Gustav Meyrink. Der Golem --------------------------------------------------------------- Gustav Majrink. Golem. Na nemeckom yazyke). Data sozdanie proizvedeniya: 1915 g. Pechatnyj istochnik: Gustav Meyrink. Der Golem, Leipzig, 1916 OCR, Spellcheck: Serge Winitzki --------------------------------------------------------------- Leipzig Kurt Wolff Verlag 1916 Vierter Abdruck. Dezember 1915 Copyright 1915 by Kurt Wolff Verlag Leipzig Kapitelverzeichnis Schlaf Tag I Prag Punsch Nacht Wach Schnee Spuk Licht Not Angst Trieb Weib List Qual Mai Mond Frei SchluYA Schlaf Das Mondlicht fdllt auf das FuYAende meines Bettes und liegt dort wie ein groYAer, heller, flacher Stein. Wenn der Vollmond in seiner Gestalt zu schrumpfen beginnt und seine rechte Seite fdngt an zu verfallen, - wie ein Gesicht, das dem Alter entgegengeht, zuerst an einer Wange Falten zeigt und abmagert, - dann bemdchtigt sich meiner um solche Zeit des Nachts eine tr'be, qualvolle Unruhe. Ich schlafe nicht und wache nicht, und im Halbtraum vermischt sich in meiner Seele Erlebtes mit Gelesenem und Gehcrtem, wie Strcme von verschiedener Farbe und Klarheit zusammenflieYAen. Ich hatte 'ber das Leben des Buddha Gotama gelesen, ehe ich mich niedergelegt, und in tausend Spielarten zog der Satz immer wieder von vorne beginnend durch meinen Sinn: "Eine Krdhe flog zu einem Stein hin, der wie ein St'ck Fett aussah, und dachte: vielleicht ist hier etwas Wohlschmeckendes. Da nun die Krdhe dort nichts Wohlschmeckendes fand, flog sie fort. Wie die Krdhe, die sich dem Stein gendhert, so verlassen wir - wir, die Versucher, - den Asketen Gotama, da wir den Gefallen an ihm verloren haben." Und das Bild von dem Stein, der aussah wie ein St'ck Fett, wdchst ins Ungeheuerliche in meinem Hirn: Ich schreite durch ein ausgetrocknetes FluYAbett und hebe glatte Kiesel auf. Graublaue mit eingesprengtem glitzerndem Staub, 'ber die ich nachgr'ble und nachgr'ble und doch mit ihnen nichts anzufangen weiYA, - dann schwarze mit schwefelgelben Flecken wie die steingewordenen Versuche eines Kindes, plumpe, gesprenkelte Molche nachzubilden. Und ich will sie weit von mir werfen, diese Kiesel, doch immer fallen sie mir aus der Hand, und ich kann sie aus dem Bereich meiner Augen nicht bannen. Alle jene Steine, die je in meinem Leben eine Rolle gespielt, tauchen auf rings um mich her. Manche qudlen sich schwerfdllig ab, sich aus dem Sande ans Licht emporzuarbeiten - wie groYAe schieferfarbene Taschenkrebse, wenn die Flut zur'ckkommt, - und als wollten sie alles daransetzen, meine Blicke auf sich zu lenken, um mir Dinge von unendlicher Wichtigkeit zu sagen. Andere - erschcpft - fallen kraftlos zur'ck in ihre Lccher und geben es auf, je zu Worte zu kommen. Zuweilen fahre ich empor aus dem Ddmmer dieser halben Trdume und sehe f'r einen Augenblick wiederum den Mondschein auf dem gebauschten FuYAende meiner Decke liegen wie einen groYAen, hellen, flachen Stein, um blind von neuem hinter meinem schwindenden BewuYAtsein herzutappen, ruhelos nach jenem Stein suchend, der mich qudlt - der irgendwo verborgen im Schutte meiner Erinnerung liegen muYA und aussieht wie ein St'ck Fett. Eine Regenrchre muYA einst neben ihm auf der Erde gem'ndet haben, male ich mir aus - stumpfwinklig abgebogen, die Rdnder von Rost zerfressen, - und trotzig will ich mir im Geiste ein solches Bild erzwingen, um meine aufgescheuchten Gedanken zu bel'gen und in Schlaf zu lullen. Es gelingt mir nicht. Immer wieder und immer wieder mit alberner Beharrlichkeit behauptet eine eigensinnige Stimme in meinem Innern - unerm'dlich wie ein Fensterladen, den der Wind in regelmdYAigen Zwischenrdumen an die Mauer schlagen ldYAt: es sei das ganz anders, das sei gar nicht der Stein, der wie Fett aussehe. Und es ist von der Stimme nicht loszukommen. Wenn ich hundertmal einwende, alles das sei doch ganz nebensdchlich, so schweigt sie wohl eine kleine Weile, wacht aber dann unvermerkt wieder auf und beginnt hartndckig von neuem: gut, gut, schon recht, es ist aber doch nicht der Stein, der wie ein St'ck Fett aussieht. - Langsam beginnt sich meiner ein unertrdgliches Gef'hl von Hilflosigkeit zu bemdchtigen. Wie es weiter gekommen ist, weiYA ich nicht. Habe ich freiwillig jeden Widerstand aufgegeben, oder haben sie mich 'berwdltigt und geknebelt, meine Gedanken? Ich weiYA nur, mein Kcrper liegt schlafend im Bett, und meine Sinne sind losgetrennt und nicht mehr an ihn gebunden. - Wer ist jetzt "ich", will ich plctzlich fragen; da besinne ich mich, daYA ich doch kein Organ mehr besitze, mit dem ich Fragen stellen kcnnte; dann f'rchte ich, die dumme Stimme werde wieder aufwachen und von neuem das endlose Verhcr 'ber den Stein und das Fett beginnen. Und so wende ich mich ab. Tag Da stand ich plctzlich in einem d'steren Hofe und sah durch einen rctlichen Torbogen gegen'ber - jenseits der engen, schmutzigen StraYAe - einen j'dischen Trcdler an einem Gewclbe lehnen, das an den Mauerrdndern mit altem Eisenger'mpel, zerbrochenen Werkzeugen, verrosteten Steigb'geln und Schlittschuhen und vielerlei anderen abgestorbenen Sachen behangen war. Und dieses Bild trug das qudlend Eintcnige an sich, das alle jene Eindr'cke kennzeichnet, die tagtdglich so und so oft wie Hausierer die Schwelle unserer Wahrnehmung 'berschreiten, und rief in mir weder Neugierde noch Xberraschung hervor. Ich wurde mir bewuYAt, daYA ich schon seit langer Zeit in dieser Umgebung zu Hause war. Auch diese Empfindung hinterlieYA mir trotz ihres Gegensatzes zu dem, was ich doch vor kurzem noch wahrgenommen und wie ich hierher gelangt, keinerlei tieferen Eindruck. - - Ich muYA einmal von einem sonderbaren Vergleich zwischen einem Stein und einem St'ck Fett gehcrt oder gelesen haben, drdngte sich mir plctzlich der Einfall auf, als ich die ausgetretenen Stufen zu meiner Kammer emporstieg und mir 'ber das speckige Aussehen der Steinschwellen fl'chtige Gedanken machte. Da hcrte ich Schritte die oberen Treppen 'ber mir vorauslaufen, und als ich zu meiner T'r kam, sah ich, daYA es die vierzehnjdhrige, rothaarige Rosina des Trcdlers Aaron Wassertrum gewesen war. Ich muYAte dicht an ihr vorbei, und sie stand mit dem R'cken gegen das Stiegengeldnder und bog sich l'stern zur'ck. Ihre schmutzigen Hdnde hatte sie um die Eisenstange gelegt, - zum Halt - und ich sah, wie ihre nackten Unterarme bleich aus dem tr'ben Halbdunkel hervorleuchteten. Ich wich ihren Blicken aus. Mich ekelte vor ihrem zudringlichen Ldcheln und diesem wdchsernen Schaukelpferdgesicht. Sie muYA schwammiges, weiYAes Fleisch haben wie der Axolotl, den ich vorhin im Salamanderkdfig bei dem Vogelhdndler gesehen habe, f'hlte ich. Die Wimpern Rothaariger sind mir widerwdrtig wie die eines Kaninchens. Und ich sperrte auf und schlug rasch die T'r hinter mir zu. - - Von meinem Fenster aus konnte ich den Trcdler Aaron Wassertrum vor seinem Gewclbe stehen sehen. Er lehnte am Eingang der dunklen Wclbung und zwickte mit einer BeiYAzange an seinen Fingerndgeln herum. War die rothaarige Rosina seine Tochter oder seine Nichte? Er hatte keine Dhnlichkeit mit ihr. Unter den Judengesichtern, die ich Tag f'r Tag in der HahnpaYAgasse auftauchen sehe, kann ich deutlich verschiedene Stdmme unterscheiden, die sich so wenig durch die nahe Verwandtschaft der einzelnen Individuen verwischen lassen, wie sich cl und Wasser vermengen wird. Da darf man nicht sagen: die dort sind Br'der oder Vater und Sohn. Der gehcrt zu jenem Stamm und dieser zu einem andern, das ist alles, was sich aus den Gesichtsz'gen lesen ldYAt. Was bewiese es auch, wenn selbst Rosina dem Trcdler dhnlich sdhe! Diese Stdmme hegen einen heimlichen Ekel und Abscheu voreinander, der sogar die Schranken der engen Blutsverwandtschaft durchbricht, - aber sie verstehen ihn geheimzuhalten vor der AuYAenwelt, wie man ein gefdhrliches Geheimnis h'tet. Kein einziges ldYAt ihn durchblicken, und in dieser Xbereinstimmung gleichen sie haYAerf'llten Blinden, die sich an ein schmutzgetrdnktes Seil klammern: der eine mit beiden Fdusten, ein anderer nur widerwillig mit einem Finger, alle aber von abergldubischer Furcht besessen, daYA sie dem Untergang verfallen m'ssen, sobald sie den gemeinsamen Halt aufgeben und sich von den 'brigen trennen. Rosina ist von jenem Stamme, dessen rothaariger Typus noch abstoYAender ist, als der der andern. Dessen Mdnner engbr'stig sind und lange H'hnerhdlse haben mit vorstehendem Adamsapfel. Alles scheint an ihnen sommersprossig, und ihr ganzes Leben leiden sie unter br'nstigen Qualen, diese Mdnner, - und kdmpfen heimlich gegen ihre Gel'ste einen ununterbrochenen, erfolglosen Kampf, von immerwdhrender widerlicher Angst um ihre Gesundheit gefoltert. Ich war mir nicht klar, wieso ich Rosina 'berhaupt in verwandtschaftliche Beziehungen mit dem Trcdler Wassertrum bringen konnte. Nie habe ich sie doch in der Ndhe des Alten gesehen oder bemerkt, daYA sie jemals einander etwas zugerufen hdtten. Auch war sie fast immer in unserem Hofe oder dr'ckte sich in den dunklen Winkeln und Gdngen unseres Hauses umher. Sicherlich halten sie alle meine Mitbewohner f'r eine nahe Verwandte oder zumindest Schutzbefohlene des Trcdlers, und doch bin ich 'berzeugt, daYA kein einziger einen Grund f'r solche Vermutungen anzugeben vermcchte. Ich wollte meine Gedanken von Rosina losreiYAen und sah von dem offenen Fenster meiner Stube hinab auf die HahnpaYAgasse. Als habe Aaron Wassertrum meinen Blick gef'hlt, wandte er plctzlich sein Gesicht zu mir empor. Sein starres, grdYAliches Gesicht mit den runden Fischaugen und der klaffenden Oberlippe, die von einer Hasenscharte gespalten ist. Wie eine menschliche Spinne kam er mir vor, die die feinste Ber'hrung ihres Netzes sp'rt, so teilnahmslos sie sich auch stellt. Und wovon er nur leben mag? Was denkt er, und was ist sein Vorhaben? Ich wuYAte es nicht. An den Mauerrdndern seines Gewclbes hdngen unverdndert Tag f'r Tag, jahraus jahrein dieselben toten wertlosen Dinge. Mit geschlossenen Augen hdtte ich sie hinzeichnen kcnnen: hier die verbogene Blechtrompete ohne Klappen, das vergilbte Bild auf Papier gemalt, mit den so sonderbar zusammengestellten Soldaten. Dann eine Girlande verrosteter Sporen an einem schimmligen Lederriemen und anderes halb vermodertes Ger'mpel. Und vorne auf dem Boden, dicht nebeneinander geschichtet, so daYA niemand die Schwelle des Gewclbes 'berschreiten kann, eine Reihe runder eiserner Herdplatten. - Alle diese Dinge nahmen an Zahl nie zu, nie ab, und blieb wirklich hier und da einmal ein Vor'bergehender stehen und fragte nach dem Preis des einen oder andern, geriet der Trcdler in heftige Erregung. In grauenerregender Weise zog er dann seine Lippen mit der Hasenscharte empor und sprudelte gereizt irgend etwas Unverstdndliches in einem gurgelnden, stolpernden BaYA hervor, daYA dem Kdufer die Lust weiter zu fragen verging und er abgeschreckt seinen Weg fortsetzte. Der Blick des Aaron Wassertrum war blitzschnell von meinen Augen abgeglitten und ruhte jetzt mit gespanntem Interesse an den kahlen Mauern, die vom Nebenhause an mein Fenster stoYAen. Was konnte er dort nur sehen? Das Haus steht doch mit dem R'cken gegen die HahnpaYAgasse, und seine Fenster blicken in den Hof! Nur eines ist in die StraYAe gekehrt. Zufdllig schienen die Rdume, die nebenan in derselben Stockhche wie die meinigen liegen - ich glaube, sie gehcren zu einem winkligen Atelier - in diesem Moment betreten worden zu sein, denn durch die Mauern hcrte ich plctzlich eine mdnnliche und eine weibliche Stimme miteinander reden. Unmcglich konnte das aber der Trcdler von unten aus wahrgenommen haben! - - Vor meiner T'r bewegte sich jemand, und ich erriet: es ist immer noch Rosina, die drauYAen im Dunkeln steht in begehrlichem Warten, daYA ich sie doch vielleicht zu mir hereinrufen wolle. Und unten, ein halbes Stockwerk tiefer, lauert der blatternarbige, halbw'chsige Loisa auf den Stiegen mit angehaltenem Atem, ob ich die T'r cffnen werde, und ich sp're fcrmlich den Hauch seines Hasses und seine schdumende Eifersucht bis herauf zu mir. Er f'rchtet sich ndher zu kommen und von Rosina bemerkt zu werden. Er weiYA sich von ihr abhdngig wie ein hungriger Wolf von seinem Wdrter und mcchte doch am liebsten aufspringen und besinnungslos seiner Wut die Z'gel schieYAen lassen! - - - Ich setzte mich an meinen Arbeitstisch und suchte meine Pinzetten und Stichel hervor. Aber ich konnte nichts fertigbringen und meine Hand war nicht ruhig genug, die feinen japanischen Gravierungen auszubessern. Das tr'be, d'stere Leben, das an diesem Hause hdngt, ldYAt mein Gem't nicht stillwerden, und immer tauchen alte Bilder in mir auf. Loisa und sein Zwillingsbruder Jaromir sind wohl kaum ein Jahr dlter als Rosina. An ihren Vater, der Hostienbdcker gewesen, konnte ich mich kaum mehr erinnern, und jetzt sorgt f'r sie, glaube ich, ein altes Weib. Ich wuYAte nur nicht, welche es war unter den vielen, die versteckt im Hause wohnen wie Krcten in ihrem Schlupfwinkel. Sie sorgt f'r die beiden Jungen, das heiYAt: sie gewdhrt ihnen Unterkunft; daf'r m'ssen sie ihr abliefern, was sie gelegentlich stehlen oder erbetteln. - Ob sie ihnen wohl auch zu essen gibt? Ich konnte es mir nicht denken, denn erst spdt abends kommt die Alte heim. Leichenwdscherin soll sie sein. Loisa, Jaromir und Rosina sah ich, als sie noch Kinder waren, oft harmlos im Hof zu dritt spielen. Die Zeit aber ist lang vorbei. Den ganzen Tag ist Loisa jetzt hinter dem rothaarigen Judenmddel her. Zuweilen sucht er sie lange umsonst, und wenn er sie nirgends finden kann, dann schleicht er sich vor meine T'r und wartet mit verzerrtem Gesicht, daYA sie heimlich hierher komme. Da sehe ich ihn, wenn ich bei meiner Arbeit sitze, im Geiste drauYAen in dem winkligen Gange lauern, den Kopf mit dem ausgemergelten Genick horchend vorgebeugt. Manchmal bricht dann durch die Stille plctzlich ein wilder Ldrm. Jaromir, der taubstumm ist, und dessen ganzes Denken eine ununterbrochene wahnsinnige Gier nach Rosina erf'llt, irrt wie ein wildes Tier im Hause umher, und sein unartikuliertes heulendes Gebell, das er, vor Eifersucht und Argwohn halb von Sinnen, ausstcYAt, klingt so schauerlich, daYA einem das Blut in den Adern stockt. Er sucht die beiden, die er stets beieinander vermutet - irgendwo in einem der tausend schmutzigen Schlupfwinkel versteckt - in blinder Raserei, immer von dem Gedanken gepeitscht, seinem Bruder auf den Fersen sein zu m'ssen, daYA nichts mit Rosina vorgehe, von dem er nicht wisse. Und gerade diese unaufhcrliche Qual des Kr'ppels ist, ahnte ich, das Reizmittel, das Rosina antreibt, sich stets von neuem mit dem andern einzulassen. Wird ihre Neigung oder Bereitwilligkeit schwdcher, so ersinnt Loisa immer wieder besondere ScheuYAlichkeiten, um Rosinas Gier von neuem zu entfachen. Da lassen sie sich scheinbar oder wirklich von dem Taubstummen ertappen und locken den Rasenden heimt'ckisch hinter sich her in dunkle Gdnge, wo sie aus rostigen FaYAreifen, die in die Hche schnellen, wenn man auf sie tritt, und eisernen Rechen - mit den Spitzen nach oben gekehrt - bcsartige Fallen errichtet haben, in die er st'rzen muYA und sich blutig fdllt. Von Zeit zu Zeit denkt sich Rosina, um die Folter aufs duYAerste anzuspannen, auf eigene Faust etwas Hcllisches aus. Dann dndert sie mit einem Schlage ihr Benehmen zu Jaromir und tut, als fdnde sie plctzlich Gefallen an ihm. Mit ihrer ewig ldchelnden Miene teilt sie dem Kr'ppel hastig Dinge mit, die ihn in eine fast irrsinnige Erregung versetzen, und sie hat sich dazu eine geheimnisvoll scheinende, nur halbverstdndliche Zeichensprache ersonnen, die den Taubstummen rettungslos in ein unentwirrbares Netz von UngewiYAheit und verzehrenden Hoffnungen verstricken muYA. - Einmal sah ich ihn im Hofe vor ihr stehen, und sie sprach mit so heftigen Lippenbewegungen und Gestikulationen auf ihn ein, daYA ich glaubte, jeden Augenblick w'rde er in wilder Aufregung zusammenbrechen. Der SchweiYA lief ihm 'bers Gesicht vor 'bermenschlicher Anstrengung, den Sinn der absichtlich so unklaren, hastigen Mitteilungen zu erfassen. Und den ganzen folgenden Tag lauerte er dann fiebernd in Erwartung auf den finsteren Stiegen eines halb versunkenen Hauses, das in der Fortsetzung der engen, schmutzigen HahnpaYAgasse liegt, - bis er die Zeit versdumt hatte, sich an den Ecken ein paar Kreuzer zu erbetteln. Und als er spdt abends halbtot vor Hunger und Aufregung heim wollte, hatte ihn die Pflegemutter ldngst ausgesperrt. - - - 0x01 graphic Ein frchliches Frauenlachen drang aus dem anstoYAenden Atelier durch die Mauern her'ber zu mir. Ein Lachen! - In diesen Hdusern ein frchliches Lachen? Im ganzen Getto wohnt niemand, der frchlich lachen kcnnte. Da fiel mir ein, daYA mir vor einigen Tagen der alte Marionettenspieler Zwakh anvertraute, ein junger, vornehmer Herr hdtte ihm das Atelier teuer abgemietet - offenbar, um mit der Erwdhlten seines Herzens unbelauscht zusammenkommen zu kcnnen. Nach und nach, jede Nacht, m'YAten nun, damit niemand im Hause etwas merke, die kostbaren Mcbel des neuen Mieters heimlich St'ck f'r St'ck hinaufgeschafft werden. Der gutm'tige Alte hatte sich vor Vergn'gen die Hdnde gerieben, als er es mir erzdhlte, und sich kindlich gefreut, wie er alles so geschickt angefangen habe: keiner der Mitbewohner kcnne auch nur eine Ahnung von dem romantischen Liebespaar haben. Und von drei Hdusern aus sei es mcglich, unauffdllig in das Atelier zu gelangen. - Sogar durch eine Fallt're gdbe es einen Zugang! Ja, wenn man die eiserne T'r des Bodenraumes aufklinke, - und das sei von dr'ben aus sehr leicht, - kcnne man an meiner Kammer, vorbei zu den Stiegen unseres Hauses gelangen und diese als Ausgang ben'tzen ... Wieder klingt das frchliche Lachen her'ber und ldYAt in mir die undeutliche Erinnerung an eine luxuricse Wohnung und an eine adlige Familie auftauchen, zu der ich oft gerufen wurde, um an kostbaren Altert'mern kleine Ausbesserungen vorzunehmen. - Plctzlich hcre ich nebenan einen gellenden Schrei. Ich horche erschreckt. Die eiserne Bodent'r klirrt heftig, und im ndchsten Augenblick st'rzt eine Dame in mein Zimmer. Mit aufgelcstem Haar, weiYA wie die Wand, einen goldenen Brokatstoff 'ber die bloYAen Schultern geworfen. "Meister Pernath, verbergen Sie mich, - um Gottes Christi willen! - fragen Sie nicht, verbergen Sie mich hier!" Ehe ich noch antworten konnte, wurde meine T'r abermals aufgerissen und sofort wieder zugeschlagen. - Eine Sekunde lang hatte das Gesicht des Trcdlers Aaron Wassertrum wie eine scheuYAliche Maske hereingegrinst. - 0x01 graphic Ein runder, leuchtender Fleck taucht vor mir auf, und im Schein des Mondlichtes erkenne ich wiederum das FuYAende meines Bettes. Noch liegt der Schlaf auf mir wie ein schwerer, wolliger Mantel und der Name Pernath steht in goldenen Buchstaben vor meiner Erinnerung. Wo nur habe ich diesen Namen gelesen? - Athanasius Pernath? Ich glaube, ich glaube vor langer, langer Zeit habe ich einmal irgendwo meinen Hut verwechselt, und ich wunderte mich damals, daYA er mir so genau passe, wo ich doch eine hcchst eigent'mliche Kopfform habe. Und ich sah in den fremden Hut hinein - damals und - - ja, ja, dort hatte es gestanden in goldenen Papierbuchstaben auf dem weiYAen Futter: ATHANASIUS PERNATH. Ich hatte mich vor dem Hut gescheut und gef'rchtet, ich wuYAte nicht warum. Da fdhrt plctzlich die Stimme, die ich vergessen hatte, und die immer von mir wissen wollte, wo der Stein ist, der wie Fett ausgesehen habe, auf mich los, gleich einem Pfeil. Schnell male ich mir das scharfe, s'YAlich grinsende Profil der roten Rosina aus, und es gelingt mir auf diese Weise, dem Pfeil auszuweichen, der sich sogleich in der Finsternis verliert. Ja, das Gesicht der Rosina! Das ist doch noch stdrker als die stumpfsinnige plappernde Stimme; und gar, wo ich jetzt gleich wieder in meinem Zimmer in der HahnpaYAgasse geborgen sein werde, kann ich ganz ruhig sein. I Wenn ich mich nicht getduscht habe in der Empfindung, daYA jemand in einem gewissen, gleichbleibenden Abstand hinter mir die Treppe heraufkommt, in der Absicht, mich zu besuchen, so muYA er jetzt ungefdhr auf dem letzten Stiegenabsatz stehen. Jetzt biegt er um die Ecke, wo der Archivar Schemajah Hillel seine Wohnung hat, und kommt von den ausgetretenen Steinfliesen auf den Flur des oberen Stockwerkes, der mit roten Ziegeln ausgelegt ist. Nun tastet er sich an der Wand entlang, und jetzt, gerade jetzt, muYA er, m'hsam im Finstern buchstabierend, meinen Namen auf dem T'rschild lesen. Und ich stellte mich aufrecht in die Mitte des Zimmers und blickte zum Eingang. Da cffnete sich die T're, und er trat ein. Nur wenige Schritte machte er auf mich zu und nahm weder den Hut ab, noch sagte er ein Wort der Begr'YAung. So benimmt er sich, wenn er zu Hause ist, f'hlte ich, und ich fand es ganz selbstverstdndlich, daYA er so und nicht anders handelte. Er griff in die Tasche und nahm ein Buch heraus. Dann bldtterte er lange drin herum. Der Umschlag des Buches war aus Metall, und die Vertiefungen in Form von Rosetten und Siegeln waren mit Farbe und kleinen Steinen ausgef'llt. Endlich hatte er die Stelle gefunden, die er suchte, und deutete darauf. Das Kapitel hieYA "Ibbur", "die Seelenschwdngerung", entzifferte ich. Das groYAe, in Gold und Rot ausgef'hrte Initial "I" nahm fast die Hdlfte der ganzen Seite ein, die ich unwillk'rlich 'berflog, und war am Rande verletzt. Ich sollte es ausbessern. Das Initial war nicht auf das Pergament geklebt, wie ich es bisher in alten B'chern gesehen, schien vielmehr aus zwei Platten d'nnen Goldes zu bestehen, die im Mittelpunkte zusammengelctet waren und mit den Enden um die Rdnder des Pergaments griffen. Also muYAte, wo der Buchstabe stand, ein Loch in das Blatt geschnitten sein? Wenn das der Fall war, muYAte auf der ndchsten Seite das "I" verkehrt stehen? Ich bldtterte um und fand meine Annahme bestdtigt. Unwillk'rlich las ich auch diese Seite durch und die gegen'berliegende. Und ich las weiter und weiter. Das Buch sprach zu mir, wie der Traum spricht, klarer nur und viel deutlicher. Und es r'hrte mein Herz an wie eine Frage. Worte strcmten aus einem unsichtbaren Munde, wurden lebendig und kamen auf mich zu. Sie drehten sich und wandten sich vor mir wie buntgekleidete Sklavinnen, sanken dann in den Boden oder verschwanden wie schillernder Dunst in der Luft und gaben der ndchsten Raum. Jede hoffte eine kleine Weile, daYA ich sie erwdhlen w'rde und auf den Anblick der Kommenden verzichten. Manche waren unter ihnen, die gingen prunkend einher wie Pfauen, in schimmernden Gewdndern, und ihre Schritte waren langsam und gemessen. Manche wie Kcniginnen, doch gealtert und verlebt, die Augenlider gefdrbt, - mit dirnenhaftem Zug um den Mund und die Runzeln mit hdYAlicher Schminke verdeckt. Ich sah an ihnen vorbei und nach den kommenden, und mein Blick glitt 'ber lange Z'ge grauer Gestalten mit Gesichtern, so gewchnlich und ausdrucksarm, daYA es unmcglich schien, sie dem Geddchtnis einzuprdgen. Dann brachten sie ein Weib geschleppt, das war splitternackt und riesenhaft wie ein ErzkoloYA. Eine Sekunde blieb das Weib vor mir stehen und beugte sich nieder zu mir. Ihre Wimpern waren so lang wie mein ganzer Kcrper, und sie deutete stumm auf den Puls ihrer linken Hand. Der schlug wie ein Erdbeben, und ich f'hlte, es war das Leben einer ganzen Welt in ihr. Aus der Ferne raste ein Korybantenzug heran. Ein Mann und ein Weib umschlangen sich. Ich sah sie von weitem kommen, und immer ndher brauste der Zug. Jetzt hcrte ich den hallenden Gesang der Verz'ckten dicht vor mir, und meine Augen suchten das verschlungene Paar. Das aber hatte sich verwandelt in eine einzige Gestalt und saYA, halb mdnnlich, halb weiblich, - ein Hermaphrodit - auf einem Throne von Perlmutter. Und die Krone des Hermaphroditen endete in einem Brett aus rotem Holz; darein hatte der Wurm der Zerstcrung geheimnisvolle Runen genagt. In einer Staubwolke kam eilig hinterdreingetrappelt eine Herde kleiner, blinder Schafe: die Futtertiere, die der gigantische Zwitter in seinem Gefolge f'hrte, seine Korybantenschar am Leben zu erhalten. Zuweilen waren unter den Gestalten, die aus dem unsichtbaren Munde strcmten, etliche, die kamen aus Grdbern, - T'cher vor dem Gesicht. Und blieben sie vor mir stehen, lieYAen sie plctzlich ihre H'llen fallen und starrten mit Raubtieraugen hungrig auf mein Herz, daYA ein eisiger Schreck mir ins Hirn fuhr und sich mein Blut zur'ckstaute wie ein Strom, in den Felsblccke vom Himmel herniedergefallen sind - plctzlich und mitten in sein Bette. - Eine Frau schwebte an mir vorbei. Ich sah ihr Antlitz nicht, sie wandte es ab, und sie trug einen Mantel aus flieYAenden Trdnen. - Maskenz'ge tanzten vor'ber, lachten und k'mmerten sich nicht um mich. Nur ein Pierrot sieht sich nachdenklich um nach mir und kehrt zur'ck. Pflanzt sich vor mich hin und blickt in mein Gesicht hinein, als sei es ein Spiegel. Er schneidet so seltsame Grimassen, hebt und bewegt seine Arme, bald zcgernd, bald blitzschnell, daYA sich meiner ein gespenstiger Trieb bemdchtigt ihn nachzuahmen, mit den Augen zu zwinkern, mit den Achseln zu zucken und die Mundwinkel zu verziehen. Da stoYAen ihn ungeduldig nachdrdngende Gestalten zur Seite, die alle vor meine Blicke wollen. Doch keines der Wesen hat Bestand. Gleitende Perlen sind sie, auf eine Seidenschnur gereiht, die einzelnen Tcne nur einer Melodie, die dem unsichtbaren Mund entstrcmen. Das war kein Buch mehr, das zu mir sprach. Das war eine Stimme. Eine Stimme, die etwas von mir wollte, was ich nicht begriff; wie sehr ich mich auch abm'hte. Die mich qudlte mit brennenden, unverstdndlichen Fragen. Die Stimme aber, die diese sichtbaren Worte redete, war abgestorben und ohne Widerhall. Jeder Laut, der in der Welt der Gegenwart erklingt, hat viele Echos, wie jegliches Ding einen groYAen Schatten hat und viele kleine Schatten, doch diese Stimme hatte keine Echos mehr, - lange, lange schon sind sie wohl verweht und verklungen. - - - Und bis zu Ende hatte ich das Buch gelesen und hielt es noch in den Hdnden, da war mir, als hdtte ich suchend in meinem Gehirn gebldttert und nicht in einem Buche! - - Alles, was mir die Stimme gesagt, hatte ich, seit ich lebte, in mir getragen, nur verdeckt war es gewesen und vergessen und hatte sich vor meinem Denken versteckt gehalten bis auf den heutigen Tag. - 0x01 graphic Ich blickte auf. Wo war der Mann, der mir das Buch gebracht hatte? Fortgegangen!? Wird er es holen, wenn es fertig ist? Oder sollte ich es ihm bringen? - Aber ich konnte mich nicht erinnern, daYA er gesagt hdtte, wo er wohne. Ich wollte mir seine Erscheinung ins Geddchtnis zur'ckrufen, doch es miYAlang. Wie war er nur gekleidet gewesen? War er alt, war er jung? - Und welche Farben hatten sein Haar und sein Bart gehabt? Nichts, gar nichts mehr konnte ich mir vorstellen. - Alle Bilder, die ich mir von ihm schuf, zerrannen haltlos, noch ehe ich sie im Geiste zusammenzusetzen vermochte. Ich schloYA die Augen und preYAte die Hand auf die Lider, um einen winzigen Teil nur seines Bildnisses zu erhaschen. Nichts, nichts. Ich stellte mich hin, mitten ins Zimmer, und blickte auf die T'r, wie ich es getan - vorhin, als er gekommen war, und malte mir aus: jetzt biegt er um die Ecke, jetzt schreitet er 'ber den Ziegelsteinboden, liest jetzt drauYAen mein T'rschild "Athanasius Pernath" und jetzt tritt er herein. Vergebens. Nicht die leiseste Spur einer Erinnerung, wie seine Gestalt ausgesehen, wollte in mir erwachen. Ich sah das Buch auf dem Tische liegen und w'nschte mir im Geiste die Hand dazu, die es aus der Tasche gezogen und mir gereicht hatte. Nicht einmal, ob sie einen Handschuh getragen, ob sie entblcYAt gewesen, ob jung oder runzlig, mit Ringen geschm'ckt oder nicht, konnte ich mich entsinnen. Da kam mir ein seltsamer Einfall. Wie eine Eingebung war es, der man nicht widerstehen darf. Ich zog meinen Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus auf den Gang und die Treppen hinab. Dann kam ich langsam wieder zur'ck in mein Zimmer. Langsam, ganz langsam, so wie er, als er gekommen war. Und als ich die T'r cffnete, da sah ich, daYA meine Kammer voll Ddmmerung lag. War es denn nicht heller Tag noch gewesen, als ich soeben hinausging? Wie lange muYAte ich da gegr'belt haben, daYA ich nicht bemerkte, wie spdt es ist! Und ich versuchte den Unbekannten nachzuahmen in Gang und Mienen und konnte mich an sie doch gar nicht erinnern. - Wie sollte es mir auch gl'cken, ihn nachzuahmen, wenn ich keinen Anhaltspunkt mehr hatte, wie er ausgesehen haben mochte. Aber es kam anders. Ganz anders, als ich dachte. Meine Haut, meine Muskeln, mein Kcrper erinnerten sich plctzlich, ohne es dem Gehirn zu verraten. Sie machten Bewegungen, die ich nicht w'nschte und nicht beabsichtigte. Als ob meine Glieder nicht mehr mir gehcrten! Mit einem Male war mein Gang tappend und fremdartig geworden, als ich ein paar Schritte im Zimmer machte. Das ist der Gang eines Menschen, der bestdndig im Begriffe ist, vorn'ber zu fallen, sagte ich mir. Ja, ja, ja, so war sein Gang! Ganz deutlich wuYAte ich: so ist er. Ich trug ein fremdes, bartloses Gesicht mit hervorstehenden Backenknochen und schaute aus schrdgstehenden Augen. Ich f'hlte es und konnte mich doch nicht sehen. Das ist nicht mein Gesicht, wollte ich entsetzt aufschreien, wollte es betasten, doch meine Hand folgte meinem Willen nicht und senkte sich in die Tasche und holte ein Buch hervor. Ganz so, wie er es vorhin getan hatte. - Da plctzlich sitze ich wieder ohne Hut, ohne Mantel, am Tische und bin ich. Ich, ich. Athanasius Pernath. Grausen und Entsetzen sch'ttelten mich, mein Herz raste zum Zerspringen, und ich f'hlte: gespenstische Finger, die soeben noch in meinem Gehirn herumgetastet, haben von mir abgelassen. Noch sp'rte ich im Hinterkopf die kalten Spuren ihrer Ber'hrung. - Nun wuYAte ich, wie der Fremde war, und ich hdtte ihn wieder in mir f'hlen kcnnen, - jeden Augenblick - wenn ich nur gewollt hdtte; aber sein Bild mir vorzustellen, daYA ich es vor mir sehen w'rde Auge in Auge - das vermochte ich noch immer nicht und werde es auch nie kcnnen. Es ist wie ein Negativ, eine unsichtbare Hohlform, erkannte ich, deren Linien ich nicht erfassen kann - in die ich selber hineinschl'pfen muYA, wenn ich mir ihrer Gestalt und ihres Ausdrucks im eigenen Ich bewuYAt werden will - - In der Schublade meines Tisches stand eine eiserne Kassette; - in diese wollte ich das Buch sperren und erst, wenn der Zustand der geistigen Krankheit von mir gewichen sein w'rde, wollte ich es wieder hervorholen und an die Ausbesserung des zerbrochenen Initialen "I" gehen. Und ich nahm das Buch vom Tisch. Da war mir, als hdtte ich es gar nicht angefaYAt; ich griff die Kassette an: dasselbe Gef'hl. Als m'YAte das Tastempfinden eine lange, lange Strecke voll tiefer Dunkelheit durchlaufen, ehe es in meinem BewuYAtsein m'ndete, als seien die Dinge durch eine jahresgroYAe Zeitschicht von mir entfernt und gehcrten einer Vergangenheit an, die ldngst an mir vor'bergezogen! 0x01 graphic Die Stimme, die nach mir suchend in der Finsternis kreist, um mich mit dem fettigen Stein zu qudlen, ist an mir vorbeigekommen und hat mich nicht gesehen. Und ich weiYA, daYA sie aus dem Reiche des Schlafes stammt. Aber was ich erlebt, das war wirkliches Leben, - darum konnte sie mich nicht sehen und sucht vergeblich nach mir, f'hle ich. Prag Neben mir stand der Student Charousek, den Kragen seines d'nnen, fadenscheinigen Xberziehers aufgeschlagen, und ich hcrte, wie ihm vor Kdlte die Zdhne aufeinanderschlugen. Er kann sich den Tod holen in diesem zugigen, eisigen Torbogen, sagte ich mir, und ich forderte ihn auf, mit hin'ber in meine Wohnung zu kommen. Er aber lehnte ab. "Ich danke Ihnen, Meister Pernath," murmelte er frcstelnd, "leider habe ich nicht mehr so viel Zeit 'brig; - ich muYA eilends in die Stadt. - Auch w'rden wir bis auf die Haut naYA, wenn wir jetzt auf die Gasse treten wollten - schon nach wenigen Schritten! - - Der Platzregen will nicht schwdcher werden!" Die Wasserschauer fegten 'ber die Ddcher hin und liefen an den Gesichtern der Hduser herunter wie ein Trdnenstrom. Wenn ich den Kopf ein wenig vorbog, konnte ich da dr'ben im vierten Stock mein Fenster sehen, das, vom Regen 'berrieselt, aussah, als seien seine Scheiben aufgeweicht, - undurchsichtig und hcckerig geworden wie Hausenblase. Ein gelber Schmutzbach floYA die Gasse herab, und der Torbogen f'llte sich mit Vor'bergehenden, die alle das Nachlassen des Unwetters abwarten wollten. "Dort schwimmt ein Brautbukett", sagte plctzlich Charousek und deutete auf einen StrauYA aus welken Myrten, der in dem Schmutzwasser vorbeigetrieben kam. Dar'ber lachte jemand hinter uns laut auf. Als ich mich umdrehte, sah ich, daYA es ein alter, vornehm gekleideter Herr mit weiYAem Haar und einem aufgedunsenen, krctenartigen Gesicht gewesen war. Charousek blickte ebenfalls einen Augenblick zur'ck und brummte etwas vor sich hin. Unangenehmes ging von dem Alten aus; - ich wandte meine Aufmerksamkeit von ihm ab und musterte die miYAfarbigen Hduser, die da vor meinen Augen wie verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinander hockten. Wie unheimlich und verkommen sie alle aussahen! Ohne Xberlegung hingebaut standen sie da, wie Unkraut, das aus dem Boden dringt. An eine niedrige, gelbe Steinmauer, den einzigen standhaltenden Xberrest eines fr'heren, langgestreckten Gebdudes, hat man sie angelehnt - vor zwei, drei Jahrhunderten, wie es eben kam, ohne R'cksicht auf die 'brigen zu nehmen. Dort ein halbes, schiefwinkliges Haus mit zur'ckspringender Stirn; - ein andres daneben: vorstehend wie ein Eckzahn. Unter dem tr'ben Himmel sahen sie aus, als ldgen sie im Schlaf, und man sp'lte nichts von dem t'ckischen, feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen ausstrahlt, wenn der Nebel der Herbstabende in den Gassen liegt und ihr leises, kaum merkliches Mienenspiel verbergen hilft. In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck in mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des Nachts und im fr'hesten Morgengrauen f'r sie gdbe, wo sie erregt eine lautlose, geheimnisvolle Beratung pflegen. Und manchmal fdhrt da ein schwaches Beben durch ihre Mauern, das sich nicht erkldren ldYAt, Gerdusche laufen 'ber ihre Ddcher und fallen in den Regenrinnen nieder, - und wir nehmen sie mit stumpfen Sinnen achtlos hin, ohne nach ihrer Ursache zu forschen. Oft trdumte mir, ich hdtte diese Hduser belauscht in ihrem spukhaften Treiben und mit angstvollem Staunen erfahren, daYA sie die heimlichen, eigentlichen Herren der Gasse seien, sich ihres Lebens und F'hlens entduYAern und es wieder an sich ziehen kcnnen, - es tags'ber den Bewohnern, die hier hausen, borgen, um es in kommender Nacht mit Wucherzinsen wieder zur'ckzufordern. Und lasse ich die seltsamen Menschen, die in ihnen wohnen wie Schemen, wie Wesen - nicht von M'ttern geboren, - die in ihrem Denken und Tun wie aus St'cken wahllos zusammengef'gt scheinen, im Geiste an mir vor'berziehen, so bin ich mehr denn je geneigt zu glauben, daYA solche Trdume in sich dunkle Wahrheiten bergen, die mir im Wachsein nur noch wie Eindr'cke von farbigen Mdrchen in der Seele fortglimmen. Dann wacht in mir heimlich die Sage von dem gespenstischen Golem, jenem k'nstlichen Menschen, wieder auf, den einst hier im Getto ein kabbalakundiger Rabbiner aus dem Elemente formte und ihn zu einem gedankenlosen automatischen Dasein berief, indem er ihm ein magisches Zahlenwort hinter die Zdhne schob. Und wie jener Golem zu einem Lehmbild in derselben Sekunde erstarrte, in der die geheime Silbe des Lebens aus seinem Munde genommen ward, so m'YAten auch, d'nkt mich, alle diese Menschen entseelt in einem Augenblick zusammenfallen, lcschte man irgendeinen winzigen Begriff, ein nebensdchliches Streben, vielleicht eine zwecklose Gewohnheit bei dem einen, bei einem andern gar nur ein dumpfes Warten auf etwas gdnzlich Unbestimmtes, Haltloses - in ihrem Hirn aus. Was ist dabei f'r ein immerwdhrendes, schreckhaftes Lauern in diesen Geschcpfen! Niemals sieht man sie arbeiten, diese Menschen, und dennoch sind sie fr'h beim ersten Leuchten des Morgens wach und warten mit angehaltenem Atem - wie auf ein Opfer, das doch nie kommt. Und hat es wirklich einmal den Anschein, als trdte jemand in ihren Bereich, irgendein Wehrloser, an dem sie sich bereichern kcnnten, dann fdllt plctzlich eine ldhmende Angst 'ber sie her, scheucht sie in ihre Winkel zur'ck und ldYAt sie von jeglichem Vorhaben zitternd abstehen. Niemand scheint schwach genug, daYA ihnen noch so viel Mut bliebe, sich seiner zu bemdchtigen. "Entartete, zahnlose Raubtiere, von denen die Kraft und die Waffe genommen ist", sagte Charousek zcgernd und sah mich an. - Wie konnte er wissen, woran ich dachte? - So stark facht man zuweilen seine Gedanken an, daYA sie imstande sind, auf das Gehirn des Nebenstehenden 'berzuspringen wie spr'hende Funken, f'hlte ich. "- - - wovon sie nur leben mcgen?" sagte ich nach einer Weile. "Leben? Wovon? Mancher unter ihnen ist ein Milliondr!" Ich blickte Charousek an. Was konnte er damit meinen! Der Student aber schwieg und sah nach den Wolken. F'r einen Augenblick hatte das Stimmengemurmel in dem Torbogen gestockt, und man hcrte bloYA das Zischen des Regens. Was er nur damit sagen will: "Mancher unter ihnen ist ein Milliondr!?" Wieder war es, als hdtte Charousek meine Gedanken erraten. Er wies nach dem Trcdlerladen neben uns, an dem das Wasser den Rost des Eisenger'mpels in flieYAenden, braunroten Pf'tzen vorbeisp'lte. "Aaron Wassertrum! Er zum Beispiel ist Milliondr, - fast ein Drittel der Judenstadt ist sein Besitz. Wissen Sie es denn nicht, Herr Pernath?!" Mir blieb fcrmlich der Atem im Mund stecken. "Aaron Wassertrum! Der Trcdler Aaron Wassertrum Milliondr?!" "Oh, ich kenne ihn genau", fuhr Charousek verbissen fort, und als hdtte er nur darauf gewartet, daYA ich ihn frage. "Ich kannte auch seinen Sohn, den Dr. Wassory. Haben Sie nie von ihm gehcrt? Von Dr. Wassory, dem - ber'hmten - Augenarzt? - Vor einem Jahr noch hat die ganze Stadt begeistert von ihm gesprochen, - von dem groYAen - - Gelehrten. Niemand wuYAte damals, daYA er seinen Namen abgelegt und fr'her Wassertrum geheiYAen. - Er spielte sich gerne auf d