u>ber das  ihr
rotes  Haar fiel, es loderte im Sonnenlicht, er hatte sie noch nie so  sch<u>u</u>n
gesehen. Hinter einer Hecke verschwand sie.  Und  dann dauerte es vielleicht
nur  zwei Herzschl<u>u</u>ge  l<u>u</u>nger,  als  er erwartet  hatte,  bevor  sie  wieder
auftauchte  - und er war  zutode erschrocken, denn er hatte zwei Herzschl<u>u</u>ge
lang gedacht, er habe sie f<u>u</u>r immer verloren.
     In der gleichen Nacht wachte  er aus einem entsetzlichen Traum auf,  an
dessen Inhalt er sich nicht mehr erinnern  konnte, der aber mit Laure zu tun
hatte, und er st<u>u</u>rzte in ihr Zimmer, <u>u</u>berzeugt, sie sei  tot, l<u>u</u>ge gemordet,
gesch<u>u</u>ndet und geschoren im Bett - und fand sie unversehrt.
     Er  ging  zur<u>u</u>ck in  sein  Gemach,  schwei&szlig;nass  und  bebend  vor
Aufregung,  nein,  nicht vor Aufregung,  sondern  vor Angst,  jetzt  endlich
gestand er es sich ein, dass die schiere Angst ihn  gepackt hatte, und indem
er es  sich eingestand, wurde er ruhiger und klarer im Kopf. Wenn er ehrlich
war,  so hatte  er von  Anfang  an nicht an  die  Wirkung  des bisch<u>u</u>flichen
Bannfluchs  geglaubt;  auch nicht  daran, dass der M<u>u</u>rder jetzt in  Grenoble
umgehe; auch nicht daran, dass er die Stadt <u>u</u>berhaupt verlassen hatte. Nein,
er lebte  noch  hier,  mitten  unter den  Grassern, und irgendwann  w<u>u</u>rde er
wieder  zuschlagen.  Im  August   und  September  hatte  Richis  einige  der
ermordeten M<u>u</u>dchen gesehen. Der Anblick hatte ihn entsetzt und zugleich, wie
er  zugeben musste, fasziniert,  denn  sie  waren  alle, und jede  auf  sehr
spezielle  Weise,  von  ausgesuchter  Sch<u>u</u>nheit  gewesen. Niemals  h<u>u</u>tte  er
gedacht, dass  es  in Grasse so viel  unerkannte  Sch<u>u</u>nheit  gab. Der M<u>u</u>rder
hatte  ihm  die  Augen  ge<u>u</u>ffnet.  Der  M<u>u</u>rder besa&szlig;  einen exquisiten
Geschmack. Und er besa&szlig; ein System. Nicht nur, dass die Morde alle auf
die  gleiche ordentliche Weise  ausgef<u>u</u>hrt waren, auch  die Wahl  der  Opfer
verriet eine beinahe <u>u</u>konomisch planende Absicht. Zwar wusste Richis  nicht,
<i>was</i>  der  M<u>u</u>rder eigentlich von seinem Opfer  begehrte, denn ihr Bestes: die
Sch<u>u</u>nheit und den  Reiz  ihrer  Jugend  konnte  er  ihnen  ja  nicht geraubt
haben... oder doch? Auf jeden Fall aber schien ihm der M<u>u</u>rder, so absurd das
klingen  mochte, kein destruktiver  Geist  zu sein, sondern  ein  sorgf<u>u</u>ltig
sammelnder. Wenn  man sich n<u>u</u>mlich  - so  dachte Richis all  die Opfer nicht
mehr  als  einzelne  Individuen, sondern  als  Teile eines  h<u>u</u>heren Prinzips
vorstellte und sie wie in idealistischer Weise ihre jeweiligen Eigenschaffen
als  zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzen  d<u>u</u>chte, dann m<u>u</u>sste das aus
solchen  Mosaiksteinen   zusammengesetzte   Bild  das  Bild   der  Sch<u>u</u>nheit
schlechthin sein, und der Zauber, der von ihm ausginge, w<u>u</u>re nicht  mehr von
menschlicher, sondern von  g<u>u</u>ttlicher  Art. (Wie wir  sehen, war Richis  ein
aufgekl<u>u</u>rt  denkender Mensch, der auch vor blasphemischen Schlussfolgerungen
nicht  zur<u>u</u>ckschreckte,  und  wenn  er  nicht  in  geruchlichen, sondern  in
optischen Kategorien dachte, so kam er doch der Wahrheit sehr nahe.)
     Gesetzt nun den Fall - so dachte Richis weiter -, der M<u>u</u>rder  war solch
ein Sammler von Sch<u>u</u>nheit und arbeitete am Bildnis  der  Vollkommenheit, und
sei es auch nur  in der Phantasie seines kranken Hirns; gesetzt  ferner,  er
war ein Mann von h<u>u</u>chstem  Geschmack und perfekter Methode, wie er es in der
Tat  zu  sein schien,  dann  konnte  man  nicht annehmen, dass  er  auf  den
kostbarsten  Baustein  zu jenem  Bildnis verzichtete, den  es  auf  Erden zu
finden  gab: auf die Sch<u>u</u>nheit  von Laure. Sein  ganzes bisheriges  Mordwerk
w<u>u</u>re nichts wert ohne sie. Sie war der Schlussstein seines Geb<u>u</u>udes.
     Richis,  w<u>u</u>hrend er  diese  entsetzliche  Folgerung  zog,  sa&szlig; im
Nachtgewand auf seinem Bett und wunderte sich dar<u>u</u>ber, wie ruhig er geworden
war. Er  fr<u>u</u>stelte und  zitterte nicht mehr. Die unbestimmte Angst, die  ihn
seit  Wochen  geplagt  hatte,  war  verschwunden  und dem  Bewusstsein einer
konkreten Gefahr gewichen: Des M<u>u</u>rders Sinn und Trachten  war  ganz offenbar
auf Laure  gerichtet, von Anfang an. Und alle andern Morde waren Beiwerk f<u>u</u>r
diesen letzten kr<u>u</u>nenden Mord. Zwar blieb  unklar, welchen materiellen Zweck
die  Morde haben sollten und ob  sie einen  solchen <u>u</u>berhaupt besa&szlig;en.
Aber  das  Wesentliche, n<u>u</u>mlich des  M<u>u</u>rders systematische  Methode und sein
ideelles  Motiv,  hatte  Richis  durchschaut.  Und  je  l<u>u</u>nger  er   dar<u>u</u>ber
nachdachte,  desto besser gefielen  ihm beide und  desto  gr<u>u</u>&szlig;er wurde
seine Hochachtung vor  dem M<u>u</u>rder -  eine Hochachtung freilich, die sogleich
wie  aus einem blanken Spiegel auf ihn selbst zur<u>u</u>ckstrahlte,  denn immerhin
war er, Richis, es ja gewesen, der mit  seinem  feinen analytischen Verstand
dem Gegner auf die Schliche gekommen war.
     Wenn  er, Richis,  selbst  ein  M<u>u</u>rder w<u>u</u>re und von des M<u>u</u>rders  selben
leidenschaftlichen Ideen  besessen,  h<u>u</u>tte  er auch  nicht  anders  vorgehen
k<u>u</u>nnen,  als  jener  bisher  vorgegangen  war, und w<u>u</u>rde  wie  dieser  alles
daransetzen,  sein Wahnsinnswerk  durch einen Mord an Laure, der herrlichen,
der einzigartigen, zu kr<u>u</u>nen.
     Dieser letzte Gedanke  gefiel ihm ganz besonders gut.  Dass  er in  der
Lage war, sich gedanklich in die Lage  des k<u>u</u>nftigen M<u>u</u>rders  seiner Tochter
zu  versetzen,  machte ihn dem  M<u>u</u>rder n<u>u</u>mlich haushoch <u>u</u>berlegen. Denn  der
M<u>u</u>rder,  das stand fest, war bei  all seiner Intelligenz gewiss nicht in der
Lage, sich in  Richis' Lage zu  versetzen  -  und sei's nur, weil er  gewiss
nicht ahnen  konnte,  dass Richis  sich l<u>u</u>ngst  in seine,  des M<u>u</u>rders  Lage
versetzt hatte. Im  Grunde war das nicht anders als im Gesch<u>u</u>ftsleben auch -
mutatis mutandis,  versteht sich. Einem Konkurrenten,  dessen Absichten  man
durchschaut hatte, war man <u>u</u>berlegen; von ihm lie&szlig; man sich nicht mehr
aufs Kreuz  legen; nicht,  wenn man  Antoine  Richis  hie&szlig;, mit  allen
Wassern  gewaschen war und  eine K<u>u</u>mpfernatur besa&szlig;. Schlie&szlig;lich
waren  ihm  der gr<u>u</u>&szlig;te Duftstoffhandel  Frankreichs, sein Reichtum und
das Amt  des Zweiten Konsuls nicht gnadenhalber in den Scho&szlig; gefallen,
sondern er hatte sie sich erk<u>u</u>mpft, ertrotzt, erschlichen, indem er Gefahren
beizeiten erkannt, die Pl<u>u</u>ne der Konkurrenten schlau erraten und Widersacher
ausgestochen  hatte.  Und  seine  k<u>u</u>nftigen  Ziele,  die Macht und Nobilit<u>u</u>t
seiner  Nachkommenschaft, w<u>u</u>rde er ebenso  erreichen. Und nicht anders w<u>u</u>rde
er die  Pl<u>u</u>ne jenes  M<u>u</u>rders durchkreuzen, seines Konkurrenten um den Besitz
an  Laure - und w<u>u</u>re es nur  deshalb, weil  Laure  auch den  Schlussstein im
Geb<u>u</u>ude seiner,  Richis', eigenen Pl<u>u</u>ne bildete. Er liebte sie, gewiss; aber
er brauchte sie auch. Und was er brauchte zur Verwirklichung seiner h<u>u</u>chsten
Ambitionen, das lie&szlig;  er  sich  von niemandem entwinden, das hielt  er
fest mit Z<u>u</u>hnen und mit Klauen.
     Nun  war ihm  wohler. Nachdem es ihm  gelungen  war, seine  n<u>u</u>chtlichen
<u>u</u>berlegungen betreffs Kampf mit dem D<u>u</u>mon auf die Ebene einer gesch<u>u</u>ftlichen
Auseinandersetzung herabzudr<u>u</u>cken, sp<u>u</u>rte er, wie frischer Mut,  ja  <u>u</u>bermut
ihn  erfasste. Verflogen war  der  letzte  Rest von Angst, verschwunden  das
Gef<u>u</u>hl von  Verzagtheit und  gr<u>u</u>mlicher  Sorge,  das ihn  wie  einen senilen
Tattergreis gequ<u>u</u>lt hatte, weggeblasen der Nebel von d<u>u</u>steren  Ahnungen,  in
dem er seit Wochen herumtappte.  Er befand sich  auf vertrautem Terrain  und
f<u>u</u>hlte sich jeder Herausforderung gewachsen.

        <i>43</i>
     Erleichtert, vergn<u>u</u>gt fast,  sprang er aus dem Bett, zog am Klingelband
und  befahl  seinem   schlaftrunken  hereintaumelnden  Diener,  Kleider  und
Proviant zu packen, da  er ged<u>u</u>chte, bei  Tagesanbruch  in Begleitung seiner
Tochter  nach Grenoble zu  reisen. Dann zog er  sich  an  und  scheuchte das
<u>u</u>brige Personal aus den Betten.
     Mitten  in der Nacht erwachte das  Haus in  der Rue  Droite zu  emsigem
Leben. In der  K<u>u</u>che  flammten die  Feuer auf,  durch die G<u>u</u>nge huschten die
aufgeregten M<u>u</u>gde, treppauf treppab eilte der Diener, in  den Kellergew<u>u</u>lben
klapperten  die  Schl<u>u</u>ssel des Lagerverwalters, im  Hof  leuchteten Fackeln,
Knechte liefen  um Pferde, andere  zerrten die Maultiere aus den St<u>u</u>llen, es
wurde gez<u>u</u>umt, gesattelt, gerannt  und geladen - man  h<u>u</u>tte  glauben k<u>u</u>nnen,
die austrosardischen Horden seien pl<u>u</u>ndernd und sengend im Anmarsch wie anno
1746 und der Hausherr  r<u>u</u>ste in panischer Eile zur Flucht. Doch  keineswegs!
Der  Hausherr  sa&szlig;  souver<u>u</u>n  wie  ein  Marschall  von  Frankreich  am
Schreibtisch  seines  Kontors,  trank  Milchkaffee  und  erlie&szlig;  seine
Anweisungen an die st<u>u</u>ndig hereinst<u>u</u>rzenden  Domestiken. Nebenher schrieb er
Briefe  an den B<u>u</u>rgermeister und Ersten Konsul,  an seinen Notar,  an seinen
Anwalt,  an seinen Bankier  in Marseille,  an  den  Baron de  Bouyon und  an
diverse Gesch<u>u</u>ftspartner.
     Gegen sechs  Uhr  fr<u>u</u>h hatte  er die Korrespondenz erledigt und alle zu
seinen  Pl<u>u</u>nen notwendigen  Verf<u>u</u>gungen  getroffen.  Er steckte zwei  kleine
Reisepistolen zu sich, schnallte  sich seinen Geldg<u>u</u>rtel um und sperrte  den
Schreibtisch zu. Dann ging er seine Tochter wecken.
     Um acht setzte sich die kleine Karawane in Bewegung. Richis ritt voran,
er war pr<u>u</u>chtig anzusehen in einem weinroten, goldbetressten Rock, schwarzer
Redingote und schwarzem Hut mit kessem Federbusch. Ihm folgte seine Tochter,
bescheidener gekleidet,  aber  so  strahlend  sch<u>u</u>n, dass  das Volk  auf der
Stra&szlig;e  und  an den Fenstern nur Augen  f<u>u</u>r sie hatte, dass and<u>u</u>chtige
Ahs und Ohs  durch die  Menge  gingen  und  die  M<u>u</u>nner  ihren  Hut  zogen -
scheinbar vor dem zweiten Konsul, in  Wahrheit aber vor ihr, der k<u>u</u>niglichen
Frau. Dann kam,  fast unbeachtet,  die  Zofe, dann  Richis' Diener mit  zwei
Packpferden - die Verwendung eines Wagens verbot  sich wegen des  ber<u>u</u>chtigt
schlechten  Zustands  der Grenobler Route -,  und  den  Abschluss des  Zuges
bildeten  ein Dutzend mit  allen  m<u>u</u>glichen  Waren beladene  Maultiere unter
Aufsicht zweier Knechte. An der  Porte du Cours pr<u>u</u>sentierten die Wachen das
Gewehr und lie&szlig;en  es erst  wieder  sinken,  als das  letzte  Maultier
vor<u>u</u>bergetippelt war. Kinder liefen hinterher, noch eine  ganze  Weile lang,
winkten dem Tross  nach,  der sich  langsam auf dem steilen, gewundenen  Weg
bergw<u>u</u>rts entfernte.
     Auf  die  Menschen  machte der  Auszug des Antoine  Richis  mit  seiner
Tochter  einen seltsam  tiefen  Eindruck.  Ihnen war, als h<u>u</u>tten  sie  einem
archaischen Opfergang beigewohnt. Es hatte sich herumgesprochen, dass Richis
nach Grenoble reiste, in jene Stadt also, wo neuerdings das  m<u>u</u>dchenmordende
Monster  hauste. Die Leute wussten nicht,  was sie davon halten sollten. War
es str<u>u</u>flicher Leichtsinn, was Richis tat, oder bewundernswerter Mut? War es
eine Herausforderung  oder eine Bes<u>u</u>nftigung der G<u>u</u>tter? Sie ahnten nur sehr
undeutlich,  dass  sie das  sch<u>u</u>ne M<u>u</u>dchen mit  den roten Haaren soeben  zum
letzten Mal gesehen hatten. Sie ahnten, dass Laure Richis verloren war.
     Diese Ahnung sollte sich  als  richtig erweisen, obwohl sie auf  v<u>u</u>llig
falschen  Voraussetzungen   beruhte.  Richis  zog  n<u>u</u>mlich  keineswegs  nach
Grenoble. Der pomp<u>u</u>se Auszug  war nichts als  eine Finte gewesen. Anderthalb
Meilen  nordwestlich  von Grasse,  in der  N<u>u</u>he  des  Dorfes  Saint-Vallier,
lie&szlig;   er  anhalten.   Er  h<u>u</u>ndigte  seinem  Diener   Vollmachten  und
Begleitschreiben aus  und befahl  ihm,  den  Maultiertreck  allein  mit  den
Knechten nach Grenoble zu bringen.
     Er selbst wandte sich mit Laure und der Zofe  in Richtung Cabris, wo er
eine  Mittagspause  einlegte,  und ritt  dann  quer durch  das  Gebirge  des
Tanneron  nach  S<u>u</u>den.  Der  Weg  war <u>u</u>u&szlig;erst  beschwerlich,  aber  er
gestattete  es,  Grasse  und das Grasser  Becken  in einem weiten westlichen
Bogen zu umgehen und  bis  zum Abend unerkannt die K<u>u</u>ste zu erreichen...  Am
folgenden  Tag  -  so  Richis'  Plan  - wollte er  sich  mit Laure nach  den
Lerinischen  Inseln  <u>u</u>bersetzen  lassen,  auf  deren   kleinerer   sich  das
wohlbefestigte Kloster Saint-Honorat  befand.  Es  wurde von einem  H<u>u</u>uflein
greiser,  aber  noch  durchaus wehrf<u>u</u>higer M<u>u</u>nche bewirtschaftet, mit  denen
Richis  gut  bekannt war, denn  er kaufte und vertrieb schon seit Jahren die
gesamte   kl<u>u</u>sterliche  Produktion  an  Eukalyptuslik<u>u</u>r,  Pinienkernen   und
Zypressen<u>u</u>l.  Und  eben  dort,  im  Kloster  Saint-Honorat,  dem  neben  dem
Zuchthaus    von   Chateau   d'If    und   dem   Staatsgef<u>u</u>ngnis   der   Ile
Sainte-Mar-guerite  wohl  sichersten Ort  der  Provence,  gedachte  er seine
Tochter f<u>u</u>rs erste unterzubringen. Er  selbst w<u>u</u>rde unverz<u>u</u>glich wieder aufs
Festland  zur<u>u</u>ckkehren,  Grasse  diesmal  via  Antibes  und  Cagnes  <u>u</u>stlich
umgehen, um noch  am Abend  desselben  Tages in Vence  einzutreffen. Dorthin
hatte  er  bereits  seinen   Notar  bestellt  zwecks  einer   zu  treffenden
Vereinbarung mit dem Baron  de Bouyon  <u>u</u>ber  die Verehelichung  ihrer Kinder
Laure und  Alphonse. Er wollte Bouyon ein  Angebot machen, das  dieser nicht
w<u>u</u>rde ablehnen k<u>u</u>nnen: <u>u</u>bernahme  von  Schulden  in  H<u>u</u>he  von  40000 Livre,
Mitgift bestehend aus einer Summe in gleicher H<u>u</u>he sowie diversen L<u>u</u>ndereien
und einer <u>u</u>lm<u>u</u>hle bei Maganosc, eine j<u>u</u>hrliche Rente von 3000  Livre f<u>u</u>r das
junge Paar.  Einzige Bedingung Richis' war, dass die Ehe innerhalb von  zehn
Tagen eingegangen und  am  Hochzeitstag vollzogen w<u>u</u>rde,  und  dass das Paar
anschlie&szlig;end Wohnung in Vence nahm.
     Richis wusste,  dass er durch ein so eiliges Vorgehen den Preis f<u>u</u>r die
Verbindung   seines   Hauses   mit   dem   Haus   derer  von   Bouyon   ganz
unverh<u>u</u>ltnism<u>u</u>&szlig;ig in die H<u>u</u>he  trieb. Bei l<u>u</u>ngerem Zuwarten  h<u>u</u>tte  er
sie  billiger bekommen.  Gebettelt  h<u>u</u>tte  der Baron darum, die Tochter  des
b<u>u</u>rgerlichen Gro&szlig;h<u>u</u>ndlers durch seinen Sohn standesm<u>u</u>&szlig;ig erh<u>u</u>hen
zu  d<u>u</u>rfen, denn der Ruhm von Laures Sch<u>u</u>nheit w<u>u</u>rde ja noch wachsen, ebenso
wie Richis'  Reichtum  und wie  Bouyons finanzielle Misere. Aber sei's drum!
Nicht der Baron war bei diesem  Handel der  Gegner, sondern  der  unbekannte
M<u>u</u>rder war  es. Ihm galt  es das  Gesch<u>u</u>ft  zu versalzen. Eine  verheiratete
Frau,  defloriert  und wom<u>u</u>glich  schon  geschw<u>u</u>ngert, passte  nicht mehr in
seine exklusive  Galerie. Der letzte Mosaikstein w<u>u</u>re  blind geworden, Laure
h<u>u</u>tte f<u>u</u>r den  M<u>u</u>rder jeden  Wert verloren,  sein Werk w<u>u</u>re gescheitert. Und
diese Niederlage sollte er zu sp<u>u</u>ren bekommen! Richis wollte die Hochzeit in
Grasse abhalten, mit gro&szlig;em Pomp und in aller <u>u</u>ffentlichkeit. Und wenn
er seinen Gegner  auch nicht kannte und niemals kennen  w<u>u</u>rde, so  sollte es
ihm doch ein Genuss sein, zu wissen, dass  dieser dem Ereignis beiwohnte und
mit  eignen  Augen  zusehen  musste,  wie ihm  das  Begehrteste vor der Nase
weggeschnappt wurde.
     Der Plan  war  fein ausgedacht.  Und wieder  m<u>u</u>ssen wir Richis'  Gesp<u>u</u>r
bewundern, mit  dem er  der  Wahrheit nahekam. Denn  in  der  Tat h<u>u</u>tte  die
Heimf<u>u</u>hrung  der Laure  Richis durch  den Sohn des Baron  de Bouyon f<u>u</u>r  den
Grasser  M<u>u</u>dchenm<u>u</u>rder eine vernichtende Niederlage  bedeutet. Aber noch war
der Plan nicht verwirklicht. Noch hatte Richis seine Tochter nicht unter die
rettende  Haube gebracht. Noch hatte er sie nicht in das sichere Kloster von
Saint-Honorat  <u>u</u>bergesetzt.  Noch  schlugen sich die  drei Reiter durch  das
unwirtliche Gebirge des Tanneron. Manchmal waren die Wege so  schlecht, dass
man von den Pferden absitzen musste. Es ging alles sehr langsam. Gegen Abend
hofften sie  das Meer bei Napoule zu erreichen, einem  kleinen Ort  westlich
von Cannes.

        <i>44</i>
     Zu dem Zeitpunkt, da Laure Richis mit ihrem Vater Grasse verlie&szlig;,
befand sich Grenouille am andern Ende der Stadt  im Arnulfischen Atelier und
mazerierte Jonquillen. Er  war allein, und er war guter Dinge. Seine Zeit in
Grasse  neigte  sich  dem  Ende  zu.  Der  Tag des  Triumphes  stand  bevor.
Drau&szlig;en  in  der  Kabane  lagen  in  einem wattegepolsterten  K<u>u</u>stchen
vierundzwanzig winzige Flakons  mit  der  zu  Tropfen  geronnenen  Aura  von
vierundzwanzig   Jungfrauen  -   kostbarste  Essenzen,  die  Grenouille   im
vergangenen  Jahr  durch  kalte  Fettenfleurage  der K<u>u</u>rper,  Digerieren von
Haaren  und  Kleidern,  Lavage  und  Destillation gewonnen  hatte.  Und  die
f<u>u</u>nfundzwanzigste, die  k<u>u</u>stlichste  und wichtigste,  wollte  er  sich heute
holen. Er hatte schon ein Tiegelchen mit mehrfach gereinigtem Fett, ein Tuch
von feinstem Leinen und einen  Ballon hochrektifizierten Alkohols f<u>u</u>r diesen
letzten Fischzug vorbereitet.  Das Terrain war aufs genaueste  sondiert.  Es
herrschte Neumond.
     Er wusste, dass  ein Einbruchsversuch in das gut  gesicherte Anwesen an
der Rue  Droite sinnlos  war. Deshalb wollte  er sich schon  bei Anbruch der
D<u>u</u>mmerung, ehe noch die Tore geschlossen wurden, einschleichen und im Schutz
der eigenen Geruchlosigkeit, die ihn wie eine Tarnkappe der Wahrnehmung  von
Mensch und Tier  entzog, in  irgendeinem Winkel des Hauses verbergen. Sp<u>u</u>ter
dann, wenn  alles  schlief,  w<u>u</u>rde  er,  vom Kompass  seiner  Nase durch die
Dunkelheit gef<u>u</u>hrt,  zur Kammer seines  Schatzes hinaufsteigen. Er w<u>u</u>rde ihn
an  Ort und Stelle  im fettgetr<u>u</u>nkten Tuch verarbeiten. Nur Haar und Kleider
w<u>u</u>rde  er wie gew<u>u</u>hnlich  mitnehmen,  da  diese  Teile  direkt in  Weingeist
ausgewaschen  werden konnten,  was  sich bequemer  in  der Werkstatt  machen
lie&szlig;.  F<u>u</u>r  die  Endverarbeitung  der Pomade und das Abdestillieren zu
Konzentrat veranschlagte er eine weitere Nacht. Und wenn alles gutging - und
er hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, dass alles gutgehen  w<u>u</u>rde -, dann
war  er  <u>u</u>bermorgen im Besitz  s<u>u</u>mtlicher Essenzen f<u>u</u>r  das beste Parfum der
Welt, und er w<u>u</u>rde Grasse verlassen als der bestriechende Mensch auf Erden.
     Gegen Mittag war er mit seinen Jonquillen fertig. Er l<u>u</u>schte das Feuer,
deckte den Fettkessel zu und ging vor die Werkstatt, um sich abzuk<u>u</u>hlen. Der
Wind kam von Westen.
     Schon  mit dem ersten Atemzug merkte er, dass etwas nicht stimmte.  Die
Atmosph<u>u</u>re  war  nicht   in  Ordnung.  Im   Duftkleid   der   Stadt,  diesem
vieltausendf<u>u</u>dig gewebten Schleier,  fehlte der goldene  Faden.  W<u>u</u>hrend der
letzten  Wochen  war  dieser  duftende  Faden  so  kr<u>u</u>ftig   geworden,  dass
Grenouille  ihn  sogar noch  jenseits  der  Stadt bei seiner Kabane deutlich
wahrgenommen  hatte.  Jetzt  war  er  weg, verschwunden, durch  intensivstes
Schnuppern nicht mehr aufzusp<u>u</u>ren. Grenouille war wie gel<u>u</u>hmt vor Schreck.
     Sie  ist tot, dachte  er.  Dann, noch  entsetzlicher:  Es  ist mir  ein
anderer zuvorgekommen. Ein anderer hat meine  Blume abgerupft und ihren Duft
an sich  gebracht!  Einen Schrei brachte er  nicht heraus,  dazu  war  seine
Ersch<u>u</u>tterung  zu  gro&szlig;,  aber  zu  Tr<u>u</u>nen reichte es,  die in  seinen
Augenwinkeln schwollen und pl<u>u</u>tzlich beiderseits der Nase herabst<u>u</u>rzten.
     Da kam Druot aus den &gt;Quatre Dauphins&lt; zum Mittagessen nach Hause
und  erz<u>u</u>hlte en  passant, heute  fr<u>u</u>h  sei  der  Zweite  Konsul  mit  zw<u>u</u>lf
Maultieren und einer Tochter nach Grenoble gezogen. Grenouille schluckte die
Tr<u>u</u>nen  hinunter und rannte  davon, quer durch die Stadt zur Porte du Cours.
Auf dem Platz vor  dem Tor hielt er an  und schnupperte. Und  im reinen, von
den  Stadtger<u>u</u>chen unber<u>u</u>hrten Westwind  fand er tats<u>u</u>chlich seinen goldenen
Faden wieder,  d<u>u</u>nn und schwach zwar, aber  dennoch unverkennbar. Allerdings
wehte der  geliebte Duft nicht von Nordwesten  her,  wohin die  Stra&szlig;e
nach Grenoble f<u>u</u>hrte, sondern eher  aus Richtung Cabris  -  wo nicht gar aus
S<u>u</u>dwesten.
     Grenouille  fragte  die  Wache, welche  Stra&szlig;e  der Zweite Konsul
genommen habe.  Der Posten  wies nach  Norden.  Nicht die Stra&szlig;e  nach
Cabris? Oder die andere, die  s<u>u</u>dlich nach Auribeau und La Napoule f<u>u</u>hrte? -
Bestimmt nicht, sagte der Posten, er habe es mit eigenen Augen gesehen.
     Grenouille rannte  zur<u>u</u>ck  durch  die  Stadt zu  seiner Kabane,  packte
Leintuch, Pomadentopf, Spatel,  Schere und  eine  kleine  glatte  Keule  aus
Olivenholz in seinen Reisesack und  machte sich unverz<u>u</u>glich  auf den Weg  -
nicht auf den  Weg  nach Grenoble, sondern  auf den Weg, den ihm  seine Nase
wies: nach S<u>u</u>den.
     Dieser Weg,  der direkte Weg nach Napoule, f<u>u</u>hrte an den Ausl<u>u</u>ufern des
Tanneron entlang durch die Flusssenken von Frayere und Siagne. Er war bequem
zu  gehen.  Grenouille  kam  rasch voran.  Als zu  seiner  Rechten  Auribeau
auftauchte, oben an den Bergkuppen h<u>u</u>ngend, roch er, dass er die Fl<u>u</u>chtenden
fast eingeholt  hatte. Wenig sp<u>u</u>ter war er  auf gleicher  H<u>u</u>he mit ihnen. Er
roch sie jetzt einzeln, er  roch  sogar den Dunst ihrer Pferde.  Sie konnten
h<u>u</u>chstens eine  halbe  Meile  westlich sein, irgendwo  in  den  W<u>u</u>ldern  des
Tanneron. Sie hielten nach S<u>u</u>den, aufs Meer zu. Genau wie er.
     Gegen  f<u>u</u>nf Uhr nachmittag erreichte Grenouille La Napoule. Er  ging in
das   Gasthaus,  a&szlig;  und  bat  um  ein  billiges  Lager.  Er  sei  ein
Gerbergeselle aus Nizza, sagte er, auf dem Weg  nach Marseille . Er k<u>u</u>nne im
Stall n<u>u</u>chtigen, hie&szlig;  es. Dort legte er sich  in  eine Ecke und ruhte
aus. Er roch, dass die drei  Reiter  sich n<u>u</u>herten.  Er brauchte nur noch zu
warten.
     Zwei Stunden  sp<u>u</u>ter  - es  d<u>u</u>mmerte schon stark kamen sie  an. Um  ihr
Inkognito  zu wahren,  hatten sie die Kleider gewechselt.  Die beiden Frauen
trugen nun dunkle Gew<u>u</u>nder und Schleier, Richis einen schwarzen Rock. Er gab
sich  als Edelmann  aus, kommend von Castellane;  morgen  wolle  er  auf die
Lerinischen Inseln <u>u</u>bersetzen,  der Wirt solle f<u>u</u>r  ein Boot sorgen, das bei
Sonnenaufgang bereitst<u>u</u>nde. Ob au&szlig;er ihm und seinen Leuten noch andere
G<u>u</u>ste im Haus seien? Nein, sagte der Wirt,  nur ein Gerbergeselle aus Nizza,
der n<u>u</u>chtige im Stall.
     Richis schickte die Frauen auf die Zimmer. Er selbst ging in den Stall,
um noch etwas aus den  Satteltaschen zu holen, wie er sagte. Zun<u>u</u>chst konnte
er  den Gerbergesellen  nicht finden,  er musste  sich vom  Rossknecht  eine
Laterne geben lassen. Dann sah  er  ihn, in einem Winkel auf Stroh und einer
alten  Decke  liegend,  den  Kopf  gegen  seinen  Reisesack  gelehnt,   tief
schlafend.  Er sah so  vollkommen  unscheinbar  aus, dass  Richis f<u>u</u>r  einen
Moment den Eindruck hatte,  er sei gar nicht vorhanden, sondern nur eine von
den   schwankenden  Schatten   der  Laternenkerze   hingeworfene   Schim<u>u</u>re.
Jedenfalls stand f<u>u</u>r Richis augenblicklich  fest, dass  von  diesem geradezu
r<u>u</u>hrend harmlosen Wesen nicht die geringste Gefahr zu bef<u>u</u>rchten war, und er
entfernte sich leise, um seinen Schlaf nicht  zu st<u>u</u>ren, und kehrte ins Haus
zur<u>u</u>ck.
     Das Abendessen nahm er gemeinsam mit seiner Tochter auf dem Zimmer ein.
Er  hatte sie <u>u</u>ber  Zweck und Ziel der seltsamen Reise nicht aufgekl<u>u</u>rt, und
er tat  es auch jetzt nicht, obwohl  sie ihn darum bat. Morgen werde  er sie
einweihen, sagte er, und sie k<u>u</u>nne sich darauf verlassen, dass alles, was er
plane und tue, zu ihrem Besten und zuk<u>u</u>nftigen Gl<u>u</u>ck ausschlagen werde.
     Nach  dem  Essen  spielten  sie  einige Partien L'hombre,  die er  alle
verlor, weil  er statt in seine Karten immerfort in ihr  Gesicht schaute, um
sich an ihrer Sch<u>u</u>nheit  zu erg<u>u</u>tzen. Gegen neun  Uhr brachte  er sie in ihr
Zimmer, das dem seinen gegen<u>u</u>berlag, k<u>u</u>sste sie zur Nacht und versperrte die
T<u>u</u>re von au&szlig;en. Dann ging er selbst zu Bett.
     Er war mit einem Mal sehr m<u>u</u>de  von den Anstrengungen des Tages und der
vergangenen Nacht  und zugleich sehr  zufrieden  mit  sich und  dem Gang der
Dinge.  Ohne den geringsten Gedanken  der Sorge, ohne  d<u>u</u>stere Ahnungen, wie
sie ihn noch bis gestern  jedesmal nach  dem  L<u>u</u>schen der  Lampe gequ<u>u</u>lt und
wach gehalten hatten, schlief  er sofort  ein, und schlief ohne  Traum, ohne
Gest<u>u</u>hn,  ohne  krampfhaftes  Zucken oder  nerv<u>u</u>ses  Um-  und  Umw<u>u</u>lzen  des
K<u>u</u>rpers. Zum ersten Mal seit  langer Zeit fand Richis einen tiefen, ruhigen,
erquickenden Schlaf.
     Um die  gleiche Zeit  erhob sich Grenouille von seinem Lager im  Stall.
Auch  er  war  zufrieden  mit  sich und dem Gang der Dinge und  f<u>u</u>hlte  sich
<u>u</u>u&szlig;erst erfrischt,  obwohl er keine Sekunde lang geschlafen hatte. Als
Richis  in  den  Stall gekommen war, um ihn aufzusuchen,  hatte er sich  nur
schlafend gestellt,  um  den Eindruck von  Harmlosigkeit, den er an  und f<u>u</u>r
sich  schon   wegen   seines   Unauff<u>u</u>lligkeitsgeruchs   ausstrahlte,   noch
augenscheinlicher zu machen. Anders als Richis ihn, hatte <u>u</u>brigens er Richis
<u>u</u>u&szlig;erst   pr<u>u</u>zise  wahrgenommen,  olfaktorisch  n<u>u</u>mlich,  und  Richis'
Erleichterung angesichts seiner war ihm keineswegs entgangen.
     Und so  hatten sich beide  bei  ihrer kurzen  Begegnung gegenseitig von
ihrer Arglosigkeit <u>u</u>berzeugt,  zu Unrecht und zu Recht, und  das war gut so,
wie  Grenouille   fand,  denn   seine  scheinbare  und   Richis'   wirkliche
Arglosigkeit erleichterten  ihm, Grenouille, das  Gesch<u>u</u>ft - eine Anschauung
<u>u</u>brigens, die Richis im umgekehrten Fall durchaus geteilt h<u>u</u>tte.

        <i>45</i>
     Mit professioneller Bed<u>u</u>chtigkeit ging Grenouille  ans Werk. Er <u>u</u>ffnete
den  Reisesack, entnahm  ihm Leintuch, Pomade und Spatel,  breitete das Tuch
<u>u</u>ber die Decke, auf der er gelegen hatte, und begann es mit der Fettpaste zu
bestreichen. Das war eine Arbeit, die ihre Zeit brauchte, denn es kam darauf
an, das  Fett hier  in dickerer, dort  in  d<u>u</u>nnerer Schicht  aufzutragen, je
nachdem, an welche  Stelle des K<u>u</u>rpers  die  jeweilige  Partie des Tuches zu
liegen  k<u>u</u>me.  Mund  und  Achsel,  Brust, Geschlecht  und  F<u>u</u>&szlig;e  gaben
gr<u>u</u>&szlig;ere Duftmengen  ab als  etwa  Schienbeine,  R<u>u</u>cken  und  Ellbogen;
Handfl<u>u</u>chen  gr<u>u</u>&szlig;ere  als  Handr<u>u</u>cken; Brauen gr<u>u</u>&szlig;ere  als Lider
etc.  -  und mussten  dementsprechend kr<u>u</u>ftiger mit  Fett  versehen  werden.
Grenouille modellierte  also gleichsam ein  Duftdiagramm des zu behandelnden
K<u>u</u>rpers  auf das Leintuch, und dieser Teil der Arbeit war ihm eigentlich der
befriedigendste, denn es handelte sich um  eine k<u>u</u>nstlerische  Technik,  die
Sinne,  Phantasie und  H<u>u</u>nde  gleicherma&szlig;en besch<u>u</u>ftigte und obendrein
den Genuss des zu erwartenden Endergebnisses auf ideelle Weise vorwegnahm.
     Als er das ganze T<u>u</u>pfchen Pomade aufgebraucht hatte, tupfte  er noch da
und dort, nahm an einer Stelle des Tuches  Fett  ab, f<u>u</u>gte an  einer anderen
zu, retuschierte, <u>u</u>berpr<u>u</u>fte  noch  einmal die modellierte  Fettlandschaft -
mit der Nase <u>u</u>brigens, nicht mit den Augen, denn  das ganze Gesch<u>u</u>ft spielte
sich in vollkommener Finsternis ab,  was  vielleicht ein  weiterer Grund f<u>u</u>r
Grenouilles  ausgeglichen  freudige  Stimmung  war. In  dieser  Neumondnacht
lenkte ihn nichts ab.  Die  Welt  war nichts als  nur  Geruch und  ein wenig
Brandungsger<u>u</u>usch vom Meer her. Er war in seinem Element. Dann schlug er das
Tuch   zusammen  wie  eine   Tapete,   so  dass   die   befetteten   Fl<u>u</u>chen
aufeinanderlagen. Es war ihm dies eine schmerzliche Handlung, denn er wusste
wohl, dass sich selbst  bei  aller Vorsicht Teile der ausgeformten  Konturen
dadurch  abplatteten und  verschoben. Aber es  gab keine andere M<u>u</u>glichkeit,
das Tuch zu transportieren. Nachdem er  es soweit gefaltet hatte, dass er es
ohne  allzugro&szlig;e Behinderung <u>u</u>ber den Unterarm  gelegt tragen  konnte,
steckte er Spatel, Schere und die kleine Olivenholzkeule zu sich und schlich
hinaus ins Freie.
     Der  Himmel war bedeckt. Im Haus brannte kein  Licht mehr. Der  einzige
Funken in dieser stockfinsteren Nacht zuckte im Osten auf dem Leuchtturm des
Forts auf der Ile Sainte-Marguerite, <u>u</u>ber eine  Meile entfernt, ein winziger
heller Nadelstich  in rabenschwarzem Tuch. Aus  der Bucht kam  ein  leichter
fischiger Wind. Die Hunde schliefen.
     Grenouille  ging  zur  <u>u</u>u&szlig;eren Tennenluke,  an  die  eine  Leiter
gelehnt  stand. Er  hob die  Leiter ab und  balancierte  sie aufrecht,  drei
Sprossen  unter  den freien rechten Arm  geklemmt,  den <u>u</u>berstand gegen  die
rechte Schulter  gepresst, <u>u</u>ber den Hof  bis unter  ihr Fenster. Das Fenster
stand halb offen.  Als  er  die  Leiter  hinaufstieg, bequem wie  auf  einer
Treppe, begl<u>u</u>ckw<u>u</u>nschte er sich zu dem Umstand, den Duft des  M<u>u</u>dchens  hier
in Napoule ernten zu d<u>u</u>rfen. In Grasse, bei vergitterten Fenstern und streng
bewachtem Haus, w<u>u</u>re alles sehr viel  schwieriger gewesen.  Hier schlief sie
sogar allein. Er brauchte nicht einmal die Zofe auszuschalten.
     Er dr<u>u</u>ckte den Fensterfl<u>u</u>gel auf, schl<u>u</u>pfte in die Kammer und legte das
Laken ab. Dann wandte er sich dem Bett zu. Der Duft ihres Haares dominierte,
denn  sie lag  auf  dem Bauch,  und  sie hatte  das Gesicht,  vom  Armwinkel
umrahmt,  ins  Kissen  gedr<u>u</u>ckt,  so dass sich  ihr  Hinterkopf  in geradezu
idealer Weise dem Keulenschlag pr<u>u</u>sentierte.
     Das  Ger<u>u</u>usch  des Schlages war dumpf und knirschend. Er hasste es.  Er
hasste es allein  deshalb, weil  es ein Ger<u>u</u>usch war, ein Ger<u>u</u>usch in seinem
ansonsten lautlosen Gesch<u>u</u>ft.  Nur mit  zusammengebissenen Z<u>u</u>hnen  konnte er
dieses ekelhafte Ger<u>u</u>usch ertragen,  und nachdem  es  vor<u>u</u>ber war, stand  er
noch  eine  Weile  lang  steif  und  verbissen  da,  die  Hand um die  Keule
gekrampft,   als  f<u>u</u>rchte   er,   das   Ger<u>u</u>usch  k<u>u</u>nne   zur<u>u</u>ckkehren   als
widerhallendes Echo  von irgendwoher.  Es kehrte aber nicht  zur<u>u</u>ck, sondern
die Stille kehrte zur<u>u</u>ck in die Kammer,  eine vermehrte Stille sogar, da nun
nicht einmal mehr der schl<u>u</u>rfende Atem des M<u>u</u>dchens  ging. Und alsbald l<u>u</u>ste
sich  Grenouilles verspannte Haltung  (die  man  vielleicht  auch  als  eine
Ehrfurchtshaltung  oder  eine Art verkrampfter  Schweigeminute h<u>u</u>tte  deuten
k<u>u</u>nnen), und sein K<u>u</u>rper sank geschmeidig in sich zusammen.
     Er  steckte  die  Keule  weg  und   war  nun  nur  noch   von   emsiger
Betriebsamkeit   erf<u>u</u>llt.   Als  erstes   faltete   er   das  Beduftungstuch
auseinander, breitete es locker mit der R<u>u</u>ckseite  <u>u</u>ber Tisch und St<u>u</u>hle und
achtete  darauf, dass  die Fettseite  unber<u>u</u>hrt  blieb.  Dann schlug er  die
Bettdecke zur<u>u</u>ck. Der herrliche  Duft des M<u>u</u>dchens,  der pl<u>u</u>tzlich warm  und
massiv aufquoll, ber<u>u</u>hrte ihn  nicht. Er kannte  ihn ja, und genie&szlig;en,
genie&szlig;en  bis  zum  Rausch, w<u>u</u>rde  er  ihn  sp<u>u</u>ter,  wenn  er ihn erst
wirklich besa&szlig;. Jetzt ging es darum, m<u>u</u>glichst viel davon einzufangen,
m<u>u</u>glichst  wenig verstr<u>u</u>men  zu  lassen, jetzt waren Konzentration und  Eile
geboten.
     Mit raschen Scherenschnitten schlitzte  er das Nachtgewand  auf, zog es
ihr aus, ergriff das befettete Laken und warf  es <u>u</u>ber ihren nackten K<u>u</u>rper.
Dann hob er sie hoch, strich ihr das <u>u</u>berh<u>u</u>ngende Tuch unter, rollte sie ein
wie ein B<u>u</u>cker den Strudel, falzte die Enden, umh<u>u</u>llte sie von den Zehen bis
an  die Stirn.  Nur ihr  Haar schaute noch aus dem Mumienverband  hervor. Er
schnitt es dicht <u>u</u>ber der Kopfhaut ab, packte es in ihr Nachthemd, das er zu
einem B<u>u</u>ndel  verknotete. Zuletzt klappte er  ein freigelassenes St<u>u</u>ck  Tuch
<u>u</u>ber den geschorenen Sch<u>u</u>del, strich das <u>u</u>berlappende Ende  glatt, tupfte es
mit zartem Fingerdruck fest.  Er <u>u</u>berpr<u>u</u>fte  das ganze Paket. Kein  Schlitz,
kein L<u>u</u>chlein, kein  aufgekniffenes  F<u>u</u>ltlein klaffte mehr, an dem der  Duft
des  M<u>u</u>dchens h<u>u</u>tte  entweichen  k<u>u</u>nnen. Sie war  perfektverpackt.  Es blieb
nichts mehr  zu  tun, als  zu  warten,  sechs Stunden lang, bis  der  Morgen
graute.
     Er nahm den  kleinen  Sessel, auf dem  ihre Kleider lagen, trug ihn ans
Bett und setzte  sich. In  dem weiten schwarzen  Gewand hing  noch der zarte
Hauch ihres Duftes, vermischt mit  dem Geruch von Anispl<u>u</u>tzchen, die sie als
Reiseproviant in die  Tasche  gesteckt hatte. Er legte  seine F<u>u</u>&szlig;e auf
den Bettrand, in die N<u>u</u>he  ihrer F<u>u</u>&szlig;e, deckte sich mit  ihrem Kleid zu
und a&szlig; die Anispl<u>u</u>tzchen. Er war  m<u>u</u>de. Aber er wollte nicht schlafen,
denn es geh<u>u</u>rte sich nicht, dass man  w<u>u</u>hrend der Arbeit schlief,  auch wenn
die Arbeit nur aus Warten bestand. Er erinnerte sich  an die N<u>u</u>chte,  die er
in  der  Werkstatt  Baldinis  beim  Destillieren  verbracht  hatte:  an  den
ru&szlig;geschw<u>u</u>rzten  Alambic,  an  das  flackernde  Feuer,  an  das  leise
spuckende  Ger<u>u</u>usch,  mit  dem   das  Destillat  aus  dem  K<u>u</u>hlrohr  in  die
Florentinerflasche  tr<u>u</u>pfelte.  Von Zeit  zu  Zeit hatte  man nach dem Feuer
sehen  m<u>u</u>ssen,  hatte Destillierwasser  nachf<u>u</u>llen,  die  Florentinerflasche
wechseln, das  ersch<u>u</u>pfte Destilliergut ersetzen m<u>u</u>ssen. Und dennoch war ihm
immer  gewesen, als  wache  man nicht,  um  diese  gelegentlich  anfallenden
T<u>u</u>tigkeiten  zu verrichten,  sondern als habe die Wache ihren  eigenen Sinn.
Selbst  hier  in dieser Kammer, wo sich der Prozess der  Enfleurage ganz von
allein  vollzog,  ja, wo sogar ein unzeitiges  Pr<u>u</u>fen, Wenden und  Betun des
duftenden  Pakets nur  st<u>u</u>rend  h<u>u</u>tte wirken k<u>u</u>nnen selbst  hier, so  schien
Grenouille, war seine wachende Gegenwart wichtig. Der Schlaf h<u>u</u>tte den Geist
des Gelingens gef<u>u</u>hrdet.
     Es fiel ihm im <u>u</u>brigen nicht schwer, wachzubleiben und zu warten, trotz
seiner  M<u>u</u>digkeit.  <i>Dieses</i>  Warten  liebte er.  Auch  bei den vierundzwanzig
anderen M<u>u</u>dchen hatte er es geliebt, denn es war ja kein dumpfes Dahinwarten
und  auch  kein  sehns<u>u</u>chtiges   Herbeiwarten,   sondern  ein  begleitendes,
sinnvolles,  gewisserma&szlig;en ein  t<u>u</u>tiges  Warten.  Es  tat  sich  etwas
w<u>u</u>hrend dieses Wartens. Das  Wesentliche tat sich. Und wenn er es auch nicht
selbst tat, so  tat es sich doch durch ihn. Er hatte sein Bestes gegeben. Er
hatte  all   seine  Kunstfertigkeit  aufgebracht.   Kein   Fehler   war  ihm
unterlaufen. Das Werk war einzigartig. Es w<u>u</u>rde  von  Erfolg gekr<u>u</u>nt sein...
Nur noch  ein  paar Stunden warten musste er. Es befriedigte  ihn  zutiefst,
dieses Warten. Er  hatte sich in seinem Leben nie so wohl gef<u>u</u>hlt, so ruhig,
so ausgeglichen, so eins und  einig  mit  sich selbst - auch damals nicht in
seinem  Berg  - wie  in diesen  Stunden der  handwerklichen Pause, da  er in
tiefster Nacht bei seinen Opfern sa&szlig; und wachend wartete. Es waren die
einzigen Momente, da sich in  seinem  d<u>u</u>steren Hirn  fast  heitere  Gedanken
bildeten.
     Sonderbarerweise gingen diese Gedanken nicht in  die Zukunft. Er dachte
nicht  an den  Duft, den er in  ein paar Stunden ernten w<u>u</u>rde, nicht an  das
Parfum aus f<u>u</u>nfundzwanzig M<u>u</u>dchenauren, nicht an  k<u>u</u>nftige Pl<u>u</u>ne,  Gl<u>u</u>ck und
Erfolg. Nein,  er gedachte  seiner Vergangenheit.  Er erinnerte sich  an die
Stationen seines Lebens vom Hause der Madame  Gaillard und  dem feuchtwarmen
Holzsto&szlig;  davor  bis zu  seiner  heutigen Reise in das  kleine fischig
riechende Dorf Napoule.  Er  gedachte des Gerbers Grimal, Giuseppe Baldinis,
des Marquis de la  Taillade-Espinasse. Er  gedachte der  Stadt Paris,  ihres
gro&szlig;en   tausendfach  schillernden  <u>u</u>blen  Brodems,  er  gedachte  des
rothaarigen  M<u>u</u>dchens in der Rue des Marais,  des freien  Landes, des d<u>u</u>nnen
Winds,  der W<u>u</u>lder. Er gedachte auch des Bergs  in der Auvergne -  er umging
diese Erinnerung keineswegs  -, seiner  H<u>u</u>hle,  der  menschenleeren Luft. Er
gedachte  auch  seiner  Tr<u>u</u>ume.  Und  er  gedachte  all  dieser  Dinge   mit
gro&szlig;em Wohlgefallen. Ja, es schien ihm, wenn er  so zur<u>u</u>ckdachte, dass
er ein vom Gl<u>u</u>ck besonders beg<u>u</u>nstigter Mensch sei  und  dass sein Schicksal
ihn auf zwar verschlungenen, doch letzten Endes richtigen Wegen gef<u>u</u>hrt habe
- wie w<u>u</u>re es sonst m<u>u</u>glich gewesen, dass er hierhergefunden h<u>u</u>tte, in diese
dunkle Kammer,  ans  Ziel  seiner  W<u>u</u>nsche?  Er  war,  wenn  er sich's recht
<u>u</u>berlegte, ein wirklich begnadetes Individuum!
     R<u>u</u>hrung stieg in ihm auf, Demut und Dankbarkeit. "Ich danke dir", sagte
er leise, "ich danke dir, Jean-Baptiste Grenouille, dass  du so bist, wie du
bist!" So ergriffen war er von sich selbst.
     Dann schloss er die Lider - nicht, um zu schlafen, sondern um sich ganz
dem Frieden dieser Heiligen Nacht hinzugeben. Der Friede erf<u>u</u>llte sein Herz.
Aber es schien ihm, als herrsche  er auch  ringsum. Er roch den  friedlichen
Schlaf der  Zofe  im  Nebenzimmer,  den tiefbefriedigten  Schlaf des Antoine
Richis jenseits  des Ganges, er roch den friedlichen Schlummer des Wirts und
der Knechte, der Hunde, der Tiere im Stall,  des ganzen Orts und des Meeres.
Der Wind hatte sich gelegt. Alles war still. Nichts st<u>u</u>rte den Frieden.
     Einmal  bog er seinen  Fu&szlig; zur Seite und ber<u>u</u>hrte  ganz sacht den
Fu&szlig; von Laure. Nicht ihren  Fu&szlig; eigentlich, sondern  gerade eben
das Tuch,  das ihn  umh<u>u</u>llte, mit der d<u>u</u>nnen Schicht Fett darunter, die sich
mit ihrem Duft tr<u>u</u>nkte, mit ihrem herrlichen Duft, mit seinem.

        <i>46</i>
     Als die V<u>u</u>gel zu schreien begannen - also noch geraume Zeit vor Anbruch
der Morgend<u>u</u>mmerung -, erhob er sich und vollendete seine Arbeit. Er  schlug
das Tuch auseinander und zog es wie ein Pflaster von der Toten ab.  Das Fett
sch<u>u</u>lte  sich gut von  der  Haut.  Nur  an  den verwinkelten Stellen blieben
einige Reste h<u>u</u>ngen, die er mit dem  Spatel abstreichen musste. Die  <u>u</u>brigen
Pomadeschlieren wischte er  mit  Laures eigenem  Unterhemd  auf,  mit dem er
zuletzt  auch  noch  den  K<u>u</u>rper  von  Kopf  bis  Fu&szlig;  abrubbelte,  so
gr<u>u</u>ndlich, dass sich selbst noch das Porenfett in Kr<u>u</u>meln von der Haut rieb,
und mit  ihm die letzten  Fusselchen und Fitzelchen ihres Duftes. Jetzt erst
war sie f<u>u</u>r ihn wirklich tot, abgewelkt, blass und schlaff wie Bl<u>u</u>tenabfall.
     Er warf  das Unterhemd ins gro&szlig;e enfleurierte Tuch, in dem allein
sie  weiterlebte, legte das  Nachtgewand  mit  ihren Haaren dazu und  rollte
alles zu  einem kleinen festen  Paket zusammen,  das er  sich unter den  Arm
klemmte.  Er nahm sich  nicht die  M<u>u</u>he, die Leiche auf dem Bett zuzudecken.
Und obwohl  die Nachtschw<u>u</u>rze sich schon ins Blaugraue  der  Morgend<u>u</u>mmerung
verwandelt hatte und die Di