eder. Doch  nachdem  wir uns wieder in
das Bild  vertieft haben,  erklure  ich  mich bereit. Ich  gehe  sogar  noch
weiter. "Kunnten auch mal sehen, ob  wir  nicht  ein  reines  Hemd zu fassen
kriegen -"
     Albert  meint  aus  irgendeinem  Grunde:  "Fußlappen  wuren  noch
besser."
     "Vielleicht auch  Fußlappen.  Wir  wollen  mal ein  bißchen
spekulieren gehen."
     Doch da schlendern Leer und Tjaden heran; sie sehen das Plakat, und  im
Handumdrehen wird die Unterhaltung ziemlich schweinisch. Leer war in unserer
Klasse der erste, der ein Verhultnis hatte und davon aufregende Einzelheiten
erzuhlte. Er begeistert sich in seiner Weise an dem Bilde, und Tjaden stimmt
muchtig ein.
     Es ekelt uns nicht  gerade an. Wer nicht schweinigelt, ist kein Soldat;
nur liegt es  uns im  Moment nicht ganz, deshalb  schlagen wir uns seitwurts
und marschieren der  Entlausungsanstalt zu mit einem Gefuhl, als sei sie ein
feines Herrenmodengeschuft.
     Die Huuser, in denen wir Quartier haben, liegen nahe am Kanal. Jenseits
des Kanals sind Teiche, die von Pappelwuldern umstanden sind; - jenseits des
Kanals sind auch Frauen.
     Die Huuser auf unserer Seite sind geruumt worden. Auf der andern jedoch
sieht man ab und zu noch Bewohner.
     Abends schwimmen wir. Da kommen drei Frauen am Ufer  entlang. Sie gehen
langsam und sehen nicht weg, obschon wir keine Badehosen tragen.
     Leer  ruft  zu  ihnen  hinuber. Sie lachen und bleiben  stehen,  um uns
zuzuschauen.  Wir  werfen ihnen in gebrochenem Franzusisch Sutze zu, die uns
gerade  einfallen, alles durcheinander, eilig, damit sie nicht fortgehen. Es
sind nicht gerade feine Sachen, aber wo sollen  wir die auch  herhaben. Eine
Schmale,  Dunkle ist dabei. Man sieht ihre Zuhne schimmern, wenn sie  lacht.
Sie hat rasche  Bewegungen, der Rock  schlugt  locker um ihre Beine. Obschon
das  Wasser  kalt  ist,  sind  wir muchtig aufgeruumt und  bestrebt, sie  zu
interessieren, damit sie bleiben. Wir  versuchen  Witze,  und sie antworten,
ohne  daß  wir  sie  verstehen; wir  lachen  und  winken.  Tjaden  ist
vernunftiger. Er luuft ins Haus, holt ein Kommißbrot und hult es hoch.
     Das erzielt großen  Erfolg. Sie  nicken und winken, daß wir
hinuberkommen sollen.  Aber  das  durfen  wir  nicht. Es  ist verboten,  das
jenseitige Ufer  zu betreten. uberall  stehen Posten  an  den Brucken.  Ohne
Ausweis  ist nichts zu machen. Wir dolmetschen  deshalb, sie muchten  zu uns
kommen;  aber  sie  schutteln  die  Kupfe und  zeigen  auf die  Brucken. Man
lußt auch sie nicht durch.
     Sie  kehren  um, langsam  gehen sie den Kanal aufwurts,  immer  am Ufer
entlang.  Wir begleiten  sie schwimmend. Nach  einigen hundert Metern biegen
sie  ab  und  zeigen  auf  ein  Haus,  das  abseits  aus  Buumen und Gebusch
herauslugt. Leer fragt, ob sie dort wohnen.
     Sie lachen - ja, dort sei ihr Haus.
     Wir rufen ihnen zu, daß wir kommen  wollen,  wenn uns die  Posten
nicht sehen kunnen. Nachts. Diese Nacht.
     Sie heben die Hunde, legen sie flach  zusammen,  die  Gesichter darauf,
und  schließen die Augen. Sie  haben verstanden. Die  Schmale,  Dunkle
macht Tanzschritte. Eine Blonde zwitschert: "Brot - gut -"
     Wir bestutigen eifrig,  daß wir es  mitbringen werden.  Auch noch
andere schune Sachen, wir  rollen  die Augen  und zeigen sie mit den Hunden.
Leer  ersuuft fast,  als  er  "ein Stuck  Wurst"  klarmachen  will.  Wenn es
notwendig  wure, wurden wir ihnen ein  ganzes Proviantdepot versprechen. Sie
gehen  und wenden sich noch oft um.  Wir  klettern  an  das Ufer auf unserer
Seite  und achten  darauf, ob  sie auch in  das Haus gehen, denn es  kann ja
sein, daß sie schwindeln. Dann schwimmen wir zuruck.
     Ohne Ausweis  darf  niemand uber die Brucke, deshalb werden wir einfach
nachts  hinuberschwimmen.  Die  Erregung packt uns und  lußt uns nicht
los. Wir kunnen es nicht an  einem  Fleck aushalten  und  gehen zur Kantine.
Dort gibt es gerade Bier und eine Art Punsch.
     Wir trinken Punsch und  lugen  uns phantastische Erlebnisse vor.  Jeder
glaubt dem  andern gern und wartet ungeduldig, um noch dicker aufzutrumpfen.
Unsere Hunde sind unruhig, wir paffen ungezuhlte Zigaretten, bis Kropp sagt:
"Eigentlich kunnten wir ihnen auch ein paar Zigaretten mitbringen." Da legen
wir sie in unsere Mutzen und bewahren sie auf.
     Der Himmel wird  grun wie ein unreifer  Apfel. Wir sind zu viert,  aber
drei kunnen nur  mit; deshalb mussen  wir Tjaden loswerden und geben Rum und
Punsch  fur ihn  aus, bis er torkelt.  Als es dunkel wird,  gehen  wirunsern
Huusern zu.  Tjaden  in  der  Mitte. Wir gluhen  und sind  von Abenteuerlust
erfullt. Fur  mich  ist  die Schmale, Dunkle,  das  haben  wir verteilt  und
ausgemacht.
     Tjaden fullt  auf seinen Strohsack und  schnarcht. Einmal wacht  er auf
und grinst uns so listig an, daß wir schon erschrecken und glauben, er
habe gemogelt, und der ausgegebene Punsch sei umsonst gewesen. Dann fullt er
zuruck und schluft weiter.
     Jeder  von  uns  dreien  legt ein ganzes  Kommißbrot  bereit  und
wickelt es in Zeitungspapier. Die Zigaretten packen wir dazu, außerdem
noch drei gute Portionen Leberwurst, die wir  heute  abend empfangen  haben.
Das ist ein anstundiges Geschenk.
     Vorluufig stecken wir die Sachen in unsere Stiefel; denn Stiefel mussen
wir  mitnehmen,  damit  wir  druben auf dem andern  Ufer  nicht in Draht und
Scherben  treten.  Da wir  vorher schwimmen mussen, kunnen wir weiter  keine
Kleider brauchen. Es ist ja auch dunkel und nicht weit.
     Wir  brechen auf,  die Stiefel  in  den Hunden.  Rasch gleiten wir  ins
Wasser,  legen uns  auf den Rucken, schwimmen und halten die Stiefel mit dem
Inhalt uber unsere Kupfe.
     Am andern Ufer klettern wir vorsichtig hinauf, nehmen die Pakete heraus
und ziehen die Stiefel  an. Die Sachen klemmen wir unter die Arme. So setzen
wir uns, naß, nackt, nur  mit Stiefeln  bekleidet, in Trab. Wir finden
das Haus sofort. Es liegt dunkel in den Buschen. Leer fullt uber eine Wurzel
und schrammt sich die Ellbogen. "Macht nichts", sagt er fruhlich.
     Vor den Fenstern sind Luden. Wir umschleichen das  Haus und  versuchen,
durch die  Ritzen  zu  spuhen.  Dann  werden  wir  ungeduldig. Kropp  zugert
plutzlich. "Wenn nun ein Major drinnen bei ihnen ist?"
     "Dann   kneifen   wir   eben  aus",   grinst  Leer,  "er  kann   unsere
Regimentsnummer ja hier lesen", und klatscht sich auf den Hintern.
     Die Haustur ist offen. Unsere Stiefel machen ziemlichen  Lurm. Eine Tur
uffnet  sich, Licht fullt hindurch, eine Frau  stußt  erschreckt einen
Schrei  aus.  Wir machen  "Pst, pst  -  camerade  -  bon  ami  -" und  heben
beschwurend unsere Pakete hoch.
     Die  andern beiden  sind jetzt auch sichtbar, die Tur uffnet sich ganz,
und  das  Licht bestrahlt  uns. Wir werden  erkannt, und  alle  drei  lachen
unbundig uber  unsern Aufzug. Sie  biegen und  beugen sich im  Turrahmen, so
mussen sie lachen. Wie geschmeidig sie sich bewegen!
     "Un moment  -." Sie verschwinden und werfen  uns Zeugstucke zu, die wir
uns notdurftig umwickeln.  Dann durfen  wir  eintreten.  Eine  kleine  Lampe
brennt  im Zimmer, es  ist  warm und riecht  etwas  nach  Parfum. Wir packen
unsere  Pakete aus und  ubergeben sie  ihnen. Ihre Augen glunzen, man sieht,
daß sie Hunger haben.
     Dann werden wir alle etwas verlegen. Leer macht die Geburde des Essens.
Da  kommt wieder Leben hinein,  sie holen Teller und Messer und fallen  uber
die Sachen her. Bei jedem Scheibchen Leberwurst heben sie, ehe sie es essen,
das Stuck zuerst bewundernd in die Huhe, und wir sitzen stolz dabei.
     Sie ubersprudeln uns mit ihrer Sprache - wir verstehen nicht viel, aber
wir  huren, daß es freundliche Worte  sind. Vielleicht sehen  wir auch
sehr jung aus. Die Schmale, Dunkle, streicht mir uber das Haar und sagt, was
alle franzusischen Frauen immer sagen:  "La guerre - grand malheur - pauvres
garuons -"
     Ich halte  ihren Arm  fest und lege meinen Mund in ihre Handfluche. Die
Finger  umschließen mein Gesicht. Dicht uber mir sind ihre  erregenden
Augen, das  sanfte  Braun der Haut  und die roten  Lippen.  Der Mund spricht
Worte,  die ich nicht verstehe. Ich verstehe auch  die Augen nicht ganz, sie
sagen mehr, als wir erwarteten, da wir hierher kamen.
     Es sind Zimmer nebenan. Im Gehen sehe ich Leer,  er ist mit der Blonden
handfest und  laut. Er kennt das ja auch. Aber ich - ich bin verloren an ein
Fernes, Leises  und Ungestumes und vertraue  mich ihm an. Meine Wunsche sind
sonderbar gemischt aus Verlangen und Versinken. Mir wird schwindelig, es ist
nichts hier, woran man sich noch halten kunnte. Unsere Stiefel haben wir vor
der Tur gelassen, man hat uns Pantoffeln dafur gegeben, und  nun  ist nichts
mehr da, was mir  die Sicherheit und Frechheit des Soldaten zuruckruft: kein
Gewehr, kein Koppel, kein Waffenrock, keine Mutze. Ich lasse mich fallen ins
Ungewisse, mag geschehen, was will - denn ich habe etwas Angst, trotz allem.
     Die Schmale,  Dunkle  bewegt die  Brauen, wenn  sie nachdenkt; aber sie
sind  still, wenn sie  spricht. Manchmal  auch wird der Laut  nicht ganz zum
Wort  und erstickt oder  schwingt  halbfertig uber mich weg; ein Bogen, eine
Bahn, ein Komet. Was habe  ich davon gewußt - was weiß ich davon
? -  Die Worte dieser  fremden Sprache, von der ich kaum etwas begreife, sie
schlufern  mich  ein  zu einer  Stille,  in  der das Zimmer  braun und  halb
beglunzt verschwimmt und nur das Antlitz uber mir lebt und klar ist.
     Wie vielfultig ist ein Gesicht, wenn es fremd war noch vor einer Stunde
und  jetzt  geneigt ist  zu  einer Zurtlichkeit,  die  nicht aus  ihm kommt,
sondern aus der Nacht, der Welt und dem Blut, die in ihm  zusammenzustrahlen
scheinen.  Die  Dinge des  Raumes werden davon angeruhrt und verwandelt, sie
werden besonders, und  vor meiner  hellen Haut  habe ich beinahe  Ehrfurcht,
wenn  der   Schein   der  Lampe  daraufliegt  und   die  kuhle  braune  Hand
daruberstreicht.
     Wie anders ist dies alles als die Dinge in den Mannschaftsbordells,  zu
denen  wir  Erlaubnis haben  und wo  in langer Reihe  angestanden  wird. Ich
muchte nicht an sie denken; aber sie gehen mir unwillkurlich durch den Sinn,
und ich erschrecke, denn vielleicht kann man so etwas nie mehr loswerden.
     Dann aber fuhle ich die  Lippen  der Schmalen, Dunklen, und drunge mich
ihnen  entgegen,  ich  schließe  die  Augen  und  muchte  alles  damit
ausluschen,  Krieg  und  Grauen und Gemeinheit, um  jung  und  glucklich  zu
erwachen; ich denke an das Bild des Mudchens auf dem Plakat und glaube einen
Augenblick, daß mein Leben davon  abhungt, es zu gewinnen. - Und um so
tiefer presse ich mich in die Arme, die mich  umfassen, vielleicht geschieht
ein Wunder.
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     Irgendwie  finden wir uns alle nachher  wieder  zusammen. Leer ist sehr
forsch. Wir  verabschieden uns herzlich und schlupfen in unsere Stiefel. Die
Nachtluft kuhlt unsere heißen  Kurper. Groß ragen die Pappeln in
das Dunkel und  rauschen. Der Mond steht am Himmel und im Wasser des Kanals.
Wir laufen nicht, wir gehen nebeneinander mit langen Schritten.
     Leer sagt: "Das war ein Kommißbrot wert!"
     Ich  kann mich nicht entschließen zu sprechen, ich bin  gar nicht
einmal froh.
     Da huren wir Schritte und ducken uns hinter einen Busch.
     Die Schritte kommen nuher, dicht an uns vorbei. Wir sehen einen nackten
Soldaten,  in Stiefeln, genau  wie wir, er hat  ein Paket unter dem Arm  und
sprengt  im Galopp vorwurts. Es ist  Tjaden in großer Fahrt. Schon ist
er verschwunden.  Wir lachen.  Morgen wird er schimpfen. Unbemerkt  gelangen
wir zu unseren Strohsucken.
     Ich  werde  zur  Schreibstube  gerufen.  Der  Kompaniefuhrer  gibt  mir
Urlaubsschein  und  Fahrschein und wunscht mir gute  Reise.  Ich sehe  nach,
wieviel  Urlaub  ich  habe.  Siebzehn  Tage  -  vierzehn  sind  Urlaub, drei
Reisetage. Es ist zuwenig, und ich frage, ob ich nicht funf Reisetage  haben
kann. Bertinck  zeigt  auf  meinen Schein.  Da sehe ich erst,  daß ich
nicht sofort zur Front zuruckkomme. Ich habe mich  nach  Ablauf  des Urlaubs
noch zum Kursus im Heidelager zu melden.
     Die anderen  beneiden  mich.  Kat  gibt mir  gute Ratschluge,  wie  ich
versuchen soll, Druckpunkt zu nehmen. "Wenn  du gerissen bist, bleibst du da
hungen."
     Es wure  mir  eigentlich lieber gewesen,  wenn  ich erst in acht  Tagen
hutte fahren brauchen; denn so lange sind wir noch  hier, und hier ist es ja
gut. -
     Naturlich  muß ich in der Kantine einen ausgeben.  Wir  sind alle
ein bißchen angetrunken.  Ich  werde trubselig;  es sind sechs Wochen,
die ich fortbleiben werde, das  ist naturlich ein muchtiges  Gluck, aber wie
wird  es  sein,  wenn  ich  zuruckkomme?  Werde   ich  sie  hier  noch  alle
wiedertreffen? Haie und Kemmerich  sind  schon nicht mehr da -  wer wird der
nuchste sein ?
     Wir trinken, und ich sehe einen nach dem andern an. Albert  sitzt neben
mir und raucht, er ist  munter, wir sind immer zusammen gewesen; - gegenuber
hockt Kat mit den abfallenden Schultern,  dem breiten Daumen und der ruhigen
Stimme,  Muller mit den vorstehenden Zuhnen  und  dem  bellenden  Lachen;  -
Tjaden mit den Mauseaugen; - Leer, der sich einen Vollbart stehen lußt
und ausschaut wie vierzig.
     uber unsern Kupfen  schwebt dicker  Qualm. Was  wure  der  Soldat  ohne
Tabak! Die Kantine ist eine Zuflucht,  Bier ist mehr als ein Getrunk, es ist
ein Zeichen, daß man gefahrlos die Glieder dehnen und recken darf. Wir
tun es auch ordentlich, die Beine haben wir lang von uns gestreckt,  und wir
spucken gemutlich in die Gegend, daß es nur so eine Art hat. Wie einem
das alles vorkommt, wenn man morgen abreist!
     Nachts sind wir  noch  einmal  jenseits des  Kanals. Ich  habe  beinahe
Furcht,   der  Schmalen,  Dunklen  zu  sagen,  daß  ich  fortgehe  und
daß, wenn ich zuruckkehre,  wir sicher irgendwo weiter sind; daß
wir  uns also nicht wiedersehen werden.  Aber sie  nickt nur  und lußt
nicht allzuviel merken. Ich kann das  erst gar  nicht  recht verstehen, dann
aber begreife ich. Leer hat  schon  recht:  wure ich an die  Front gegangen,
dann hutte es wieder geheißen: "pauvre garc.on"; aber ein  Urlauber  -
davon  wollen sie nicht  viel wissen, das ist nicht  so interessant. Mag sie
zum Teufel  gehen mit  ihrem Gesumm und  Gerede. Man glaubt an  Wunder,  und
nachher sind es Kommißbrote.
     Am  nuchsten Morgen,  nachdem ich  entlaust  bin,  marschiere  ich  zur
Feldbahn.  Albert und  Kat  begleiten  mich.  Wir huren an  der Haltestelle,
daß  es  wohl  noch ein paar Stunden  dauern wird bis zur Abfahrt. Die
beiden mussen zum Dienst zuruck. Wir nehmen Abschied.
     "Mach's gut, Kat; mach's gut, Albert."
     Sie gehen  und  winken noch  ein paarmal. Ihre Gestalten werden Meiner.
Mir  ist jeder Schritt,  jede  Bewegung  an  ihnen vertraut,  ich  wurde sie
weithin schon daran erkennen. Dann sind sie verschwunden.
     Ich setze mich auf meinen Tornister und warte.
     Plutzlich bin ich von rasender Ungeduld erfullt, fortzukommen.
     Ich liege auf manchem Bahnhof;  ich stehe vor manchem Suppenkessel; ich
hocke  auf mancher Holzplanke; dann  aber wird  die Landschaft draußen
beklemmend, unheimlich und bekannt. An  den abendlichen Fenstern gleitet sie
voruber,  mit  Durfern, in denen Strohducher wie  Mutzen tief  uber gekalkte
Fachwerkhuuser gezogen sind, mit Kornfeldern, die wie Perlmutter im schrugen
Licht schimmern, mit Obstgurten und Scheunen und alten Linden.
     Die  Namen der  Stationen  werden  zu  Begriffen, bei  denen  mein Herz
zittert. Der Zug stampft und stampft, ich stehe am Fenster und halte mich an
den Rahmenhulzern fest. Diese Namen umgrenzen meine Jugend.
     Flache Wiesen, Felder, Hufe; ein  Gespann zieht einsam vor  dem  Himmel
uber den Weg, der parallel zum Horizont luuft. Eine Schranke, vor der Bauern
warten, Mudchen, die winken, Kinder,  die am Bahndamm spielen, Wege, die ins
Land fuhren, glatte Wege, ohne Artillerie.
     Es  ist Abend,  und  wenn  der  Zug  nicht  stampfte,  mußte  ich
schreien. Die Ebene entfaltet  sich groß, in schwachem Blau beginnt in
der  Ferne  die  Silhouette der  Bergrunder aufzusteigen.  Ich  erkenne  die
charakteristische Linie des  Dolbenberges, diesen  gezackten Kamm,  der  juh
abbricht, wo der Scheitel des Waldes aufhurt.  Dahinter  muß die Stadt
kommen.
     Aber nun fließt das goldrote Licht verschwimmend uber  die  Welt,
der Zug rattert  durch eine Kurve und noch eine -  und  unwirklich, verweht,
dunkel stehen die Pappeln darin, weit  weg, hintereinander  in langer Reihe,
gebildet aus Schatten, Licht und Sehnsucht.
     Das Feld dreht sich  mit ihnen langsam vorbei; der Zug  umgeht sie, die
Zwischenruume verringern  sich,  sie werden  ein Block, und einen Augenblick
sehe ich nur eine einzige; dann schieben  sich die anderen wieder hinter der
vordersten heraus, und sie sind noch lange allein am Himmel, bis sie von den
ersten Huusern verdeckt werden.
     Ein Bahnubergang. Ich stehe  am  Fenster, ich  kann mich nicht trennen.
Die andern bereiten ihre Sachen zum  Aussteigen vor. Ich  spreche  den Namen
der  Straße,  die wir uberqueren, vor mich hin,  Bremer Straße -
Bremer Straße -  Radfahrer, Wagen, Menschen sind da unten; es ist eine
graue Straße  und  eine graue Unterfuhrung; -  sie ergreift mich,  als
wure sie meine Mutter.
     Dann  hult  der  Zug, und  der  Bahnhof  ist  da  mit  Lurm,  Rufen und
Schildern. Ich  packe meinen  Tornister  auf und mache die  Haken  fest, ich
nehme mein Gewehr in die Hand und stolpere die Tritte hinunter.
     Auf dem Perron sehe ich mich um; ich kenne niemand von den  Leuten, die
da hasten. Eine Rote-Kreuz-Schwester  bietet mir  etwas zu  trinken  an. Ich
wende mich  ab,  sie luchelt  mich zu albern an, so  durchdrungen von  ihrer
Wichtigkeit: Seht nur,  ich  gebe einem Soldaten  Kaffee. - Sie sagt  zu mir
"Kamerad", das  hat mir gerade gefehlt. Draußen  vor dem Bahnhof  aber
rauscht  der Fluß neben der Straße, er zischt weiß aus den
Schleusen der Muhlenbrucke hervor. Der viereckige alte Wartturm steht daran,
und vor ihm die große bunte Linde, und dahinter der Abend.
     Hier haben  wir gesessen, oft  - wie lange ist das  her  -;  uber diese
Brucke sind wir gegangen und haben den kuhlen, fauligen Geruch des gestauten
Wassers  eingeatmet; wir haben  uns  uber  die  ruhige  Flut  diesseits  der
Schleuse  gebeugt,   in  der  grune  Schlinggewuchse  und   Algen   an   den
Bruckenpfeilern  hingen; - und  wir  haben  uns  jenseits  der  Schleuse  an
heißen  Tagen  uber  den spritzenden Schaum  gefreut  und  von unseren
Lehrern geschwutzt.
     Ich gehe uber die Brucke, ich schaue  rechts  und links; das Wasser ist
immer  noch voll  Algen,  und es schießt  immer noch in  hellem  Bogen
herab; - im Turmgebuude stehen die Plutterinnen wie damals  mit bloßen
Armen  vor der weißen Wusche, und die Hitze der Bugeleisen  strumt aus
den offenen Fenstern. Hunde trotten durch die schmale Straße, vor  den
Hausturen stehen Menschen und  sehen mir nach, wie ich schmutzig und bepackt
vorubergehe.
     In  dieser   Konditorei   haben   wir   Eis   gegessen   und   uns   im
Zigarettenrauchen geubt.  In dieser Straße, die an mir vorubergleitet,
kenne ich jedes Haus, das Kolonialwarengeschuft, die Drogerie, die Buckerei.
Und dann stehe ich vor der braunen Tur mit der abgegriffenen Klinke, und die
Hand wird mir schwer.
     Ich uffne sie; die Kuhle kommt mir wunderlich entgegen, sie macht meine
Augen unsicher.
     Unter meinen Stiefeln knarrt die Treppe.  Oben klappt eine  Tur, jemand
blickt uber  das Gelunder. Es  ist  die Kuchentur,  die  geuffnet wurde, sie
backen dort  gerade Kartoffelpuffer, das Haus  riecht danach,  heute  ist ja
auch  Sonnabend,  und es wird meine Schwester  sein, die sich herunterbeugt.
Ich schume mich einen Augenblick und senke den Kopf, dann nehme ich den Helm
ab und sehe hinauf. Ja, es ist meine ulteste Schwester.
     in
     "Paul!" ruft sie. "Paul -!"
     Ich nicke, mein Tornister  stußt gegen das  Gelunder, mein Gewehr
ist so schwer.
     Sie reißt eine Tur auf und ruft: "Mutter, Mutter, Paul ist da."
     Ich kann nicht mehr weitergehen. Mutter, Mutter, Paul ist da.
     Ich lehne mich an die Wand und umklammere meinen Helm und mein  Gewehr.
Ich umklammere  sie, so  fest es  geht,  aber  ich  kann keinen Schritt mehr
machen, die Treppe  verschwimmt  vor meinen Augen, ich stoße  mir  den
Kolben  auf  die Fuße und  presse zornig  die Zuhne zusammen, aber ich
kann  nicht  gegen dieses  eine Wort an,  das  meine Schwester gerufen  hat,
nichts kann dagegen an, ich quule mich gewaltsam, zu lachen und zu sprechen,
aber  ich  bringe  kein  Wort hervor,  und  so stehe  ich  auf  der  Treppe,
unglucklich, hilflos,  in einem furchtbaren Krampf,  und will nicht, und die
Trunen laufen mir immer nur so uber das Gesicht.
     Meine Schwester kommt zuruck und fragt: "Was hast du denn?"
     Da raffe  ich  mich zusammen und  stolpere  zum  Vorplatz  hinauf. Mein
Gewehr lehne ich in eine Ecke, den Tornister stelle  ich gegen die Wand, und
den Helm packe  ich darauf.  Auch das Koppel mit den Sachen daran  muß
fort. Dann sage ich wutend: "So gib doch endlich ein Taschentuch her!"
     Sie gibt mir  eins aus dem Schrank, und ich wische mir das Gesicht  ab.
uber mir  an der Wand hungt der Glaskasten mit  bunten  Schmetterlingen, die
ich fruher gesammelt habe.
     Nun hure ich die Stimme meiner Mutter. Sie kommt aus dem Schlafzimmer.
     "Ist sie nicht auf?" frage ich meine Schwester.
     "Sie ist krank -", antwortet sie.
     Ich gehe hinein zu ihr, gebe ihr die Hand  und sage, so ruhig ich kann:
"Da bin ich, Mutter."
     Sie  liegt im Halbdunkel. Dann fragt sie angstvoll, und  ich fuhle, wie
ihr Blick mich abtastet: "Bist du verwundet?"
     "Nein, ich habe Urlaub."
     Meine Mutter ist sehr blaß. Ich scheue mich, Licht zu machen. "Da
liege ich nun und weine", sagt sie, "anstatt mich zu freuen."
     "Bist du krank, Mutter?" frage ich.
     "Ich werde  heute etwas aufstehen", sagt sie und wendet sich  zu meiner
Schwester, die immer auf einen Sprung in die  Kuche muß, damit ihr das
Essen nicht anbrennt: "Mach auch das Glas mit den eingemachten Preiselbeeren
auf, - das ißt du doch gern?" fragt sie mich.
     "Ja, Mutter, das habe ich lange nicht gehabt."
     "Als  ob  wir  es geahnt hutten,  daß  du  kommst",  lacht  mtine
Schwester, "gerade dein Lieblingsessen, Kartoffelpuffer, und jetzt sogar mit
Preiselbeeren."
     "Es ist ja auch Sonnabend", antworte ich.
     "Setz dich zu mir", sagt meine Mutter.
     Sie sieht mich an. Ihre Hunde  sind weiß und krunklich und schmal
gegen meine. Wir sprechen  nur einige  Worte, und ich bin ihr dankbar dafur,
daß sie nichts fragt. Was soll ich auch sagen: Alles, was muglich war,
ist ja geschehen. Ich bin heil herausgelangt und sitze neben ihr. Und in der
Kuche steht meine Schwester und macht das Abendbrot und singt dazu.
     "Mein lieber Junge", sagt meine Mutter leise.
     Wir sind nie sehr zurtlich in der Familie gewesen, das ist nicht ublich
bei armen Leuten, die viel arbeiten  mussen und Sorgen haben. Sie kunnen das
auch  nicht  so  verstehen,  sie beteuern  nicht  gern etwas ufter,  was sie
ohnehin wissen. Wenn meine Mutter zu mir "lieber Junge" sagt, so ist  das so
viel,  als  wenn eine  andere wer  weiß  was  anstellt. Ich weiß
bestimmt, daß das Glas mit Preiselbeeren das einzige  ist seit Monaten
und daß sie es  aufbewahrt hat  fur  mich, ebenso  wie  die schon  alt
schmeckenden  Kekse,  die  sie  mir jetzt  gibt. Sie hat  sicher  bei  einer
gunstigen Gelegenheit einige erhalten und sie gleich zuruckgelegt fur mich.
     Ich sitze  an ihrem Bett,  und durch das Fenster  funkeln in  Braun und
Gold die Kastanien des gegenuberliegenden Wirtsgartens. Ich atme langsam ein
und aus  und sage  mir:  "Du bist  zu Hause, du bist  zu  Hause." Aber  eine
Befangenheit will nicht von mir weichen, ich kann  mich noch nicht in  alles
hineinfinden.  Da  ist  meine  Mutter,  da  ist  meine  Schwester,  da  mein
Schmetterlingskasten und da das
     Mahagoniklavier - aber ich bin noch nicht ganz da. Es sind ein Schleier
und ein Schritt dazwischen.
     Deshalb gehe ich jetzt,  hole  meinen Tornister ans Bett und packe aus,
was ich mitgebracht habe: einen ganzen Edamer Kuse, den Kat mir besorgt hat,
zwei  Kommißbrote, dreiviertel Pfund Butter,  zwei Buchsen Leberwurst,
ein Pfund Schmalz und ein Suckchen Reis.
     "Das kunnt ihr sicher gebrauchen -"
     Sie nicken. "Hierist es wohl schlecht damit?" erkundige ich mich.
     "Ja, es gibt nicht viel. Habt ihr denn draußen genug?"
     Ich luchele  und zeige auf  die mitgebrachten Sachen. "So  viel ja  nun
nicht immer, aber es geht doch einigermaßen."
     Erna bringt die Lebensmittel fort. Meine Mutter nimmt  plutzlich heftig
meine Hand und fragt stockend: "War es sehr schlimm draußen, Paul?"
     Mutter, was soll ich  dir darauf antworten! Du wirst es nicht verstehen
und nie begreifen. Du sollst es auch nie  begreifen. War es  schlimm, fragst
du. - Du, Mutter. - Ich schuttele den Kopf und sage: "Nein, Mutter, nicht so
sehr. Wir sind ja mit vielen zusammen, da ist es nicht so schlimm."
     "Ja, aber kurzlich war  Heinrich Bredemeyer hier, der erzuhlte, es wure
jetzt furchtbar draußen, mit dem Gas und all dem andern."
     Es ist meine Mutter, die das  sagt. Sie sagt: mit  dem  Gas und all dem
andern. Sie  weiß nicht, was sie spricht, sie hat  nur Angst um  mich.
Soll  ich ihr erzuhlen, daß wir einmal drei gegnerische Gruben fanden,
die  erstarrt  waren in  ihrer Haltung,  wie  vom Schlag getroffen?  Auf den
Brustwehren, in den Unterstunden, wo sie gerade waren, standen und lagen die
Leute mit blauen Gesichtern, tot.
     "Ach,  Mutter,  was  so geredet wird",  antworte ich,  "der  Bredemeyer
erzuhlt nur so etwas dahin. Du siehst ja, ich bin heil und dick -"
     An  der zitternden Sorge  meiner  Mutter finde  ich meine  Ruhe wieder.
Jetzt kann ich schon umhergehen und  sprechen und Rede  stehen, ohne Furcht,
mich plutzlich an die  Wand lehnen zu  mussen, weil die  Welt weich wird wie
Gummi und die Adern murbe wie Zunder.
     Meine Mutter  will aufstehen, ich gehe solange  in  die Kuche zu meiner
Schwester.  "Was  hat sie?"  frage ich. Sie zuckt die Achseln:  "  Sie liegt
schon  ein  paar Monate, wir sollten  es dir  aber nicht schreiben.  Es sind
mehrere urzte bei ihr gewesen. Einer sagte, es wure wohl wieder Krebs."
     Ich gehe zum Bezirkskommando, um mich anzumelden.  Langsam  wandere ich
durch die Straßen. Hier und da spricht mich jemand an.  Ich halte mich
nicht lange auf, denn ich will nicht so viel reden.
     Als ich aus der Kaserne  zuruckkomme, ruft mich eine  laute  Stimme an.
Ich  drehe mich um, ganz  in Gedanken, und  stehe einem Major  gegenuber. Er
fuhrt mich an: "Kunnen Sie nicht grußen?"
     "Entschuldigen  Herr  Major",  sage  ich verwirrt, "ich  habe Sie nicht
gesehen."
     Er  wird  noch   lauter:   "Kunnen  Sie   sich  auch  nicht  vernunftig
ausdrucken?"
     Ich muchte ihm ins Gesicht  schlagen, beherrsche  mich aber, denn sonst
ist mein  Urlaub  hin, nehme die Knochen zusammen und sage: "Ich  habe Herrn
Major nicht gesehen."
     "Dann passen Sie gefulligst auf!" schnauzt er. "Wie heißen Sie?"
     Ich rapportiere.
     Sein rotes, dickes Gesicht ist immernoch empurt. "Truppenteil?"
     Ich  melde vorschriftsmußig.  Er  hat immer noch nicht genug. "Wo
liegen Sie?"
     Aber   ich  habe  jetzt  genug   und  sage:  "Zwischen  Langemark   und
Bixschoote."
     "Wieso?" fragt er etwas verblufft.
     Ich erklure  ihm, daß ich  vor einer  Stunde auf  Urlaub gekommen
sei, und  denke, daß  er jetzt abtrudeln wird.  Aber ich irre mich. Er
wird sogar noch  wilder: "Das kunnte Ihnen wohl so  passen, hier Frontsitten
einzufuhren, was? Das gibt's nicht! Hier herrscht Gott sei Dank Ordnung!" Er
kommandiert: "Zwanzig Schritt zuruck, marsch, marsch!"
     In  mir sitzt die dumpfe Wut. Aber ich kann nichts gegen ihn machen, er
lußt mich sofort festnehmen, wenn er will. So spritze ich
     zuruck,  gehe  vor und zucke sechs  Meter vor  ihm  zu  einem  zackigen
Gruß zusammen, den ich  erst  wegnehme, als ich sechs Meter hinter ihm
bin.
     Er  ruft  mich wieder  heran  und gibt  mir  jetzt  leutselig  bekannt,
daß er noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen will. Ich zeige mich
stramm dankbar. "Wegtreten!"  kommandiert er.  Ich knalle  die  Wendung  und
ziehe ab.
     Der Abend  ist  mir dadurch  verleidet. Ich  mache,  daß ich nach
Hause komme,  und  werfe die Uniform in die Ecke, das hatte ich sowieso vor.
Dann hole ich meinen Zivilanzug aus dem Schrank und ziehe ihn an.
     Das  ist  mir ganz ungewohnt.  Der Anzug sitzt ziemlich kurz und knapp,
ich  bin  beim  Kommiß  gewachsen.  Kragen  und  Krawatte  machen  mir
Schwierigkeiten.  Schließlich  bindet mir  meine Schwester den Knoten.
Wie  leicht  so ein  Anzug ist,  man hat  das Gefuhl, als  wure  man  nur in
Unterhosen und Hemd.
     Ich betrachte mich im Spiegel.  Das  ist  ein sonderbarer Anblick.  Ein
sonnenverbrannter,  etwas ausgewachsener Konfirmand sieht mich da verwundert
an.
     Meine  Mutter  ist  froh,  daß ich Zivilzeug  trage;  ich bin ihr
dadurch vertrauter.  Doch  mein Vater  hutte lieber,  daß  ich Uniform
anzuge, er muchte so mit mir zu seinen Bekannten gehen.
     Aber ich weigere mich.
     Es ist schun, still irgendwo zu sitzen, zum Beispiel in dem Wirtsgarten
gegenuber den  Kastanien, nahe  der Kegelbahn.  Die  Blutter fallen  auf den
Tisch und auf die Erde, wenige nur,  die ersten. Ich habe ein  Glas Bier vor
mir  stehen, das  Trinken  hat man  beim  Militur gelernt. Das Glas ist halb
geleert,  ich  habe  also  noch einige  gute, kuhle  Schlucke  vor  mir, und
außerdem  kann  ich ein  zweites und ein drittes  bestellen,  wenn ich
will.  Es  gibt  keinen  Appell und kein Trommelfeuer, die Kinder  des Wirts
spielen auf der Kegelbahn, und der  Hund  legt mir seinen Kopf auf die Knie.
Der Himmel ist blau, zwischen dem Laub der Kastanien ragt der grune Turm der
Margaretenkirche auf.
     Das  ist gut, und ich  liebe es. Aber  mit den Leuten  kann  ich  nicht
fertig werden. Die  einzige, die nicht  fragt, ist  meine Mutter. Doch schon
mit  meinem Vater  ist es anders. Er muchte, daß ich etwas erzuhle von
draußen, er hat Wunsche, die ich ruhrend und dumm  finde, zu ihm schon
habe ich kein rechtes Verhultnis mehr. Am liebsten muchte er immerfort etwas
huren. Ich begreife, daß er nicht weiß, daß so etwas nicht
erzuhlt werden kann, und ich  muchte ihm auch gern den Gefallen tun; aber es
ist eine Gefahr fur mich,  wenn ich  diese Dinge  in Worte  bringe, ich habe
Scheu, daß sie dann riesenhaft werden und sich nicht  mehr  bewultigen
lassen. Wo blieben wir, wenn uns alles ganz klar wurde, was da draußen
vorgeht.
     So beschrunke ich mich  darauf,  ihm einige lustige Sachen zu erzuhlen.
Er  aber fragt mich,  ob ich auch einen Nahkampf mitgemacht  hutte. Ich sage
nein und stehe auf, um auszugehen.
     Doch das bessert  nichts.  Nachdem ich  mich auf der  Straße  ein
paarmal erschreckt  habe, weil  das Quietschen der  Straßenbahnen sich
wie heranheulende Granaten  anhurt, klopft  mir jemand auf die  Schulter. Es
ist mein Deutschlehrer, der mich mit den ublichen Fragen uberfullt. "Na, wie
steht  es  draußen.  Furchtbar,  furchtbar,  nicht  wahr?  Ja, es  ist
schrecklich,  aber  wir  mussen  eben  durchhalten.  Und  schließlich,
draußen habt  ihr  doch wenigstens gute  Verpflegung,  wie ich  gehurt
habe, Sie sehen gut aus, Paul,  kruftig. Hier ist das  naturlich schlechter,
ganz naturlich,  ist ja  auch selbstverstundlich, das Beste immer fur unsere
Soldaten!"
     Er  schleppt mich  zu einem Stammtisch  mit. Ich  werde großartig
empfangen, ein Direktor gibt mir die Hand und sagt: " So, Sie kommen von der
Front? Wie ist denn der Geist dort? Vorzuglich, vorzuglich, was?"
     Ich erklure, daß jeder gern nach Hause muchte.
     Er  lacht  druhnend:  "Das glaube  ich! Aber erst  mußt  ihr  den
Franzmann verkloppen! Rauchen Sie? Hier, stecken Sie sich mal eine an. Ober,
bringen Sie unserm jungen Krieger auch ein Bier."
     Leider habe  ich die  Zigarre genommen, deshalb muß ich  bleiben.
Alle triefen nur so von Wohlwollen, dagegen ist nichts einzuwenden. Trotzdem
bin ich urgerlich und qualme, so schnell ich kann.
     Um  wenigstens etwas zu tun,  sturze  ich das  Glas  Bier in einem  Zug
hinunter. Sofort wird mir ein zweites bestellt; die  Leute wissen,  was  sie
einem Soldaten schuldig sind.  Sie disputieren daruber, was  wir annektieren
sollen. Der  Direktor mit der  eisernen Uhrkette will am meisten haben: ganz
Belgien,  die   Kohlengebiete   Frankreichs  und   große  Stucke   von
Rußland.  Er gibt genaue Grunde an, weshalb wir das  haben mussen, und
ist unbeugsam, bis  die andern schließlich nachgeben. Dann beginnt  er
zu erluutern,  wo  in Frankreich  der Durchbruch einsetzen musse, und wendet
sich  zwischendurch zu  mir:  "Nun  macht mal ein bißchen vorwurts  da
draußen  mit eurem  ewigen  Stellungskrieg.  Schmeißt  die Kerle
'raus, dann gibt es auch Frieden." -
     Ich antworte, daß nach  unserer  Meinung ein Durchbruch unmuglich
sei. Die druben hutten zuviel Reserven. Außerdem wure  der  Krieg doch
anders, als man sich das so denke.
     Er  wehrt  uberlegen  ab  und  beweist  mir, daß ich davon nichts
verstehe. " Gewiß, der einzelne", sagt er, "aber es kommt doch auf das
Gesamte  an.  Und  das kunnen Sie nicht  so beurteilen.  Sie sehen nur Ihren
kleinen  Abschnitt und haben deshalb keine ubersicht.  Sie tun Ihre Pflicht,
Sie setzen Ihr Leben  ein,  das  ist huchster  Ehren  wert  - jeder von euch
mußte  das  Eiserne  Kreuz  haben  -,  aber  vor allem  muß  die
gegnerische  Front  in  Flandern  durchbrochen und dann  von oben aufgerollt
werden."
     Er  schnauft und wischt sich den Bart. "Vullig aufgerollt muß sie
werden, von oben herunter. Und dann auf Paris."
     Ich  muchte wissen,  wie  er sich  das vorstellt,  und gieße  das
dritte Bier in mich hinein. Sofort lußt er ein neues bringen.
     Aber ich breche auf. Er schiebt mir noch einige Zigarren in  die Tasche
und  entlußt  mich  mit  einem  freundschaftlichen Klaps. "Alles Gute!
Hoffentlich huren wir nun bald etwas Ordentliches von euch."
     Ich  habe mir den Urlaub anders vorgestellt. Vor einem Jahr war er auch
anders. Ich  bin es wohl,  der sich inzwischen geundert hat. Zwischen  heute
und  damals liegt  eine  Kluft. Damals kannte ich den Krieg noch nicht,  wir
hatten in ruhigeren  Abschnitten gelegen. Heute  merke ich,  daß  ich,
ohne es zu  wissen, zermurbter geworden bin. Ich  finde mich hier nicht mehr
zurecht, es ist eine fremde Welt. Die einen fragen, die andern fragen nicht,
und man sieht ihnen an, daß  sie  stolz  darauf sind; oft sagen sie es
sogar  noch mit dieser  Miene  des  Verstehens, daß  man daruber nicht
reden kunne. Sie bilden sich etwas darauf ein.
     Am liebsten bin ich  allein,  da  sturt  mich keiner.  Denn alle kommen
stets auf dasselbe  zuruck,  wie schlecht es geht  und wie gut  es geht, der
eine findet es so,  der  andere so,  - immer  sind  sie  auch  rasch bei den
Dingen,  die ihr Dasein darstellen.  Ich habe  fruher sicher genauso gelebt,
aber ich finde jetzt keinen Anschluß mehr daran.
     Sie reden  mir zuviel. Sie haben Sorgen, Ziele, Wunsche, die ich  nicht
so  auffassen kann wie  sie. Manchmal sitze  ich  mit einem von ihnen in dem
kleinen   Wirtsgarten  und  versuche,   ihm   klarzumachen,  daß  dies
eigentlich schon alles ist: so still zu sitzen. Sie verstehen das naturlich,
geben es zu, finden es auch, aber nur mit Worten, nur mit Worten, das ist es
ja  - sie  empfinden  es,  aber  stets nur  halb, ihr anderes Wesen ist  bei
anderen Dingen, sie  sind so verteilt, keiner empfindet es mit seinem ganzen
Leben; ich kann ja selbst auch nicht recht sagen, was ich meine.
     Wenn  ich sie  so  sehe,  in  ihren Zimmern,  in ihren  Buros, in ihren
Berufen, dann zieht das mich unwiderstehlich  an, ich muchte auch darin sein
und den Krieg vergessen; aber es stußt mich auch gleich wieder  ab, es
ist so eng, wie kann das ein Leben ausfullen, man sollte es zerschlagen, wie
kann  das alles  so sein,  wuhrend draußen jetzt die Splitter uber die
Trichter  sausen  und  die  Leuchtkugeln   hochgehen,  die  Verwundeten  auf
Zeltbahnen zuruckgeschleift  werden  und die Kameraden  sich  in  die Gruben
drucken! -Es  sind  andere Menschen hier,  Menschen, die ich  nicht  richtig
begreife,  die ich beneide und verachte. Ich muß an Kat und Albert und
Muller und Tjaden denken, was  mugen sie  tun? Sie sitzen vielleicht in  der
Kantine oder sie schwimmen - bald mussen sie wieder nach vorn.
     In meinem  Zimmer  steht hinter dem Tisch  ein  braunes Ledersofa.  Ich
setze mich hinein.
     An den  Wunden sind viele Bilder mit Reißzwecken festgemacht, die
ich fruher aus Zeitschriften  geschnitten  habe.  Postkarten und Zeichnungen
dazwischen, die mir gefallen  haben. In der Ecke steht  ein kleiner eiserner
Ofen. An der Wand gegenuber das Regal mit meinen Buchern.
     In diesem Zimmer habe ich gelebt, bevor  ich  Soldat wurde. Die  Bucher
habe ich  nach  und nach  gekauft  von  dem Geld, das  ich  mit Stundengeben
verdiente. Viele dav