zwei Fulle,  wo Hollmann und Klotz  vor dem Abschluß
stehen.  Ein  roter Granit, einseitig poliert,  Hugelstein,  zwei  bossierte
Sockel, ein Meter funfzig hoch, zwei Millionen zweihunderttausend Mark - ein
kleiner,  eins zehn hoch, eine Million dreihunderttausend Eier. Gute Preise.
Wenn Sie hunderttausend weniger  verlangen, haben  Sie sie. Meine  Provision
ist zwanzig Prozent."
     "Funfzehn", erwidere ich automatisch.
     "Zwanzig",  erklurt Trunen-Oskar. "Funfzehn kriege ich bei Hollmann und
Klotz auch. Wozu da der Verrat?"
     Er lugt. Hollmann und Klotz, deren Reisender er  ist,  zahlen ihm  zehn
Prozent und Spesen. Die Spesen bekommt er ohnehin; er macht also bei uns ein
Geschuft von zehn Prozent extra.
     "Barzahlung?"
     "Das mussen Sie selbst sehen. Die Leute sind gut situiert."
     "Herr Fuchs", sage ich. "Warum kommen Sie nicht ganz zu uns? Wir zahlen
besser als  Hollmann  und  Klotz und  kunnen  einen erstklassigen  Reisenden
brauchen."
     Fuchs  zwinkert.  "Es  macht  mir  so  mehr  Spaß.  Ich  bin  ein
gefuhlsmußiger Mensch.  Wenn ich  mich uber den alten Hollmann urgere,
schiebe ich Ihnen einen Abschluß zu,  als Rache. Wenn ich ganz fur Sie
arbeitete, wurde ich mich uber Sie urgern."
     "Da ist was dran", sage ich.
     "Das meine  ich. Ich  wurde dann  Sie  an Hollmann  und Klotz verraten.
Reisen in Grabsteinen ist langweilig; man muß es etwas beleben."
     "Langweilig? Fur Sie? Wo Sie doch jedesmal eine artistische Vorstellung
geben?"
     Fuchs  luchelt  wie  Gaston  Munch  im  Stadttheater,  nachdem  er  den
Karl-Heinz in "Alt-Heidelberg" gespielt hat.
     "Man tut,  was  man kann", erklurt er mit tobender Bescheidenheit. "Sie
sollen  sich  großartig  entwickelt  haben.  Ohne   Hilfsmittel.  Rein
intuitiv. Stimmt das?"
     Oskar, der fruher mit rohen Zwiebelscheiben  gearbeitet hat,  bevor  er
die  Trauerhuuser   betrat,   behauptet  jetzt,  die  Trunen  frei  wie  ein
großer Schauspieler erzeugen zu kunnen. Das ist naturlich ein riesiger
Fortschritt. Er  braucht so nicht weinend das  Haus zu betreten, wie bei der
Zweibeltechnik,  wo  dann,  wenn  das Geschuft  lunger  dauert,  die  Trunen
versiegen, weil er ja die Zwiebel nicht  anwenden kann,  solange die  ernden
dabeisitzen -  im  Gegenteil, er  kann  jetzt trockenen  Auges  eingehen und
wuhrend des Gespruches uber den Abgeschiedenen naturliche Trunen ausbrechen,
was selbstverstundlich von ganz anderer Wirkung  ist. Es ist ein Unterschied
wie zwischen  echten und kunstliehen Perlen. Oskar behauptet, so uberzeugend
zu sein, daß er sogar oft von den Hinterbliebenen getrustet und gelabt
wird.
     Georg Kroll kommt aus seiner Bude. Eine Fehlfarben-Havanna dampft unter
seiner Nase, und er ist  die Zufriedenheit selbst.  Geradewegs  geht er aufs
Ziel los.
     "Herr  Fuchs",  sagt er. "Ist es wahr, daß  Sie auf Befehl weinen
kunnen   oder  ist  das  eine   niedertruchtige  Schreckpropaganda   unserer
Konkurrenz?"
     Statt einer Antwort starrt Oskar  ihn an. "Nun?" fragt Georg. "Was ist?
Fuhlen Sie sich nicht gut?"
     "Einen  Augenblick!  Ich  muß  erst  in  Stimmung  kommen." Oskar
schließt die Augen. Als er  die Lider wieder uffnet, wirken sie  schon
etwas wußrig.  Er starrt Georg weiter an, und  nach einer Weile stehen
ihm tatsuchlich dicke Trunen in den blauen Augen.  Noch eine Minute, und sie
rollen ihm uber die Wangen. Oskar zieht ein Taschentuch heraus und tupft sie
auf.  "Wie  war  das?" fragt er  und zieht die  Uhr. "Knappe  zwei  Minuten.
Manchmal schaffe ich es in einer, wenn eine Leiche im Hause ist."
     "Großartig."
     Georg schenkt  von  dem  Kundenkognak  ein. "Sie  sollten  Schauspieler
werden, Herr Fuchs."
     "Daran habe ich auch schon  gedacht; aber  es gibt zu wenige Rollen, in
denen munnliche Tr¤nen verlangt werden. Othello naturlich, sonst -"
     "Wie machen Sie es? Irgendein Trick?"
     "Imagination",    erwidert    Fuchs   schlicht.    "Starke,   bildhafte
Vorstellungskraft."
     "Was haben Sie sich denn jetzt vorgestellt?"
     Oskar trinkt  sein Glas  aus. "Offen gestanden,  Sie, Herr  Kroll.  Mit
zersplitterten Beinen und Armen und einem Schwarm Ratten,  der Ihnen langsam
das  Gesicht abfrißt,  wuhrend Sie  noch leben, wegen  der gebrochenen
Arme die Nager aber nicht abwehren kunnen. Entschuldigen  Sie, aber fur eine
so rasche Vorstellung brauchte ich ein sehr starkes Bild."
     Georg  fuhrt  sich  mit der Hand  uber  das  Gesicht. Es  ist noch  da.
"Stellen Sie sich auch  uhnliche Sachen von Hollmann und Klotz vor, wenn Sie
fur die arbeiten?" frage ich.
     Fuchs  schuttelt den Kopf. "Bei denen stelle ich mir vor, daß sie
hundert  Jahre  alt werden und  reich und  gesund bleiben, bis  sie an einem
Herzschlag im Schlaf schmerzlos abfahren  - dann strumen mir  die Trunen nur
so vor Wut."
     Georg  zahlt ihm  die Provisionen fur die  letzten beiden  Verrutereien
aus.  "Ich habe neuerdings  auch einen kunstlichen  Schluckauf  entwickelt",
sagt Oskar. "Sehr wirksam. Beschleunigt den Abschluß. Die Leute fuhlen
sich schuldig, weil sie glauben, es sei eine Folge der Teilnahme."
     "Herr Fuchs, kommen Sie zu uns!" sage ich impulsiv. "Sie gehuren in ein
kunstlerisch geleitetes Unternehmen, nicht zu kahlen Geldschindern."
     Trunen-Oskar luchelt gutig, schuttelt das Haupt und verabschiedet sich.
"Ich kann nun mal nicht.  Ohne etwas Verrat wurde ich ja nichts sein als ein
flennender Waschlappen. Der Verrat balanciert mich. Verstehen Sie?"
     Wir  verstehen",  sagt  Georg.  "Von  Bedauern   zerrissen,   aber  wir
respektieren Persunlichkeit uber alles."
     Ich notiere  die Adressen fur die Hugelsteine  auf  ein  Blatt und uber
gebe sie Heinrich  Kroll, der im Hof  seine Fahrradreifen aufpumpt. Er sieht
die Zettel veruchtlich an. Fur ihn als alten Nibelungen ist Oskar ein
     gemeiner Lump, obschon er von ihm, ebenfalls als alter Nibelunge, nicht
ungern profitiert. "Fruher hatten wir so etwas nicht nutig", erklurt
     er. "Gut, daß main Vater das nicht mehr erlebt hat."
     "Ihr   Vater  wure   nach  allem,  was  ich  uber  diesen  Pionier  des
Grabsteinwesens gehurt habe,  außer  sich  vor Freude gewesen,  seinen
Konkurrenten  einen solchen Streich zu spielen", erwidere  ich. "Er war eine
Kumpfernatur  -  nicht  wie  Sie  auf dem  Felde  der  Ehre, sondern in  den
Schutzengruben rucksichtslosen  Geschuftslebens. Kriegen wir  ubrigens  bald
die Restzahlung  fur das allseitig polierte Kreuzdenkmal, das Sie  im  April
verkauft haben? Die zweihunderttausend, die noch fehlen? Wissen Sie, was die
jetzt wert sind? Nicht einmal einen Sokkel."
     Heinrich  brummt etwas und  steckt den  Zettel  ein. Ich  gehe  zuruck,
zufrieden,  ihn  etwas  gedumpft zu  haben.  Vor dem  Hause steht das  Stuck
Dachruhre,  das  beim  letzten Regen  abgebrochen  ist.  Die Handwerker sind
gerade fertig; sie haben das abgebrochene  Stuck  erneuert. "Wie  ist es mit
der  alten  Ruhre?"  fragt  der  Meister. "Die kunnen  Sie doch  nicht  mehr
brauchen. Sollen wir sie mitnehmen?"
     "Klar", sagt Georg.
     Die  Ruhre steht an den Obelisken gelehnt, Knopfs Freiluft-Pissoir. Sie
ist einige  Meter lang und am  Ende rechtwinklig gebogen. Ich habt plutzlich
einen  Einfall. "Lassen Sie sie hier  stehen",  sage  ich. "Wir brauchen sie
noch."
     "Wofur?" fragt Georg.
     "Fur  heute  abend.  Du  wirst  es  sehen.  Es  wird  eine interessante
Vorstellung werden."
     Heinrich Kroll  radelt davon.  Georg und  ich stehen  vor  der  Tur und
trinken  ein  Glas  Bier,   das  Frau  Kroll  uns  durch  das  Kuchenfenster
herausreicht. Es ist sehr  heiß. Der Tischler Wilke schleicht  vorbei.
Er trugt ein paar Flaschen und wird in einem mit Hobelspunen ausgepolsterten
Sarg   seinen   Mittagsschlaf   halten.   Schmetterlinge   spielen  um   die
Kreuzdenkmuler. Die bunte Katze der Familie  Knopf ist truchtig. "Wie  steht
der Dollar?" frage ich. "Hast du telefoniert?"
     "Funfzehntausend Mark huher  als heute  morgen. Wenn es so  weitergeht,
kunnen  wir Riesenfelds  Wechsel  mit  dem  Wert  eines  kleinen Hugelsteins
bezahlen."
     "Wunderbar.  Schade,  daß  wir nichts davon behalten haben. Nimmt
einem etwas vom nutigen Enthusiasmus, was?"
     Georg lacht. "Auch  vom Ernst  des  Geschuftes.  Abgesehen von Heinrich
naturlich. Was machst du heute abend?"
     "Ich gehe  nach  oben; zu Wernicke. Da weiß man wenigstens nichts
vom Ernst und von der Lucherlichkeit des Geschuftslebens.  Dort oben geht es
nur ums Dasein. Immer um das ganze Sein, um die volle Existenz, um das Leben
und nichts als das Leben. Darunter  gibt es nichts. Wenn man lungere Zeit da
lebte, wurde  einem  unser luppisches Geschacher  um Kleinigkeiten  verruckt
vorkommen."
     "Bravo",  erwidert Georg. "Fur diesen Unsinn verdienst  du ein  zweites
Glas  eiskaltes   Bier."  Er  nimmt  unsere   Gluser  und  reicht  sie   ins
Kuchenfenster hinein. "Gnudige Frau, bitte noch einmal dasselbe." Frau Kroll
streckt ihren  grauen Kopf heraus.  "Wollt ihr  einen frischen  Rollmops und
eine Gurke dazu?"
     "Unbedingt! Mit einem Stuck Brot. Das kleine Dejeuner  fur jede Art von
Weltschmerz", erwidert Georg und reicht mir mein Glas. "Hast du
     welchen?"
     "Ein  anstundiger  Mensch  in  meinem  Alter  hat  immer  Weltschmerz",
erwidere ich fest. "Es ist das Recht der Jugend."
     "Ich dachte, man hutte dir die Jugend beim Militur gestohlen?"
     "Stimmt.  Ich bin  immer  noch auf der Suche nach ihr, finde  sie  aber
nicht. Deshalb habe ich einen doppelten  Weltschmerz. So wie ein amputierter
Fuß doppelt schmerzt."
     Das Bier ist wunderbar kalt. Die Sonne brennt uns auf die  Schudel, und
auf einmal ist,  trotz allen Weltschmerzes, wieder einer der Augenblicke da,
wo man dem  Dasein sehr  dicht in die  grungoldenen Augen starrt. Ich trinke
mein Bier anduchtig aus. Alle  meine Adern scheinen plutzlich ein  Sonnenbad
genommen zu haben. "Wir vergessen immer wieder, daß wir nur kurze Zeit
diesen Planeten bewohnen", sage ich. "Deshalb haben wir einen vullig irrigen
Weltkomplex. Den von Menschen, die ewig leben. Hast du das schon gemerkt?"
     "Und wie!  Es  ist  der  Kardinalfehler der  Menschheit. An  sich  ganz
vernunftige Leute lassen  grauenhaften Verwandten  auf diese Weise Millionen
von Dollars zukommen, anstatt sie selbst zu verbrauchen."
     "Gut!  Was  wurdest du  tun, wenn du wußtest, daß du morgen
sterben mußtest?"
     "Keine Ahnung."
     "Nein? Gut, ein tag ist vielleicht eine zu kurze Zeit. Was wurdest du
     tun, wenn du wußtest, daß du in einer Woche dahin wurest?"
     "Immer noch keine Ahnung."
     "Irgendwas mußtest du doch tun!  Wie wure es, wenn du einen Monat
Zeit huttest?"
     "Ich wurde wahrscheinlich so  weiterleben wie jetzt", sagt Georg,  "Ich
hutte  sonst den  ganzen Monat durch  das elende  Gefuhl, mein Leben  bisher
falsch gelebt zu haben."
     "Du huttest einen Monat Zeit, es zu korrigieren."
     Georg schuttelt den Kopf. "Ich hutte einen Monat Zeit, es zu bereuen."
     "Du  kunntest unser  Lager verkaufen an Hollmann und Klotz, nach Berlin
fahren und einen Monat mit Schauspielern, Kunstlern und eleganten Huren  ein
atemberaubendes Leben fuhren."
     "Der Zaster wurde nicht fur acht Tage reichen. Und die Damen wurden nur
Barmudchen  sein.  Außerdem  lese  ich   lieber   daruber.   Phantasie
enttuuscht nie.  Aber  wie ist es  mit dir?  Was  wurdest du machen, wenn du
wußtest, daß du in vier Wochen sterben wurdest?"
     "Ich?" sage ich betroffen.
     "Ja, du."
     Ich blicke in die  Runde. Da ist  der  Garten, grun und heiß,  in
allen Farben des Hochsommers, da  segeln  die Schwalben, da ist das  endlose
Blau des Himmels,  und oben aus seinem Fenster glotzt  der  alte  Knopf, der
gerade aus seinem Rausch erwacht ist,  in  Hosentrugern  und einem karierten
Hemd auf  uns herab. "Ich muß daruber nachdenken",  sage ich.  "Sofort
kann  ich es nicht sagen. Es ist zuviel.  Ich  habe  jetzt  nur  das Gefuhl,
daß ich explodieren  wurde, wenn ich es so wußte,  daß  es
mir als genug erschiene."
     "Denke nicht zu stark  nach; sonst mussen wir dich zu Wernicke bringen.
Aber nicht zum Orgelspielen."
     "Das  ist  es", sage ich. "Wahrhaftig,  das ist  es! Wenn  wir  es ganz
erkennen kunnten, wurden wir verruckt."
     "Noch ein Glas Bier?" fragt Frau Kroll durch das Kuchenfenster. "Es ist
auch Himbeerkompott da. Frisches."
     "Gerettet!" sage ich.  "Sie haben  mich soeben  gerettet, gnudige Frau.
Ich war wie ein Pfeil auf dem Wege zur Sonne und zu Wernicke. Gott sei Dank,
alles ist noch da! Nichts  ist verbrannt! Das  suße Leben  spielt noch
mit Schmetterlingen und Fliegen um uns herum, es ist nicht in
     Asche zerstuubt, es ist  da, es hat noch alle seine  Gesetze, auch die,
die wir ihm angelegt haben  wie einem Vollblut ein  Geschirr! Trotzdem, kein
Himbeerkompott zu Bier, bitte! Dafur aber ein Stuck fließend en Harker
Kuse. Guten Morgen, Herr Knopf! Ein schuner Tag! Was halten Sie vom Leben?"
     Knopf  starrt  mich an. Sein Gesicht  ist grau, und  unter seinen Augen
Krisen Sucke. Nach einer Weile winkt er verurgert ab und schließt sein
Fenster. "Wolltest du  nicht noch  was von ihm?" fragt Georg. "Ja, aber erst
heute abend."
     Wir  treten bei Eduard Knobloch ein.  "Sieh da",  sage  ich und  bleibe
stehen, als  wure  ich  gegen  einen Baum  gerannt.  "So  spielt  das  Leben
scheinbar auch! Ich hutte es ahnen sollen!"
     In der Weinabteilung  sitzt Gerda  an einem Tisch, auf dem  ein  Bukett
Tigerlilien steht. Sie ist  allein und hackt gerade  auf ein Stuck Rehrucken
ein, das fast  so groß ist wie der Tisch. "Was  sagst  du dazu?" frage
ich Georg. "Riecht das nicht nach Verrat?"
     "War etwas zu verraten?" fragt Georg zuruck.
     "Nein. Aber wie wure es mit Vertrauensbruch?"
     "War ein Vertrauen zu brechen?"
     "Laß  das, Sokrates!" erwidere ich. "Siehst du  nicht,  daß
Eduards dicke Pfoten hier im Spiele sind?"
     "Das sehe ich. Aber wer hat dich verraten? Eduard oder Gerda?"
     "Gerda! Wer sonst? Der Mann hat nie etwas damit zu tun."
     "Die Frau auch nicht."
     "Wer denn?"
     "Du. Wer sonst?"
     "Gut",  sage  ich. "Du hast leicht reden. Du  wirst nicht  betrogen. Du
betrugst selbst.".
     Georg nickt selbstgefullig. "Liebe ist eine Sache des Gefuhls", doziert
er "Keine der Moral Gefuhl aber kennt keinen Verrat. Es nimmt  zu, schwindet
oder wechselt - wo ist da Verrat? Es ist kein Kontrakt. Hast du Gerdas Ohren
nicht mit deinem Schmerz um Erna vollgeheult?"
     "Nur im Anfang. Sie war ja dabei, als der Krach in der Roten Muhle
     "Dann jammere jetzt nicht. Verzichte oder handle."
     Ein Tisch neben  uns  wird  frei. Wir  setzen uns. Der Kellner Freidank
ruumt ab. "Wo ist Herr Knobloch?" frage ich.
     Freidank sieht sich um. "Ich weiß nicht- er war die ganze Zeit an
dem Tisch mit der Dame druben."
     "Einfach,  was?" sage  ich  zu Georg. "Soweit wuren wir.  Ich  bin  ein
naturliches Opfer der  Inflation. Schon wieder. Erst Erna, jetzt Gerda.  Bin
ich ein geborener Hahnrei? Dir passiert so was nicht."
     "Kumpfe!"  erwidert  Georg. "Noch  ist  nichts verloren.  Geh  zu Gerda
hinuber!"
     "Womit soll ich kumpfen? Mit Grabsteinen? Eduard gibt ihr Rehrukken und
widmet  ihr Gedichte. Bei den  Gedichten kennt  sie den  Unterschied in  der
Qualitut  nicht  - beim  Eisen  leider. Und ich Esel  habe  mir  das  selbst
zuzuschreiben!  Ich  habe  sie hierhergebracht  und  ihren  Appetit geweckt.
Buchstublich!"
     "Dann  verzichte",  sagt Georg.  "Wozu  kumpfen?  Um  Gefuhle  kann man
sowieso nicht kumpfen."
     "Nein ? Weshalb rutst du mir dann vor einer Minute, ich solle es tun?"
     "Weil heute Dienstag ist. Da kommt Eduard  - in  seinem Sonntagsgehrock
und mit einer Rosenknospe im Knopfloch. Du bist erledigt."
     Eduard stutzt,  als  er uns  sieht.  Er  schielt zu  Gerda  hinuber und
begrußt uns dann mit der Herablassung des Siegers.
     "Herr Knobloch", sagt Georg.  "Ist Treue das  Mark der Ehre,  wie unser
geliebter Feldmarschall es verkundet hat, oder nicht?"
     "Es  kommt  darauf an",  erwidert  Eduard  vorsichtig.  "Heute gibt  es
Kunigsberger Klops mit Tunke und Kartoffeln. Ein gutes Essen."
     "Darf  der  Soldat dem Kameraden in  den Rucken fallen ?"  fragt  Georg
weiter. "Der Bruder dem Bruder? Der Poet dem Poeten?"
     "Poeten greifen sich dauernd an. Sie leben davon."
     " Sie  leben vom offenen Kampf; nicht vom Dolchstoß in den Magen"
erklure ich.
     Eduard  schmunzelt  breit. "Der Sieg dem  Sieger,  mein lieber  Ludwig,
catch  as  catch  can. Jammere ich, wenn  ihr mit Eßmarken  kommt, die
keine Nuß mehr wert sind?"
     "Ja", sage ich, "und wie!"
     Eduard  wird in diesem  Augenblick beiseite geschoben. "Kinder, da seid
ihr ja", sagt Gerda herzlich "Laßt uns zusammen essen! Ich habe
     gehofft, ihr wurdet kommen!"
     "Du sitzest in der Weinabteilung", erwidere  ich giftig.  "Wir  trinken
Bier."
     "Ich trinke auch lieber Bier. Ich setze mich zu euch."
     "Erlaubst du, Eduard?" frage ich. "Catch as catch can?"
     "Was hat Eduard da zu erlauben?" fragt Gerda. "Er freut sich doch, wenn
ich mit seinen Freunden esse. Nicht wahr, Eduard?"
     Die  Schlange  nennt  ihn  bereits  beim  Vornamen.  Eduard   stottert.
"Naturlich, nichts dagegen, selbstverstundlich, eine Freude -"
     Erbietet  ein schunes Bild,  rot, wutend und  verbissen luchelnd. "Eine
hubsche   Rosenknospe   trugst   du   da",   sage   ich.    "Bist   du   auf
Freiersfußen? Oder ist das einfache Freude an der Natur?"
     "Eduard hat ein sehr feines Gefuhl fur Schunheit", erwidert Gerda.
     "Das hat er",  bestutige ich. "Hattest du das gewuhnliche  Mittagessen?
Lieblose Kunigsberger Klopse in irgendeiner geschmacklosen deutschen Tunke?"
     Gerda lacht. "Eduard, zeig, daß du ein  Kavalier bist!  Laß
mich deine beiden Freunde zum Essen einladen! Sie behaupten dauernd, du
     wurest entsetzlich geizig.  Laß uns ihnen das Gegenteil beweisen.
Wir haben -"
     "Kunigsberger Klops", unterbricht Eduard sie.  "Gut, laden  wir sie zum
Klops ein. Ich werde fur einen extra guten sorgen."
     "Rehrucken", sagt Gerda.
     Eduard  uhnelt  einer   defekten  Dampfmaschine.  "Das  da  sind  keine
Freunde", erklurt er. "Was?"
     "Wir  sind Blutsfreunde, wie  Valentin", sage  ich.  "Erinnerst du dich
noch an unser letztes Gespruch im Dichterklub? Soll ich es laut wieder-
     holen? In welcher Versform dichtest du jetzt?"
     "uber  was habt  ihr gesprochen?"  fragt Gerda. "uber nichts", erwidert
Eduard rasch.  "Die  beiden  hier  sagen nie  ein  wahres  Wort!  Witzbolde,
trostlose Witzbolde sind sie! Wissen nichts vom Ernst des Lebens."
     "Ich muchte wissen, wer außer Totengrubern und Sargtischlern mehr
vom Ernst des Lebens weiß als wir", sage ich.
     "Ach ihr!  Ihr wißt  nur  was von  der Lucherlichkeit des Todes",
erklurt  Gerda plutzlich aus  heiterem  Himmel.  "Und deshalb  versteht  ihr
nichts mehr vom Ernst des Lebens."
     Wir starren sie maßlos verblufft an. Das ist bereits unverkennbar
Eduards  Stil! Ich  fuhle, daß ich auf verlorenem Boden  kumpfe,  gebe
noch nicht auf.
     "Von wem hast du das ?" frage ich. "Du Sybille uber den dunklen Teichen
der Schwermut!"
     Gerda lacht. "Fur euch ist  das Leben immer  gleich beim  Grabstein. So
schnell  geht das  nicht  fur andere Menschen. Eduard zum Beispiel ist  eine
Nachtigall!"
     Eduard  bluht uber  seine fetten  Backen. "Wie  ist  es  also  mit  dem
Rehrucken?" fragt Gerda ihn.
     "Nun, schließlich, warum nicht?"
     Eduard  entschwindet.   Ich  sehe   Gerda   an.  "Bravo!"   sage   ich.
"Erstklassige Arbeit. Was sollen wir davon halten?"
     "Mach  nicht  ein  Gesicht  wie ein Ehemann", erwidert sie. "Freue dich
einfach deines Lebens, fertig."
     "Was ist das Leben?"
     "Das, was gerade passiert."
     "Bravo," sagt Georg. "Und herzlichen Dank fur die Einladung. Wir lieben
Eduard wirklich sehr; er versteht uns nur nicht."
     "Liebst du ihn auch?" frage ich Gerda.
     Sie lacht. "Wie kindisch  er  ist", sagt  sie zu Georg. "Kunnen Sie ihm
nicht  ein bißchen die Augen  daruber  uffnen,  daß  nicht alles
immer sein Eigentum ist? Besonders, wenn er selbst nichts dazu tut."
     "Ich versuche fortwuhrend,  ihn aufzukluren",  erwidert Georg,  "Er hat
nur einen Haufen Hindernisse in sich,  die er  Ideale  nennt.  Wenn  er erst
einmal merkt, daß das euphemistischer Egoismus ist, wird er sich schon
bessern."
     "Was ist euphemistischer Egoismus?"
     "Jugendliche Wichtigtuerei."
     Gerda lacht derartig, daß der Tisch zittert. "Ich habe das nicht
     ungern", erklurt sie "Aber  ohne Abwechslung ermudet es. Tatsachen sind
nun einmal Tatsachen."
     Ich hute mich  zu fragen, ob Tatsachen  wirklich Tatsachen seien. Gerda
sitzt  da, ehrlich und fest,  und wartet  mit  aufgestemmtem  Messer auf die
zweite Portion Rehrucken. Ihr Gesicht ist runder  als fruher; sie hat  schon
zugenommen bei Eduards Kost und strahlt mich an und ist
     nicht im mindesten  verlegen. Weshalb  sollte sie  auch? Was fur Rechte
habe ich tatsuchlich schon an ihr? Und wer betrugt im Augenblick wen?
     "Es ist wahr", sage ich. "Ich bin  mit egoistischen Atavismen  behangen
wie ein Fels mit Moos. Mea culpa!"
     "Recht,  Schatz", erwidert Gerda. "Genieße dein  Leben und  denke
nur, wenn es nutig ist."
     "Wann ist es nutig?"
     "Wenn du Geld verdienen mußt oder vorwurtskommen willst."
     "Bravo",  sagt  Georg  wieder.   In  diesem  Augenblick  erscheint  der
Rehrucken, und das Gespruch stockt.  Eduard uberwacht uns wie eine Bruthenne
ihre Kuken. Es ist das erstemal, daß er  uns unser Essen gunnt. Er hat
ein neues  Lucheln,  aus dem  ich nicht klug werde. Es ist voll  von feister
uberlegenheit,  und er  steckt  es  Gerda  ab  und  zu heimlich  zu  wie ein
Verbrecher jemandem einen Kassiber im Gefungnis.  Aber Gerda hat immer  noch
ihr altes, vullig offenes Lucheln, das sie unschuldig  wie ein Kommunionkind
mir zustrahlt,  wenn Eduard wegsieht. Sie ist junger als ich, aber  ich habe
das Gefuhl, daß sie mindestens vierzig Jahre mehr Erfahrung hat.
     "Iß, Baby", sagt sie.
     Ich esse  mit schlechtem Gewissen und starkem  Mißtrauen, und der
Rehbraten, eine Delikatesse  ersten Ranges,  schmeckt mir  plutzlich  nicht.
"Noch   ein   Stuckchen?"   fragt    Eduard   mich.    "Oder    noch   etwas
Preiselbeersoße?"
     Ich  starre  ihn  an.  Ich habe  das  Gefuhl, als  habe  mein  fruherer
Rekrutenunteroffizier  mir  vorgeschlagen,  ihn  zu kussen.  Auch  Georg ist
alarmiert. Ich  weiß, daß  er nachher behaupten wird,  der Grund
fur Eduards unglaubliche Freigebigkeit sei die Tatsache, daß Gerda mit
ihm bereits  geschlafen habe -  aber das  weiß ich dieses Mal  besser.
Rehrucken kriegt sie nur so lange, wie sie das noch nicht getan hat. Wenn er
sie erst hat, gibt es nur noch Kunigsberger Klopse  mit deutscher Tunke. Und
ich habe keine Sorge, daß Gerda das nicht auch weiß.
     Trotzdem  beschließe  ich,  mit  ihr  nach  dem  Essen   zusammen
wegzugehen.  Vertrauen   ist   zwar  Vertrauen,  aber   Eduard  hat   zuviel
verschiedene Likure in der Bar.
     Still und mit allen  Sternen hungt  die Nacht uber der Stadt. Ich hocke
am  Fenster meines  Zimmers und warte auf Knopf, fur den ich die  Regenruhre
vorbereitet habe. Sie reicht gerade ins Fenster hinein und luuft von da uber
den Toreingang bis  an das  Knopfsche Haus. Dort macht das kurze  Stuck eine
rechtwinklige Biegung zum Hof hin. Man kann aber die Ruhre vom Hof aus nicht
sehen.
     Ich warte und lese  die Zeitung.  Der Dollar ist um weitere zehntausend
Mark hinaufgeklettert. Gestern gab es  nur einen Selbstmord, dafur aber zwei
Streiks. Die Beamten haben nach langem Verhandeln  endlich eine Lohnerhuhung
erhalten, die inzwischen bereits so entwertet ist, daß sie jetzt  kaum
noch  einen Liter  Milch in der  Woche dafur kaufen  kunnen.  Nuchste  Woche
wahrscheinlich nur noch eine Schachtel Streichhulzer. Die Arbeitslosenziffer
ist um  weitere hundertfunfzigtausend  gestiegen.  Unruhen  mehren  sich  im
ganzen  Reich. Neue  Rezepte fur  die Verwertung  von Abfullen  in der Kuche
werden angepriesen. Die  Grippewelle steigt weiter.  Die Erhuhung der Renten
fur die  Alters-  und  Invalidenversicherung ist  einem  Komitee zum Studium
uberwiesen  worden. Man  erwartet in einigen Monaten  einen Bericht daruber.
Die  Rentner und  Invaliden versuchen sich in der Zwischenzeit durch Betteln
oder durch Unterstutzungen von  Bekannten und  Verwandten vor dem Verhungern
zu schutzen.
     Draußen kommen  leise Schritte heran. Ich luge vorsichtig aus dem
Fenster.  Es  ist nicht Knopf; es  ist ein Liebespaar,  das auf Zehenspitzen
durch den Hof in den Garten schleicht. Die Saison ist jetzt in vollem Gange,
und  die Not  der Liebenden ist grußer  als je. Wilke hat recht: Wohin
sollen  sie  gehen,  um  ungesturt zu  sein?  Wenn  sie  versuchen, in  ihre
mublierten  Zimmer zu  schleichen, liegt  die Wirtin auf der Lauer um sie im
Namen der Moral und des Neides wie ein  Engel mit dem Schwert auszutreiben -
in  uffentlichen Anlagen und Gurten werden sie von Polizisten angebrullt und
festgenommen -  fur Hotelzimmer haben sie  kein Geld - wohin sollen sie also
gehen? In  unserem  Hof  sind  sie  ungesturt. Die  grußeren Denkmuler
bieten Schutz vor anderen Paaren; man wird nicht  gesehen, und man kann sich
an sie  anlehnen und in  ihrem Schatten  flustern und sich umarmen, und  die
großen Kreuzdenkmuler sind nach wie vor fur die sturmisch Liebenden an
feuchten Tagen da,  wenn sie sich nicht  am Boden lagern kunnen; dann halten
die Mudchen sich an ihnen fest und  werden von ihren Bewerbern bedrungt, der
Regen  schlugt  in ihre  heißen Gesichter,  der Nebel  weht,  ihr Atem
fliegt stoßweise, und die  Kupfe, deren Haar ihr Geliebter mit  seinen
Fuusten gepackt  hat,  sind  hochgerissen  wie  die wiehernder  Pferde.  Die
Schilder, die ich neulich  angebracht habe, haben nichts genutzt. Wer  denkt
schon an seine Zehen, wenn sein ganzes Dasein in Flammen steht?
     Plutzlich hure ich Knopfs  Schritte in der Gasse. Ich sehe auf die Uhr.
Es ist halb drei;  der Schleifer vieler  Generationen unglucklicher Rekruten
muß   also  schwer   geladen   haben.   Ich   drehe  das   Licht   ab.
Zielbewußt steuert  Knopf sofort  auf den schwarzen  Obelisken zu. Ich
nehme das Ende der Regenruhre, das in  mein Fenster ragt, presse meinen Mund
dicht an die uffnung und sage: "Knopf!"
     Es  klingt hohl am anderen  Ende,  im  Rucken des  Feldwebels, aus  der
Ruhre,  als kume  es  aus einem Grabe.  Knopf  blickt um sich; er weiß
nicht, woher die Stimme kommt. "Knopf!" wiederhole ich. "Schwein! Schumst du
dich nicht? Habe ich dich deshalb erschaffen, damit du suufst und Grabsteine
anpißt, du Sau?"
     Knopf fuhrt wieder herum. "Was?" lallt er. "Wer ist da?"
     "Dreckfink!"  sage  ich,  und  es  klingt  geisterhaft  und unheimlich.
"Fragen  stellst du  auch noch? Hast  du  einen Vorgesetzten zu fragen? Steh
stramm, wenn ich mit dir rede!"
     Knopf starrt sein Haus an, von dem die Stimme kommt. Alle Fenster darin
sind dunkel  und geschlossen. Auch  die Tur ist  zu. Das Rohr  auf der Mauer
sieht  er  nicht."  Steh  stramm,   du  pflichtvergessener  Lump  von  einem
Feldwebel!" sage ich. "Habe  ich dir dafur Litzen am Kragen und einen langen
Subel  verliehen,  damit du Steine beschmutzest,  die  fur  den  Gottesacker
bestimmt  sind?" Und schurfer,  zischend, im Kommandoton: "Konchen zusammen,
wurdeloser Grabsteinnusser!"
     Das Kommando wirkt. Knopf steht stramm, die Hunde an der Hosennaht. Der
Mond spiegelt sich  in  seinen  weit aufgerissenen. Augen. "Knopf", sage ich
mit Gespensterstimme. "Du wirst zum Soldaten zweiter Klasse degradiert, wenn
ich  dich noch einmal erwische! Du  Schandfleck auf der  Ehre  des deutschen
Soldaten und des Vereins aktiver Feldwebel a. D."
     Knopf   horcht,   den   Kopf   etwas  seitlich   hochgereckt,  wie  ein
mondsuchtiger Hund. "Der Kaiser?" flustert er.
     "Knupfe deine  Hose zu und verschwinde!" flustere ich hohl zuruck. "Und
merke dir: Riskiere deine Sauerei noch einmal, und du  wirst  degradiert und
kastriert!  Kastriert  auch!  Und   nun  fort,  du   liederlicher  Zivilist,
marsch-marsch!"
     Knopf stolpert benommen auf seine Haustur los. Gleich darauf bricht das
Liebespaar  wie zwei aufgescheuchte Rehe aus  dem Garten und saust  auf  die
Straße hinaus. Das hatte ich naturlich nicht gewollt.
     14 Der Dichterklub ist bei Eduard versammelt. Der  Ausflug  zum Bordell
ist beschlossen. Otto Bambuss erhofft  davon eine Durchblutung seiner Lyrik;
Hans  Hungermann will sich Anregungen  holen fur seinen "Casanova" und einen
Zyklus in  freien Rhythmen: "Dumon Weib",  und selbst  Matthias  Grund,  der
Dichter  des  Buches  vom   Tode,  glaubt  fur  das  letzte  Delirium  eines
Paranoikers ein paar flotte Details erhaschen zu  kunnen.  "Warum  kommst du
nicht mit, Eduard?" frage ich.
     "Kein Bedurfnis", erklurt er uberlegen. "Habe alles, was ich brauche."
     "So?  Hast  du?"  Ich  weiß, was er  vorspiegeln  will,  und  ich
weiß auch daß er lugt.
     "Er  schluft  mit allen  Zimmermudchen  seines  Hotels",  erklurt  Hans
Hungermann. "Wenn  sie  sich  weigern,  entlußt  er  sie.  Er ist  ein
wahrhafter Volksfreund."
     "Zimmermudchen! Das  wurdest du  tun! Freie Rhythmen,  freie Liebe! Ich
nicht! Nie etwas im eigenen Hause! Alter Wahlspruch."
     "Mit Gusten auch nicht?"
     "Guste." Eduard richtet die Augen zum Himmel. "Da kann man
     sich  naturlich  oft  nicht helfen.  Die  Herzogin von  Bell-Armin  zum
Beispiel - "
     "Was zum Beispiel?" frage ich, als er schweigt.
     Eduard ziert sich. "Ein Kavalier ist diskret."
     Hungermann  bekommt einen Hustenanfall. "Schune Diskretion! Wie alt war
sie? Achtzig?"
     Eduard luchelt veruchtlich - aber im nuchsten  Moment fullt das Lucheln
von  ihm ab wie eine Maske, deren  Knoten gerissen ist; Valentin  Busch  ist
eingetreten. Er  ist  zwar  kein  literarischer Mann,  aber er  hat trotzdem
beschlossen,  mitzumachen.  Er  will  dabeisein,  wenn  Otto  Bambuss  seine
Jungfernschaft verliert. "Wie geht es, Eduard?"  fragt er. "Schun, daß
du noch am  Leben bist,  was ?  Das mit der  Herzogin huttest du sonst nicht
genießen kunnen."
     "Woher  weißt  du,  daß  es  wahr  ist?" frage  ich  vullig
uberrascht.
     "Habe  es  nur draußen im Gang gehurt.  Ihr redet  ziemlich laut.
Habt  wohl schon allerlei getrunken. Immerhin, ich gunne Eduard die Herzogin
von Herzen. Freue mich, daß ich es war, der ihn dafur retten konnte."
     "Es war  lange vor  dem Kriege", erklurt Eduard eilig. Er wittert einen
neuen Anschlag auf seinen Weinkeller.
     "Gut,  gut", erwidert Valentin nachgiebig. "Nach dem  Kriege  wirst  du
auch schon deinen Mann gestanden und Schunes erlebt haben."
     "In diesen Zeiten?"
     "Gerade  in diesen Zeiten!  Wenn  der  Mensch verzweifelt  ist, ist  er
leichter dem Abenteuer zugunglich. Und gerade Herzoginnen, Prinzessinnen und
Grufinnen sind in diesen Jahren sehr verzweifelt. Inflation, Republik, keine
kaiserliche Armee mehr, das kann ein Aristokratenherz schon brechen! Wie ist
es mit einer guten Flasche, Eduard?"
     "Ich  habe jetzt keine Zeit", erwidert Eduard  geistesgegenwurtig. "Tut
mir leid, Valentin,  aber heute geht es nicht. Wir machen mit dem Klub einen
Ausflug."
     "Gehst du denn mit?" frage ich.
     "Naturlich! Als Schatzmeister! Muß ich doch! Dachte vorhin  nicht
daran! Pflicht ist Pflicht."