ng  seines
Gewehrs geht hin und her.
     "Da brauchst du uber deine Sache kein  Wort mehr  zu  verlieren", nickt
Albert.
     Ich begreife mich jetzt auch selbst nicht mehr.
     "Es  war nur, weil ich so lange mit  ihm zusammen  liegen.mußte",
sage ich. Krieg ist Krieg schließlich.
     Oellrichs Gewehr knallt kurz und trocken.
        10
     Wir haben  einen guten Posten erwischt.  Mit  acht Mann mussen  wir ein
Dorf bewachen, das geruumt worden ist, weil es zu stark beschossen wird.
     Hauptsuchlich  sollen  wir auf das  Proviantamt achten,  das noch nicht
leer  ist. Verpflegung mussen  wir  uns aus  den Bestunden selbst  besorgen.
Dafur  sind  wir die richtigen  Leute - Kat,  Albert,  Muller, Tjaden, Leer,
Detering, unsere ganze Gruppe ist da. Allerdings, Haie ist tot. Aber das ist
noch ein  muchtiges Gluck, denn alle anderen Gruppen haben mehr Verluste als
unsere gehabt.
     Als  Unterstand  wuhlen  wir  einen  betonierten  Keller,  zu  dem  von
außen  eine Treppe hinunterfuhrt.  Der Eingang  ist  noch  durch  eine
besondere Betonmauer geschutzt.
     Jetzt  entfalten  wir  eine  große  Tutigkeit. Es ist wieder eine
Gelegenheit, nicht nur die Beine,  sondern auch die Seele zu  strecken.  Und
solche Gelegenheiten nehmen wir wahr;  denn unsere  Lage ist zu verzweifelt,
um  lange sentimental sein zu  kunnen. Das ist nur muglich,  solange es noch
nicht ganz schlimm ist.  Uns jedoch bleibt nichts  anderes, als  sachlich zu
sein.  So sachlich, daß mir manchmal graut, wenn einen  Augenblick ein
Gedanke aus der fruheren Zeit, vor dem Kriege,  sich in meinen Kopf verirrt.
Er bleibt auch nicht lange.
     Wir mussen unsere Lage so leicht nehmen wie muglich. Deshalb nutzen wir
jede Gelegenheit dazu, und unmittelbar, hart, ohne ubergang steht  neben dem
Grauen der Bludsinn. Wir kunnen gar  nicht anders, wir  sturzen uns  hinein.
Auch jetzt geht es  mit  Feuereifer daran, ein Idyll zu  schaffen, ein Idyll
des  Fressens  und  Schlafens naturlich.  Die Bude wird  zunuchst einmal mit
Matratzen   belegt,   die   wir   aus   den   Huusern   heranschleppen.  Ein
Soldatenhintern sitzt gern  auch  mal  weich. Nur in  der  Mitte des  Raumes
bleibt  der  Boden  frei.  Dann  besorgen wir  uns Decken  und  Federbetten,
prachtvolle  weiche  Dinger. Von  allem ist im  Dorf ja genugend  vorhanden.
Albert und  ich  finden ein zerlegbares  Mahagonibett mit  einem Himmel  aus
blauer  Seide   und  Spitzenuberwurf.  Wir  schwitzen  wie  die  Affen  beim
Transport, aber so was kann man sich doch nicht entgehen lassen, zumal es in
ein paar Tagen doch sicher zerschossen wird.
     Kat und ich machen einen kleinen Patrouillengang durch die Huuser. Nach
kurzer  Zeit haben wir  ein  Dutzend Eier  und zwei Pfund  ziemlich  frische
Butter gefaßt. Plutzlich kracht es  in  einem Salon, und ein  eiserner
Ofen saust durch die Wand, an uns vorbei, einen Meter neben uns wieder durch
die Wand. Zwei Lucher. Er kommt aus dem Hause gegenuber, in das eine Granate
gehauen ist. "Schwein gehabt", grinst  Kat, und wir suchen weiter. Mit einem
Male spitzen wir  die Ohren und machen lange Beine. Gleich darauf stehen wir
wie verzaubert: In einem kleinen Stall tummeln sich zwei lebende Ferkel. Wir
reiben  uns die Augen und sehen vorsichtig wieder hin:  sie sind tatsuchlich
noch immer  da.  Wir  fassen sie an -  kein Zweifel, es sind zwei  wirkliche
junge Schweine.
     Das  gibt  ein  herrliches  Essen.  Etwa  funfzig  Schritt  von  unserm
Unterstand  entfernt  steht  ein  kleines  Haus,  das  als Offiziersquartier
gedient  hat  In  der  Kuche  befindet  sich  ein  riesiger  Herd  mit  zwei
Feuerrosten, Pfannen,  Tupfen und Kesseln. Alles  ist da, sogar eine Unmenge
kleingehacktes Holz steckt in einem Schuppen - das wahre Schlaraffenhaus.
     Zwei  Mann sind seit dem Morgen auf den Feldern  und suchen Kartoffeln,
Mohrruben und  junge  Erbsen. Wir sind  numlich  uppig  und  pfeifen auf die
Konserven  des  Proviantamts,  wir  wollen  frische  Sachen  haben.  In  der
Speisekammer   liegen   schon   zwei  Kupfe  Blumenkohl.  Die   Ferkel  sind
geschlachtet. Kat hat das erledigt. Zu dem Braten wollen wir Kartoffelpuffer
machen. Aber wir finden  keine Reiben fur die Kartoffeln.  Doch auch da  ist
bald abgeholfen. In Blechdeckel  schlagen wir mit  Nugeln eine Menge Lucher,
und  schon  sind es  Reiben. Drei Mann ziehen  dicke Handschuhe  an,  um die
Finger beim Reiben zu schonen, zwei andere schulen  Kartoffeln, und es  geht
rasch vorwurts.
     Kat  betreut die Ferkel, die Mohrruben, die Erbsen und den  Blumenkohl.
Zu  dem Blumenkohl mischt er sogar eine weiße Soße  zurecht. Ich
backe Puffer, immer vier zu  gleicher  Zeit. Nach  zehn Minuten habe  ich es
heraus, die  Pfanne  so zu schwenken,  daß  die auf  der  einen  Seite
fertigen  Puffer hochfliegen, sich in der Luft drehen und wieder aufgefangen
werden. Die  Ferkel werden unzerschnitten gebraten. Alles steht um sie herum
wie um einen Altar.
     Inzwischen ist  Besuch  gekommen,  zwei Funker, die freigebig zum Essen
eingeladen  werden. Sie  sitzen  im Wohnzimmer, wo ein Klavier steht.  Einer
spielt, der andere  singt:  "An der  Weser".  Er  singt  es gefuhlvoll, aber
ziemlich suchsisch. Trotzdem ergreift es uns, wuhrend wir so am Herd all die
schunen Sachen vorbereiten.
     Allmuhlich merken wir,  daß wir Kattun kriegen. Die Fesselballons
haben den Rauch  aus  unserm Schornstein spitz bekommen, und wir  werden mit
Feuer belegt. Es sind  die  verfluchten  kleinen Spritzbiester, die  so  ein
kleines  Loch machen und so weit und  niedrig streuen. Immer nuher pfeift es
um uns  herum,  aber wir  kunnen doch das Essen  nicht im Stich  lassen. Die
Bande  schießt  sich  ein.  Ein  paar  Splitter   sausen  oben  durchs
Kuchenfenster. Wir  sind  bald mit dem Braten fertig.  Doch das Pufferbacken
wird  jetzt schwieriger. Die Einschluge kommen  so dicht,  daß oft und
ufter die Splitter gegen die Hauswand klatschen und durch die Fenster fegen.
Jedesmal, wenn ich ein Ding heranpfeifen hure, gehe  ich mit der Pfanne  und
den Puffern  in die Knie und  ducke  mich hinter  die  Fenstermauer.  Sofort
danach bin ich wieder hoch und backe weiter.
     Die  Sachsen  huren  auf  zu  spielen, ein  Splitter  ist  ins  Klavier
geflogen.  Auch  wir  sind  jetzt allmuhlich  fertig  und  organisieren  den
Ruckzug.  Nach dem nuchsten Einschlag laufen zwei  Mann mit den Gemusetupfen
los, die funfzig Meter bis zum Unterstand. Wir sehen sie verschwinden.
     Der nuchste Schuß.  Alles duckt sich, und dann  traben  zwei Mann
mit je einer großen Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab  und erreichen
vor dem folgenden Einschlag den Unterstand.
     Jetzt schnappen sich  Kat  und  Kropp das  Glanzstuck: die  große
Pfanne  mit den  braungebratenen Ferkeln.  Ein Heulen, eine  Kniebeuge,  und
schon rasen sie uber die funfzig Meter freies Feld.
     Ich backe meine letzten  vier Puffer noch fertig; zweimal muß ich
dabei auf den  Boden - aber es  sind schließlich vier Puffer mehr, und
es ist mein Lieblingsessen.
     Dann ergreife ich die  Platte  mit dem  hohen  Stapel  und presse  mich
hinter die  Haustur. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden
Hunden die Platte an die Brust gedruckt. Fast bin ich  angelangt,  da pfeift
es anschwellend, ich turme wie ein Hirsch,  fege um die  Betonwand, Spritzer
klatschen gegen  die  Mauer,  ich falle  die  Kellertreppe  hinunter,  meine
Ellenbogen sind zerschlagen, aber ich habe keinen einzigen  Puffer  verloren
und die Platte nicht umgekippt.
     Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis  sechs.  Bis halb
sieben trinken  wir  Kaffee  -  Offizierskaffee  aus  dem Proviantamt  - und
rauchen  Offizierszigarren und Zigaretten - ebenfalls  aus dem  Proviantamt.
Punkt halb sieben fangen  wir mit dem Abendessen an. Um  zehn Uhr werfen wir
die Gerippe der Ferkel  vor die Tur.  Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls
aus  dem  gesegneten  Proviantamt  und  wieder  lange,  dicke  Zigarren  mit
Bauchbinden. Tjaden behauptet,  daß nur eines fehle: Mudchen aus einem
Offizierspuff.
     Sputabends huren wir Miauen. Eine kleine graue Katze  sitzt am Eingang.
Wir  locken sie  heran  und futtern sie. Daruber  kommt auch  uns wieder der
Appetit. Kauend legen wir uns schlafen.
     Doch  die  Nacht  ist  buse.  Wir  haben  zu  fett  gegessen.  Frisches
Spanferkel  wirkt angreifend auf die Durme.  Es  ist ein ewiges  Kommen  und
Gehen  im  Unterstand.  Zwei, drei Mann  sitzen  immer mit heruntergezogenen
Hosen  draußen herum und  fluchen.  Ich selbst bin neunmal  unterwegs.
Gegen vier Uhr nachts  erreichen wir einen Rekord:  alle elf Mann, Wache und
Besuch, sitzen draußen.
     Brennende Huuser  stehen  wie  Fackeln in  der Nacht. Granaten  poltern
heran  und hauen ein. Munitionskolonnen rasen uber die Straße. An  der
einen Seite ist das Proviantamt aufgerissen. Wie ein  Schwurm Bienen drungen
sich  dort  trotz aller  Splitter die Kolonnenfahrer  und klauen  Brot.  Wir
lassen sie ruhig gewuhren. Wenn wir was sagen wurden, gube es huchstens eine
Tracht Prugel fur uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erkluren, daß
wir die Wache sind, und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven
an, die wir gegen Sachen tauschen, die uns fehlen.
     Was macht es schon - in kurzer  Zeit ist ohnehin alles zerschossen. Fur
uns selbst holen wir Schokolade aus  dem Depot und essen sie tafelweise. Kat
sagt, sie sei gut fur einen allzu eiligen Bauch. -
     Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen,  Trinken und Bummeln. Niemand
sturt uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir  fuhren
ein gluckliches  Leben.  Solange nur noch  ein Teil des Proviantamtes steht,
ist uns  alles egal, und wir wunschen  bloß, hier das Ende des Krieges
zu erleben.
     Tjaden ist derartig fein geworden, daß er  die  Zigarren nur halb
aufraucht. Er erklurt hochnusig,  er  sei es so gewohnt.  Auch Kat  ist sehr
aufgemuntert.  Sein erster  Ruf morgens ist: "Emil, bringen Sie  Kaviar  und
Kaffee." Es ist uberhaupt erstaunlich vornehm bei uns, jeder hult den andern
fur seinen  Burschen, siezt ihn und gibt ihm Auftruge. "Kropp, es juckt mich
unter dem Fuß, fangen  Sie doch  mal die Laus weg",  damit streckt ihm
Leer sein  Bein  hin wie eine Schauspielerin, und Albert schleift ihn  daran
die Treppen  hinauf.  "Tjaden!"  - "Was ?"  - "  Stehen Sie  bequem, Tjaden,
ubrigens heißt es  nicht: Was,  sondern:  Zu  Befehl -  also: Tjaden!"
Tjaden begibt sich wieder  auf ein  Gastspiel zu Gutz von  Berlichingen, der
ihm nur so im Handgelenk sitzt.
     Nach  weiteren  acht  Tagen  erhalten  wir   Befehl,  abzurucken.   Die
Herrlichkeit ist aus.  Zwei  große Lastautos nehmen uns  auf. Sie sind
hoch bepackt mit Brettern. Aber noch oben  darauf bauen Albert und ich unser
Himmelbett  mit  dem  blauseidenen  uberwurf auf,  mit  Matratzen  und  zwei
Spitzenoberbetten.  Hinten drin  am  Kopfende liegt fur  jeden  ein Sack mit
besten  Lebensmitteln. Wir  fuhlen  manchmal  daruber  hin, und  die  harten
Mettwurste, die  Leberwurstbuchsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen
unsere Herzen jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich.
     Kropp und ich haben  aber außerdem noch  zwei rote  Samtfauteuils
gerettet.  Sie  stehen im  Bett, und wir  rukeln  uns  darauf wie  in  einer
Theaterloge.  uber uns  bauscht sich die  Seide des uberwurfs als Baldachin.
Jeder hat  eine lange  Zigarre im Mund. So  schauen wir hoch von oben in die
Gegend.
     Zwischen uns steht ein Papageienkufig,  den  wir fur die Katze gefunden
haben.  Sie wird mitgenommen und  liegt drinnen  vor  ihrem Fleischnapf  und
schnurrt.
     Langsam rollen die Wagen uber die  Straße. Wir singen. Hinter uns
spritzen die Granaten Fontunen aus dem nun ganz verlassenen Dorf.
     Einige  Tage  sputer  rucken wir  aus, um  eine  Ortschaft aufzuruumen.
Unterwegs begegnen  uns die  fliehenden Bewohner, die ausgewiesen  sind. Sie
schleppen ihre Habseligkeiten in Karren, in  Kinderwagen und auf dem  Rucken
mit  sich.  Ihre  Gestalten  sind   gebeugt,  ihre  Gesichter  voll  Kummer,
Verzweiflung,  Hast  und Ergebenheit.  Die  Kinder hungen  an den Hunden der
Mutter,  manchmal fuhrt auch  ein ulteres Mudchen die Kleinen, die  vorwurts
taumeln  und immer wieder  zurucksehen.  Einige  tragen armselige Puppen mit
sich. Alle schweigen, als sie an uns vorubergehen.
     Noch sind  wir in Marschkolonne, die Franzosen werden ja nicht ein Dorf
beschießen,  in dem  Landsleute sind. Aber wenige Minuten sputer heult
die Luft, die Erde bebt, Schreie  ertunen - eine Granate  hat den hintersten
Zug  zerschmettert.  Wir  spritzen auseinander und werfen  uns  hin, aber im
selben Moment  fuhle  ich, wie  mir die Spannung entgleitet, die mich  sonst
immer  bei Feuer unbewußt das Richtige tun lußt, der Gedanke "Du
bist  verloren" zuckt auf mit einer wurgenden, schrecklichen Angst -  und im
nuchsten  Augenblick fegt ein Schlag wie von einer Peitsche uber mein linkes
Bein. Ich hure Albert schreien, er ist neben mir.
     "Los, auf, Albert!" brulle ich,  denn wir liegen ungeschutzt auf freiem
Felde.
     Er taumelt hoch  und luuft.  Ich bleibe neben ihm. Wir mussen uber eine
Hecke; sie ist huher als wir. Kropp faßt in die Zweige, ich packe sein
Bein,  er schreit  auf, ich  gebe ihm Schwung, er fliegt hinuber.  Mit einem
Satz bin ich hinter  ihm her und falle in  einen Teich, der hinter der Hecke
liegt.
     Wir  haben das Gesicht voll Wasserlinsen und Schlamm, aber  die Deckung
ist gut. Deshalb waten wir hinein bis zum  Halse. Wenn es heult,  gehen  wir
mit dem Kopf unter Wasser.
     Nachdem wir das ein dutzendmal gemacht haben,  wird es  mir uber.  Auch
Albert stuhnt: "Laß uns weg, ich falle sonst um und ersaufe."
     "Wo hast du was gekriegt?" frage ich.
     "Am Knie, glaube ich."
     "Kannst du laufen?"
     "Ich denke -"
     "Dann los."
     Wir  gewinnen den Chausseegraben und rennen  ihn  gebuckt entlang.  Das
Feuer  folgt uns. Die Straße hat die Richtung auf  das Munitionsdepot.
Wenn das hochgeht, findet nie jemand von uns einen Knopf wieder.  Wir andern
deshalb unsern Plan und laufen im Winkel querfeldein.
     Albert wird langsamer. "Lauf zu, ich  komme nach",  sagt  er  und wirft
sich hin.
     Ich reiße ihn am  Arm auf und schuttele  ihn. "Hoch, Albert, wenn
du dich erst hinlegst, kannst du nie mehr weiter. Los, ich stutze dich."
     Endlich erreichen wir  einen kleinen  Unterstand.  Kropp schmeißt
sich hin, und ich verbinde ihn. Der  Schuß  sitzt kurz  uber dem Knie.
Dann sehe ich mich selbst an. Die Hose  ist blutig, ebenso  der  Arm. Albert
bindet mir seine Puckchen um die Lucher. Er kann  sein Bein schon nicht mehr
bewegen,  und  wir  wundern  uns  beide,  wie wir  es uberhaupt bis  hierher
geschafft  haben.  Das hat nur die Angst  gemacht;  wir  wurden fortgelaufen
sein, selbst  wenn uns die Fuße  weggeschossen wuren -  dann  eben auf
Stumpfen.
     Ich  kann   noch  etwas  kriechen  und   rufe  einen   voruberfahrenden
Leiterwagen  an,   der  uns  mitnimmt.  Er   ist   voller  Verwundeter.  Ein
Sanitutsgefreiter ist dabei, der uns eine Tetanusspritze in die Brust jagt -
     Im Feldlazarett richten wir es so ein,  daß wir nebeneinander  zu
liegen kommen. Es gibt eine  dunne Suppe, die  wir  gierig  und  veruchtlich
ausluffeln,  weil  wir zwar  bessere Zeiten gewuhnt  sind,  aber doch Hunger
haben.
     "Nun geht's in die Heimat, Albert", sage ich.
     "Hoffentlich", antwortet er. "Wenn ich  bloß wußte, was ich
habe."
     Die  Schmerzen  werden  sturker. Wie  Feuer  brennen die Verbunde.  Wir
trinken und trinken, einen Becher Wasser nach dem andern.
     "Wieviel uber dem Knie ist mein Schuß?" fragt Kropp.
     "Mindestens  zehn Zentimeter,  Albert", antworte ich.  In  Wirklichkeit
sind es vielleicht drei.
     "Das habe ich mir vorgenommen", sagt er nach einer Weile, "wenn sie mir
einen Knochen  abnehmen, mache ich Schluß.  Ich will nicht als Kruppel
durch die Welt laufen."
     So liegen wir mit unsern Gedanken und warten.
     Abends werden wir zur Schlachtbank geholt. Ich erschrecke und  uberlege
rasch,  was ich tun soll; denn es  ist bekannt, daß  die urzte in  den
Feldlazaretten leicht  amputieren.  Bei  dem  großen  Andrang ist  das
einfacher als  komplizierte Flickereien. Kemmerich fullt mir ein. Auf keinen
Fall  werde ich mich chloroformieren lassen, selbst wenn ich ein paar Leuten
den Schudel einschlagen muß.
     Es  geht gut.  Der  Arzt  stochert  in der Wunde herum,  daß  mir
schwarz vor Augen  wird. "Stellen Sie  sich nicht so  an",  schimpft er  und
subelt  weiter. Die Instrumente blitzen  in dem hellen Licht  wie  busartige
Tiere. Die Schmerzen sind unertruglich. Zwei Krankenwurter halten meine Arme
fest,  aber ich kriege einen los und will ihn gerade  dem Arzt in die Brille
knallen, als er es merkt und wegspringt.  "Chloroformiert den Kerl!" schreit
er wutend.
     Da werde  ich ruhig. "Entschuldigen Herr Doktor, ich werde stillhalten,
aber chloroformieren Sie mich nicht."
     "Na ja",  kakelt  er und nimmt seine Instrumente  wiedervor. Er ist ein
blonder Bursche, huchstens dreißig Jahre  alt, mit Schmissen und einer
widerlichen goldenen Brille. Ich merke  daß er mich jetzt schikaniert,
er wuhlt nur so  in der Wunde und schielt ab und zu uber seine Gluser zu mir
hin.  Meine  Hunde quetschen sich  um die Griffe,  eher  verrecke  ich,  als
daß er einen Mucks von mir hurt.
     Er  hat einen Splitter herausgeangelt  und wirft  ihn mir zu. Scheinbar
ist  er  befriedigt  von  meinem  Verhalten,  denn  er  schient  mich  jetzt
sorgfultig  und  sagt:  "Morgen  geht's  ab  nach  Hause."  Dann  werde  ich
eingegipst.  Als  ich  wieder  mit  Kropp  zusammen  bin, erzuhle  ich  ihm,
daß also wahrscheinlich morgen schon ein Lazarettzug eintreffen wird.
     "Wir  mussen mit dem Sanitutsfeldwebel sprechen, damit wir  beieinander
bleiben, Albert."
     Es gelingt mir, dem Feldwebel mit ein paar passenden Worten zwei meiner
Zigarren  mit  Bauchbinden zu  uberreichen.  Er schnuppert  daran und fragt:
"Hast du noch mehr davon?"
     "Noch eine gute Handvoll", sage ich, "und  mein Kamerad", ich zeige auf
Kropp, "ebenfalls.  Die  muchten wir  Ihnen  gern  morgen  zusammen  aus dem
Fenster des Lazarettzuges uberreichen."
     Er kapiert naturlich, schnuppert noch einmal und sagt: "Gemacht."
     Wir kunnen keine Minute nachts schlafen.  In unserm Saal sterben sieben
Leute. Einer singt eine Stunde lang in einem hohen Quetschtenor Chorule, ehe
er zu rucheln  beginnt.  Ein  anderer  ist vorher aus dem  Bett  ans Fenster
gekrochen. Er liegt davor, als hutte er zum letztenmal hinaussehen wollen.
     Unsere  Bahren  stehen auf  dem  Bahnhof. Wir  warten auf  den  Zug. Es
regnet, und der  Bahnhof hat kein  Dach.  Die  Decken  sind dunn. Wir warten
schon zwei Stunden.
     Der Feldwebel betreut  uns wie eine  Mutter. Obschon mir  sehr schlecht
ist, verliere ich unsern Plan nicht aus den  Gedanken. So nebenbei lasse ich
die Puckchen sehen und gebe eine Zigarre als Vorschuß ab.  Dafur deckt
der Feldwebel uns eine Zeltbahn uber.
     "Mensch, Albert", erinnere ich mich, "unser Himmelbett und die Katze -"
     "Und die Klubsessel", fugt er hinzu.
     Ja,  die  Klubsessel aus  rotem Plusch. Wir  hatten wie  Fursten abends
darauf  gesessen und uns vorgenommen, sie sputer stundenweise abzuvermieten.
Pro Stunde eine Zigarette. Es  wure  ein sorgenloses  Leben und ein Geschuft
geworden.
     "Albert", fullt mir ein, "und unsere Freßsucke."
     Wir werden schwermutig. Die  Sachen  hutten wir gebrauchen kunnen. Wenn
der Zug einen Tag sputer fuhre, hutte Kat  uns  sicher  gefunden und uns den
Kram gebracht.
     Ein  verfluchtes  Schicksal.  Wir  haben  Mehlsuppe  im  Magen,  dunnes
Lazarettfutter, und  in unseren Sucken ist Schweinebraten als Konserve. Aber
wir sind so schwach, daß wir uns nicht weiter daruber aufregen kunnen.
     Die  Bahren  sind klatschnaß, als  der  Zug morgens einluuft. Der
Feldwebel sorgt dafur,  daß wir in denselben  Wagen kommen. Eine Menge
Rote-Kreuz-Schwestern  sind  da. Kropp wird  nach  unten gepackt.  Ich werde
angehoben und soll in das Bett uber ihm.
     "Um Gottes willen", entfuhrt es mir plutzlich.
     "Was ist denn?" fragt die Schwester.
     Ich werfe noch  einen Blick auf das Bett. Es ist mit schneeweißem
Leinen   bezogen,  unvorstellbar  sauberem  Leinen,   das  sogar  noch   die
Pluttkniffe  hat. Mein  Hemd  dagegen ist sechs Wochen lang nicht  gewaschen
worden und sehr dreckig.
     "Kunnen Sie nicht allein hineinkriechen?" fragt die Schwester besorgt.
     "Das schon", sagte ich schwitzend, "aber tun Sie doch erst das Bettzeug
weg."
     "Warum denn?"
     Ich komme mir wie ein Schwein vor. Da  soll ich mich hineinlegen? - "Es
wird ja -" Ich zugere.
     "Ein  bißchen  schmutzig?"  fragt  sie  ermunternd.  "Das schadet
nichts, dann waschen wir es eben nachher wieder."
     "Nee,  das nicht  -", sage ich aufgeregt. Diesem Ansturm der Kultur bin
ich nicht gewachsen.
     "Dafur, daß Sie draußen im Graben gelegen haben, werden wir
wohl noch ein Bettlaken waschen kunnen", fuhrt sie fort.
     Ich sehe  sie an, sie sieht knusprig und jung aus, blank gewaschen  und
fein, wie  alles hier,  man  begreift  nicht, daß  es  nicht  nur  fur
Offiziere ist, und fuhlt sich unheimlich und sogar irgendwie bedroht.
     Das Weib ist trotzdem ein Folterknecht, es zwingt mich, alles zu sagen.
"Es ist nur -", ich halte ein, sie muß doch verstehen, was ich meine.
     "Was denn noch?"
     "Wegen der Luuse", brulle ich schließlich heraus.
     Sie lacht. "Die mussen auch mal gute Tage haben."
     Nun  kann  es mir ja gleich  sein. Ich krabbele ins Bett und decke mich
zu.
     Eine  Hand  fingert  uber die  Decke.  Der Feldwebel. Er zieht mit  den
Zigarren ab.
     Nach einer Stunde merken wir, daß wir fahren.
     Nachts erwache ich. Auch Kropp ruhrt sich. Der Zug rollt leise uber die
Schienen. Es  ist alles noch unbegreiflich: ein Bett,  ein Zug,  nach Hause.
Ich flustere: "Albert!"
     "Ja -"
     "Weißt du, wo hier die Latrine ist?"
     "Ich glaube, druben rechts die Tur."
     "Ich werde mal sehen." Es ist  dunkel,  ich taste nach dem Bettrand und
will vorsichtig hinuntergleiten. Aber mein Fuß findet keinen Halt, ich
gerate ins Rutschen, das Gipsbein ist keine Hilfe, und mit einem Krach liege
ich auf dem Boden.
     "Verflucht", sage ich.
     "Hast du dich gestoßen?" fragt Kropp.
     "Das kunntest du doch wohl gehurt haben", knurre ich, "mein Schudel -"
     Hinten im Wagen uffnet sich die Tur. Die Schwester kommt mit Licht  und
sieht mich.
     "Er ist aus dem Bett gefallen"
     Sie fuhlt mir  den  Puls und faßt meine Stirn an. "Sie haben aber
kein Fieber."
     "Nein -", gebe ich zu.
     "Haben Sie denn getruumt?" fragt sie.
     "So ungefuhr", weiche  ich aus. Jetzt geht die Fragerei wieder los. Sie
sieht mich mit ihren blanken  Augen an, sauber und wunderbar  ist sie, um so
weniger kann ich ihr sagen, was ich will.
     Ich werde wieder nach oben gehoben. Das kann ja  gut  werden. Wenn  sie
fort ist, muß ich sofort wieder versuchen, hinunterzusteigen. Wure sie
eine  alte  Frau, so ginge es eher, ihr Bescheid  zu  sagen, aber sie ist ja
ganz jung, huchstens funfundzwanzig Jahre, es ist nichts zu machen, ich kann
es ihr nicht sagen.
     Da kommt Albert mir  zu Hilfe, er geniert sich nicht, er ist es ja auch
schließlich nicht, den die Sache angeht. Er ruft die Schwester an. Sie
dreht sich um. "Schwester, er wollte -",  aber  auch Albert weiß nicht
mehr, wie  er  sich  tadellos  und  anstundig  ausdrucken  soll.  Unter  uns
draußen ist  das mit  einem einzigen  Wort  gesagt,  aber  hier, einer
solchen Dame gegenuber - Mit einem Male jedoch fullt  ihm die Schulzeit ein,
und er vollendet fließend: "Er muchte mal hinaus, Schwester."
     "Ach so",  sagt die Schwester. "Dazu braucht  er doch  nicht mit seinem
Gipsverband aus dem Bett zu klettern. Was wollen Sie denn haben?" wendet sie
sich an mich.
     Ich bin  tudlich erschrocken  uber diese neue  Wendung, denn  ich  habe
keine Ahnung, wie man  die Dinge  fachmunnisch benennt. Die  Schwester kommt
mir zu Hilfe.  "Klein  oder groß?" Diese Blamage! Ich schwitze wie ein
Affe und sage verlegen: "Na, also nur klein -"
     Immerhin, wenigstens noch etwas Gluck.
     Ich erhalte  eine Flasche. Nach einigen Stunden  bin ich nicht mehr der
einzige, und morgens haben  wir uns  gewuhnt und  verlangen ohne Beschumung,
was wir brauchen.
     Der  Zug  fuhrt  langsam.  Manchmal  hult  er,  und  die  Toten  werden
ausgeladen. Er hult oft.
     Albert hat Fieber.  Mir  geht  es leidlich,  ich habe  Schmerzen,  aber
schlimmer ist es, daß  wahrscheinlich unter dem Gipsverband noch Luuse
sitzen. Es juckt furchterlich, und ich kann mich nicht kratzen.
     Wir  schlummern durch  die  Tage. Die Landschaft  geht  still durch die
Fenster.  In  der  dritten Nacht  sind wir in Herbesthal. Ich  hure  von der
Schwester, daß  Albert an der nuchsten Station ausgeladen werden soll,
wegen seines Fiebers. "Wie weit fuhrt der Zug?" frage ich.
     "Bis Kuln."
     "Albert, wirbleiben zusammen", sage ich, "paß auf." Beim nuchsten
Rundgang der Schwester  halte ich die  Luft an  und  presse den Atem in  den
Kopf. Er schwillt und wird rot. Sie bleibt stehen. "Haben Sie Schmerzen?"
     "Ja", stuhne ich, "mit einem Male."
     Sie gibt mir ein Thermometer und geht weiter. Ich mußte nicht bei
Kat  in  der  Lehre  gewesen  sein,  um  nicht  Bescheid  zu  wissen.  Diese
Soldatenthermometer sind nicht fur  erfahrenes Militur berechnet. Es handelt
sich nur darum, das Quecksilber hochzutreiben, dann bleibt es in  der dunnen
Ruhre stehen und sinkt nicht wieder.
     Ich stecke das Thermometer unter den Arm, schrug nach unten, und knipse
mit  dem  Zeigefinger stundig dagegen. Darauf schuttele  ich  es  nach oben.
Damit  erreiche  ich  37,9  Grad. Das  genugt  aber  nicht.  Ein Streichholz
vorsichtig nahe darangehalten ergibt 38,7 Grad.
     Als  die  Schwester  zuruckkommt,  puste  ich  mich  auf,  atme  leicht
stoßweise, glotze sie mit etwas stieren  Augen an, bewege mich unruhig
und flustere: "Ich kann es nicht mehr aushalten -"
     Sie notiert mich auf einem Zettel. Ich weiß genau, daß ohne
Not mein Gipsverband nicht geuffnet wird.
     Albert und ich werden zusammen ausgeladen.
     Wir liegen  in einem katholischen Hospital, im gleichen Zimmer. Das ist
ein großes Gluck, denn die katholischen Krankenhuuser sind bekannt fur
gute  Behandlung  und  gutes Essen. Das Lazarett ist voll belegt worden  aus
unserm Zug,  es sind viele schwere Fulle dabei. Wir kommen heute noch  nicht
zur  Untersuchung,  da  zu wenig Arzte  da  sind.  Auf  dem  Korridor fahren
unablussig die flachen  Wagen mit den Gummirudern vorbei,  und  immer  liegt
jemand lang darauf. Eine verfluchte Lage -  so langgestreckt - nur gut, wenn
man schluft.
     Die  Nacht ist sehr unruhig. Keiner kann schlafen. Gegen Morgen  duseln
wir etwas ein. Ich erwache, als es  hell  wird. Die Tur steht offen, und vom
Korridor hure ich Stimmen. Auch die andern wachen auf. Einer, der  schon ein
paar Tage da ist, erklurt uns die Sache: "Hier  oben wird  jeden Morgen  auf
dem Korridor gebetet von den Schwestern. Sie nennen das Morgenandacht. Damit
ihr euren Teil abkriegt, machen sie die Turen auf."
     Das ist sicher gut gemeint, aber  uns tun die  Knochen und die  Schudel
weh.
     "So ein Unsinn", sage ich, "wenn man gerade eingeschlafen ist."
     "Hier oben liegen die leichteren Fulle, da machen sie es so", antwortet
er.
     Alben stuhnt. Ich werde wutend und rufe: "Ruhe da draußen."
     Nach  einer  Minute  erscheint  eine  Schwester.  Sie  sieht  in  ihrer
weiß und schwarzen Tracht aus  wie  ein hubscher Kaffeewurmer. "Machen
Sie doch die Tur zu, Schwester", sagt jemand.
     "Es wird gebetet, deshalb ist die Tur offen", erwidert sie.
     "Wir muchten aber noch schlafen -"
     "Beten ist besser als schlafen."  Sie steht  da und luchelt unschuldig.
"Es ist auch schon sieben Uhr."
     Albert stuhnt wieder. "Tur zu!" schnauze ich.
     Sie ist ganz verdutzt, so etwas kann sie scheinbar nicht begreifen. "Es
wird doch auf fur Sie mitgebetet."
     "Einerlei! Tur zu!"
     Sie  verschwindet  und  lußt  die Tur  offen. Die Litanei  ertunt
wieder. Ich  bin wild und sage: "Ich zuhle jetzt bis drei. Wenn es bis dahin
nicht aufhurt, fliegt was."
     "Von mir auch", erklurt ein anderer.
     Ich zuhle  bis funf. Dann  nehme  ich eine Flasche, ziele und werfe sie
durch die  Tur auf  den Korridor. Sie  zerspringt in  tausend Splitter.  Das
Beten hurt auf. Ein Schwurm Schwestern erscheint und schimpft maßvoll.
     "Tur zu!" schreien wir.
     Sie  verziehen sich.  Die Kleine  von vorhin ist die letzte.  "Heiden",
zwitschert sie, macht aber doch die Tur zu. Wir haben gesiegt.
     Mittags kommt der Lazarettinspektor und ranzt uns an. Er verspricht uns
Festung  und  noch  mehr. Nun  ist  ein  Lazarettinspektor,  genau  wie  ein
Proviantamtsinspektor, zwar jemand, der einen langen Degen und  Achselstucke
trugt, aber eigentlich ein Beamter, und er wird darum nicht einmal von einem
Rekruten fur voll genommen. Wir lassen ihn deshalb reden. Was kann uns schon
passieren -
     "Wer hat die Flasche geworfen?" fragt er.
     Bevor ich uberlegen kann, ob ich mich melden soll, sagt jemand: "Ich!"
     Ein Mann  mit  struppigem Bart richtet  sich auf.  Alles ist  gespannt,
weshalb er sich meldet.
     "Sie?"
     "Jawohl. Ich war erregt daruber,  daß wir unnutig geweckt wurden,
und verlor die Besinnung, so daß ich nicht wußte, was ich  tat."
Er redet wie ein Buch.
     "Wie heißen Sie?"
     "Ersatz-Reservist Josef Hamacher."
     Der Inspektor geht ab. Alle sind neugierig. "Weshalb hast du  dich denn
bloß gemeldet? Du warst es ja gar nicht!"
     Er grinst. "Das macht nichts. Ich habe einen Jagdschein."
     Das versteht naturlich  jeder.  Wer einen Jagdschein  hat, kann machen,
was er will.
     "Ja", erzuhlt er, "ich habe einen Kopfschuß gehabt, und daraufist
mir   ein    Attest    ausgestellt   worden,    daß    ich   zeitweise
unzurechnungsfuhig bin.  Seitdem bin  ich fein  heraus.  Man darf mich nicht
reizen. Mir  passiert  also nichts.  Der unten wird sich schun  urgern.  Und
gemeldet habe ich mich, weil mir das Werfen Spaß gemacht hat. Wenn sie
morgen wieder die Tur aufmachen, schmeißen wir wieder."
     Wir  sind  heilfroh.  Mit  Josef  Hamacher  in  der Mitte  jetzt  alles
riskieren.
     Dann kommen die lautlosen, flachen Wagen, um uns zu holen. Die Verbunde
sind verklebt. Wir brullen wie Stiere.
     Es liegen  acht Mann auf  unserer  Stube.  Die schwerste Verletzung hat
Peter, ein schwarzer  Krauskopf  -  einen  komplizierten  Lungenschuß.
Franz  Wuchter  neben ihm hat einen  zerschossenen  Arm,  der  anfangs nicht
schlimm  aussieht.  Aber in  der  dritten Nacht ruft  er uns an, wir sollten
klingeln, er glaube, er blute durch.
     Ich klingele kruftig. Die  Nachtschwester  kommt nicht. Wir  haben  sie
abends  ziemlich stark in Anspruch genommen, weil wir alle neue Verbunde und
deshalb Schmerzen hatten.  Der eine  wollte das  Bein so gelegt  haben,  der
andere  so,  der  dritte  verlangte  Wasser,  dem  vierten  sollte  sie  das
Kopfkissen aufschutteln; - die dicke  Alte hatte buse gebrummt  zuletzt  und
die Turen geschlagen.  Jetzt  vermutet sie  wohl wieder  so etwas,  denn sie
kommt nicht.
     Wir warten. Dann sagt Franz: "Klingle noch mal."
     Ich  tue es.  Sie  lußt sich immer noch  nicht sehen. Auf unserem
Flugel  ist nachts  nur eine einzige Stationsschwester, vielleicht  hat  sie
gerade in  andern  Zimmern  zu tun.  "Bist du  sicher,  Franz,  daß du
blutest?" frage ich. "Sonst kriegen wir wieder was auf den Kopf."
     "Es ist naß. Kann keiner Licht machen?"
     Auch  das geht nicht.  Der Schalter ist an  der Tur,  und  niemand kann
aufstehen. Ich  halte den  Daumen auf  der  Klingel, bis er gefuhllos  wird.
Vielleicht ist die Schwester eingenickt. Sie haben  ja sehr viel Arbeit  und
sind alle uberanstrengt, schon tagsuber. Dazu das stundige Beten.
     "Sollen  wir  Flaschen schmeißen?" fragt Josef  Hamacher mit  dem
Jagdschein.
     "Das hurt sie noch weniger als das Klingeln."
     Endlich  geht die Tur auf. Muffelig erscheint  die  Alte.  Als  sie die
Geschichte  bei  Franz bemerkt, wird sie  eilig  und ruft: "Weshalb hat denn
keiner Bescheid gesagt?"
     "Wir haben ja geklingelt. Laufen kann hier keiner."
     Er  hat  stark  geblutet  und wird  verbunden. Morgens  sehen wir  sein
Gesicht, es ist spitzer und gelber geworden, dabei war es am
     Abend noch fast gesund im Aussehen. Jetzt kommt ufter eine Schwester.
     Manchmal  sind  es auch  Hilfsschwestern  vom  Roten  Kreuz.  Sie  sind
gutmutig, aber  mitunter  etwas ungeschickt. Beim Umbetten tun sie einem oft
weh und sind dann so erschrocken, daß sie einem noch mehr weh tun.
     Die Nonnen  sind zuverlussiger.  Sie  wissen, wie sie  anfassen mussen,
aber wir muchten gern, daß sie etwas lustiger wuren. Einige allerdings
haben  Humor, sie sind großartig. Wer  wurde Schwester Libertine nicht
jeden  Gefallen tun,  dieser  wunderbaren  Schwester, die  im  ganzen Flugel
Stimmung verbreitet, wenn sie  nur von weitem zu sehen ist? Und solcher sind
noch mehrere  da.  Wir  wurden  fur sie  durchs Feuer gehen. Man  kann  sich
wirklich nicht beklagen, man wird direkt wie ein Zivilist hier behandelt von
den Nonnen. Wenn  man dagegen an die  Garnisonlazarette denkt, in  denen man
mit angelegter Hand im Bett liegen muß, kann einem die Angst kommen.
     Franz  Wuchter kommt nicht wieder  zu  Kruften.  Eines  Tages  wird  er
abgeholt und bleibt fort. Josef Hamacher weiß Bescheid: "Den sehen wir
nicht wieder. Sie haben ihn ins Totenzimmer gebracht."
     "Was fur ein Totenzimmer?" fragt Kropp.
     "Na, ins Sterbezimmer -"
     "Was ist denn das?"
     "Das kleine Zimmer an  der Ecke des Flugels. Wer kurz vor dem Abkratzen
ist, wird dahin gebracht. Es  sind zwei Betten darin. uberall heißt es
nur das Sterbezimmer."
     "Aber warum machen sie das?"
     "Sie haben dann  nicht  so  viel Arbeit nachher.  Es ist auch bequemer,
weil es gleich am Aufzug zur Totenhalle liegt.  Vielleicht  tun sie es auch,
damit keiner in  den  Sulen  stirbt, wegen der andern. Sie  kunnen  ja  auch
besser bei ihm wachen, wenn er allein liegt."
     "Aber er selber?"
     Josef  zuckt  die  Achseln.  "Gewuhnlich merkt er ja  nicht  mehr  viel
davon."
     "Weiß es denn jeder?"
     "Wer lunger hier ist, weiß es naturlich."
     Nachmittags wird das Bett von Franz Wuchter  neu belegt. Nach ein  paar
Tagen holen sie auch  den neuen  wieder ab.  Josef  macht  eine bezeichnende
Handbewegung. Wir sehen noch manchen kommen und gehen.
     Manchmal sitzen Angehurige an den Betten und weinen oder sprechen leise
und verlegen. Eine alte Frau will gar  nicht fort,  aber sie kann  die Nacht
uber ja nicht  dableiben. Am andern Morgen kommt sie  schon  ganz fruh, aber
doch nicht fruh  genug; denn als sie  an das Bett  geht, liegt schon  jemand
anders drin. Sie muß zur Totenhalle. Die upfel,  die sie noch bei sich
hat, gibt sie uns.
     Auch dem kleinen Peter geht es schlechter. Seine Fiebertafel sieht buse
aus,  und  eines Tages steht neben  seinem Bett der  flache Wagen.  "Wohin?"
fragt er.
     "Zum Verbandssaal."
     Er wird  hinauf  gehoben.  Aber die  Schwester macht den Fehler, seinen
Waffenrock  vom  Haken zu nehmen und ihn ebenfalls auf  den Wagen zu  legen,
damit sie  nicht  zweimal zu gehen braucht. Peter weiß sofort Bescheid
und will sich vom Wagen rollen. "Ich bleibe hier!"
     Sie drucken  ihn  nieder.  Er  schreit leise  mit  seiner zerschossenen
Lunge: "Ich will nicht ins Sterbezimmer."
     "Wir gehen ja zum Verbandssaal."
     "Wozu braucht ihr dann meinen Waffenrock?" Er kann nicht mehr sprechen.
Heiser, aufgeregt, flustert er: "Hierbleiben!"
     Sie antworten nicht und fahren ihn hinaus. Vor der Tur versucht er sich
aufzurichten.  Sein schwarzer Krauskopf bebt,  die Augen sind  voll  Trunen.
"Ich komme wieder! Ich komme wieder!" ruft er.
     Die Tur schließt sich. Wir  sind alle erregt; aber wir schweigen.
Endlich sagt Josef: "Hat schon mancher gesagt. Wenn man erst drin ist,  hult
man doch nicht durch."
     Ich werde operiert und kotze zwei Tage lang. Meine Knochen wollen nicht
zusammenwachsen, sagt der Schreiber des Arztes. Bei  einem  andern sind  sie
falsch angewachsen; dem werden sie wieder gebrochen. Es ist schon ein Elend.
     Unter unserm Zuwachs sind zwei junge Soldaten mit Plattfußen. Bei
der Visite entdeckt der Chefarzt sie  und bleibt freudig stehen. "Das werden
wir wegkriegen", erzuhlt er, "da machen wir eine kleine Operation, und schon
haben Sie gesunde Fuße. Schreiben Sie auf, Schwester."
     Als er fort ist, warnt Josef, der alles weiß: "Laßt euch ja
nicht operieren ! Das  ist numlich ein wissenschaftlicher Fimmel vom  Alten.
Er ist ganz wild auf jeden, den er dafur zu fassen bekommt. Er operiert euch
die Plattfuße, und ihr habt nachher tatsuchlich auch keine mehr; dafur
habt ihr Klumpfuße und mußt euer Leben lang an Stucken laufen."
     "Was soll man denn da machen?" fragt der eine.
     "Nein sagen! Ihr seid hier,  um  eure Schusse zu  kurieren,  nicht eure
Plattfuße!  Habt ihr im Felde  keine gehabt ? Na,  da  seht ihr! Jetzt
kunnt ihr noch laufen, aber wenn der  Alte euch erst unter dem Messer gehabt
hat, seid ihr Kruppel. Er braucht Versuchskarnickel,  fur ihn  ist der Krieg
eine großartige Zeit deshal