u>ber das ihr rotes Haar fiel, es loderte im Sonnenlicht, er hatte sie noch nie so sch<u>u</u>n gesehen. Hinter einer Hecke verschwand sie. Und dann dauerte es vielleicht nur zwei Herzschl<u>u</u>ge l<u>u</u>nger, als er erwartet hatte, bevor sie wieder auftauchte - und er war zutode erschrocken, denn er hatte zwei Herzschl<u>u</u>ge lang gedacht, er habe sie f<u>u</u>r immer verloren. In der gleichen Nacht wachte er aus einem entsetzlichen Traum auf, an dessen Inhalt er sich nicht mehr erinnern konnte, der aber mit Laure zu tun hatte, und er st<u>u</u>rzte in ihr Zimmer, <u>u</u>berzeugt, sie sei tot, l<u>u</u>ge gemordet, gesch<u>u</u>ndet und geschoren im Bett - und fand sie unversehrt. Er ging zur<u>u</u>ck in sein Gemach, schweißnass und bebend vor Aufregung, nein, nicht vor Aufregung, sondern vor Angst, jetzt endlich gestand er es sich ein, dass die schiere Angst ihn gepackt hatte, und indem er es sich eingestand, wurde er ruhiger und klarer im Kopf. Wenn er ehrlich war, so hatte er von Anfang an nicht an die Wirkung des bisch<u>u</u>flichen Bannfluchs geglaubt; auch nicht daran, dass der M<u>u</u>rder jetzt in Grenoble umgehe; auch nicht daran, dass er die Stadt <u>u</u>berhaupt verlassen hatte. Nein, er lebte noch hier, mitten unter den Grassern, und irgendwann w<u>u</u>rde er wieder zuschlagen. Im August und September hatte Richis einige der ermordeten M<u>u</u>dchen gesehen. Der Anblick hatte ihn entsetzt und zugleich, wie er zugeben musste, fasziniert, denn sie waren alle, und jede auf sehr spezielle Weise, von ausgesuchter Sch<u>u</u>nheit gewesen. Niemals h<u>u</u>tte er gedacht, dass es in Grasse so viel unerkannte Sch<u>u</u>nheit gab. Der M<u>u</u>rder hatte ihm die Augen ge<u>u</u>ffnet. Der M<u>u</u>rder besaß einen exquisiten Geschmack. Und er besaß ein System. Nicht nur, dass die Morde alle auf die gleiche ordentliche Weise ausgef<u>u</u>hrt waren, auch die Wahl der Opfer verriet eine beinahe <u>u</u>konomisch planende Absicht. Zwar wusste Richis nicht, <i>was</i> der M<u>u</u>rder eigentlich von seinem Opfer begehrte, denn ihr Bestes: die Sch<u>u</u>nheit und den Reiz ihrer Jugend konnte er ihnen ja nicht geraubt haben... oder doch? Auf jeden Fall aber schien ihm der M<u>u</u>rder, so absurd das klingen mochte, kein destruktiver Geist zu sein, sondern ein sorgf<u>u</u>ltig sammelnder. Wenn man sich n<u>u</u>mlich - so dachte Richis all die Opfer nicht mehr als einzelne Individuen, sondern als Teile eines h<u>u</u>heren Prinzips vorstellte und sie wie in idealistischer Weise ihre jeweiligen Eigenschaffen als zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzen d<u>u</u>chte, dann m<u>u</u>sste das aus solchen Mosaiksteinen zusammengesetzte Bild das Bild der Sch<u>u</u>nheit schlechthin sein, und der Zauber, der von ihm ausginge, w<u>u</u>re nicht mehr von menschlicher, sondern von g<u>u</u>ttlicher Art. (Wie wir sehen, war Richis ein aufgekl<u>u</u>rt denkender Mensch, der auch vor blasphemischen Schlussfolgerungen nicht zur<u>u</u>ckschreckte, und wenn er nicht in geruchlichen, sondern in optischen Kategorien dachte, so kam er doch der Wahrheit sehr nahe.) Gesetzt nun den Fall - so dachte Richis weiter -, der M<u>u</u>rder war solch ein Sammler von Sch<u>u</u>nheit und arbeitete am Bildnis der Vollkommenheit, und sei es auch nur in der Phantasie seines kranken Hirns; gesetzt ferner, er war ein Mann von h<u>u</u>chstem Geschmack und perfekter Methode, wie er es in der Tat zu sein schien, dann konnte man nicht annehmen, dass er auf den kostbarsten Baustein zu jenem Bildnis verzichtete, den es auf Erden zu finden gab: auf die Sch<u>u</u>nheit von Laure. Sein ganzes bisheriges Mordwerk w<u>u</u>re nichts wert ohne sie. Sie war der Schlussstein seines Geb<u>u</u>udes. Richis, w<u>u</u>hrend er diese entsetzliche Folgerung zog, saß im Nachtgewand auf seinem Bett und wunderte sich dar<u>u</u>ber, wie ruhig er geworden war. Er fr<u>u</u>stelte und zitterte nicht mehr. Die unbestimmte Angst, die ihn seit Wochen geplagt hatte, war verschwunden und dem Bewusstsein einer konkreten Gefahr gewichen: Des M<u>u</u>rders Sinn und Trachten war ganz offenbar auf Laure gerichtet, von Anfang an. Und alle andern Morde waren Beiwerk f<u>u</u>r diesen letzten kr<u>u</u>nenden Mord. Zwar blieb unklar, welchen materiellen Zweck die Morde haben sollten und ob sie einen solchen <u>u</u>berhaupt besaßen. Aber das Wesentliche, n<u>u</u>mlich des M<u>u</u>rders systematische Methode und sein ideelles Motiv, hatte Richis durchschaut. Und je l<u>u</u>nger er dar<u>u</u>ber nachdachte, desto besser gefielen ihm beide und desto gr<u>u</u>ßer wurde seine Hochachtung vor dem M<u>u</u>rder - eine Hochachtung freilich, die sogleich wie aus einem blanken Spiegel auf ihn selbst zur<u>u</u>ckstrahlte, denn immerhin war er, Richis, es ja gewesen, der mit seinem feinen analytischen Verstand dem Gegner auf die Schliche gekommen war. Wenn er, Richis, selbst ein M<u>u</u>rder w<u>u</u>re und von des M<u>u</u>rders selben leidenschaftlichen Ideen besessen, h<u>u</u>tte er auch nicht anders vorgehen k<u>u</u>nnen, als jener bisher vorgegangen war, und w<u>u</u>rde wie dieser alles daransetzen, sein Wahnsinnswerk durch einen Mord an Laure, der herrlichen, der einzigartigen, zu kr<u>u</u>nen. Dieser letzte Gedanke gefiel ihm ganz besonders gut. Dass er in der Lage war, sich gedanklich in die Lage des k<u>u</u>nftigen M<u>u</u>rders seiner Tochter zu versetzen, machte ihn dem M<u>u</u>rder n<u>u</u>mlich haushoch <u>u</u>berlegen. Denn der M<u>u</u>rder, das stand fest, war bei all seiner Intelligenz gewiss nicht in der Lage, sich in Richis' Lage zu versetzen - und sei's nur, weil er gewiss nicht ahnen konnte, dass Richis sich l<u>u</u>ngst in seine, des M<u>u</u>rders Lage versetzt hatte. Im Grunde war das nicht anders als im Gesch<u>u</u>ftsleben auch - mutatis mutandis, versteht sich. Einem Konkurrenten, dessen Absichten man durchschaut hatte, war man <u>u</u>berlegen; von ihm ließ man sich nicht mehr aufs Kreuz legen; nicht, wenn man Antoine Richis hieß, mit allen Wassern gewaschen war und eine K<u>u</u>mpfernatur besaß. Schließlich waren ihm der gr<u>u</u>ßte Duftstoffhandel Frankreichs, sein Reichtum und das Amt des Zweiten Konsuls nicht gnadenhalber in den Schoß gefallen, sondern er hatte sie sich erk<u>u</u>mpft, ertrotzt, erschlichen, indem er Gefahren beizeiten erkannt, die Pl<u>u</u>ne der Konkurrenten schlau erraten und Widersacher ausgestochen hatte. Und seine k<u>u</u>nftigen Ziele, die Macht und Nobilit<u>u</u>t seiner Nachkommenschaft, w<u>u</u>rde er ebenso erreichen. Und nicht anders w<u>u</u>rde er die Pl<u>u</u>ne jenes M<u>u</u>rders durchkreuzen, seines Konkurrenten um den Besitz an Laure - und w<u>u</u>re es nur deshalb, weil Laure auch den Schlussstein im Geb<u>u</u>ude seiner, Richis', eigenen Pl<u>u</u>ne bildete. Er liebte sie, gewiss; aber er brauchte sie auch. Und was er brauchte zur Verwirklichung seiner h<u>u</u>chsten Ambitionen, das ließ er sich von niemandem entwinden, das hielt er fest mit Z<u>u</u>hnen und mit Klauen. Nun war ihm wohler. Nachdem es ihm gelungen war, seine n<u>u</u>chtlichen <u>u</u>berlegungen betreffs Kampf mit dem D<u>u</u>mon auf die Ebene einer gesch<u>u</u>ftlichen Auseinandersetzung herabzudr<u>u</u>cken, sp<u>u</u>rte er, wie frischer Mut, ja <u>u</u>bermut ihn erfasste. Verflogen war der letzte Rest von Angst, verschwunden das Gef<u>u</u>hl von Verzagtheit und gr<u>u</u>mlicher Sorge, das ihn wie einen senilen Tattergreis gequ<u>u</u>lt hatte, weggeblasen der Nebel von d<u>u</u>steren Ahnungen, in dem er seit Wochen herumtappte. Er befand sich auf vertrautem Terrain und f<u>u</u>hlte sich jeder Herausforderung gewachsen. <i>43</i> Erleichtert, vergn<u>u</u>gt fast, sprang er aus dem Bett, zog am Klingelband und befahl seinem schlaftrunken hereintaumelnden Diener, Kleider und Proviant zu packen, da er ged<u>u</u>chte, bei Tagesanbruch in Begleitung seiner Tochter nach Grenoble zu reisen. Dann zog er sich an und scheuchte das <u>u</u>brige Personal aus den Betten. Mitten in der Nacht erwachte das Haus in der Rue Droite zu emsigem Leben. In der K<u>u</u>che flammten die Feuer auf, durch die G<u>u</u>nge huschten die aufgeregten M<u>u</u>gde, treppauf treppab eilte der Diener, in den Kellergew<u>u</u>lben klapperten die Schl<u>u</u>ssel des Lagerverwalters, im Hof leuchteten Fackeln, Knechte liefen um Pferde, andere zerrten die Maultiere aus den St<u>u</u>llen, es wurde gez<u>u</u>umt, gesattelt, gerannt und geladen - man h<u>u</u>tte glauben k<u>u</u>nnen, die austrosardischen Horden seien pl<u>u</u>ndernd und sengend im Anmarsch wie anno 1746 und der Hausherr r<u>u</u>ste in panischer Eile zur Flucht. Doch keineswegs! Der Hausherr saß souver<u>u</u>n wie ein Marschall von Frankreich am Schreibtisch seines Kontors, trank Milchkaffee und erließ seine Anweisungen an die st<u>u</u>ndig hereinst<u>u</u>rzenden Domestiken. Nebenher schrieb er Briefe an den B<u>u</u>rgermeister und Ersten Konsul, an seinen Notar, an seinen Anwalt, an seinen Bankier in Marseille, an den Baron de Bouyon und an diverse Gesch<u>u</u>ftspartner. Gegen sechs Uhr fr<u>u</u>h hatte er die Korrespondenz erledigt und alle zu seinen Pl<u>u</u>nen notwendigen Verf<u>u</u>gungen getroffen. Er steckte zwei kleine Reisepistolen zu sich, schnallte sich seinen Geldg<u>u</u>rtel um und sperrte den Schreibtisch zu. Dann ging er seine Tochter wecken. Um acht setzte sich die kleine Karawane in Bewegung. Richis ritt voran, er war pr<u>u</u>chtig anzusehen in einem weinroten, goldbetressten Rock, schwarzer Redingote und schwarzem Hut mit kessem Federbusch. Ihm folgte seine Tochter, bescheidener gekleidet, aber so strahlend sch<u>u</u>n, dass das Volk auf der Straße und an den Fenstern nur Augen f<u>u</u>r sie hatte, dass and<u>u</u>chtige Ahs und Ohs durch die Menge gingen und die M<u>u</u>nner ihren Hut zogen - scheinbar vor dem zweiten Konsul, in Wahrheit aber vor ihr, der k<u>u</u>niglichen Frau. Dann kam, fast unbeachtet, die Zofe, dann Richis' Diener mit zwei Packpferden - die Verwendung eines Wagens verbot sich wegen des ber<u>u</u>chtigt schlechten Zustands der Grenobler Route -, und den Abschluss des Zuges bildeten ein Dutzend mit allen m<u>u</u>glichen Waren beladene Maultiere unter Aufsicht zweier Knechte. An der Porte du Cours pr<u>u</u>sentierten die Wachen das Gewehr und ließen es erst wieder sinken, als das letzte Maultier vor<u>u</u>bergetippelt war. Kinder liefen hinterher, noch eine ganze Weile lang, winkten dem Tross nach, der sich langsam auf dem steilen, gewundenen Weg bergw<u>u</u>rts entfernte. Auf die Menschen machte der Auszug des Antoine Richis mit seiner Tochter einen seltsam tiefen Eindruck. Ihnen war, als h<u>u</u>tten sie einem archaischen Opfergang beigewohnt. Es hatte sich herumgesprochen, dass Richis nach Grenoble reiste, in jene Stadt also, wo neuerdings das m<u>u</u>dchenmordende Monster hauste. Die Leute wussten nicht, was sie davon halten sollten. War es str<u>u</u>flicher Leichtsinn, was Richis tat, oder bewundernswerter Mut? War es eine Herausforderung oder eine Bes<u>u</u>nftigung der G<u>u</u>tter? Sie ahnten nur sehr undeutlich, dass sie das sch<u>u</u>ne M<u>u</u>dchen mit den roten Haaren soeben zum letzten Mal gesehen hatten. Sie ahnten, dass Laure Richis verloren war. Diese Ahnung sollte sich als richtig erweisen, obwohl sie auf v<u>u</u>llig falschen Voraussetzungen beruhte. Richis zog n<u>u</u>mlich keineswegs nach Grenoble. Der pomp<u>u</u>se Auszug war nichts als eine Finte gewesen. Anderthalb Meilen nordwestlich von Grasse, in der N<u>u</u>he des Dorfes Saint-Vallier, ließ er anhalten. Er h<u>u</u>ndigte seinem Diener Vollmachten und Begleitschreiben aus und befahl ihm, den Maultiertreck allein mit den Knechten nach Grenoble zu bringen. Er selbst wandte sich mit Laure und der Zofe in Richtung Cabris, wo er eine Mittagspause einlegte, und ritt dann quer durch das Gebirge des Tanneron nach S<u>u</u>den. Der Weg war <u>u</u>ußerst beschwerlich, aber er gestattete es, Grasse und das Grasser Becken in einem weiten westlichen Bogen zu umgehen und bis zum Abend unerkannt die K<u>u</u>ste zu erreichen... Am folgenden Tag - so Richis' Plan - wollte er sich mit Laure nach den Lerinischen Inseln <u>u</u>bersetzen lassen, auf deren kleinerer sich das wohlbefestigte Kloster Saint-Honorat befand. Es wurde von einem H<u>u</u>uflein greiser, aber noch durchaus wehrf<u>u</u>higer M<u>u</u>nche bewirtschaftet, mit denen Richis gut bekannt war, denn er kaufte und vertrieb schon seit Jahren die gesamte kl<u>u</u>sterliche Produktion an Eukalyptuslik<u>u</u>r, Pinienkernen und Zypressen<u>u</u>l. Und eben dort, im Kloster Saint-Honorat, dem neben dem Zuchthaus von Chateau d'If und dem Staatsgef<u>u</u>ngnis der Ile Sainte-Mar-guerite wohl sichersten Ort der Provence, gedachte er seine Tochter f<u>u</u>rs erste unterzubringen. Er selbst w<u>u</u>rde unverz<u>u</u>glich wieder aufs Festland zur<u>u</u>ckkehren, Grasse diesmal via Antibes und Cagnes <u>u</u>stlich umgehen, um noch am Abend desselben Tages in Vence einzutreffen. Dorthin hatte er bereits seinen Notar bestellt zwecks einer zu treffenden Vereinbarung mit dem Baron de Bouyon <u>u</u>ber die Verehelichung ihrer Kinder Laure und Alphonse. Er wollte Bouyon ein Angebot machen, das dieser nicht w<u>u</u>rde ablehnen k<u>u</u>nnen: <u>u</u>bernahme von Schulden in H<u>u</u>he von 40000 Livre, Mitgift bestehend aus einer Summe in gleicher H<u>u</u>he sowie diversen L<u>u</u>ndereien und einer <u>u</u>lm<u>u</u>hle bei Maganosc, eine j<u>u</u>hrliche Rente von 3000 Livre f<u>u</u>r das junge Paar. Einzige Bedingung Richis' war, dass die Ehe innerhalb von zehn Tagen eingegangen und am Hochzeitstag vollzogen w<u>u</u>rde, und dass das Paar anschließend Wohnung in Vence nahm. Richis wusste, dass er durch ein so eiliges Vorgehen den Preis f<u>u</u>r die Verbindung seines Hauses mit dem Haus derer von Bouyon ganz unverh<u>u</u>ltnism<u>u</u>ßig in die H<u>u</u>he trieb. Bei l<u>u</u>ngerem Zuwarten h<u>u</u>tte er sie billiger bekommen. Gebettelt h<u>u</u>tte der Baron darum, die Tochter des b<u>u</u>rgerlichen Großh<u>u</u>ndlers durch seinen Sohn standesm<u>u</u>ßig erh<u>u</u>hen zu d<u>u</u>rfen, denn der Ruhm von Laures Sch<u>u</u>nheit w<u>u</u>rde ja noch wachsen, ebenso wie Richis' Reichtum und wie Bouyons finanzielle Misere. Aber sei's drum! Nicht der Baron war bei diesem Handel der Gegner, sondern der unbekannte M<u>u</u>rder war es. Ihm galt es das Gesch<u>u</u>ft zu versalzen. Eine verheiratete Frau, defloriert und wom<u>u</u>glich schon geschw<u>u</u>ngert, passte nicht mehr in seine exklusive Galerie. Der letzte Mosaikstein w<u>u</u>re blind geworden, Laure h<u>u</u>tte f<u>u</u>r den M<u>u</u>rder jeden Wert verloren, sein Werk w<u>u</u>re gescheitert. Und diese Niederlage sollte er zu sp<u>u</u>ren bekommen! Richis wollte die Hochzeit in Grasse abhalten, mit großem Pomp und in aller <u>u</u>ffentlichkeit. Und wenn er seinen Gegner auch nicht kannte und niemals kennen w<u>u</u>rde, so sollte es ihm doch ein Genuss sein, zu wissen, dass dieser dem Ereignis beiwohnte und mit eignen Augen zusehen musste, wie ihm das Begehrteste vor der Nase weggeschnappt wurde. Der Plan war fein ausgedacht. Und wieder m<u>u</u>ssen wir Richis' Gesp<u>u</u>r bewundern, mit dem er der Wahrheit nahekam. Denn in der Tat h<u>u</u>tte die Heimf<u>u</u>hrung der Laure Richis durch den Sohn des Baron de Bouyon f<u>u</u>r den Grasser M<u>u</u>dchenm<u>u</u>rder eine vernichtende Niederlage bedeutet. Aber noch war der Plan nicht verwirklicht. Noch hatte Richis seine Tochter nicht unter die rettende Haube gebracht. Noch hatte er sie nicht in das sichere Kloster von Saint-Honorat <u>u</u>bergesetzt. Noch schlugen sich die drei Reiter durch das unwirtliche Gebirge des Tanneron. Manchmal waren die Wege so schlecht, dass man von den Pferden absitzen musste. Es ging alles sehr langsam. Gegen Abend hofften sie das Meer bei Napoule zu erreichen, einem kleinen Ort westlich von Cannes. <i>44</i> Zu dem Zeitpunkt, da Laure Richis mit ihrem Vater Grasse verließ, befand sich Grenouille am andern Ende der Stadt im Arnulfischen Atelier und mazerierte Jonquillen. Er war allein, und er war guter Dinge. Seine Zeit in Grasse neigte sich dem Ende zu. Der Tag des Triumphes stand bevor. Draußen in der Kabane lagen in einem wattegepolsterten K<u>u</u>stchen vierundzwanzig winzige Flakons mit der zu Tropfen geronnenen Aura von vierundzwanzig Jungfrauen - kostbarste Essenzen, die Grenouille im vergangenen Jahr durch kalte Fettenfleurage der K<u>u</u>rper, Digerieren von Haaren und Kleidern, Lavage und Destillation gewonnen hatte. Und die f<u>u</u>nfundzwanzigste, die k<u>u</u>stlichste und wichtigste, wollte er sich heute holen. Er hatte schon ein Tiegelchen mit mehrfach gereinigtem Fett, ein Tuch von feinstem Leinen und einen Ballon hochrektifizierten Alkohols f<u>u</u>r diesen letzten Fischzug vorbereitet. Das Terrain war aufs genaueste sondiert. Es herrschte Neumond. Er wusste, dass ein Einbruchsversuch in das gut gesicherte Anwesen an der Rue Droite sinnlos war. Deshalb wollte er sich schon bei Anbruch der D<u>u</u>mmerung, ehe noch die Tore geschlossen wurden, einschleichen und im Schutz der eigenen Geruchlosigkeit, die ihn wie eine Tarnkappe der Wahrnehmung von Mensch und Tier entzog, in irgendeinem Winkel des Hauses verbergen. Sp<u>u</u>ter dann, wenn alles schlief, w<u>u</u>rde er, vom Kompass seiner Nase durch die Dunkelheit gef<u>u</u>hrt, zur Kammer seines Schatzes hinaufsteigen. Er w<u>u</u>rde ihn an Ort und Stelle im fettgetr<u>u</u>nkten Tuch verarbeiten. Nur Haar und Kleider w<u>u</u>rde er wie gew<u>u</u>hnlich mitnehmen, da diese Teile direkt in Weingeist ausgewaschen werden konnten, was sich bequemer in der Werkstatt machen ließ. F<u>u</u>r die Endverarbeitung der Pomade und das Abdestillieren zu Konzentrat veranschlagte er eine weitere Nacht. Und wenn alles gutging - und er hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, dass alles gutgehen w<u>u</u>rde -, dann war er <u>u</u>bermorgen im Besitz s<u>u</u>mtlicher Essenzen f<u>u</u>r das beste Parfum der Welt, und er w<u>u</u>rde Grasse verlassen als der bestriechende Mensch auf Erden. Gegen Mittag war er mit seinen Jonquillen fertig. Er l<u>u</u>schte das Feuer, deckte den Fettkessel zu und ging vor die Werkstatt, um sich abzuk<u>u</u>hlen. Der Wind kam von Westen. Schon mit dem ersten Atemzug merkte er, dass etwas nicht stimmte. Die Atmosph<u>u</u>re war nicht in Ordnung. Im Duftkleid der Stadt, diesem vieltausendf<u>u</u>dig gewebten Schleier, fehlte der goldene Faden. W<u>u</u>hrend der letzten Wochen war dieser duftende Faden so kr<u>u</u>ftig geworden, dass Grenouille ihn sogar noch jenseits der Stadt bei seiner Kabane deutlich wahrgenommen hatte. Jetzt war er weg, verschwunden, durch intensivstes Schnuppern nicht mehr aufzusp<u>u</u>ren. Grenouille war wie gel<u>u</u>hmt vor Schreck. Sie ist tot, dachte er. Dann, noch entsetzlicher: Es ist mir ein anderer zuvorgekommen. Ein anderer hat meine Blume abgerupft und ihren Duft an sich gebracht! Einen Schrei brachte er nicht heraus, dazu war seine Ersch<u>u</u>tterung zu groß, aber zu Tr<u>u</u>nen reichte es, die in seinen Augenwinkeln schwollen und pl<u>u</u>tzlich beiderseits der Nase herabst<u>u</u>rzten. Da kam Druot aus den >Quatre Dauphins< zum Mittagessen nach Hause und erz<u>u</u>hlte en passant, heute fr<u>u</u>h sei der Zweite Konsul mit zw<u>u</u>lf Maultieren und einer Tochter nach Grenoble gezogen. Grenouille schluckte die Tr<u>u</u>nen hinunter und rannte davon, quer durch die Stadt zur Porte du Cours. Auf dem Platz vor dem Tor hielt er an und schnupperte. Und im reinen, von den Stadtger<u>u</u>chen unber<u>u</u>hrten Westwind fand er tats<u>u</u>chlich seinen goldenen Faden wieder, d<u>u</u>nn und schwach zwar, aber dennoch unverkennbar. Allerdings wehte der geliebte Duft nicht von Nordwesten her, wohin die Straße nach Grenoble f<u>u</u>hrte, sondern eher aus Richtung Cabris - wo nicht gar aus S<u>u</u>dwesten. Grenouille fragte die Wache, welche Straße der Zweite Konsul genommen habe. Der Posten wies nach Norden. Nicht die Straße nach Cabris? Oder die andere, die s<u>u</u>dlich nach Auribeau und La Napoule f<u>u</u>hrte? - Bestimmt nicht, sagte der Posten, er habe es mit eigenen Augen gesehen. Grenouille rannte zur<u>u</u>ck durch die Stadt zu seiner Kabane, packte Leintuch, Pomadentopf, Spatel, Schere und eine kleine glatte Keule aus Olivenholz in seinen Reisesack und machte sich unverz<u>u</u>glich auf den Weg - nicht auf den Weg nach Grenoble, sondern auf den Weg, den ihm seine Nase wies: nach S<u>u</u>den. Dieser Weg, der direkte Weg nach Napoule, f<u>u</u>hrte an den Ausl<u>u</u>ufern des Tanneron entlang durch die Flusssenken von Frayere und Siagne. Er war bequem zu gehen. Grenouille kam rasch voran. Als zu seiner Rechten Auribeau auftauchte, oben an den Bergkuppen h<u>u</u>ngend, roch er, dass er die Fl<u>u</u>chtenden fast eingeholt hatte. Wenig sp<u>u</u>ter war er auf gleicher H<u>u</u>he mit ihnen. Er roch sie jetzt einzeln, er roch sogar den Dunst ihrer Pferde. Sie konnten h<u>u</u>chstens eine halbe Meile westlich sein, irgendwo in den W<u>u</u>ldern des Tanneron. Sie hielten nach S<u>u</u>den, aufs Meer zu. Genau wie er. Gegen f<u>u</u>nf Uhr nachmittag erreichte Grenouille La Napoule. Er ging in das Gasthaus, aß und bat um ein billiges Lager. Er sei ein Gerbergeselle aus Nizza, sagte er, auf dem Weg nach Marseille . Er k<u>u</u>nne im Stall n<u>u</u>chtigen, hieß es. Dort legte er sich in eine Ecke und ruhte aus. Er roch, dass die drei Reiter sich n<u>u</u>herten. Er brauchte nur noch zu warten. Zwei Stunden sp<u>u</u>ter - es d<u>u</u>mmerte schon stark kamen sie an. Um ihr Inkognito zu wahren, hatten sie die Kleider gewechselt. Die beiden Frauen trugen nun dunkle Gew<u>u</u>nder und Schleier, Richis einen schwarzen Rock. Er gab sich als Edelmann aus, kommend von Castellane; morgen wolle er auf die Lerinischen Inseln <u>u</u>bersetzen, der Wirt solle f<u>u</u>r ein Boot sorgen, das bei Sonnenaufgang bereitst<u>u</u>nde. Ob außer ihm und seinen Leuten noch andere G<u>u</u>ste im Haus seien? Nein, sagte der Wirt, nur ein Gerbergeselle aus Nizza, der n<u>u</u>chtige im Stall. Richis schickte die Frauen auf die Zimmer. Er selbst ging in den Stall, um noch etwas aus den Satteltaschen zu holen, wie er sagte. Zun<u>u</u>chst konnte er den Gerbergesellen nicht finden, er musste sich vom Rossknecht eine Laterne geben lassen. Dann sah er ihn, in einem Winkel auf Stroh und einer alten Decke liegend, den Kopf gegen seinen Reisesack gelehnt, tief schlafend. Er sah so vollkommen unscheinbar aus, dass Richis f<u>u</u>r einen Moment den Eindruck hatte, er sei gar nicht vorhanden, sondern nur eine von den schwankenden Schatten der Laternenkerze hingeworfene Schim<u>u</u>re. Jedenfalls stand f<u>u</u>r Richis augenblicklich fest, dass von diesem geradezu r<u>u</u>hrend harmlosen Wesen nicht die geringste Gefahr zu bef<u>u</u>rchten war, und er entfernte sich leise, um seinen Schlaf nicht zu st<u>u</u>ren, und kehrte ins Haus zur<u>u</u>ck. Das Abendessen nahm er gemeinsam mit seiner Tochter auf dem Zimmer ein. Er hatte sie <u>u</u>ber Zweck und Ziel der seltsamen Reise nicht aufgekl<u>u</u>rt, und er tat es auch jetzt nicht, obwohl sie ihn darum bat. Morgen werde er sie einweihen, sagte er, und sie k<u>u</u>nne sich darauf verlassen, dass alles, was er plane und tue, zu ihrem Besten und zuk<u>u</u>nftigen Gl<u>u</u>ck ausschlagen werde. Nach dem Essen spielten sie einige Partien L'hombre, die er alle verlor, weil er statt in seine Karten immerfort in ihr Gesicht schaute, um sich an ihrer Sch<u>u</u>nheit zu erg<u>u</u>tzen. Gegen neun Uhr brachte er sie in ihr Zimmer, das dem seinen gegen<u>u</u>berlag, k<u>u</u>sste sie zur Nacht und versperrte die T<u>u</u>re von außen. Dann ging er selbst zu Bett. Er war mit einem Mal sehr m<u>u</u>de von den Anstrengungen des Tages und der vergangenen Nacht und zugleich sehr zufrieden mit sich und dem Gang der Dinge. Ohne den geringsten Gedanken der Sorge, ohne d<u>u</u>stere Ahnungen, wie sie ihn noch bis gestern jedesmal nach dem L<u>u</u>schen der Lampe gequ<u>u</u>lt und wach gehalten hatten, schlief er sofort ein, und schlief ohne Traum, ohne Gest<u>u</u>hn, ohne krampfhaftes Zucken oder nerv<u>u</u>ses Um- und Umw<u>u</u>lzen des K<u>u</u>rpers. Zum ersten Mal seit langer Zeit fand Richis einen tiefen, ruhigen, erquickenden Schlaf. Um die gleiche Zeit erhob sich Grenouille von seinem Lager im Stall. Auch er war zufrieden mit sich und dem Gang der Dinge und f<u>u</u>hlte sich <u>u</u>ußerst erfrischt, obwohl er keine Sekunde lang geschlafen hatte. Als Richis in den Stall gekommen war, um ihn aufzusuchen, hatte er sich nur schlafend gestellt, um den Eindruck von Harmlosigkeit, den er an und f<u>u</u>r sich schon wegen seines Unauff<u>u</u>lligkeitsgeruchs ausstrahlte, noch augenscheinlicher zu machen. Anders als Richis ihn, hatte <u>u</u>brigens er Richis <u>u</u>ußerst pr<u>u</u>zise wahrgenommen, olfaktorisch n<u>u</u>mlich, und Richis' Erleichterung angesichts seiner war ihm keineswegs entgangen. Und so hatten sich beide bei ihrer kurzen Begegnung gegenseitig von ihrer Arglosigkeit <u>u</u>berzeugt, zu Unrecht und zu Recht, und das war gut so, wie Grenouille fand, denn seine scheinbare und Richis' wirkliche Arglosigkeit erleichterten ihm, Grenouille, das Gesch<u>u</u>ft - eine Anschauung <u>u</u>brigens, die Richis im umgekehrten Fall durchaus geteilt h<u>u</u>tte. <i>45</i> Mit professioneller Bed<u>u</u>chtigkeit ging Grenouille ans Werk. Er <u>u</u>ffnete den Reisesack, entnahm ihm Leintuch, Pomade und Spatel, breitete das Tuch <u>u</u>ber die Decke, auf der er gelegen hatte, und begann es mit der Fettpaste zu bestreichen. Das war eine Arbeit, die ihre Zeit brauchte, denn es kam darauf an, das Fett hier in dickerer, dort in d<u>u</u>nnerer Schicht aufzutragen, je nachdem, an welche Stelle des K<u>u</u>rpers die jeweilige Partie des Tuches zu liegen k<u>u</u>me. Mund und Achsel, Brust, Geschlecht und F<u>u</u>ße gaben gr<u>u</u>ßere Duftmengen ab als etwa Schienbeine, R<u>u</u>cken und Ellbogen; Handfl<u>u</u>chen gr<u>u</u>ßere als Handr<u>u</u>cken; Brauen gr<u>u</u>ßere als Lider etc. - und mussten dementsprechend kr<u>u</u>ftiger mit Fett versehen werden. Grenouille modellierte also gleichsam ein Duftdiagramm des zu behandelnden K<u>u</u>rpers auf das Leintuch, und dieser Teil der Arbeit war ihm eigentlich der befriedigendste, denn es handelte sich um eine k<u>u</u>nstlerische Technik, die Sinne, Phantasie und H<u>u</u>nde gleichermaßen besch<u>u</u>ftigte und obendrein den Genuss des zu erwartenden Endergebnisses auf ideelle Weise vorwegnahm. Als er das ganze T<u>u</u>pfchen Pomade aufgebraucht hatte, tupfte er noch da und dort, nahm an einer Stelle des Tuches Fett ab, f<u>u</u>gte an einer anderen zu, retuschierte, <u>u</u>berpr<u>u</u>fte noch einmal die modellierte Fettlandschaft - mit der Nase <u>u</u>brigens, nicht mit den Augen, denn das ganze Gesch<u>u</u>ft spielte sich in vollkommener Finsternis ab, was vielleicht ein weiterer Grund f<u>u</u>r Grenouilles ausgeglichen freudige Stimmung war. In dieser Neumondnacht lenkte ihn nichts ab. Die Welt war nichts als nur Geruch und ein wenig Brandungsger<u>u</u>usch vom Meer her. Er war in seinem Element. Dann schlug er das Tuch zusammen wie eine Tapete, so dass die befetteten Fl<u>u</u>chen aufeinanderlagen. Es war ihm dies eine schmerzliche Handlung, denn er wusste wohl, dass sich selbst bei aller Vorsicht Teile der ausgeformten Konturen dadurch abplatteten und verschoben. Aber es gab keine andere M<u>u</u>glichkeit, das Tuch zu transportieren. Nachdem er es soweit gefaltet hatte, dass er es ohne allzugroße Behinderung <u>u</u>ber den Unterarm gelegt tragen konnte, steckte er Spatel, Schere und die kleine Olivenholzkeule zu sich und schlich hinaus ins Freie. Der Himmel war bedeckt. Im Haus brannte kein Licht mehr. Der einzige Funken in dieser stockfinsteren Nacht zuckte im Osten auf dem Leuchtturm des Forts auf der Ile Sainte-Marguerite, <u>u</u>ber eine Meile entfernt, ein winziger heller Nadelstich in rabenschwarzem Tuch. Aus der Bucht kam ein leichter fischiger Wind. Die Hunde schliefen. Grenouille ging zur <u>u</u>ußeren Tennenluke, an die eine Leiter gelehnt stand. Er hob die Leiter ab und balancierte sie aufrecht, drei Sprossen unter den freien rechten Arm geklemmt, den <u>u</u>berstand gegen die rechte Schulter gepresst, <u>u</u>ber den Hof bis unter ihr Fenster. Das Fenster stand halb offen. Als er die Leiter hinaufstieg, bequem wie auf einer Treppe, begl<u>u</u>ckw<u>u</u>nschte er sich zu dem Umstand, den Duft des M<u>u</u>dchens hier in Napoule ernten zu d<u>u</u>rfen. In Grasse, bei vergitterten Fenstern und streng bewachtem Haus, w<u>u</u>re alles sehr viel schwieriger gewesen. Hier schlief sie sogar allein. Er brauchte nicht einmal die Zofe auszuschalten. Er dr<u>u</u>ckte den Fensterfl<u>u</u>gel auf, schl<u>u</u>pfte in die Kammer und legte das Laken ab. Dann wandte er sich dem Bett zu. Der Duft ihres Haares dominierte, denn sie lag auf dem Bauch, und sie hatte das Gesicht, vom Armwinkel umrahmt, ins Kissen gedr<u>u</u>ckt, so dass sich ihr Hinterkopf in geradezu idealer Weise dem Keulenschlag pr<u>u</u>sentierte. Das Ger<u>u</u>usch des Schlages war dumpf und knirschend. Er hasste es. Er hasste es allein deshalb, weil es ein Ger<u>u</u>usch war, ein Ger<u>u</u>usch in seinem ansonsten lautlosen Gesch<u>u</u>ft. Nur mit zusammengebissenen Z<u>u</u>hnen konnte er dieses ekelhafte Ger<u>u</u>usch ertragen, und nachdem es vor<u>u</u>ber war, stand er noch eine Weile lang steif und verbissen da, die Hand um die Keule gekrampft, als f<u>u</u>rchte er, das Ger<u>u</u>usch k<u>u</u>nne zur<u>u</u>ckkehren als widerhallendes Echo von irgendwoher. Es kehrte aber nicht zur<u>u</u>ck, sondern die Stille kehrte zur<u>u</u>ck in die Kammer, eine vermehrte Stille sogar, da nun nicht einmal mehr der schl<u>u</u>rfende Atem des M<u>u</u>dchens ging. Und alsbald l<u>u</u>ste sich Grenouilles verspannte Haltung (die man vielleicht auch als eine Ehrfurchtshaltung oder eine Art verkrampfter Schweigeminute h<u>u</u>tte deuten k<u>u</u>nnen), und sein K<u>u</u>rper sank geschmeidig in sich zusammen. Er steckte die Keule weg und war nun nur noch von emsiger Betriebsamkeit erf<u>u</u>llt. Als erstes faltete er das Beduftungstuch auseinander, breitete es locker mit der R<u>u</u>ckseite <u>u</u>ber Tisch und St<u>u</u>hle und achtete darauf, dass die Fettseite unber<u>u</u>hrt blieb. Dann schlug er die Bettdecke zur<u>u</u>ck. Der herrliche Duft des M<u>u</u>dchens, der pl<u>u</u>tzlich warm und massiv aufquoll, ber<u>u</u>hrte ihn nicht. Er kannte ihn ja, und genießen, genießen bis zum Rausch, w<u>u</u>rde er ihn sp<u>u</u>ter, wenn er ihn erst wirklich besaß. Jetzt ging es darum, m<u>u</u>glichst viel davon einzufangen, m<u>u</u>glichst wenig verstr<u>u</u>men zu lassen, jetzt waren Konzentration und Eile geboten. Mit raschen Scherenschnitten schlitzte er das Nachtgewand auf, zog es ihr aus, ergriff das befettete Laken und warf es <u>u</u>ber ihren nackten K<u>u</u>rper. Dann hob er sie hoch, strich ihr das <u>u</u>berh<u>u</u>ngende Tuch unter, rollte sie ein wie ein B<u>u</u>cker den Strudel, falzte die Enden, umh<u>u</u>llte sie von den Zehen bis an die Stirn. Nur ihr Haar schaute noch aus dem Mumienverband hervor. Er schnitt es dicht <u>u</u>ber der Kopfhaut ab, packte es in ihr Nachthemd, das er zu einem B<u>u</u>ndel verknotete. Zuletzt klappte er ein freigelassenes St<u>u</u>ck Tuch <u>u</u>ber den geschorenen Sch<u>u</u>del, strich das <u>u</u>berlappende Ende glatt, tupfte es mit zartem Fingerdruck fest. Er <u>u</u>berpr<u>u</u>fte das ganze Paket. Kein Schlitz, kein L<u>u</u>chlein, kein aufgekniffenes F<u>u</u>ltlein klaffte mehr, an dem der Duft des M<u>u</u>dchens h<u>u</u>tte entweichen k<u>u</u>nnen. Sie war perfektverpackt. Es blieb nichts mehr zu tun, als zu warten, sechs Stunden lang, bis der Morgen graute. Er nahm den kleinen Sessel, auf dem ihre Kleider lagen, trug ihn ans Bett und setzte sich. In dem weiten schwarzen Gewand hing noch der zarte Hauch ihres Duftes, vermischt mit dem Geruch von Anispl<u>u</u>tzchen, die sie als Reiseproviant in die Tasche gesteckt hatte. Er legte seine F<u>u</u>ße auf den Bettrand, in die N<u>u</u>he ihrer F<u>u</u>ße, deckte sich mit ihrem Kleid zu und aß die Anispl<u>u</u>tzchen. Er war m<u>u</u>de. Aber er wollte nicht schlafen, denn es geh<u>u</u>rte sich nicht, dass man w<u>u</u>hrend der Arbeit schlief, auch wenn die Arbeit nur aus Warten bestand. Er erinnerte sich an die N<u>u</u>chte, die er in der Werkstatt Baldinis beim Destillieren verbracht hatte: an den rußgeschw<u>u</u>rzten Alambic, an das flackernde Feuer, an das leise spuckende Ger<u>u</u>usch, mit dem das Destillat aus dem K<u>u</u>hlrohr in die Florentinerflasche tr<u>u</u>pfelte. Von Zeit zu Zeit hatte man nach dem Feuer sehen m<u>u</u>ssen, hatte Destillierwasser nachf<u>u</u>llen, die Florentinerflasche wechseln, das ersch<u>u</u>pfte Destilliergut ersetzen m<u>u</u>ssen. Und dennoch war ihm immer gewesen, als wache man nicht, um diese gelegentlich anfallenden T<u>u</u>tigkeiten zu verrichten, sondern als habe die Wache ihren eigenen Sinn. Selbst hier in dieser Kammer, wo sich der Prozess der Enfleurage ganz von allein vollzog, ja, wo sogar ein unzeitiges Pr<u>u</u>fen, Wenden und Betun des duftenden Pakets nur st<u>u</u>rend h<u>u</u>tte wirken k<u>u</u>nnen selbst hier, so schien Grenouille, war seine wachende Gegenwart wichtig. Der Schlaf h<u>u</u>tte den Geist des Gelingens gef<u>u</u>hrdet. Es fiel ihm im <u>u</u>brigen nicht schwer, wachzubleiben und zu warten, trotz seiner M<u>u</u>digkeit. <i>Dieses</i> Warten liebte er. Auch bei den vierundzwanzig anderen M<u>u</u>dchen hatte er es geliebt, denn es war ja kein dumpfes Dahinwarten und auch kein sehns<u>u</u>chtiges Herbeiwarten, sondern ein begleitendes, sinnvolles, gewissermaßen ein t<u>u</u>tiges Warten. Es tat sich etwas w<u>u</u>hrend dieses Wartens. Das Wesentliche tat sich. Und wenn er es auch nicht selbst tat, so tat es sich doch durch ihn. Er hatte sein Bestes gegeben. Er hatte all seine Kunstfertigkeit aufgebracht. Kein Fehler war ihm unterlaufen. Das Werk war einzigartig. Es w<u>u</u>rde von Erfolg gekr<u>u</u>nt sein... Nur noch ein paar Stunden warten musste er. Es befriedigte ihn zutiefst, dieses Warten. Er hatte sich in seinem Leben nie so wohl gef<u>u</u>hlt, so ruhig, so ausgeglichen, so eins und einig mit sich selbst - auch damals nicht in seinem Berg - wie in diesen Stunden der handwerklichen Pause, da er in tiefster Nacht bei seinen Opfern saß und wachend wartete. Es waren die einzigen Momente, da sich in seinem d<u>u</u>steren Hirn fast heitere Gedanken bildeten. Sonderbarerweise gingen diese Gedanken nicht in die Zukunft. Er dachte nicht an den Duft, den er in ein paar Stunden ernten w<u>u</u>rde, nicht an das Parfum aus f<u>u</u>nfundzwanzig M<u>u</u>dchenauren, nicht an k<u>u</u>nftige Pl<u>u</u>ne, Gl<u>u</u>ck und Erfolg. Nein, er gedachte seiner Vergangenheit. Er erinnerte sich an die Stationen seines Lebens vom Hause der Madame Gaillard und dem feuchtwarmen Holzstoß davor bis zu seiner heutigen Reise in das kleine fischig riechende Dorf Napoule. Er gedachte des Gerbers Grimal, Giuseppe Baldinis, des Marquis de la Taillade-Espinasse. Er gedachte der Stadt Paris, ihres großen tausendfach schillernden <u>u</u>blen Brodems, er gedachte des rothaarigen M<u>u</u>dchens in der Rue des Marais, des freien Landes, des d<u>u</u>nnen Winds, der W<u>u</u>lder. Er gedachte auch des Bergs in der Auvergne - er umging diese Erinnerung keineswegs -, seiner H<u>u</u>hle, der menschenleeren Luft. Er gedachte auch seiner Tr<u>u</u>ume. Und er gedachte all dieser Dinge mit großem Wohlgefallen. Ja, es schien ihm, wenn er so zur<u>u</u>ckdachte, dass er ein vom Gl<u>u</u>ck besonders beg<u>u</u>nstigter Mensch sei und dass sein Schicksal ihn auf zwar verschlungenen, doch letzten Endes richtigen Wegen gef<u>u</u>hrt habe - wie w<u>u</u>re es sonst m<u>u</u>glich gewesen, dass er hierhergefunden h<u>u</u>tte, in diese dunkle Kammer, ans Ziel seiner W<u>u</u>nsche? Er war, wenn er sich's recht <u>u</u>berlegte, ein wirklich begnadetes Individuum! R<u>u</u>hrung stieg in ihm auf, Demut und Dankbarkeit. "Ich danke dir", sagte er leise, "ich danke dir, Jean-Baptiste Grenouille, dass du so bist, wie du bist!" So ergriffen war er von sich selbst. Dann schloss er die Lider - nicht, um zu schlafen, sondern um sich ganz dem Frieden dieser Heiligen Nacht hinzugeben. Der Friede erf<u>u</u>llte sein Herz. Aber es schien ihm, als herrsche er auch ringsum. Er roch den friedlichen Schlaf der Zofe im Nebenzimmer, den tiefbefriedigten Schlaf des Antoine Richis jenseits des Ganges, er roch den friedlichen Schlummer des Wirts und der Knechte, der Hunde, der Tiere im Stall, des ganzen Orts und des Meeres. Der Wind hatte sich gelegt. Alles war still. Nichts st<u>u</u>rte den Frieden. Einmal bog er seinen Fuß zur Seite und ber<u>u</u>hrte ganz sacht den Fuß von Laure. Nicht ihren Fuß eigentlich, sondern gerade eben das Tuch, das ihn umh<u>u</u>llte, mit der d<u>u</u>nnen Schicht Fett darunter, die sich mit ihrem Duft tr<u>u</u>nkte, mit ihrem herrlichen Duft, mit seinem. <i>46</i> Als die V<u>u</u>gel zu schreien begannen - also noch geraume Zeit vor Anbruch der Morgend<u>u</u>mmerung -, erhob er sich und vollendete seine Arbeit. Er schlug das Tuch auseinander und zog es wie ein Pflaster von der Toten ab. Das Fett sch<u>u</u>lte sich gut von der Haut. Nur an den verwinkelten Stellen blieben einige Reste h<u>u</u>ngen, die er mit dem Spatel abstreichen musste. Die <u>u</u>brigen Pomadeschlieren wischte er mit Laures eigenem Unterhemd auf, mit dem er zuletzt auch noch den K<u>u</u>rper von Kopf bis Fuß abrubbelte, so gr<u>u</u>ndlich, dass sich selbst noch das Porenfett in Kr<u>u</u>meln von der Haut rieb, und mit ihm die letzten Fusselchen und Fitzelchen ihres Duftes. Jetzt erst war sie f<u>u</u>r ihn wirklich tot, abgewelkt, blass und schlaff wie Bl<u>u</u>tenabfall. Er warf das Unterhemd ins große enfleurierte Tuch, in dem allein sie weiterlebte, legte das Nachtgewand mit ihren Haaren dazu und rollte alles zu einem kleinen festen Paket zusammen, das er sich unter den Arm klemmte. Er nahm sich nicht die M<u>u</u>he, die Leiche auf dem Bett zuzudecken. Und obwohl die Nachtschw<u>u</u>rze sich schon ins Blaugraue der Morgend<u>u</u>mmerung verwandelt hatte und die Di