eder. Doch nachdem wir uns wieder in das Bild vertieft haben, erklure ich mich bereit. Ich gehe sogar noch weiter. "Kunnten auch mal sehen, ob wir nicht ein reines Hemd zu fassen kriegen -" Albert meint aus irgendeinem Grunde: "Fußlappen wuren noch besser." "Vielleicht auch Fußlappen. Wir wollen mal ein bißchen spekulieren gehen." Doch da schlendern Leer und Tjaden heran; sie sehen das Plakat, und im Handumdrehen wird die Unterhaltung ziemlich schweinisch. Leer war in unserer Klasse der erste, der ein Verhultnis hatte und davon aufregende Einzelheiten erzuhlte. Er begeistert sich in seiner Weise an dem Bilde, und Tjaden stimmt muchtig ein. Es ekelt uns nicht gerade an. Wer nicht schweinigelt, ist kein Soldat; nur liegt es uns im Moment nicht ganz, deshalb schlagen wir uns seitwurts und marschieren der Entlausungsanstalt zu mit einem Gefuhl, als sei sie ein feines Herrenmodengeschuft. Die Huuser, in denen wir Quartier haben, liegen nahe am Kanal. Jenseits des Kanals sind Teiche, die von Pappelwuldern umstanden sind; - jenseits des Kanals sind auch Frauen. Die Huuser auf unserer Seite sind geruumt worden. Auf der andern jedoch sieht man ab und zu noch Bewohner. Abends schwimmen wir. Da kommen drei Frauen am Ufer entlang. Sie gehen langsam und sehen nicht weg, obschon wir keine Badehosen tragen. Leer ruft zu ihnen hinuber. Sie lachen und bleiben stehen, um uns zuzuschauen. Wir werfen ihnen in gebrochenem Franzusisch Sutze zu, die uns gerade einfallen, alles durcheinander, eilig, damit sie nicht fortgehen. Es sind nicht gerade feine Sachen, aber wo sollen wir die auch herhaben. Eine Schmale, Dunkle ist dabei. Man sieht ihre Zuhne schimmern, wenn sie lacht. Sie hat rasche Bewegungen, der Rock schlugt locker um ihre Beine. Obschon das Wasser kalt ist, sind wir muchtig aufgeruumt und bestrebt, sie zu interessieren, damit sie bleiben. Wir versuchen Witze, und sie antworten, ohne daß wir sie verstehen; wir lachen und winken. Tjaden ist vernunftiger. Er luuft ins Haus, holt ein Kommißbrot und hult es hoch. Das erzielt großen Erfolg. Sie nicken und winken, daß wir hinuberkommen sollen. Aber das durfen wir nicht. Es ist verboten, das jenseitige Ufer zu betreten. uberall stehen Posten an den Brucken. Ohne Ausweis ist nichts zu machen. Wir dolmetschen deshalb, sie muchten zu uns kommen; aber sie schutteln die Kupfe und zeigen auf die Brucken. Man lußt auch sie nicht durch. Sie kehren um, langsam gehen sie den Kanal aufwurts, immer am Ufer entlang. Wir begleiten sie schwimmend. Nach einigen hundert Metern biegen sie ab und zeigen auf ein Haus, das abseits aus Buumen und Gebusch herauslugt. Leer fragt, ob sie dort wohnen. Sie lachen - ja, dort sei ihr Haus. Wir rufen ihnen zu, daß wir kommen wollen, wenn uns die Posten nicht sehen kunnen. Nachts. Diese Nacht. Sie heben die Hunde, legen sie flach zusammen, die Gesichter darauf, und schließen die Augen. Sie haben verstanden. Die Schmale, Dunkle macht Tanzschritte. Eine Blonde zwitschert: "Brot - gut -" Wir bestutigen eifrig, daß wir es mitbringen werden. Auch noch andere schune Sachen, wir rollen die Augen und zeigen sie mit den Hunden. Leer ersuuft fast, als er "ein Stuck Wurst" klarmachen will. Wenn es notwendig wure, wurden wir ihnen ein ganzes Proviantdepot versprechen. Sie gehen und wenden sich noch oft um. Wir klettern an das Ufer auf unserer Seite und achten darauf, ob sie auch in das Haus gehen, denn es kann ja sein, daß sie schwindeln. Dann schwimmen wir zuruck. Ohne Ausweis darf niemand uber die Brucke, deshalb werden wir einfach nachts hinuberschwimmen. Die Erregung packt uns und lußt uns nicht los. Wir kunnen es nicht an einem Fleck aushalten und gehen zur Kantine. Dort gibt es gerade Bier und eine Art Punsch. Wir trinken Punsch und lugen uns phantastische Erlebnisse vor. Jeder glaubt dem andern gern und wartet ungeduldig, um noch dicker aufzutrumpfen. Unsere Hunde sind unruhig, wir paffen ungezuhlte Zigaretten, bis Kropp sagt: "Eigentlich kunnten wir ihnen auch ein paar Zigaretten mitbringen." Da legen wir sie in unsere Mutzen und bewahren sie auf. Der Himmel wird grun wie ein unreifer Apfel. Wir sind zu viert, aber drei kunnen nur mit; deshalb mussen wir Tjaden loswerden und geben Rum und Punsch fur ihn aus, bis er torkelt. Als es dunkel wird, gehen wirunsern Huusern zu. Tjaden in der Mitte. Wir gluhen und sind von Abenteuerlust erfullt. Fur mich ist die Schmale, Dunkle, das haben wir verteilt und ausgemacht. Tjaden fullt auf seinen Strohsack und schnarcht. Einmal wacht er auf und grinst uns so listig an, daß wir schon erschrecken und glauben, er habe gemogelt, und der ausgegebene Punsch sei umsonst gewesen. Dann fullt er zuruck und schluft weiter. Jeder von uns dreien legt ein ganzes Kommißbrot bereit und wickelt es in Zeitungspapier. Die Zigaretten packen wir dazu, außerdem noch drei gute Portionen Leberwurst, die wir heute abend empfangen haben. Das ist ein anstundiges Geschenk. Vorluufig stecken wir die Sachen in unsere Stiefel; denn Stiefel mussen wir mitnehmen, damit wir druben auf dem andern Ufer nicht in Draht und Scherben treten. Da wir vorher schwimmen mussen, kunnen wir weiter keine Kleider brauchen. Es ist ja auch dunkel und nicht weit. Wir brechen auf, die Stiefel in den Hunden. Rasch gleiten wir ins Wasser, legen uns auf den Rucken, schwimmen und halten die Stiefel mit dem Inhalt uber unsere Kupfe. Am andern Ufer klettern wir vorsichtig hinauf, nehmen die Pakete heraus und ziehen die Stiefel an. Die Sachen klemmen wir unter die Arme. So setzen wir uns, naß, nackt, nur mit Stiefeln bekleidet, in Trab. Wir finden das Haus sofort. Es liegt dunkel in den Buschen. Leer fullt uber eine Wurzel und schrammt sich die Ellbogen. "Macht nichts", sagt er fruhlich. Vor den Fenstern sind Luden. Wir umschleichen das Haus und versuchen, durch die Ritzen zu spuhen. Dann werden wir ungeduldig. Kropp zugert plutzlich. "Wenn nun ein Major drinnen bei ihnen ist?" "Dann kneifen wir eben aus", grinst Leer, "er kann unsere Regimentsnummer ja hier lesen", und klatscht sich auf den Hintern. Die Haustur ist offen. Unsere Stiefel machen ziemlichen Lurm. Eine Tur uffnet sich, Licht fullt hindurch, eine Frau stußt erschreckt einen Schrei aus. Wir machen "Pst, pst - camerade - bon ami -" und heben beschwurend unsere Pakete hoch. Die andern beiden sind jetzt auch sichtbar, die Tur uffnet sich ganz, und das Licht bestrahlt uns. Wir werden erkannt, und alle drei lachen unbundig uber unsern Aufzug. Sie biegen und beugen sich im Turrahmen, so mussen sie lachen. Wie geschmeidig sie sich bewegen! "Un moment -." Sie verschwinden und werfen uns Zeugstucke zu, die wir uns notdurftig umwickeln. Dann durfen wir eintreten. Eine kleine Lampe brennt im Zimmer, es ist warm und riecht etwas nach Parfum. Wir packen unsere Pakete aus und ubergeben sie ihnen. Ihre Augen glunzen, man sieht, daß sie Hunger haben. Dann werden wir alle etwas verlegen. Leer macht die Geburde des Essens. Da kommt wieder Leben hinein, sie holen Teller und Messer und fallen uber die Sachen her. Bei jedem Scheibchen Leberwurst heben sie, ehe sie es essen, das Stuck zuerst bewundernd in die Huhe, und wir sitzen stolz dabei. Sie ubersprudeln uns mit ihrer Sprache - wir verstehen nicht viel, aber wir huren, daß es freundliche Worte sind. Vielleicht sehen wir auch sehr jung aus. Die Schmale, Dunkle, streicht mir uber das Haar und sagt, was alle franzusischen Frauen immer sagen: "La guerre - grand malheur - pauvres garuons -" Ich halte ihren Arm fest und lege meinen Mund in ihre Handfluche. Die Finger umschließen mein Gesicht. Dicht uber mir sind ihre erregenden Augen, das sanfte Braun der Haut und die roten Lippen. Der Mund spricht Worte, die ich nicht verstehe. Ich verstehe auch die Augen nicht ganz, sie sagen mehr, als wir erwarteten, da wir hierher kamen. Es sind Zimmer nebenan. Im Gehen sehe ich Leer, er ist mit der Blonden handfest und laut. Er kennt das ja auch. Aber ich - ich bin verloren an ein Fernes, Leises und Ungestumes und vertraue mich ihm an. Meine Wunsche sind sonderbar gemischt aus Verlangen und Versinken. Mir wird schwindelig, es ist nichts hier, woran man sich noch halten kunnte. Unsere Stiefel haben wir vor der Tur gelassen, man hat uns Pantoffeln dafur gegeben, und nun ist nichts mehr da, was mir die Sicherheit und Frechheit des Soldaten zuruckruft: kein Gewehr, kein Koppel, kein Waffenrock, keine Mutze. Ich lasse mich fallen ins Ungewisse, mag geschehen, was will - denn ich habe etwas Angst, trotz allem. Die Schmale, Dunkle bewegt die Brauen, wenn sie nachdenkt; aber sie sind still, wenn sie spricht. Manchmal auch wird der Laut nicht ganz zum Wort und erstickt oder schwingt halbfertig uber mich weg; ein Bogen, eine Bahn, ein Komet. Was habe ich davon gewußt - was weiß ich davon ? - Die Worte dieser fremden Sprache, von der ich kaum etwas begreife, sie schlufern mich ein zu einer Stille, in der das Zimmer braun und halb beglunzt verschwimmt und nur das Antlitz uber mir lebt und klar ist. Wie vielfultig ist ein Gesicht, wenn es fremd war noch vor einer Stunde und jetzt geneigt ist zu einer Zurtlichkeit, die nicht aus ihm kommt, sondern aus der Nacht, der Welt und dem Blut, die in ihm zusammenzustrahlen scheinen. Die Dinge des Raumes werden davon angeruhrt und verwandelt, sie werden besonders, und vor meiner hellen Haut habe ich beinahe Ehrfurcht, wenn der Schein der Lampe daraufliegt und die kuhle braune Hand daruberstreicht. Wie anders ist dies alles als die Dinge in den Mannschaftsbordells, zu denen wir Erlaubnis haben und wo in langer Reihe angestanden wird. Ich muchte nicht an sie denken; aber sie gehen mir unwillkurlich durch den Sinn, und ich erschrecke, denn vielleicht kann man so etwas nie mehr loswerden. Dann aber fuhle ich die Lippen der Schmalen, Dunklen, und drunge mich ihnen entgegen, ich schließe die Augen und muchte alles damit ausluschen, Krieg und Grauen und Gemeinheit, um jung und glucklich zu erwachen; ich denke an das Bild des Mudchens auf dem Plakat und glaube einen Augenblick, daß mein Leben davon abhungt, es zu gewinnen. - Und um so tiefer presse ich mich in die Arme, die mich umfassen, vielleicht geschieht ein Wunder. --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Irgendwie finden wir uns alle nachher wieder zusammen. Leer ist sehr forsch. Wir verabschieden uns herzlich und schlupfen in unsere Stiefel. Die Nachtluft kuhlt unsere heißen Kurper. Groß ragen die Pappeln in das Dunkel und rauschen. Der Mond steht am Himmel und im Wasser des Kanals. Wir laufen nicht, wir gehen nebeneinander mit langen Schritten. Leer sagt: "Das war ein Kommißbrot wert!" Ich kann mich nicht entschließen zu sprechen, ich bin gar nicht einmal froh. Da huren wir Schritte und ducken uns hinter einen Busch. Die Schritte kommen nuher, dicht an uns vorbei. Wir sehen einen nackten Soldaten, in Stiefeln, genau wie wir, er hat ein Paket unter dem Arm und sprengt im Galopp vorwurts. Es ist Tjaden in großer Fahrt. Schon ist er verschwunden. Wir lachen. Morgen wird er schimpfen. Unbemerkt gelangen wir zu unseren Strohsucken. Ich werde zur Schreibstube gerufen. Der Kompaniefuhrer gibt mir Urlaubsschein und Fahrschein und wunscht mir gute Reise. Ich sehe nach, wieviel Urlaub ich habe. Siebzehn Tage - vierzehn sind Urlaub, drei Reisetage. Es ist zuwenig, und ich frage, ob ich nicht funf Reisetage haben kann. Bertinck zeigt auf meinen Schein. Da sehe ich erst, daß ich nicht sofort zur Front zuruckkomme. Ich habe mich nach Ablauf des Urlaubs noch zum Kursus im Heidelager zu melden. Die anderen beneiden mich. Kat gibt mir gute Ratschluge, wie ich versuchen soll, Druckpunkt zu nehmen. "Wenn du gerissen bist, bleibst du da hungen." Es wure mir eigentlich lieber gewesen, wenn ich erst in acht Tagen hutte fahren brauchen; denn so lange sind wir noch hier, und hier ist es ja gut. - Naturlich muß ich in der Kantine einen ausgeben. Wir sind alle ein bißchen angetrunken. Ich werde trubselig; es sind sechs Wochen, die ich fortbleiben werde, das ist naturlich ein muchtiges Gluck, aber wie wird es sein, wenn ich zuruckkomme? Werde ich sie hier noch alle wiedertreffen? Haie und Kemmerich sind schon nicht mehr da - wer wird der nuchste sein ? Wir trinken, und ich sehe einen nach dem andern an. Albert sitzt neben mir und raucht, er ist munter, wir sind immer zusammen gewesen; - gegenuber hockt Kat mit den abfallenden Schultern, dem breiten Daumen und der ruhigen Stimme, Muller mit den vorstehenden Zuhnen und dem bellenden Lachen; - Tjaden mit den Mauseaugen; - Leer, der sich einen Vollbart stehen lußt und ausschaut wie vierzig. uber unsern Kupfen schwebt dicker Qualm. Was wure der Soldat ohne Tabak! Die Kantine ist eine Zuflucht, Bier ist mehr als ein Getrunk, es ist ein Zeichen, daß man gefahrlos die Glieder dehnen und recken darf. Wir tun es auch ordentlich, die Beine haben wir lang von uns gestreckt, und wir spucken gemutlich in die Gegend, daß es nur so eine Art hat. Wie einem das alles vorkommt, wenn man morgen abreist! Nachts sind wir noch einmal jenseits des Kanals. Ich habe beinahe Furcht, der Schmalen, Dunklen zu sagen, daß ich fortgehe und daß, wenn ich zuruckkehre, wir sicher irgendwo weiter sind; daß wir uns also nicht wiedersehen werden. Aber sie nickt nur und lußt nicht allzuviel merken. Ich kann das erst gar nicht recht verstehen, dann aber begreife ich. Leer hat schon recht: wure ich an die Front gegangen, dann hutte es wieder geheißen: "pauvre garc.on"; aber ein Urlauber - davon wollen sie nicht viel wissen, das ist nicht so interessant. Mag sie zum Teufel gehen mit ihrem Gesumm und Gerede. Man glaubt an Wunder, und nachher sind es Kommißbrote. Am nuchsten Morgen, nachdem ich entlaust bin, marschiere ich zur Feldbahn. Albert und Kat begleiten mich. Wir huren an der Haltestelle, daß es wohl noch ein paar Stunden dauern wird bis zur Abfahrt. Die beiden mussen zum Dienst zuruck. Wir nehmen Abschied. "Mach's gut, Kat; mach's gut, Albert." Sie gehen und winken noch ein paarmal. Ihre Gestalten werden Meiner. Mir ist jeder Schritt, jede Bewegung an ihnen vertraut, ich wurde sie weithin schon daran erkennen. Dann sind sie verschwunden. Ich setze mich auf meinen Tornister und warte. Plutzlich bin ich von rasender Ungeduld erfullt, fortzukommen. Ich liege auf manchem Bahnhof; ich stehe vor manchem Suppenkessel; ich hocke auf mancher Holzplanke; dann aber wird die Landschaft draußen beklemmend, unheimlich und bekannt. An den abendlichen Fenstern gleitet sie voruber, mit Durfern, in denen Strohducher wie Mutzen tief uber gekalkte Fachwerkhuuser gezogen sind, mit Kornfeldern, die wie Perlmutter im schrugen Licht schimmern, mit Obstgurten und Scheunen und alten Linden. Die Namen der Stationen werden zu Begriffen, bei denen mein Herz zittert. Der Zug stampft und stampft, ich stehe am Fenster und halte mich an den Rahmenhulzern fest. Diese Namen umgrenzen meine Jugend. Flache Wiesen, Felder, Hufe; ein Gespann zieht einsam vor dem Himmel uber den Weg, der parallel zum Horizont luuft. Eine Schranke, vor der Bauern warten, Mudchen, die winken, Kinder, die am Bahndamm spielen, Wege, die ins Land fuhren, glatte Wege, ohne Artillerie. Es ist Abend, und wenn der Zug nicht stampfte, mußte ich schreien. Die Ebene entfaltet sich groß, in schwachem Blau beginnt in der Ferne die Silhouette der Bergrunder aufzusteigen. Ich erkenne die charakteristische Linie des Dolbenberges, diesen gezackten Kamm, der juh abbricht, wo der Scheitel des Waldes aufhurt. Dahinter muß die Stadt kommen. Aber nun fließt das goldrote Licht verschwimmend uber die Welt, der Zug rattert durch eine Kurve und noch eine - und unwirklich, verweht, dunkel stehen die Pappeln darin, weit weg, hintereinander in langer Reihe, gebildet aus Schatten, Licht und Sehnsucht. Das Feld dreht sich mit ihnen langsam vorbei; der Zug umgeht sie, die Zwischenruume verringern sich, sie werden ein Block, und einen Augenblick sehe ich nur eine einzige; dann schieben sich die anderen wieder hinter der vordersten heraus, und sie sind noch lange allein am Himmel, bis sie von den ersten Huusern verdeckt werden. Ein Bahnubergang. Ich stehe am Fenster, ich kann mich nicht trennen. Die andern bereiten ihre Sachen zum Aussteigen vor. Ich spreche den Namen der Straße, die wir uberqueren, vor mich hin, Bremer Straße - Bremer Straße - Radfahrer, Wagen, Menschen sind da unten; es ist eine graue Straße und eine graue Unterfuhrung; - sie ergreift mich, als wure sie meine Mutter. Dann hult der Zug, und der Bahnhof ist da mit Lurm, Rufen und Schildern. Ich packe meinen Tornister auf und mache die Haken fest, ich nehme mein Gewehr in die Hand und stolpere die Tritte hinunter. Auf dem Perron sehe ich mich um; ich kenne niemand von den Leuten, die da hasten. Eine Rote-Kreuz-Schwester bietet mir etwas zu trinken an. Ich wende mich ab, sie luchelt mich zu albern an, so durchdrungen von ihrer Wichtigkeit: Seht nur, ich gebe einem Soldaten Kaffee. - Sie sagt zu mir "Kamerad", das hat mir gerade gefehlt. Draußen vor dem Bahnhof aber rauscht der Fluß neben der Straße, er zischt weiß aus den Schleusen der Muhlenbrucke hervor. Der viereckige alte Wartturm steht daran, und vor ihm die große bunte Linde, und dahinter der Abend. Hier haben wir gesessen, oft - wie lange ist das her -; uber diese Brucke sind wir gegangen und haben den kuhlen, fauligen Geruch des gestauten Wassers eingeatmet; wir haben uns uber die ruhige Flut diesseits der Schleuse gebeugt, in der grune Schlinggewuchse und Algen an den Bruckenpfeilern hingen; - und wir haben uns jenseits der Schleuse an heißen Tagen uber den spritzenden Schaum gefreut und von unseren Lehrern geschwutzt. Ich gehe uber die Brucke, ich schaue rechts und links; das Wasser ist immer noch voll Algen, und es schießt immer noch in hellem Bogen herab; - im Turmgebuude stehen die Plutterinnen wie damals mit bloßen Armen vor der weißen Wusche, und die Hitze der Bugeleisen strumt aus den offenen Fenstern. Hunde trotten durch die schmale Straße, vor den Hausturen stehen Menschen und sehen mir nach, wie ich schmutzig und bepackt vorubergehe. In dieser Konditorei haben wir Eis gegessen und uns im Zigarettenrauchen geubt. In dieser Straße, die an mir vorubergleitet, kenne ich jedes Haus, das Kolonialwarengeschuft, die Drogerie, die Buckerei. Und dann stehe ich vor der braunen Tur mit der abgegriffenen Klinke, und die Hand wird mir schwer. Ich uffne sie; die Kuhle kommt mir wunderlich entgegen, sie macht meine Augen unsicher. Unter meinen Stiefeln knarrt die Treppe. Oben klappt eine Tur, jemand blickt uber das Gelunder. Es ist die Kuchentur, die geuffnet wurde, sie backen dort gerade Kartoffelpuffer, das Haus riecht danach, heute ist ja auch Sonnabend, und es wird meine Schwester sein, die sich herunterbeugt. Ich schume mich einen Augenblick und senke den Kopf, dann nehme ich den Helm ab und sehe hinauf. Ja, es ist meine ulteste Schwester. in "Paul!" ruft sie. "Paul -!" Ich nicke, mein Tornister stußt gegen das Gelunder, mein Gewehr ist so schwer. Sie reißt eine Tur auf und ruft: "Mutter, Mutter, Paul ist da." Ich kann nicht mehr weitergehen. Mutter, Mutter, Paul ist da. Ich lehne mich an die Wand und umklammere meinen Helm und mein Gewehr. Ich umklammere sie, so fest es geht, aber ich kann keinen Schritt mehr machen, die Treppe verschwimmt vor meinen Augen, ich stoße mir den Kolben auf die Fuße und presse zornig die Zuhne zusammen, aber ich kann nicht gegen dieses eine Wort an, das meine Schwester gerufen hat, nichts kann dagegen an, ich quule mich gewaltsam, zu lachen und zu sprechen, aber ich bringe kein Wort hervor, und so stehe ich auf der Treppe, unglucklich, hilflos, in einem furchtbaren Krampf, und will nicht, und die Trunen laufen mir immer nur so uber das Gesicht. Meine Schwester kommt zuruck und fragt: "Was hast du denn?" Da raffe ich mich zusammen und stolpere zum Vorplatz hinauf. Mein Gewehr lehne ich in eine Ecke, den Tornister stelle ich gegen die Wand, und den Helm packe ich darauf. Auch das Koppel mit den Sachen daran muß fort. Dann sage ich wutend: "So gib doch endlich ein Taschentuch her!" Sie gibt mir eins aus dem Schrank, und ich wische mir das Gesicht ab. uber mir an der Wand hungt der Glaskasten mit bunten Schmetterlingen, die ich fruher gesammelt habe. Nun hure ich die Stimme meiner Mutter. Sie kommt aus dem Schlafzimmer. "Ist sie nicht auf?" frage ich meine Schwester. "Sie ist krank -", antwortet sie. Ich gehe hinein zu ihr, gebe ihr die Hand und sage, so ruhig ich kann: "Da bin ich, Mutter." Sie liegt im Halbdunkel. Dann fragt sie angstvoll, und ich fuhle, wie ihr Blick mich abtastet: "Bist du verwundet?" "Nein, ich habe Urlaub." Meine Mutter ist sehr blaß. Ich scheue mich, Licht zu machen. "Da liege ich nun und weine", sagt sie, "anstatt mich zu freuen." "Bist du krank, Mutter?" frage ich. "Ich werde heute etwas aufstehen", sagt sie und wendet sich zu meiner Schwester, die immer auf einen Sprung in die Kuche muß, damit ihr das Essen nicht anbrennt: "Mach auch das Glas mit den eingemachten Preiselbeeren auf, - das ißt du doch gern?" fragt sie mich. "Ja, Mutter, das habe ich lange nicht gehabt." "Als ob wir es geahnt hutten, daß du kommst", lacht mtine Schwester, "gerade dein Lieblingsessen, Kartoffelpuffer, und jetzt sogar mit Preiselbeeren." "Es ist ja auch Sonnabend", antworte ich. "Setz dich zu mir", sagt meine Mutter. Sie sieht mich an. Ihre Hunde sind weiß und krunklich und schmal gegen meine. Wir sprechen nur einige Worte, und ich bin ihr dankbar dafur, daß sie nichts fragt. Was soll ich auch sagen: Alles, was muglich war, ist ja geschehen. Ich bin heil herausgelangt und sitze neben ihr. Und in der Kuche steht meine Schwester und macht das Abendbrot und singt dazu. "Mein lieber Junge", sagt meine Mutter leise. Wir sind nie sehr zurtlich in der Familie gewesen, das ist nicht ublich bei armen Leuten, die viel arbeiten mussen und Sorgen haben. Sie kunnen das auch nicht so verstehen, sie beteuern nicht gern etwas ufter, was sie ohnehin wissen. Wenn meine Mutter zu mir "lieber Junge" sagt, so ist das so viel, als wenn eine andere wer weiß was anstellt. Ich weiß bestimmt, daß das Glas mit Preiselbeeren das einzige ist seit Monaten und daß sie es aufbewahrt hat fur mich, ebenso wie die schon alt schmeckenden Kekse, die sie mir jetzt gibt. Sie hat sicher bei einer gunstigen Gelegenheit einige erhalten und sie gleich zuruckgelegt fur mich. Ich sitze an ihrem Bett, und durch das Fenster funkeln in Braun und Gold die Kastanien des gegenuberliegenden Wirtsgartens. Ich atme langsam ein und aus und sage mir: "Du bist zu Hause, du bist zu Hause." Aber eine Befangenheit will nicht von mir weichen, ich kann mich noch nicht in alles hineinfinden. Da ist meine Mutter, da ist meine Schwester, da mein Schmetterlingskasten und da das Mahagoniklavier - aber ich bin noch nicht ganz da. Es sind ein Schleier und ein Schritt dazwischen. Deshalb gehe ich jetzt, hole meinen Tornister ans Bett und packe aus, was ich mitgebracht habe: einen ganzen Edamer Kuse, den Kat mir besorgt hat, zwei Kommißbrote, dreiviertel Pfund Butter, zwei Buchsen Leberwurst, ein Pfund Schmalz und ein Suckchen Reis. "Das kunnt ihr sicher gebrauchen -" Sie nicken. "Hierist es wohl schlecht damit?" erkundige ich mich. "Ja, es gibt nicht viel. Habt ihr denn draußen genug?" Ich luchele und zeige auf die mitgebrachten Sachen. "So viel ja nun nicht immer, aber es geht doch einigermaßen." Erna bringt die Lebensmittel fort. Meine Mutter nimmt plutzlich heftig meine Hand und fragt stockend: "War es sehr schlimm draußen, Paul?" Mutter, was soll ich dir darauf antworten! Du wirst es nicht verstehen und nie begreifen. Du sollst es auch nie begreifen. War es schlimm, fragst du. - Du, Mutter. - Ich schuttele den Kopf und sage: "Nein, Mutter, nicht so sehr. Wir sind ja mit vielen zusammen, da ist es nicht so schlimm." "Ja, aber kurzlich war Heinrich Bredemeyer hier, der erzuhlte, es wure jetzt furchtbar draußen, mit dem Gas und all dem andern." Es ist meine Mutter, die das sagt. Sie sagt: mit dem Gas und all dem andern. Sie weiß nicht, was sie spricht, sie hat nur Angst um mich. Soll ich ihr erzuhlen, daß wir einmal drei gegnerische Gruben fanden, die erstarrt waren in ihrer Haltung, wie vom Schlag getroffen? Auf den Brustwehren, in den Unterstunden, wo sie gerade waren, standen und lagen die Leute mit blauen Gesichtern, tot. "Ach, Mutter, was so geredet wird", antworte ich, "der Bredemeyer erzuhlt nur so etwas dahin. Du siehst ja, ich bin heil und dick -" An der zitternden Sorge meiner Mutter finde ich meine Ruhe wieder. Jetzt kann ich schon umhergehen und sprechen und Rede stehen, ohne Furcht, mich plutzlich an die Wand lehnen zu mussen, weil die Welt weich wird wie Gummi und die Adern murbe wie Zunder. Meine Mutter will aufstehen, ich gehe solange in die Kuche zu meiner Schwester. "Was hat sie?" frage ich. Sie zuckt die Achseln: " Sie liegt schon ein paar Monate, wir sollten es dir aber nicht schreiben. Es sind mehrere urzte bei ihr gewesen. Einer sagte, es wure wohl wieder Krebs." Ich gehe zum Bezirkskommando, um mich anzumelden. Langsam wandere ich durch die Straßen. Hier und da spricht mich jemand an. Ich halte mich nicht lange auf, denn ich will nicht so viel reden. Als ich aus der Kaserne zuruckkomme, ruft mich eine laute Stimme an. Ich drehe mich um, ganz in Gedanken, und stehe einem Major gegenuber. Er fuhrt mich an: "Kunnen Sie nicht grußen?" "Entschuldigen Herr Major", sage ich verwirrt, "ich habe Sie nicht gesehen." Er wird noch lauter: "Kunnen Sie sich auch nicht vernunftig ausdrucken?" Ich muchte ihm ins Gesicht schlagen, beherrsche mich aber, denn sonst ist mein Urlaub hin, nehme die Knochen zusammen und sage: "Ich habe Herrn Major nicht gesehen." "Dann passen Sie gefulligst auf!" schnauzt er. "Wie heißen Sie?" Ich rapportiere. Sein rotes, dickes Gesicht ist immernoch empurt. "Truppenteil?" Ich melde vorschriftsmußig. Er hat immer noch nicht genug. "Wo liegen Sie?" Aber ich habe jetzt genug und sage: "Zwischen Langemark und Bixschoote." "Wieso?" fragt er etwas verblufft. Ich erklure ihm, daß ich vor einer Stunde auf Urlaub gekommen sei, und denke, daß er jetzt abtrudeln wird. Aber ich irre mich. Er wird sogar noch wilder: "Das kunnte Ihnen wohl so passen, hier Frontsitten einzufuhren, was? Das gibt's nicht! Hier herrscht Gott sei Dank Ordnung!" Er kommandiert: "Zwanzig Schritt zuruck, marsch, marsch!" In mir sitzt die dumpfe Wut. Aber ich kann nichts gegen ihn machen, er lußt mich sofort festnehmen, wenn er will. So spritze ich zuruck, gehe vor und zucke sechs Meter vor ihm zu einem zackigen Gruß zusammen, den ich erst wegnehme, als ich sechs Meter hinter ihm bin. Er ruft mich wieder heran und gibt mir jetzt leutselig bekannt, daß er noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen will. Ich zeige mich stramm dankbar. "Wegtreten!" kommandiert er. Ich knalle die Wendung und ziehe ab. Der Abend ist mir dadurch verleidet. Ich mache, daß ich nach Hause komme, und werfe die Uniform in die Ecke, das hatte ich sowieso vor. Dann hole ich meinen Zivilanzug aus dem Schrank und ziehe ihn an. Das ist mir ganz ungewohnt. Der Anzug sitzt ziemlich kurz und knapp, ich bin beim Kommiß gewachsen. Kragen und Krawatte machen mir Schwierigkeiten. Schließlich bindet mir meine Schwester den Knoten. Wie leicht so ein Anzug ist, man hat das Gefuhl, als wure man nur in Unterhosen und Hemd. Ich betrachte mich im Spiegel. Das ist ein sonderbarer Anblick. Ein sonnenverbrannter, etwas ausgewachsener Konfirmand sieht mich da verwundert an. Meine Mutter ist froh, daß ich Zivilzeug trage; ich bin ihr dadurch vertrauter. Doch mein Vater hutte lieber, daß ich Uniform anzuge, er muchte so mit mir zu seinen Bekannten gehen. Aber ich weigere mich. Es ist schun, still irgendwo zu sitzen, zum Beispiel in dem Wirtsgarten gegenuber den Kastanien, nahe der Kegelbahn. Die Blutter fallen auf den Tisch und auf die Erde, wenige nur, die ersten. Ich habe ein Glas Bier vor mir stehen, das Trinken hat man beim Militur gelernt. Das Glas ist halb geleert, ich habe also noch einige gute, kuhle Schlucke vor mir, und außerdem kann ich ein zweites und ein drittes bestellen, wenn ich will. Es gibt keinen Appell und kein Trommelfeuer, die Kinder des Wirts spielen auf der Kegelbahn, und der Hund legt mir seinen Kopf auf die Knie. Der Himmel ist blau, zwischen dem Laub der Kastanien ragt der grune Turm der Margaretenkirche auf. Das ist gut, und ich liebe es. Aber mit den Leuten kann ich nicht fertig werden. Die einzige, die nicht fragt, ist meine Mutter. Doch schon mit meinem Vater ist es anders. Er muchte, daß ich etwas erzuhle von draußen, er hat Wunsche, die ich ruhrend und dumm finde, zu ihm schon habe ich kein rechtes Verhultnis mehr. Am liebsten muchte er immerfort etwas huren. Ich begreife, daß er nicht weiß, daß so etwas nicht erzuhlt werden kann, und ich muchte ihm auch gern den Gefallen tun; aber es ist eine Gefahr fur mich, wenn ich diese Dinge in Worte bringe, ich habe Scheu, daß sie dann riesenhaft werden und sich nicht mehr bewultigen lassen. Wo blieben wir, wenn uns alles ganz klar wurde, was da draußen vorgeht. So beschrunke ich mich darauf, ihm einige lustige Sachen zu erzuhlen. Er aber fragt mich, ob ich auch einen Nahkampf mitgemacht hutte. Ich sage nein und stehe auf, um auszugehen. Doch das bessert nichts. Nachdem ich mich auf der Straße ein paarmal erschreckt habe, weil das Quietschen der Straßenbahnen sich wie heranheulende Granaten anhurt, klopft mir jemand auf die Schulter. Es ist mein Deutschlehrer, der mich mit den ublichen Fragen uberfullt. "Na, wie steht es draußen. Furchtbar, furchtbar, nicht wahr? Ja, es ist schrecklich, aber wir mussen eben durchhalten. Und schließlich, draußen habt ihr doch wenigstens gute Verpflegung, wie ich gehurt habe, Sie sehen gut aus, Paul, kruftig. Hier ist das naturlich schlechter, ganz naturlich, ist ja auch selbstverstundlich, das Beste immer fur unsere Soldaten!" Er schleppt mich zu einem Stammtisch mit. Ich werde großartig empfangen, ein Direktor gibt mir die Hand und sagt: " So, Sie kommen von der Front? Wie ist denn der Geist dort? Vorzuglich, vorzuglich, was?" Ich erklure, daß jeder gern nach Hause muchte. Er lacht druhnend: "Das glaube ich! Aber erst mußt ihr den Franzmann verkloppen! Rauchen Sie? Hier, stecken Sie sich mal eine an. Ober, bringen Sie unserm jungen Krieger auch ein Bier." Leider habe ich die Zigarre genommen, deshalb muß ich bleiben. Alle triefen nur so von Wohlwollen, dagegen ist nichts einzuwenden. Trotzdem bin ich urgerlich und qualme, so schnell ich kann. Um wenigstens etwas zu tun, sturze ich das Glas Bier in einem Zug hinunter. Sofort wird mir ein zweites bestellt; die Leute wissen, was sie einem Soldaten schuldig sind. Sie disputieren daruber, was wir annektieren sollen. Der Direktor mit der eisernen Uhrkette will am meisten haben: ganz Belgien, die Kohlengebiete Frankreichs und große Stucke von Rußland. Er gibt genaue Grunde an, weshalb wir das haben mussen, und ist unbeugsam, bis die andern schließlich nachgeben. Dann beginnt er zu erluutern, wo in Frankreich der Durchbruch einsetzen musse, und wendet sich zwischendurch zu mir: "Nun macht mal ein bißchen vorwurts da draußen mit eurem ewigen Stellungskrieg. Schmeißt die Kerle 'raus, dann gibt es auch Frieden." - Ich antworte, daß nach unserer Meinung ein Durchbruch unmuglich sei. Die druben hutten zuviel Reserven. Außerdem wure der Krieg doch anders, als man sich das so denke. Er wehrt uberlegen ab und beweist mir, daß ich davon nichts verstehe. " Gewiß, der einzelne", sagt er, "aber es kommt doch auf das Gesamte an. Und das kunnen Sie nicht so beurteilen. Sie sehen nur Ihren kleinen Abschnitt und haben deshalb keine ubersicht. Sie tun Ihre Pflicht, Sie setzen Ihr Leben ein, das ist huchster Ehren wert - jeder von euch mußte das Eiserne Kreuz haben -, aber vor allem muß die gegnerische Front in Flandern durchbrochen und dann von oben aufgerollt werden." Er schnauft und wischt sich den Bart. "Vullig aufgerollt muß sie werden, von oben herunter. Und dann auf Paris." Ich muchte wissen, wie er sich das vorstellt, und gieße das dritte Bier in mich hinein. Sofort lußt er ein neues bringen. Aber ich breche auf. Er schiebt mir noch einige Zigarren in die Tasche und entlußt mich mit einem freundschaftlichen Klaps. "Alles Gute! Hoffentlich huren wir nun bald etwas Ordentliches von euch." Ich habe mir den Urlaub anders vorgestellt. Vor einem Jahr war er auch anders. Ich bin es wohl, der sich inzwischen geundert hat. Zwischen heute und damals liegt eine Kluft. Damals kannte ich den Krieg noch nicht, wir hatten in ruhigeren Abschnitten gelegen. Heute merke ich, daß ich, ohne es zu wissen, zermurbter geworden bin. Ich finde mich hier nicht mehr zurecht, es ist eine fremde Welt. Die einen fragen, die andern fragen nicht, und man sieht ihnen an, daß sie stolz darauf sind; oft sagen sie es sogar noch mit dieser Miene des Verstehens, daß man daruber nicht reden kunne. Sie bilden sich etwas darauf ein. Am liebsten bin ich allein, da sturt mich keiner. Denn alle kommen stets auf dasselbe zuruck, wie schlecht es geht und wie gut es geht, der eine findet es so, der andere so, - immer sind sie auch rasch bei den Dingen, die ihr Dasein darstellen. Ich habe fruher sicher genauso gelebt, aber ich finde jetzt keinen Anschluß mehr daran. Sie reden mir zuviel. Sie haben Sorgen, Ziele, Wunsche, die ich nicht so auffassen kann wie sie. Manchmal sitze ich mit einem von ihnen in dem kleinen Wirtsgarten und versuche, ihm klarzumachen, daß dies eigentlich schon alles ist: so still zu sitzen. Sie verstehen das naturlich, geben es zu, finden es auch, aber nur mit Worten, nur mit Worten, das ist es ja - sie empfinden es, aber stets nur halb, ihr anderes Wesen ist bei anderen Dingen, sie sind so verteilt, keiner empfindet es mit seinem ganzen Leben; ich kann ja selbst auch nicht recht sagen, was ich meine. Wenn ich sie so sehe, in ihren Zimmern, in ihren Buros, in ihren Berufen, dann zieht das mich unwiderstehlich an, ich muchte auch darin sein und den Krieg vergessen; aber es stußt mich auch gleich wieder ab, es ist so eng, wie kann das ein Leben ausfullen, man sollte es zerschlagen, wie kann das alles so sein, wuhrend draußen jetzt die Splitter uber die Trichter sausen und die Leuchtkugeln hochgehen, die Verwundeten auf Zeltbahnen zuruckgeschleift werden und die Kameraden sich in die Gruben drucken! -Es sind andere Menschen hier, Menschen, die ich nicht richtig begreife, die ich beneide und verachte. Ich muß an Kat und Albert und Muller und Tjaden denken, was mugen sie tun? Sie sitzen vielleicht in der Kantine oder sie schwimmen - bald mussen sie wieder nach vorn. In meinem Zimmer steht hinter dem Tisch ein braunes Ledersofa. Ich setze mich hinein. An den Wunden sind viele Bilder mit Reißzwecken festgemacht, die ich fruher aus Zeitschriften geschnitten habe. Postkarten und Zeichnungen dazwischen, die mir gefallen haben. In der Ecke steht ein kleiner eiserner Ofen. An der Wand gegenuber das Regal mit meinen Buchern. In diesem Zimmer habe ich gelebt, bevor ich Soldat wurde. Die Bucher habe ich nach und nach gekauft von dem Geld, das ich mit Stundengeben verdiente. Viele dav