gute Sachen.
Ich erwische dabei  einen tadellosen neuen Rock, Kat  naturlich  sogar  eine
volle Montur.  Das  Gerucht  taucht auf, es  gube  Frieden, doch die  andere
Ansicht  ist wahrscheinlicher:  daß  wir  nach Rußland  verladen
werden. Aber  wozu brauchen  wir in  Rußland  bessere  Sachen? Endlich
sickert  es  durch: der Kaiser kommt  zur  Besichtigung.  Deshalb die vielen
Musterungen.
     Acht Tage lang kunnte man glauben, in  einer Rekrutenkaserne zu sitzen,
so  wird  gearbeitet  und  exerziert. Alles ist verdrossen und nervus,  denn
ubermußiges Putzen ist nichts  fur uns und  Parademarsch noch weniger.
Gerade  solche  Sachen  verurgern den Soldaten mehr als  der Schutzengraben.
Endlich  ist der Augenblick da. Wir stehen stramm, und der Kaiser erscheint.
Wir sind neugierig, wie er aussehen mag. Er schreitet die Front entlang, und
ich  bin eigentlich  etwas enttuuscht: nach  den Bildern hatte ich  ihn  mir
grußer  und  muchtiger  vorgestellt,  vor   allen   Dingen  mit  einer
donnernderen Stimme.
     Er verteilt Eiserne Kreuze und spricht diesen und jenen an. Dann ziehen
wir ab.
     Nachher unterhalten  wir uns.  Tjaden sagt  staunend:  "Das ist nun der
Alleroberste,  den es gibt.  Davor  muß darin doch jeder strammstehen,
jeder  uberhaupt!"  Er  uberlegt:  "Davor  muß  doch  auch  Hindenburg
strammstehen, was?"
     "Jawoll", bestutigt Kat.
     Tjaden  ist  noch nicht fertig. Er denkt eine Zeitlang nach  und fragt:
"Muß ein Kunig vor einem Kaiser auch strammstehen?"
     Keiner weiß das genau, aber wir glauben es  nicht. Die sind beide
schon so hoch, daß es da sicher kein richtiges Strammstehen mehr gibt.
     "Was  du  dir fur einen Quatsch ausbrutest",  sagt Kat. "Die Hauptsache
ist, daß du selber strammstehst."
     Aber Tjaden ist  vullig fasziniert. Seine sonst sehr trockene Phantasie
arbeitet sich Blasen.
     "Sieh mal", verkundet  er, "ich kann einfach nicht begreifen, daß
ein Kaiser auch genauso zur Latrine muß wie ich."
     "Darauf kannst du Gift nehmen", lacht Kropp.
     "Verruckt und  drei  sind sieben",  ergunzt  Kat,  "du  hast  Luuse  im
Schudel,  Tjaden, geh du nur  selbst rasch los  zur  Latrine, damit du einen
klaren Kopp kriegst und nicht wie ein Wickelkind redest."
     Tjaden verschwindet.
     "Eins muchte ich  aber  doch  noch wissen", sagt Albert, "ob  es  Krieg
gegeben hutte, wenn der Kaiser nein gesagt hutte."
     "Das glaube ich sicher", werfe ich ein, - "er soll ja sowieso erst  gar
nicht gewollt haben."
     "Na,  wenn er  allein  nicht, dann vielleicht  doch,  wenn so  zwanzig,
dreißig Leute in der Welt nein gesagt hutten."
     "Das wohl", gebe ich zu, "aber die haben ja gerade gewollt."
     "Es ist komisch, wenn  man  sich das uberlegt", fuhrt Kropp fort,  "wir
sind doch hier, um unser Vaterland zu  verteidigen. Aber die Franzosen  sind
doch auch da, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wer hat nun recht?"
     "Vielleicht beide", sage ich, ohne es zu glauben.
     "Ja, nun", meint Albert, und ich sehe ihm  an, daß er mich in die
Enge treiben will, "aber unsere Professoren und Pasture und Zeitungen sagen,
nur wir hutten  recht, und das wird ja hoffentlich  auch so sein; - aber die
franzusischen  Professoren  und  Pasture  und Zeitungen  behaupten, nur  sie
hutten recht, wie steht es denn damit?"
     "Das weiß ich nicht",  sage  ich,  "auf jeden Fall ist Krieg, und
jeden Monat kommen mehr Lunder dazu."
     Tjaden erscheint wieder. Er  ist noch immer angeregt und greift  sofort
wieder in das  Gespruch  ein, indem  er sich  erkundigt, wie eigentlich  ein
Krieg entstehe.
     "Meistens so, daß ein Land  ein anderes schwer  beleidigt",  gibt
Albert mit einer gewissen uberlegenheit zur Antwort.
     Doch Tjaden stellt sich dickfellig. "Ein Land?  Das verstehe ich nicht.
Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen.
Oder ein Fluß oder ein Wald oder ein Weizenfeld."
     "Bist du so dumlich oder tust du nur  so?" knurrt Kropp. "So  meine ich
das doch nicht. Ein Volk beleidigt das andere -"
     "Dann habe ich hier nichts zu suchen", erwidert Tjaden, "ich fuhle mich
nicht beleidigt."
     "Dir  soll man nun was  erkluren", sagt  Albert  urgerlich,  "auf  dich
Dorfdeubel kommt es doch dabei nicht an."
     "Dann  kann ich ja erst  recht nach Hause gehen",  beharrt  Tjaden, und
alles lacht.
     "Ach, Mensch, es ist doch  das Volk als Gesamtheit, also  der Staat -",
ruft Muller.
     "Staat, Staat" - Tjaden schnippt schlau mit den Fingern -,
     "Feldgendarmen,  Polizei, Steuer, das ist euer Staat. Wenn du damit  zu
tun hast, danke schun."
     "Das stimmt", sagt Kat, "da  hast du  zum  ersten  Male etwas Richtiges
gesagt, Tjaden, Staat und Heimat, da ist wahrhaftig ein Unterschied."
     "Aber  sie gehuren doch zusammen", uberlegt  Kropp, "eine  Heimat  ohne
Staat gibt es nicht."
     "Richtig, aber bedenk doch mal, daß wir fast alle  einfache Leute
sind.  Und  in  Frankreich sind die  meisten  Menschen  doch auch  Arbeiter,
Handwerker  oder kleine  Beamte.  Weshalb  soll nun  wohl ein  franzusischer
Schlosser oder  Schuhmacher uns  angreifen  wollen?  Nein, das sind  nur die
Regierungen. Ich habe nie einen Franzosen gesehen, bevor ich hierherkam, und
den meisten  Franzosen wird es uhnlich mit uns gehen.  Die  sind ebensowenig
gefragt wie
     wir."
     "Weshalb ist dann uberhaupt Krieg?" fragt Tjaden.
     Kat zuckt die  Achseln. "Es  muß Leute  geben,  denen  der  Krieg
nutzt."
     "Na, ich gehure nicht dazu", grinst Tjaden.
     "Du nicht, und keiner hier."
     "Wer  denn nur?" beharrte Tjaden. "Dem Kaiser nutzt er doch auch nicht.
Der hat doch alles, was er braucht."
     "Das  sag nicht", entgegnet  Kat,  "einen Krieg hat  er bis  jetzt noch
nicht gehabt. Und jeder grußere Kaiser braucht mindestens einen Krieg,
sonst wird er nicht beruhmt. Sieh mal in deinen Schulbuchern nach."
     "Generule werden auch beruhmt durch den Krieg", sagt Detering.
     "Noch beruhmter als Kaiser", bestutigt Kat.
     "Sicher stecken andere Leute, die am Krieg verdienen wollen, dahinter",
brummt Detering.
     "Ich glaube, es ist mehr eine Art Fieber", sagt Albert. "Keiner will es
eigentlich, und mit einem Male ist es da. Wir haben den Krieg nicht gewollt,
die andern  behaupten  dasselbe  -  und trotzdem  ist  die  halbe Welt feste
dabei."
     "Druben wird aber  mehr  gelogen als bei uns", erwidere ich, "denkt mal
an die  Flugblutter der Gefangenen, in denen  stand, daß wir belgische
Kinder frußen. Die Kerle, die so was schreiben, sollten sie aufhungen.
Das sind die wahren Schuldigen."
     Muller steht  auf.  "Besser auf jeden  Fall,  der Krieg ist hier als in
Deutschland. Seht euch mal die Trichterfelder an!"
     "Das stimmt", pflichtet selbst  Tjaden bei,  "abernoch  besser  ist gar
kein Krieg."
     Er geht stolz davon,  denn er  hat es uns  Einjuhrigen nun mal gegeben.
Und seine  Meinung  ist tatsuchlich typisch  hier,  man  begegnet  ihr immer
wieder  und  kann  auch  nichts  Rechtes  darauf  entgegnen,  weil  mit  ihr
gleichzeitig   das   Verstundnis  fur   andere  Zusammenhunge  aufhurt.  Das
Nationalgefuhl des Muskoten besteht darin, daß er hier ist. Aber damit
ist es auch  zu  Ende, alles  andere beurteilt  er praktisch und  aus seiner
Einstellung heraus.
     Albert legt sich urgerlich ins Gras. "Besser  ist, uber den ganzen Kram
nicht zu reden."
     "Wird ja auch nicht anders dadurch", bestutigt Kat.
     Zum uberfluß mussen  wir  die neu  empfangenen  Sachen  fast alle
wieder abgeben und erhalten unsere alten Brocken wieder. Die guten waren nur
zur Parade da.
     Statt  nach  Rußland  gehen wir wieder an  die  Front.  Unterwegs
kommen  wir  durch   einen  kluglichen  Wald  mit  zerrissenen  Stummen  und
zerpflugtem Boden. An einigen Stellen sind furchtbare Lucher. "Donnerwetter,
da hat es aber eingehauen", sage ich zu Kat.
     "Minenwerfer",  antwortet  er  und zeigt dann nach oben.  In  den usten
hungen Tote. Ein nackter Soldat hockt in einer Stammgabelung, er  hat seinen
Helm noch auf dem Kopf, sonst ist er unbekleidet. Nur eine Hulfte  sitzt von
ihm dort oben, ein Oberkurper, dem die Beine fehlen.
     "Was ist da los gewesen?" frage ich.
     "Den haben sie aus dem Anzug gestoßen", knurrt Tjaden.
     Kat sagt: "Es ist komisch, wir haben das nun schon ein paarmal gesehen.
Wenn so  eine Mine einwichst,  wird  man tatsuchlich richtig  aus  dem Anzug
gestoßen. Das macht der Luftdruck."
     Ich suche weiter. Es ist wirklich so. Dort hungen Uniformfetzen allein,
anderswo klebt blutiger Brei, der einmal menschliche Glieder war. Ein Kurper
liegt da, der nur an einem Bein noch ein Stuck Unterhose und um den Hals den
Kragen des  Waffenrockes hat.  Sonst ist er nackt, der  Anzug  hungt im Baum
herum. Beide Arme fehlen, als wuren sie herausgedreht. Einen davon  entdecke
ich zwanzig Schritt weiter im Gebusch.
     Der Tote liegt auf dem Gesicht. Da, wo die Armwunden sind, ist die Erde
schwarz von Blut. Unter  den Fußen ist das  Laub zerkratzt,  als hutte
der Mann noch gestrampelt.
     "Kein Spaß, Kat", sage ich.
     "Ein Granatsplitter im Bauch auch nicht", antwortet er achselzuckend.
     "Nur nicht weich werden", meint Tjaden.
     Das Ganze kann nicht lange her  sein, das Blut ist noch frisch. Da alle
Leute,  die wir sehen, tot sind,  lassen wir  uns  nicht  aufhalten, sondern
melden die Sache bei der nuchsten Sanitutsstation. Schließlich  ist es
ja auch nicht  unsere  Angelegenheit, diesen  Tragbahrenhengsten  die Arbeit
abzunehmen.
     Es soll eine Patrouille ausgeschickt werden, um festzustellen, wie weit
die  feindliche Stellung  noch besetzt  ist. Ich habe  wegen  meines Urlaubs
irgendein sonderbares  Gefuhl  den  andern  gegenuber und melde mich deshalb
mit.  Wir verabreden den Plan, schleichen  durch den  Draht und trennen  uns
dann, um einzeln  vorzukriechen. Nach einer  Weile  finde ich  einen flachen
Trichter, in den ich mich hineingleiten lasse. Von hier luge ich aus.
     Das  Gelunde  hat  mittleres Maschinengewehrfeuer.  Es  wird  von allen
Seiten  bestrichen, nicht sehr stark, aber immerhin genugend, um die Knochen
nicht allzu hoch zu nehmen.
     Ein Leuchtschirm entfaltet  sich. Das Terrain liegt  erstarrt im fahlen
Lichte da.  Um  so schwurzer schlugt hinterher die Dunkelheit wieder daruber
zusammen. Im Graben haben sie vorhin erzuhlt, es wuren Schwarze vor uns. Das
ist unangenehm, man  kann  sie schlecht sehen,  außerdem sind  sie als
Patrouillen   sehr   geschickt.  Sonderbarerweise   sind   sie   oft  ebenso
unvernunftig; -  sowohl Kat als auch Kropp haben einmal  auf Patrouille eine
schwarze  Gegenpatrouille  erschossen, weil die  Leute  in  ihrer Gier  nach
Zigaretten  unterwegs rauchten.  Kat und Albert brauchten nur die glimmenden
Zigarettenkupfe als Ziel zu visieren.
     Neben  mir zischt eine  kleine Granate  ein. Ich  habe sie nicht kommen
gehurt und  erschrecke heftig. Im  gleichen Augenblick  faßt mich eine
sinnlose Angst. Ich bin hier allein und fast hilflos im Dunkeln - vielleicht
beobachten mich lungst aus einem Trichter hervor zwei andere Augen, und eine
Handgranate  liegt wurffertig bereit, mich zu zerreißen. Ich  versuche
mich  aufzuraffen.  Es  ist nicht meine  erste  Patrouille  und  auch  keine
besonders  gefuhrliche.  Aber  es  ist meine  erste  nach  dem  Urlaub,  und
außerdem ist das Gelunde mir noch ziemlich fremd.
     Ich mache mir klar, daß  meine Aufregung Unsinn ist, daß im
Dunkel  wahrscheinlich  gar  nichts  lauert,   weil  sonst  nicht  so  flach
geschossen wurde.
     Es ist vergeblich.  In wirrem Durcheinander summen  mir die Gedanken im
Schudel -  ich hure die  warnende Stimme meiner Mutter,  ich sehe die Russen
mit den wehenden Barten  am Gitter  lehnen,  ich habe die helle,  wunderbare
Vorstellung einer Kantine mit Sesseln, eines Kinos in Valenciennes, ich sehe
quulend,  scheußlich  in  meiner  Einbildung   eine  graue  gefuhllose
Gewehrmundung, die  lauernd lautlos mitgeht, wie ich auch den Kopf zu wenden
versuche: mir bricht der Schweiß aus allen Poren.
     Immer noch  liege  ich in meiner Mulde. Ich sehe auf  die Uhr; es  sind
erst wenige Minuten vergangen. Meine Stirn  ist naß, meine Augenhuhlen
sind  feucht, die Hunde zittern, und ich keuche leise. Es ist nichts anderes
als ein furchtbarer Angstanfall, eine  einfach gemeine Hundeangst davor, den
Kopf herauszustrecken und weiterzukriechen.
     Wie ein Brei zerquillt meine Anspannung zu dem Wunsch, liegenbleiben zu
kunnen. Meine Glieder kleben am Boden,  ich mache einen vergeblichen Versuch
- sie wollen sich  nicht lusen. Ich presse mich an die Erde,  ich kann nicht
vorwurts, ich fasse den Entschluß, liegenzubleiben.
     Aber sofort uberspult mich die Welle erneut, eine Welle aus Scham, Reue
und  doch  auch Geborgenheit. Ich  erhebe  mich  ein  wenig,  um Ausschau zu
halten. Meine Augen brennen,  so starre ich in das  Dunkel. Eine Leuchtkugel
geht hoch; - ich ducke mich wieder.
     Ich kumpfe einen sinnlosen, wirren Kampf, ich will aus der Mulde heraus
und rutsche  doch  wieder hinein, ich  sage, "du mußt,  es  sind deine
Kameraden, es ist ja nicht irgendein dummer  Befehl", - und  gleich  darauf:
"Was geht es mich an, ich habe nur ein Leben zu verlieren -"
     Das  macht  alles dieser  Urlaub, entschuldige ich mich erbittert. Aber
ich glaube es  selbst  nicht,  mir  wird  entsetzlich flau,  ich erhebe mich
langsam und stemme die Arme vor, ziehe den Rucken nach und liege  jetzt halb
auf dem Rande des Trichters.
     Da  vernehme  ich  Geruusche  und  zucke  zuruck.  Man hurt  trotz  des
Artillerielurms verduchtige Geruusche. Ich lausche - das Geruusch ist hinter
mir.  Es sind Leute von uns, die  durch den Graben gehen.  Nun hure ich auch
gedumpfte Stimmen. Es kunnte dem Tone nach Kat sein, der da spricht.
     Eine ungemeine  Wurme  durchflutet  mich  mit  einemmal. Diese Stimmen,
diese  wenigen,  leisen   Worte,  diese  Schritte  im   Graben  hinter   mir
reißen mich  mit einem  Ruck  aus der furchterlichen Vereinsamung  der
Todesangst, der ich beinahe  verfallen wure.  Sie sind mehr als mein  Leben,
diese Stimmen,  sie sind  mehr als Mutterlichkeit  und  Angst, sie sind  das
Sturkste und Schutzendste, was es uberhaupt gibt: es sind die Stimmen meiner
Kameraden.
     Ich  bin nicht mehr ein zitterndes Stuck Dasein allein im Dunkel  - ich
gehure  zu ihnen und sie zu mir, wir  haben alle die gleiche  Angst  und das
gleiche  Leben, wir sind verbunden auf  eine einfache und schwere  Art.  Ich
muchte  mein Gesicht in sie hineindrucken, in die Stimmen, diese paar Worte,
die mich gerettet haben und die mir beistehen werden.
     Vorsichtig gleite  ich uber den Rand und schlungele mich vorwurts.  Auf
allen vieren  schlurfe ich weiter; es geht gut, ich peile die  Richtung  an,
schaue mich um und merke mir das Bild des Geschutzfeuers, um zuruckzufinden.
Dann suche ich Anschluß an die andern zu bekommen.
     Immer  noch  habe  ich Angst,  aber es ist eine vernunftige Angst, eine
außerordentlich  gesteigerte  Vorsicht.  Die  Nacht  ist  windig,  und
Schatten  gehen hin und her beim Aufflackern  des Mundungsfeuers.  Man sieht
dadurch zu wenig und zu viel. Oft erstarre ich, aber es ist immer nichts. So
komme  ich  ziemlich  weit vor  und  kehre  dann  im  Bogen  wieder um.  Den
Anschluß habe  ich nicht gefunden. Jeder Meter nuher  zu unserm Graben
erfullt mich  mit Zuversicht - allerdings  auch mit  grußerer Hast. Es
wure nicht schun, jetzt noch eins verpaßt zu kriegen.
     Da durchfuhrt mich ein neuer Schreck. Ich  kann die Richtung nicht mehr
genau wiedererkennen. Still  hocke ich  mich in einen  Trichter und versuche
mich  zu orientieren. Es  ist mehr als einmal vorgekommen, daß  jemand
vergnugt in einen Graben sprang  und dann erst entdeckte, daß  es  der
falsche war.
     Nach einiger Zeit  horche ich wieder. Immer noch bin ich nicht richtig.
Das Trichtergewirr erscheint mir jetzt so unubersichtlich, daß ich vor
Aufregung  uberhaupt  nicht  mehr weiß,  wohin  ich mich wenden  soll.
Vielleicht krieche  ich parallel  zu den Gruben, das kann ja endlos  dauern.
Deshalb schlage ich wieder einen Haken.
     Diese verfluchten  Leuchtschirme! Sie  scheinen eine Stunde zu brennen,
man kann  keine Bewegung  machen, ohne daß  es  gleich  um einen herum
pfeift.
     Doch  es hilft nichts, ich muß  heraus. Stockend arbeite ich mich
weiter, ich krebse uber den Boden weg und reiße  mir die Hunde wund an
den zackigen Splittern, die scharf wie  Rasiermesser sind. Manchmal habe ich
den Eindruck, als wenn der  Himmel etwas heller wurde am Horizont,  doch das
kann auch Einbildung sein. Allmuhlich aber  merke ich, daß ich um mein
Leben krieche.
     Eine Granate knallt. Gleich darauf zwei andere.  Und schon geht es los.
Ein Feueruberfall. Maschinengewehre knattern. Jetzt gibt es vorluufig nichts
anderes, als  liegenzubleiben. Es  scheint  ein Angriff  zu werden.  uberall
steigen Leuchtraketen. Ununterbrochen.
     Ich  liege gekrummt in einem großen Trichter, die Beine im Wasser
bis zum Bauch. Wenn der Angriff einsetzt, werde  ich  mich ins Wasser fallen
lassen,  so  weit es  geht, ohne  zu ersticken,  das Gesicht  im  Dreck. Ich
muß den toten Mann markieren.
     Plutzlich hure  ich, wie  das Feuer  zuruckspringt. Sofort  rutsche ich
nach  unten ins Grundwasser, den Helm ganz im Genick,  den  Mund nur so weit
hoch, daß ich knapp Luft habe.
     Dann werde ich bewegungslos; - denn irgendwo klirrt etwas, es tappt und
trappst nuher,  - in mir  ziehen sich  alle Nerven eisig zusammen. Es klirrt
uber  mich hinweg,  der  erste  Trupp ist  vorbei.  Ich  habe nur  den einen
zersprengenden Gedanken  gehabt: Was tust du, wenn jemand in deinen Trichter
springt?  -  Jetzt zerre ich rasch den kleinen  Dolch heraus, fasse ihn fest
und  verberge  ihn  mit  der  Hand  wieder  im  Schlamm.  Ich  werde  sofort
losstechen, wenn jemand hereinspringt, hummert  es  in meiner  Stirn, sofort
die Kehle durchstoßen,  damit er nicht  schreien kann,  es  geht nicht
anders, er wird ebenso erschrocken sein  wie ich, und schon vor Angst werden
wir ubereinander herfallen, da muß ich der erste sein.
     Nun schießen unsere Batterien. In meiner Nuhe schlugt es ein. Das
macht mich irrsinnig  wild, es fehlt  mir noch, daß  mich  die eigenen
Geschosse  treffen; ich fluche und knirsche  in den Dreck hinein; es ist ein
wutender Ausbruch, zuletzt kann ich nur noch stuhnen und bitten.
     Das  Gekrach  der Granaten trifft  mein  Ohr.  Wenn unsere  Leute einen
Gegenstoß machen, bin ich befreit. Ich presse den Kopf an die Erde und
hure  das dumpfe Donnern  wie  ferne  Bergwerksexplosionen  - und  hebe  ihn
wieder, um auf die Geruusche oben zu lauschen.
     Die   Maschinengewehre  knarren.   Ich  weiß,  daß   unsere
Drahtverhaue  fest  und fast  unbeschudigt  sind; - ein Teil  davon ist  mit
Starkstrom geladen. Das Gewehrfeuer schwillt an. Sie kommen nicht durch, sie
mussen zuruck.  Ich sinke wieder zusammen, gespannt bis zum uußersten.
Das Klappern und  Schleichen, das  Klirren wird hurbar. Ein einzelner Schrei
gellend dazwischen. Sie werden beschossen, der Angriff ist abgeschlagen.
     Es ist noch etwas heller geworden. An mir voruber hasten Schritte.  Die
ersten. Vorbei.  Wieder andere.  Das Knarren der Maschinengewehre  wird eine
ununterbrochene Kette. Gerade will ich  mich etwas umdrehen, da  poltert es,
und schwer und  klatschend fullt ein  Kurper zu mir in den Trichter, rutscht
ab, liegt auf mir -
     Ich denke nichts, ich  fasse keinen  Entschluß - ich  stoße
rasend  zu und  fuhle  nur,  wie  der Kurper zuckt und dann  weich wird  und
zusammensackt. Meine Hand ist klebrig und naß, als ich zu mir komme.
     Der andere ruchelt. Es scheint mir, als ob er brullt, jeder Atemzug ist
wie ein Schrei, ein Donnern  - aber es sind nur meine Adern, die so klopfen.
Ich muchte ihm den Mund zuhalten, Erde hineinstopfen, noch einmal zustechen,
er  soll still sein,  er verrut mich;  doch  ich  bin schon  so weit  zu mir
gekommen und auch so schwach plutzlich, daß ich  nicht mehr  die  Hand
gegen ihn heben kann.
     So  krieche ich in  die  entfernteste Ecke und  bleibe dort,  die Augen
starr auf  ihn gerichtet, das Messer umklammert, bereit, wenn er sich ruhrt,
wieder auf ihn loszugehen - aber er wird nichts mehr tun, das hure ich schon
an seinem Rucheln.
     Undeutlich  kann  ich  ihn  sehen. Nur  der  eine  Wunsch ist  in  mir,
wegzukommen.  Wenn es nicht  bald ist, wird es  zu hell;  schon jetzt ist es
schwer. Doch  als ich versuche,  den Kopf hochzunehmen, sehe ich bereits die
Unmuglichkeit ein. Das Maschinengewehrfeuer ist derartig  gedeckt, daß
ich durchluchert werde, ehe ich einen Sprung tue.
     Ich probiere es noch einmal mit meinem Helm, den ich etwas emporschiebe
und anhebe, um die Huhe der Geschosse festzustellen. Einen Augenblick sputer
wird er mir durch  eine Kugel aus  der  Hand geschlagen. Das Feuer  streicht
also  ganz  niedrig  uber  das  Terrain.  Ich  bin nicht weit genug von  der
feindlichen  Stellung  entfernt,  um  nicht  von den  Scharfschutzen  gleich
erwischt zu werden, wenn ich versuche, auszureißen.
     Das Licht nimmt zu. Ich warte brennend auf einen Angriff von uns. Meine
Hunde sind weiß an den Knucheln, so presse ich sie zusammen,  so flehe
ich, das Feuer muge aufhuren und meine Kameraden muchten kommen.
     Minute um Minute versickert. Ich wage keinen  Blick mehr zu der dunklen
Gestalt  im Trichter. Angestrengt  sehe  ich  vorbei und warte,  warte.  Die
Geschosse zischen, sie sind ein stuhlernes Netz, es hurt  nicht auf, es hurt
nicht auf.
     Da erblicke  ich meine blutige  Hand und fuhle juhe ubelkeit. Ich nehme
Erde und reibe damit uber die Haut, jetzt ist die Hand wenigstens schmutzig,
und man sieht das Blut nicht mehr.
     Das Feuer lußt nicht nach. Von beiden Seiten ist es jetzt  gleich
stark. Man hat mich bei uns wahrscheinlich lungst verlorengegeben.
     Es ist heller, grauer, fruher  Tag. Das Rucheln tunt fort. Ich hake mir
die  Ohren zu, nehme aber die Finger bald wieder heraus, weil ich sonst auch
das andere nicht huren kann. Die Gestalt gegenuber bewegt sich. Ich schrecke
zusammen  und  sehe  unwillkurlich  hin.  Jetzt   bleiben  meine  Augen  wie
festgeklebt  hungen.  Ein Mann mit einem  kleinen  Schnurrbart liegt da, der
Kopf  ist zur Seite gefallen,  ein  Arm  ist halb  gebeugt,  der Kopf druckt
kraftlos darauf. Die andere Hand liegt auf der Brust, sie ist blutig.
     Er ist tot, sage ich mir, er muß tot sein, er fuhlt nichts mehr -
was  da ruchelt,  ist  nur noch der Kurper. Doch der  Kopf versucht  sich zu
heben, das Stuhnen wird einen  Moment  sturker, dann sinkt  die Stirn wieder
auf den Arm  zuruck.  Der Mann ist  nicht tot, er stirbt,  aber er ist nicht
tot. Ich schiebe mich heran, halte inne, stutze mich auf die Hunde,  rutsche
wieder etwas  weiter, warte  - weiter,  einen grußlichen  Weg von drei
Metern, einen langen, furchtbaren Weg. Endlich bin ich neben ihm.
     Da schlugt er  die Augen auf. Er muß  mich noch  gehurt haben und
sieht  mich mit einem Ausdruck furchtbaren  Entsetzens an. Der Kurper  liegt
still, aber in den Augen ist  eine so  ungeheure Flucht, daß ich einen
Moment  glaube,  sie  wurden  die  Kraft  haben,  den  Kurper  mit  sich  zu
reißen. Hunderte  von Kilometern weit weg mit einem einzigen Ruck. Der
Kurper ist still, vullig  ruhig, ohne Laut jetzt, das Rucheln ist verstummt,
aber die Augen schreien,  brullen, in  ihnen  ist alles Leben  versammelt zu
einer  unfaßbaren Anstrengung, zu  entfliehen, zu einem  schrecklichen
Grausen vor dem Tode, vor mir.
     Ich knicke  in den  Gelenken  ein  und falle auf  die Ellbogen.  "Nein,
nein", flustere ich.
     Die Augen folgen mir. Ich bin unfuhig, eine Bewegung zu machen, solange
sie da sind.
     Da fullt seine Hand langsam von der Brust,  nur ein geringes Stuck, sie
sinkt um wenige Zentimeter, doch diese Bewegung  lust  die  Gewalt der Augen
auf. Ich  beuge mich  vor, schuttele  den Kopf  und  flustere:  "Nein, nein,
nein",  ich  hebe eine  Hand,  ich muß ihm zeigen, daß  ich  ihm
helfen will, und streiche uber seine Stirn.
     Die Augen  sind zuruckgezuckt,  als die Hand kam,  jetzt  verlieren sie
ihre Starre, die Wimpern  sinken tiefer, die  Spannung lußt  nach. Ich
uffne ihm den Kragen und schiebe den Kopf bequemer zurecht.
     Der  Mund steht halb offen, erbemuht sich, Worte zu  formen. Die Lippen
sind  trocken.   Meine  Feldflasche   ist  nicht  da,  ich  habe  sie  nicht
mitgenommen. Aber es  ist  Wasser  in  dem Schlamm unten  im  Trichter.  Ich
klettere  hinab, ziehe mein Taschentuch  heraus, breite  es  aus,  drucke es
hinunter  und  schupfe  mit   der   hohlen  Hand   das   gelbe  Wasser,  das
hindurchquillt.
     Er schluckt es. Ich hole neues. Dann knupfe ich seinen Rock auf, um ihn
zu  verbinden, wenn es geht. Ich  muß es auf jeden Fall tun, damit die
druben,  wenn ich gefangen  werden sollte,  sehen,  daß ich ihm helfen
wollte, und  mich nicht erschießen.  Er versucht sich zu  wehren, doch
die Hand ist  zu schlaff  dazu. Das Hemd ist verklebt  und  lußt  sich
nicht beiseite schieben, es ist hinten geknupft. So bleibt nichts ubrig, als
es aufzuschneiden.
     Ich suche  das Messer  und finde es wieder.  Aber als  ich anfange, das
Hemd zu zerschneiden, uffnen  sich die Augen noch einmal, und wieder ist das
Schreien darin und der wahnsinnige Ausdruck, so daß ich  sie zuhalten,
zudrucken  muß  und  flustern:  "Ich  will  dir  ja  helfen,  Kamerad,
camarade,  camarade,  camarade  -",  eindringlich  das  Wort,  damit  er  es
versteht.
     Drei  Stiche sind  es.  Meine Verbandspuckchen  bedecken  sie, das Blut
luuft darunter weg, ich drucke sie fester auf, da stuhnt er.
     Es ist alles, was ich tun kann. Wir mussen jetzt warten, warten.
     Diese Stunden. - Das Rucheln setzt wieder ein - wie langsam stirbt doch
ein Mensch! Denn das weiß  ich:  er ist nicht zu retten. Ich habe zwar
versucht,  es  mir auszureden, aber  mittags ist  dieser  Vorwand vor seinem
Stuhnen  zerschmolzen, zerschossen. Wenn ich nur meinen  Revolver nicht beim
Kriechen verloren hutte, ich wurde  ihn erschießen. Erstechen kann ich
ihn nicht.
     Mittags dummere ich an  der Grenze des  Denkens dahin.  Hunger zerwuhlt
mich,  ich muß  fast weinen  daruber, essen  zu wollen, aber ich  kann
nicht dagegen ankumpfen.  Mehrere Male  hole ich  dem Sterbenden  Wasser und
trinke auch selbst davon.
     Es ist  der erste  Mensch, den ich  mit meinen Hunden getutet habe, den
ich genau sehen kann, dessen Sterben mein Werk ist. Kat und Kropp und Muller
haben auch  schon  gesehen, wenn sie jemand getroffen  haben, vielen geht es
so, im Nahkampf ja oft -
     Aber jeder Atemzug legt mein  Herz bloß. Dieser Sterbende hat die
Stunden fur sich, er hat ein  unsichtbares Messer, mit dem er mich ersticht:
die Zeit und meine Gedanken.
     Ich  wurde viel darum geben, wenn er  am Leben  bliebe.  Es ist schwer,
dazuliegen und ihn sehen und huren zu mussen.
     Nachmittags um drei Uhr ist er tot.
     Ich atme auf. Doch nur fur kurze Zeit. Das Schweigen erscheint mir bald
noch  schwerer zu  ertragen  als das  Stuhnen. Ich wollte, das Rucheln  wure
wieder da,  stoßweise, heiser, einmal  pfeifend leise und  dann wieder
heiser und laut.
     Es ist sinnlos, was ich tue. Aber ich muß Beschuftigung haben. So
lege ich  den Toten noch einmal zurecht, damit er bequemer liegt, obschon er
nichts mehr fuhlt. Ich schließe  ihm die  Augen. Sie  sind braun,  das
Haar ist schwarz, an den Seiten etwas lockig.
     Der Mund  ist voll  und  weich unter dem Schnurrbart,  die Nase ist ein
wenig gebogen, die  Haut bruunlich, sie sieht  jetzt  nicht mehr so fahl aus
wie vorhin,  als er noch lebte. Einen Augenblick scheint  das  Gesicht sogar
beinahe  gesund  zu sein  - dann  verfullt es  rasch zu  einem  der  fremden
Totenantlitze, die ich oft gesehen habe und die sich alle gleichen.
     Seine  Frau  denkt sicher  jetzt  an  ihn;  sie  weiß  nicht, was
geschehen  ist. Er sieht aus,  als wenn  er ihr oft geschrieben hutte; - sie
wird auch noch Post von ihm bekommen -  morgen, in einer Woche -, vielleicht
einen verirrten  Brief noch in einem Monat. Sie  wird ihn lesen, und er wird
darin zu ihr sprechen.
     Mein  Zustand wird immer schlimmer, ich kann meine Gedanken nicht  mehr
halten. Wie mag die Frau aussehen? Wie die Dunkle,
     Schmale jenseits  des Kanals?  Gehurt sie  mir nicht? Vielleicht gehurt
sie mir jetzt hierdurch! Suße Kantorek doch hier neben mir! Wenn meine
Mutter mich so suhe -. Der  Tote hutte sicher noch dreißig Jahre leben
kunnen,  wenn ich  mir den Ruckweg  schurfer  eingeprugt hutte. Wenn er zwei
Meter weiter nach links  gelaufen wure, luge  er jetzt druben im  Graben und
schriebe einen neuen Brief an seine Frau.
     Doch  so  komme  ich nicht weiter;  denn das  ist das Schicksal von uns
allen; hutte  Kemmerich  sein  Bein zehn Zentimeter weiter rechts  gehalten,
hutte Haie sich funf Zentimeter weiter vorgebeugt -
     Das Schweigen dehnt sich. Ich spreche  und muß sprechen. So  rede
ich ihn  an und sage es ihm. "Kamerad, ich wollte dich nicht tuten. Sprungst
du noch  einmal hier hinein,  ich tute es  nicht,  wenn  auch du  vernunftig
wurest. Aber du warst mir  vorher nur ein Gedanke, eine Kombination,  die in
meinem Gehirn lebte und einen Entschluß hervorrief - diese Kombination
habe ich erstochen. Jetzt sehe ich  erst, daß du ein  Mensch  bist wie
ich.  Ich  habe gedacht  an  deine  Handgranaten, an dein Bajonett und deine
Waffen  -  jetzt  sehe  ich deine  Frau und dein Gesicht und das Gemeinsame.
Vergib mir,  Kamerad! Wir  sehen es  immer zu sput. Warum sagt man uns nicht
immer wieder,  daß  ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, daß eure
Mutter sich ebenso ungstigen wie unsere und daß wir die gleiche Furcht
vor  dem  Tode haben  und das  gleiche  Sterben und  den gleichen Schmerz -.
Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein.  Wenn wir diese Waffen
und diese Uniform fortwerfen, kunntest du ebenso mein Bruder  sein  wie  Kat
und Albert. Nimm zwanzig Jahre von mir, Kamerad, und stehe  auf - nimm mehr,
denn ich weiß nicht, was ich damit beginnen soll."
     Es ist still,  die Front  ist ruhig bis auf  das  Gewehrgeknatter.  Die
Kugeln liegen dicht, es wird  nicht  planlos  geschossen,  sondern auf allen
Seiten scharf gezielt. Ich kann nicht hinaus.
     "Ich  will deiner  Frau  schreiben", sage ich hastig zu dem Toten, "ich
will ihr schreiben, sie  soll es durch  mich  erfahren,  ich will  ihr alles
sagen,  was ich dir  sage,  sie soll nicht leiden,  ich will  ihr helfen und
deinen Eltern auch und deinem Kinde -"
     Seine  Uniform  steht noch  halb offen.  Die Brieftasche ist leicht  zu
finden. Aber ich  zugere,  sie  zu uffnen. In  ihr ist  das Buch mit  seinem
Namen. Solange ich  seinen Namen nicht  weiß,  kann ich ihn vielleicht
noch vergessen, die Zeit wird es tilgen, dieses Bild. Sein Name aber ist ein
Nagel,  der in  mir eingeschlagen wird und  nie mehr herauszubringen ist. Er
hat  die Kraft, alles immer wieder zuruckzurufen, er wird stets wiederkommen
und vor mich hintreten kunnen.
     Ohne  Entschluß  halte  ich  die  Brieftasche  in  der  Hand. Sie
entfullt mir und uffnet sich.  Einige Bilder und Briefe  fallen  heraus. Ich
sammle  sie auf und will sie wieder  hineinpacken, aber der Druck, unter dem
ich  stehe, die ganze  Ungewisse Lage, der Hunger, die Gefahr, diese Stunden
mit  dem  Toten  haben  mich verzweifelt  gemacht,  ich  will  die Auflusung
beschleunigen  und  die   Quulerei   versturken  und  enden,  wie  man  eine
unertruglich schmerzende Hand gegen einen Baum schmettert, ganz gleich,  was
wird.
     Es  sind  Bilder  einer   Frau  und  eines  kleinen  Mudchens,  schmale
Amateurfotografien vor einer Efeuwand. Neben ihnen stecken Briefe. Ich nehme
sie heraus  und versuche sie zu lesen. Das meiste verstehe ich nicht, es ist
schlecht zu entziffern, und ich kann nur wenig Franzusisch. Aber jedes Wort,
das  ich ubersetze, dringt  mir wie ein  Schuß in die Brust - wie  ein
Stich in die Brust -
     Mein  Kopf  ist  vullig uberreizt.  Aber so  viel  begreife  ich  noch,
daß ich  diesen Leuten nie  schreiben darf, wie ich es dachte  vorhin.
Unmuglich. Ich sehe die Bilder noch  einmal an; es sind keine reichen Leute.
Ich kunnte  ihnen ohne Namen Geld schicken, wenn ich sputer etwas  verdiene.
Daran klammere  ich mich,  das ist ein  kleiner Halt wenigstens. Dieser Tote
ist  mit  meinem  Leben verbunden,  deshalb  muß  ich  alles  tun  und
versprechen, um mich zu retten; ich gelobe blindlings, daß ich nur fur
ihn dasein will und seine Familie, - mit nassen Lippen rede ich auf ihn ein,
und  ganz tief in mir  sitzt dabei die Hoffnung, daß ich  mich dadurch
freikaufe und vielleicht hier doch noch herauskomme, eine kleine Hinterlist,
daß  man  nachher  immer noch erst  einmal  sehen  kunne.  Und deshalb
schlage ich das Buch auf und lese langsam: Gerard Duval, Typograph.
     Ich  schreibe  die  Adresse  mit  dem  Bleistift  des Toten  auf  einen
Briefumschlag und schiebe dann plutzlich rasch alles in seinen Rock zuruck.
     Ich  habe  den  Buchdrucker   Gerard  Duval  getutet.   Ich   muß
Buchdrucker werden, denke ich ganz verwirrt, Buchdrucker werden, Buchdrucker
-
     Nachmittags  bin  ich ruhiger.  Meine Furcht war unbegrundet. Der  Name
verwirrt mich  nicht  mehr. Der Anfall vergeht. "Kamerad", sage  ich zu  dem
Toten hinuber, aber ich sage es gefaßt. "Heute  du,  morgen  ich. Aber
wenn ich  davonkomme, Kamerad, will  ich kumpfen gegen dieses, das uns beide
zerschlug: dir das Leben - und mir -? Auch das Leben. Ich verspreche es dir,
Kamerad. Es darf nie wieder geschehen."
     Die  Sonne steht schrug. Ich bin dumpf vor Erschupfung und Hunger.  Das
Gestern ist mir wie ein Nebel, ich  hoffe nicht, hier noch hinauszugelangen.
So duse ich dahin und begreife  nicht  einmal, daß  es Abend wird. Die
Dummerung  kommt.  Es  scheint  mir rasch jetzt. Noch  eine Stunde.  Wure es
Sommer, noch drei Stunden. Noch eine Stunde.
     Nun beginne  ich plutzlich zu  zittern, daß etwas dazwischenkume.
Ich denke nicht mehr an den Toten, er ist mir jetzt vullig gleichgultig. Mit
einem Schlage springt die Lebensgier auf, und alles, was ich mir vorgenommen
habe, versinkt davor. Nur um jetzt nicht noch Ungluck zu haben, plappere ich
mechanisch: "Ich werde alles halten, was ich dir versprochen  habe -",  aber
ich weiß schon jetzt, daß ich es nicht tun werde.
     Plutzlich  fullt mir  ein,  daß meine eigenen  Kameraden auf mich
schießen kunnen, wenn ich ankrieche; sie wissen es ja nicht. Ich werde
rufen, so fruh es geht, damit sie  mich verstehen. So lange will ich vor dem
Graben liegenbleiben, bis sie mir antworten.
     Der  erste Stern. Die Front bleibt ruhig. Ich atme  auf und spreche vor
Aufregung mit mir selbst: "Jetzt keine Dummheit, Paul - Ruhe,  Ruhe, Paul -,
dann  bist du gerettet, Paul." Es wirkt,  wenn ich meinen Vornamen sage, das
ist, als tute es ein anderer, und hat so mehr Gewalt.
     Die  Dunkelheit wuchst.  Meine  Aufregung  legt  sich,  ich  warte  aus
Vorsicht, bis die ersten Raketen steigen. Dann krieche ich aus dem Trichter.
Den  Toten  habe ich vergessen. Vor mir liegt  die beginnende Nacht und  das
bleich  beleuchtete Feld.  Ich  fasse ein  Loch ins Auge;  im Moment, wo das
Licht  erlischt, schnelle  ich hinuber, taste  weiter, erwische das nuchste,
ducke mich, husche weiter.
     Ich komme nuher. Da sehe  ich bei einer Rakete, wie im Draht sich etwas
eben  noch  bewegt,  ehe es erstarrt, und liege still. Beim nuchstenmal sehe
ich es wieder,  es sind bestimmt  Kameraden aus unserm Graben. Aber ich  bin
vorsichtig, bis ich unsere Helme erkenne. Dann rufe ich.
     Gleich darauf erschallt als Antwort mein Name: "Paul - Paul -"
     Ich rufe  wieder.  Es  sind Kat  und Albert,  die  mit  einer  Zeltbahn
losgegangen sind, um mich zu suchen.
     "Bist du verwundet?"
     "Nein, nein -"
     Wir  rutschen  in  den  Graben.  Ich  verlange  Essen und  schlinge  es
hinunter. Muller gibt mir eine  Zigarette. Ich  sage mit wenigen Worten, was
geschehen ist. Es ist  ja  nichts Neues;  so was ist schon oft passiert. Nur
der  Nachtangriff  ist  das  Besondere  bei  der  Sache.  Aber  Kat  hat  in
Rußland schon  einmal zwei Tage hinter der  russischen Front  gelegen,
ehe er sich durchschlagen konnte.
     Von dem toten Buchdrucker sage ich nichts.
     Erst am nuchsten Morgen halte  ich  es nicht mehr aus. Ich muß es
Kat und Albert erzuhlen. Sie beruhigen mich beide.
     "Du kannst gar  nichts daran  machen. Was wolltest du anders tun.  Dazu
bist du doch hier!"
     Ich hure ihnen geborgen zu, getrustet durch ihre Nuhe. Was habe ich nur
fur einen Unsinn zusammengefaselt da in dem Trichter.
     "Sieh mal dahin", zeigt Kat.
     An den Brustwehren  stehen einige Scharfschutzen. Sie haben Gewehre mit
Zielfernrohren aufliegen  und lauern den Abschnitt druben ab. Hin und wieder
knallt ein Schuß. Jetzt huren wir Ausrufe. "Das hat gesessen?" - "Hast
du gesehen, wie er hochsprang?" Sergeant Oellrich wendet  sich stolz um  und
notiert  seinen  Punkt. Er  fuhrt  in  der  Schußliste  von  heute mit
drei'einwandfrei festgestellten Treffern.
     "Was sagst du dazu?" fragt Kat.
     Ich nicke.
     "Wenn er so weitermacht,  hat er heute abend  ein buntes Vugelchen mehr
im Knopfloch", meint Kropp.
     "Oder er wird bald Vizefeldwebel", ergunzt Kat.
     Wir sehen uns an. "Ich wurde es nicht machen", sage ich.
     "Immerhin", sagt  Kat,  "es ist ganz gut, daß  du es jetzt gerade
siehst."
     Sergeant Oellrich tritt  wieder an  die Brustwehr. Die  Mundu