts zu  suchen haben. Sie tragen ihre grauen Rucke und Hosen und Stiefel,
aber den meisten ist die Uniform zu weit, sie schlottert um die Glieder, die
Schultern sind zu schmal, die Kurper sind zu gering, es gab keine Uniformen,
die fur dieses Kindermaß eingerichtet waren.
     Auf einen alten Mann fallen  funf bis zehn Rekruten. Ein uberraschender
Gasangriff rafft viele weg. Sie sind nicht dazu gelangt, zu ahnen, was ihrer
wartete. Einen  Unterstand  voll finden wir mit blauen Kupfen  und schwarzen
Lippen.  In  einem Trichter haben  sie die  Masken  zu fruh losgemacht;  sie
wußten nicht, daß sich das Gas auf  dem Grunde am lungsten hult;
als sie andere ohne Maske  oben sahen, rissen sie sie auch ab und schluckten
noch genug,  um sich die Lungen zu verbrennen. Ihr Zustand ist hoffnungslos,
sie wurgen sich mit Blutsturzen und Erstickungsanfullen zu Tode.
     In  einem  Grabenstuck   sehe   ich  mich   plutzlich  Himmelstoß
gegenuber. Wir  ducken  uns in demselben  Unterstand.  Atemlos  liegt  alles
beieinander und wartet ab, bis der Vorstoß einsetzt.
     Obschon ich sehr erregt bin, schießt  mir beim  Hinauslaufen doch
noch der Gedanke durch den Kopf: Ich sehe Himmelstoß nicht mehr. Rasch
springe ich in den Unterstand zuruck und finde ihn, wie er in der Ecke liegt
mit  einem  kleinen Streifschuß  und den  Verwundeten  simuliert. Sein
Gesicht ist  wie verprugelt. Er hat  einen  Angstkoller, er ist ja auch noch
neu  hier.   Aber   es   macht  mich  rasend,  daß  der  junge  Ersatz
draußen ist und er hier.
     "Raus!" fauche ich.
     Er ruhrt sich nicht, die Lippen zittern, der Schnurrbart bebt.
     "Raus!" wiederhole ich.
     Er zieht die Beine an, druckt sich an die Wand und bleckt die Zuhne wie
ein Kuter.
     Ich fasse ihn am Arm  und will  ihn hochreißen. Er quukt auf.  Da
gehen  meine  Nerven durch. Ich habe ihn am  Hals,  schuttele ihn wie  einen
Sack, daß der Kopf hin  und her fliegt, und  schreie  ihm ins Gesicht:
"Du Lump, willst du 'raus - du Hund, du  Schinder, du willst  dich drucken?"
Er verglast, ich  schleudere seinen Kopf gegen die Wand  - "Du  Vieh" -  ich
trete ihm  in  die Rippen -  "Du Schwein" - ich stoße ihn vorwurts mit
dem Kopf voran hinaus.
     Eine neue Welle von uns kommt gerade vorbei. Ein Leutnant ist dabei. Er
sieht    uns    und    ruft:    "Vorwurts,   vorwurts,    anschließen,
anschließen  -!" Und was meine Prugel nicht vermocht haben, das wirkte
dieses Wort. Himmelstoß hurt den Vorgesetzten, sieht sich erwachend um
und schließt sich an.
     Ich  folge  und  sehe  ihn  springen.  Er  ist  wieder  der  schneidige
Himmelstoß des Kasernenhofes, er hat sogar den  Leutnant eingeholt und
ist weit voraus. -
     Trommelfeuer,   Sperrfeuer,   Gardinenfeuer,    Minen,    Gas,   Tanks,
Maschinengewehre, Handgranaten - Worte, Worte,  aber sie umfassen das Grauen
der Welt.
     Unsere Gesichter sind verkrustet, unser Denken ist verwustet,  wir sind
todmude; - wenn der Angriff kommt,  mussen manche mit den Fuusten geschlagen
werden, damit sie erwachen  und mitgehen; -  die Augen  sind  entzundet, die
Hunde zerrissen, die Knie bluten, die Ellbogen sind zerschlagen.
     Vergehen Wochen - Monate -Jahre? Es sind nur Tage. - Wir sehen die Zeit
neben uns  schwinden in den farblosen Gesichtern der Sterbenden, wir luffeln
Nahrung  in uns hinein,  wir  laufen,  wir werfen, wir  schießen,  wir
tuten, wir liegen herum, wir sind schwach und stumpf, und nur das  hult uns,
daß noch Schwuchere, noch Stumpfere, noch Hilflosere  da sind, die mit
aufgerissenen Augen uns ansehen als  Gutter, die manchmal dem Tode entrinnen
kunnen.
     In den wenigen Stunden der Ruhe unterweisen wir sie. "Da, siehst du den
Wackeltopp? Das ist eine Mine, die kommt! Bleib liegen, sie geht druben hin.
Wenn sie aber so geht, dann reiß aus! Man kann vor ihr weglaufen."
     Wir machen ihre  Ohren scharf auf  das heimtuckische Surren der kleinen
Dinger, die man kaum vernimmt, sie sollen sie aus dem Krach herauskennen wie
Muckensummen; - wir  bringen ihnen bei, daß  sie gefuhrlicher sind als
die großen, die man lange vorher hurt.
     Wir zeigen ihnen, wie man sich vor Fliegern verbirgt, wie man den toten
Mann  macht,  wenn  man  vom Angriff  uberrannt  wird, wie  man Handgranaten
abziehen  muß,  damit  sie  eine  halbe  Sekunde   vor  dem  Aufschlag
explodieren;  -  wir  lehren   sie,  vor   Granaten   mit   Aufschlagzundern
blitzschnell in Trichter zu fallen, wir machen vor, wie man mit einem Bundel
Handgranaten  einen Graben  aufrollt,  wir  erMuren den  Unterschied  in der
Zundungsdauer zwischen den gegnerischen Handgranaten und unseren, wir machen
sie auf  den Ton der Gasgranaten aufmerksam und zeigen ihnen die Kniffe, die
sie vor dem Tode retten kunnen. Sie huren zu, sie sind folgsam -  aber  wenn
es  wieder  losgeht, machen sie  es in  der  Aufregung meistens  doch wieder
falsch.
     Haie Westhus wird mit  abgerissenem Rucken  fortgeschleppt;  bei  jedem
Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde. Ich kann ihm noch die Hand drucken;
- "is alle, Paul", stuhnt er und beißt sich vor Schmerz in die Arme.
     Wir sehen Menschen leben, denen  der Schudel fehlt; wir  sehen Soldaten
laufen,  denen  beide  Fuße  weggefetzt  sind;  sie  stolpern  auf den
splitternden  Stumpfen  bis zum  nuchsten  Loch; ein  Gefreiter kriecht zwei
Kilometer  weit auf den Hunden und  schleppt die zerschmetterten Knie hinter
sich her;  ein anderer geht zur Verbandsstelle, und uber seine festhaltenden
Hunde quellen  die Durme;  wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne
Gesicht; wir finden jemand, der mit den Zuhnen  zwei  Stunden die Schlagader
seines  Armes  klemmt, um nicht zu  verbluten, die Sonne geht auf, die Nacht
kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende.
     Doch das Stuckchen zerwuhlter Erde,  in dem  wir  liegen,  ist gehalten
gegen die ubermacht, nur wenige hundert Meter sind preisgegeben worden. Aber
auf jeden Meter kommt ein Toter.
     Wir werden  abgelust. Die Ruder rollen unter uns weg, wir stehen dumpf,
und wenn der Ruf: "Achtung  - Draht!" kommt, gehen wir  in die Kniebeuge. Es
war Sommer, als wir hier  voruberfuhren,  die Buume waren noch  grun,  jetzt
sehen sie schon herbstlich aus, und die Nacht ist grau und feucht. Die Wagen
halten, wir klettern
     97
     hinunter,  ein  durcheinandergewurfelter  Haufen, ein Rest  von  vielen
Namen.  An  den  Seiten,  dunkel,  stehen  Leute und rufen  die  Nummern von
Regimentern, von Kompanien aus. Und bei jedem Ruf sondert sich ein  Huuflein
ab,  ein  karges,  geringes  Huuflein  schmutziger,  fahler   Soldaten,  ein
furchtbar kleines Huuflein und ein furchtbar kleiner Rest.
     Nun ruft jemand die Nummer unserer Kompanie, es ist, man  hurt  es, der
Kompaniefuhrer, er ist also davongekommen, sein Arm  liegt in der Binde. Wir
treten zu ihm hin, und ich erkenne Kat und Albert, wir stellen uns zusammen,
lehnen uns aneinander und sehen uns an.
     Und noch einmal und noch einmal huren wir unsere Nummer rufen.  Er kann
lange rufen, man hurt ihn nicht in den Lazaretten und den Trichtern.
     Noch einmal: "Zweite Kompanie hierher!"
     Und dann  leiser: "Niemand mehr  zweite Kompanie?"  Er schweigt und ist
etwas heiser, als er fragt: "Das sind alle?" und befiehlt: "Abzuhlen!"
     Der  Morgen ist grau, es war noch Sommer, als wir hinausgingen, und wir
waren  hundertfunfzig Mann.  Jetzt  friert  uns, es ist Herbst, die  Blutter
rascheln, die Stimmen flattern  mude auf: "Eins -  zwei -drei - vier -", und
bei zweiunddreißig  schweigen  sie.  Und es schweigt  lange,  ehe  die
Stimme fragt: "Noch  jemand?" - und wartet und  dann leise sagt: "In Gruppen
-", und doch abbricht und nur vollenden kann: "Zweite Kompanie -", muhselig:
"Zweite Kompanie - ohne Tritt marsch!"
     Eine   Reihe,   eine   kurze   Reihe  tappt  in  den   Morgen   hinaus,
Zweiunddreißig Mann.
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     Man nimmt uns weiter als sonst zuruck, in ein Feld-Rekrutendepot, damit
wir dort  neu zusammengestellt werden kunnen. Unsere Kompanie  braucht  uber
hundert Mann Ersatz.
     Einstweilen bummeln wir umher, wenn wir keinen Dienst machen. Nach zwei
Tagen  kommt  Himmelstoß zu  uns.  Seine  große  Schnauze hat er
verloren, seit er im Graben war. Er schlugt vor, daß wir uns vertragen
wollen.  Ich bin bereit, denn ich habe  gesehen, daß er Haie  Westhus,
dem der Rucken weggerissen wurde, mit fortgebracht hat. Da er außerdem
wirklich vernunftig redet, haben wir nichts dabei, daß er  uns  in die
Kantine einludt. NurTjaden ist mißtrauisch und reserviert.
     Doch auch er wird gewonnen, denn Himmelstoß erzuhlt, daß er
den in Urlaub  fahrenden Kuchenbullen vertreten soll. Als Beweis dafur ruckt
er sofort zwei Pfund Zucker fur uns und ein  halbes  Pfund Butter fur Tjaden
besonders heraus. Er sorgt sogar dafur, daß  wir fur die nuchsten drei
Tage  in die Kuche  zum Kartoffel- und Steckrubenschulen kommandiert werden.
Das Essen, das er uns dort vorsetzt, ist tadellose Offizierskost.
     So haben wir im Augenblick wieder die beiden  Dinge, die der Soldat zum
Gluck braucht: gutes Essen und Ruhe. Das ist wenig, wenn man es bedenkt. Vor
ein paar Jahren noch hutten wir uns furchtbar verachtet. Jetzt sind wir fast
zufrieden. Alles ist Gewohnheit, auch der Schutzengraben.
     Diese Gewohnheit ist der Grund  dafur, daß wir scheinbar so rasch
vergessen. Vorgestern waren wir noch im Feuer, heute machen wir Albernheiten
und fechten uns  durch die Gegend, morgen gehen wir wieder in den Graben. In
Wirklichkeit vergessen wir nichts.  Solange wir  hier im  Felde sein mussen,
sinken die Fronttage, wenn sie vorbei sind, wie Steine in uns hinunter, weil
sie  zu schwer sind,  um sofort daruber  nachdenken zu kunnen. Tuten wir es,
sie wurden uns hinterher erschlagen; denn soviel habe ich schon gemerkt: Das
Grauen  lußt sich ertragen, solange  man sich  einfach duckt; aber  es
tutet, wenn man daruber nachdenkt.
     Genau wie wir  zu Tieren werden, wenn wir  nach vorn gehen, weil es das
einzige  ist,  was  uns  durchbringt,  so   werden  wir  zu  oberfluchlichen
Witzbolden und Schlafmutzen,  wenn wir  in Ruhe sind.  Wir kunnen  gar nicht
anders, es  ist furmlich  ein  Zwang. Wir  wollen leben um jeden  Preis;  da
kunnen wir uns nicht  mit Gefuhlen belasten, die fur  den Frieden  dekorativ
sein  mugen, hier aber falsch sind. Kemmerich ist tot, Haie  Westhus stirbt,
mit dem Kurper Hans  Kramers werden sie am Jungsten Tage Last haben, ihn aus
einem Volltreffer zusammenzuklauben, Martens hat keine Beine mehr, Meyer ist
tot,  Marx  ist tot, Beyer  ist tot, Hummerling ist tot, hundertzwanzig Mann
liegen  irgendwo mit Schussen, es ist eine verdammte Sache, aber was geht es
uns noch an, wir leben.  Kunnten  wir  sie retten, ja  dann  sollte man  mal
sehen, es wure egal, ob wir selbst draufgingen, so wurden wir loslegen; denn
wir haben einen verfluchten Muck, wenn wir wollen;  Furcht  kennen wir nicht
viel - Todesangst wohl, doch das ist etwas anderes, das ist kurperlich.
     Aber unsere  Kameraden sind tot,  wir  kunnen ihnen  nicht helfen,  sie
haben Ruhe -  wer weiß,  was  uns  noch  bevorsteht;  wir  wollen  uns
hinhauen und  schlafen oder  fressen, soviel wir  in den Magen kriegen,  und
saufen und rauchen, damit die Stunden nicht ude sind. Das Leben ist kurz.
     Das Grauen der  Front versinkt,  wenn wir ihm  den  Rucken kehren,  wir
gehen ihm mit  gemeinen und grimmigen Witzen  zuleibe; wenn  jemand  stirbt,
dann heißt  es, daß er den  Arsch zugekniffen  hat, und so reden
wir  uber alles, das rettet  uns  vor dem Verrucktwerden, solange wir es  so
nehmen, leisten wir Widerstand.
     Aber wir  vergessen  nicht!  Was in den  Kriegszeitungen steht uber den
goldenen Humor der Truppen, die bereits Tunzchen  arrangieren, wenn sie kaum
aus  dem Trommelfeuer zuruck  sind, ist großer Quatsch.  Wir  tun  das
nicht, weil wir Humor  haben, sondern wir haben Humor, weil wir sonst kaputt
gehen. Die Kiste wird ohnehin  nicht  mehr allzulange  halten, der Humor ist
jeden Monat bitterer.
     Und ich weiß: all  das, was  jetzt, solange  wir im  Kriege sind,
versackt in uns wie ein Stein, wird nach  dem  Kriege wieder  aufwachen, und
dann beginnt erst die Auseinandersetzung auf Leben und Tod.
     Die   Tage,  die  Wochen,  die  Jahre  hier  vorn  werden  noch  einmal
zuruckkommen, und unsere toten Kameraden werden dann aufstehen und  mit  uns
marschieren, unsere Kupfe  werden klar sein, wir werden ein Ziel haben,  und
so  werden wir marschieren, unsere toten Kameraden neben uns, die Jahre  der
Front hinter uns: - gegen wen, gegen wen?
     Hier  in der Gegend war  vor  einiger Zeit  ein Fronttheater. Auf einer
Bretterwand  kleben  noch  bunte  Plakate  von  den  Vorstellungen her.  Mit
großen Augen stehen Kropp  und ich  davor. Wir kunnen nicht begreifen,
daß  es  so etwas  noch  gibt.  Da  ist ein  Mudchen in  einem  hellen
Sommerkleid abgebildet, mit einem roten Lackgurtel um die Huften. Sie stutzt
sich mit der einen Hand  auf ein Gelunder, mit der  anderen hult  sie  einen
Strohhut. Sie trugt  weiße Strumpfe und weiße  Schuhe, zierliche
Spangenschuhe  mit hohen  Absutzen. Hinter ihr  leuchtet die  blaue  See mit
einigen Wogenkummen, eine Bucht greift seitlich hell hinein. Es ist ein ganz
herrliches Mudchen, mit  einer schmalen Nase, mit  roten  Lippen und  langen
Beinen, unvorstellbar sauber und gepflegt, es badet gewiß  zweimal  am
Tage  und  hat nie Dreck unter den  Nugeln.  Huchstens  vielleicht  mal  ein
bißchen Sand vom Strand.
     Neben ihm  steht ein Mann in weißer Hose, mit  blauem Jackett und
Seglermutze, aber der interessiert uns viel weniger.
     Das Mudchen  auf der Bretterwand ist fur uns ein Wunder. Wir haben ganz
vergessen,  daß es  so  etwas gibt,  und  auch jetzt  noch trauen  wir
unseren  Augen kaum.  Seit Jahren  jedenfalls  haben  wir nichts  Derartiges
gesehen, nichts nur entfernt Derartiges an Heiterkeit,  Schunheit und Gluck.
Das ist der Frieden, so muß er sein, spuren wir erregt.
     "Sieh  dir nur  diese  leichten  Schuhe  an, darin  kunnte  sie  keinen
Kilometer  marschieren", sage ich und komme mir gleich albern vor,  denn  es
ist bludsinnig, bei einem solchen Bild an Marschieren zu denken.
     "Wie alt mag sie sein?" fragt Kropp.
     Ich schutze: "AUerhuchstens zweiundzwanzig, Albert."
     "Dann wure sie ja  ulter als wir. Sie ist nicht mehr als siebzehn, sage
ich dir!"
     Eine Gunsehaut uberluuft uns. "Albert, das wure was, meinst du nicht?"
     Er nickt. "Zu Hause habe ich auch eine weiße Hose."
     "Weiße Hose", sage ich, "aber so ein Mudchen -"
     Wir  sehen an uns herunter, gegenseitig. Da ist  nicht  viel zu finden,
eine  ausgeblichene,  geflickte,  schmutzige   Uniform  bei  jedem.  Es  ist
hoffnungslos, sich zu vergleichen.
     Zunuchst  einmal   kratzen  wir   deshalb  den  jungen  Mann  mit   der
weißen Hose von der  Bretterwand ab, vorsichtig, damit wir das Mudchen
nicht beschudigen. Dadurch ist schon etwas erreicht. Dann schlugt Kropp vor:
"Wir kunnten uns mal entlausen lassen."
     Ich bin nicht ganz einverstanden, denn die Sachen leiden darunter, aber
die Luuse hat man nach zwei Stunden wi