en weitabgewandten Mann der Wissenschaft hinaus, und wenn einmal auf Herkunft die Rede kam, warf er bescheiden und tiefbewegt so mit halben Worten hin, daß sein Vater noch aus dem Getto stamme, - sich aus den niedrigsten Anfängen heraus unter Kummer aller Art und unsäglichen Sorgen empor ans Licht habe arbeiten müssen. Ja! Unter Kummer und Sorgen! Unter wessen Kummer und unsäglichen Sorgen aber und mit welchen Mitteln, das hat er nicht dazu gesagt! Ich aber weiß, was es mit dem Getto für eine Bewandtnis hat!" Charousek faßte meinen Arm und schüttelte ihn heftig. "Meister Pernath, ich bin so arm, daß ich es selbst kaum mehr begreife; ich muß halbnackt gehen wie ein Vagabund, sehen Sie her, und ich bin doch Student der Medizin, - bin doch ein gebildeter Mensch!" Er riß seinen Überzieher auf und ich sah zu meinem Entsetzen, daß er weder Hemd noch Rock anhatte und den Mantel über der nackten Haut trug. "Und so arm war ich bereits, als ich diese Bestie, diesen allmächtigen, angesehenen Dr. Wassory zu Fall brachte, - und noch heute ahnt keiner, daß ich, ich der eigentliche Urheber war. Man meint in der Stadt, ein gewisser Dr. Savioli sei es gewesen, der seine Praktiken ans Tageslicht gezogen und ihn dann zum Selbstmord getrieben hat. - Dr. Savioli war nichts als mein Werkzeug, sage ich Ihnen. Ich allein habe den Plan erdacht und das Material zusammengetragen, habe die Beweise geliefert und leise und unmerklich Stein um Stein in dem Gebäude Dr. Wassorys gelockert, bis der Zustand erreicht war, wo kein Geld der Erde, keine List des Gettos mehr vermocht hätten, den Zusammenbruch, zu dem es nur noch eines unmerklichen Anstoßes bedurfte, abzuwenden. Wissen Sie, so - so wie man Schach spielt. Gerade so wie man Schach spielt. Und niemand weiß, daß ich es war! Den Trödler Aaron Wassertrum, den läßt wohl manchmal eine furchtbare Ahnung nicht schlafen, daß einer, den er nicht kennt, der immer in seiner Nähe ist und den er doch nicht fassen kann, - ein anderer als Dr. Savioli - die Hand im Spiele gehabt haben müsse. Wiewohl Wassertrum einer von jenen ist, deren Augen durch Mauern zu schauen vermögen, so faßt er es doch nicht, daß es Gehirne gibt, die auszurechnen imstande sind, wie man mit langen, unsichtbaren, vergifteten Nadeln durch solche Mauern stechen kann, an Quadern, an Gold und Edelsteinen vorbei, um die verborgene Lebensader zu treffen." Und Charousek schlug sich vor die Stirn und lachte wild. "Aaron Wassertrum wird es bald erfahren; genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will! Genau an demselben Tage! Auch diese Schachpartie habe ich ausgerechnet bis zum letzten Zug. - Diesmal wird es ein Königsläufergambit sein. Da gibt es keinen einzigen Zug bis zum bittern Ende, gegen den ich nicht eine verderbliche Entgegnung wüßte. Wer sich mit mir in ein solches Königsläufergambit einläßt, der hängt in der Luft, sage ich Ihnen, wie eine hilflose Marionette an feinen Fäden, - an Fäden, die ich zupfe, - hören Sie wohl, die ich zupfe, und mit dessen freiem Willen ist's dahin." Der Student redete wie im Fieber, und ich sah ihm entsetzt ins Gesicht. "Was haben Ihnen Wassertrum und sein Sohn denn getan, daß Sie so voll Haß sind?" Charousek wehrte heftig ab: "Lassen wir das - fragen Sie lieber, was Dr. Wassory den Hals gebrochen hat! - Oder wünschen Sie, daß wir ein andres Mal darüber sprechen? - Der Regen hat nachgelassen. Vielleicht wollen Sie nach Hause gehen?" Er senkte seine Stimme, wie jemand, der plötzlich ganz ruhig wird. Ich schüttelte den Kopf. "Haben Sie jemals gehört, wie man heutzutage den grünen Star heilt? - Nicht? - So muß ich Ihnen das deutlich machen, damit Sie alles genau verstehen, Meister Pernath! Hören Sie zu: Der ›grüne Star‹ also ist eine bösartige Erkrankung des Augeninnern, die mit Erblinden endet, und es gibt nur ein Mittel, dem Fortschreiten des Übels Einhalt zu tun, nämlich die sogenannte Iridektomie, die darin besteht, daß man aus der Regenbogenhaut des Auges ein keilförmiges Stückchen herauszwickt. Die unvermeidlichen Folgen davon sind wohl greuliche Blendungserscheinungen, die fürs ganze Leben bleiben; der Prozeß des Erblindens jedoch ist meistens aufgehalten. Mit der Diagnose des grünen Stars hat es aber eine eigene Bewandtnis. Es gibt nämlich Zeiten, besonders bei Beginn der Krankheit, wo die deutlichsten Symptome scheinbar ganz zurücktreten, und in solchen Fällen darf ein Arzt, obwohl er keine Spur einer Krankheit finden kann, dennoch niemals mit Bestimmtheit sagen, daß sein Vorgänger, der andrer Meinung gewesen, sich notwendigerweise geirrt haben müsse. Hat aber einmal die erwähnte Iridektomie, die sich natürlich genauso an einem gesunden Auge wie an einem kranken ausführen läßt, stattgefunden, so kann man unmöglich mehr feststellen, ob früher wirklich grüner Star vorgelegen hat oder nicht. Und auf diese und noch andere Umstände hatte Dr. Wassory einen scheußlichen Plan aufgebaut. Unzählige Male - besonders an Frauen - konstatierte er grünen Star, wo harmlose Sehstörungen vorlagen, nur um zu einer Operation zu kommen, die ihm keine Mühe machte und viel Geld eintrug. Da endlich hatte er vollkommen Wehrlose in der Hand; da gehörte zum Ausplündern auch keine Spur von Mut mehr! Sehen Sie, Meister Pernath, da war das degenerierte Raubtier in jene Lebensbedingungen versetzt, wo es auch ohne Waffe und Kraft seine Opfer zerfleischen konnte. Ohne etwas aufs Spiel zu setzen! - Begreifen Sie?! Ohne das geringste wagen zu müssen! Durch eine Menge fauler Veröffentlichungen in Fachblättern hatte sich Dr. Wassory in den Ruf eines hervorragenden Spezialisten zu setzen verstanden und sogar seinen Kollegen, die viel zu arglos und anständig waren, um ihn zu durchschauen, Sand in die Augen zu streuen gewußt. Ein Strom von Patienten, die alle bei ihm Hilfe suchten, war die natürliche Folge. Kam nun jemand mit geringfügigen Sehstörungen zu ihm und ließ sich untersuchen, so ging Dr. Wassory sofort mit tückischer Planmäßigkeit zu Werke. Zuerst stellte er das übliche Krankenverhör an, notierte aber geschickt immer nur, um für alle Fälle gedeckt zu sein, jene Antworten, die eine Deutung auf grünen Star zuließen. Und vorsichtig sondierte er, ob nicht schon eine frühere Diagnose vorläge. Gesprächsweise ließ er einfließen, daß ein dringender Ruf aus dem Auslande behufs wichtiger wissenschaftlicher Maßnahmen an ihn ergangen sei und er daher schon morgen verreisen müsse. - Bei der Augenspiegelung mit elektrischen Lichtstrahlen, die er sodann vornahm, bereitete er dem Kranken absichtlich so viel Schmerzen wie möglich. Alles mit Vorbedacht! Alles mit Vorbedacht! Wenn das Verhör vorüber und die übliche bange Frage des Patienten, ob Grund zur Befürchtung vorhanden sei, erfolgt war, da tat Wassory seinen ersten Schachzug. Er setzte sich dem Kranken gegenüber, ließ eine Minute verstreichen und sprach dann gemessen und mit sonorer Stimme den Satz: "Erblindung beider Augen ist bereits in der allernächsten Zeit wohl unvermeidlich!" 0x01 graphic Die Szene, die naturgemäß folgte, war entsetzlich. Oft fielen die Leute in Ohnmacht, weinten und schrien und warfen sich in wilder Verzweiflung zu Boden. Das Augenlicht verlieren, heißt alles verlieren. Und wenn der wiederum übliche Moment eintrat, wo das arme Opfer die Knie Dr. Wassorys umklammerte und flehte, ob es denn auf Gottes Erde gar keine Hilfe mehr gäbe, da tat die Bestie den zweiten Schachzug und verwandelte sich selbst in jenen - Gott, der helfen konnte! Alles, alles in der Welt ist wie ein Schachzug, Meister Pernath! - Schleunigste Operation, sagte Dr. Wassory dann nachdenklich, sei das einzige, was vielleicht Rettung bringen könne, und mit einer wilden, gierigen Eitelkeit, die plötzlich über ihn kam, erging er sich mit einem Redeschwall in weitschweifigem Ausmalen dieses und jenes Falles, die alle mit dem vorliegenden eine ungemein große Ähnlichkeit gehabt hätten, - wie unzählige Kranke ihm allein die Erhaltung des Augenlichts verdankten und dergleichen mehr. Er schwelgte förmlich in dem Gefühl, für eine Art höheren Wesens gehalten zu werden, in dessen Hände das Wohl und Wehe seines Mitmenschen gelegt ist. Das hilflose Opfer aber saß, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen vor ihm, Angstschweiß auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede zu fallen, aus Furcht: ihn - den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte - zu erzürnen. Und mit den Worten, daß er zur Operation leider erst in einigen Monaten schreiten könne, wenn er von seiner Reise wieder zurück sei, schloß Dr. Wassory seine Rede. Hoffentlich - man solle in solchen Fällen immer das Beste hoffen - sei es dann nicht zu spät, sagte er. Natürlich sprangen dann die Kranken entsetzt auf, erklärten, daß sie unter gar keinen Umständen auch nur einen Tag länger warten wollten, und baten flehentlich um Rat, wer von den andern Augenärzten in der Stadt sonst wohl als Operateur in Betracht kommen könnte. Da war der Augenblick gekommen, wo Dr. Wassory den entscheidenden Schlag führte. Er ging in tiefem Nachdenken auf und ab, legte seine Stirn in Falten des Grams und lispelte schließlich bekümmert, ein Eingriff seitens eines andern Arztes bedinge leider eine abermalige Bespiegelung des Auges mit elektrischem Licht, und das müsse - der Patient wisse ja selbst, wie schmerzhaft es sei - wegen der blendenden Strahlen geradezu verhängnisvoll wirken. Ein andrer Arzt also, ganz abgesehen davon, daß so manchem von ihnen gerade in der Iridektomie die nötige Übung fehle - dürfe, eben weil er wiederum von neuem untersuchen müsse, gar nicht vor Ablauf längerer Zeit, bis sich die Sehnerven wieder erholt hätten, zu einem chirurgischen Eingriff schreiten." Charousek ballte die Fäuste. "Das nennen wir in der Schachsprache ›Zugzwang‹, lieber Meister Pernath! - - Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang, - ein erzwungener Zug nach dem andern. Halb wahnsinnig vor Verzweiflung beschwor nun der Patient den Dr. Wassory, er möge doch Erbarmen haben, einen Tag nur seine Abreise verschieben und die Operation selber vornehmen. - Es handle sich doch um mehr als um schnellen Tod, die grauenhafte, folternde Angst, jeden Augenblick erblinden zu müssen, sei ja das Schrecklichste, was es geben könne. Und je mehr das Scheusal sich sträubte und jammerte: ein Aufschub seiner Reise könne ihm unabsehbaren Schaden bringen, desto höhere Summen boten freiwillig die Kranken. Schien schließlich die Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er nach und fügte bereits am selben Tage, ehe noch ein Zufall seinen Plan aufdecken konnte, den Bedauernswerten an beiden gesunden Augen jenen unheilbaren Schaden zu, jenes immerwährende Gefühl des Geblendetseins, das das Leben zu stetiger Qual gestalten mußte, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein für allemal verwischte. Durch solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht nur seinen Ruhm und seinen Ruf als unvergleichlicher Arzt, dem es noch jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten, - es befriedigte gleichzeitig seine maßlose Geldgier und frönte seiner Eitelkeit, wenn die ahnungslosen, an Körper und Vermögen geschädigten Opfer zu ihm wie zu einem Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen. Nur ein Mensch, der mit allen Fasern im Getto und seinen zahllosen, unscheinbaren, jedoch unüberwindlichen Hilfsquellen wurzelte und von Kindheit an gelernt hat, auf der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden Menschen in der Stadt kannte und bis ins kleinste seine Beziehungen und Vermögensverhältnisse erriet und durchschaute, - nur ein solcher - "Halbhellseher" möchte man es beinahe nennen, - konnte jahrelang derartige Scheußlichkeiten verüben. Und wäre ich nicht gewesen, bis heute triebe er sein Handwerk noch, würde es bis ins hohe Alter weiterbetrieben haben, um schließlich als ehrwürdiger Patriarch im Kreise seiner Lieben, angetan mit hohen Ehren, künftigen Geschlechtern ein leuchtendes Vorbild, seinen Lebensabend zu genießen, bis - bis endlich auch über ihn das große Verrecken hinweggezogen wäre. Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener Atmosphäre höllischer List gesättigt, und so vermochte ich ihn zu Fall zu bringen, - so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen, - wie aus heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft. Dr. Savioli, ein junger deutscher Arzt, hat das Verdienst der Entlarvung, - ihn schob ich vor und häufte Beweis auf Beweis, bis der Tag anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte. Da beging die Bestie Selbstmord! - Gesegnet sei die Stunde! Als hätte mein Doppelgänger neben ihm gestanden und ihm die Hand geführt, nahm er sich das Leben mit jener Phiole Amylnitrit, die ich absichtlich in seinem Ordinationszimmer bei der Gelegenheit hatte stehenlassen, als ich selbst ihn einmal verleitet, auch an mir die falsche Diagnose des grünen Stars zu stellen, - absichtlich und mit dem glühenden Wunsche, daß es dieses Amylnitrit sein möchte, das ihm den letzten Stoß geben sollte. Der Gehirnschlag hätte ihn getroffen, hieß es in der Stadt. Amylnitrit tötet, eingeatmet, wie Gehirnschlag. Aber lange konnte das Gerücht nicht aufrechterhalten werden." 0x01 graphic Charousek starrte plötzlich geistesabwesend, als habe er sich in ein tiefes Problem verloren, vor sich hin, dann zuckte er mit der Achsel nach der Richtung, wo Aaron Wassertrums Trödlerladen lag. "Jetzt ist er allein," murmelte er, "ganz allein mit seiner Gier und - und - und mit der Wachspuppe!" 0x01 graphic Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich sah Charousek voll Entsetzen an. War er wahnsinnig? Es mußten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge erfinden ließen. Gewiß, gewiß! Er hat alles erfunden, geträumt! Es kann nicht wahr sein, was er da über den Augenarzt Grauenhaftes erzählt hat. Er ist schwindsüchtig, und die Fieber des Todes kreisen in seinem Hirn. Und ich wollte ihn mit ein paar scherzenden Worten beruhigen, seine Gedanken in eine freundliche Richtung lenken. Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein Zimmer mit runden Fischaugen durch die aufgerissene Tür hereingeschaut hatte. Dr. Savioli! Dr. Savioli! - ja, ja, so war auch der Name des jungen Mannes gewesen, den mir der Marionettenspieler Zwakh flüsternd anvertraut als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte. Dr. Savioli! - Wie ein Schrei tauchte es in meinem Innern auf. Eine Reihe nebelhafter Bilder zuckte durch meinen Geist, jagte sich mit schreckhaften Vermutungen, die auf mich einstürmten. Ich wollte Charousek fragen, ihm voll Angst rasch alles erzählen, was ich damals erlebt, da sah ich, daß ein heftiger Hustenanfall sich seiner bemächtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie er sich mühsam mit den Händen an der Mauer stützend in den Regen hinaustappte und mir einen flüchtigen Gruß zunickte. Ja, ja, er hat recht, er sprach nicht im Fieber, - fühlte ich, - das unfaßbare Gespenst des Verbrechens ist es, das durch diese Gassen schleicht Tag und Nacht und sich zu verkörpern sucht. Es liegt in der Luft, und wir sehen es nicht. Plötzlich schlägt es sich nieder in einer Menschenseele, - wir ahnen es nicht, - da, dort, und ehe wir es fassen können, ist es gestaltlos geworden und alles längst vorüber. Und nur noch dunkle Worte über irgendein entsetzliches Geschehnis kommen an uns heran. Mit einem Schlage begriff ich diese rätselhaften Geschöpfe, die rings um mich wohnten, in ihrem innersten Wesen: sie treiben willenlos durchs Dasein von einem unsichtbaren magnetischen Strom belebt - - so, wie vorhin das Brautbukett in dem schmutzigen Rinnsal vorüberschwamm. Mir war, als starrten die Häuser alle mit tückischen Gesichtern voll namenloser Bosheit auf mich herüber, - die Tore: aufgerissene schwarze Mäuler, aus denen die Zungen ausgefault waren, - Rachen, die jeden Augenblick einen gellenden Schrei ausstoßen konnten, so gellend und haßerfüllt, daß es uns bis ins Innerste erschrecken müßte. Was hatte zum Schluß noch der Student über den Trödler gesagt? - Ich flüsterte mir seine Worte vor: - Aaron Wassertrum sei jetzt allein mit seiner Gier und - - seiner Wachspuppe. Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben? Es muß ein Gleichnis gewesen sein, beschwichtigte ich mich, - eines jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen zu überfallen pflegt, die man nicht versteht, und die einen, wenn sie später unerwartet sichtbar werden, so tieferschrecken können wie die Dinge von ungewohnter Form, auf die plötzlich ein greller Lichtstreif fällt. Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck, den mir Charouseks Erzählung verursacht hatte, abzuschütteln. Ich sah die Leute genauer an, die mit mir in dem Hausflur warteten: Neben mir stand jetzt der dicke Alte. Derselbe, der vorhin so widerlich gelacht hatte. Er hatte einen schwarzen Gehrock an und Handschuhe und starrte mit vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegenüber. Sein glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen Zügen zuckte vor Erregung. Unwillkürlich folgte ich seinen Blicken und bemerkte, daß sie wie gebannt an der rothaarigen Rosina hingen, die drüben jenseits der Gasse stand, ihr immerwährendes Lächeln um die Lippen. Der Alte war bemüht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, daß sie es wohl wußte, aber sich benahm, als verstünde sie nicht. Endlich hielt es der Alte nicht länger aus, watete auf den Fußspitzen hinüber und hüpfte mit lächerlicher Elastizität wie ein großer schwarzer Gummiball über die Pfützen. Man schien ihn zu kennen, denn ich hörte allerhand Glossen fallen, die darauf hinzielten. Ein Strolch hinter mir, ein rotes, gestricktes Tuch um den Hals, mit blauer Militärmütze, die Virginia hinter dem Ohr, machte mit grinsendem Mund Anspielungen, die ich nicht verstand. Ich begriff nur, daß sie den Alten in der Judenstadt den "Freimaurer" nannten und in ihrer Sprache mit diesem Spitznamen jemand bezeichnen wollten, der sich an halbwüchsigen Mädchen zu vergehen pflegt, aber durch intime Beziehungen zur Polizei vor jeder Strafe sicher ist. - - - Dann waren das Gesicht Rosinas und der Alte drüben im Dunkel des Hausflures verschwunden. Punsch Wir hatten das Fenster geöffnet, um den Tabakrauch aus meinem kleinen Zimmer strömen zu lassen. Der kalte Nachtwind blies herein und wehte an die zottigen Mäntel, die an der Türe hingen, daß sie leise hin und her schwankten. "Prokops würdige Haupteszierde möchte am liebsten davonfliegen", sagte Zwakh und deutete auf des Musikers großen Schlapphut, der die breite Krempe bewegte wie schwarze Flügel. Josua Prokop zwinkerte lustig mit den Augenlidern. "Er will," sagte er, "er will wahrscheinlich - - -" "Er will zum ›Loisitschek‹ zur Tanzmusik", nahm ihm Vrieslander das Wort vorweg. Prokop lachte und schlug mit der Hand den Takt zu den Klängen, die die dünne Winterluft her über die Dächer trug. Dann nahm er meine alte, zerbrochene Gitarre von der Wand, tat, als zupfe er die zerbrochenen Saiten und sang mit kreischendem Falsett und gespreizter Betonung in Rotwelsch ein wunderliches Lied: "An Bein-del von Ei-sen recht alt "An Stran-zen net gar a so kalt "Messinung, a' Räucherl und Rohn "und immerrr nurr putz-en - - - 0x01 graphic "Wie großartig er mit einem Mal die Gaunersprache beherrscht!" und Vrieslander lachte laut auf und brummte mit: "Und stok-en sich Aufzug und Pfiff "Und schmallern an eisernes G'süff. "Juch, - "Und Handschuhkren, Harom net san - - 0x01 graphic "Dieses kuriose Lied schnarrt jeden Abend beim ›Loisitschek‹ der meschuggene Nephtali Schaffranek mit dem grünen Augenschirm, und ein geschminktes Weibsbild spielt Harmonika und grölt den Text dazu", erklärte mir Zwakh. "Sie sollten auch einmal mit uns in diese Schenke gehen, Meister Pernath. Später vielleicht, wenn wir mit dem Punsch zu Ende sind, - was meinen Sie? Zur Feier Ihres heutigen Geburtstages?" "Ja, ja, kommen Sie nachher mit uns", sagte Prokop und klinkte das Fenster zu, - "man muß so etwas gesehen haben." Dann tranken wir den heißen Punsch und hingen unsern Gedanken nach. Vrieslander schnitzte an einer Marionette. "Sie haben uns förmlich von der Außenwelt abgeschnitten, Josua," unterbrach Zwakh die Stille, "seit Sie das Fenster geschlossen haben, hat niemand mehr ein Wort gesprochen." "Ich dachte nur darüber nach, als vorhin die Mäntel so flogen, wie seltsam es ist, wenn der Wind leblose Dinge bewegt," antwortete Prokop schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: "Es sieht gar so wunderlich aus, wenn Gegenstände plötzlich zu flattern anheben, die sonst immer tot daliegen. Nicht? - Ich sah einmal auf einem menschenleeren Platz zu, wie große Papierfetzen, - ohne daß ich vom Winde etwas spürte, denn ich stand durch ein Haus gedeckt, - in toller Wut im Kreise herumjagten und einander verfolgten, als hätten sie sich den Tod geschworen. Einen Augenblick später schienen sie sich beruhigt zu haben, aber plötzlich kam wieder eine wahnwitzige Erbitterung über sie, und in sinnlosem Grimm rasten sie umher, drängten sich in einen Winkel zusammen, um von neuem besessen auseinander zu stieben und schließlich hinter einer Ecke zu verschwinden. Nur eine dicke Zeitung konnte nicht mitkommen; sie blieb auf dem Pflaster liegen und klappte haßerfüllt auf und zu, als sei ihr der Atem ausgegangen und als schnappe sie nach Luft. Ein dunkler Verdacht stieg damals in mir auf: was, wenn am Ende wir Lebewesen auch so etwas Ähnliches wären wie solche Papierfetzen? - Ob nicht vielleicht ein unsichtbarer, unbegreiflicher "Wind" auch uns hin und her treibt und unsre Handlungen bestimmt, während wir in unserer Einfalt glauben unter eigenem, freiem Willen zu stehen? Wie, wenn das Leben in uns nichts anderes wäre als ein rätselhafter Wirbelwind? Jener Wind, von dem die Bibel sagt: Weißt du, von wannen er kommt und wohin er geht? - - - Träumen wir nicht auch zuweilen, wir griffen in tiefes Wasser und fingen silberne Fische, und nichts anderes ist geschehen, als daß ein kalter Luftzug unsere Hände traf?" "Prokop, Sie sprechen in Worten wie Pernath, was ist's mit Ihnen?" sagte Zwakh und sah den Musiker mißtrauisch an. "Die Geschichte vom Buch Ibbur, die vorhin erzählt wurde, - schade, daß Sie so spät kamen und sie nicht mit anhörten, - hat ihn so nachdenklich gestimmt", meinte Vrieslander. "Eine Geschichte von einem Buche?" "Eigentlich von einem Menschen, der ein Buch brachte und seltsam aussah. - Pernath weiß nicht, wie er heißt, wo er wohnt, was er wollte, und obwohl sein Aussehen sehr auffallend gewesen sein soll, lasse es sich doch nicht recht schildern." Zwakh horchte auf. *"Das ist sehr merkwürdig," sagte er nach einer Pause, "war der Fremde vielleicht bartlos, und hatte er schrägstehende Augen?" "Ich glaube," antwortete ich, "das heißt, ich - ich - weiß es ganz bestimmt. Kennen Sie ihn denn?" Der Marionettenspieler schüttelte den Kopf. "Er erinnerte mich nur an den ›Golem‹." Der Maler Vrieslander ließ sein Schnitzmesser sinken: "Golem? - Ich habe schon so viel davon reden hören. Wissen Sie etwas über den Golem, Zwakh?" "Wer kann sagen, daß er über den Golem etwas wisse?", antwortete Zwakh und zuckte die Achseln. "Man verweist ihn ins Reich der Sage, bis sich eines Tages in den Gassen ein Ereignis vollzieht, das ihn plötzlich wieder aufleben läßt. Und eine Zeitlang spricht dann jeder von ihm, und die Gerüchte wachsen ins Ungeheuerliche. Werden so übertrieben und aufgebauscht, daß sie schließlich an der eigenen Unglaubwürdigkeit zugrunde gehen. Der Ursprung der Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zurück, sagt man. Nach verlorengegangenen Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner da einen künstlichen Menschen - den sogenannten Golem - verfertigt haben, damit er ihm als Diener helfe die Glocken in der Synagoge läuten, und allerhand grobe Arbeit tue. Es sei aber doch kein richtiger Mensch daraus geworden und nur ein dumpfes, halbbewußtes Vegetieren habe ihn belebt. Wie es heißt, auch das nur tagsüber und kraft des Einflusses eines magischen Zettels, der ihm hinter den Zähnen stak und die freien siderischen Kräfte des Weltalls herabzog. Und als eines Abends vor dem Nachtgebet der Rabbiner das Siegel aus dem Munde des Golem zu nehmen versäumt, da wäre dieser in Tobsucht verfallen, in der Dunkelheit durch die Gassen gerast und hätte zerschlagen, was ihm in den Weg gekommen. Bis der Rabbi sich ihm entgegengeworfen und den Zettel vernichtet habe. Und da sei das Geschöpf leblos niedergestürzt. Nichts blieb von ihm übrig als die zwerghafte Lehmfigur, die heute noch drüben in der Altneusynagoge gezeigt wird." "Derselbe Rabbiner soll einmal auch zum Kaiser auf die Burg berufen worden sein und die Schemen der Toten beschworen und sichtbar gemacht haben," warf Prokop ein, "moderne Forscher behaupten, er habe sich dazu einer Laterna magica bedient." "Jawohl, keine Erklärung ist abgeschmackt genug, daß sie bei den Heutigen nicht Beifall fände," fuhr Zwakh unbeirrt fort. - "Eine Laterna magica!! Als ob Kaiser Rudolf, der sein ganzes Leben solchen Dingen nachging, einen so plumpen Schwindel nicht auf den ersten Blick hätte durchschauen müssen! Ich kann freilich nicht wissen, worauf sich die Golemsage zurückführen läßt, daß aber irgend etwas, was nicht sterben kann, in diesem Stadtviertel sein Wesen treibt und damit zusammenhängt, dessen bin ich sicher. Von Geschlecht zu Geschlecht haben meine Vorfahren hier gewohnt, und niemand kann wohl auf mehr erlebte und ererbte Erinnerungen an das periodische Auftauchen des Golem zurückblicken als gerade ich!" Zwakh hatte plötzlich aufgehört zu reden, und man fühlte mit ihm, wie seine Gedanken in vergangene Zeiten zurückwanderten. Wie er, den Kopf aufgestützt, dort am Tische saß und beim Scheine der Lampe seine roten, jugendlichen Bäckchen fremdartig von dem weißen Haar abstachen, verglich ich unwillkürlich im Geiste seine Züge mit den maskenhaften Gesichtern seiner Marionetten, die er mir so oft gezeigt. Seltsam, wie ähnlich ihnen der alte Mann doch sah! Derselbe Ausdruck und derselbe Gesichtsschnitt! Manche Dinge der Erde können nicht loskommen voneinander, fühlte ich, und wie ich Zwakhs einfaches Schicksal an mir vorüberziehen ließ, da schien es mir mit einemmal gespenstisch und ungeheuerlich, daß ein Mensch wie er, obschon er eine bessere Erziehung als seine Vorfahren genossen hatte und Schauspieler hätte werden sollen, plötzlich wieder zu dem schäbigen Marionettenkasten zurückkehren konnte, um nun abermals auf die Jahrmärkte zu ziehen und dieselben Puppen, die schon seiner Vorväter kümmerliches Erwerbsmittel gewesen, von neuem ihre ungelenken Verbeugungen machen und schläfrigen Erlebnisse vorführen zu lassen. Er vermag es nicht, sich von ihnen zu trennen, begriff ich; sie leben mit von seinem Leben, und als er fern von ihnen war, da haben sie sich in Gedanken verwandelt, haben in seinem Hirn gewohnt und ihn rast- und ruhelos gemacht, bis er wieder heimkehrte. Darum hält er sie jetzt so liebevoll und kleidet sie stolz in Flitter. "Zwakh, wollen Sie uns nicht weitererzählen?" forderte Prokop den Alten auf und sah fragend nach Vrieslander und mir hin, ob auch wir gleichen Wunsches seien. "Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll," meinte der Alte zögernd, "die Geschichte mit dem Golem läßt sich schwer fassen. So wie Pernath vorhin sagte: er wisse genau, wie jener Unbekannte ausgesehen habe, und doch könne er ihn nicht schildern. Ungefähr alle dreiunddreißig Jahre wiederholt sich ein Ereignis in unsern Gassen, das gar nichts besonders Aufregendes an sich trägt und dennoch ein Entsetzen verbreitet, für das weder eine Erklärung noch eine Rechtfertigung ausreicht: Immer wieder begibt es sich nämlich, daß ein vollkommen fremder Mensch, bartlos, von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus, aus der Richtung der Altschulgasse her, in altmodische, verschossene Kleider gehüllt, gleichmäßigen und eigentümlich stolpernden Ganges, so, als wolle er jeden Augenblick vornüber fallen, durch die Judenstadt schreitet und plötzlich - unsichtbar wird. Gewöhnlich biegt er in eine Gasse und ist dann verschwunden. Ein andermal heißt es, er habe auf seinem Wege einen Kreis beschrieben und sei zu dem Punkte zurückgekehrt, von dem er ausgegangen: einem uralten Hause in der Nähe der Synagoge. Einige Aufgeregte wiederum behaupten, sie hätten ihn um eine Ecke auf sich zukommen sehen. Wiewohl er ihnen aber ganz deutlich entgegengeschritten, sei er dennoch, genau wie jemand, dessen Gestalt sich in weiter Ferne verliert, immer kleiner und kleiner geworden und - schließlich ganz verschwunden. Vor Sechsundsechzig Jahren nun muß der Eindruck, den er hervorgebracht, besonders tief gegangen sein, denn ich erinnere mich - ich war noch ein ganz kleiner Junge -, daß man das Gebäude in der Altschulgasse damals von oben bis unten durchsuchte. Es wurde auch festgestellt, daß wirklich in diesem Hause ein Zimmer mit Gitterfenster vorhanden ist, zu dem es keinen Zugang gibt. Aus allen Fenstern hatte man Wäsche gehängt, um von der Gasse aus einen Augenschein zu gewinnen, und war auf diese Weise der Tatsache auf die Spur gekommen. Da es anders nicht zu erreichen gewesen, hatte sich ein Mann an einem Strick vom Dache herabgelassen, um hineinzusehen. Kaum aber war er in die Nähe des Fensters gelangt, da riß das Seil, und der Unglückliche zerschmetterte sich auf dem Pflaster den Schädel. Und als später der Versuch nochmals wiederholt werden sollte, gingen die Ansichten über die Lage des Fensters derart auseinander, daß man davon abstand. Ich selber begegnete dem ›Golem‹ das erste Mal in meinem Leben vor ungefähr dreiunddreißig Jahren. Er kam in einem sogenannten Durchhause auf mich zu, und wir rannten fast aneinander. Es ist mir heute noch unbegreiflich, was damals in mir vorgegangen sein muß. Man trägt doch um Gottes willen nicht immerwährend, tagaus tagein die Erwartung mit sich herum, man werde dem Golem begegnen. In jenem Augenblick aber, bestimmt - ganz bestimmt, noch ehe ich seiner ansichtig werden konnte, schrie etwas in mir gellend auf: der Golem! Und im selben Moment stolperte jemand aus dem Dunkel des Torflures hervor, und jener Unbekannte ging an mir vorüber. Eine Sekunde später drang eine Flut bleicher, aufgeregter Gesichter mir entgegen, die mich mit Fragen bestürmten, ob ich ihn gesehen hätte. Und als ich antwortete, da fühlte ich, daß sich meine Zunge wie aus einem Krampfe löste, von dem ich vorher nichts gespürt hatte. Ich war förmlich überrascht, daß ich mich bewegen konnte, und deutlich kam mir zum Bewußtsein, daß ich mich, wenn auch nur den Bruchteil eines Herzschlags lang - in einer Art Starrkrampf befunden haben mußte. Über all das habe ich oft und lange nachgedacht, und mich dünkt, ich komme der Wahrheit am nächsten, wenn ich sage: Immer einmal in der Zeit eines Menschenalters geht blitzschnell eine geistige Epidemie durch die Judenstadt, befällt die Seelen der Lebenden zu irgendeinem Zweck, der uns verhüllt bleibt, und läßt wie eine Luftspiegelung die Umrisse eines charakteristischen Wesens erstehen, das vielleicht vorjahrhunderten hier gelebt hat und nach Form und Gestaltung dürstet. Vielleicht ist es mitten unter uns, Stunde für Stunde, und wir nehmen es nicht wahr. Hören wir doch auch den Ton einer schwirrenden Stimmgabel nicht, bevor sie das Holz berührt und es mitschwingen macht. Vielleicht ist es nur so etwas wie ein seelisches Kunstwerk, ohne innewohnendes Bewußtsein, - ein Kunstwerk, das entsteht, wie ein Kristall nach stets sich gleichbleibendem Gesetz aus dem Gestaltlosen herauswächst. Wer weiß das? Wie in schwülen Tagen die elektrische Spannung sich bis zur Unerträglichkeit steigert und endlich den Blitz gebiert, könnte es da nicht sein, daß auch auf die stetige Anhäufung jener niemals wechselnden Gedanken, die hier im Getto die Luft vergiften, eine plötzliche, ruckweise Entladung folgen muß? - eine seelische Explosion, die unser Traumbewußtsein ans Tageslicht peitscht, um - dort den Blitz der Natur - hier ein Gespenst zu schaffen, das in Mienen, Gang und Gehaben, in allem und jedem das Symbol der Massenseele unfehlbar offenbaren müßte, wenn man die geheime Sprache der Formen nur richtig zu deuten verstünde? Und wie mancherlei Erscheinungen das Einschlagen des Blitzes ankünden, so verraten auch hier gewisse grauenhafte Vorzeichen das drohende Hereinbrechen jenes Phantoms ins Reich der Tat. Der abblätternde Bewurf einer alten Mauer nimmt eine Gestalt an, die einem schreitenden Menschen gleicht; und in Eisblumen am Fenster bilden sich Züge starrer Gesichter. Der Sand vom Dache scheint anders zu fallen als sonst und drängt dem argwöhnischen Beobachter den Verdacht auf, eine unsichtbare Intelligenz, die sich lichtscheu verborgen hält, werfe ihn herab und übe sich in heimlichen Versuchen, allerlei seltsame Umrisse hervorzubringen. - Ruht das Auge auf eintönigem Geflecht oder den Unebenheiten der Haut, bemächtigt sich unser die unerfreuliche Gabe, überall mahnende, bedeutsame Formen zu sehen, die in unsern Träumen ins Riesengroße auswachsen. Und immer zieht sich durch solche schemenhaften Versuche der angesammelten Gedankenherden, die Wälle der Alltäglichkeit zu durchnagen, für uns wie ein roter Faden die qualvolle Gewißheit, daß unser eigenstes Inneres mit Vorbedacht und gegen unsern Willen ausgesogen wird, nur damit die Gestalt des Phantoms plastisch werden könne. Wie ich nun vorhin Pernath bestätigen hörte, daß ihm ein Mensch begegnet sei, bartlos, mit schiefgestellten Augen, da stand der "Golem" vor mir, wie ich ihn damals gesehen. Wie aus dem Boden gewachsen stand er vor mir. Und eine gewisse dumpfe Furcht, es stehe wieder etwas Unerklärliches nahe bevor, befiel mich einen Augenblick lang; dieselbe Angst, die ich schon einmal in meinen Kinderjahren verspürt, als die ersten spukhaften Äußerungen des Golem ihre Schatten vorauswarfen. Sechsundsechzig Jahre ist das wohl jetzt her und knüpft sich an einen Abend, an dem der Bräutigam meiner Schwester zu Besuch gekommen war, und in der Familie der Tag der Hochzeit festgesetzt werden sollte. Es wurde damals Blei gegossen - zum Scherz - und ich stand mit offenem Munde dabei und begriff nicht, was das zu bedeuten habe, - in meiner wirren, kindlichen Vorstellung brachte ich es in Zusammenhang mit dem Golem, von dem ich meinen Großvater oft hatte erzählen hören, und bildete mir ein, jeden Augenblick müsse die Tür aufgehen und der Unbekannte eintreten. Meine Schwester leerte dann den Löffel mit dem flüssigen Metall in das Wasserschaff und lachte mich, der ich aufgeregt zusah, lustig an. Mit welken, zitternden Händen holte mein Großvater den blitzenden Bleiklumpen heraus und hielt ihn ans Licht. Gleich darauf entstand eine allgemeine Erregung. Man redete laut durcheinander; ich wollte mich hinzudrängen, aber man wehrte mich ab. Später, als ich älter geworden, erzählte mir mein Vater, es wäre damals das geschmolzene Metall zu einem kleinen, ganz deutlichen Kopf erstarrt gewesen, - glatt und rund, wie nach einer Form gegossen, und von unheimlicher Ähnlichkeit mit den Zügen des "Golem", daß sich alle entsetzt hätten. Oft sprach ich mit dem Archivar Schemajah Hillel, der die Requisiten der Altneusynagoge in Verwahrung hat und auch die gewisse Lehmfigur aus Kaiser Rudolfs Zeiten, darüber. Er hat sich mit Kabbala befaßt und meint, jener Erdklumpen mit den menschlichen Gliedmaßen sei vielleicht nichts anderes als ein ehemaliges Vorzeichen, ganz so wie in meinem Fall der bleierne Kopf. Und der Unbekannte, der da umgehe, müsse das Phantasie- oder Gedankenbild sein, das jener mittelalterliche Rabbiner zuerst lebendig gedacht habe, ehe er es mit Materie bekleiden konnte, und das nun in regelmäßigen Zeitabschnitten, bei den gleichen astrologischen Sternstellungen, unter denen es erschaffen worden - wiederkehre, vom Triebe nach stofflichem Leben gequält. Auch Hillels verstorbene Frau hatte den "Golem" von Angesicht zu Angesicht erblickt und ebenso wie ich gefühlt, daß man sich im Starrkrampf befindet, solange das rätselhafte Wesen in der Nähe weilt. Sie sagte, sie sei felsenfest überzeugt gewesen, daß es damals nur ihre eigene Seele habe sein können, die - aus dem Körper getreten - ihr einen Augenblick gegenübergestanden und mit den Zügen eines fremden Geschöpfes ins Gesicht gestarrt hätte. Trotz eines furchtbaren Grauens, das sich ihrer damals bemächtigt, habe sie doch keine Sekunde die Gewißheit verlassen, daß jener andere nur ein Stück ihres eignen Innern sein konnte." - 0x01 graphic "Es ist unglaublich", murmelte Prokop in Gedanken verloren. Auch der Maler Vrieslander schien ganz in Grübeln versunken. Da klopfte es an die Türe und das alte Weib, das mir des Abends Wasser bringt und was ich sonst noch nötig habe, trat ein, stellte den tönernen Krug auf den Boden und ging stillschweigend wieder hinaus. Wir alle hatten aufgeblickt und sahen wie erwacht im Zimmer umher, aber noch lange Zeit sprach niemand ein Wort. Als sei ein neuer Einfluß mit der Alten zur Tür hereingeschlüpft, an den man sich erst gewöhnen mußte. "Ja! Die rothaarige Rosina, das ist auch so ein Gesicht, das man nicht loswerden kann und aus den Winkeln und Ecken immer wieder auftauchen sieht", sagte plötzlich Zwakh ganz unvermittelt. "Dieses erstarrte, grinsende Lächeln kenne ich nun schon ein ganzes Menschenleben. Erst die Großmutter, dann die Mutter! - Und stets das gleiche Gesicht, kein Zug anders! Derselbe Name Rosina; - es ist immer eine die Auferstehung der andern." "Ist Rosina nicht die Tochter des Trödlers Aaron Wassertrum?" fragte ich. "Man spricht so", meinte Zwakh, - - "Aaron Wassertrum aber hat manchen Sohn und manche Tochter, von denen man nicht weiß. Auch bei Rosinas Mutter wußte man nicht, wer ihr Vater gewesen, - auch nicht, was aus ihr geworden ist. - Mit fünfzehn Jahren hatte sie ein Kind geboren und war seitdem nicht mehr aufgetaucht. Ihr Verschwinden hing mit einem Mord zusammen, soweit ich mich entsinnen kann, der ihretwegen in diesem Hause begangen wurde. Wie jetzt ihre Tochter, spukte damals sie den halbwüchsigen Jungen im Kopfe. Einer von ihnen lebt noch, - ich sehe ihn öfter, - doch sein Name ist mir entfallen. Die andern sind bald gestorben, und ich meine, sie hat sie